Karibischer Liebestraum mit dem Boss

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Die Geschäftsreise durch die Karibik mit ihrem neuen Boss ist für Eva eine Herausforderung! Denn ständig geraten sie und der attraktive Rafael aneinander. Der Milliardär, der die Rum-Destillerie ihrer Eltern gekauft hat, versteht einfach nicht, wie das Business funktioniert. Auf der anderen Seite ist Rafael mit seinem frechen Charme so unwiderstehlich, dass Eva ihren Ärger manchmal glatt vergisst. Als sie mit ihm während eines Tropensturms auf einer einsamen Insel strandet, muss sie sich endgültig entscheiden: Feind, Freund – oder Lover?


  • Erscheinungstag 13.06.2023
  • Bandnummer 122023
  • ISBN / Artikelnummer 0800230012
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Das war’s dann also mit Seattle.

Rafael Malta unterzeichnete das letzte Dokument und klappte die Unterschriftenmappe schwungvoll zu.

Er würde der Stadt keine Träne nachweinen. Alles, was er mit ihr verband, waren tiefe Enttäuschung, quälende Erinnerungen und unbändige Wut.

Nur ein kurzer Moment der Unbedachtheit hatte genügt, um sein Leben in einen Scherbenhaufen zu verwandeln. Der Skandal hatte nicht nur seinem Ruf als seriöser Geschäftsmann geschadet, sondern auch dazu geführt, dass seine Beziehung zu Trina katastrophal gescheitert war.

Nun hielt ihn nichts mehr. Es war Zeit für einen Neuanfang.

Morgen, wenn er auf dem Flughafen von San Juan in Puerto Rico landete, würde sein neues Leben beginnen. Dann hieß es adíós, Mister App-Entwickler, und buenos días, Señor Malta, neuer Eigentümer und Betreiber der Gato Rum Destillerie. Eigentlich verstand Rafael nichts von der Spirituosenproduktion, doch er war hoch motiviert, sich möglichst schnell in die Materie einzuarbeiten. Das lag vor allem daran, dass er es sich nicht erlauben konnte zu scheitern. Es gab nämlich keinen Plan B.

Ein ganz neues Aufgabenfeld – was für ein Abenteuer! dachte er. Und eine einmalige Gelegenheit, die Geister der Vergangenheit endlich abzuschütteln.

Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Die Tür zu seinem Büro schwang auf, und Patty, seine langjährige Assistentin, trat ein.

„Sehen Sie nur, wie viel Papierkram Sie mir damit bescheren, mal eben eine Brennerei zu kaufen, Mister Malta“, beschwerte sie sich und zeigte auf den vor Schriftstücken berstenden Ordner unter ihrem Arm. „Als hätte ich nicht schon genug am Hals.“

„Mein Angebot steht, Patty. Kommen Sie mit nach Puerto Rico. Dort lebt und arbeitet es sich viel entspannter“, schlug Rafael vor.

„Da würde ich ja meine vier Enkelkinder kaum noch zu Gesicht bekommen.“ Sie trat näher an den Schreibtisch heran. „Außerdem bin ich dafür viel zu alt.“

„Ach, Patty. Sie sind doch nicht alt“, widersprach Rafael. „Sie haben mehr Elan als sämtliche jungen Studenten, die hier arbeiten.“

Sie lächelte und schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, Rafe. Dieses Projekt werden Sie ohne mich durchziehen müssen.“

Es gefiel Rafael nicht, seine engste Vertraute zu verlieren und damit wieder ganz auf sich allein gestellt zu sein.

Patty bemerkte seinen resignierten Gesichtsausdruck und bekam ein schlechtes Gewissen. Also versicherte sie: „Aber ich nehme gern Ihr Angebot an, Sie dort zu besuchen. Puerto Rico soll ja ein wahres Paradies sein.“

Das freute Rafael sehr. „Jederzeit gern. Und bringen Sie Ihren Mann und die Enkel ruhig mit. Ich übernehme alle Kosten.“

Patty strahlte. „Vielen Dank, das ist sehr großzügig von Ihnen.“ Doch plötzlich schimmerten ihre Augen verdächtig. „Ich werde Sie vermissen, Rafe“, sagte sie leise.

Gütiger Himmel! Weint sie etwa?

Jetzt wurde auch Rafael wehmütig. Patty war die Einzige gewesen, die nach dem Skandal im letzten Jahr immer zu ihm gehalten hatte.

Er erhob sich von seinem Chefsessel, ging zu seiner Assistentin und umarmte sie unbeholfen. „Sie werden mir auch fehlen, Patty“, meinte er und ließ zu, dass sie sich schniefend an seiner Brust ausweinte.

Die Situation war absurd für Rafael. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass eine Frau nicht wegen ihm, sondern um ihn weinte.

Der neue Boss will mit Dir sprechen.

Eva unterdrückte einen wüsten Fluch, als sie am nächsten Morgen die Textnachricht von Teo auf ihrem Handy entdeckte. Von wegen nur neuer Boss! Dieser Mann war der Grund dafür, dass ihr ganzes Leben plötzlich auf den Kopf gestellt wurde!

Doch eigentlich hatte sie sich den ganzen Schlamassel selbst zuzuschreiben. Durch ihre Schuld war es so weit gekommen, dass ein ausländischer Investor die Familienfirma übernommen hatte. Und nun würden alle Menschen, die sie liebte, darunter leiden.

Ich werde das wieder in Ordnung bringen, schwor sie sich. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!

Da ertönte ein Signalton. Noch eine Nachricht von ihrem Bruder.

Schwing sofort deinen Hintern hierher! Señor Malta wartet nicht gern …

Eva verabscheute es, so herumkommandiert zu werden. Doch ihr blieb keine Wahl, denn zumindest für die nächsten paar Tage war sie weisungsgebunden. Im Kaufvertrag war festgehalten worden, dass sie dem neuen Besitzer der Brennerei bei der Geschäftsübergabe mit ihrem Wissen zur Seite stehen würde.

Wie konnte Papá mir das nur antun?

Aber nein, das war nicht fair. Ihn traf ja keine Schuld an der ganzen Misere. Es war einzig ihre Schuld, dass die Familie alles verloren hatte: die Firma und ihr Zuhause.

Eva wusste nicht viel über diesen Rafael Malta, außer dass er ein umtriebiger Unternehmer war, der es durch die Entwicklung einer App zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht hatte. Aber eins wusste sie genau: Der Mann hatte keine Ahnung von Rum. Wie sie ihn in ein paar Tagen in die Kunst des Destillierens einführen sollte, war ihr ein Rätsel.

Ach, egal. Ist ja nicht mehr unsere Firma!

Doch es gelang ihr nicht wirklich, gleichgültig zu sein. Tief in ihrem Herzen wusste Eva, dass ihr die Zukunft von Gato Rum immer wichtig sein würde. Selbst wenn sie künftig nicht mehr in der Lage war, darauf Einfluss zu nehmen. Denn die Destillerie und das angrenzende Landgut, die Hacienda mit der großen Villa, waren das Vermächtnis ihrer Familie, seit bald hundert Jahren.

Und durch mich ist nun alles verloren, dachte Eva verzweifelt. Das Bewusstsein, ihren Liebsten so viel Kummer bereitet zu haben, war unerträglich.

Es muss doch einen Weg geben, das Erbe meiner Familie zu retten!

Doch im Moment konnte sie nichts weiter tun, als den Weisungen des neuen Besitzers zu folgen.

Warum muss er nur so unverschämt gut aussehen?

Eva hatte Bilder von Rafael Malta im Internet gesehen, aber in Fleisch und Blut wirkte dieser Mann noch viel beeindruckender. Er war groß und durchtrainiert, und die Kombination aus dunklem, welligem Haar und smaragdgrünen Augen gab ihm etwas Mysteriöses und Verwegenes.

Ihr fiel auf, dass er hier mit seinen gebügelten Kaki-Hosen und dem gestärkten weißen Hemd irgendwie fehl am Platz wirkte.

Auch das hochtechnisierte Tablet, auf dem er sich eifrig Notizen machte, passte nicht in die Umgebung. Offenbar versuchte dieser Mann, sich die Herstellung von Rum auf theoretischer Basis erklären zu lassen. Eva schnalzte missbilligend mit der Zunge.

Das tat sie wohl etwas zu laut, denn beide Männer blickten sofort zu ihr auf. Ihr Bruder Teo nickte ihr zu. Er schien erleichtert über ihre Ankunft zu sein, und Eva wusste auch, warum. Ihr Bruder hatte sich nie sonderlich im Familienunternehmen engagiert. Seine Leidenschaft waren nicht Zuckerrohr und Rum, sondern Oldtimer und Autorennen.

Eva gefiel es nicht, dass ein kleiner, wohliger Schauer durch ihren Körper ging, als Rafael Malta sie aufmerksam musterte.

Evalyn Gato, komm gar nicht erst auf dumme Gedanken!

Seit dem katastrophalen Scheitern ihrer ersten Ehe hatte sie allem abgeschworen, was in die Abteilung groß, dunkelhaarig und gut aussehend fiel. Denn auch ihr Ex-Mann Victor hatte dieser Kategorie angehört. Und die Beziehung zu ihm war der größte Fehler ihres Lebens gewesen.

„Hallo, Schwesterherz“, begrüßte Teo sie. „Wir haben dich schon sehnsüchtig erwartet.“

Rafael Malta schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Schön, Sie endlich kennenzulernen, Miss Gato.“

Eva schüttelte seine Hand. „Nennen Sie mich Evalyn.“

Teo musste schmunzeln. Niemand sonst nannte seine Schwester so. Aber sie hatte sicher einen triftigen Grund dafür, warum sie sich dem neuen Eigentümer gerade so vorstellte.

Rafael sah Eva direkt in die Augen und hielt ihre Hand noch eine Weile fest. Sie war erstaunt über seine Kraft und die Tatsache, dass seine Finger sich ein wenig rau anfühlten. Sie war davon ausgegangen, dass er die Art von Mann war, die sich nicht die Hände durch körperliche Arbeit schmutzig machte.

Doch vielleicht hatte sie ihn unterschätzt. Offensichtlich konnte er auch zupacken. Ihr gefiel das sehr, doch sie wollte es sich nicht eingestehen.

Schnell zog sie ihre Hand wieder weg.

Teo räusperte sich laut und sah demonstrativ auf seine Uhr. „Ich muss dann auch los. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Rafe.“

Eva sah ihren Bruder entsetzt an. „Wo willst du hin?“

„Ich habe noch einen Termin“, sagte er ausweichend. „Ich denke, ihr kommt auch ohne mich klar.“

Du mieser, kleiner Verräter!

Kaum hatte Eva den Gedanken zu Ende gebracht, war Teo schon in seinem Vintage-Sportwagen verschwunden und brauste davon.

Jetzt war sie mit Rafael allein.

Und er stand einfach nur da und lächelte sie an.

Nach einer Schrecksekunde hatte sie sich wieder gefangen. „Hat Teo Ihnen schon alles gezeigt?“, fragte sie nun ganz geschäftsbeflissen.

Rafael nickte. „Aber nur ganz flüchtig. Er meinte, dass Sie mich dann später in die Finessen einweihen werden.“

Eva sah zu Boden und schob einen kleinen Kieselstein mit ihrer Schuhspitze umher. „Das wird sicher ein Riesenspaß“, murmelte sie leise verdrossen vor sich hin.

„Wie war das bitte?“

Eva musste erschrocken feststellen, dass Rafael offenbar besser hörte als jede Fledermaus.

„Ach, gar nichts.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah Eva herausfordernd an. „Raus mit der Sprache. Sie haben offensichtlich ein Problem mit mir.“

Wow. Er kam ohne Umschweife direkt zum Punkt. Eva war nicht sicher, ob sie das mochte.

„Na, Sie sind mir ja ein ganz Schlauer“, giftete sie.

Rafael reagierte mit einer amüsiert hochgezogenen Augenbraue. „Wenn Sie sich etwas von der Seele reden wollen, bin ich ganz Ohr.“

Oh, sie hatte eine ganze Menge loszuwerden, aber war es wirklich klug, das alles laut auszusprechen?

„Ich glaube nicht, dass Sie mich verstehen würden, Mister Malta“, sagte sie stattdessen.

Er seufzte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Überrascht stellte Eva fest, dass er auf einmal gar nicht mehr souverän wirkte. Woran das wohl lag?

„Evalyn“, begann er. „Können wir nicht wenigstens die Formalitäten lassen und uns duzen? Meine Freunde nennen mich Rafe.“

Sie überlegte einen Moment und nickte dann stumm. Er fuhr fort.

„Wir kennen uns erst ein paar Minuten. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es in so kurzer Zeit geschafft haben soll, dich mit meinem Verhalten vor den Kopf zu stoßen. Also, woher kommt diese Abneigung gegen mich?“

Rafe war verunsichert. Noch nie hatte eine Frau ihn derartig aus dem Konzept gebracht. Wenn Eva ihn mit ihren wunderschönen braunen Augen, in denen kleine, goldene Sprenkel schimmerten, fixierte, schien es, als würde sie geradewegs in seine Seele blicken. Und das war zutiefst beunruhigend.

Er bereute inzwischen, sie nach dem Grund für ihre Animosität gefragt zu haben. Es war ohnehin besser, sich wieder auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren: so viel wie möglich von Eva für seine Aufgabe als Brennereibesitzer zu lernen. Alles andere war zweitrangig.

Doch in dem Moment, als er schon nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatte, sprach sie endlich. „Ich habe nichts gegen dich persönlich“, meinte sie. „Aber deine Anwesenheit hier empfinde ich trotzdem als Affront.“

„Das klingt aber schon ziemlich persönlich“, gab Rafe zurück.

Eva hob eine Augenbraue. „Was ich damit sagen will, ist, dass du aus den falschen Gründen hier bist. Und dass ich glaube, dass du es hier nicht lange aushalten wirst.“

Sie hat keinen blassen Schimmer, wen sie vor sich hat, dachte Rafe trotzig. Er würde es ihr schon zeigen …

„Du wirst bald feststellen, dass du mich unterschätzt hast“, versprach er ihr.

Eva zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Dazu wird es sicher nicht kommen.“

Rafe war nun wild entschlossen, sich zu beweisen. Aus irgendeinem Grund war ihm wichtig, was Eva Gato von ihm hielt. Mehr noch: Es war plötzlich alles, was zählte.

„Du scheinst ja wenig Vertrauen in mich als Geschäftsmann zu haben“, gab er an.

Sie schüttelte vehement den Kopf. „Nein, darum geht es hier nicht.“

„Um was dann?“, wollte Rafe wissen.

„Das ist doch offensichtlich, oder nicht? Du hast überhaupt keine Erfahrung, was die Produktion und Vermarktung von Rum betrifft. Es scheint, als hättest du mit dem Erwerb unserer Destillerie einen unüberlegten Impulskauf getätigt. Shopping aus Langeweile, sozusagen.“

Rafe konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ganz so simpel war es dann doch nicht. Ich habe ausgedehnte Marktanalyse betrieben.“

„Habe ich mir schon gedacht. Viel Theorie, wenig Praxis“, urteilte sie süffisant.

Rafe wurde nachdenklich. „Du denkst wirklich, dass ich mit diesem Geschäft eine Bruchlandung hinlegen werde, oder?“

Eva antwortete nicht, aber die Antwort war deutlich in ihren Augen zu lesen. Doch auch sein Ärger darüber, dass Eva ihm nichts zutraute, konnte Rafe nicht darüber hinwegtäuschen, dass er den kleinen verbalen Schlagabtausch mit ihr dennoch auf seltsame Weise genoss. Das machte ihn übermütig.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass ich bis nächstes Jahr ein Umsatzplus erzielen werde“, prahlte er. „Ich habe eine Idee: Lass uns darum wetten.“

Evas Reaktion traf ihn völlig unerwartet. Sie schnappte erst nach Luft, presste dann die Lippen fest aufeinander und zog die Stirn so kraus, dass sich ihre Augenbrauen bedrohlich zusammenzogen. „Ich halte nichts von Glücksspielen, Mister Malta. Besonders nicht, wenn es ein Geschäft und Ländereien betrifft, die einmal in Familienbesitz waren.“

Sie hat mich wieder Mister Malta genannt!

Rafe kam es vor, als wäre es plötzlich um einige Grad kälter geworden. Er war sicher, dass der eisige Ton in Evas Stimme der Grund dafür war.

„Ich verstehe“, lenkte er ein. „Bitte entschuldige. Das war gedankenlos von mir.“

Sie sagte nichts, doch ihre defensive Körperhaltung sprach Bände. Schließlich wandte sie sich von ihm ab und ging voraus in Richtung Brennerei, ohne dass er erkennen konnte, ob sie ihm verziehen hatte.

Und Rafe blieb nichts anderes übrig, als ihr stumm zu folgen.

2. KAPITEL

Was stimmt denn nur nicht mit mir?

Eva hatte bemerkt, dass sie offenbar Männer anzog, die keine Skrupel hatten, leichtfertig Dinge zu verspielen, die für andere die Welt bedeuteten. Rafe war da genau wie ihr Ex-Mann. Gut, dass ich nicht lange mit ihm zusammenarbeiten werde, dachte sie erleichtert. Er ging ihr jetzt schon auf die Nerven.

Doch obwohl sie sich über Rafe aufregte, fand sie ihn gleichzeitig auch seltsam anziehend.

Schluss damit!

Nach dem Ehedesaster mit Victor würde sie sich auf gar keinen Fall noch einmal auf eine Spielernatur einlassen. Je schneller die Firmenübergabe über die Bühne ging, desto besser. Dann würde Rafael Malta endlich wieder aus ihrem Leben verschwinden.

„Fangen wir mit dem Gärungsraum an.“ Eva führte Rafe über einen schmalen Pfad zu einem grauen Backsteingebäude. Sie betraten eine riesige Halle. „Hier beginnt der ganze Herstellungsprozess mit den vier Grundzutaten Rohzuckerrohr, Bergquellwasser, speziellen Hefekulturen und unbehandelter Melasse.“

Sie wies auf einen riesigen Behälter in der Mitte des Raumes. „Dort drin reift die Mischung dann circa eine Woche lang.“

Rafe sah sich fasziniert um und wiederholte: „Eine Woche Gärung. Verstanden.“

Eva fuhr fort. „Diese sogenannte Maische wird dann in großen Destillierapparaturen weiterverarbeitet.“

Rafe nickte kurz. „Richtig. Darüber habe ich schon einiges gelesen.“

Eva gab einen entnervten Seufzer von sich.

Rafe sprang sofort darauf an. „Was ist denn nun schon wieder?“

„Rafe, Rumproduktion kann man nicht in einem Crashkurs aus Büchern lernen. Dazu braucht es jahrelange praktische Erfahrung.“

Er lächelte selbstzufrieden. „Glücklicherweise haben du und deine Familie mir diese Arbeit bereits abgenommen.“

Das brachte Eva zur Weißglut. „Klar, wir haben uns besonders viel Mühe mit dem Aufbau der Firma gegeben, nur damit du mit deinem neuen Spielzeug möglichst wenig Arbeit hast“, zischte sie.

Jetzt grinste Rafe noch breiter. „Gut, wenn du es unbedingt so formulieren willst …“

Offenbar gefiel es Rafael, wenn sie sich aufregte. Also zwang Eva sich, ruhig zu bleiben. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine mangelnde Erfahrung sicher bald die wohlverdiente Ernüchterung mit sich bringen würde.

„Gut, kommen wir nun zum Prozess des Destillierens.“ Sie strebte voraus, ohne sich nach Rafe umzusehen. „Bei diesem Verfahren wird die vergorene Masse erhitzt. Das dient dazu, den Alkohol und andere Stoffe von der Maische zu trennen. Der so entstandene Dampf wird dann in einem Kondensator abgekühlt und wieder verflüssigt. Das nennt man den Rohbrand. Insgesamt führen wir drei Brennvorgänge durch, um den Alkoholgehalt des Destillats zu erhöhen und die gewünschten Aromen zu verfeinern. Und dann wird der Rum in Eichenfässern gelagert, damit er reifen kann.“

Rafe schrieb eifrig mit und fragte dann: „Wie lange dauert das?“

„Wir legen Wert auf eine Reifezeit von mindestens zwei Jahren“, betonte Eva. „Die Fässer kommen dafür in einen speziellen Lagerraum. Den zeige ich dir jetzt.“

Abgesehen von den anfänglichen Unstimmigkeiten verlief der Vormittag erstaunlich reibungslos. Eva konzentrierte sich darauf, die Herstellungsprozesse möglichst detailliert darzustellen, und Rafael folgte gespannt ihren Ausführungen. Am Ende der Tour stellte Eva zufrieden fest, dass Rafe nicht mehr ganz so selbstsicher schien wie zu Beginn. Offenbar verstand er nun, welch große Herausforderung der Betrieb einer Rumdestillerie wirklich darstellte.

„Kommen wir jetzt zum Schlusspunkt unseres kleinen Rundgangs“, verkündete sie, als sie gemeinsam die schmale Treppe hinaufstiegen, die zu einem kleinen Bistro mit angrenzendem Bar-Bereich führte. „Hier finden unsere Verkostungen statt. Unsere Köchin Francesca kreiert zu diesen Anlässen Gourmet-Häppchen, die das Aroma des Rums perfekt unterstreichen. Unsere Kunden lieben das.“

Die Vorstellung, dass sie bald nicht mehr daran teilhaben würde, stimmte Eva wehmütig. Hier wird alles weiterlaufen. Nur ohne mich.

Rafael war besorgt. Der Rundgang durch den Betrieb hatte gezeigt, dass Gato Rum wirklich nur ein kleines Familienunternehmen war. Eine Expansion würde kostspielige Investitionen erfordern. Langsam stieg er die Stufen zur Villa empor.

Als er eintrat, war er überrascht. Das Haus wirkte einladend, strahlte zugleich Heiterkeit und Gemütlichkeit aus. Er hatte bisher stets in Apartments mit luxuriösem, kühl-reduziertem Einrichtungsstil gelebt, die die Gefühlswelt seines Lebens in Seattle perfekt widergespiegelt hatten. Dort war kein Platz für Sentimentalitäten oder Herzlichkeit gewesen.

Doch jetzt war nicht die Zeit, um in alte Grübeleien zu verfallen. Rafael hatte genug neue Sorgen, die ihn beschäftigten.

Eva hatte recht. Ihm fehlte die praktische Erfahrung für den erfolgreichen Betrieb einer Destillerie. Er brauchte dringend Hilfe. Sicher, die ganze Mannschaft der Brennerei bestand aus erfahrenen Arbeitern. Doch jeder von ihnen war nur ein kleines Zahnrad in einer großen, komplexen Maschinerie. Wenn er das ganze Konstrukt verstehen wollte, konnte ihm nur eine Person helfen. Und das war ausgerechnet Evalyn Gato.

Er schüttelte resigniert den Kopf, als er sich die künftige Zusammenarbeit mit Eva vorstellte. Bestimmt würde sie ihm bei jeder Kleinigkeit Kontra geben. Aber er hatte keine Wahl. Wenn er Gato Rum zu schnellem Erfolg führen wollte, brauchte er sie.

Und die Zeit drängte. Wenn er jetzt nicht handelte, war Eva bald für immer fort. Und das durfte er unter keinen Umständen zulassen …

Der Klingelton seines Smartphones riss ihn aus seinen Gedanken.

„Hey, Rafe, ich bin’s, Teo.“

Rafael seufzte leise. Sicher hatte Eva ihrem Bruder von dem kleinen Disput erzählt.

„Es geht sicher um die Tour heute Morgen“, begann er vorsichtig.

„Nicht ganz“, widersprach Teo.

„Ach, nein?“, wunderte sich Rafe.

„Kein Wort darüber zu Eva, die bringt mich sonst um. Aber du musst sie unbedingt darum bitten, noch etwas länger zu bleiben“, verlangte Teo.

Rafe erhob sich langsam vom Sofa. Was für ein seltsamer Zufall! „Seltsam, ich habe gerade genau das Gleiche gedacht.“

„Prima, ich wusste sofort, dass du ein netter Kerl bist!“, jubelte Teo. „Aber ich muss dich vorwarnen: Es wird nicht leicht werden, sie zu überreden.“

Daran hatte Rafael keinen Zweifel. Eva Gato war eine Frau mit Prinzipien. Und leider auch stur wie ein Esel.

„Ja, aber es ist die Mühe wert. Sie versteht wirklich was vom Rumgeschäft“, meinte er.

„Und wie!“, stimmte Teo zu. „Sie hat die Firma in den letzten Jahren praktisch allein geführt. Unser Vater war eigentlich nur noch stiller Teilhaber.“ Er zögerte kurz. Dann meinte er: „Danke, dass du Eva noch eine Chance gibst. Sie würde es zwar nie zugeben, aber ich denke, sie braucht noch etwas Zeit, bevor sie mit dem Kapitel Gato Rum abschließen kann.“

„Kein Problem.“ Rafael verabschiedete sich und legte dann das Handy weg. Die Art, wie Teo sich für seine Schwester engagierte, versetzte ihm einen kleinen Stich. Derartiger Familienzusammenhalt war ihm selbst völlig fremd.

Doch er verscheuchte die trüben Gedanken schnell wieder. Teos Anruf war ein Grund zur Freude. Es gab eine Chance, dass Eva ihm weiter zur Seite stehen würde.

Sie hatte erwähnt, dass sie nach der Arbeit noch ihre Freundin Francesca im Bistro besuchen würde. Also duschte Rafe schnell, zog sich um und begab sich auf schnellstem Weg zu dem kleinen Restaurant.

Sie muss bei mir bleiben!

„Du hättest mich vorwarnen müssen“, meinte Fran vorwurfsvoll und stellte das Tablett mit den ofenfrischen Kokosmuffins vor Eva auf den Tisch. „Dieser Rafael Malta sieht in Wirklichkeit ja noch tausendmal besser aus als auf Fotos!“

Eva nahm sich einen der noch dampfenden Muffins und verbrannte sich dabei fast die Finger. „Ist doch völlig egal, wie der aussieht. Ich finde es schlimm, dass er hier bald das Sagen hat“, schmollte sie.

„Ist nun mal nicht mehr zu ändern“, entgegnete Fran. „Aber dann haben wir Frauen wenigstens was zu gucken.“

Eva zupfte missmutig an der Papiermanschette ihres Muffins herum. „Dann guck mal schön alleine. Ich bin sowieso bald nicht mehr hier.“

Fran sah bestürzt aus. „Heißt das, du kommst mich nicht mehr besuchen?“

Eva sah betreten zu Boden.

„Das ist nicht dein Ernst! Ohne dich macht das doch alles keinen Spaß mehr!“, empörte sich Fran.

„Es tut mir leid, Fran. Aber es tut zu weh, noch länger hierzubleiben. Alles hier erinnert mich an das, was ich verloren habe“, gab Eva zu.

Fran sah sie streng an. „Lass nicht zu, dass die Erinnerung an Victor dir alles verdirbt. Du bist hier zu Hause.“

„Nein“, sagte sie resigniert. „Es ist vorbei. Ich habe kein Zuhause mehr.“

Sie wollte gerade frustriert in ihren Muffin beißen, als sie plötzlich ein leises Räuspern hinter sich vernahm.

Eva musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer dort stand. Frans verträumter Gesichtsausdruck sprach Bände. Doch warum war Rafe hier? Er hatte sich doch nach dem Rundgang durch die Brennerei verabschiedet und wollte direkt zur Villa fahren.

Dann wurde ihr klar, was der Grund seines Besuchs war. Er war sicher hier, um mit Francesca, der bildhübschen Köchin, anzubandeln. Eva fühlte sich auf einmal völlig fehl am Platz.

„Entschuldigung, dass ich hier so hereinplatze“, meinte Rafe und bedachte die beiden Frauen mit einem reumütigen Blick. Eva drehte sich zu ihm um. Ihr fiel auf, dass Rafe sich umgezogen hatte. Er trug ein schlichtes, weißes T-Shirt und dunkle Jeans. Das frisch gewaschene Haar war noch feucht. Er hatte es zurückgekämmt, doch einzelne, lockige Strähnen begannen bereits, wieder ins Gesicht zu fallen. Der legere Look ließ ihn noch attraktiver wirken. Als Evas Blick auf die definierten Bauchmuskeln fiel, die sich unter seinem T-Shirt abzeichneten, fragte sie sich plötzlich, wie er wohl ohne Kleidung aussah …

Sie schreckte aus ihrer kurzen Träumerei hoch. Was bilde ich mir eigentlich ein? Er will zu Fran. Er überlegt sicher gerade fieberhaft, wie er mich elegant loswerden kann …

Autor

Nina Singh
Nina Singh lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und einem sehr temperamentvollen Yorkshire am Rande Bostons, Massachusetts. Nach Jahren in der Unternehmenswelt hat sie sich schließlich entschieden, dem Rat von Freunden und Familie zu folgen, und „dieses Schreiben doch mal zu probieren“. Es war die beste Entscheidung ihres Lebens. Wenn...
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