Only You Band 11

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  • Erscheinungstag 12.04.2025
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 8207250011
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Allison Leigh

PROLOG

Die Dinge entwickelten sich ganz und gar nicht so, wie Evan es geplant hatte.

Begonnen hatte alles vor einem Jahr, mit einem Kurztrip in seinen Heimatort während der Semesterferien. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass sie bereits eingetroffen war. Dabei war er natürlich ganz subtil vorgegangen. Denn es war unklug, seine Trümpfe sofort aufzudecken, wenn es um Leandra Clay ging. Sie war zu scharfsinnig. Zu intelligent.

In seinem Bestreben, sich undurchschaubar zu geben, hatte er dummerweise seinen Mitbewohner vom Studentenwohnheim mitgebracht.

Jake hielt nicht viel von Zurückhaltung. Nach einem Blick auf Leandra hatte er keinen Hehl aus seiner Zuneigung gemacht.

Eigentlich war Evan selbst schuld. Hätte er Besitzansprüche angemeldet, wäre ihm sein Kumpel nicht in die Quere gekommen.

Das Problem war, dass Evan keinerlei Anspruch auf seine Traumfrau besaß.

Was hatte er also getan?

Nichts.

Und was tat er nun?

Ebenfalls nichts.

Er stand nur da in seinem steifen Anzug und der Krawatte, die ihn zu erwürgen drohte, und hob wie alle anderen Hochzeitsgäste sein Sektglas. „Auf das Brautpaar“, brachte er hervor, „und ein Leben voller Glück.“

Jake trug einen Smoking. Leandra, von Kopf bis Fuß ganz in Weiß, sah aus wie eine Märchenprinzessin. Sie lagen sich in den Armen und lachten glücklich, stießen auf den Toast an und küssten sich zärtlich.

Die beiden ließen sich kaum noch aus den Augen, seit Evan sie miteinander bekannt gemacht hatte.

Er wandte sich ab und leerte sein Glas in einem Zug. Doch selbst Unmengen an Alkohol konnten seinen Kummer nicht betäuben.

Er hatte geschwiegen, als er hätte reden sollen.

„He, du.“ Leandra berührte ihn am Arm. „Lauf nicht weg. Du musst unbedingt mit mir tanzen, nachdem Jake und ich unseren Pflichttanz aufs Parkett gelegt haben.“

„Ich wollte mir gerade noch etwas von dem feinen Blubberwasser holen.“

Mit einem Funkeln in den Augen, das allein ihrem funkelnagelneuen Ehemann galt, fragte sie: „Habe ich mich je bei dir bedankt? Dafür, dass du mir Jake vorgestellt hast? Wenn du nicht gewesen wärst, hätten wir uns nie kennengelernt.“

„Wozu sind Freunde da?“

Ihr entging der düstere Unterton in seiner Stimme. In ihrem Leben war in diesem Moment kein Platz für Düsternis. Denn sie hatte soeben ihren Traummann geheiratet.

Unverhofft schloss sie Evan in die Arme. Sie hüllte ihn in raschelnden Tüll und eine Wolke ihres lieblichen Parfums ein. „Danke.“

Dann eilte sie fort, zurück zu ihrem Angetrauten, ohne zu spüren, dass sie Evans Herz mit sich nahm.

Nein, die Dinge entwickelten sich ganz und gar nicht so, wie er es geplant hatte.

1. KAPITEL

Evan Taggart schreckte aus dem Schlaf auf und schoss im Bett hoch. In seinem Schlafzimmer stand eine unbefugte Person. „Verdammter …“ Er verstummte abrupt. Denn der junge Mann mit dem Körperbau eines Holzfällers war ihm nicht fremd. Ebenso wenig war das rote Auge der Fernsehkamera ein überraschender Anblick.

Gerade noch rechtzeitig schluckte Evan den derben Fluch hinunter, der ihm auf der Zunge lag, bevor er für die Ewigkeit eingefangen wurde – oder zumindest für die Sendedauer einer gewissen Reality-Show im Kabelfernsehen. Grimmig erklärte er: „Ich bin noch nie im Bett gefilmt worden, ob mit oder ohne Frau. Und ich lasse dich bestimmt nicht hier und jetzt damit anfangen.“

Ted Richards Grinsen wirkte geradezu unheimlich im grellen Licht des Scheinwerfers, den er neben dem Bett aufgebaut hatte. „Die Regisseurin wäre glücklicher, wenn du eine Frau unter der Decke hättest. Ihrer Meinung nach würde es die Einschaltquoten erhöhen.“

Evan war nicht amüsiert. „Wie bist du überhaupt reingekommen?“

„Leandra sagt, dass niemand seine Tür verschließt, weil es hier in Weaver so harmlos zugeht. Sie scheint recht zu haben.“

Das hätte ich ahnen müssen. Evan unterdrückte einen erneuten Fluch, der sich diesmal gegen Leandra Clay und ihre Rolle in der Farce richtete, zu der sein Leben in der letzten Woche geworden war. „Stell das Ding ab“, verlangte er. Wäre er nicht die halbe Nacht unterwegs gewesen, um einen kranken Bullen zu versorgen, hätte er den Überfall des Kameramanns niemals verschlafen.

Ted nahm das schwere Gerät jedoch nicht von der Schulter. Das rote Lämpchen leuchtete weiterhin hell und klar. „Lass nicht deine Wut am Falschen aus, Mann“, entgegnete er leichthin. „Ich tue nur meinen Job.“

Dieser Job bestand darin, Evan sechs Wochen lang auf den Fersen zu bleiben, für eine Kabelfernsehserie namens Walk in the Shoes, abgekürzt Wits. Sie wurde unter Leandras Regieassistenz gedreht und sollte, getreu dem Titel, den Zuschauern den Eindruck vermitteln, in den Schuhen einer interessanten Persönlichkeit zu wandeln. „Keiner hat mir gesagt, dass es zu deinem Job gehört, in meine intimste Privatsphäre einzudringen.“

Ted wirkte noch immer völlig ungerührt und machte keinerlei Anstalten, die Kamera abzustellen. Doch er wandte den zotteligen blonden Schopf, als leichte Schritte auf der Treppe ertönten.

Einen Moment später schlitterte förmlich die Frau herein, die Evan diese Kopfschmerzen bereitete. Er erhaschte einen Blick in schokoladebraune Augen, bevor sie die Aufmerksamkeit auf den Kameramann richtete.

„Ted, mach das Ding aus. Du solltest gar nicht hier sein.“ Leandra schob sich den Riemen ihrer riesigen Umhängetasche höher auf die Schulter und strich sich mit schlanker Hand durch das kurze zerzauste Haar.

Gehorsam senkte er die Kamera. „Dann gehe ich jetzt zurück ins Motel und hau mich noch mal aufs Ohr“, verkündete er unbekümmert. „Hat sich was am Plan für heute geändert?“

Sie schüttelte den Kopf. „Bisher nicht. Wir sehen uns später.“

Er nickte und ging hinaus. Seine Schritte polterten auf den Stufen. Einen Moment später fiel die Haustür ins Schloss.

Evan wünschte, er hätte mehr als nur zwei Stunden geschlafen. Er musste seine fünf Sinne beisammenhaben, wenn er es mit Leandra zu tun hatte.

Verlegen murmelte sie: „Tut mir leid.“

Was? Dass du Chaos in mein friedliches Leben bringst?

„Ich habe ihn nicht hergeschickt. Und ich bin gekommen, sobald ich erfahren habe, dass er hier ist.“

Als ob das alles wieder gutmacht! Wann hab ich endlich meinen Frieden?

Evan war mit ihr im Kreis ihrer Geschwister und Cousins aufgewachsen. Aber was in aller Welt hatte er sich zuschulden kommen lassen, dass er noch immer jedes Mal einen Ruck verspürte, wenn er dieses eine Mitglied des Clay-Clans erblickte? Ungeachtet dessen, dass sie einmal mit seinem besten Freund verheiratet gewesen war!

Sie trug eine Flanellhose, die mit Cartoon-Hühnern bedruckt war, und dazu ein langärmeliges rosa Shirt mit der Aufschrift WITS über den Brüsten. Die Kleidung verbarg nicht, dass ihr Körper mit reizvollen Rundungen gesegnet war. Sie sah aus, als wäre sie ganz überstürzt aus dem Bett gesprungen. Zu seinem Leidwesen trug sie nicht einmal eine Jacke, sodass er deutlich an ihren Brustspitzen erkennen konnte, wie verdammt kalt es draußen war.

Es war September in Wyoming. Es war vier Uhr morgens. Leandras Körper unter der dünnen Kleidung wirkte sehr verlockend.

„Nun? Willst du gar nichts sagen?“ Sie reckte das Kinn vor und stellte den grellen Scheinwerfer ab, den Ted zurückgelassen hatte.

„Ich habe noch nie Hühner mit Hasenohren gesehen“, bemerkte Evan. „Ist das der neueste Schrei in Kalifornien?“

„Das habe ich nicht gemeint.“

Es freute ihn, dass sie verlegen wirkte. Dadurch fühlte er sich ein bisschen besser. Nun musste er sie nur noch aus seinem Schlafzimmer scheuchen. Er schickte sich an aufzustehen.

Sobald sie seine nackten Beine erblickte, runzelte sie die Stirn und eilte zur Tür. „Ich setze Kaffee auf.“

„Eine gute Idee.“

Hastig floh sie die Treppe hinunter.

Das war der ultimative Beweis dafür, dass sie nicht im Mindesten daran interessiert war, ihn nackt zu sehen. Missmutig ging er ins Badezimmer, zog sich schnell etwas an und folgte ihr in die Küche. „Wolltest du nicht Kaffee kochen?“

„Ich bin dabei.“ Leandra schloss den Kühlschrank. „Ich kann ihn nicht finden.“

Er öffnete einen Hängeschrank und holte die Dose heraus. „Ich nehme an, du bist an eine vornehme Marke gewöhnt, die man selbst mahlt.“

Als Antwort verzog sie das Gesicht.

Evan wusste sehr wohl, dass Jake – sein guter Kumpel – teuren und frisch gemahlenen Kaffee bevorzugte. Warum sollte seine Frau anders sein?

Exfrau, rief er sich in Erinnerung. Auch wenn es nichts nützte.

Du bist schlicht und einfach ein Dummkopf. Und Gott schützt keine Dummköpfe namens Evan Taggart.

Vielmehr sandte er eine Strafe in Form einer goldblonden Elfe, der Evan noch immer nichts abschlagen konnte.

Nun musterte sie ihn mit diesen braunen Rehaugen, die zu groß für ihr herzförmiges Gesicht wirkten.

Er löffelte seinen billigen Kaffee aus dem Supermarkt in eine frische Filtertüte. „Willst du auch was davon trinken?“

„Wenn du mir was anbietest.“

Er erhöhte die Pulvermenge. Gleichzeitig füllte Leandra Wasser in die Kanne. Ihre Finger berührten sich, als sie ihm das Gefäß reichte.

Er füllte die Maschine und schaltete sie ein. Ein Gurgeln ertönte. „Ich gehe schnell duschen, bevor der Spanner wiederkommt.“

„Ted ist nicht pervers“, entgegnete sie. „Er tut nur, was Marian ihm aufgetragen hat.“

„Dann ist eben diejenige, die abartig ist“, murrte Evan auf dem Weg die Treppe hinauf.

Was hatte er sich bloß dabei gedacht, in die Teilnahme an dieser blöden Show einzuwilligen?

Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, wegen WITS an Evan Taggart heranzutreten?

Dass es ein Sprungbrett für meine Karriere sein könnte, das Leben eines gut aussehenden Tierarztes zu dokumentieren.

Leandra presste sich die Fingerspitzen an die pochenden Schläfen. Dieser Tierarzt hatte eigentlich ihr Exmann Jake Stallings sein sollen. Selbst nach der Scheidung war er normalerweise bereit, ihr fast jeden Gefallen zu erweisen.

Außerdem war er genau das, was der Regisseurin Marian Hughes vorschwebte: ein charismatischer, gut aussehender Tierarzt für verwöhnte Schoßtiere von Stars und Sternchen.

Doch aus Gründen, die nur er kannte, hatte er ihre Bitte ausgeschlagen und sie an seinen alten Freund und Mitbewohner vom College verwiesen.

Evan Taggart, der Leandras Spielgefährte aus Kindertagen war und ihr Jake überhaupt erst vorgestellt hatte.

Sie hörte Wasser in den alten Rohrleitungen rauschen und sah Evan im Geiste unter der Dusche stehen. Sie bemühte sich, das Bild zu verdrängen. Es war schlimm genug, dass sie ihn bis zur Taille nackt im Bett gesehen und sich unwillkürlich gefragt hatte, was er unter der Decke tragen mochte.

In ihrer Eile, ihn vor Teds Kamera zu retten, hatte sie noch nicht mal geduscht. Sie sehnte sich danach, es nachzuholen und die saubere Kleidung aus ihrer übergroßen Umhängetasche anzuziehen. Doch das wollte sie erst im Haus ihrer Cousine Sarah tun, wo sie während der Dreharbeiten wohnte.

Ganz gewiss wollte sie Evan nicht fragen, ob sie sein Badezimmer benutzen durfte. Er ließ sie deutlich genug spüren, dass er jeden gemeinsamen Moment als Störung betrachtete.

Sie war sich immer noch nicht sicher, warum er überhaupt eingewilligt hatte, an ihrem Projekt teilzunehmen. Sicher, sie kannten sich seit ewigen Zeiten, und er und Jake waren noch immer gute Freunde, aber die Zusage war trotzdem überraschend. Angenehm überraschend zunächst, bis sie in der vergangenen Woche mit ihrem Team angerückt war und nun am eigenen Leib spürte, wie unangenehm Evan sein konnte.

Aber sie legte großen Wert darauf, dass dieser Dreh gut verlief. Denn dann konnte sie endlich Marians Fuchtel entgehen und ihre eigenen Projekte verwirklichen, in denen keine halb nackten Tierärzte vorkamen.

Die Rohre oberhalb ächzten ominös und verstummten. Hastig suchte Leandra im Kühlschrank und den Schränken.

Das Frühstück war fast fertig, als Evan kurze Zeit später in die Küche kam und zur Kaffeemaschine ging. „Das riecht gut.“

Sie wusste nicht, ob er den Kaffee oder die Eier mit Bacon meinte. Sie drehte das Omelett mit einem gekonnten Schwung in der Pfanne um, bevor sie einen Schluck aus ihrem Becher trank und Evan über den Rand hinweg musterte.

Zumindest war er nun bekleidet, auch wenn das weiße T-Shirt jeden einzelnen Muskel betonte, den er guten Genen und einem aktiven Lebensstil verdankte. Die Jeans waren verwaschen, hauteng und verdammt sexy an seinem eindrucksvollen Körper.

Verflixt. Es war nicht der richtige Augenblick für ihre Leidenschaft, zum Leben zu erwachen, nachdem sie jahrelang so friedlich geschlummert hatte. Der Dämmerzustand war Leandra wesentlich lieber. Er machte das Leben viel unkomplizierter.

Sie ließ das Omelett auf einen Teller gleiten, beträufelte es mit Sauce hollandaise, legte Toast und gebratenen Bacon dazu.

Evan starrte auf den Teller, als hätten seine strahlend blauen Augen nie etwas Derartiges erblickt. „Jake hat immer gesagt, dass du nicht besonders gut kochen kannst.“

„Hält dich das davon ab, es zu essen? Das sind nur Eier und Bacon.“

„Raffinierte Eier.“ Er nahm ihr den Teller aus der Hand und stellte ihn auf den quadratischen Eichentisch, den er an die Wand geschoben hatte.

Vermutlich, um Platz zu schaffen für den Laufstall, der einen guten Teil der Küche einnahm. Er war momentan leer. Aber Leandra wusste, dass er für Nachwuchs gedacht war, der nicht von der menschlichen Spezies abstammte. Noch vor einigen Tagen hatte er ein Lämmchen beherbergt.

„Ich hoffe, du hast für dich auch was gemacht“, fügte er hinzu.

„Aber sicher.“ Sie richtete einen Teller für sich selbst her und setzte sich an den Tisch. „Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich mich in deiner Küche ausgetobt habe.“

Es zuckte um Evans Mundwinkel. Er warf ihr einen Blick unter Wimpern zu, die geradezu sündhaft lang waren. „Ich esse doch, oder?“

In der Tat. Sie beobachtete, wie er genüsslich in eine Scheibe Toast biss, und senkte hastig den Blick. Wer brauchte schon im September eine Jacke? Ihr war von innen her ganz heiß. Sie nahm einen Schluck Kaffee und verschluckte sich prompt.

„Ist alles klar?“

„Bestens“, behauptete sie heiser. „Und es tut mir wirklich leid, dass Ted dich so überfallen hat. Hätte ich von Marians Plan gewusst, hätte ich es ihr ausgeredet.“

„Wie denn? Sie ist schließlich deine Chefin.“

„Genau so, wie ich ihr einige andere absurde Ideen ausgeredet habe. Wie lange hat Ted dich gefilmt?“

„Offensichtlich lange genug. Sonst hätte er sich nicht so bereitwillig verdrückt.“

Das konnte Leandra nicht leugnen. Vermutlich hatte Ted die Aufnahmen im Kasten, die Marian von ihm erwartete. „Zumindest warst du allein.“

Evan bedachte sie mit einem abschätzigen Blick. „Ach ja?“

„Etwa nicht? War jemand hier, bevor ich gekommen bin?“

„Nein. Die einzigen Fremdkörper in meinem Zimmer waren du und dein Kameramann. Und er war ein höllischer Anblick beim Aufwachen. Wie hast du eigentlich erfahren, dass er hier war?“

Insgeheim atmete sie auf. „Marian hat es mir vorhin am Telefon gesagt.“

„Sprichst du etwa immer vor vier Uhr morgens mit deiner Chefin?“ Er ließ es wie eine Anschuldigung klingen.

„Nur, wenn sie von der Ostküste anruft, wo sie gerade ein anderes Projekt abdreht, und mir ein paar Stunden voraus hat.“

„Hast du deswegen noch deinen Schlafanzug an?“, wollte er wissen. „Bist du etwa aus dem Bett gesprungen und mir Hals über Kopf zur Rettung geeilt?“

Leandras Wangen glühten. Tatsächlich hatte es sich genau so zugetragen, was lächerlich war. „Du bist weniger rettungsbedürftig als jeder andere Mann, den ich kenne. Und dieses Outfit ist nicht unbedingt ein Schlafanzug, sondern einfach eine Hose und ein Shirt.“

„Ach so. Dann sag mir, wo du kochen gelernt hast. Ich weiß, dass es nicht bei deiner Mutter gewesen sein kann. Emily hat oft geklagt, dass du zu zapplig warst, um lange genug stillzustehen und dir etwas anzuhören, was mit der Küche zusammenhängt.“

„Du weißt zu viel von mir.“ Sie seufzte. „Das kommt davon, wenn man mit jemandem zusammenarbeitet, den man schon seit der Kindheit kennt.“

„Glaubst du etwa, dass ich andernfalls diesem verdammten Projekt zugestimmt hätte?“ Evan strich sich durch das Haar. Die kurzen Strähnen waren noch feucht von der Dusche und standen ihm wie schwarz-blaue Spikes vom Kopf ab. „Erzähl mir, warum dir diese Show so wichtig ist.“

„Alle Storys, die wir für WITS gedreht haben, sind mir wichtig.“

Er blickte sie eindringlich an.

„Na ja, die Serie über dich ist ein bisschen wichtiger. Hast du eigentlich an allem, was ich tue, etwas auszusetzen?“

„Nicht an allem. Das Frühstück war gut.“

„Wenigstens etwas“, murmelte Leandra.

„Was du übrigens nicht erklärt hast.“

„Bacon braten und Eier verrühren ist nicht gerade eine kulinarische Meisterleistung.“

„Aber diese Soße. Sie kommt nicht aus der Packung.“

„Die besteht nur aus Butter, Ei und Zitronensaft. Keine große Sache. Wieso hast du eigentlich so viele Zitronen im Kühlschrank?“

„Meine Eltern haben sie mir aus dem Urlaub in Florida geschickt. Wechsle nicht das Thema.“

„Ich habe in Frankreich ein paar kulinarische Tricks gelernt.“

Einen Moment lang wurde er ganz still. Denn nach Frankreich war sie mit Jake auf Hochzeitsreise gefahren. Und dorthin war sie vor vier Jahren nach der Scheidung zurückgekehrt. Nachdem sie Emi verloren hatten.

Schließlich brach Evan das Schweigen. „Ich schätze, wenn man richtig kochen lernen will, ist Frankreich der gegebene Ort dafür.“

„Ich habe keinen Unterricht genommen. Ich habe mir nur ein paar Dinge von Edouard angeeignet.“

Er zog eine Augenbraue hoch und hakte mit übertriebenem französischen Akzent nach: „Eh-duh-ahr?“

Pikiert stand sie auf und sammelte die Teller ein.

„Weiß Jake, dass du drüben einen Mann kennengelernt hast?“

Sie stellte die Teller mit lautem Klappern in die Spüle und drehte den Hahn voll auf. Wasser prasselte auf das Geschirr und spritzte auf ihr Shirt. „Da gibt es nichts für ihn zu wissen. Hast du vergessen, dass wir geschieden sind? Und das schon seit mehreren Jahren.“

„Trotzdem hast du dich wegen dieser Sendereihe an ihn gewandt, bevor du zu mir gekommen bist.“

Leandra hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass Evan nicht ihre erste Wahl war, was WITS anging. „Was ist los? Fühlst du dich als Lückenbüßer?“ Sie kam sich gehässig vor, kaum dass die Worte ausgesprochen waren. Dabei lag Evans angebliche Schwärmerei für sie eine Ewigkeit zurück und beruhte eigentlich nur auf einem Streit mit seiner damaligen Freundin Lucy, die zufällig ihre Cousine war.

Wider Erwarten wirkte er nicht betroffen. Er trat näher zu ihr, als ihr lieb war. „Ich schätze, wir wären jetzt nicht hier, wenn das ein Problem für einen von uns wäre.“ Seine tiefe Stimme klang freundlich und gelassen.

Sie fühlte sich aus dem Lot geraten und wusste nicht, warum. Evan hatte es nie wirklich ernst mit ihr gemeint. Seine Verliebtheit in ihre Cousine hatte ihn zu sehr beschäftigt. Doch Lucy war nach der Highschool nach New York gegangen, um als Tänzerin Karriere zu machen, und seitdem meinte er es mit niemandem mehr ernst. Vor allem zu Collegezeiten hatte er laut Jake die Frauen gewechselt wie die Hemden.

„Ich fasse dein Schweigen als Zustimmung auf“, sagte Evan nach einer Weile. Er griff an ihr vorbei und schloss den Hahn.

Sein Arm streifte ihre Schulter. Es gelang ihr nur mit Mühe, nicht zusammenzuzucken. „Ich habe überhaupt kein Problem“, versicherte sie.

„Gut. Danke für das Frühstück.“ Und damit schlenderte er aus der Küche.

Leandra versuchte, den unergründlichen Schauer zu unterdrücken, der ihr über den Rücken rann. Und erneut fragte sie sich, was sie sich eigentlich dabei gedacht hatte, sich ausgerechnet an Evan zu wenden.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Leandra zu Sarahs Haus zurückkehrte. Es stand im Ortszentrum, gegenüber vom Park und der Highschool.

Erst allmählich lernte sie den Charme des kleinen Städtchens schätzen. Bisher war sie zu erpicht darauf gewesen, dem verschlafenen Nest zu entfliehen, um die Vorzüge zu bemerken.

Sie parkte neben der Garage und ging zur Hintertür hinein, die stets unverschlossen war und direkt in die Küche führte.

So leise wie möglich brachte sie ihre Tasche in das zweite Schlafzimmer und ging barfuß in das Badezimmer. Sie drehte den Hahn in der Dusche auf und wartete, bis das heiße Wasser den kleinen Raum aufheizte. Sie war durchgefroren bis auf die Knochen. Schließlich hatte sie sich nicht für einen kalten Herbstmorgen gekleidet. Das war der Grund für die Schauer, die ihr über den Körper rannen. Auf keinen Fall war Evan der Auslöser.

Sie trat unter den dampfenden Strahl und seufzte, als das heiße Wasser wie Nadelstiche auf ihre Haut prasselte.

„Ich dachte, ich hätte dich schon weggehen hören!“, rief Sarah.

„Da hast du richtig gehört.“ Leandra spähte um den gestreiften Duschvorhang herum. „Ich brauche nur noch eine Sekunde. Du musst dich bestimmt für die Schule fertig machen.“

„Stimmt. Tut mir leid.“ Sarah drehte den Wasserhahn am Waschbecken auf und griff nach ihrer Zahnbürste. „Ich habe heute Morgen ein Elterngespräch vor dem Unterricht. Die Zeit ist knapper als gewöhnlich.“

Leandra stellte sich wieder unter den Wasserstrahl und spülte sich das Shampoo aus den Haaren, bevor sie die Duschkabine räumte. „Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte lieber mit den anderen im Motel absteigen sollen, anstatt dir zur Last zu fallen.“

„Dummkopf! Du bist doch keine Last.“ Neugierig wollte Sarah wissen: „Wo warst du eigentlich vorhin?“

„Bei Evan.“

„Mitten in der Nacht? Gibt es da was zu gestehen?“

Leandra schüttelte nur den Kopf und ging hinaus. „Ich setze Kaffee auf, falls du Zeit dafür hast.“

„Dafür habe ich immer Zeit.“

Der Kaffee war halb durchgelaufen, als Sarah in die Küche kam. Ihr langes rotblondes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten. Sie trug einen weiten beigen Sweater über einem knöchellangen roten Rock und sah wie eine züchtige Grundschullehrerin aus.

Leandra wusste jedoch, dass ihre Cousine keineswegs so sittsam war. Schließlich hatten sie in ihrer Kindheit und Jugend wie Pech und Schwefel zusammengehalten. Sie füllte einen Becher mit schwarzem Kaffee. „Hier.“

„Danke.“ Sarah nahm einen Schluck. „Also, was ist mit Evan? Will er vor dem Dreh kneifen?“

„Womöglich hasst er jede Minute, aber er macht bestimmt keinen Rückzieher. Es ist zwar lange her, seit ich aus Weaver weggezogen bin, aber ich bezweifle, dass er sich in dieser Hinsicht geändert hat.“

„Stimmt. Er ist im Allgemeinen sehr verlässlich. Aber in welcher anderen Hinsicht sollte er sich verändert haben?“

„Keine Ahnung.“

Sarah wirkte skeptisch, ließ es aber dabei bewenden. „Hast du heute Abend Zeit? Die ganze Familie trifft sich zum Dinner im Colbys, um die Überraschungsparty für Grandpa Squire zu planen.“

„Das lasse ich mir um nichts in der Welt entgehen.“

„Ein Glück! Seit du wieder hier bist, beschäftigst du dich dermaßen mit den Dreharbeiten, dass wir noch gar keine Gelegenheit hatten, richtig mit dir zu reden.“ Sarah hängte sich eine Jacke um die Schultern und griff nach ihrer Tasche. „Alle wollten mich ausquetschen, aber ich musste sie enttäuschen, weil selbst ich nichts Neues von dir weiß.“

Leandra wurde das Herz schwer. In den letzten Jahren hatte sie sich nicht einmal Sarah anvertraut. Denn niemand konnte nachvollziehen, was sie seit Emis Tod durchmachte. Aus eigenem Verschulden.

Sarah warf einen Blick auf die Wanduhr. „Ich muss los“, verkündete sie und war schon zur Tür hinaus.

Leandra musterte die Küche, die derzeit in gedämpften Grüntönen gestrichen war. Auf der Arbeitsfläche standen hübsche gelbe Behälter aufgereiht, die farblich zu den Platzmatten auf dem Tisch und dem Geschirrhandtuch an der Backofentür passten.

Das Einzige, was aus dem Rahmen fiel, waren die Fotos am Kühlschrank. Bisher hatte sie nicht gewagt, sie anzusehen. Eigentlich sträubte sie sich noch immer dagegen. Doch aus irgendeinem Grund wurde sie magisch angezogen, bis sie nur noch wenige Zentimeter entfernt stand. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Ihr wurde flau im Magen. Ihr war heiß und kalt zugleich.

Automatisch überflog sie die Schnappschüsse von Sarahs Schülern.

Je mehr sie sich einredete, dass sie das hübsche Gesicht nicht sehen wollte, umso mehr musste sie sich eingestehen, dass sie es unbedingt sehen wollte. Doch es war nicht vorhanden. Ihre Tochter, deren Geburt die nächste Generation der Familie eingeläutet hatte, war entfernt worden.

Erschüttert und mit brennenden Augen wandte Leandra sich ab. Sie zweifelte nicht daran, dass einst zahlreiche Bilder von Emi an diesem Kühlschrank gehangen hatten. Sie selbst hatte Dutzende von Fotos aufgenommen und verschickt.

Fassungslos lief sie ins Badezimmer und presste sich einen nassen Waschlappen auf das Gesicht. Die Rückkehr nach Weaver, wie vorübergehend sie auch sein mochte, verstärkte nur noch den Kummer.

Sie hörte ihr Handy in der Küche klingeln. Nur ein einziger Anrufer war mit diesem Klingelton gespeichert. Beethovens Fünfter. Ted war auf die Idee gekommen, die dramatische Tonfolge ihrer Chefin zuzuordnen.

Leandra schleppte sich in die Küche, sank auf einen Stuhl und klappte das Handy auf. „Hallo, Marian. Was gibt’s?“

„Hast du mit deinem Tierarzt über unser Problem gesprochen?“

„Evans Liebesleben geht uns nichts an. Das ist nicht der Schwerpunkt von WITS. Wir wollen sein Leben als Tierarzt präsentieren.“

„Wenn wir nur das wollten, würden wir es Dokumentation nennen und nicht Reality-Show.“

Marian nannte ihre Sendung aus einem einzigen Grund Reality-Show: weil es moderner klang und reizvoller auf ihre Zielgruppe der Frauen zwischen vierundzwanzig und fünfunddreißig wirkte. Dass WITS eine angesehene Dokumentarreihe über interessante Vertreter gehobener Berufsstände gewesen war, bevor Marian vor etwas über einem Jahr an Bord gekommen war, interessierte offensichtlich kaum noch jemanden.

Doch eine Diskussion darüber hätte zu nichts geführt. „Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Du sollst nicht sehen, sondern handeln. Dieser Typ mag eine Augenweide sein, aber das allein wird bald langweilig. Ich will mehr Pep.“ Marians Stimme hob sich. „Wenn du mir das nicht bietest, suche ich mir jemanden, der es tut. Also, verstehen wir uns?“

Leandra verzog das Gesicht. „Ich verstehe dich perfekt. Wenn es sonst nichts mehr gibt, muss ich jetzt weitermachen.“

„Gut. Aber vergiss nicht: Ich will Pep.“

2. KAPITEL

„Eine Befruchtung sollte eigentlich erotischer aussehen, auch wenn es eine künstliche ist.“

Leandra warf Ted einen finsteren Blick zu. Es war später Nachmittag, und sie drehten bereits seit dem frühen Morgen. Es war fraglich, wer erschöpfter war – Leandra und ihre Crew außerhalb der kleinen Koppel oder Evan und seine Leute, die innerhalb mit einem prächtigen Rappen arbeiteten.

„Bei der Pferdezucht wird nichts dem Zufall überlassen.“ Sie sprach leise, um nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen nicht erneut eine Störung zu verursachen. „Und die Befruchtung findet sowieso nicht jetzt gleich statt.“

„Ich weiß. Sie müssen das Pferd erst mal dazu bringen, seinen …“

„Genau“, unterbrach sie, denn sie hatte schon genügend Witze über die Samengewinnung gehört.

„Na ja, ich schätze, du kennst dich damit aus, nachdem du hier aufgewachsen bist.“

Mit „Hier“ war das Gestüt gemeint, das ihr Vater Jeff kurz nach der Heirat mit ihrer Mutter gegründet hatte. „So ist es“, murmelte sie geistesabwesend. Sie konzentrierte sich mehr auf das Geschehen auf der Koppel als auf ihre Pflichten hinter der Kamera. Ganz besonders achtete sie auf Evan. Seine Kleidung aus Jeans und T-Shirt war verstaubt, sein kurzes schwarzes Haar zerzaust, sein Gesicht von Bartstoppeln verdunkelt. Was hatte dieser Typ nur an sich, das so faszinierend auf sie wirkte?

„Erde an Leandra!“

Sie befeuchtete sich die Lippen und drehte sich zu Ted um. „Was ist denn?“

„Ich habe gefragt, ob du so was schon mal mit einem Pferd gemacht hast.“

„Nur mit einem Hengst“, konterte sie grinsend. „Ja, ich habe schon mal geholfen, Samen zu gewinnen. Und bevor du anzügliche Bemerkungen machst, es ist ein Geschäft. Ein großes Geschäft. Hast du eine Ahnung, wie hoch die Deckgebühr bei einer makellosen Abstammung sein kann?“

Es war eine hypothetische Frage, da sie schon den ganzen Tag über solche Dinge sprachen. Northern Light musste sich erst noch als Deckhengst bewähren, aber sein Erzeuger brachte Deckgebühren im sechsstelligen Bereich ein. „Es gibt Probleme mit Northern Light, weil er noch nie ‚angezapft‘ wurde. Er ist noch unerfahren.“

Ted grinste. „Unerfahren? Bestimmt würde er bloß viel lieber eine heißblütige Stute besteigen als das kalte Gerät, das Evan ihm da hinhält.“

„Das nennt man Phantom. Es ist eine künstliche Scheide. Achtung! Howard bringt eine Stute, um Northern Light in Wallung zu bringen.“ Leandra trat ein wenig beiseite und beobachtete die Reaktion des Hengstes.

Er stellte die Ohren auf; sein glänzendes schwarzes Fell zuckte; sein Schweif schlug; er warf sich gegen die Umzäunung in dem Drang, zur Stute zu gelangen.

Ihr Vater Jeff hielt die Zügel fest im Griff, um zu verhindern, dass Northern Light sich aufbäumte.

Janet Stewart, ein Teammitglied, zupfte Leandra nervös am Arm. Mit ängstlicher Miene beobachtete sie, wie eine halbe Tonne Pferd gegen die Männer kämpfte. „Es kann ihnen doch nicht ernsthaft was tun, oder?“

Ein Hengst konnte durchaus einen Mann zerquetschen. Doch Jeff verstand hervorragend mit Tieren umzugehen und war körperlich in Bestform, obwohl er die sechzig bereits überschritten hatte. Und natürlich stand Evan ihm in nichts nach. „Keine Angst. Es wird schon nichts passieren“, flüsterte sie.

Northern Light versuchte erneut zu steigen. Er schnaubte aufgeregt und stellte den schwarzen Schweif auf.

Janet rang nach Atem und rief: „Wow! Ist er gerade dabei …“

Leandra bedeutete ihr mit einem Finger an den Lippen, den Mund zu halten. Die Antwort auf die halb formulierte Frage ergab sich von selbst, als Northern Light schlagartig das Interesse an der Stute verlor.

Howard, der älteste Rancharbeiter, brachte die Sammelröhre mit dem wertvollen Beitrag zur Zucht fort. Jeff führte Northern Light zurück in den Stall.

Normalerweise war die Anwesenheit eines Tierarztes bei diesen Vorgängen nicht erforderlich. Da Evan jedoch Mitbesitzer des Pferdes war, hegte er ein persönliches Interesse.

Eine Augenweide, wie Marian gesagt hat, dachte Leandra, als er sich ihr nun mit lässigem Gang näherte.

„Ist dir eigentlich klar, was für ein gewaltiger Störfaktor du mit deinem Team bist?“, fragte er vorwurfsvoll. „Ihr habt Northern Light dermaßen abgelenkt, dass es fast einen ganzen Tag gekostet hat, was sonst in zwei Stunden zu schaffen ist. Ein Wunder, dass Jeff euch überhaupt erlaubt hat, hier zu drehen.“

„Das ist wohl einer der Vorzüge, die einzige Tochter vom Boss zu sein.“ Ihre Stimme klang genau so schroff wie seine.

Er presste die Lippen zusammen und blickte zu Ted hinüber. „Filmt der etwa immer noch?“

„So war es abgemacht. Hast du das vergessen? Unser Team verfolgt anderthalb Monate lang deine täglichen Aktivitäten. Wie sonst können unsere Zuschauer sich in deine Lage versetzen?“

„Ich erinnere mich durchaus an die Vereinbarung. Das bedeutet aber nicht, dass sie mir gefällt. Am wenigsten gefällt mir, dass sich die Unannehmlichkeiten auf meine Kunden erstrecken. Ob er nun dein Daddy ist oder nicht, Jeff ist einer meiner besten Kunden und soll es auch bleiben, wenn du deinen süßen Hintern zu deiner nächsten Eskapade bewegst.“

„Schnitt!“, wies Leandra zwischen zusammengebissenen Zähnen an. „Janet, geh mit Ted zu Howard ins Labor. Lasst euch erklären, was er macht, und nehmt alles auf. Da steckt ganz schön viel Wissenschaft drin. Das könnte unsere Zuschauer interessieren.“ Sie spürte ihr Handy vibrieren, ignorierte es aber. „Danach machen wir Schluss für heute.“

Den Dreh vorzeitig zu beenden, sagte Janet eindeutig zu. Sie beabsichtigte, das Wochenende zusammen mit Paul, einem weiteren Teammitglied, in Cheyenne zu verbringen. Beide waren Mitte zwanzig und wollten mehr Rummel erleben, als die verschlafene Kleinstadt zu bieten hatte. Ted dagegen hatte Frau und Kleinkind zu Hause in Los Angeles und wollte in Weaver bleiben.

Sobald die Kamera nicht länger stummer Zeuge war, bemerkte Evan spöttisch: „Erstaunlich, dass du dermaßen die Chefin herauskehrst, Leandra.“

„Bei diesem Dreh bin ich aber nun mal der Boss.“

„Solange Marian es zulässt.“

Sie ignorierte den Seitenhieb. „Wie auch immer, ich habe es nicht nötig, mich vor meinen Leuten von dir zurechtweisen zu lassen, weil du die Situation gelegentlich unangenehm findest.“

„Gelegentlich?“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, den ganzen Tag von einer Kamera verfolgt zu werden. Du weißt nur, wie es dahinter ist.“

Die Tatsache, dass er recht hatte, erleichterte ihr Gewissen keineswegs. Das Handy vibrierte erneut. Sie riss es sich vom Gürtel, klappte es auf und fragte schroff: „Ja bitte?“

Ein tiefes Lachen ertönte. „Deinem Ton nach zu urteilen, bist du überglücklich, von mir zu hören.“

„Oh! Hallo, Jake.“ Leandra beobachtete, wie Evan sich abwandte und davonging. „Ich dachte, es wäre Marian. Was ist passiert?“

„Wer sagt denn, dass etwas passiert sein muss?“

„Du rufst mich normalerweise nicht an, wenn ich mitten im Dreh bin.“

Schon seit der Trennung erkundigte er sich regelmäßig etwa einmal im Monat, wie es ihr ging. Auch wenn sie es als Ehepaar nicht geschafft hatten, waren sie sich nicht gleichgültig geworden.

„Eigentlich rufe ich an, um zu hören, wie es Ev geht.“

Ev war inzwischen zwanzig Schritte entfernt und redete mit Jeff, der gerade aus dem Stall gekommen war. „Warum? Er ist doch schon ein großer Junge.“

„Ja, aber er hasst so viel Rummel um seine Person. Das weißt du genau.“

„Dann hätte er dem Dreh nicht zustimmen dürfen. Es wäre für alle Beteiligten viel einfacher gewesen, wenn du eingewilligt hättest. Dann hätte ich überhaupt nicht nach Weaver kommen müssen. Du hast mir nicht mal eine Ausrede genannt. Nur, dass du einen Grund hättest.“

„Das stimmt ja auch. Also, gib ihn mir mal. Ich muss mit ihm reden.“

„Ach, und deswegen rufst du mein Handy an?“, entgegnete sie gespielt empört. Sie kroch durch die Umzäunung. „Du willst gar nicht mit mir reden, sondern bloß mit deinem Kumpel!“

„Von ihm erfahre ich wenigstens, wie es dir wirklich geht.“ Jakes Stimme klang ernst.

Leandra trat zu Evan. „Hier, du Maulwurf. Dein Komplize Jake will mit dir reden.“ Sie reichte ihm das Handy und wandte sich ab. Sie wollte nicht hören, was er zu berichten hatte. Es ärgerte sie maßlos, dass er überhaupt etwas über sie verlauten lassen könnte. Sie spann lustvolle Fantasien um ihn, doch er behielt sie nur für ihren Exmann im Auge.

Ihr Vater hatte ihren finsteren Blick aufgefangen und holte sie ein. „Du stehst immer noch in Kontakt zu Jake?“

„Keine Sorge, Dad. Wir kommen nicht wieder zusammen.“

„Er ist ein guter Kerl. Vielleicht nicht gut genug für mein Mädchen, aber …“

Sie hakte sich bei ihm unter. Trotz seines Alters hielt er sich so gerade, dass er sie um ein gutes Stück überragte. Sein blondes Haar war zwar von Silberfäden durchzogen, aber noch immer dicht und schulterlang.

„In deinen Augen ist niemand gut genug für mich, Dad.“

„In meinen?“ Es zuckte um seine Lippen. „Es ist deine Mutter, die so schwer zufriedenzustellen ist.“ Er deutete mit dem Kopf zu der schlanken dunkelhaarigen Frau, die ihnen gerade entgegenkam, und drängte: „Sag es ihr.“

„Was soll sie mir sagen?“ Emily war zehn Jahre jünger als Jeff und wurde oftmals für Leandras große Schwester gehalten.

„Er behauptet, dass nicht ihm, sondern dir kein Mann gut genug für mich ist.“

Emily lächelte. „Na ja, wir wissen beide, was für Märchen sich dein Vater ausdenkt. Sag mal, wie lange willst du den armen Evan heute noch verfolgen? Du weißt doch, dass wir uns am Abend alle im Colbys treffen, oder?“

„Ja. Sarah hat es mir gesagt.“

„Willst du nicht doch bei uns auf der Farm wohnen, solange du in der Gegend bist? Ich weiß, dass es unter der Woche unpraktisch wäre wegen der Fahrerei, aber was ist an den Wochenenden?“

Einerseits wollte Leandra nichts sehnlicher, als an den Zufluchtsort ihrer Kindheit zu fliehen. Sich von der Fürsorge ihre Eltern trösten zu lassen, deren Liebe eine Konstante in ihrem Leben war. Doch wenn sie diesem Wunsch nachgab, würde sie niemals ihren eigenen Weg finden. „Ich arbeite auch an den Wochenenden, selbst wenn nicht gedreht wird. Und jetzt muss ich meine Crew zusammentrommeln und in die Stadt zurückbringen. Wir sehen uns später im Colbys.“

„Auch wenn du nicht bei uns bleiben willst, bin ich froh, dass du hier bist. Es ist so lange her, seit du zu Hause warst.“

Nicht mehr seit Emi. Leandra lächelte, aber es fiel ihr schwer. „Also dann, bis später.“ Sie wandte sich hastig ab und kehrte zurück zu der kleinen Koppel.

Janet, die gerade mit Paul die Ausrüstung in den Van lud, hielt ein Klemmbrett hoch. „Vermisst du vielleicht das hier?“

„Danke. Wo steckt Evan?“

„Er ist schon weg.“

„Seit wann?“

„Ein paar Minuten. Wieso? Wir sind doch fertig hier, oder?“

„Richtig“, bestätigte Leandra geistesabwesend. Missmutig dachte sie daran, dass sie ihn nun erst am Sonntag bei der Werbeveranstaltung wiedersehen würde, die im Colbys zeitgleich mit der Ausstrahlung der ersten Folge stattfinden sollte.

Entschieden richtete sie die Aufmerksamkeit auf das Klemmbrett. Schließlich war sie nach Weaver gekommen, um zu arbeiten. Ihr Blick fiel auf eine große rosa Haftnotiz mit der Nachricht: Marian anrufen. Automatisch griff sie sich an den Gürtel. „Er hat dir nicht zufällig mein Handy gegeben, bevor er gegangen ist?“

Janet schüttelte den Kopf. „Tut mir leid.“

„Dann musst du mir deins leihen.“ Selbst die Aussicht auf ein nervendes Telefonat mit ihrer anstrengenden Chefin konnte nicht verhindern, dass sich Leandras Stimmung ganz beträchtlich hob. Denn das verliehene Handy lieferte ihr einen perfekten Vorwand, um sich nicht bis Sonntag gedulden zu müssen, was das Wiedersehen mit Evan anging.

„Weiß dein Daddy eigentlich, dass du immer noch Poolbillard spielst?“

Leandra, über ihren Queue am Billardtisch gebeugt, wandte den Kopf zur Seite. Evan hatte, von ihr unbemerkt, Colbys Bar & Grill betreten und stand mit einer Flasche in der Hand neben ihr. „Weiß dein Daddy denn, dass du Bier trinkst?“

Es zuckte um seine Mundwinkel. „Ich würde Ja sagen, da er es mir gekauft hat.“ Er deutete zur Theke. „Er sitzt da drüben.“

Sie blickte zu Drew Taggart hinüber. Das Einzige, das sich im Laufe der Jahre an ihm geändert zu haben schien, waren die Silberfäden in seinem schwarzen Haar. „Hast du nicht gesagt, dass deine Eltern in Florida sind?“

„Sie sind gestern zurückgekommen.“

Sie vollführte den Anstoß. Die im Dreieck angeordneten Kugeln sausten kreuz und quer über den Tisch. „Waren sie lange weg?“

„Zwei Wochen.“ Evan stellte die Bierflasche auf den breiten Bandenspiegel und nahm sich einen Queue von der Wandhalterung. Auch wenn Colbys die besten Steaks in der ganzen Stadt servierte, war es eine gewöhnliche Bar mit Jukebox, rustikalem Holztresen und einem halben Dutzend Billardtischen. „Sie sind früher als geplant zurückgekommen. Weil die Sendung im Fernsehen ausgestrahlt wird.“ Seine Stimme klang mürrisch.

„Ich muss sie nachher begrüßen.“ Leandra ging um den Tisch herum und bereitete den nächsten Stoß vor. Sie betete, dass Evans Missfallen an den Dreharbeiten nicht weiter zunahm. Es gefiel ihr nicht, jemandem das Leben zu verleiden, nur um ihre eigenen Ziele zu erreichen. „Wo war deine Schwester, während sie weg waren?“

„Bei Tristan und Hope. Obwohl sie inzwischen achtzehn ist. Sie hätte allein zu Hause bleiben können. Übrigens weiß Jake nichts von deinem Eh-duh-ahr.“

Der Stoß ging daneben. Sie richtete sich auf und stützte den Queue auf ihren Tennisschuh. „Hast du ihn etwa danach gefragt?“

„Ja.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass es Jake nichts angeht. Übrigens geht es dich genauso wenig an.“

„Das klingt verdächtig defensiv.“ Evan beugte sich über den Tisch und versenkte zwei Kugeln.

„Und du klingst verdammt neugierig. Was interessiert es dich überhaupt?“

„Jake ist einer meiner besten Freunde.“

„Und aus lauter Loyalität ihm gegenüber meinst du, er sollte von Edouard wissen?“

„Sollte er nicht?“

Leandra beobachtete, wie geschickt er mit dem Queue umging. Obwohl sie sich ganz darauf konzentrierte, die Kugeln durch die Kraft ihres Geistes in eine andere Richtung umzulenken, rollten sie genau dorthin, wo er sie haben wollte. Wenn er so weitermachte, gelang es ihm im Nu, den Tisch abzuräumen. „Ich habe doch schon gesagt, dass es nichts für ihn zu wissen gibt. Warum bauschst du die Sache so auf?“

„Weil du so ein großes Geheimnis daraus machst.“ Nur noch die Acht blieb übrig. Er zielte, und einen Moment später rollte sie in die Mitteltasche. Mit selbstgefälliger Miene richtete er sich auf.

„Ich wette, das schaffst du kein zweites Mal.“

Seine Lippen zuckten belustigt. „Wetten, dass doch? Vergiss nicht, dass ich schon Spielergenie war, lange bevor du weggezogen bist.“

„Vielleicht habe ich mich ja in Kalifornien dem Billardzirkus angeschlossen.“

„Du bist eine verdammt schlechte Lügnerin. Genau wie damals, als du Mr. Pope davon überzeugen wolltest, dass du bei der Mathearbeit nicht geschummelt hast.“

„Das hab ich ja auch gar nicht!“

„Hast du dir das selbst eingeredet?“

„Ich muss mir überhaupt nichts einreden. Ganz egal, was du glaubst.“ Sie ging um den Tisch herum und blieb direkt vor Evan stehen. „Wenn du es unbedingt wissen willst, es war Tammy Browning, die von mir abgeschrieben hat. Ich habe noch nie bei irgendwas geschummelt. Du versuchst ja bloß, dich vor der Wette zu drücken. Was ist mit dir los? Hast du Angst, gegen ein Mädchen zu verlieren?“

„Es würde nichts ändern, wenn du kein Mädchen wärst. Wie viel?“

„Zwanzig“, schlug sie vor.

„Feiger Einsatz.“

„Vierzig.“

Er wartete.

Leandra zog Geld aus der Vordertasche ihrer Jeans, zählte es durch und knallte mehrere Scheine auf den Tisch. „Fünfzig.“

Er grinste, als hätte er sie geködert statt umgekehrt.

Es ärgerte sie maßlos.

„Bau auf, Sportsfreund.“

Sie machte eine große Show daraus, die Kugeln in die Triangel zu sortieren. „Was soll das mit dem ‚Sportsfreund‘?“

Gemächlich kreidete Evan die Spitze seines Queues ein. „Weil du so angezogen bist.“

Sie blickte an sich hinab: Kapuzenjacke, Jeans und Turnschuhe. Dazu trug sie eine Baseballkappe mit dem Logo von WITS auf dem Schirm, doch das war kein Mode-Statement. Die gesamte Crew und sogar viele Leute aus der Stadt trugen diese Kappen.

Sie schob das Plastikdreieck hin und her und entfernte es schließlich. „Hau rein, Doc.“

Ihm gelang ein guter Anstoß, der die Kugeln über den ganzen Tisch verteilte. Dann musterte er eingehend die Lage.

„Na, kriegst du kalte Füße?“, fragte Leandra in zuckersüßem Ton.

Er lachte leise und beugte sich vor. Eine Kugel nach der anderen, manchmal sogar zwei auf einen Stoß, versanken in den Taschen.

Im Stillen verabschiedete sie sich von ihrem Geld. „Wer hat dir eigentlich das Spielen beigebracht?“

„Mein Dad.“

„Das hätte ich mir denken können. Ich weiß, dass er viel mit meinen Onkeln gespielt hat – in ihrer wilden Jugend.“

„Und mit deinem Dad. Der ist einer der Schlimmsten, wenn es darum geht, richtig zur Sache zu gehen.“

„Er ist der Beste“, murrte sie. Nicht ein einziges Mal war es ihr gelungen, ihren Vater am Billardtisch zu besiegen.

Sarah trat zu ihr und warf ein: „Unser Großvater ist an allem Schuld. Er war es, der seine Söhne auf den Geschmack gebracht hat.“

Leandra nickte. „Das stimmt.“ Nachdem seine erste Frau bei Tristans Geburt gestorben war, hatte Squire seine Söhne allein aufgezogen und ihnen angeblich wenig Milde entgegengebracht, bis seine jetzige Frau Gloria in sein Leben getreten war.

Evan versenkte zwei weitere Kugeln. Erneut war der Tisch fast abgeräumt, und Leandras Hoffnung, überhaupt zum Zug zu kommen, schwand dahin.

„Du musst was unternehmen“, raunte Sarah. Sie hatte ihr braves Outfit abgelegt und trug nun hautenge Jeans, ein pinkfarbenes Häkeltop und schwarze Stiefel mit schmaler Spitze und hohen Absätzen, die sie noch langbeiniger wirken ließen, als sie ohnehin war.

Im Vergleich zu ihr fühlte Leandra sich dürftig und unvorteilhaft angezogen. „Was soll ich denn dagegen tun? Ich komme mir schon dumm genug vor, weil ich überhaupt Geld gesetzt habe.“

„Lenk ihn ab.“

„Womit denn?“ Sie war im Gegensatz zu ihrer Cousine nicht der Typ dafür. Sie war weder groß noch kurvenreich, und aus Zeitmangel lag ihr letzter Besuch im Schönheitssalon schon eine ganze Weile zurück.

Sarah verdrehte die Augen. „Hast du denn alles vergessen? Du hast doch was unter der Kapuzenjacke an, oder?“

„Ein Unterhemd.“

„Ist es total erbärmlich?“

Es war dünn, weiß und ärmellos. „Es ist sauber.“

„Okay, beeil dich. Er braucht höchstens noch drei Stöße.“

Mit finsterer Miene zog Leandra sich die Kapuzenjacke aus und warf sie auf den nächsten Barhocker. Dann stützte sie sich provokant auf den Tischrand. „Was hältst du von doppelt oder nichts?“

Evan blickte nicht einmal zu ihr hinüber. „Wir könnten uns die Zeit sparen, und du gibst mir gleich das Geld.“

Sie verdrehte die Augen und fing einen aufmunternden Blick von Sarah auf. Langsam näherte sie sich Evan, der die Position der restlichen Kugeln studierte. Gerade als er sich über den Queue beugte, flüsterte sie ihm ins Ohr: „Vielleicht sind drei nicht alle guten Dinge für dich.“

Er zuckte zusammen und richtete sich auf, ohne den Stoß auszuführen. „Was soll das?“

Verzweifelt suchte sie nach einer Antwort. „Ich kühle mich nur ab. Findest du nicht, dass es ziemlich heiß hier drinnen geworden ist?“

Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Allerdings, es ist ziemlich heiß. Wenn du die Halben versenkst, zahle ich dir hundert Mäuse.“

„Eine interessante Idee. Aber es geht nicht um meine Fähigkeiten, sondern um deine.“

„Ich glaube nicht, dass du meine Fähigkeiten wirklich infrage stellst.“ Er nahm ihre Hand, legte sie um den Queue und hielt sie mit seiner eigenen fest. „Oder?“

Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie konnte kaum atmen. Seine Finger fühlten sich heiß auf ihren an.

„Nun?“

Leandra entriss ihm Queue und Hand, ignorierte das spöttische Lächeln auf seinen Lippen und drehte sich zum Tisch um. Jetzt erst merkte sie, dass sich inzwischen ein gutes Dutzend Leute versammelt hatten und aufmerksam zusahen. Ihre Eltern und Cousins, ihre Crew, alle waren da, ja sogar die Spieler von den anderen Tischen. Ihr wurde noch heißer.

„Hundert Dollar?“, fragte sie schroff. „Bist du sicher, dass du dir so viel leisten kannst?“

Evan zog eine Augenbraue hoch.

„Na gut. Bau auf.“

Sarah rückte zu ihr. „Hast du vergessen, dass du ihn ablenken solltest?“

„Ja, das war eine tolle Idee. Ich werde mich hier vor allen Leuten blamieren. Sogar vor Ted und seinem Camcorder.“

Sarah blickte zu ihm hinüber. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass das kleine Ding, mit dem er den ganzen Abend spielt, eine Kamera ist.“

Leandra konzentrierte sich auf Evan. Er entfernte die Triangel mit einem herausfordernden Grinsen und machte eine ausladende Handbewegung über den Tisch, wie um sie aufzufordern, sich lächerlich zu machen.

„Lass dir Zeit“, raunte Sarah ihr zu. „Denk an alles, was wir über Billard gelernt haben.“

Als Allererstes hatte Leandra gelernt, niemals eine Wette einzugehen, von deren Gewinn sie nicht absolut überzeugt war.

Sie positionierte die weiße Kugel auf den Kopfpunkt, stützte die linke Hand als Führung für den Stock auf und visierte eine Kugel an.

„Brauchst du die ganze Nacht dafür, Sportsfreund?“

Sie holte aus und stieß zu. Die Kugeln stoben auseinander. Zwei Halbe versanken in den Ecktaschen.

Die Zuschauer johlten.

Leandra überhörte es. Nicht so leicht fiel es ihr, Evan zu ignorieren, während sie die Position der Kugeln aus verschiedenen Blickwinkeln studierte.

Er stand ihr im Weg und ging erst beiseite, als sie ihn anstieß. „Willst du das wirklich versuchen?“ Seine Stimme klang besorgt. „Du musst die Elf ziemlich stark anschneiden.“

Sie ließ sich nicht beirren, holte tief Luft und führte den Stoß aus. Die Kugeln klickten zusammen. Die Elf rollte langsamer als beabsichtigt, versank aber schließlich in der Tasche.

„Das ist mein Mädchen!“, hörte sie ihren Vater rufen.

„Es bleiben immer noch fünf“, murmelte Evan.

„Ich hätte dich von Ted die ganze Nacht beim Schnarchen filmen lassen sollen.“

„Wer sagt denn, dass ich schnarche?“

„Jake. Er muss es wissen. Du warst schließlich im College sein Mitbewohner.“ Leandra versenkte zwei weitere Kugeln und richtete sich auf. „Ich hoffe, du brauchst die hundert Mäuse nicht zu dringend, Sportsfreund“, sagte sie herausfordernd, bevor sie sich wieder vorbeugte.

Evan stand ihr gegenüber. „Weißt du eigentlich, dass ich dir bis zum Bauchnabel gucken kann?“

Sie zuckte zusammen und verspürte den Drang, sich aufzurichten und das T-Shirt an die Brust zu drücken – nur für den Fall, dass er die Wahrheit sagte. Ob er ihr nun in den Ausschnitt sehen konnte oder nicht, ihre Brustspitzen wurden hart, und sie betete inständig, dass er es nicht merkte.

Resolut nahm sie sich vor, die restlichen drei Kugeln zu versenken, nach Hause zu gehen und bis Sonntagabend keinen Gedanken mehr an Evan zu verschwenden.

Sie lochte eine weitere Kugel ein und atmete auf.

„Du siehst ziemlich gestresst aus“, bemerkte er. „Brauchst du vielleicht eine Pause?“

Sie ging um den Tisch herum, stieß ihm absichtlich mit dem Stock ans Schienbein und behauptete zuckersüß: „Das tut mir ja so leid.“

Wortlos hob er seine Bierflasche an die Lippen und trank.

Sie beneidete ihn ein wenig, denn ihr Mund war total ausgedörrt. Sie bereitete den nächsten Stoß vor und prüfte unwillkürlich, was dabei mit ihrem T-Shirt passierte. Es lag eng am Körper an. Sie blickte auf und sah unverhohlene Belustigung auf Evans Gesicht.

Bravourös versenkte sie den sechsten Ball in eine Ecktasche. Doch die letzte Kugel lag äußerst ungünstig von zwei Vollen an die Bande geklemmt.

Gemurmel erhob sich unter den Zuschauern. Wie Leandra ihre Familie kannte, schlossen sie untereinander Wetten ab.

„Fühlst du dich unter Druck gesetzt?“ Evan stützte sich neben ihr auf die Unterarme, als wenn sie Busenfreunde wären. „Ich bin nicht mal sicher, ehrlich gesagt, ob ich das schaffen würde.“

Trotz der verräucherten Luft im Lokal fing sie den sauberen frischen Geruch auf, den sie mit Evan und nur mit Evan in Verbindung brachte. „Ich kann es schaffen.“

„Vielleicht. Oder du beichtest einfach, was mit Eh-duh-ahr ist, und wir sind quitt.“

„Man könnte glatt denken, dein Interesse an Edouard hat gar nichts mit Jake, sondern nur mit dir selbst zu tun.“

„Vielleicht ist dem ja so.“

Dieses Eingeständnis überraschte sie, denn die spitze Bemerkung war eigentlich nur als Herausforderung gedacht.

Ted trat an den Tisch und hob seine handtellergroße Videokamera hoch. „Gibst du etwa auf, Leandra?“

Sie merkte, dass Evan sie aufmerksam beobachtete, und malte sich unverhofft aus, dass er sich vorbeugte und die Lippen auf ihre senkte.

Aufgewühlt schüttelte sie den Kopf – als Antwort an Ted und um die Vorstellung von Evans Kuss zu verdrängen.

Sie führte den Stoß aus. Die Kugel verfehlte die Tasche um mehrere Zentimeter, sicherlich als Folge ihrer erotischen Fantasien, die völlig absurd waren. Denn in all den Jahren hatte sie von Evan lediglich einen kleinen Wangenkuss bei der Abschlussfeier bekommen.

Erneut holte sie ihr Geld aus der Tasche, blätterte weitere fünfzig zu den Scheinen auf dem Bandenspiegel und faltete alle zusammen. „Hier, Doc.“

Er wollte das verdammte Geld nicht. Er wollte wissen, wer zum Teufel der Franzose war und was er ihr bedeutete. Loyalität gegenüber Jake war dabei nur ein Vorwand. Ein armseliger Vorwand, denn seine Gefühle zu Leandra waren alles andere als loyal gegenüber seinem Freund.

Doch er wusste, was sie nicht wusste: dass Jake verlobt war und sich nicht traute, es ihr zu gestehen – um ihr noch mehr wehzutun, als ohnehin bereits geschehen war. Falls sie jedoch mit diesem Franzosen liiert war, konnte er das Büßerhemd ausziehen und sein Leben genießen.

Und ich kann vielleicht endlich mein eigenes Leben genießen, ohne immer Leandra im Kopf zu haben, dachte Evan.

Leandra trat so dicht zu ihm, dass ihm ihr reizvoller Duft in die Nase stieg. Sie steckte ihm das Geld in den Ledergürtel. „Viel Spaß damit“, wünschte sie und wandte sich ab.

Am liebsten hätte er sie bei den Schultern gepackt und an sich gerissen. Nur die Tatsache, dass die umstehenden Gäste und Ted mit seiner Minikamera die Szene verfolgten, hielt ihn davon ab.

Sie klatschte in die Hände und rief der Menge zu: „Vergesst nicht, Leute! Sonntagabend um sieben wird hier Evans Fernsehdebüt gefeiert!“

Applaus und Jubel ertönten. Tapfer ließ er den Rummel über sich ergehen und redete sich ein, dass er die nächsten fünf Wochen irgendwie überleben würde. Vielleicht.

3. KAPITEL

Am Samstagmorgen machte Leandra sich zu Fuß auf den Weg zu Ruby’s Café, denn die Entfernung betrug keine zwei Meilen, und es herrschte angenehmes Wetter. Der Himmel war strahlend blau; die morgendliche Kühle wich allmählich der Wärme der Sonne; ein laues Lüftchen wehte.

Aufmerksam blickte sie sich um. Auf einer Seite der Straße lag der Park, auf der anderen standen Häuser. Ein junger Mann mähte Rasen in einem Vorgarten. Sie kannte ihn nicht. Das war nicht weiter überraschend. Inzwischen wohnten viele Leute in Weaver, die sie nicht kannte.

So ist es nun einmal, wenn man wegzieht und sich jahrelang nicht wieder blicken lässt.

Mit einem Seufzen beschleunigte sie den Schritt und bog in die Main Street ein. Schon von der Ecke aus konnte sie Ruby’s sehen.

Sie überquerte die Straße und trat lächelnd ein. In diesem Lokal war ihr alles vertraut. Das Einzige, was fehlte, war die Gründerin persönlich. Ruby war vor Jahren gestorben.

Die ganze Stadt hatte an der Beerdigung teilgenommen. Nur nicht Leandra. Sie hatte keine Zeit gefunden, um nach Hause zu fahren, war zu beschäftigt gewesen – zu sehr in ihre Studien vertieft, zu sehr mit ihrem eigenen Leben befasst.

Das Erste, was ihr in dem Café auff...

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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Jules Bennett
<p>Jules Bennett, die ihren Jugendfreund geheiratet hat, ist Mutter von zwei Mädchen – und, natürlich, Autorin. Voller Tatkraft managt sie ihr Leben. Wenn sie sich erst einmal ein Ziel gesetzt hat, hält nichts sie davon ab, es zu erreichen. Davon kann ihr Mann ein Lied singen. Jules Bennet lebt im...
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