Only You Band 8

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Egal, ob man vergessen hat, wer man ist, oder ob man sich an sein Gegenüber nicht erinnern kann – eine Amnesie sorgt in der Liebe für zusätzliche Verwirrung! Woher kommen diese starken Gefühle? Und werden sie bleiben, wenn das Gedächtnis wiederkommt?


VERFÜHRERIN IN SCHWARZER SPITZE von MERLINE LOVELACE

Dominic fragt sich, warum Natalie Clark bei ihm aufgetaucht ist. Sie weiß es selbst nicht, denn sie hat ihr Gedächtnis verloren. Noch etwas ist rätselhaft: Früher war sie kühl zu ihm und hat ihre Kurven unter unförmiger Kleidung verborgen. Nun ist sie unsagbar sexy und trägt schwarze Spitze …

ZEIG MIR DAS PARADIES, TRAUMPRINZ von JULES BENNETT

Eine sanfte Meeresbrise, Sonnenschein und heiße Küsse: Kate wähnt sich im Paradies, ist sie doch unsterblich in ihren sexy Boss Luc verliebt. Seit er nach einem Unfall sein Gedächtnis verloren hat, hält er Kate für seine Verlobte! Doch was passiert, wenn seine Erinnerung zurückkehrt?

EINE LEIDENSCHAFT SO GROSS WIE TEXAS von LAUREN CANAN

Ohne Erinnerung erwacht sie nach einem Unfall im Krankenhaus, und ein gut aussehender Mann an ihrem Bett behauptet, sie sei seine Frau … Dabei könnte sie schwören, dass sie Wade Masters noch nie gesehen hat! Das gemeinsame Leben auf seinem Anwesen wird zu einer Bewährungsprobe ...


  • Erscheinungstag 18.01.2025
  • Bandnummer 8
  • ISBN / Artikelnummer 8207250008
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

MERLINE LOVELACE

PROLOG

Wer hätte gedacht, dass mein Leben so reich und erfüllt sein würde – in so späten Jahren! Meiner geliebten Enkeltochter Sarah und ihrem Mann Dev ist es gelungen, ihre beruflichen Aktivitäten erfolgreich zu verbinden. Dabei findet Sarah immer noch Zeit, mich in ihre Arbeit an dem Buch über verlorene Kunstschätze einzubeziehen. Mein Beitrag war nur klein, aber ich hatte doch viel Freude daran.

Und Eugenia, meine sorglose, unbekümmerte Eugenia, hat nicht nur sich selbst damit überrascht, dass sie eine gute Ehefrau und Mutter geworden ist. Ihre Zwillinge haben viel Ähnlichkeit mit ihr, als sie in diesem Alter war. Hellwach und lebhaft, schon jetzt mit sehr ausgeprägten Persönlichkeiten. Und das Beste von allem: ihr Mann, Jack, soll Botschafter der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen werden. Falls er berufen wird, würden Gina und er mit ihren Babys auch hier in New York leben.

Bis es so weit ist, habe ich die Gesellschaft meiner langjährigen Freundin und Gesellschafterin Maria. Und ich habe Anastazia, meine hübsche und so ernsthafte Anastazia. Zia ist jetzt im zweiten Jahr ihrer Ausbildung als Assistenzärztin auf der Kinderstation. Ich habe unsere entfernte Verwandtschaft schamlos ausgenutzt, um sie dazu zu bringen, während dieser Zeit bei mir zu wohnen. Die Ärmste arbeitet bis an den Rand der Erschöpfung, aber Maria und ich sorgen dafür, dass sie gut isst und ein wenig Ruhe bekommt.

Sorgen mache ich mir nur um ihren Bruder, Dominic. Dom beharrt darauf, er sei noch nicht bereit, sesshaft zu werden. Und wieso sollte er auch bei den vielen Frauen, die ihm nachlaufen? Sorgen macht mir sein Beruf. Er ist zu gefährlich. Ich wollte, er würde aufhören, undercover zu arbeiten. Vielleicht habe ich jetzt den richtigen Anreiz gefunden. Er wird sehr überrascht sein, was Sarahs kluge Assistentin für ein Dokument entdeckt hat!

Aus dem Tagebuch von Charlotte, Großherzogin von Karlenburgh

1. KAPITEL

Brütende Augusthitze lag über New York City, als Dominic St. Sebastian vor dem Dakota aus dem Taxi stieg. Das burgähnliche Gebäude war eines der bekanntesten Apartmenthäuser der Stadt, direkt am Central Park gelegen. Von der Trockenheit ausgedörrtes Laub fiel wie gelbes Konfetti von den Bäumen. Sogar der wie üblich dichte Verkehr aus Taxen, Limousinen und Touristenbussen auf der Upper West Side wirkte irgendwie gedämpfter als sonst.

Das ließ sich über den Portier des Dakota nicht sagen. Würdevoll wie immer verließ Jerome seine Loge, um dem Neuankömmling die Tür aufzuhalten.

„Vielen Dank.“ Doms leichter Akzent verriet den Europäer, obwohl das Englische ihm so leicht über die Zunge kam wie seine Muttersprache Ungarisch. „Wie geht es der Großherzogin?“

„Sie wollte auf niemanden von uns hören, aber Zia hat sie schließlich überredet, bei dieser Hitze auf ihren täglichen Spaziergang zu verzichten.“

Es überraschte Dom nicht, dass seine Schwester gesiegt hatte, wo andere sich geschlagen geben mussten. Anastazia Amalia Julianna St. Sebastian vereinte die exotische Schönheit eines Models mit der Beharrlichkeit einer Bulldogge.

Zia und Dom hatten ihre entfernte Verwandte, die Großherzogin Charlotte, erst im vergangenen Jahr kennengelernt und sofort eine herzliche Verbindung zu ihr gefunden. So herzlich, dass Charlotte Zia eingeladen hatte, während ihrer Zeit als Assistenzärztin im Mt. Sinai Hospital an der Ostseite des Central Parks hier bei ihr im Dakota zu wohnen.

„Hat meine Schwester schon die Station gewechselt?“ Dom hatte keinen Zweifel, dass der Portier das wusste. Jerome kannte die meisten Bewohner des Dakota, aber mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgte er die Aktivitäten seiner Lieblinge. Und ganz oben auf dieser Liste standen Charlotte St. Sebastian und ihre zwei Enkeltöchter, Sarah und Gina. Zia war unlängst ebenfalls in diesen Kreis aufgestiegen.

„Ja, in der vergangenen Woche“, wusste Jerome zu berichten. „Sie sagt nichts, aber man merkt, dass die Onkologie ihr zusetzt. Das würde sicher jedem so gehen – all diese kranken Kinder!“ Er schüttelte den Kopf. „Zia hat sich heute Nachmittag freinehmen können, als sie hörte, dass Sie kommen. Und Lady Eugenia ist auch da. Sie ist gestern Abend mit den Zwillingen eingetroffen.“

„Ich habe Gina und die Kinder seit der Geburtstagsfeier der Großherzogin nicht mehr gesehen. Die Mädchen müssen jetzt wie alt sein – sechs Monate? Oder sieben?“

„Acht.“ Ein Lächeln glitt über Jeromes zerfurchtes Gesicht. Wie alle war er den beiden kleinen Mädchen mit ihren Schmollmündchen, den himmelblauen Augen und den feinen blonden Locken hoffnungslos verfallen.

„Lady Eugenia sagt, sie können schon krabbeln. Achten Sie darauf, wo Sie hintreten“, warnte er.

„Das werde ich“, versprach Dom grinsend.

Während der Fahrstuhl ihn in den fünften Stock brachte, erinnerte er sich an die Zwillinge, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte. Mit ihrem glucksenden Lachen und den fliegenden kleinen Fäustchen waren sie Herzensbrecher erster Güte.

Seither hatten sich ihre Lungen offenbar gut entwickelt, wie Dom schnell feststellen konnte, als eine gehetzt wirkende Frau mit hochrotem Gesicht auf sein Klingeln hin die Tür aufriss. „Das wird aber auch Zeit! Wir haben schon …“ Sie unterbrach sich und sah ihn durch ihre dicken Brillengläser verblüfft an. „Sie sind nicht von Osterman!“

„Vom Lebensmittelladen? Nein, das stimmt.“

„Aber wer …? Ach! Sie sind Zias Bruder!“ Ihre Nasenflügel bebten, so als habe sie plötzlich etwas Unangenehmes gerochen. „Der, der die Frauen wechselt wie andere das Hemd.“

Dom war erstaunt über diesen Empfang, konnte aber nichts dagegen sagen. Er liebte die Frauen. Genauer: unkomplizierte Frauen mit üppigen Kurven und Schmolllippen. Die Frau, der er sich jetzt gegenübersah, fiel eindeutig nicht in diese Kategorie. Wobei die Frage der Kurven ungeklärt blieb, denn das weite Leinenkleid ließ die Konturen ihres Körpers nur vage erahnen. Ihre Lippen schienen kaum verhohlenes Missfallen auszudrücken.

„Richtig, ich bin Dominic. Und wer sind Sie?“

„Natalie.“ Sie verzog das Gesicht, als das Gebrüll hinter ihrem Rücken noch lauter wurde. „Natalie Clark. Kommen Sie doch herein.“

Dom arbeitete nun schon seit fast sieben Jahren als Geheimagent bei Interpol. Sein Job verlangte ihm einiges ab, aber der Anblick, der sich ihm jetzt im Wohnzimmer der Großherzogin bot, brachte ihn fast dazu, auf dem Absatz kehrtzumachen und die Flucht zu ergreifen.

Eine sichtlich genervte Gina versuchte, ein Baby zu bändigen, das aus vollem Halse schrie und wütend zappelte. Das gleiche Bild bot sich bei Zia, die ein ebenso laut brüllendes Baby im Arm hatte. Die Großherzogin saß hoch aufgerichtet auf ihrem Stuhl und betrachtete die Szene mit sichtlichem Missfallen, während die rundliche Honduranerin, die als Haushälterin und Gesellschafterin diente, in der Tür zur Küche stand und das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse verzogen hatte.

Glücklicherweise war die Großherzogin mit ihrer Geduld am Ende, bevor Dom den Rückzug angetreten hatte. Sie packte den elfenbeinernen Griff ihres Gehstocks.

„Charlotte!“ Der Stock wurde energisch auf den Boden gestoßen. Einmal. Und noch einmal. „Amalia! Ihr werdet bitte sofort aufhören zu schreien!“

Dom wusste nicht, ob es das laute Klopfen war oder der herrische Ton, der die Wirkung erzielte. Auf jeden Fall verstummte das Brüllen augenblicklich, und vier tränenüberströmte blaue Augen blickten einigermaßen verdutzt in die Welt. Herrliche Stille senkte sich herab, nur unterbrochen von letzten kleinen Schluchzern der Babys.

„Danke“, sagte die Großherzogin hoheitsvoll. „Gina und Zia, warum geht ihr nicht mit den Mädchen ins Kinderzimmer? Maria wird die Flaschen mit der Milch bringen, sobald der Bote von Osterman da war.“

„Er sollte jeden Augenblick kommen, Duquesa.“ Die rundliche Haushälterin verschwand Richtung Küche. „Ich bereite alles vor.“

Gina war auf dem Weg hinaus, als sie ihren Cousin entdeckte. Cousin um viele Ecken, genauer gesagt. „Dom!“ Sie warf ihm ein gehetztes Lächeln zu. „Wir reden gleich, sobald wir die Babys zur Ruhe gebracht haben.“

„Hi, Bruderherz!“ Seine Schwester folgte Gina.

Er stellte die Tasche ab und trat zur Großherzogin, um ihr einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Ihre faltige Haut trug den leichten Duft von Gardenien. Ihre Augen verrieten das Alter, aber ihnen entging wenig. Auch nicht die leichte Grimasse, mit der er sich wieder aufrichtete.

„Zia hat erzählt, dass du eine Stichverletzung hast. Schon wieder!“

„Nur eine Kleinigkeit an den Rippen.“

„Wir müssen reden über diese Kleinigkeiten. Aber zuerst einmal schenk uns doch …“ Sie unterbrach sich, als es klingelte. „Das wird die Lieferung sein. Natalie, Liebes, würden Sie bitte dafür unterschreiben und die Milch zu Maria bringen?“

„Natürlich.“

Dom sah der jungen Frau nach. „Wer ist sie?“

„Sarahs Assistentin. Sie hilft bei ihrem Buch. Sie heißt Natalie Clark – und sie gehört zu dem, worüber ich mit dir sprechen möchte.“

Dominic wusste, dass Sarah nach ihrer Hochzeit mit dem Milliardär Devon Hunter ihren Job als Redakteurin bei der Modezeitschrift Beguile aufgegeben hatte. Sie hatte früher Kunstgeschichte studiert und begleitete Dev nun auf seinen Geschäftsreisen rund um die Welt, wobei sie jedes Museum besuchte, das sie irgendwie mit dem Taxi erreichen konnte. Dieses Interesse an der Kunst sensibilisierte sie auch für die Tatsache, dass unzählige Kunstwerke verschwunden waren, als die Sowjets vor Jahrzehnten Burg Karlenburgh in Ungarn zerstört hatten.

Zunächst rein aus persönlichem Interesse begann Sarah zusammenzutragen, was sie weltweit über verlorene Kunst in Erfahrung bringen konnte. Einer der großen New Yorker Verlage erfuhr davon und bot ihr einen sechsstelligen Vorschuss, sollte sie aus ihren gesammelten Notizen ein Buch machen.

Dom verstand nicht, was Sarahs Buch mit ihm zu tun haben sollte. Und welche Rolle die Frau dabei spielte, die gerade die Lieferung an der Tür entgegengenommen hatte und damit nun Richtung Küche verschwand. Sarahs Assistentin konnte nicht älter sein als fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig. Die sprichwörtliche graue Maus. Das braune Haar im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt. Kein Make-up. Eine eckige Brille mit dicken Gläsern. Praktische flache Schuhe. Ein formloses Leinenkleid.

Die Küchentür schwang hinter ihr zu. Dom sah die Großherzogin fragend an. „Was hat Natalie Clark mit dem zu tun, worüber du sprechen möchtest?“

Charlotte winkte ab. „Schenk uns zuerst einen Pálinka ein …“

„Darfst du Brandy trinken? Zia schrieb in ihrer letzten E-Mail, dass …“

„Pah! Deine Schwester macht noch mehr Gewese um meine Gesundheit als Sarah und Gina zusammen!“

„Vielleicht mit gutem Grund? Sie ist Ärztin. Sie kennt sich besser aus mit diesen Dingen.“

„Dominic!“ Die Großherzogin maß ihn mit einem kühlen Blick. „Ich habe es meinen Enkeltöchtern gesagt, ich habe es deiner Schwester gesagt, und nun sage ich es dir: An dem Tag, an dem ich keinen Brandy vor dem Essen mehr trinken kann, könnt ihr mich abschreiben!“

„Du meinst, an dem Tag, an dem du uns nicht mehr unter den Tisch trinken kannst.“ Grinsend trat Dominic an die Anrichte und stellte zwei Gläser aus geschliffenem Kristall bereit.

Was für ein attraktiver Teufel! Charlotte seufzte stumm, als sie ihm zusah. Diese dunklen Augen. Die geschwungenen Brauen. Das glänzende schwarze Haar. Der schlanke und doch muskulöse Körper. In seinen Adern floss ungarisches Blut so wie in ihren, vermischt über die Jahrhunderte durch Ehen unter den Adeligen des einst mächtigen Österreichisch-Ungarischen Reiches.

Das Herzogtum Karlenburgh war Teil dieses Reiches gewesen. Ein kleiner Teil nur, aber dennoch. Seine Geschichte reichte siebenhundert Jahre zurück. Jetzt fand es nur noch in den Büchern der Historiker Erwähnung. Und eines dieser Bücher sollte Dominics Leben verändern. Hoffentlich zum Guten. Sie bezweifelte, dass er es so sehen würde. Zumindest nicht gleich. Aber mit der Zeit …

Sie sah auf, als die Mitschuldige an dieser Veränderung ins Wohnzimmer zurückkam. „Ah, da sind Sie ja, Natalie. Wir wollen gerade einen Apéritif nehmen. Möchten Sie auch?“

„Nein, danke.“

Doms Hand lag auf dem Verschluss der Kristallkaraffe, die er und Zia der Großherzogin bei ihrem ersten Besuch mitgebracht hatten. Er wollte die ernste Miene der jungen Frau etwas aufhellen und sah sie lächelnd an. „Sind Sie sicher? Dieser Aprikosen-Brandy ist eine Spezialität meiner Heimat.“

„Ich bin mir sicher.“

Dom schloss für einen Moment die Augen. Mi a fene! Hatten ihre Nasenflügel gerade wieder gebebt? Als sei ihr ein schlechter Geruch untergekommen? Was zum Teufel hatten Zia oder Gina dieser Frau für Geschichten über ihn erzählt?

Er zuckte im Stillen die Schultern und schenkte zwei Brandy ein. Einen brachte er der Großherzogin. Verstohlen musterte er die Assistentin, während er es sich im Sessel neben Charlotte bequem machte. Wenn jemand einen Brandy gebraucht hätte, dann diese junge Frau. Der explosive Tropfen hätte nicht nur ihre Nasenflügel zum Beben gebracht!

„Wie lange wirst du in New York bleiben?“, erkundigte sich die Großherzogin, nachdem sie einen kräftigen Schluck genommen hatte.

„Nur heute Abend. Ich habe morgen ein Meeting in Washington.“

„Hmmm. Ich sollte warten, bis Zia und Gina hier sind, bevor ich die Sache mit dir bespreche, aber die beiden wissen schon Bescheid.“

„Worum geht es?“

„Um ein Edikt von 1867.“ Sie stellte ihr Glas ab. Ihre blauen Augen leuchteten. Das Thema schien sie zu begeistern. „Du erinnerst dich vielleicht, dass der Krieg mit Preußen den habsburgischen Kaiser Franz Joseph gezwungen hat, seinen rebellischen ungarischen Untertanen einige Zugeständnisse zu machen. Das Edikt von 1867 gewährte den Ungarn vollständige interne Autonomie, solange sie außenpolitisch und im Falle eines Krieges Teil des Reiches blieben.“

„Ja, ich weiß.“

„Wusstest du auch, dass es einen Anhang gibt, ein Kodizill, das allein Karlenburgh betrifft?“

„Nein, aber …“ Er räusperte sich. „Karlenburgh ist mehr dein Erbe als meines. Mein Großvater hat Karlenburgh lange vor meiner Geburt verlassen.“

Und bald danach hatte die Grafschaft Karlenburgh aufgehört zu existieren. Der Erste Weltkrieg hatte das einstmals so mächtige Reich der Habsburger aufgelöst. Dann war der Zweite Weltkrieg darüber hingegangen, anschließend der kalte Krieg und später die Auflösung der Sowjetunion. All das hatte die politische Landkarte Osteuropas mehrfach radikal verändert.

„Dein Großvater hat seinen Namen und seinen Stammbaum mitgenommen, als er Karlenburgh verließ, Dominic.“ Charlotte beugte sich zu ihm und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Du bist ein St. Sebastian. Der gegenwärtige Großherzog von Karlenburgh.“

„Wie bitte?“

„Natalie hat bei ihren Recherchen dieses Kodizill entdeckt. Darin bestätigt Kaiser Franz Joseph, dass die St. Sebastians den Adelstitel behalten und weitergeben dürfen, solange es in Karlenburgh die Grenze zwischen Österreich und Ungarn gibt. Das Reich der Habsburger existiert nicht mehr, aber trotz aller Kriege und politischen Veränderungen gibt es den Grenzverlauf zwischen der ehemaligen ungarischen Grafschaft Karlenburgh und Österreich immer noch. Also besteht auch der Anspruch auf den Titel weiter.“

„Auf dem Papier vielleicht. Die Ländereien und Gebäude des Großherzogs haben doch längst neue Besitzer. Es würde ein Vermögen und sehr viel Zeit kosten, dort noch irgendwelche Ansprüche geltend zu machen.“

„Das stimmt, was den Besitz betrifft. Aber nicht in Bezug auf den Titel. Nach meinem Tode wird Sarah meinen Titel erben. Sie wird Großherzogin sein. Oder Gina, falls ihrer älteren Schwester etwas zustößt. Aber beide haben Nichtadelige geheiratet. Ihre Männer können den Titel des Großherzogs nicht annehmen. Solange weder Sarah noch Gina einen Sohn haben oder eine ihrer Töchter einen Adeligen heiratet, gibt es nur einen, der diesen Titel beanspruchen kann, Dom: dich.“

Dominic seufzte stumm. Dieser Titel konnte ihm wahrhaftig gestohlen bleiben! Er warf einen verdrossenen Blick zu der jungen Frau hinüber, die durch ihren Fund diese absurde Unterhaltung heraufbeschworen hatte. Er würde später ein Wörtchen mit ihr zu reden haben. Wie konnte sie die Großherzogin derart aufregen mit einem Thema, das ihr verständlicherweise am Herzen lag, das aber keinerlei Bedeutung für das reale Leben hatte? Schon gar nicht für das Leben eines Geheimagenten.

Er unterdrückte seinen Ärger und nahm Charlottes Hand zwischen seine. „Ich weiß die Ehre zu schätzen, die du mir zuteilwerden lassen willst. Aber in meinem Job ist ein Adelstitel eher hinderlich.“

„Darüber wollte ich auch mit dir sprechen. Du hast jetzt viele Jahre ziemlich gefährlich gelebt. Wie lange soll das weitergehen, bevor jemand mehr als nur deine Rippen verletzt?“

„Genau das habe ich ihn auch gefragt.“ Zia war hereingekommen.

Sie hatte den freien Nachmittag genutzt, um in ihre Jeans zu schlüpfen. Dazu trug sie ein leuchtend rotes Tank-Top. Die Farbe stand in apartem Gegensatz zu ihren dunklen Augen und dem schulterlangen Haar, das ebenso schwarz und glänzend war wie das ihres Bruders. Die Geschwister umarmten sich herzlich.

Sie war mit ihren siebenundzwanzig Jahren nur vier Jahre jünger als Dom, aber er hatte nach dem Tod ihrer Eltern die volle Verantwortung für sie übernommen. Und er war nicht von ihrem Krankenbett gewichen, als sie nach einer Bauchhöhlenschwangerschaft in ihrem ersten Jahr an der Universität fast verblutet wäre. Die Komplikationen, die sich daraus ergaben, hatten ihr Leben in sehr vieler Hinsicht verändert.

Was sich nicht geändert hatte, war Doms Gefühl, sie beschützen zu müssen. Ganz gleich, wo er gerade sein mochte oder wie gefährlich die Situation war, in der er sich befand – wenn Zia Hilfe brauchte, war er sofort für sie da. Obwohl er die unangenehmen Seiten seines Jobs immer herunterspielte, hatte sie ihm im Laufe der Jahre genügend Informationen aus der Nase gezogen, um nun mit der Großherzogin einer Meinung zu sein.

„Du kannst mit Sicherheit auch einen leitenden Bürojob bei Interpol übernehmen.“

„Kannst du dir mich an einem Schreibtisch vorstellen, Zia mia?“

„Ja!“

„Du bist eine schlechte Lügnerin.“ Er ballte die Hand zur Faust und hielt sie ihr gespielt dramatisch vor das Kinn. „Du würdest bei einer Vernehmung keine fünf Minuten durchhalten.“

Während ihres kurzen Austauschs war Gina zurückgekehrt. „Jack sagt, für dich gäbe es immer einen Job im Außenministerium.“

„Ohne deinem Ehegespons zu nahe treten zu wollen, Lady Eugenia – ich habe nicht die Absicht, Beamter zu werden.“

Seine Anrede ließ Gina auflachen. „Da wir schon mal beim Titel sind – hat Grandma dir von dem Kodizill gezählt?“

„Hat sie.“

„Na, dann …“ Sie breitete den Rock ihres grünen Kleides aus und sank in einen gespielt dramatischen Hofknicks.

Dom murmelte etwas vor sich hin, das durchaus nicht nach Hofetikette klang. Glücklicherweise fiel es nicht auf, weil sich Sarahs Assistentin in dem Moment erhob.

„Bitte, entschuldigen Sie mich, Großherzogin. Dies ist eine Familienangelegenheit. Ich gehe wieder an meine Arbeit. Sie rufen mich, wenn Sie unser Gespräch fortsetzen möchten?“

„Das mache ich. Sie sind bis Donnerstag in New York, ist das richtig?“

„Stimmt. Dann fliege ich nach Paris, um meine Unterlagen mit denen Sarahs zu vergleichen.“

„Bis dahin werden wir Zeit für unser Gespräch finden.“

„Danke.“ Sie nahm die schwere Ledermappe auf und schob ihre Brille zurecht. „Es war schön, Sie zu sehen, Dr. St. Sebastian. Sie auch, Lady Eugenia.“ Ihr Ton änderte sich nicht, auch nicht der höfliche Ausdruck, aber Dom meinte doch so etwas wie Missbilligung in ihren braunen Augen zu entdecken, als sie den Kopf kurz in seine Richtung neigte. „Euer Durchlaucht.“

Auch er behielt seinen Ausdruck bei, aber alle, die ihn kannten, bemerkten den plötzlichen Unterton in seiner Stimme. „Ich begleite Sie zur Tür.“

„Vielen Dank, aber das ist nicht nötig … Oh. Äh … okay.“

Natalie schluckte. Dominic St. Sebastian lächelte nach wie vor, und die Hand an ihrem Arm würde sicher keine Spuren hinterlassen. Dennoch kam sie sich vor wie eine Verbrecherin bei der Abführung vom Tatort.

An der Tür sah er sie durchdringend an. „Wo wohnen Sie?“

„Wie bitte?“

„Wo wohnen Sie?“

Großer Gott? Wollte er sie anmachen? Nein, sie war ganz eindeutig nicht sein Typ. Nach allem, was Zia laut lachend erzählt hatte, stand ihr Bruder auf langbeinige Blondinen oder kurvige Brünette. Und davon gab es offenbar eine ganze Reihe, den Bemerkungen der Großherzogin nach zu urteilen, die gelegentlich eine spitze Bemerkung über sein zügelloses Verhalten fallen ließ.

Allein schon deshalb hatte Natalie etwas gegen Dominic St. Sebastian. Sie entzog ihm ihren Arm. „Ich glaube, es geht Sie nichts an, wo ich wohne.“

„Da Sie diesen Unsinn mit dem Kodizill aufgebracht haben, geht es mich sehr wohl etwas an.“

Moment! Er konnte sie persönlich herabsetzen, aber er konnte nicht ihre Arbeit infrage stellen. Empört fuhr sie ihn an: „Es ist kein Unsinn, und Sie wüssten das, wenn Sie sich auch nur im Geringsten für die Geschichte Ihrer Familie interessieren würden. Ich schlage vor, Sie bringen etwas mehr Achtung für Ihr Erbe auf, Euer Durchlaucht. Für Ihr Erbe und für die Großherzogin.“

Er sagte etwas auf Ungarisch, das nicht sehr freundlich klang. Dabei lehnte er einen Ellenbogen gegen die Tür und beugte sich näher. Zu nah! Sie sah sich in seinen Pupillen. Roch den Aprikosen-Brandy in seinem Atem. „Meine Achtung für Charlotte ist genau der Grund, wieso wir beide uns unterhalten werden, okay? Ich frage noch einmal: Wo wohnen Sie?“

„Sie sind doch Geheimagent“, erklärte sie kühl. „Finden Sie es selbst heraus.“

Dom fluchte, als die Tür etwas lauter als nötig hinter ihr ins Schloss fiel.

2. KAPITEL

Dom brauchte nur einen Anruf, um alles Wichtige zu erfahren. Natalie Elizabeth Clark. Geboren in Farmington, Illinois. Neunundzwanzig Jahre alt. Einen Meter fünfundsechzig groß. Braunes Haar. Braune Augen. Ledig. Studium an der Universität von Michigan. Abschluss in Bibliothekswesen. Drei Jahre Arbeit im Archiv des Centerville Community Colleges, vier Jahre im Zentralarchiv des Staates Illinois. Zurzeit wohnhaft in Los Angeles. Persönliche Assistentin von Sarah St. Sebastian.

Eine Archivarin. Großer Gott!

Dom schüttelte den Kopf, als er mit dem Taxi in die Stadt fuhr. Er sah sie in einem kleinen Büro vor sich, den Blick durch die dicken Brillengläser auf einen Bildschirm gerichtet. Er sah vor sich, wie sie einen endlosen Strom an Dokumenten durchging. Das hatte sie sieben Jahre lang gemacht! Er hätte sich nach nur einer Woche die Kugel gegeben! Kein Wunder hatte sie zugegriffen, als Sarah ihr diesen Job anbot!

Nun ging sie immer noch einen Strom von Dokumenten durch. Sie forschte immer noch in Archiven. Aber zumindest konnte sie jetzt um die Welt reisen, um Zugang zu den interessantesten Unterlagen zu bekommen. Und dabei stand ihr sicher ein sehr großzügig bemessener Betrag an Reisespesen zur Verfügung.

Zumindest ließ das W New York darauf schließen, das Luxushotel, in dem sie abgestiegen war. Dominic hielt sich nicht mit der Rezeption auf. Sein Informant hatte ihm verraten, dass Ms Clark vor zwei Tagen Zimmer 1304 bezogen hatte. Und eine spezielle Software verriet ihm, dass ihr Handy im Moment Signale aus diesem Zimmer schickte.

Zwei Minuten später klopfte Dom an ihre Tür. Hinter dem Spion wurde es für einen Moment dunkel. Als nichts passierte, klopfte er noch einmal.

Keine Reaktion.

„Hier ist Dominic St. Sebastian, Ms Clark. Ich weiß, dass Sie da sind. Bitte machen Sie auf.“

Sie tat es, wenngleich spürbar widerwillig. „Für gewöhnlich meldet man sich vorher an, statt einfach so vor der Tür zu stehen.“

Die Augusthitze hatte ihr Leinenkleid völlig zerknittert. Statt der flachen Pumps trug sie jetzt Flip-Flops aus dem Hotel. Die Spange hatte sie gelöst, sodass das Haar in überraschend dicken weichen Wellen auf ihre Schultern fiel. Sie musterte Dom kühl. „Dürfte ich erfahren, wieso Sie den ganzen Weg hierhergemacht haben?“

Dieselbe Frage hatte Dom sich auch schon gestellt. Er hatte sich bestätigen lassen, dass die Frau war, wer sie zu sein vorgab. Wahrscheinlich hätte er keinen weiteren Gedanken an Natalie Clark verschwendet, wäre da nicht das leichte Beben ihrer Nasenflügel gewesen. Irgendwie provozierte es sein männliches Ego. Und er hatte noch nie einer Herausforderung widerstehen können. Allerdings: Obwohl Zia ständig das Gegenteil behauptete, musste er nicht unbedingt gleich mit jeder Frau, die seine Aufmerksamkeit erregte, ins Bett gehen.

Aber hier war er nun, und hier wollte er bleiben, bis seine Neugier in Bezug auf diese Frau befriedigt war. „Ich hätte gern mehr Informationen über das Kodizill, das Sie gefunden haben, Ms Clark.“

„Ich maile Ihnen die Dokumentation zu, die ich …“

„Ich würde es vorziehen, es mir jetzt anzusehen. Darf ich hereinkommen, oder führen wir das Gespräch hier auf dem Gang?“

Sie trat beiseite. Doms Jagdinstinkt war geweckt. Zu schade, dass er am nächsten Tag in Washington sein musste. Zu gern hätte er herausgefunden, was es brauchte, um diese Lippen dazu zu bringen, seinen Namen zu flüstern.

Sein Blick glitt durch den Raum. Zwei Betten. Auf einem ihre Ledermappe und daneben mehrere Stapel von Dokumenten. Ein Sessel vor dem Fernseher. In der Ecke ein Schreibtisch mit weiteren Stapeln von Papieren. Ein geöffneter Laptop, dessen Bildschirm im Moment die Zeichnung eines mit Juwelen besetzten Eis zeigte.

„Von Fabergé?“ Interessiert betrachtete Dom die Darstellung des kunstvoll verzierten Eis, das in einer von einem Engel gezogenen goldenen Kutsche lag.

„Richtig.“

„Engel mit Wagen-Ei“, las Dom. „Ein Geschenk von Zar Alexander III an seine Frau, Ostern 1888. Eines der acht Fabergé-Eier, über dessen Verbleib nichts Näheres bekannt ist.“

Er warf einen Blick auf die junge Frau, die dicht neben ihrem Laptop stand, so als müsse sie ihn vor forschenden Augen beschützen.

„Suchen Sie danach?“

„Ich dokumentiere nur seine Geschichte.“

„Was haben Sie bisher herausgefunden?“

Die Lippen spannten sich, aber Dom war zu erfahren in der Verhörtechnik, um sie wieder vom Haken zu lassen. Er wartete einfach, bis sie widerstrebend nickte.

„Den Dokumenten nach war es bis 1891 im Gatchina Palast in Sankt Petersburg. Es gehörte zu ungefähr vierzig Eiern, die nach der Oktober-Revolution in den Kreml nach Moskau geschickt wurden. Experten vermuten, dass es in den 1930er-Jahren an Armand Hammer verkauft wurde, aber …“

Er spürte den Moment, in dem die Faszination von ihrer Arbeit stärker wurde als der Widerwille, mit ihm darüber zu sprechen. Ihre braunen Augen leuchteten. Ihre sehr verführerischen braunen Augen, korrigierte er sich, während sie ihre Brille abnahm und sie gedankenverloren an einem Bügel drehte.

„Ich habe einen Nachweis gefunden, dass ein ähnliches Ei 1930 von einem Antiquitätengeschäft in Paris verkauft wurde. Ein Geschäft, das einem russischen Emigranten gehörte. Niemand weiß, wie er in den Besitz des Eis gekommen ist, aber ich habe eine Quelle gefunden, die ich überprüfen möchte, wenn ich in der nächsten Woche in Paris bin. Es kann sein …“

Sie unterbrach sich plötzlich und setzte die Brille wieder auf. Der Ausdruck der Begeisterung in ihren Augen wich dem der Vorsicht.

„Ich will Sie nicht aushorchen“, versicherte Dom ihr rasch. „Interpol hat eine ganze Abteilung, die sich mit verlorenen, gestohlenen oder im Krieg geraubten Kunstschätzen befasst.“

„Ich weiß.“

„Wenn Sie wollen, kann ich ein Treffen für Sie mit dem Leiter der französischen Abteilung arrangieren. Ich meine, wenn Sie schon in Paris sind …“

Das lässig hingeworfene Angebot schien sie für einen Moment aus dem inneren Gleichgewicht zu bringen. „Ich … ähm … ich habe Zugang zu ihrer Datenbank, aber …“ Ihr Blick fiel auf den Bildschirm und wanderte zurück zu Dom. „Das wäre sehr nett“, sagte sie steif. „Vielen Dank.“

Er lachte leise. „Na, sehen Sie, hat doch gar nicht wehgetan, oder?“

In Natalies Kopf schrillte so etwas wie eine Alarmglocke. Sie musste sich zwingen, eine kühle Fassade zu wahren. Sie würde sich nicht von einem Lachen und einem Paar dunkler Schlafzimmeraugen verführen lassen. Nicht noch einmal!

„Ich gebe Ihnen meine Karte“, erklärte sie steif. „Der Mann kann mich jederzeit über Handy oder per E-Mail erreichen.“

„So cool, so höflich.“ Ohne einen Blick auf die Karte zu werfen, ließ er sie in seiner Jackentasche verschwinden. „Was ist es, das Sie an mir nicht mögen?“

Vielleicht alles?

„Ich kenne Sie nicht gut genug, um Sie zu mögen oder nicht zu mögen.“ Dabei hätte sie es bewenden lassen, wäre er nicht so nah gewesen. „Und das ist okay“, setzte sie mit einem Schulterzucken hinzu.

Sie erkannte ihren Fehler sofort. Männer wie Dominic St. Sebastian nahmen so eine Äußerung als Herausforderung. Rasch versuchte sie, dem Gespräch eine neue Wende zu geben. „Sie möchten mehr Informationen über das Kodizill. Ich habe eine Kopie auf meinem PC. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das Dokument ausdrucken.“

Sie zog den Schreibtischstuhl heraus. Dom war gezwungen, einen Schritt zurückzuweichen, damit sie sich setzen konnte. Die Erleichterung über die größere Distanz währte nicht lange, denn er stützte eine Hand auf den Tisch und sah ihr über die Schulter. Sein Atem streifte die Haarsträhnen an ihrer Schläfe. Strich warm über ihr Ohr. Sie zwang sich, nicht abwehrend die Schultern hochzuziehen, aber es kostete sie all ihre Kraft.

Er betrachtete den Scan des Dokuments auf dem Bildschirm. „Das ist das Papier, von dem die Großherzogin glaubt, es mache mich zum Herzog?“

„Zum Großherzog“, korrigierte Natalie ihn. „Entschuldigen Sie, ich muss den Papiereinzug des Druckers kontrollieren.“

Ihr kleiner transportabler Drucker hatte problemlos Seite um Seite ausgespuckt, bevor Dominic St. Sebastian ihre Arbeit unterbrochen hatte. Aber es war der einzige Vorwand, der ihr einfiel, um ihn dazu zu bringen, ihr etwas Luft zum Atmen zu geben.

Er nahm die Kopie und machte es sich im Sessel bequem, während er sich bemühte, die alte Schrift zu entziffern. Natalie war versucht, ihn noch länger zu quälen, hatte dann aber Erbarmen und ließ die Übersetzung ausdrucken.

„Ich habe das Kodizill durch Zufall entdeckt, während ich Recherchen zu dem Canaletto angestellt habe, der einmal auf Burg Karlenburgh gehangen hat“, erklärte sie. „Ich hatte eine vage Erwähnung des Gemäldes im Österreichischen Staatsarchiv in Wien gefunden.“

Ihre Begeisterung gewann wieder die Oberhand. Viele Menschen hielten ihren Beruf für trocken und langweilig. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie spannend es sein konnte, eine vage Spur nach der anderen zu verfolgen, bis man schließlich ein oft überraschendes Ergebnis hatte.

„Die Archive sind so riesig, dass es noch Jahre dauern wird, bis alles digitalisiert ist. Aber die Ergebnisse sind erstaunlich. Wirklich erstaunlich. Das älteste Dokument stammt aus dem Jahre 816.“

Dominic nickte, aber das alles schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. Frustriert wandte sie sich wieder dem eigentlichen Thema zu.

„Das Kodizill gehörte zu einer großen Sammlung von Briefen und Verträgen, die alle mit dem Krieg zwischen Österreich und Preußen zu tun haben. Es läuft auf das hinaus, was die Großherzogin Ihnen heute Nachmittag gesagt hat: Kaiser Franz Joseph hat den St. Sebastians das Recht verliehen, so lange den Titel des Großherzogs und der Großherzogin von Karlenburgh zu tragen, solange dort die Grenze verläuft. Das Herzogtum existiert nicht mehr, aber dieses Stück Grenze zwischen Österreich und Ungarn gibt es tatsächlich immer noch. Also gilt auch der Adelstitel noch.“

Dominic schüttelte den Kopf. „Wir wissen doch beide, dass dieses Dokument das Papier nicht wert ist, auf dem Sie es gerade ausgedruckt haben.“

„Die Großherzogin sieht das anders.“

„Stimmt. Und darüber müssen wir sprechen.“

Er faltete den Ausdruck und schob ihn in die Jackentasche. Dabei ließ er Natalie nicht aus den Augen. Sein Blick war kühl geworden. „Charlotte St. Sebastian ist aus Karlenburgh geflohen. Mit ihrem Baby auf dem Arm ist sie zu Fuß zwanzig oder dreißig Meilen weit durch den Schnee gelaufen. Ich weiß, dass es heißt, sie habe auch ein Vermögen an Juwelen gerettet. Ich will das nicht bestätigen …“

Das musste er nicht. Natalie hatte sich die Geschichte schon selbst zusammengesetzt – aus eigenen Recherchen und aus Kommentaren von Sarah über persönliche Dinge, die die Großherzogin im Laufe der Jahre verkauft hatte, um ihre Enkeltöchter in dem Stil erziehen zu können, den sie für angemessen hielt.

„… aber ich warne Sie! Der Wunsch der Großherzogin, ihre Adelslinie fortbestehen zu sehen, ist nur natürlich. Ich möchte nicht, dass Sie sich das zunutze machen.“

„Wie bitte?“ Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was er meinte. Als es ihr klar wurde, schnappte sie nach Luft vor Empörung. „Glauben Sie etwa …? Glauben Sie allen Ernstes, ich hätte dieses Kodizill gefälscht, um Geld von den St. Sebastians zu bekommen?“ Sie sprang auf.

Er richtete sich gleichfalls auf. „Im Moment nicht. Sollte ich etwas anderes herausfinden, werden wir beide uns mit Sicherheit noch einmal über dieses Thema unterhalten.“

„Raus!“

„Sollte das nicht heißen: Raus, Euer Durchlaucht?“

Es hätte nicht viel gefehlt, und es wäre zu einem Mord gekommen.

Dom fuhr mit dem Taxi zurück zu einem letzten Treffen mit der Großherzogin und seiner Schwester. Er konnte nicht sagen, dass das Gespräch mit Ms Clark seine Zweifel beseitigt hatte. Diese Frau hatte irgendetwas an sich, das er nicht benennen konnte. Sie kleidete sich in unförmige Säcke und liebte es offenbar, in Gesellschaft im Hintergrund zu bleiben. Ein unscheinbares graues Mäuschen – das überhaupt nicht mehr unscheinbar war, wenn es wütend wurde und seine braunen Augen blitzten.

Zu schade, dass er keine Zeit hatte, sie näher kennenzulernen. Das wäre sicher weit interessanter gewesen als das Meeting, das ihm am nächsten Tag in Washington bevorstand. Den Rest der Taxifahrt verbrachte er damit, sich verschiedene Szenarien auszumalen für den Fall, dass sich seine Wege und die von Natalie Elizabeth Clark noch einmal kreuzen sollten.

Er hatte sich mehr oder weniger entschieden, es noch einmal zu einem solchen Treffen kommen zu lassen, als Zia ihm die Tür zum Apartment der Großherzogin öffnete.

„Schon so schnell zurück?“ In ihren Augen tanzte ein Lachen. „Ms Clark ist deinem männlichen Charme also nicht verfallen und mit dir ins Bett gehüpft?“

Die Neckerei kam seinen Gedankenspielen so nah, dass seine Antwort etwas schroffer ausfiel als beabsichtigt: „Ich war nicht in ihrem Hotel, um mit ihr ins Bett zu gehen!“

„Nicht? Na, das wäre ja einmal etwas ganz Neues.“

Jézus, Mária és József! Du und deine spitze Zunge, Anastazia Amalia. Ich hätte dir den Mund mit Seife auswaschen sollen!“

„Ha! Das hättest du nie geschafft! Aber komm rein. Charlotte spricht gerade per Skype mit Sarah. Ich glaube, ihre Unterhaltung könnte dich interessieren.“

Skype? Die Großherzogin? Dom fand es unfassbar, dass eine Frau, die zwischen den beiden großen Weltkriegen geboren war, sich auf diese neueste Technik einließ. Schweigend folgte er seiner Schwester ins Wohnzimmer. Ein Blick auf die Szene, die sich ihm bot, korrigierte seine Vorstellung von der technischen Affinität der Großherzogin.

Sie saß hoch aufgerichtet in ihrem gewohnten Sessel, eine Hand auf ihrem Gehstock. Auf ihren Knien lag ein iPad, mit dem sie sich erkennbar unbehaglich fühlte. Gina saß im Schneidersitz vor ihr auf dem Boden und hielt den Bildschirm im richtigen Winkel.

Sarahs Stimme war zu hören, und ihr Gesicht füllte fast den ganzen Bildschirm. Daneben war ihr Mann zu sehen.

„Es tut mir leid, Grandma. Es ist mir einfach so herausgerutscht.“

„Was meinst sie?“, fragte Dom Zia leise.

„Dich.“ Das Lachen in Zias Augen war immer noch da.

„Mich?“

„Shhhh. Hör einfach zu.“

Mit gerunzelter Stirn wandte Dom seine Aufmerksamkeit der Unterhaltung zu.

„Alexis rief an mit einem Angebot, mein Buch in der Beguile groß herauszubringen“, erklärte Sarah gerade. „Einerseits, weil ich früher bei der Zeitschrift gearbeitet habe, und andererseits wegen meines Titels. Du weißt, wie sie ist.“

„Allerdings“, bemerkte die Großherzogin trocken.

„Ich habe ihr gesagt, dass es noch zu früh ist, über das Buch zu berichten. Leider habe ich ihr dann auch gesagt, dass wir viel schneller vorankommen als erwartet, weil ich nun diese clevere Assistentin habe. Und …“ Sie seufzte schwer. „… ich habe den fatalen Fehler gemacht, das Kodizill zu erwähnen, über das Natalie gestolpert ist, als sie ihre Recherchen zu dem Gemälde von Canaletto anstellte.“

Doms innere Alarmsirenen begannen zu schrillen, aber die Großherzogin schien mit ihren Gedanken ganz woanders. „Dein Großvater hat mir dieses Bild von Venedig geschenkt“, sagte sie versonnen. „Gleich nachdem ich mit deiner Mutter schwanger wurde.“ Sie schien weit fort zu sein. Niemand wagte, sie zu stören.

„Dort ist es passiert“, fuhr sie fort. „… in Venedig. Wir sollten an einem Karnevalsball im Palazzo von Ari Onassis teilnehmen. Ich hatte eine herrliche Maske, ganz besetzt mit Perlen und Spitze. Aber … Wie heißt es doch in dieser grässlichen Werbung? Man weiß nie, wann es einen überkommt? Ich kann nur sagen, dass es deinen Großvater an dem Abend wirklich überkommen hat.“

Gina lachte laut auf. „Erzähl weiter, Grandma!“

Auch Sarah lachte, und ihr Mann fluchte amüsiert. „Verdammt! Meine Frau hat vorgeschlagen, in diesem Frühling zum Karneval nach Venedig zu fliegen, und ich musste ihr stattdessen eine Fotosafari in Afrika einreden!“

„Beim nächsten Mal wirst du auf sie hören“, bemerkte die Großherzogin trocken – wobei Dom hätte wetten mögen, dass sie wie alle hier wusste, dass die Leidenschaft ebenso in der afrikanischen Savanne zuschlagen konnte wie in Venedig.

„Eins verstehe ich nicht“, bemerkte Gina. „Was ist schon dabei, Alexis von dem Kodizill zu erzählen?“

„Nun ja …“ Sarah wand sich sichtlich vor Verlegenheit. „Ich fürchte, ich habe Dominic auch erwähnt.“

Dom fluchte, während Gina laut auflachte. „Wow! Das ist doch ein gefundenes Fressen für die Beguile! Das gibt eine neue Top-Ten-Liste – diesmal suchen sie nicht mehr den Sexiest Man Alive, sondern den Sexiest Royal Single Alive. Ich sehe es schon vor mir!“

„Ich weiß.“ Sarah seufzte. „Es wird derselbe Hexenkessel sein, den Dev durchmachen musste, als er ganz oben auf der Liste stand. Wenn du Dominic siehst, sag ihm, dass es mir leidtut.“

„Das kannst du ihm gleich selbst sagen. Er ist hier.“ Gina winkte ihn herüber.

Als Dominic vor der Kamera des iPad erschien, war Sarah sichtlich verlegen. „Es tut mir leid, Dom. Ich habe Alexis das Versprechen abgenommen, das Ganze nicht auszuschlachten, aber …“

„Mach dich auf einiges gefasst“, ließ sich ihr Mann aus dem Hintergrund vernehmen.

„Damit werde ich schon fertig.“ Dom war nicht ganz so zuversichtlich, wie er vorgab.

„Glaubst du?“ Dev schüttelte den Kopf. „Warte, bis die Frauen versuchen, dir ihre Telefonnummern zuzustecken, und die Reporter dir die Mikrofone vor die Nase halten.“

Die erste Drohung schreckte Dom nicht weiter. Die zweite erschien ihm reichlich unwahrscheinlich – bis er am folgenden Nachmittag in Washington vor dem Gebäude von Interpol aus dem Taxi stieg und sich einer Menge hartnäckiger Reporter gegenübersah.

„Euer Durchlaucht!“

„Hierher!“

„Heh! Hoheit!“

Dom wusste, wie fasziniert die Amerikaner von allem waren, was mit dem europäischen Adel zu tun hatte. Er hielt sich die Hände schützend vor das Gesicht wie ein verurteilter Krimineller und schob sich hastig durch die aufdringliche Meute.

3. KAPITEL

Zwei Wochen später hätte Dominics Laune nicht schlechter sein können. Wohl ein Dutzend amerikanischer und europäischer Boulevardzeitungen hatte sein Foto auf der ersten Seite gebracht mit begeisterten Berichten über das Auftauchen eines lange verborgenen Großherzogs.

Als die Veröffentlichungen begannen, hatte er schon erwartet, ins Hauptquartier von Interpol zitiert zu werden. Er hatte auch erwartet, dass sein Boss ihm raten würde, abzutauchen, bis sich der Hype gelegt hatte. Nicht gerechnet hatte er damit, dass man ihn bis auf Weiteres nach Hause nach Budapest schickte. Jedes Mal, wenn er dachte, es sei endlich vorbei, tauchte sein Foto in einer anderen Zeitung auf.

Das öffentliche Interesse machte auch vor seinem Privatleben nicht halt. Seine private Telefonnummer war plötzlich sehr aktiv. Einige der Anrufe kamen von ehemaligen Geliebten, andere von Fremden, die die Nummer von ihren Freundinnen bekommen hatten und den neuen Großherzog gern einmal persönlich kennenlernen wollten.

Die meisten hatte er lachend abgewimmelt, einige der hartnäckigeren Art kurz und knapp beschieden, sie möchten ihn in Ruhe lassen. Aber eine der Frauen hatte so witzig und sexy geklungen, dass er sich mit ihr in einer Coffee Bar verabredet hatte. Sie erwies sich als eine üppige Brunette, die live ebenso bezaubernd war wie am Telefon. Dom ging gern auf ihren Vorschlag ein, einen zweiten Kaffee to go zu nehmen und entweder bei ihm oder bei ihr zu trinken.

Bevor er seine Bestellung aufgeben konnte, bat sie die Bedienung, ein Foto von ihnen beiden mit ihrem Handy zu machen. Und noch am Tisch hatte sie es per Mail weitergeschickt. Nur an einige Freundinnen, wie sie ihm lächelnd versicherte. Und eine davon arbeitete offensichtlich bei einer lokalen Boulevardzeitung, die das Foto nächsten Tag prompt auf der Titelseite brachte.

Die Belästigungen durch Fremde waren eine Sache, das veränderte Verhalten seiner Freunde und Bekannten eine andere. Für sie war er plötzlich nicht mehr einfach Dominic St. Sebastian, sondern Dominic, Großherzog von Karlenburgh. Großherzog eines Ländchens, das es bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr gab!

Unter den Umständen war Dom alles andere als begeistert, als jemand an diesem kühlen Septemberabend an die Tür seines Lofts hämmerte. Das Hämmern wurde gleich darauf gefolgt vom wütenden Bellen des großen Hundes, der ihm vor einem Jahr nach Hause gefolgt war und beschlossen hatte zu bleiben.

„Ruhig!“

Der Befehl blieb ohne Wirkung. Der Hund schien es für seine heilige Pflicht zu halten, seine Anwesenheit allen Besuchern lautstark kundzutun. Wenn Dominic nicht da war, kümmerten sich seine Nachbarn um das Tier. Der Zwangsurlaub hatte Hund und Herrchen nun wieder glücklich vereint. Zumindest der Hund sah das so. Dominic musste sich noch daran gewöhnen, sein kühles Gold Fassl mit dem bierversessenen Vierbeiner zu teilen.

„Gnade Gott, falls das wieder so ein verdammter Reporter ist!“, knurrte Dom, während er den Hund beiseiteschob und einen Blick durch den Spion warf. Er sah zwei uniformierte Polizisten, zwischen ihnen eine mitgenommen wirkende Frau. Dom erkannte sie erst, als er die Tür öffnete.

„Mi a fene!“ Er fluchte unwillkürlich auf Ungarisch, bevor er sich fing und auf Englisch umschwenkte. „Natalie? Was ist denn mit Ihnen passiert?“

Sie konnte nicht antworten, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, den Hund abzuwehren, der sie aufgeregt beschnüffelte. Dom packte den Agár beim Halsband und zog ihn zurück, aber er bekam immer noch keine Antwort. Die Frau starrte ihn nur an, die Stirn gerunzelt, das Haar in nassen Strähnen an das Gesicht geklatscht.

„Sind Sie Dominic St. Sebastian?“, fragte einer der Beamten.

„Richtig.“

„Der Großherzog?“

Er hatte Mühe, den Hund zu halten. „Ja.“

Der zweite Beamte, seinem Namensschild zufolge Gradjnic, warf einen Blick auf die Boulevardzeitung in seiner Hand, die das Foto von Dominic mit der Brünetten in der Coffee Bar zeigte. „Er sieht ganz so aus.“

Sein Partner deutete auf Natalie. „Sie kennen diese Frau?“

„Allerdings.“ Doms Blick glitt über die Archivarin – von dem nassen Haar hinunter zu der eingerissenen Jacke bis zu einem Paar Sneakers, das ihr eindeutig ein paar Nummern zu groß war. „Was zum Teufel ist mit Ihnen passiert?“

„Vielleicht können wir hereinkommen?“, schlug Gradjnic vor.

„Ja. Ja, natürlich.“

Dom sperrte den Hund in das Badezimmer. Der Agár winselte und kratzte an der Tür, bevor er sich hörbar dem großen Knochen zuwandte, den Dom für Notfälle wie diesen auf einer Matte neben der Tür liegen hatte.

Abgesehen von dem kleinen Badezimmer bestand das Loft nur aus einem einzigen großen Raum, der früher einmal als Lager des Ethnologischen Museums gedient hatte. Nachdem das Museum neue Räume bezogen hatte, wurde das alte Gebäude in Apartments umgewandelt. Zia hatte gerade ein Stipendium für ihr Medizinstudium ergattert, daher fühlte Dom sich frei, seine ganzen Ersparnisse in dieses Loft im renommierten Burgviertel auf der Budaer Seite der Donau zu investieren. Er ließ die alten Eichenböden abschleifen und auf Hochglanz bringen und einen Teil des Dachs herausbrechen, um ein großes Panoramafenster mit atemberaubendem Blick auf den Fluss einzusetzen.

Auch die Besucher dieses Abends waren fasziniert. Alle drei starrten auf die angestrahlten Türme, die Pfeiler und die Kuppel des Parlamentsgebäudes auf der Pester Seite der Donau. Die Ausflugsdampfer fuhren direkt an der Ufertreppe unmittelbar vor dem Gebäude entlang.

Ungeduldig beendete Dominic die Betrachtungen. „Bitte, setzen Sie sich! Und würde mir nun bitte endlich jemand erklären, was passiert ist?“

„Es geht um diese Frau“, sagte Gradjnic, dessen Englisch einen stark ungarisch gefärbten Akzent hatte. Er zog ein kleines schwarzes Notizbuch aus der Hemdtasche. „Was sagten Sie – wie ist ihr Name?“

Dom sah Natalie fragend an. „Haben Sie ihnen Ihren Namen nicht genannt?“

„Ich … ich erinnere mich nicht daran.“

„Wie bitte?“

Sie runzelte die Stirn. „Ich erinnere mich an überhaupt nichts.“

„Nur der Großherzog ist ihr eingefallen“, bemerkte Gradjnic trocken.

„Einen Moment!“, warf Dom ein. „Bitte erzählen Sie von Anfang an.“

Der Polizeibeamte blätterte in seinem Notizbuch. „Um 10 Uhr 32 teilte uns die Zentrale mit, dass Passanten eine Frau aus der Donau gezogen haben. Wir fanden diese junge Dame zusammen mit ihren Rettern auf einer Bank am Ufer. Sie hatte keine Schuhe mehr und keine Tasche. Kein Handy. Keine Ausweispapiere. Keine Erinnerung daran, wie sie in den Fluss gekommen ist. Als wir nach ihrem Namen gefragt haben oder dem Namen irgendeines Freundes oder Bekannten hier in Budapest, konnte sie nur Großherzog sagen. Auf Englisch.“

„Himmel!“

„Sie hat eine Beule so groß wie ein Gänseei auf dem Hinterkopf.“

Als Doms Blick wieder zu Natalie schoss, betastete sie vorsichtig ihren Kopf. „Eher ein Taubenei“, korrigierte sie.

„Wie auch immer. Die Beule lässt vermuten, dass sie von einer Brücke gestürzt ist oder von einem Donaudampfer und sich dabei den Kopf gestoßen hat. Allerdings hat keines unserer Schiffe einen Passagier gemeldet, der über Bord gegangen ist. Wir haben sie ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte haben weiter keine ernsthafte Verletzung festgestellt.“

„Keine verschwommene Sicht?“ Dom sah sie fragend an. Er hatte oft genug Schläge an den Kopf bekommen – und selbst ausgeteilt –, um die Folgen zu kennen. „Keine Übelkeit? Keine Probleme mit dem Gleichgewicht?“

„Nur der Gedächtnisverlust. Der Arzt meinte, das sei in einem solchen Fall nicht ungewöhnlich. Da sie sich an nichts erinnert, hatten wir nur die Wahl, sie im Krankenhaus zu lassen oder zu dem einzigen Menschen zu bringen, den sie hier in Budapest zu kennen scheint – zum Großherzog.“

Für einen Moment musste Dominic an die bebenden Nasenflügel denken und die Verachtung, die er beim ersten Treffen in ihrem Blick bemerkt hatte. Er nahm an, Ms Clark wäre lieber im Krankenhaus geblieben als hier bei ihm.

„Ich kümmere mich um sie“, versprach er. „Aber sie müsste doch eigentlich irgendwo ein Hotelzimmer in der Stadt haben.“

„Falls dem so ist, lassen wir es Sie wissen.“ Gradjnic schlug eine leere Seite auf. „Was haben Sie gesagt – wie ist ihr Name?“

„Natalie. Natalie Clark.“

„Amerikanerin, dem Akzent nach zu urteilen.“

„Richtig.“

Dom sah Natalie fragend an. „Sie sollten sich irgendwann in dieser Woche mit Sarah treffen. In Paris, oder?“

„Sarah?“

„Das ist meine Cousine. Sarah St. Sebastian Hunter.“

Ihre erste Reaktion war ein verständnisloser Blick. Die zweite Reaktion verblüffte alle drei Männer.

„Mein Kopf tut weh.“ Sie stand auf. „Ich bin müde. Und diese Sachen stinken.“

Mit dieser Erklärung ging sie zielstrebig auf das ungemachte Bett am anderen Ende des Loft zu. Auf dem Weg warf sie die zu großen Sneakers ab. Dom sprang auf, als sie auch die eingerissene Jacke abstreifte.

„Einen Moment mal!“

„Ich bin müde“, wiederholte sie. „Ich will schlafen.“

Sie schüttelte seine Hand ab und ließ sich vornüber auf das Bett fallen. Die drei Männer sahen mit unterschiedlichen Mischungen aus Überraschung und Resignation zu, wie sie das Gesicht in das Kopfkissen schmiegte.

Gradjnic war es schließlich, der das Schweigen brach. „Ich glaube, wir können hier nichts mehr tun. Wir haben ja ihren Namen und werden versuchen herauszufinden, wie Ms Clark ins Land gekommen ist und wo sie sich in Ungarn aufgehalten hat. Und Sie rufen uns bitte an, falls sie sich erinnert, wie sie in die Donau gekommen ist, okay?“

„Okay.“

Das Geräusch der zufallenden Tür lenkte die Aufmerksamkeit des Agár von dem Knochen ab, mit dem er sich beschäftigt hatte. Er begann erneut zu winseln. Dom ließ ihn aus dem Badezimmer, behielt ihn aber im Auge, während er die Fremde auf dem Bett beschnüffelte. Offenbar kam er zu dem Schluss, dass sie keine Gefahr darstellte, denn er ließ von ihr ab und streckte sich vor dem großen Fenster aus.

Dom wählte bereits die Nummer seiner Cousine.

„Hallo?“, ließ sich eine verschlafene Stimme vernehmen.

„Ich bin’s, Dom.“

„Dom?“

„Wo bist du?“

„Wir sind in … äh … Dalian. In China“, setzte sie hinzu und klang schon etwas wacher – und plötzlich alarmiert. „Ist etwas passiert? Ist etwas mit Grandma? Gina? Zia? Oh, Gott, ist etwas mit den Zwillingen?“

„Beruhige dich, Sarah. Alle sind okay. Bis auf deine Assistentin.“

Er hörte Bewegungen im Bett. Eine Matratze quietschte.

„Dev! Wach auf! Dom sagt, es ist etwas mit Natalie!“

„Ich bin wach.“

„Was ist passiert?“, wollte Sarah wissen.

„Ich vermute, sie ist von einer Brücke gefallen oder von einem Schiff. Man hat sie heute Morgen hier aus dem Fluss gezogen.“

„Ist sie …? Ist sie tot?“

„Nein, aber sie hat eine große Beule am Hinterkopf, und sie erinnert sich an nichts. Nicht einmal an ihren Namen.“

„Großer Gott! Dev, Natalie ist verletzt! Würdest du bitte deine Crew wecken, damit sie den Jet vorbereiten? Ich muss sofort nach Paris fliegen.“

„Sie ist nicht in Paris“, warf Dom ein. „Sie ist hier bei mir in Budapest.“

„In Budapest? Aber … Warum?“

„Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen kannst.“

„Sie hat nichts von Ungarn gesagt, als wir uns in der vergangenen Woche getroffen haben. Sie wollte nach Wien fahren, um weitere Nachforschungen zu dem Canaletto anzustellen.“ Ein vorwurfsvoller Unterton schlich sich in ihre Stimme. „Sie wollte auch weitere Recherchen zu dem Kodizill machen. Du scheinst irgendetwas gesagt zu haben, das sie sehr irritiert hat.“

Er hatte nicht die Absicht, dieses Thema im Moment zu vertiefen. „Du weißt also nicht, wieso sie in Ungarn ist?“

„Ich habe keine Ahnung. Ist sie gerade bei dir? Lass mich mit ihr reden.“

Sein Blick fiel auf die Gestalt auf seinem Bett. „Sie ist im Moment nicht ansprechbar, Sarah. Sie sagte, sie sei müde, und hat sich einfach auf das Bett fallen lassen.“

„Was ist mit ihrem Gedächtnis? Kommt das wieder in Ordnung?“

„Ich weiß es nicht. Du solltest ihre Familie benachrichtigen.“

„Sie hat keine Familie.“

„Irgendjemanden muss sie doch haben. Großeltern vielleicht? Einen Onkel oder eine Tante?“

„Hat sie nicht“, beharrte Sarah. „Dev hat alles gecheckt, bevor ich sie eingestellt habe. Natalie weiß nicht, wer ihre Eltern sind. Sie hatte mehrere Pflegefamilien, bis sie sich mit achtzehn aus dem System ausgeklinkt und ihr Studium an der University of Michigan begonnen hat – mit einem Stipendium.“

Das ließ die spärlichen Informationen, die er über sie erhalten hatte, plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.

„Ich fliege gleich nach Budapest“, sagte Sarah. „Natalie kann bei uns bleiben, bis sie ihr Gedächtnis wiedergefunden hat.“

Doms Blick fiel auf die Frau auf seinem Bett. Er fällte eine Entscheidung – und ahnte gleichzeitig, dass er sie bedauern würde.

„Warte erst einmal ab. Könnte doch sein, dass alles wieder in Ordnung ist, wenn sie morgen früh aufwacht. Ich rufe dich dann an.“

„Ich weiß nicht …“

„Ich rufe dich an, Sarah. Versprochen.“

Nachdem sie widerstrebend zugestimmt hatte, unterbrach er die Verbindung und stand noch einen Moment nachdenklich mit dem Smartphone in der Hand am Bett. Er hatte zu lange als Geheimagent gearbeitet, um nicht ein gesundes Misstrauen entwickelt zu haben – zumal, wenn eine Frau aus dem Fluss gezogen wurde, die keinerlei Veranlassung hatte, hier in der Stadt zu sein. Nach kurzem Zögern gab er eine Nummer ein. Sein Kontakt bei Interpol nahm beim zweiten Klingeln ab.

„Oui?“

„Hier ist Dom“, sagte er rasch in fließendem Französisch. „Erinnern Sie sich an die Recherche, die Sie vor zwei Wochen für mich über Natalie Clark gemacht haben?“

„Oui.“

„Ich brauche weitere Informationen.“

„Oui.“

Nachdem er das Telefonat beendet hatte, betrachtete er seinen unerwarteten Hausgast einen Moment lang. Ihr Rock hatte sich um die Beine gewickelt, und die hochgeschlossene Bluse schien sie zu würgen. Nach kurzem Zögern rollte Dom sie auf den Rücken. Er hatte die Knöpfe der Bluse geöffnet und wollte sie ihr gerade ausziehen, als sie die Augen aufschlug.

„Was … tun Sie da?“ Das Sprechen schien ihr schwerzufallen.

„Ich will es Ihnen etwas bequemer machen.“

„Mmmm.“

Sie schlief schon wieder, noch ehe er ihr Rock und Bluse ausgezogen hatte. Ihre Dessous waren aus schlichter Baumwolle – und bedeckten, wie Dom automatisch registrierte, schlanke Hüften und einen festen kleinen Po. Er hielt es für klüger, ihr die Dessous nicht auszuziehen, und zog die Decke über sie. Danach öffnete er eine Flasche Bier und eine zweite für den Hund. Und richtete sich auf eine lange Nachtwache ein.

Etwas Kaltes, Feuchtes berührte ihren Ellenbogen. Ihre Schulter. Ihr Kinn. Natalie wurde erst wach, als etwas Raues über ihre Wange fuhr. Langsam kam sie zu sich und registrierte vage, dass sie in einem Bett lag. Sie schlug die Augen auf.

„Igitt!“

Ein feucht glänzender rosa Mund bewegte sich nur Zentimeter von ihren Augen entfernt. Eine lange Zunge hing zwischen spitzen Zähnen. Fast wie eine Antwort auf ihren erschreckten Ausruf stieß der offene Mund einen kräftigen Atemstoß aus begleitet von einem lauten Bellen.

Natalie wich zurück wie ein Krebs. Ihr Puls raste. Der größere Abstand gewährte ihr eine bessere Perspektive. Genügend, um die freundlichen Augen über der langen Schnauze zu erkennen. Darüber eine hohe Stirn mit einem braunen und einem weißen Ohr. Das Ganze gehörte zu einem schlanken, langen Körper mit einem wild hin und her wedelnden Schwanz.

Offenbar deutete der Hund ihr Zurückweichen als Zeichen dafür, dass sie ihm Platz machte. Mit einem freudigen Bellen landete er neben ihr auf der Matratze. Die Zunge nahm ihre rege Tätigkeit wieder auf und fuhr über ihre Wangen und das Kinn, bis sie ihn endlich fernhalten konnte.

„Wow! Hör auf!“ Lachend schob Natalie ihn ein Stück von sich. „O...

Autor

Jules Bennett
<p>Jules Bennett, die ihren Jugendfreund geheiratet hat, ist Mutter von zwei Mädchen – und, natürlich, Autorin. Voller Tatkraft managt sie ihr Leben. Wenn sie sich erst einmal ein Ziel gesetzt hat, hält nichts sie davon ab, es zu erreichen. Davon kann ihr Mann ein Lied singen. Jules Bennet lebt im...
Mehr erfahren
Lauren Canan
Mehr erfahren