Nie kann ich diese Leidenschaft vergessen

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Nach einem Unfall in London erwacht Julius ohne Erinnerung. Die einzigen Hinweise auf seine Identität: ein diamantener Verlobungsring und der Name Esmerelda Clark als Kontakt beim Juwelier hinterlegt. Ist Esmerelda etwa seine Braut? Als er sie auf der Karibikinsel Grenada aufspürt, fühlt er sich sofort zu ihr hingezogen. Bis er schockiert erfährt, dass Esme zu seiner Leibgarde gehörte – und er der Thronfolger von Rodina ist! Als solcher braucht er eine standesgemäße Ehefrau. Aber warum begehrt er Esme dann so sehr? Was verschweigt sie ihm?


  • Erscheinungstag 01.10.2024
  • Bandnummer 2669
  • ISBN / Artikelnummer 0800242669
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Er kam keuchend zu sich, beim Einatmen bohrten sich hundert scharfe Messer in seine Brust. Er stieß einen Fluch aus und erstarrte. Allmählich ließen die Schmerzen nach. Jeder Atemzug brannte immer noch höllisch, aber wenigstens konnte er sich aufsetzen.

Der Raum drehte sich. Er biss die Zähne zusammen und schloss die Augen, wartete und öffnete sie dann langsam wieder. Das Drehen verlangsamte sich immerhin so weit, dass er seine Umgebung erkennen konnte, vom weichen Teppich auf dem glänzenden Mahagoniboden bis zum glitzernden Kronleuchter über seinem Kopf.

Vorsichtig wandte er den Kopf. Er saß auf einer gepolsterten Ledercouch. Ein Marmorkamin beherrschte die Wand zu seiner Linken. Über dem Kaminsims hing ein Gemälde der gotischen Türme der Westminster Abbey. Rechts von ihm stand ein riesiges Bett auf einem Podest, die Matratze war mit einer luxuriösen Decke und kunstvoll arrangierten Kissen bedeckt.

Ein entferntes Hupen ließ ihn zusammenzucken. Was auch immer er durchgemacht hatte, es hatte ihm nicht nur Schmerzen in der Brust, sondern auch ungeheure Kopfschmerzen beschert. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und berührte eine Beule an seinem Kopf.

Was zum Teufel war passiert?

Er stand auf und ging ins Badezimmer. Dann drehte er den Wasserhahn auf, legte die Hände zusammen, um das herrlich kühle Wasser aufzufangen, und spritzte es sich ins Gesicht.

Er hob den Kopf, sein Blick wanderte zum Spiegel. Verwirrt schaute er zur Seite und wieder zurück. Seine Verwirrung verwandelte sich in Schock.

Das Gesicht, das ihn anstarrte, war das eines Fremden.

Langsam hob er die Hand und zeichnete mit den Fingerspitzen einen langen Schnitt nach, der von seiner Wange bis hinunter in den hellen Bart verlief und weiter bis zum Kinn. Braune Augen sahen ihn aus dem Spiegel an, müde und von Schatten umringt.

Wer bin ich?

Die Frage schoss ihm durch den Kopf, doch es blieb still. Er fand keine einzige Erinnerung an sich selbst in seinem Kopf.

Angst stieg in ihm auf. Doch mit einer Entschlossenheit, die sich so selbstverständlich anfühlte wie das Atmen, schob er die Angst beiseite.

Er holte tief Luft, dann ging er zurück ins Schlafzimmer. Eine schnelle Suche brachte weder eine Brieftasche noch ein Handy zutage. Das einzige Gepäck im Zimmer war eine Reisetasche aus Segeltuch mit Lederriemen.

Die darin enthaltenen Kleidungsstücke waren schlicht, aber gut verarbeitet, und auf den Etiketten erkannte er die Namen von Luxusmarken, obwohl er sich nicht einmal an seinen eigenen Namen erinnern konnte. Versteckt in einer Innentasche fand er einen dicken weißen Umschlag mit fast zehntausend Euro. Wer auch immer er war, es schien, als hätte er Geld.

Oder hatte er das Geld jemandem weggenommen?

Bei dem unbehaglichen Gedanken wanderte seine Hand unwillkürlich zurück zu dem Schnitt an seiner Wange. Der scharfe Schmerz holte ihn zurück. Es hatte keinen Sinn, sich auf Spekulationen einzulassen, sie halfen ihm auch nicht weiter.

Ein Blick aus dem Fenster zeigte elegante Reihenhäuser aus Backstein und weißem Stein. Taxis und rote Doppeldeckerbusse fuhren unter einem sich verdunkelnden Himmel auf den belebten Straßen.

London.

Er war in London. Noch etwas anderes schoss ihm durch den Kopf, aber es löste sich auf, bevor er es fassen konnte.

Schritt für Schritt, sagte er sich. Schau nach, ob noch jemand hier ist.

Er entfernte sich vom Fenster und ging zu den Doppeltüren des Zimmers. Er lauschte eine ganze Minute lang, bevor er vorsichtig die Tür zu einem großen, luftigen Flur öffnete. An elfenbeinfarbenen Wänden hingen zwischen Türen mit Zimmernummern mehrere teuer aussehende Gemälde.

Ein Hotel also. War er in seinem Zimmer überfallen worden? Nein, das ergab keinen Sinn. Dann hätte sein Angreifer sich bestimmt die Reisetasche geschnappt oder sie wenigstens durchsucht.

Die Kopfschmerzen kehrten mit aller Macht zurück. Im Badezimmer fand er ein Schmerzmittel, nahm es ein und ruhte sich kurz auf der Couch aus. Danach fühlte er sich gut genug für eine gründlichere Durchsuchung des Zimmers.

Etwas Schwarzes glänzte im Licht und erregte seine Aufmerksamkeit. Auf dem Boden unter der Couch lag eine schwarze Visitenkarte.

Als er sich hinkniete, begann sich eine Erinnerung in ihm zu regen. Er kannte die Karte und wusste plötzlich, dass er eine elegante silberne Kursivschrift darauf finden würde. Ein Hauch von Aufregung durchströmte ihn, als sich seine Finger um die Karte schlossen.

Sie war erstaunlich schwer, mit abgerundeten Kanten. Auf einer Seite der Karte stand einfach „Smythe’s“. Auf der anderen Seite befand sich eine Adresse mit einer Zahlenreihe in der unteren linken Ecke. Jemand hatte „Samstag“ mit silberner Tinte in die rechte Ecke geschrieben. Daneben eine Uhrzeit, halb sieben abends.

Plötzlich überkam ihn ein Gefühl der Dringlichkeit. Diese Karte und der Termin waren wichtig. Er warf einen Blick auf sein Handgelenk. Dort, wo eine Uhr hätte sein sollen, war die Haut blass. Er nahm den Hörer neben dem Bett auf.

„Guten Abend, vielen Dank für Ihren Anruf im Bancroft, Sie sprechen mit Anthony.“

Er notierte sich im Geiste den Namen des Hotels. „Hallo, Anthony. Könnten Sie mir bitte Datum und Uhrzeit sagen?“

„Selbstverständlich, Sir. Heute ist der fünfte April, siebzehn Uhr fünfundvierzig.“

„Ist heute Samstag?“

„Jawohl.“

Er beschloss, eine letzte Frage zu riskieren. „Danke, Anthony. Meine letzte Frage: Unter welchem Namen wurde die Zimmerreservierung vorgenommen?“

„Selbstverständlich, Sir. Der Name in unseren Unterlagen ist John Adamos.“

Ein griechischer Nachname. Ein Name, der sich aber überhaupt nicht vertraut anfühlte.

„Vielen Dank.“ Er legte auf.

John Adamos.

Er sagte den Namen laut und wiederholte ihn mehrmals.

Jedes Mal klang er so fremd wie beim ersten Mal.

Sein Blick wanderte zurück zu der Visitenkarte. Er hatte dreißig Minuten Zeit bis zu dem auf der Karte angegebenen Termin. Er könnte die Polizei rufen oder in ein Krankenhaus fahren.

Aber im Krankenhaus würde er Stunden mit Untersuchungen und Scans verbringen. Obwohl er irgendwann wohl einen Arzt aufsuchen musste, waren seine Schmerzen durch die Medikamente vorerst erträglich.

Die Polizei würde ihn befragen, möglicherweise ein Foto von ihm machen und an die Medien weitergeben, während sie untersuchten, was mit ihm passiert war. Auch das würde Zeit brauchen.

Er tippte die Karte gegen seine andere Hand. Dieser Weg könnte ihm jedoch innerhalb einer Stunde Antworten liefern.

Er nahm den Hörer ab und wählte erneut.

„Guten Abend, vielen Dank für …“

„Anthony, es ist noch einmal John.“ Der Name fühlte sich fremd an auf seiner Zunge.

„Sehr wohl.“

„Würden Sie bitte ein Taxi für mich rufen?“

Eine Viertelstunde später stand John auf dem Bürgersteig vor einer Reihe eleganter Stadthäuser. Das auf der Karte aufgeführte Gebäude ähnelte den anderen mit seinen weißen Backsteinen, den Bogenfenstern und den eleganten Säulen, die den Haupteingang bewachten.

Aber im Gegensatz zu den glänzenden Mahagonitüren der anderen Häuser unterschied sich diese Tür durch ihre mitternachtsschwarze Farbe. Es gab jedoch kein Zeichen, keinen Hinweis darauf, dass es sich bei dem Haus um etwas anderes als ein Wohnhaus handelte. Er stieg die Treppe hinauf und drückte auf die Türklingel.

Nach kaum zwei Sekunden öffnete ein Mann die Tür. Ein sehr, sehr großer Mann, der aussah, als wäre er zwangsweise in seinen schwarzen Anzug gestopft worden – und nicht besonders glücklich darüber.

„Guten Abend.“

Der Mann sagte nichts.

„Ich habe einen Termin.“

Der Mann hob eine buschige Augenbraue.

John zog die Karte aus seiner Tasche. „Ich …“

Als John die Karte hochhielt, veränderte sich die Miene des Mannes überraschend. Ein Lächeln umspielte seine schmalen Lippen, während sich die breiten Schultern entspannten.

Er trat zurück und bedeutete John, hereinzukommen. „Willkommen bei Smythe’s.“

John zögerte einen Moment. Etwas flackerte in seinem Kopf auf: das Bild eines von Diamanten funkelnden Kronleuchters.

Eine rauchige, weibliche Stimme.

Dann war es verschwunden.

Er trat ein und achtete darauf, sein Gesicht ausdruckslos zu halten, auch wenn ihn Überraschung durchströmte. Die Eingangshalle mit glänzendem Marmorboden war atemberaubend, mit einem schmiedeeisernen Geländer, das sich eng um eine Treppe schlängelte. An den Wänden hingen Gemälde.

Nicht irgendwelche Gemälde, erkannte er, auch wenn er nicht wusste, woher dieses Wissen stammte. Renoir, Monet, Kahlo und Rembrandt, um nur einige zu nennen. Falls sie echt waren, würden sie bei einer Auktion Millionen einbringen.

Doch von all den unglaublichen Dingen in der Eingangshalle war es nicht die Kunst, die ihn wie erstarren ließ. Es war der glänzende Kronleuchter über seinem Kopf.

Zufriedenheit durchströmte ihn und etwas von seiner Anspannung ließ nach. Er war schon einmal hier gewesen!

„Der Aufzug bringt Sie nach oben.“

John wandte sich um und sah, wie der Mann auf eine Glassäule in der Mitte der Treppe deutete. Der Mann drückte einen Knopf an der Wand. Eine Tür in der gläsernen Säule öffnete sich und gab den Blick auf einen Aufzug frei.

„Genießen Sie Ihren Besuch!“

Die Fahrt mit dem Aufzug war kurz, dann öffnete sich lautlos die Tür. John stieg aus, hielt kurz inne und schaute sich um. Eine kurze Treppe führte hinunter in einen fensterlosen Raum. Die Treppe wurde von Marmorsäulen im blassen Aquamarinblau der Wände flankiert. Goldbesetzte Spiegel ließen den Raum doppelt so groß erscheinen.

Im Inneren standen Glasvitrinen. Jede Vitrine enthielt kunstvollen Schmuck, von ungefassten Steinen bis hin zu eleganten Halsketten, Armbändern, Ohrringen und Ringen. Rubine, Smaragde, Saphire und Diamanten funkelten in allen Farben. Sogar eine Krone entdeckte John, als er die Treppe hinunterging.

„Hallo“, hörte er eine rauchige Stimme, eine Stimme, die dazu bestimmt war, zu verführen.

Doch als er sich umwandte, verspürte er trotz der sexy Stimme nichts weiter als ein beiläufiges Aufflackern von Interesse. Oben auf der Treppe stand eine Frau. Ein ärmelloses schwarzes Kleid schmiegte sich an ihre Kurven. Glattes, ebenholzfarbenes Haar war zu einem Bob geschnitten worden. Die exakt geschnittenen Ponyfransen betonten ihre markanten Wangenknochen und großen Augen.

„Willkommen zurück, Mr. Adamos.“

„Vielen Dank.“

Sie legte den Kopf zur Seite. Ein charmantes Lächeln huschte über ihre Lippen.

„Ist alles in Ordnung?“

Er hielt sich zurück. Am liebsten hätte er direkt all seine Fragen gestellt. Aber ein sechster Sinn warnte ihn, mit Vorsicht vorzugehen.

„Ja.“ Er hob die Karte. „Samstag halb sieben, ja?“

Sie sah ihn lange an, bevor sie mit wiegenden Hüften die Treppe herunterkam. Jeder Schritt war sinnlich. Ihre Finger glitten langsam über das Geländer.

Doch als er ihrem Blick begegnete, sah er eine starke, berechnende Frau hinter der verführerischen Fassade. Wer auch immer Miss Smythe war, sie war ganz bestimmt nicht dumm.

„Champagner?“

„Nein danke.“

Sie deutete auf einen von hohen Lederstühlen umgebenen Mahagonischreibtisch mit einem Laptop. Dahinter war ein vom Boden bis zur Decke reichender Spiegel angebracht. Er wartete, bis sie sich setzte, bevor er seinen Platz einnahm. Miss Smythe zog eine Schublade aus dem Schreibtisch und schien einen Code einzutippen. Dann ertönte ein Klicken und sie öffnete eine weitere Schublade.

Sie griff hinein und stellte eine schwarze Box zwischen ihnen auf den Schreibtisch. „Wie versprochen.“

John starrte auf die Box. Langsam öffnete er den Deckel.

Ein einzigartiger Diamantring glitzerte von einem Bett aus schwarzer Seide zu ihm empor. Es war ein Diamant, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Das Innere des Juwels war mit Punkten übersät, die meisten schwarz, einige farbig. Manche wirbelten in winzigen Mustern, die ihn an einen Nachthimmel erinnerten. Kleine Tropfen aus Perlen und Aquamarinen fassten den Diamanten ein. Die Juwelen ruhten auf einem glänzenden Silberband.

Klassisch. Elegant. Romantisch.

Erinnerungsfetzen blitzten in ihm auf.

Seidige Haare wie rote Flammen. Ein Lachen, das seinen Atem stocken ließ. Ein Gefühl von Leichtigkeit, einfach nur weil er es hörte und weil er wusste, dass er sie zum Lachen gebracht hatte.

Und dann hörte er einen Namen, so liebevoll geflüstert, dass es ihm die Brust zuschnürte: „Julius …“

Aber schon schwanden die seltsamen Eindrücke und verwirrt blickte er auf den kostbaren Ring.

„Er ist atemberaubend.“

Ein echtes Lächeln zuckte um Miss Smythes rubinrote Lippen, flüchtig, aber stolz. „Vielen Dank. Ich habe nicht viele Kunden, die einen Salz-und-Pfeffer-Diamanten wünschen. Es war eine Herausforderung, die mir sehr viel Spaß gemacht hat.“

„Salz-und-Pfeffer-Diamant?“

Sie hob eine perfekt geformte Augenbraue. „Ja. Wie wir bei Ihrem letzten Termin besprochen haben.“

„Bitte frischen Sie mein Gedächtnis auf.“

Sie nahm den Ring aus dem Seidenbett und hielt ihn hoch. „Salz-und-Pfeffer-Diamanten, auch Himmelsdiamanten genannt, galten früher als fehlerhaft. Die schwarzen Einschließungen im Stein sind Kohlenstoff- oder Mineralienstückchen, die bei der Entstehung des Diamanten nicht kristallisiert wurden. Aber die Welt verändert sich, und heute werden sie für ihre Einzigartigkeit geschätzt.“

Sie drehte den Ring so, dass er in die Tiefen des Steins blicken konnte. „Im Gegensatz zu einem traditionellen Diamanten, der Licht reflektiert, zieht ein Salz-und-Pfeffer-Diamant einen langsamer in seinen Bann. Er regt zum zweiten Blick an, und je länger man hinschaut, desto mehr sieht man in ihm.“

Er versuchte, die Erinnerung an die gesichtslose rothaarige Frau heraufzubeschwören. Offenbar hatte er sie bitten wollen, seine Frau zu werden.

Doch er fand nur eine endlose Dunkelheit. Als gäbe es nichts über die letzten Stunden hinaus. Wütend versuchte er die Erinnerung zu erzwingen.

Ein sengender Schmerz schoss durch seinen Kopf. Er schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen.

„Mr. Adamos?“

„Einen Moment“, stieß er hervor.

Endlich ließen die Schmerzen nach. Er öffnete die Augen und sah eine Flasche Wasser vor sich.

Miss Smythe beobachtete ihn. „Sobald Sie sich erholt haben, haben Sie fünf Minuten Zeit. Sie können mir sagen, was los ist, oder gehen.“

Er atmete tief ein, trank einen großen Schluck Wasser und lehnte sich dann zurück. „Kopfschmerzen, Miss Smythe. Bestimmt haben Sie schon davon gehört.“

„Sie sagen mir nicht die Wahrheit.“ Sie beugte sich vor und verschränkte die Arme. „Mr. Adamos, Sie haben pünktlich und vollständig bezahlt. Ihre Wünsche für den Ring waren fachkundig und detailliert. Aber ich bin schon lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sich seit Ihrem letzten Besuch etwas verändert hat. Vielleicht ist es persönlich, und wenn ja, lasse ich das Thema fallen. Aber wenn es Ihren Kauf oder mein Unternehmen betrifft, habe ich ein Recht darauf, es zu erfahren.“

Er sah sie lange an, während er sich fragte, ob er das Risiko eingehen sollte. Einer Fremden sein Geheimnis zu enthüllen, widersprach jedem Instinkt. Andererseits war diese Frau bisher die einzige Verbindung zu seinem vergessenen Leben.

„Ich bin vor einer Stunde aufgewacht und hatte keine Erinnerung daran, wer ich bin.“

Ihre Augen weiteten sich. „Wie bitte?“

„Ich bin vor einer Stunde mit heftigen Kopfschmerzen in einer Suite im Bancroft Hotel aufgewacht. Ich habe keine Erinnerung daran, wer ich bin. Kein Name, keine Brieftasche, kein Telefon“, er hielt seine linke Hand hoch, „keine Uhr. Außer sehr teurem Gepäck und einem Umschlag mit Geld war Ihre Visitenkarte alles, was ich finden konnte.“

Ihr Blick huschte zwischen ihm und dem Ring hin und her. „Überhaupt keine Erinnerungen? Nicht an Ihren ersten Termin vor fünf Tagen?“

Er wartete einen Moment und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Er kam ihm bekannt vor, aber abgesehen von den kurzen Blitzen der Erkenntnis, die er bei seiner Ankunft erlebt hatte, stieg keine Erinnerung in ihm auf.

„Hier und da ein Bild. Nichts, was mir weiterhilft.“

„Warum gehen Sie nicht zur Polizei? Ins Krankenhaus?“

„Als ich das heutige Datum und die Uhrzeit auf der Karte gesehen habe, hatte ich gehofft, hier Antworten zu finden.“

Sie tippte mit einem manikürten Finger auf den Tisch. Einmal, dann noch einmal, der Klang hallte im Raum wider. Er hielt ihrem Blick stand.

Schließlich lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. „Der Name, den Sie angegeben haben, war John Adamos.“

„Der Name kommt mir nicht bekannt vor.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das wundert mich nicht. Smythe’s ist seit Generationen im Geschäft. Wir leben von Exklusivität und Diskretion. Dazu gehört auch, dass wir unsere Kunden nicht nach Einzelheiten fragen. Wir nehmen nur ihre Bestellung an. Darüber hinaus wissen wir sehr wenig über die Menschen, für die wir arbeiten.“

Er stand auf und begann, auf und ab zu gehen. „Wann habe ich den Termin vereinbart?“

„Vor drei Wochen, als Sie das Geld angewiesen haben.“

„Geld?“

„Ich verlange normalerweise die Hälfte des Kaufpreises als Anzahlung, aber Sie haben den vollen Betrag bezahlt. Eine Million Euro.“

Er starrte sie an. „Eine Million?“

„Ja.“ Sie zuckte mit einer Schulter. „Wir sind die Besten.“

„Und ich habe nichts über die Frau gesagt, für die dieser Ring ist?“

Etwas Wehmütiges huschte über Miss Smythes Gesicht, so schnell, dass John es übersehen hätte, wenn er sie nicht aufmerksam beobachtet hätte.

„Nein.“ Sie beugte sich vor. „Aber ich bin seit meiner Kindheit in diesem Geschäft. Ich kenne den Unterschied zwischen Kunden, die jemanden beeindrucken wollen, Kunden, die verzweifelt sind, und Kunden, die einfach wegen des Nervenkitzels hier sind.“

„Nervenkitzel?“

„Smythe’s arbeitet nur für die Elite.“ Ihr stolzes Lächeln kehrte zurück. „Ohne die schwarze Karte, die Ihnen wahrscheinlich ein ehemaliger Kunde gegeben hat, wären Sie abgewiesen worden.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist unglaublich, wie viele Politiker, Filmstars und Angehörige von Königshäusern ein Vermögen zahlen, nur um ein Schmuckstück aus meinem Laden zu besitzen.“

Seine Lippen zuckten. „Habe ich mich wie ein verwöhnter Kerl aufgeführt?“

Ihr Lächeln verschwand. „Nein.“ Sie blickte auf den Ring. Diesmal war die Traurigkeit in ihren Augen unverkennbar. „Nein, für wen auch immer Sie diesen Diamanten gekauft haben, es ist eine glückliche Frau, die Ihnen sehr viel bedeutet. Sie haben Champagner abgelehnt und die Juwelen mit größter Sorgfalt begutachtet. Viele Leute kommen zu mir und wollen das Teuerste oder Exklusivste. Sie wollten etwas, das, wie Sie sagten, schön, aber einzigartig und rätselhaft ist.“ Ein weiteres aufrichtiges Lächeln blitzte auf. „Die Arbeit mit diesem Ring hat mir großen Spaß gemacht.“

Wieder verspürte er das seltsame Gefühl, dass die Zeit drängte. „Können Sie mir sonst noch irgendetwas sagen?“

„Letzte Woche haben Sie diesen Diamanten ausgesucht, wir haben das Design besprochen“, sagte sie mit einem Nicken zu der kleinen Box, „und vereinbart, dass Sie heute wiederkommen, um den Ring abzuholen.“

„Und ich habe keine Kontaktdaten hinterlassen? Keine
Telefonnummer, keine E-Mail?“

Ihre Finger tanzten über die Tastatur des Laptops. „Sie haben eine Adresse hinterlassen.“ Sie ratterte einen Straßennamen herunter. „In der Karibik, auf der Insel Grenada. Und einen Namen: Esmerelda Clark.“

Esmerelda.

Der Name wirbelte durch seinen Kopf. Er kannte diesen
Namen. Er konnte volle Lippen sehen, die zu einem seltenen Lächeln verzogen waren, grüne Augen mit goldenen Punkten, die vor Lachen funkelten, rote Locken um ein sommersprossiges Gesicht.

„Wissen Sie, wer sie ist?“, fragte er.

„Nein. Wie schon erwähnt, wir respektieren den Wunsch unserer Kunden nach Diskretion.“

Er wappnete sich gegen den plötzlichen Drang, aufzuspringen und Esmerelda Clark zu finden. Bestimmt hätte er bei einer so wichtigen Sache nicht den Namen irgendeiner beliebigen Frau genannt. Wahrscheinlich hatte sie wenigstens ein paar Antworten darauf, wer er war.

Aber irgendetwas sagte ihm, dass Esmerelda Clark nicht nur eine Informationsquelle war. Nein, sie war wichtig. Vielleicht war sie sogar die Frau, der er diesen Ring schenken wollte.

„Schreiben Sie mir bitte die Adresse auf?“

„Ja.“ Miss Smythe notierte die Adresse auf einem Blatt Papier und reichte es ihm. „Ich habe eine Bitte, Mr. Adamos.“

„Sie haben mir Antworten gegeben.“ Er nahm die Box auf. „Und einen unschätzbar wertvollen Ring. Nennen Sie Ihre Bitte, und sie ist erfüllt.“

Sie schenkte ihm ein rätselhaftes Lächeln. „Rufen Sie mich an, und erzählen Sie mir, wie die Geschichte ausgegangen ist.“

2. KAPITEL

Jeder, der am weißen Sandstrand von Little Cove Beach vorbeispazierte, konnte erkennen, dass die Frau in der Hängematte ihren Urlaub genoss.

Die Sonne schien durch die Palmen und wärmte ihre Haut. Eine sanfte Brise wehte von den himmelblauen Wellen herüber und trug den frischen, salzigen Duft des Karibischen Ozeans mit sich. Ein eiskaltes Glas grenadischer Rumpunsch stand griffbereit neben ihr im Sand.

Esme Clark seufzte. Es war schwer, den Urlaub zu genießen, nachdem sie vor etwas mehr als einem Monat von ihrem Ex-Chef und Ex-Liebhaber gefeuert worden war. Dass er ihr die Entlassung so eiskalt mitgeteilt hatte, machte es nur noch demütigender. Erst eine Woche vorher hatten sie sich in einer magischen Nacht in Paris geliebt.

Sex, erinnerte sie sich grimmig. Wir hatten Sex. Das war alles.

Einen Moment lang hatte sie tatsächlich geglaubt, sie wäre in ihren Chef verliebt. Dabei hatte sie von Anfang an gewusst, dass daraus nichts werden konnte. Er war ein Prinz. Der Thronfolger eines kleinen Inselstaates vor der Küste Portugals. Trotz der süßen Geschichten in den Hollywoodfilmen und Liebesromanen, die sie spätabends im Bett las, war die Realität grausam.

Prinzen heirateten ihre Bodyguards nicht.

Aber obwohl sie genau wusste, wie es ausgehen würde, hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben alle Vorsicht über Bord geworfen und ihren eigenen Wünschen nachgegeben. Wünschen, die sie ein Jahr lang verfolgt hatten – seit sie bei einer Parade verletzt worden war, als sie Prinz Julius beschützte.

Als er sie besucht und ihr Krankenzimmer betreten hatte, hatte sie aufstehen wollen. Doch er hielt sie sanft zurück, setzte sich an ihr Bett, plauderte mit ihr und schenkte ihr sogar eine spezielle Ausgabe ihres Lieblingsbuchs. Er brachte sie zum Lachen, und seine Augen funkelten, ein Beweis dafür, dass er sie als Frau wahrnahm.

Nach diesem Morgen im Krankenhaus veränderte sich etwas zwischen ihnen. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten, wie zum Beispiel, dass er zu einem Termin ihrer Physiotherapie auftauchte, um zu sehen, wie es ihr ging.

Immer wieder sagte sie sich, dass er dasselbe für jeden seiner Bodyguards getan hätte, der im Dienst verletzt worden war. Trotz aller Gerüchte über die kalte Art des Prinzen tat er viel für sein Volk.

Doch es war mehr gewesen als Fürsorglichkeit. Mehr als ein Jahr lang konnte Esme der Anziehungskraft zwischen ihnen widerstehen, den heißen Blicken, seinem Lächeln, wenn sie alleine waren.

Bis Paris. Bis sie eines Nachts schließlich nachgegeben hatte. 

Sie verbrachten eine himmlische Nacht miteinander – und weniger als eine Woche später rief der Prinz sie in sein Büro, wo er sie darüber informierte, dass er auf Anweisung seines Vaters, des Königs, nach einer Verlobten suchen würde.

Selbst jetzt war ihr, als würden eisige Finger ihr Herz umklammern, wenn sie sich daran erinnerte. Sie hatte ihn angestarrt und versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Als sie mit ihm ins Bett gegangen war, hatte sie gewusst, dass es nur von kurzer Dauer sein würde – höchstens eine Affäre.

Womit sie nicht gerechnet hatte, waren die Gefühle, die sie in seinem Arbeitszimmer verspürte: Eifersucht, Verletzung, Verlust.

Und dann hatte er ihr mit seiner kältesten Stimme gesagt, dass es unter den gegebenen Umständen besser wäre, wenn sie versetzt würde. „Es ist vorbei, Miss Clark, und zwar seit Paris.“

Wut erfüllte sie bei der Erinnerung, und sie genoss das Aufblitzen des Feuers in ihren Adern. Wut war mächtig. Denn die Wut riss sie aus dem dunklen Abgrund der Traurigkeit und des Selbstmitleids heraus.

Und des Verlangens. Es gab immer noch Momente, vor allem nachts, in denen die Sehnsucht ihren Körper entflammte, in ihre Träume eintauchte und Erinnerungen daran wachrief, wie der Prinz ihr das Hemd von den Schultern gezogen und seine Lippen über ihren Körper hatte gleiten lassen. Wie er seine Hände auf ihre Brüste gelegt hatte und …

Stopp! Sie hatte Verführung mit Zärtlichkeit und Sex mit Liebe verwechselt. Ja, Julius war der beste Liebhaber gewesen, mit dem sie je zusammen gewesen war. Bis jetzt, sagte sich Esme entschieden. Obwohl sie im Moment noch nicht einmal ansatzweise über die Möglichkeit nachdenken konnte, irgendwann Sex mit einem anderen Mann zu haben. Aber der Gedanke half ihr, sich zu sagen, dass sie mit ihrem Leben weitermachen würde.

Das und die Wut. Die Wut half am meisten.

Zum Glück hatte sie auch an jenem Tag in seinem Büro Zuflucht zu ihrer Wut nehmen können. Ihre Wut hatte die Tränen zurückgehalten und ihre Stimme gestärkt, als sie einfach nur den Kopf senkte und „Sehr wohl, Eure Hoheit“ antwortete. Der Schock in seinen Augen war ihre einzige kleine Freude, dann drehte sie sich um und ging.

Anstatt sich wegen ihrer Versetzung beim Royal Security Office zu melden, ging Esme direkt zu ihrer Wohnung im Flügel der Palastangestellten. Ihr Vater war der Leiter des Sicherheitsteams der königlichen Familie, und sie konnte jetzt weder ihm noch ihren Kollegen begegnen. Sie packte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, buchte ein Ticket nach Schottland und verfasste eine E-Mail mit ihrer Kündigung.

Am Flughafen drückte sie auf „Versenden“. Fünf Minuten später rief ihr Vater sie an – und das tat er seitdem fast jeden Tag.

Autor

Emmy Grayson
Emmys Begeisterung für Romances begann, als sie die legendären Nancy Drew Krimiromane las, in denen die gleichnamige Heldin allerhand mysteriösen Fällen auf die Spur ging. Dabei blätterte Emmy beim Lesen immer wieder zu den romantischen Kapiteln mit Ned Nickerson zurück. Mehr als 20 Jahre später machte Harlequin Presents ihren Traum...
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