Montana Creeds - Das Herz aller Dinge

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Ein kleines Haus mitten auf den ausgedehnten Ländereien der Creeds: Briana ist entzückt. Nichts wünscht sich die alleinerziehende Mutter nach ihrer Scheidung mehr als ein bisschen Frieden! Doch leider gerät ihre frisch gewonnene Ruhe schnell in Gefahr: Denn erst kehrt Logan Creed nach Stillwater Springs zurück und lässt sich im Herrenhaus nieder. Entschieden zu nah ist ihr dieser attraktive Mann! Dann taucht unerwartet ihr Exmann und seine zweite Frau auf. Und schließlich beginnt eine Serie unheimlicher Anschläge auf sie. In ihrer Angst vergisst Briana alle Vorbehalte gegen eine neue Liebesbeziehung. Plötzlich gibt es nur einen Ort auf der Welt, an dem sie sich sicher und geborgen fühlt: Bei Logan …


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783955762179
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Das Herz aller Dinge

Roman

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Montana Creeds: Logan

Copyright © 2009 by Linda Lael Miller

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Übersetzt von Ralph Sander

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Stefanie Kruschandl

Titelabbildung: pecher und soiron, Köln / Getty Images, München

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz/

John Hall Photography

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-217-9

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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Für Steve Miller –
begabter Künstler, geschätzter Freund
und unglaublich großzügige Seele.
Tausend Dank, dass du einem Mädchen vom Land
und ihren Liebsten so stilvoll das ganz große Rodeo
gezeigt hast!

1. KAPITEL

Stillwater Springs Ranch

Das verwitterte Schild über dem Tor hing nur noch an drei rostigen Ketten. Den Namen der Ranch hatte Josiah Creed vor über hundertfünfzig Jahren eigenhändig ins Holz geschnitzt und die Buchstaben später mit einem glühenden Brandeisen nachgezogen. Heute jedoch waren die drei Worte von Wind und Wetter so ausgebleicht, dass man sie kaum noch entziffern konnte.

Logan Creed war halb aus seinem Dodge ausgestiegen und balancierte mit einem Fuß auf dem Trittbrett des Wagens. Er fluchte leise. Den Pick-up hatte er von einem Gebrauchtwagenhändler gekauft, der über die Anzahl der Vorbesitzer nur vage Angaben gemacht hatte.

Der verdreckte Hund, den Logan am Morgen auf einem Rastplatz in der Nähe von Kalispell, Montana, aufgelesen hatte, protestierte angesichts des plötzlichen Bremsmanövers mit einem leisen, kehligen Wimmern. Kein Wunder, dass das Tier so verschreckt war. Es hatte ganz bestimmt Schlimmes durchgemacht.

“Tut mir leid, alter Junge”, murmelte Logan. Seine Kehle war wie zugeschnürt; seine Gefühle drohten ihn zu überwältigen. Er hatte die Ranch der Familie zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern Dylan und Tyler geerbt. Dass sie sich in einem erbärmlichen Zustand befinden musste, war ihm klar gewesen – das gesamte Anwesen war schließlich über Jahre hinweg vernachlässigt worden … Um genau zu sein: seit Jakes Beerdigung, als er sich mit seinen Brüdern gestritten hatte. Von diesem Tag an waren er, Dylan und Tyler getrennte Wege gegangen.

Der Hund verzieh ihm schnell, wie es bei Hunden eben so üblich ist. Er erweckte gar einen mitfühlenden Eindruck, als er seinen Retter von der anderen Seite der Gangschaltung mit großen braunen Augen anschaute.

Grinsend setzte sich Logan wieder auf den Fahrersitz. “Wenn ich nur halb so wunderbar wäre, wie du glaubst”, sagte er zu dem Hund, “dann müsste ich bald heiliggesprochen werden.” Die Vorstellung, dass dies jemandem aus dem Clan der Creeds widerfahren könnte, ließ ihn laut auflachen.

Der Hund antwortete mit einem freudigen Bellen, als wolle er bei demjenigen ein gutes Wort für Logan einlegen, der für Heiligsprechungen zuständig war.

“Du brauchst einen Namen”, entschied Logan. “Zu dumm, dass mir im Moment beim besten Willen nichts einfällt.” Er drehte sich auf seinem Sitz so, dass er durch die Windschutzscheibe schauen konnte. Der Anblick von verfallenen Zäunen und verrottendem Müll brachte ihn abermals zum Seufzen. “Immerhin wissen wir, welche Arbeit hier auf uns wartet. Ich schätze, wir sollten schnellstens damit anfangen.”

Das Schild über dem Tor stieß gegen das Wagendach, als Logan darunter hindurchfuhr. Die Reifen holperten über die Überreste des alten Viehzauns aus dem neunzehnten Jahrhundert, und er wurde ordentlich durchgeschüttelt.

Unkraut überwucherte die lange, gewundene Zufahrt. Die tiefen Furchen waren immer noch da. Sie waren von den ersten Fahrzeugen geschaffen worden, die diesen Weg zurückgelegt hatten: von Pferdekutschen. Im Geiste setzte Logan einige Tonnen Kies auf die Liste der dringenden Besorgungen.

Auf dem Grundstück verteilt standen drei Häuser, und Logan hatte als ältester Sohn ein Anrecht auf das größte Gebäude. Was für ein Erbe!, dachte er. Er konnte von Glück reden, wenn das Haus überhaupt noch bewohnbar war.

“Gut, dass ich einen Schlafsack und die Campingausrüstung mitgenommen habe”, sagte er zu dem Hund, während der Wagen eine mit Gras bewachsene Anhöhe hinaufpolterte. “Bist du einverstanden, dass wir unter freiem Himmel schlafen, wenn es das Dach dahingerafft hat, mein Junge?”

Die Augen des Hundes verrieten, dass er zu allem bereit war, solange er nur bei seinem neuen Herrchen bleiben durfte. Er hatte offensichtlich genug davon, auf sich allein gestellt zu sein.

Logan streckte die Hand aus, um dem Tier über den Kopf zu streicheln. Welche Farbe sein Fell unter all dem Dreck und Staub haben mochte, war unmöglich zu erkennen. Was seine Herkunft anging, wirkte er wie eine Mischung aus einem Labrador, einem Setter und einem halben Dutzend anderer Rassen. Unter dem Fell zeichneten sich seine Rippen ab, und von seinem linken Ohr fehlte ein Stück. Oh ja, dieser Hund gehörte schon seit Langem niemandem mehr.

Als er nach der langen Fahrt von Las Vegas hierher auf den Rastplatz gefahren war, um sich die Beine zu vertreten, da hatte er nicht damit gerechnet, einen vierbeinigen Anhalter mitzunehmen. Doch als das Tier zwischen den Büschen hervorkam, kaum dass er aus dem Pick-up ausgestiegen war, da konnte Logan es nicht ignorieren. Niemand sonst hielt sich auf dem Platz auf, und von einem Halsband und einer Marke war auch nichts zu entdecken.

Logan hatte sofort gewusst, dass er für diesen Hund die letzte Hoffnung war. Und da er sich selbst ein paar Mal in einer ganz ähnlichen Situation befunden hatte, war es ihm nicht möglich gewesen, das Tier links liegen zu lassen. Er hob den Hund in den Wagen, und in der nächsten Stadt teilte er sich mit ihm ein Frühstück aus einem Fast-Food-Restaurant. Der Vierbeiner hatte sich seiner Hälfte bereits kurz darauf wieder entledigt. Anschließend schaute er so reumütig drein, dass es Logan nichts ausmachte, an einer Waschanlage anzuhalten, um die Bescherung zu beseitigen.

Jetzt, viele Stunden später, machte er sich darauf gefasst, zum ersten Mal nach vielen ereignisreichen Jahren einen Blick auf das Ranchhaus zu werfen. Logan war froh darüber, dabei Gesellschaft zu haben, auch wenn die Gespräche alle sehr einseitig ausfielen.

Endlich überwanden sie die letzte Hügelkuppe. Als Erstes sah Logan die Scheune. Sie stand zwar noch, neigte sich aber bedenklich zu einer Seite. Er zwang sich, den Blick auf das Haus zu richten, und seine Laune wurde augenblicklich etwas besser. Ein Teil des Dachs musste repariert werden, doch der ausladende Flachbau im Stil einer Blockhütte hatte überdauert. Keiner der drei aus Stein errichteten Kamine war in sich zusammengefallen, und selbst die Scheiben in den Fensterrahmen waren noch intakt. Mit ihrem grünlichen Schein und den eingeschlossenen Luftbläschen gehörten sie noch zur ursprünglichen Verglasung.

Mein Zuhause, dachte Logan mit einer Mischung aus Entschlossenheit und tiefstem Bedauern. Doch die Stillwater Springs Ranch war nun einmal sein Zuhause.

Es war vermutlich zu optimistisch, auf eine funktionierende Wasserleitung zu hoffen, auch wenn er vorab mit zwei Anrufen dafür gesorgt hatte, dass er mit Strom und Telefon versorgt war. Sein Begleiter konnte ein Bad dringend gebrauchen, aber dafür zwischen Haus und Brunnen hin- und herzulaufen, war dann doch eine Spur zu sehr zurück zur Natur. Nicht gerade das, was er in Las Vegas gelebt hatte; dort war sein Lebensstil sehr viel luxuriöser gewesen.

“Hey, wie wär’s mit Sidekick, Kumpel?”, meinte Logan nachdenklich, als er aus dem Truck ausstieg. “Wärst du fürs Erste damit einverstanden?”

Als hätte er jedes Wort begriffen, sprang Sidekick über die Gangschaltung auf den Fahrersitz, den Logan soeben frei gemacht hatte. Bei der nächstbesten Gelegenheit würde er mit dem Hund zum Tierarzt gehen, damit er gründlich untersucht und geimpft werden konnte. Vielleicht hatte man ihm ja einen Chip implantiert, der verraten würde, wohin er gehörte. Allerdings hatte Logan daran so seine Zweifel.

Viel wahrscheinlicher war, dass man Sidekick ausgesetzt hatte. Sofern er überhaupt bei irgendwem zu Hause gewesen war.

Der Hund lief herum und schnupperte, dann hob er sein Bein an einem alten Wagenrad, das zur Hälfte im Boden versunken war. Als sich Logan dem Haus mit der windschiefen Veranda näherte, trottete Sidekick interessiert hinter ihm her.

Jeder vernünftige Mensch, ging es Logan durch den Kopf, würde das einst so beeindruckende Gebäude dem Erdboden gleichmachen und neu aufbauen. Aber er war kein vernünftiger Mensch – das bewiesen seine zwei gescheiterten Ehen, seine Rodeokarriere und eine Menge Herzschmerz.

Mit der Schulter drückte er die Haustür auf. Sie öffnete sich mit lautem Knarren. Er atmete einmal tief durch und machte einen Schritt über die Schwelle. Es war zwangsläufig schmutzig, überall lagen Zeitungen, leere Bierdosen und Gott weiß was herum, aber der Holzboden war offenbar nicht in Mitleidenschaft gezogen, und der große Kamin aus Naturstein wirkte so robust wie eh und je.

Logan stand da und betrachtete das Durcheinander. War er eigentlich noch ganz bei Verstand? Vor etwa einem halben Jahr hatte er die entfernt verwandten McKettricks ausfindig gemacht und sie auf Triple M, ihrer Ranch im Norden von Arizona, besucht. Seitdem fragte er sich, in welchem Zustand sich Stillwater Springs wohl befand – und der Rest seiner Familie.

Für diese Fragen gab es einen guten Grund: Schuldgefühle.

Logan durchquerte das geräumige Zimmer, setzte sich auf den hohen Absatz vor dem Kamin und seufzte. Dann fuhr er sich durch sein dunkles Haar und lächelte traurig, als Sidekick zu ihm kam und den Kopf auf sein Knie legte.

“Manche Leute”, sagte er zu dem Hund, “haben einfach immer Ärger am Hals. Und ich, mein Freund, bin einer von ihnen.”

Eine Ranch in Montana war auf dem Immobilienmarkt ein Vermögen wert, ganz gleich, in welchem Zustand sich die Gebäude befanden. Das galt insbesondere für solche Anwesen, die so geschichtsträchtig waren wie dieses. Filmstars blätterten dafür astronomische Preise hin, damit sie Tennisplätze, Studioräume und riesige Swimmingpools anlegen konnten. Er, Dylan und Tyler könnten sich dieses Vermögen teilen. Wenn sie sich zum Verkauf entschließen würden.

Dabei war noch mehr Geld genau das Letzte, was Logan gebrauchen konnte – von einem Hund und diesem alten Pick-up einmal abgesehen. Aber den hatte er sich angeschafft, weil er zu einem Ort wie Stillwater Springs passte. Geld besaß er in Hülle und Fülle, was er der Rechtsberatungswebsite verdankte, die er gleich nach dem Jurastudium eingerichtet und vor Kurzem für eine unglaubliche Summe verkauft hatte.

Aber es gab noch einen ganz anderen, viel persönlicheren Grund, der ihm einen Verkauf unmöglich machte.

So heruntergekommen die Ranch auch war: Hier hatten doch sieben oder acht Generationen Creeds gelebt, geliebt, geflucht und gebetet. Hier waren seine Vorfahren zur Welt gekommen, hatten ihr Leben in den ihnen zugestandenen Jahren gelebt und waren schließlich auf dem kleinen Friedhof gleich hinter dem Obstgarten zur letzten Ruhe gebettet worden.

Logan konnte diese Menschen nicht einfach hier zurücklassen, so wie er es auch nicht übers Herz gebracht hätte, zu dem Rastplatz zurückzufahren und Sidekick auszusetzen.

Sie gehörte zu ihm, diese Horde verfluchter, unruhiger Geister.

Und das gleiche galt ebenfalls für ihren Ruf als chronische Unruhestifter.

Nach seinem Besuch auf der Ranch der McKettricks hatte sich etwas in Logans Einstellung verändert. Er beschloss, nicht weiter davonzulaufen, sondern sesshaft zu werden. Er entschied sich dafür, Wurzeln zu schlagen, die so tief reichten, dass sie niemand mehr aus der Erde würde reißen können. Allerdings war das Vermächtnis der Creeds in keiner Weise mit dem der McKettricks vergleichbar, daran gab es nichts zu rütteln.

Die McKettricks waren eine eingeschworene Gemeinschaft bis hin zum alten Angus, dem Patriarchen.

Die Creeds dagegen waren in alle Windrichtungen verstreut.

Den Namen McKettrick setzten die Menschen mit Ehre, Integrität und Entschlossenheit gleich.

Der Name Creed andererseits stand für Tragödien, Pech und Elend.

Logan war zurückgekommen, um zu zeigen, dass es auch anders ging. Er wollte von Grund auf etwas Neues, Dauerhaftes und Gutes schaffen. Sollte er jemals das Glück haben, eigene Kinder großzuziehen, dann sollten sie auf den Namen Creed stolz sein, und das würde dann auch für seine Nichten und Neffen gelten. Die hatte er bislang aber ebenfalls nicht. Soweit er wusste, waren Dylan und Tyler noch immer bei Rodeos aktiv, zumindest zeitweise, und sie trieben sich nach wie vor in zwielichtigen Kneipen herum und stellten Frauen nach, mit denen kein Mann ein Kind haben wollte.

Logan war bewusst, es würde kein leichtes Unterfangen sein, den Kurs zu ändern, auf dem die Creeds unterwegs waren. Aber ging es letztlich nicht darum, eine Entscheidung zu treffen und unter allen Umständen zu ihr zu stehen?

Dylan würde das nicht tun, und auch Tyler nicht. Und damit gab es niemanden sonst, den es noch kümmerte.

Und damit war Logan für diese Position gewählt worden, und zwar mit einem phänomenalen Vorsprung von einer Stimme – bei nur einer abgegebenen Stimme.

Er stand da und ging zur Küche, die sich in einem noch schlimmeren Zustand befand als das Wohnzimmer. Doch als er den Wasserhahn aufdrehte, kam gutes Quellwasser aus Montana heraus, zuerst noch ein wenig trüb, dann aber glasklar.

Gut gelaunt schaute Logan in den Küchenschrank, entdeckte eine alte Rührschüssel, spülte sie aus und stellte sie mit Wasser gefüllt für Sidekick auf den schmutzigen Linoleumboden. Der Hund schlabberte hastig das Wasser herunter und rülpste dann wie ein Cowboy, der soeben ein Bier in einem Zug getrunken hatte.

Gemeinsam gingen sie dann von Zimmer zu Zimmer. Logan machte sich im Geiste Notizen. Er musste nur den nächsten Baumarkt leer kaufen, zwei oder drei Dutzend Zimmerleute und ein paar Klempner engagieren. Und dann sah das hier im Handumdrehen wie neu aus.

Briana schaffte es erst am späten Nachmittag zum Friedhof, und kaum war sie dort, fragte sie sich so wie jedes Mal, warum sie überhaupt hergekommen war. Ihre Söhne – der achtjährige Alec und der zehnjährige Josh – liefen zwischen den schiefen Grabsteinen und den verwitterten Holzkreuzen umher, während sie die Picknickdecke auf einem freien Rasenstück ausbreitete und Saft sowie Sandwiches aus dem Korb nahm. Ihre alte Hündin Wanda, ein stämmiger schwarzer Labrador, schaute gemächlich zu, wie die Jungs an diesem warmen Junitag in den letzten Sonnenstrahlen Fangen spielten.

“Ich kenne keinen von den Leuten, die hier beerdigt sind”, sagte Briana zu Wanda. “Warum krieche ich hier eigentlich auf Knien auf den Gräbern von toten Fremden herum, jäte Unkraut und pflanze Blumen?”

Wanda betrachtete sie geduldig.

Seit jenem Abend vor zwei Jahren, als ihr nunmehriger Exmann Vance sie, die Jungs und Wanda vor dem Wal-Mart in Stillwater Springs verlassen hatte, war sie mehr als genug damit beschäftigt gewesen, irgendwie zu überleben.

Zunächst hatte sie noch geglaubt, Vance werde ein paar Mal um den Block fahren, um etwas Dampf abzulassen. Doch als er sich schließlich wieder blicken ließ, da waren drei Monate vergangen. Und noch während er eine hochmütige Großzügigkeit an den Tag legte und bereit war, alles Vorgefallene zu vergessen, eröffnete sie ihm, dass sie inzwischen die Scheidung eingereicht hatte. Sie war in eine andere Wohnung gezogen und hatte einen Job im indianischen Spielkasino bekommen, wo sie anfangs nur Wasser und Kaffee ausschenkte und die Trinkgelder ihren ganzen Lohn darstellten. Das wenige Geld hatte anfangs nicht mal genügt, um etwas zu essen auf den Tisch zu stellen. Doch sie arbeitete sich hoch, bediente im Spielerclub, gab dann beim Blackjack die Karten, bis sie schließlich einen ganzen Bereich unter sich hatte, den Spielern Geld wechselte und gelegentlich einen Jackpot auszahlte.

Bereichsleiterin war ein Job, der ihr ein passables Gehalt bescherte. Außerdem war sie krankenversichert, hatte einige bezahlte Krankheitstage und bezahlten Urlaub.

Sie war aus eigener Kraft so weit aufgestiegen. Vance hatte immer behauptet, sie würde so etwas gar nicht schaffen können.

Kurz nachdem sie in das Haus am gegenüberliegenden Flussufer eingezogen waren, hatten Alec und Josh bei einer ihrer Wanderungen den alten Friedhof entdeckt. Briana hatte sich den Platz angesehen; sie wollte wissen, ob er auch sicher war, wenn ihre Jungs dort spielen wollten. Sicherheit war für Briana ohnehin ein wichtiges Thema, auch wenn sie die in ihrem Privatleben bislang nicht gefunden hatte. Sie war dreißig. Und nach wie vor auf der Suche nach einen Mann, der ihr Sicherheit und Geborgenheit geben konnte.

Nichts hatte sie auf die Wirkung gefasst machen können, die der Anblick dieses vergessenen ländlichen Friedhofs auf sie hatte. Einsam und verlassen, von Unkraut überwuchert und übersät mit den Überresten von zahllosen Teenagerpartys, die hier Bier und Härteres getrunken hatten, war sie auf eine unerklärliche Weise von diesem Ort willkommen geheißen worden.

Vom ersten Tag an hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, sich um den von aller Welt vergessenen Friedhof zu kümmern. Sie und die Jungs hatten den Müll weggeräumt, das Gras gemäht, Blumen gepflanzt und Grabsteine geradegerückt. Nach getaner Arbeit spielten ihre Söhne regelmäßig Fangen, um ihre überschüssige Energie loszuwerden. Anschließend gab es ein Picknick.

Briana war nicht davon ausgegangen, dass der heutige Tag anders als die bisherigen verlaufen würde. Was bewies, dass sie noch immer die Fähigkeit besaß, sich überraschen zu lassen.

Ein schlanker Mann mit etwas zerzaustem Haar, in Jeans, Stiefeln und weißem T-Shirt, einen rötlich-braun gefärbten Hund an seiner Seite, kam zwischen den Bäumen und Büschen hindurch auf den Friedhof geschlendert. Er blieb abrupt stehen, als er Briana entdeckte.

Bei seinem Anblick verspürte sie einen Anflug von Verunsicherung, aber auch noch etwas anderes, das sich nicht so leicht beschreiben ließ.

Sein Haar war dunkel, und trotz seines schlanken Körperbaus machte er einen muskulösen Eindruck.

Wanda knurrte leise, verließ jedoch nicht ihren gewohnten Platz auf der Picknickdecke.

“Schhh”, machte Briana. Die Jungs hatten aufgehört zu spielen und bewegten sich langsam zu ihr hinüber. Ihre Neugierde war zwar groß, aber sie schienen auch ein bisschen beunruhigt zu sein.

Der Fremde lächelte sie an, redete leise mit seinem Hund und blieb auf Abstand.

Dann auf einmal ging Alec geradewegs auf ihn zu. “Hi”, sagte er. “Ich bin Alec Grant. Das ist meine Mom Briana, und das ist mein Bruder Josh, auch Holzkopf. Und wer sind Sie?”

“Logan Creed”, erwiderte der Mann und lächelte flüchtig. “Freut mich, dich kennenzulernen, Alec.” Sein Blick wanderte aber zu Briana und blieb lange an ihr hängen. Er musterte ihre gesamten eins siebzig Körpergröße, die abgewetzte Jeans und das pinkfarbene Top, ihre grünen Augen und die Sommersprossen, ihr langes rotblondes Haar, das sie wie immer zu einem Zopf geflochten trug. Er betrachtete sie, als erwarte er, sie später bei einer Gegenüberstellung wiedererkennen zu müssen.

Briana zögerte und fühlte sich ein wenig unbehaglich, als ihr der vertraute Nachname auffiel. Dann aber ging sie auf ihn zu und brachte ein freundliches Lächeln zustande, streckte die Hand aus und stellte sich vor. “Briana Grant.”

“Wir kennen jemanden, der Dylan Creed heißt”, platzte Alec heraus. Ihr jüngerer Sohn war noch nie einem Fremden begegnet, was Briana gefiel und zugleich Sorgen machte. Es war offensichtlich vergebens gewesen, ihm einzubläuen, er solle nicht mit Fremden reden. “Mom und Josh und ich kümmern uns um sein Haus. Er hat auch einen Bullen, der heißt Cimarron.”

Aus nächster Nähe betrachtet, sah Logan Creed sogar noch besser aus. Sein fast schwarzes Haar war eine Spur zu lang, seine Augen von tiefem Braun. Sein Blick war wach und intelligent und doch auf eine unerklärliche Weise geheimnisvoll. Er hatte hohe Wangenknochen, möglicherweise war einer seiner Vorfahren ein indianischer Ureinwohner gewesen. Mit seinem blauäugigen, blonden Bruder hatte er äußerlich nichts gemein, dennoch waren sie sich auf irgendeine Weise ähnlich. Vielleicht lag es an seinem Temperament, wobei sie jedoch zugeben musste, dass sie darüber eigentlich gar nichts sagen konnte. Womöglich war es auch nur die Art, wie er dastand.

“Dann hat Dylan also eine Haushälterin eingestellt?”, fragte er lässig. “Und er besitzt einen Bullen?” Sein Blick wanderte von Briana zu den Gräbern. “Bezahlt mein jüngerer Bruder Sie auch dafür, den Friedhof auf Vordermann zu bringen? Falls ja, sollte er Ihnen eine Gehaltserhöhung geben. Das sieht jetzt schon erheblich besser aus als bei meinem letzten Besuch.”

Briana errötete ein wenig und wusste nicht so recht, was sie darauf erwidern sollte. Der feste Blick dieses Mannes machte sie ein wenig nervös. Von dem Friedhof war keine Rede gewesen, als Dylan sie an jenem schicksalhaften Abend vor dem Wal-Mart aufgelesen hatte. Er war wegen irgendwelcher persönlicher Angelegenheiten nur kurz in der Stadt gewesen und hatte mitbekommen, wie Vance ihr durchs Wagenfenster ein paar Zwanziger hinwarf und dann mit quietschenden Reifen davonfuhr.

Vermutlich hatte er Mitleid mit ihr, den Kindern und dem Hund verspürt. Jedenfalls drückte er ihr den Hausschlüssel in die Hand, beschrieb ihr den Weg und ging dann weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Vorher warnte er sie noch vor Cimarron, einem weißen Bullen, der seit Kurzem nicht mehr beim Rodeo eingesetzt wurde und der von einem Nachbarn gefüttert wurde. Briana fuhr daraufhin mit dem Taxi zur Ranch. Obwohl sie vor Wut kochte, hoffte sie wohl doch irgendwie darauf, dass Vance wieder zur Besinnung und nach Hause kommen würde – nur um festzustellen, dass sie gar nicht dort war. Das hätte ihm recht geschehen.

Stattdessen jedoch blieb er weiter verschwunden.

Am nächsten Tag wurden mehrere Tüten mit Lebensmitteln angeliefert, begleitet von einer Notiz von Dylan, der sie wissen ließ, dass in der Scheune ein alter Chevy stand. Sie könne ihn gern benutzen, sofern sie ihn wieder zum Laufen brachte. Seitdem beschränkte sich der Kontakt zu Dylan auf ein paar E-Mails und wenige Telefonate. Wenn etwas repariert werden musste, das Brianas bescheidene Heimwerkerfähigkeiten überstieg, dann schickte Dylan sofort einen Scheck, damit sie den Handwerker bezahlen konnte. Sie achtete immer darauf, sich eine Quittung geben zu lassen, auch wenn Dylan nie danach fragte.

Jetzt kam Josh nach vorn und stellte sich dicht neben Briana. Er war das genaue Gegenteil von Alec, er betrachtete grundsätzlich erst einmal jeden als Fremden und damit als potenzielle Bedrohung. Erst wenn das Gegenteil bewiesen war, gab er sich umgänglich. “Niemand bezahlt uns, damit wir den Friedhof pflegen”, erklärte er. “Wir tun das, weil es getan werden muss.”

Logan lächelte daraufhin so überraschend, dass Briana fast einen Schritt nach hinten gegangen wäre. Er hatte strahlend weiße Zähne. “Tja”, sagte er, während er sie genauso aufmerksam musterte. “Ich weiß das zu schätzen. Und einen besseren Grund dafür kann ich mir nicht vorstellen.”

Josh zeigte sich ein wenig beschwichtigt, seine Miene nahm einen etwas sanfteren Ausdruck an, aber so richtig wollte er noch nicht lächeln. Mit seiner stocksteifen Haltung und den geballten Fäusten ließ er Briana wissen, er würde sie, Alec und Wanda beschützen, wenn das notwendig werden sollte. Es war Vances Schuld, dass Josh für einen Zehnjährigen viel zu männlich, zu ernst und zu traurig auftrat.

“Wo leben Sie?”, fragte er Logan ernst.

“Im alten Hauptgebäude der Ranch”, entgegnete der und zeigte mit dem Daumen über die Schulter.

“Da lebt niemand”, widersprach ihm Josh.

“Josh”, ermahnte Briana ihn seufzend.

“Jetzt lebt da jemand”, sagte Logan freundlich. “Sidekick und ich sind heute eingezogen.”

Der Junge betrachtete den Hund mit dem kupferfarbenen Fell. “Er ist mager. Füttern Sie ihn nicht?”

“Wir beide sind uns gerade erst begegnet”, erklärte Logan mit lässiger Stimme. “Mit der Zeit wird er schon noch zulegen.”

Wanda wuchtete ihren massigen Körper in die Höhe, dann schlenderte sie zu Sidekick, um an dessen Nase zu schnuppern. Er schnupperte im Gegenzug an ihrer Nase, aber im gleichen Moment war das gegenseitige Interesse auch schon wieder erloschen.

“Ich glaube, er könnte eins von unseren Wurstbroten gut gebrauchen”, beharrte Josh und rang sich immerhin ein Zugeständnis ab: “Er sieht ziemlich sauber aus.”

“Dafür ist der Brunnen jetzt auch halb leer”, scherzte Logan. “Und von der Seife ist auch so gut wie nichts mehr übrig.”

Josh begann zu grinsen.

Auf einmal kam Briana auf den Gedanken, Logan müsse wohl zum Friedhof gekommen sein, um eines der Gräber zu besuchen. Erst recht nach langer Abwesenheit war hierfür Privatsphäre erforderlich.

“Vielleicht sollten wir jetzt besser gehen”, sagte sie.

Aber Logan schüttelte den Kopf. “Nein, bleiben Sie hier und machen Sie Ihr Picknick.” Er wandte sich an Josh und ergänzte: “Sidekick kann das Sandwich nehmen, wenn dein Angebot noch steht. Aber ich muss dich warnen – möglicherweise übergibt er sich danach. Er scheint einen empfindlichen Magen zu haben.”

Josh nickte verstehend. “Hundefutter wäre wohl besser. Wir können Ihnen was von Wandas Leckerli geben, wenn Sie möchten.”

Als Logan daraufhin lachte, sah es einen Moment lang so aus, als wollte er Joshs Haar zerwühlen. “Danke, aber wir haben heute Morgen schon etwas aus der Stadt mitgebracht und sind mit allem versorgt.”

Briana lächelte und dirigierte Wanda und die Kinder zurück zur Picknickdecke. Sidekick blieb bei Logan, der sich neben einem der Gräber hinhockte.

“Kann ich Sidekick ein Stück Wurst bringen?”, fragte Alec leise.

“Nein”, entgegnete Briana, die weiter Logan beobachtete. “Nicht jetzt.”

“Logan braucht seine Privatsphäre, Dummkopf”, fuhr Josh seinen Bruder an.

“Blödsinn, Hunde haben gar keine Privatfähre, du Stinkgesicht”, konterte Alec.

“Seid jetzt ruhig”, ermahnte Briana und wunderte sich, warum ihre Hände leicht zitterten, als sie die Getränke einschenkte und die Sandwiches auspackte.

Logans Augen brannten, als er mit den Fingern über die schlichte Inschrift auf dem Grabstein seiner Mutter strich. Teresa Courtland Creed. Ehefrau und Mutter.

Drei Jahre war er alt gewesen, als seine Mom ihren Kampf gegen den Brustkrebs verlor, und seitdem klaffte ein riesiges Loch in seinem Leben. Sein Vater Jake Creed war nie ein mustergültiger Bürger gewesen, und vom Tag der Beerdigung an war er auf eine zehn Jahre währende Sauftour gegangen. Seine Trauer hielt ihn nicht davon ab, nur sechs Monate darauf Dylans Mutter Maggie zu heiraten, die ihrerseits vier Tage vor dem zweiten Geburtstag ihres Sohns bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Getreu diesem Muster heiratete Jake ein weiteres Mal, noch bevor das Jahr um war. Diesmal war es Angela, eine idealistische junge Lehrerin, die dumm genug war, sich an einen Alkoholiker mit zwei Kindern zu binden. Zweifellos glaubte sie, Jake benötige nur die Liebe einer guten Frau. Sie war eine gute Stiefmutter für Logan und Dylan gewesen und brachte schließlich den dritten Sohn Tyler zur Welt.

Insgesamt hielt sie ganze fünf Jahre durch.

Jakes ständige Zechgelage hatten sie am Ende schlichtweg geschafft. An einem schönen Sommertag machte sie für die Familie Brathähnchen, redete Logan, Dylan und Tyler ins Gewissen, dass sie ihre Hausaufgaben machen und ihre Gebete sprechen sollten, und dann ging sie fort.

Jake suchte überall im Land nach ihr. Er war außer sich vor Wut. Er ließ sich nicht von der Meinung abbringen, sie habe ihn für einen anderen Mann verlassen, und wenn er sie fand, würde er sie notfalls an den Haaren packen und sie hinter sich her zurück nach Hause schleifen.

In Wahrheit jedoch hatte Angela einen erstklassigen Nervenzusammenbruch erlitten, nahm sich in einem Motel am Rand von Missoula ein Zimmer, schluckte ein ganzes Fläschchen Schmerztabletten und starb.

Und das, so ging es Logan durch den Kopf, war die stolze Geschichte der Creeds.

Danach gab Jake es auf, noch einmal zu heiraten. Als Logan im ersten Jahr zur Universität ging, kam sein alter Herr bei einem Arbeitsunfall ums Leben.

Beim Gedanken an die Beisetzung drehte sich ihm jetzt noch der Magen um. So unglaublich das Ganze rückblickend auch wirken mochte – vor allem mit Blick auf die Auswirkungen von Jakes Alkoholsucht auf jeden von ihnen –, hatten sie alle drei zu sehr dem Whiskey zugesprochen. Es schloss sich der wüsteste Faustkampf aller Zeiten an, woraufhin sie den Rest der Nacht auf Einladung von Sheriff Floyd Book in getrennten Ausnüchterungszellen verbringen durften.

Seitdem hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Dennoch hielt sich Logan über seine Brüder auf dem Laufenden, vorwiegend via Internet. Dylan, der viermalige Weltmeister im Bullenreiten, lebte hauptberuflich offenbar als Prominenter, seitdem er seine Rodeoausrüstung an den Nagel gehängt hatte. Er war sogar in ein paar Filmen zu sehen gewesen. Dennoch schien Dylan vor allem dafür bekannt zu sein, dass er eigentlich gar nichts tat.

So etwas gab es wohl nur in Amerika.

Tylers Spezialität war das Zureiten von Wildpferden ohne Sattel; er war darin noch immer aktiv. Seine Liebesaffären wurden in den Medien breitgetreten, die beträchtlichen Siegprämien investierte er in Immobilien, außerdem war er das landesweite Aushängeschild für einen Hersteller von Designerstiefeln. Er war nicht nur der jüngste, sondern auch der wildeste von Jake Creeds drei Söhnen, und er hatte jede Menge Probleme – von der Art, wie Jake ihn erzogen hatte, bis hin zum Tod seiner Mutter.

Doch die Probleme seiner Brüder waren genau das, was sie waren: die Probleme seiner Brüder, aber nicht seine eigenen. Logan hatte genug damit zu tun, sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen. Und so sehr er es auch bedauerte, war es doch eine Tatsache, dass die Creed-Brüder einander fremd geworden waren. Und das konnte durchaus für immer so bleiben. Denn ihr Stolz und die jedem von ihnen angeborene Sturheit bedeuteten, dass eine Entschuldigung einfach nicht genügen konnte, um Ruhe einkehren zu lassen.

Logan wollte sich wieder auf den Weg machen, immerhin hatte er noch einiges zu erledigen. Er sah, wie Briana mit den Kindern gemeinsam die Picknickdecke zusammenlegte. Plötzlich kam der jüngere Sohn, Alec, auf ihn zu. In einer Hand hielt er eine Scheibe Wurst.

“Sind Sie ein Cowboy?”, fragte der Kleine, da sein Blick auf die abgewetzten Stiefel fiel, während der Hund die Wurst verschlang.

“Das war ich mal”, antwortete er und fuhr sich durchs Haar. Ihm war bewusst, dass ihn Briana – wie zum Teufel war sie nur an einen solchen Namen gekommen? – die ganze Zeit über beobachtete.

“Mein Daddy ist ein Cowboy”, erzählte Alec. “Aber wir sehen ihn nicht oft.”

“Das tut mir leid”, erwiderte Logan.

“Mom hat sich von ihm scheiden lassen”, plapperte der Junge weiter, “nachdem er uns vor dem Wal-Mart verlassen hat und nicht mehr zurückgekommen ist.”

Etwas regte sich bei diesen Worten in Logans Magengrube. Da war zum einen Wut auf einen Mann, der seine Frau, zwei kleine Kinder und einen Hund einfach so im Stich ließ. Doch zum anderen nahm er auch eine fast schon beunruhigende Erleichterung wahr. Wieder wanderte sein Blick zu Briana, die soeben Alec zu sich rufen wollte. Oh Mann, sie sah aber auch zu gut aus – diese Kurven, das leuchtende Haar, die leicht sommersprossige Haut.

“Aber Mom passt gut auf uns auf”, fuhr Alec fort, als Logan nichts sagte … nichts sagen konnte. Der alte Jake wäre sicher nicht Vater des Jahres geworden, aber trotz seiner Weibergeschichten, seines Alkoholkonsums, seiner Schlägereien war er rigoros seiner anstrengenden Arbeit als Holzfäller nachgegangen. Für nichts in der Welt hätte er seine Frau und seine Kinder sich selbst überlassen.

“Darauf möchte ich wetten”, brachte Logan irgendwie heraus, während sich Briana ihnen näherte.

“Sie arbeitet drüben im Kasino”, erklärte Alec und redete umso schneller, je näher seine Mutter kam.

Briana legte eine schmale Hand auf Alecs Schulter. Beide Jungs hatten dunkle Haare, die einen deutlichen Kontrast zum hellen Farbton der Mutter bildeten. Vor seinem geistigen Auge entstand ein Bild von ihrem Exmann. Er war vermutlich ein Charmeur, einer von diesen Typen, die einen guten Anmachspruch auf Lager hatten und die anschließend eine traurige Geschichte zum Besten gaben.

“Das reicht, Alec”, sagte Briana ruhig. Ihr Blick machte immer wieder einen Bogen um Logans Gesicht, so als sei sie mit einem Mal schüchtern geworden. “Wir müssen jetzt nach Hause gehen. Du hast Hausaufgaben zu erledigen, und du hast noch Unterricht.”

Alec zog die Nase kraus. “Mom unterrichtet uns zu Hause”, verriet er Logan. “Wir haben nicht mal Sommerferien.”

Logan zog eine Braue hoch, stemmte die Hände in die Hüften und widerstand dem Wunsch, sich verlegen über sein stoppeliges Kinn zu reiben.

“Das liegt daran”, erwiderte sie und drückte sanft seine Schulter, “dass du immer so viel herumalberst und du damit deine Zeit vertrödelst.”

“Ich wünschte, wir könnten so wie die anderen Kinder auf die Schule in Stillwater Springs gehen”, beklagte sich Alec. “Die anderen dürfen Baseball spielen, mit dem Bus fahren, Ausflüge machen und alles.”

Brianas Miene verhärtete sich fast unmerklich, und ihre Wangen wurden wieder rot. “Alec”, ermahnte sie nachdrücklich. “Mr. Creed interessiert sich nicht für unsere privaten Angelegenheiten. Und jetzt lass uns nach Hause laufen, bevor die Moskitos rauskommen, okay?”

Mr. Creed interessierte sich sehr wohl, und das auch über jedes vernünftige Maß hinaus. “Logan”, sagte er.

Briana nickte und schaute auf ihre Armbanduhr. “Logan”, wiederholte sie gedankenverloren.

“Dürfen Josh und ich auch Logan zu Ihnen sagen?”, fragte Alec hoffnungsvoll.

Eine Frau, die ihre Kinder zu Hause unterrichtete, hatte womöglich ziemlich strikte Vorstellungen, was die Umgangsformen betraf. Logan wollte Briana nicht in die Quere kommen, also antwortete er: “Wenn eure Mutter nichts dagegen hat.”

“Das werden wir noch sehen”, meinte sie nervös. Dann legte sie die Arme um ihre Jungs und führte sie weg wie eine Henne ihre Küken. Sie gingen in Richtung Fluss. Dylans Haus lag genau am anderen Ende der klapprigen Holzbrücke, gut versteckt hinter einem ausladenden, dichten Birkenhain. Der schwarze Hund folgte ihnen gemächlich.

Als er ihnen nachsah, wie sie weggingen, fühlte Logan sich auf einmal seltsam allein und verlassen. Sidekick schien es nicht anders zu gehen, denn er stieß ein leises Wimmern aus.

Logan beugte sich vor und tätschelte dem Hund beruhigend den Kopf. “Lass uns heimgehen, Junge”, sagte er zu ihm. “Inzwischen wird sich herumgesprochen haben, dass ich zurück bin, und wir werden mit Sicherheit Besuch bekommen.”

Aber keiner von beiden rührte sich von der Stelle, solange sie noch Briana, die Jungs und den Hund sehen konnten.

Sekundenlang hielt Logan inne und überlegte, ob er auch noch zu Jakes Grab gehen sollte, doch er fürchtete, er könnte draufspucken. Also ging er lieber in Richtung Obstgarten zurück. Sidekick musste sich beeilen, um ihn einzuholen.

Wie fast zu erwarten, stand neben dem Haus Cassie Greencreeks Wagen, der eine Beleidigung fürs Auge war. Im Gegensatz dazu sah das Gebäude richtig gut aus. Genau genommen war das ein Armutszeugnis für beide.

Cassie wartete auf der obersten Stufe zur Veranda auf ihn. In ihrem purpurroten Polyesterkleid, das groß genug war, um einen kompletten Volkswagen darin zu verstecken, sah sie prachtvoll aus. Ihr bis zur Taille reichendes schwarzes Haar war von silbernen Fäden durchzogen, und in ihren braunen Augen funkelte eine Mischung aus Wiedersehensfreude und schlechter Laune.

“Logan Creed”, begann sie und empfing den Hund mit großer Freude, als der zu ihr gelaufen kam. “Ich hätte nicht gedacht, dass du die Dreistigkeit besitzt, nach deinem Auftritt auf Jakes Beerdigung noch mal herzukommen.”

Verlegen grinste Logan sie an und blieb auf dem mit Unkraut überwucherten Weg stehen. Dann breitete er die Hände zu einer Geste aus, die so viel heißen sollte wie: Da bin ich wieder.

“Wann hast du dich das letzte Mal rasiert?”, wollte Cassie wissen und machte auf der Stufe Platz für Sidekick. “Du siehst aus, als hättest du eine Woche im Sattel gesessen.”

Logan musste lachen, ging weiter und beugte sich vor, um der alten Frau einen Kuss zu geben.

“Ich liebe dich auch, Grandma”, sagte er.

2. KAPITEL

Das Haus, das Briana Grant, ihren Söhnen und ihrem Hund seit nunmehr etwas mehr als zwei Jahren als Zuhause diente, sah in der einsetzenden Dämmerung so aus wie immer. Und doch war irgendetwas anders.

Ein gar nicht unangenehmes Kribbeln regte sich in ihrem Bauch, als sie sich umsah.

Der gleiche lärmende, verbeulte Kühlschrank, dessen Front vollständig mit Zeichnungen ihrer beiden Kinder bedeckt war.

Der gleiche abgetretene Linoleumboden.

Das gleiche altmodische gelb-goldene, an der Wand montierte Telefon mit der verdrehten Plastikschnur. Auf dem verzogenen Holztresen blinkte das rote Lämpchen des Anrufbeantworters in einem gleichmäßigen Takt.

Was hatte sich verändert?

Natürlich hatte es nichts mit dem Haus zu tun – sie selbst hatte sich verändert. So als wäre die Struktur ihrer Körperzellen mit einer gefährlichen neuen Energie aufgeladen worden.

Was war das nur?, fragte sie sich und biss sich auf die Unterlippe, während die Jungs zu ihrem üblichen Chaos ansetzten, das zur Heimkehr dazugehörte: Josh fuhr den Computer auf dem Schreibtisch vor dem Küchenfenster hoch, Wanda bellte ausgelassen und kreiste um den Wassernapf, und Alec rannte zum Anrufbeantworter, als er das rote Lämpchen aufblinken sah.

“Vielleicht hat Daddy angerufen!”, rief er aufgeregt und drückte auf ein paar Tasten.

“Vielleicht hat ja auch der Präsident angerufen”, spottete Josh verbittert.

“Halt die Klappe, du taube Nuss!”

“Haltet alle beide die Klappe!”, ging Briana dazwischen, zog einen Stuhl zurück und ließ sich auf das zerrissene rote Vinylpolster sinken. Sie hatte das Gefühl, neben sich zu stehen, als sei sie in irgendeine benachbarte Dimension geraten.

Aus dem Lautsprecher des Anrufbeantworters drang Vances kehlige, schmeichelnde Stimme wie ein Flaschengeist, der drei Wünsche versprach, von denen sich natürlich keiner erfüllen würde.

Wanda hörte auf zu bellen.

“Hallo, Familie”, sagte Vance, woraufhin Briana zu Josh schaute und sah, wie er unter dem gestreiften T-Shirt seine schmalen Schultern straffte. “Bree, das mit dem Scheck für die Unterhaltszahlung tut mir leid. Ich dachte, ich hätte den Betrag auf meinem Konto, bevor der Scheck eingelöst wird, aber das hat nicht geklappt.”

Briana schloss die Augen. Vance liebte es, mit dem Wort Familie um sich zu werfen, als könnte er damit ungeschehen machen, dass er seine Frau und seine Kinder genauso weggeworfen hatte wie eine Verpackung eines Schokoriegels oder eines Hamburgers, mit denen der Boden in seinem Van übersät war.

“Könnte sein, dass ich so etwa in einer Woche in Stillwater Springs bin”, fuhr die körperlose Stimme fort. “Ich schlafe dann auf der Couch, wenn du nichts dagegen hast, und dann werde ich sehen, wie ich das mit dem Scheck wiedergutmachen kann.” Eine kurze Pause, dann: “Ist doch ’ne Schlafcouch, oder?”

Briana kam fast das Picknick hoch.

Alec platzte fast vor Freude und sprang in der Küche auf und ab.

“Wenn er wirklich kommt”, schnaubte Josh, der seine Finger über die Tastatur sausen ließ, “dann laufe ich von hier weg!”

“Bis später”, schmachtete Vance. “Hab euch alle lieb.”

Klick.

Bis später. Hab euch alle lieb.

Ja, ganz sicher.

Briana fluchte stumm. Die beinahe mystische Veränderung, die sie zuvor wahrgenommen hatte, zog sich in den hintersten Winkel ihres Verstands zurück und machte einem Spannungskopfschmerz Platz, der an ihren Schläfen pulsierte.

“Mach ruhig und lauf weg”, zog Alec seinen Bruder auf. “Ich will sowieso das untere Bett haben.”

“Das reicht jetzt”, meinte Briana seufzend und erhob sich schwach von ihrem Stuhl. Mechanisch füllte sie Wandas Wasser- und Fressnapf auf, doch ihr Blick wollte sich nicht vom Anrufbeantworter lösen. Vance hatte keine Nummer auf Band gesprochen, und weil es sich um ein so altes Telefon handelte, konnte sie nicht sehen, von welchem Anschluss er angerufen hatte. “Weiß einer von euch Dads Mobilfunknummer?”

Vance benutzte vorwiegend billige Einwegtelefone. Für ihn war alles nur Wegwerfware – und das galt auch für Menschen sowie für einen Hund, den er als Welpe großgezogen hatte.

“Als ob ich den Idioten anrufen würde”, murmelte Josh. Er setzte eine tapfere Miene auf, doch unter all seinem Zorn und seiner Verachtung verbarg er seine Tränen. Briana konnte das gut nachvollziehen. Sie hatte Vance auch lange nachgeweint. Allerdings waren ihre Tränen mittlerweile versiegt, und damit waren auch alle Gefühle für ihn gestorben. Sie war schon so lange über ihn hinweg. Und wenn sie ganz ehrlich war, dann hatte sie bereits nach einem Weg aus dieser Ehe gesucht, noch bevor sie von ihm vor dem Wal-Mart abserviert worden war.

“Was willst du mit Daddys Nummer?”, fragte Alec. Sein sommersprossiges Gesicht war mit einem Mal ganz rot. “Du rufst ihn doch nicht an und sagst ihm, dass er nicht herkommen soll, oder?”

Das war genau das, was sie vorgehabt hatte. Doch als sie jetzt in Alecs ernste Miene schaute, da wusste sie, dass sie das nicht tun konnte. Jedenfalls nicht, solange er und Josh sich in Hörweite aufhielten.

“Er kommt wahrscheinlich sowieso nicht”, stellte Josh fest und suchte weiter im Internet. Womit genau war er da eigentlich beschäftigt? “Dads Wort und ein Blatt Klopapier reichen, damit du dir den Hintern abwischen kannst.”

“Joshua!”, ermahnte ihn Briana.

“Ich hasse dich!”, kreischte Alec. “Ich hasse euch beide!”

Wanda winselte und warf sich in unterwürfiger Haltung neben ihrem Wassernapf auf den Rücken. Als Alec in das Zimmer gleich neben der Küche rannte, das er sich mit Josh teilte, folgte Wanda ihm nicht, was ganz und gar untypisch war.

Wieder seufzte Briana, zog die Glaskanne aus der Kaffeemaschine und ging zur Spüle, um die Kanne aufzufüllen. Verdammt, Vance!, dachte sie gereizt. Warum kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen? Aber das hier ist ja wohl deine Spezialität.

“Er ist wirklich ein Cowboy!”, sagte Josh mit einem triumphierenden Unterton. Er hatte aufgehört, auf der Tastatur zu tippen, was aber nur von kurzer Dauer sein konnte. Josh ging viel zu häufig ins Internet, und er war viel geschickter darin, seine Spuren zu verwischen, als es Briana recht sein konnte.

Sie stutzte und kam sich noch immer so vor, als würde sie neben sich stehen. Obwohl ihr eigentlich gar nicht nach einer Dosis Koffein war, setzte sie weiter Kaffee auf. Nach der Bombe, die Vance soeben hatte platzen lassen, würde sie ohnehin die ganze Nacht kein Auge zubekommen. “Dein Dad?”, fragte sie.

Josh reagierte mit dem gleichen Seufzer, der ihr gerade eben über die Lippen gekommen war. “Logan Creed”, antwortete er übertrieben geduldig, als würde das klar auf der Hand liegen. “Ich habe im Internet nach ihm gesucht. Er war All-Around Cowboy, zwei Mal! Das heißt, er war der Beste von allen, Mom! Und er war schon zwei Mal verheiratet. Und seine Einkommensquellen sind unbekannt.”

“Er ist ein … Cowboy?”, wiederholte Briana wie benommen. In gewisser Weise empfand sie diese Neuigkeit sogar als noch beunruhigender als Vances Drohung, in Kürze bei ihr aufzutauchen.

“Er hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften”, plapperte Josh weiter. “Vielleicht ist er ja reich oder so.”

Die Creeds kannte in und um Stillwater Springs praktisch jeder. Sogar sie als relativ neu zugezogen hatte etliche Geschichten über die Familie gehört, aber wenn man nach dem Zustand dieser Ranch urteilen wollte, dann konnte von Reichtum keine Rede sein. Vielmehr hätten die Creeds froh sein müssen, dass sie mit knapper Not einer Pleite entgangen waren.

“Warum suchst du im Internet nach Mr. Creed?”, fragte Briana mit einer Beiläufigkeit, die sie in Wahrheit gar nicht verspürte. Sie nahm einen Becher aus dem Regal und gab Süßstoff sowie fettarme Milch hinein.

Creed ist ein Cowboy, sagte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Betrachte dich als gewarnt.

“Er hat gesagt, wir können ihn Logan nennen”, betonte Josh.

“Meinetwegen auch Logan”, gab sie zurück und goss den Kaffee in den Becher, obwohl das Wasser noch gar nicht ganz durchgelaufen war. Das Gebräu hatte diesen Geschmack nach Bodensatz, bei dem sich ihr zwar die Haare kräuselten, das ihr dennoch etwas Ruhe bescherte. “Warum suchst du im Internet nach ihm?”

“Es waren die Stiefel”, kam seine Antwort, mit der er Brianas Frage entweder auszuweichen oder sie zu ignorieren versuchte. “Das waren keine Nobelstiefel, nicht so was, was der Typ beim Ford-Händler getragen hat. Nichts mit eingestickten Sternen, Kaktussen und Bären …”

Kakteen”, korrigierte Briana ihn ganz Lehrerin reflexartig.

“Ja, ja”, meinte Josh nur und drehte sich zu ihr um. “Logans Stiefel sind abgestoßen. Wer solche Stiefel trägt, reitet auf Pferden und arbeitet hart.”

Briana dachte an Vances Stiefel. Er hatte sie wiederholt besohlen lassen, und sie waren stets abgestoßen gewesen. “Vielleicht ist er ja bloß arm”, gab sie zu bedenken. “Ich meine Logan.”

Josh schüttelte den Kopf. “Er hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften, Mom!”, wiederholte er.

“Und seine Einkommensquellen sind unbekannt, wie du es gerade ausgedrückt hast”, konterte sie. “Jetzt hör schon auf, meiner Frage auszuweichen, Josh! Warum suchst du im Internet nach Informationen über unseren Nachbarn?”

“Weil ich wissen will, ob er nicht vielleicht ein Serienmörder oder so was ist”, antwortete Josh.

Briana musste sich ein Lächeln verkneifen. In ein paar Minuten würde sie nach Alec sehen, aber im Moment war es wohl besser, wenn sie ihn noch eine Weile in Ruhe ließ. “Und zu welcher Einschätzung kommst du, du Meisterdetektiv? Schweben die braven Leute in der Nachbarschaft nicht in Gefahr?”

Josh grinste. Er lachte seit einiger Zeit nur noch so selten, dass bereits jeder Anflug eines Lächelns ein Grund zum Feiern war. Nachdem Vance sie verlassen hatte, strahlte Josh nicht mehr so wie früher, und manchmal fürchtete Briana, sein inneres Leuchten könnte ganz erlöschen.

“Jedenfalls so lange, bis Dad herkommt”, sagte er dann.

Sie ging über diese Bemerkung hinweg und schaltete die Deckenlampe an, damit das Dämmerlicht aus dem Raum verschwand. “Du würdest doch nicht wirklich weglaufen, oder?”, fragte sie zurückhaltend, während sie die Kühlschranktür öffnete und die Kunstwerke ihrer Kinder im Luftzug flatterten, als seien es die zerzausten Federn eines riesigen Vogels. Trotz der Wurstbrote benötigten die Jungs noch ein richtiges Abendessen. “Ich meine, wenn dein Dad zu Besuch kommt.”

Sein Schweigen auf ihre Frage hin schien kein Ende nehmen zu wollen.

Schließlich schaute er von seinem Platz vor dem Computer aus zu Boden. “Ich bin erst zehn, Mom”, entgegnete er. “Wohin soll ich denn weglaufen?”

Briana legte die Hähnchenschenkel zur Seite, die sie soeben aus dem Kühlschrank genommen hatte, und ging zu ihrem Sohn. Eigentlich wollte sie eine Hand auf seine Schulter legen, doch dann zog sie sie zurück. “Josh …”

“Warum kann er uns nicht einfach in Ruhe lassen?”, unterbrach er sie klagend. “Du hast dich von ihm scheiden lassen. Ich will mich auch von ihm scheiden lassen.”

Sie ging in die Hocke und sah Josh in die Augen. Er war ein sehr besorgter kleiner Junge, der sich solche Mühe gab, ein ganzer Mann zu sein. “Ich weiß, du bist wütend”, sprach sie. “Aber dein Dad wird immer dein Dad sein. Er ist nicht vollkommen, Josh, genauso wie kein anderer Mensch vollkommen ist.”

Eine Träne lief über seine Wange, eine schmale silbrige Spur, die den Staub von einem fröhlichen Nachmittag durchzog. “Ich wünschte, wir könnten ihn für einen anderen Dad eintauschen.”

Briana versuchte ein Lächeln, während ihr Tränen in die Augen stiegen. “Kosmische Kardinalregel Nummer eins”, sagte sie. “Du kannst weder die Vergangenheit noch andere Menschen ändern. Und ich sage dir ganz ehrlich: Auch wenn es oft ziemlich schwer war, bedauere ich nicht, dass ich deinen Dad geheiratet habe.”

Verblüfft schniefte Josh. “Nicht?”

Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf.

“Wieso denn nicht? Er hat doch nie einen Job. Und wenn er den Scheck für mich und Alec schickt, dann ist der nie gedeckt. Wünschst du dir denn nicht, dass du einen anderen Mann geheiratet hättest? Oder überhaupt keinen?”

Mit einer Hand strich sie über Joshs für den Sommer extrem kurz geschnittenes Haar. “Das habe ich mir nie gewünscht”, erklärte sie. “Denn wenn ich euren Dad nicht geheiratet hätte, dann gäbe es dich und Alec nicht. Und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was für ein Leben das wäre.”

Josh begann zu grübeln. Sie hatten über diese Dinge schon früher gesprochen, aber mehr noch als Alec musste er von Zeit zu Zeit daran erinnert werden, dass sie für ihn da war, dass sie für ihn gegen das Böse kämpfen oder auch durchs Feuer gehen würde. Nachdem Vance sie verlassen hatte, litt Josh gut ein Jahr lang unter Albträumen. Er schreckte aus dem Schlaf hoch, um in panischer Angst nach ihr zu rufen. Auch an Alec war das Verhalten seines Vaters nicht spurlos vorbeigegangen, er machte mehrmals pro Woche ins Bett.

“Wir machen dir viel Ärger”, erwiderte er schließlich. “Ich und Alec. Wir zanken uns immer, und wir tun nicht, was du uns sagst.”

“Ihr beide seid das Beste, was mir je widerfahren konnte”, sagte sie ihm ganz ehrlich und richtete sich auf. “Allerdings wäre es wirklich schön, wenn ihr zwei euch besser vertragen und eure Aufgaben im Haushalt erledigen würdet.”

Die Tür zum Kinderzimmer ging ein Stück weit auf, Alec steckte den Kopf durch den Spalt.

“Ich bin jetzt fertig mit sauer sein”, verkündete er, dann wanderte sein Blick zu Josh. “Jedenfalls fast.”

“Gut”, erwiderte Briana lachend und holte die Bratpfanne heraus, um die Hühnerschenkel anzubraten. “Ihr müsst euch beide waschen. Josh, du machst den Anfang. Mach den Computer aus, und dann nichts wie ab ins Badezimmer mit dir. Alec, du kannst dich hier an der Spüle waschen, und danach kümmern wir beide uns in Ruhe ums Malnehmen.”

Ausnahmsweise kamen von Josh keine Widerworte.

Alec zog die Trittleiter hinter sich zur Spüle, kletterte rauf und schrubbte Gesicht und Hände. “Es ist Sommer, Mom”, protestierte er. “Ich wette, die Kinder in der richtigen Schule müssen kein doofes Malnehmen lernen.”

“Alec”, ermahnte sie ihn.

“Ein mal eins ist …”

Alec.”

Er ging die Sechser-, Siebener- und Achterreihen durch, die ihm üblicherweise Schwierigkeiten bereiteten, erst dann stieg er von der Trittleiter und drehte sich zu Briana um. Gesicht und Hände waren klatschnass.

“Ich weiß Daddys Handynummer”, erklärte er.

Ein Stich ging durch Brianas Herz. Alec lebte für jeden Kontakt mit seinem Vater, so kurz der auch ausfallen mochte. Vermutlich rechnete er damit, dass sie seinen Dad anrufen und ihm den Besuch untersagen würde. Und dennoch war er bereit, ihr diese Information zu geben.

“Ist schon okay”, sagte sie mit leicht erstickter Stimme. Alec war erst acht. Auch nach allen herben Enttäuschungen und Brianas vorsichtigen Erklärungsversuchen verstand er einfach nicht, warum sie vier und Wanda nicht länger eine Familie sein konnten. “Aber du weißt doch, dass dein Dad … na ja, dass er oft seine Meinung ändert, was Besuche und andere Dinge angeht, nicht wahr?”

Alec reagierte mit einer finsteren Miene und einem ernsten Nicken. “Ich will ihn nur sehen, Mom. Ich weiß, dass er vielleicht gar nicht herkommt.”

Sie hatte einen Kloß im Hals, der ihr für den Augenblick das Sprechen unmöglich machte. Vance war immer auf der Jagd nach irgendeinem großen Preis, einem Sieg, der sich ihm stets aufs Neue entzog. Zu seiner eigenen Gefühlswelt hatte er keinerlei Zugang, und er stolperte von einem Fettnäpfchen ins nächste, wenn er wieder einem seiner Hirngespinste nachjagte. Ihre Ehe war vorüber, daran gab es nichts zu rütteln. Aber das änderte nichts daran, dass er der Vater von zwei wundervollen, intelligenten Jungs war. Warum nur standen sie so weit unten auf der Liste jener Dinge, die ihm wichtig waren?

“Ich weiß”, brachte sie dann doch noch heraus. “Ich weiß.”

Cassie streichelte den Hund, während sie Logan nachdenklich betrachtete und dabei bis tief in sein Innerstes blickte. Wie sie so auf den Stufen zur Veranda saß, schien sie sich in ihrer Haut rundum wohlzufühlen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen, die Logan kannte, war ihr Gewicht für Cassie nie ein Thema. Es war einfach ein Teil ihrer Persönlichkeit. In seinen Augen war sie auch stets eine schöne Frau gewesen, so tief und fest verwurzelt wie ein großer, liebevoller Baum, der schützend seine Äste über ihn und seine Brüder – und über die meisten anderen Kinder aus der Nachbarschaft – ausgestreckt hatte, damit sie ungestört erwachsen werden konnten.

“Du siehst Teresa so ähnlich”, sprach sie leise. “Vor allem um die Augen herum.”

Logan antwortete nicht. Er wusste, sie unterhielt sich nicht mit ihm, sondern dachte nur laut nach. Und wenn sie sich mit anderen Leuten unterhielt, dann nie über Belangloses, sondern über Dinge, die wirklich wichtig waren und die sie berührten.

Seine Mutter Teresa war Cassies Pflegetochter gewesen, weshalb er mit seiner “Großmutter” in Wahrheit gar nicht verwandt war. Dennoch liebte er sie, und er wusste, das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit.

Seufzend sah sich Cassie um. “Das Haus ist ein Wrack”, stellte sie fest, während sie weiter Sidekick streichelte, der von so viel Zuneigung gar nicht genug bekommen konnte und sich fest an sie schmiegte. “Du solltest mitkommen und dich in meinem Gästezimmer einquartieren, bis hier alles renoviert worden ist.”

“Dein Gästezimmer”, gab Logan zurück, “ist ein Tipi.”

Cassie begann zu lachen. “Als du noch klein warst, hat es dir nichts ausgemacht, draußen zu schlafen”, erklärte sie. “Du hast immer so getan, als wärst du Geronimo, und Dylan und Tyler kamen jedes Mal zu mir und beschwerten sich, weil sie auch mal Häuptling sein wollten.”

Die Erinnerungen und die Erwähnung seiner Brüder versetzten ihm einen Stich, als hätte sie eine alte Wunde geöffnet. “Hast du noch mal etwas von ihnen gehört?”, fragte er leise und sehr bedächtig.

“Du denn?”, gab Cassie sofort zurück.

Logan fuhr sich durchs Haar. Er musste dringend zum Friseur, aber am ersten Tag seiner Heimkehr gab es für ihn genügend andere wichtige Dinge zu erledigen. “Nein”, sagte er. “Und das weißt du auch. Warum also fragst du mich das?”

“Weil ich wollte, dass du es laut aussprichst”, erwiderte sie. “Vielleicht wird es dir auf diese Weise bewusster. Dylan und Ty sind deine Brüder, Logan. Sie sind deine einzigen Blutsverwandten. Du benimmst dich, als hättest du alle Zeit der Welt, um dich mit ihnen auszusöhnen. Und auf einmal ist es zu spät, und dann tut es dir leid.”

Schließlich kam Logan näher und kauerte sich auf die unterste Stufe. Sein erster Instinkt verlangte von ihm, gleich wieder aufzuspringen und zu fragen, wieso es ausgerechnet sein Job sein sollte, sich mit den anderen auszusöhnen. Aber er wusste, diese Frage wäre rhetorischer Blödsinn gewesen.

Er wusste, wieso es sein Job war. Weil er der Älteste war, und weil niemand außer ihm einen Dialog beginnen würde. Und weil er den Streit vom Zaun gebrochen hatte, als er an dem Tag, an dem ihr Vater beigesetzt wurde, schlecht über einen Toten gesprochen hatte.

Zugegeben, er war betrunken gewesen.

Aber alles, was er über Jake gesagt hatte, war auch so gemeint gewesen: dass Jake ihm nicht fehlen würde und dass die Welt ohne ihn nicht nur friedlicher, sondern besser wäre.

Jedenfalls hatte er diese Dinge damals so gemeint.

Cassie beugte sich vor und strich ihm übers Haar. “Warum bist du zurückgekommen, Logan?”, fragte sie. “Ich glaube, ich weiß es, aber das würde ich auch gern aus deinem Mund hören.”

“Um noch einmal neu anzufangen”, antwortete er nach kurzem Zögern.

“Klingt nach einer großen Aufgabe”, stellte Cassie fest. “Aber dazu gehört auch, dass du dich irgendwie mit deinen Brüdern zusammenraufst. Wobei es mir mehr auf das zusammen als auf das raufen ankommt.”

Logan nickte, sagte aber nichts.

“Ich gebe dir ihre Telefonnummern”, meinte Cassie und lehnte sich so zur Seite, dass sie ihre Handtasche zwischen dem rechten Oberschenkel und dem Geländer herausziehen konnte, um nach Notizblock und Stift zu suchen. “Du rufst sie an.”

“Und was soll ich sagen?”

Solange er auch gerätselt, geplant und überlegt hatte, war ihm dennoch nicht in den Sinn gekommen, wie er die Kluft zwischen ihm, Dylan und Tyler überwinden sollte.

“Fang mit einem Hallo an”, antwortete sie amüsiert. “Dann wirst du schon sehen, wohin sich das Gespräch entwickelt.”

“Ich muss dir ja wohl nicht sagen, in welche Richtung es sich entwickeln könnte”, warnte er sie.

“Das wirst du nie erfahren, wenn du es nicht versuchst”, sagte Cassie zu ihm und notierte zügig zwei Nummern aus dem Gedächtnis, wie Logan bemerkte. Dann gab sie ihm den Zettel und stand mit einer Anmut auf, die ihn angesichts ihrer Körperfülle immer wieder in Erstaunen versetzen konnte. Sie streichelte noch einmal Sidekick, dann ging sie die Stufen so langsam und bedächtig hinunter, als sei sie ein Gletscher, der sich einen Berg hinabschob. Logan blieb nichts anderes übrig, als einen Schritt zur Seite zu machen, wenn er nicht niedergewalzt werden wollte.

Sidekick blieb auf der Stufe sitzen, aber er gab eine Mischung aus Schnauben und Seufzen von sich. Es tat ihm sichtlich leid, dass Cassie ihn verließ.

Ganz Gentleman hielt Logan ihr die Wagentür auf. Warum Cassie sich nicht endlich ein anständiges Gefährt zulegte, war ihm ein Rätsel. Immerhin wurde ihr so wie den anderen gut vierzig Angehörigen ihres Stammes zweimal jährlich ein ordentlicher Anteil an den Einnahmen des Spielkasinos ausgezahlt.

“Wenn wir uns das nächste Mal sehen”, sprach sie und hob drohend den Finger, “dann will ich von dir hören, dass du mit Dylan und Tyler gesprochen hast. Und es wäre auch nicht schlecht, wenn du dich rasierst und etwas anziehst, das über Kragen und Knöpfe verfügt.” Sie hielt inne und zog an seinem T-Shirt. “Zu meiner Zeit nannte man so was noch Unterwäsche.”

Logan musste lachen. “Du hast mir gefehlt, Cassie.” Er beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. “Sidekick und ich werden dich morgen besuchen. Ich muss mit ihm zum Tierarzt, und ich habe einen Termin bei meinem Bauunternehmer. Das mit der Rasur und mit dem Hemd kann ich dir versprechen, vielleicht sogar einen Besuch beim Friseur. Aber ob ich bis dahin schon meine Brüder angerufen habe oder nicht … das weiß ich beim besten Willen nicht.”

“Je länger du es vor dir herschiebst, umso schwieriger wird es”, gab Cassie zurück und machte keine Anstalten, in ihren Wagen einzusteigen. “Wirst du bleiben, Logan, oder bist du nur hergekommen, um auf das Grab deines Vaters zu spucken und deinen Anteil am Land irgendeinem reichen Schauspieler zu verkaufen?”

“Ich hoffe nicht, dass du mir weismachen willst, du wärst die Präsidentin des Jake-Creed-Fanclubs”, konterte Logan.

“Wir hatten unsere Schwierigkeiten, Jake und ich”, gab Cassie zu. “Aber er war dein Vater, Logan. Und auf seine ganz eigene, verrückte Art hat er euch Jungs geliebt.”

“Die Betonung liegt auf verrückt”, spottete Logan. In seiner Stimme schwang ein respektvoller Unterton mit, doch der galt nicht Jake, sondern Cassie. “Ich schätze, du hast das Jahr vergessen, als er den Weihnachtsbaum mit der Kettensäge zerteilte. Und das wunderbare Thanksgiving, als er der Ansicht war, der Truthahn sei angebrannt, und er ihn aus dem Fenster warf.”

Seufzend legte Cassie eine Hand auf Logans Schulter. “Und was war, als du dir mit Dylan zusammen überlegt hast, von zu Hause wegzulaufen, und ihr beide euch im Wald verirrt habt? Es war November, und die Wettervorhersage ging von einer Rekordkälte für die kommende Nacht aus. Als die Sonne unterging, stellte der Sheriff die Suche ein, aber Jake … Er suchte weiter, er fand euch und er brachte euch zurück nach Hause.”

“Und verfrachtete uns in den Geräteschuppen.”

“Hätte er die Hoffnung aufgegeben, wärt ihr höchstens noch ins Leichenschauhaus gebracht worden. Ich weiß, er hat euch verprügelt, und wäre ich hier gewesen, hätte ich ihn davon abgehalten. Aber er versohlte euch nicht den Hintern, weil er wütend war, sondern weil er schlicht und ergreifend Angst um euch hatte, Logan Creed.”

“Heute nennt man so was Kindesmisshandlung”, betonte Logan.

“Heute”, hielt Cassie dagegen, “erschießen sich die Kinder in der Schule gegenseitig. Und Klassenarbeiten werden nicht benotet, weil das Selbstwertgefühl eines Kindes Schaden nehmen könnte. Man ruft Sozialarbeiter herbei, wenn der Fernseher im Kinderzimmer zu klein oder der Computer zu langsam ist. Es könnte sein, dass eine gute Tracht Prügel bei manchen dieser jungen Kriminellen Wunder wirken würde, damit sie nicht auf der Straße herumlungern, wenn sie eigentlich in der Schule sein sollten.”

“Das ist politisch ja so was von unkorrekt”, kommentierte Logan, auch wenn er ihr insgeheim durchaus zustimmte.

“Ich muss nicht politisch korrekt sein”, gab Cassie zurück.

In diesem Punkt hatte sie ebenfalls recht. Sie musste nicht politisch korrekt sein, und sie war es auch nicht.

Sie stieg in ihren Wagen ein. “Willkommen zu Hause, Logan”, sagte sie und musterte ihn durch das geöffnete Seitenfenster. “Sieh zu, dass du bleibst.”

Er musste an Briana Grant, ihre lebhaften Söhne und ihren dicken schwarzen Hund denken. Mit einem Mal war die Vorstellung, hier zu bleiben, gar nicht mehr so bedrückend.

“Dylan scheint zwischendurch auch zurückgekommen zu sein”, äußerte er vorsichtig. “Jedenfalls lange genug, um eine Haushälterin einzustellen.”

Cassie nickte nur und wartete schweigend ab.

“Ist er … sind Dylan und Briana …?”

In Cassies braunen Augen spiegelte sich Belustigung wider. “Ob die zwei ein Paar sind?”, fragte sie. “Ist es das, was du wissen willst?”

“Ja”, grummelte Logan. Er wusste, sie würde ihn im Unklaren lassen, wenn er nichts weiter erwiderte. “Das will ich wissen.”

Sie zuckte leicht mit einer Schulter. “Du kennst doch Dylan. Wenn er sich eine Frau ausgesucht hat …”

Logans Knöchel traten weiß hervor, als er sich an der Unterkante ihres Wagenfensters festklammerte.

Cassie lächelte nur und tätschelte seine Hand. “Wenn du etwas über Dylan und Briana wissen willst”, säuselte sie, “dann solltest du am besten einen von den beiden fragen. Ich bin nur eine alte Dame, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmert. Woher soll ich wissen, ob zwischen den zweien etwas läuft oder nicht?”

“Du weißt alles”, sagte Logan. Hätte er kein T-Shirt getragen, wäre ihm jetzt der Hemdkragen geplatzt. “Und zwar über jeden in Stillwater Springs und in einem Umkreis von fünfzig Meilen.”

Mit einem Seufzer legte sie den Rückwärtsgang ein. “Du gehst besser einen Schritt nach hinten, wenn du nicht willst, dass ich dir über die Zehen fahre.”

Logan war klug genug, wirklich einen Schritt zurückzutreten.

Er sah ihr nach, wie sie ihren kleinen Wagen wendete und zügig den Weg entlangfuhr, der von der Ranch wegführte. Dichter blauer Qualm stieg aus dem Auspuff auf, lockere Teile klapperten und rappelten. Sie erreichte die Hügelkuppe, und im nächsten Moment war sie dahinter verschwunden. Logan warf einen Blick auf den Zettel, den sie ihm zugesteckt hatte.

Dylans Telefonnummer.

Tylers Telefonnummer.

Sidekick kam von der Veranda und stieß ihn mit der Schnauze an, als wolle er ihn drängen, die Sache schließlich hinter sich zu bringen.

Natürlich hatte Cassie recht gehabt. Je länger er es hinauszögerte, umso schwieriger wurde es.

Er nahm sein Handy aus der Tasche und tippte Dylans Nummer ein, während er insgeheim hoffte, es möge sich nur die Mailbox melden.

“Yo”, kam Dylans Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. “Dylan Creed.”

Logan ließ sich auf die Stufe sinken, auf der eben noch Cassie gesessen hatte, und räusperte sich. “Hast du gesehen, welche Nummer auf deinem Display angezeigt wird?”

Autor

Linda Lael Miller
<p>Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten „Wilden Westen“, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.</p>
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