Pikanter Skandal um einen Wüstenprinzen

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Nie hat Kronprinz Akeem seiner Jugendliebe Charlotte verziehen, dass sie ihn einst ohne Abschied verließ. Jetzt ist die Zeit gekommen, um sich an ihr zu rächen! Er lockt sie an Bord des königlichen Jets und verführt sie zu einer allerletzten Nacht der Leidenschaft. Keine Gefühle – nur Sex über den Wolken, der seinen Hunger nach ihr ein für alle Mal stillt. Danach wird Charlotte ihn nicht mehr in seinen Träumen verfolgen! Doch Akeems Plan droht zu scheitern. Denn um einen Skandal zu vermeiden, darf er Charlotte plötzlich nicht mehr gehen lassen …



  • Erscheinungstag 07.02.2023
  • Bandnummer 2582
  • ISBN / Artikelnummer 0800232582
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

PROLOG

Der Bastard war also tot.

Akeem zerriss den Bericht und schleuderte einen zerknüllten Fetzen des edlen Papiers quer durch den Raum. Und so endete die nur wenige Absätze lange Zusammenfassung des Lebens und Sterbens von Damien Hegarty auf einem Teppich aus silberner Seide.

Fast hätte Akeem laut aufgelacht. Der Mann, der ihn Monster – und Schlimmeres – genannt hatte, war gestorben. So bettelarm, wie er gelebt hatte. Der luxuriöse Läufer schien Damien im Tod zu verhöhnen.

Eigentlich hätte Akeem Erleichterung empfinden sollen, doch er spürte nichts.

Denn sie würde alles verlieren.

Akeem Abd al-Uzza, Kronprinz von Taliedaa, blickte auf das zerrissene Foto in seiner Hand.

Da war sie. Auf dem einzigen Foto von ihr, das er besaß.

Charlotte.

Mit einem Finger folgte er dem Umriss ihres Gesichts. Er erinnerte sich an jedes noch so kleine Detail. Von dem kleinsten Makel auf ihrer golden schimmernden Haut war er damals besessen gewesen.

Mit ihrer Gutherzigkeit hatte sie ihn betört.

„Gutherzigkeit, von wegen“, höhnte er leise.

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und stellte fest, dass seine Hand leicht zitterte. Verlangen stürmte plötzlich auf ihn ein und spülte vergessen geglaubte Erinnerungen an die Oberfläche, die ihn unerwartet aufwühlten.

Ihre Sommersprossen, über die er mit seiner Zunge gefahren war, ihre dunklen Brustspitzen, die er geküsst hatte. Wie sie seinen Namen gerufen hatte, als er ihren Körper erkundete. In der Nacht vor dem Tag, als sie ihm den Laufpass gab. Ihn entsorgt hatte, als sei er ein Nichts.

Akeem erhob sich von seinem Stuhl und ging zum Fenster. Er betrachtete die uralte Stadt zu seinen Füßen und die Hügel der Wüste am Horizont.

Wie immer verspürte er bei diesem Anblick ein eigenartiges Ziehen im Magen. Bald gehörte die Stadt ihm. Nein, sie gehörte ihm jetzt schon. Er schloss die Augen. Er, der ungewollte Thronerbe, war der Herrscher in dem Palast hoch oben in den Bergen.

Warum konnte er nach all den Widrigkeiten, die er überwunden hatte, nicht auch die Vergangenheit hinter sich lassen?

Und auch Charlotte Hegarty?

Das konnte er nicht, weil sie ihm wehgetan hatte. Vor beinahe zehn Jahren hatte sie ihm den Glauben an das Gute genommen. Und dennoch begehrte er sie noch immer.

Sehr sogar.

In zwei Wochen sollte er offiziell zum König ernannt werden. Ihm blieb nur noch kurze Zeit, bevor die Bürde der Krone ihn endgültig von seiner Vergangenheit fernhielt. Von ihr. Von dem Bedürfnis, ihr deutlich vor Augen zu führen, was ihr alles entgangen war und was für ein erbärmliches, mühsames Leben sie stattdessen führte.

Doch bevor er König wurde, wollte er sich an ihr rächen. Es sollte die Angelegenheit eines Privatmannes sein, nicht die eines Herrschers, doch die Chance wollte er sich nicht entgehen lassen.

Er würde Charlotte zeigen, dass in seiner Welt weder für sie noch für die Vergangenheit Platz war.

1. KAPITEL

Charlotte Hegarty öffnete die Hand und ließ Erde auf den Sarg ihres Vaters rieseln. Dabei fühlte sie … nichts. Sie war wie betäubt, vollkommen leer.

Ihre abgetragenen Ballerinas versanken im Boden, als sie sich umdrehte und dem einsamen Grab den Rücken zukehrte. Nur sie und der Priester waren da.

Niemand hatte sich die Mühe gemacht, zur Beerdigung zu kommen. Nicht einmal seine Saufbrüder. Freunde, die sich nur sehen ließen, wenn der Alkohol floss. Entschlossen setzte sie einen Fuß vor den anderen. Der viel zu dünne Blazer und die gestärkte weiße Bluse scheuerten unangenehm auf ihrer Haut, doch sie ging weiter. Ließ die Vergangenheit hinter sich, genau wie die Hoffnungen und Träume, die ihr Vater zerstört hatte. Ihm war die Flasche wichtiger gewesen als sie, Charlotte.

Seine Tochter.

Ihr grauste vor dem Totenmahl. Sie hoffte noch immer, dass irgendjemand kommen würde, um seiner zu gedenken und um ihn trauerte. Freibier würde es bei diesem Leichenschmaus allerdings nicht geben. Nur Erinnerungen, Schmerz und Reue. Davon jedoch wollten seine Freunde nichts wissen. Sie wollten nicht sehen, welche Folgen ihr Lebensstil hatte.

Doch auch wenn seine Saufkumpane seiner nicht gedenken wollten, sie tat es.

Ihre letzte Tat als pflichtbewusste Tochter. Sie würde in den Pub auf der anderen Straßenseite gehen, in dem man ihr gratis ein Hinterzimmer zur Verfügung gestellt hatte. Dort würde sie so tun, als esse sie die kleinen Sandwiches mit Fischcreme und Gurke. Danach war es vorbei.

Schweren Schrittes trat sie auf die Holztür zu, die dringend einen frischen Anstrich brauchte, öffnete sie und trat ein.

Wie erstarrt blieb sie stehen.

Sie glaubte, einem Geist gegenüberzustehen.

„Akeem?“, fragte sie ungläubig. Sie trat einen Schritt auf den Mann zu. „Bist du es wirklich?“

„Ja, leibhaftig, Charlotte“, bestätigte er, lässig an den Tresen gelehnt.

Ihr Blick fiel auf seine vollen Lippen, den Mund, aus dem ihr Name so falsch klang. Dasselbe Gefühl wie damals beschlich sie, als er ihr ins Gedächtnis gerufen hatte, wer sie wirklich war. Charlotte Hegarty, die es nicht wert war, geliebt zu werden. Die Tochter eines Alkoholikers, die im ärmsten Stadtteil Londons wohnte, ein erbärmliches Leben führte und nicht so tickte, wie man es von einer Sechzehnjährigen normalerweise erwartete.

Verbitterung stieg in ihr auf.

Er sollte ihren Namen nicht aussprechen.

Und er sollte nicht hier sein.

Doch das war er.

Sie riss sich zusammen und straffte die Schultern, bevor sie den Blick auf ihn heftete. Wie passend, dass er ausgerechnet an dem Tag auftauchte, an dem ihr nichts mehr blieb, wofür sich zu kämpfen lohnte. Außer sie selbst.

„Warum bist du hier?“

Diese Frage hatte sie in zahllosen Nächten geübt, dabei hatte sie sich diese Szene in allen Einzelheiten ausgemalt. Doch in ihrer Vorstellung war sie stets die Distanziertheit in Person, während Akeem sie um Vergebung anflehte. Vergebung, die sie als überflüssig bezeichnen würde, bevor sie ihn abwies.

Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es wirklich dazu kam – und ganz bestimmt nicht heute.

Akeem hob eine breite schwarz gekleidete Schulter. „Um dir mein Beileid auszusprechen.“

Vor Wut richteten sich Charlotte die Nackenhaare auf. „Du lügst also immer noch.“ Denn mit Lügen hatte er sich den Weg in ihr Bett erschlichen, nur um sie dann ohne jede Erklärung zu verlassen.

Mühelos drückte er sich vom Tresen ab. Fast ein Meter neunzig pure maskuline Präsenz. Er trat auf sie zu und wagte es sogar zu lächeln. Strahlend weiße Zähne, umrahmt von einem gepflegten dunklen Dreitagebart.

„Ich habe dich nie belogen.“

Ihre Erinnerung war so lebendig, als sei es erst gestern gewesen. Charlotte ließ den Blick auf seinem Mund ruhen und dachte an Akeems letzte Lüge. Er hatte sie zum Abschied geküsst und war dann aus ihrem Schlafzimmerfenster geklettert. Vom Verandadach aus hatte er ihr flüsternd eine gemeinsame Zukunft versprochen.

„Hauptsache, du kannst nachts gut schlafen“, erwiderte sie erleichtert, dass sie gelassen klang.

„Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“

Langsam trat er auf sie zu. Ihr stockte der Atem. Sein Haar war dicht und fiel zu einer Seite, als sei er mit der Hand hindurchgefahren.

Er war atemberaubend.

„Noch bin ich allerdings sehr lebendig“, stellte er fest.

Auf ihren Wangen breitete sich Hitze aus, die schnell den Weg in Charlottes Brust und tiefer fand. Ihr Körper reagierte auf ihn, ohne dass sie es verhindern konnte. Sie hasste es, denn es machte ihr Angst. Die Wirkung, die er auf sie ausübte, wenn sie sich zusammen in einem Raum befanden, wie er ihr schlicht den lebenswichtigen Atem nahm.

„Es muss ziemlich anstrengend sein, den Dämonen zu entfliehen, die in deinem Bett auf dich warten.“

Charlotte blieb stehen, wo sie war. Neun Jahre lang hatte sie sich dieses Wiedersehen ausgemalt. Sie verabscheute Konfrontationen. Aber jetzt war er da.

Ihr großer Moment.

Akeems Mundwinkel erwachten zum Leben. Es war kein wirkliches Grinsen, doch sie bewegten sich nach oben, als er sich zu ihr beugte. Ihre Lippen berührten sich fast, als er flüsterte: „Mein Bett wird später noch von Interesse sein.“

„Dein Bett interessiert mich nicht“, entgegnete sie. „Du bist hier nicht willkommen.“

„Nicht?“, fragte er unschuldig.

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein. Mein Vater hätte weder dich noch deine Beileidserklärung gewollt.“

„Mein Beileid gilt dir, nicht ihm“, stellte Akeem klar.

„Ich bin überrascht, dass du überhaupt an mich denkst.“ Sie stählte sich für die größte Lüge von allen: „Ich denke nie an dich.“

Hatte sie vorhin am Grab nichts gefühlt, so fühlte Charlotte jetzt alles. Ihr sechzehnjähriges Ich betrat die Bühne und erinnerte die nunmehr fünfundzwanzig Jahre alte Charlotte daran, dass sie unverarbeitete Altlasten mit sich schleppte.

Hier stand er nun vor ihr – ihre Altlast – und öffnete die beiden obersten Perlmuttknöpfe seines Hemdes. Bronzefarbene Haut kam zum Vorschein, an seinem kräftigen Hals unter dem makellos weißen Kragen pochte sichtbar eine Ader.

Er erwiderte nichts, sah sie einfach an. Plötzlich fühlte sie sich wie magisch zu ihm hingezogen. Sie wollte seinen erdigen Geruch nach Wald und Sand riechen, und sie wollte Akeem berühren.

Die eingeübten Worte hervorzubringen war einfach, doch sie hatte nicht mit der primitiven Reaktion ihres Körpers auf Akeem gerechnet. Das war nicht Teil ihres Drehbuchs. Doch das würde sie für sich behalten. Sie wollte hart bleiben, auch wenn sie dahinschmolz.

„Ich denke oft an dich, qalbi.“ Seine Stimme, tief und leise, klang wie eine Liebkosung. „Und an das Leben, für das du dich entschieden hast.“

„Für das ich mich entschieden habe?“ Ihre Stimme brach. Neun Jahre. Es war nicht fair, Akeem allein die Schuld daran zu geben, dass sie geblieben war, wo er sie verlassen hatte. Und dennoch tat sie es.

Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne.

Sie gab ihm an allem die Schuld.

Er nickte einmal knapp. „Dieses bemitleidenswerte Dasein, das du Leben nennst.“

„Wie bitte?“

Sie trat einen Schritt zurück. Nicht viel, aber gerade so weit, dass sie ausholen konnte, um ihn zu schlagen. Mitten in sein schönes, perfekt symmetrisches Gesicht.

Sie wusste selber, wie erbärmlich ihr Leben war, aber … „Du hast kein Recht, mein Leben zu beurteilen“, beendete sie ihren Gedanken laut.

„Nein? Du hättest alles haben können. Alles. Stattdessen hast du dich um einen Mann gekümmert, der dich bei jeder Gelegenheit gedemütigt hat.“

„Ich bin erst fünfundzwanzig, und ich lebe“, erinnerte sie ihn.

Aber Akeems Worte hatten sie getroffen. Sie hatte keine Ahnung, wie ihr Leben hätte aussehen können. Sie wusste nur, dass es nichts gab, was wirklich ihr gehörte. Und auch keinen Menschen, zu dem sie gehörte.

„Dann sage mir, dass es nicht wahr ist. Erzähl mir von deinen aufregenden Plänen für die Zukunft, jetzt, da du frei bist. Zeichnest du noch?“

Charlotte schnappte nach Luft. Zeichnen? Daran erinnerte er sich? Nur beim Zeichnen hatte sie sich je frei gefühlt. Ihre Zeichenstiften bedeuteten Abenteuer. Ihre Stifte waren ihr Zuflucht. Und das alles hatte sie aufgegeben. Das Zeichnen. Die Kunst. Ihr einziges Talent. Ihr Vater hatte ihre Zeichnungen dumm genannt, Zeitverschwendung, sie solle sich doch lieber um ihn kümmern. Er hatte alles, was sie je gezeichnet hatte, zerstört, all ihre Träume vernichtet. Und sie hatte es zugelassen, weil sie diese kostbaren Momente und ihre Träume für egoistisch hielt.

Wie hätte sie sich die Zeit nehmen sollen, wenn ihr Vater ihre Hilfe brauchte, um zu überleben? Wie konnte sie ihrem Traum von Leben als Porträtzeichnerin nachjagen, wenn der Alltag so schwer auf ihr lastete?

„Hast du deinen Traum verwirklicht?“, hakte Akeem nach. Charlotte schob die Erinnerungen an das, was sie verloren hatte, beiseite, an das, was ihr Vater ihr genommen hatte. Nicht nur die Kunst, sondern auch ihre Identität.

Sie hatte sich so schnell von ihren Träumen verabschiedet, als hätte es sie nie gegeben. Denn was für einen Sinn hätte es ergeben, daran festzuhalten?

Sie sah Akeem ins Gesicht. Dem Mann, der entschlossen ihre Erinnerungen wach rüttelte und der sie dazu bringen wollte, zu bereuen.

Mit intensivem Blick musterte er sie. „Oder hast du die letzten Jahren damit zugebracht, deinen betrunkenen Vater hinters Licht zu führen und kalten Tee in seine leeren Whiskyflaschen zu füllen? Hast du dein Leben damit verschwendet, einen Mann zu retten, der keine Rettung wollte, qalbi?“

Er hob eine Hand und strich ihr mit langen eleganten Fingern über die Wange. Schritt für Schritt wich sie vor ihm zurück. Er war ihr zu nahe. In jeder Hinsicht.

Aber seine Fragen trafen sie tief in ihrem Innersten. Denn sie hatte keinen ihrer Träume verwirklicht, die sie nachts versteckt in ihrem Schlafzimmer im Flüsterton gesponnen hatten … All diese Hoffnungen und Wünsche nach einem anderen Leben.

Sie spürte einen Knoten im Magen, und der Atem brannte in ihrer Lunge.

Ihr Vater hatte sie ausgenutzt und die Opfer, die sie gebracht hatte, nie anerkannt. Ihre Zeit. Ihre Kunst … Er hatte nie anerkannt, dass sie ihn am Leben hielt und dafür ihr eigenes Leben aufgab. Er hatte es ihr nie gedankt, dass sie ihr ohnehin geringes Einkommen abhob, bevor er alles für Whisky ausgeben konnte. Nur so hatten sie genug Geld fürs Essen. Wenn sie zu spät und ihr Vater vor ihr bei der Bank gewesen war, musste sie notgedrungen zur Tafel gehen. Auch das hatte ihr Vater nie gesehen und ihr nie gedankt.

Sie hatte dafür gesorgt, dass sie gerade so über die Runden kamen. Die Tochter kümmerte sich um den Vater, statt anderes herum. Die Tochter, die alle erdenklichen schlecht bezahlten Jobs annahm, sobald sie alt genug dafür war. Und kein Wort des Dankes.

Neun Jahre lang hatte sie auf der Stelle getreten. Genau dort, wo sie stand, als Akeem sie verließ …

Sie holte tief Luft.

Sie hatte keine andere Wahl gehabt!

„Ich habe getan, was ich tun musste. Ich habe meinem Vater beigestanden, wie es sich für eine Tochter gehört.“ Sie stieß die Luft aus. „Er war alles, was ich noch hatte.“

„Nein“, korrigierte Akeem sie. „Dein Vater war alles, was zu haben du dir selber gestattet hast.“

„Hör auf.“

Sie wollte das alles nicht hören – nichts davon. So sollte das alles nicht laufen. Warum kniete er nicht vor ihr und bettelte um Vergebung, weil er sie verlassen hatte?

„Bist du die Frau, die du sein wolltest?“, fuhr er unbeirrt fort.

Damals hatte sie gewagt zu glauben, sie könne jemand anderes sein. Sie hatte gehofft, dass das Leben mehr zu bieten hatte als die Pflege ihres Vaters. Und Akeem hatte diese Träume zerschmettert. Sie hatte keine Ahnung, wer sie wirklich war oder was sie jetzt tun sollte. Aber das würde sie vor ihm niemals zugeben. Es war schlimm genug sich selbst eingestehen zu müssen, dass ihr bisheriges Leben nur daraus bestanden hatte, für ihren Vater da zu sein.

„Hör auf“, forderte sie erneut.

Sie legte die Hand auf ihre Brust. In diesem Moment verachtete sie Akeem. Sie verübelte ihm den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte. Er hatte sie verlassen und dafür gesorgt, dass sie alles infrage stellte. Wer sie überhaupt war und wer sie sein könnte. Und das tat er noch immer!

„Hör auf und verschwinde einfach.“

„Aber ich bin gerade erst gekommen.“

Sie sah ihn wütend an. „Ich habe dich nicht gebeten zu kommen.“

„Du trauerst lieber alleine …“, er breitete die Arme aus und zog spöttisch eine Augenbraue nach oben, „… an einem Ort wie diesem?“

„Wie nett von dir, mich daran zu erinnern. Aber du hast kein Recht, mir vorzuschreiben, wie ich trauere.“

„Das Einzige, was du empfinden solltest, ist Erleichterung.“ Er blähte die Nasenflügel, und Charlotte erkannte, wie er die Frustration in seinem Blick zu verbergen versuchte. „Du hast natürlich recht. Ich habe dir nicht zu sagen, wie oder wo du trauerst, denn mir tut es nicht leid, dass er tot ist. Mir tut nur leid, dass du deinen Vater verloren hast, Charlotte. Ich weiß, du hast ihn geliebt, aus Gründen, die …“

„Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.“

„Es gibt keinen besseren.“

Sie sah, wie das schwarze Jackett und das weiße Hemd an seinen breiten Schultern spannten. Unter der Kleidung war sein Körper fest und muskulös. Diesen Körper hatte sie einst mehr als alles andere begehrt.

Sie stieß die Luft aus, öffnete die Fäuste und rieb sich das Gesicht. Es war an der Zeit, diese Szene hier zu beenden.

„Was willst du?“

Er trat auf sie zu und verringerte den Abstand, den Charlotte zwischen ihnen errichtet hatte. „Was ich will, ist nicht von Belang. Mich interessiert, was du brauchst, Lottie.“

„Was brauche ich denn, Akeem?“ Der Klang ihres früheren Kosenamens löste Gefühle in ihr aus, von denen sie nichts wissen wollte.

„Du brauchst mich.“

„Dich?“, flüsterte sie. Sie verfluchte, wie instinktiv ihr Körper auf seine Behauptung reagierte.

„Ja.“ Er lächelte sie an, seine braunen Augen glänzten beinahe schwarz. „Mich. Akeem Abd al-Uzza.“ In seiner Stimme, tief und selbstbewusst, lag pure Männlichkeit. Und Macht.

„Nicht Akeem Ali?“

„Abd al-Uzza ist der Name meines Vaters.“

„Deines Vaters? Aber deine Mutter …“

Charlotte schloss die Augen. Es spielte keine Rolle. Sie wollte es gar nicht wissen. Er hatte seinen Namen fallen gelassen, wie er sie fallen gelassen hatte. Als wäre beides bedeutungslos.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und legte den Kopf schief. „Akeem Ali oder Abd al-Uzza“, sie zuckte die Achseln, „ich möchte dich nicht hier haben, und ganz bestimmt brauche ich dich nicht.“

„Heute ist der erste Tag von dem Rest deines Lebens. Gäbe es eine bessere Art ihn zu begehen, als eine Nacht lang Genuss in meinen Armen zu finden, umgeben von Luxus?“

„Du willst mit mir ins Bett“, platzte sie heraus.

„Ja. Du wirst eine Nacht in meinem Bett verbringen. Eine Nacht höchsten Genusses.“

„Warum?“

„Nenn es, wie du willst. Einen Abschluss meinetwegen.“

„Abschluss?“ Ihr Herz hämmerte wie wild. „Du bist uneingeladen hier aufgetaucht, weil du glaubst, ich würde zum Abschluss ein letztes Mal mit dir schlafen?“ Ihre Augen weiteten sich, und sie hob eine Braue. „Wie unglaublich arrogant von dir!“

„Überrascht dich meine Arroganz? An der Ader an deinem Hals sehe ich doch, wie dein Puls rast.“

„Ja. Denn der Junge, den ich kannte, hätte gefragt. Und niemals gefordert.“

Unerbetene Erinnerungen stiegen in ihr auf. Wie er zaghaft über ihre Hüfte strich. Sein Mund an ihrem Hals, als er sie fragte, ob ihr gefiel, was er mit seinen Händen tat … ob sie wolle, dass er sie mit seinen Händen verwöhne.

Sie erschauerte. Ihr Akeem war zärtlich, einfühlsam – und niemals fordernd. Der Akeem, den sie gekannt hatte, war nicht der Mann, der vor ihr stand.

„Ich bin nicht mehr der Junge, an den du dich erinnerst.“ Seine Stimme war wie Samt, verlockend und verführerisch. „Der Genuss, den du in meinen Armen finden wirst, wird größer sein als alles, was du je erlebt hast und jemals erleben wirst.“

Er hob eine Hand und legte einen Finger auf die pochende Stelle an ihren Hals. Charlotte musste ihren ganzen Willen aufbringen, um auf seine Berührung nicht zu reagieren und unbeeindruckt zu erscheinen. Dabei war sie alles andere, nur das nicht. Für sie hatte es damals nur ihn gegeben. Jetzt konnte sie ihn nur ansehen – und musste fühlen, was sie nicht fühlen durfte.

Denn schließlich verachtete sie ihn, richtig?

„Soll ich dich dort küssen, damit du spürst, wie groß die Anziehungskraft zwischen uns noch immer ist?“

„Nein!“ Weder schaffte sie es, ruhig zu atmen noch klar zu denken, so sehr prickelte ihr ganzer Körper unter seinem intensiven Blick und seiner Berührung.

Was war bloß los mit ihr? Heute war die Beerdigung ihres Vaters. Sie war am Ende ihre Kräfte. Akeem war einfach zu viel für ihre überreizten Nerven. Sie ertrug ihn kaum. Ebenso wenig wie die Wirkung, die er noch immer auf sie ausübte. Sie würde es nicht zulassen, dass er sie so sehr umgarnte, dass sie den Schmerz vergaß, den er ihr angetan hatte, und wie er sie im Stich gelassen hatte.

„Nein“, wiederholte sie. „Mein Bett ist tabu für dich.“

„Ich will dich ja auch nicht in deinem Bett“, stellte er richtig, „sondern in meinem.“

„Egal welches Bett.“ Er hatte sie absichtlich missverstanden. „Nicht mit mir. Du bist derjenige, der etwas braucht. Sonst wärst du nicht hier.“

„Du musst die Vergangenheit genauso hinter dir lassen wie ich.“ Er strich ihr mit dem Daumen über den Hals. Dann legte er ihr einen Finger unters Kinn und hob es an. „Ergreife die Chance, geh mit mir ins Bett!“

Die Versuchung war groß, und in ihr breitete sich verbotenes Verlangen aus. Sie musste seine Lippen nicht auf ihrer Haut spüren, um zu wissen, dass es zwischen ihnen noch immer etwas Machtvolles gab – sogar noch mehr als vor neun Jahren. Es war anders, noch stärker. Eine ältere Form der Sehnsucht … Es war Leidenschaft. Begehren.

Närrin! schalt sie sich.

„Nein“, flüsterte sie. „Das kann ich nicht.“

Akeem ließ den Blick über sie gleiten. „Schon als Mädchen hat dich deine Angst gehemmt. Und jetzt als Frau ist dein Angst noch immer da.“

„Ach ja?“ Immerhin war er es damals gewesen, der weglief. Er hatte Angst gehabt.

„Was hast du zu verlieren?“, fragte er. Charlotte verkniff sich die Antwort, die ihr spontan einfiel.

Nichts.

„Du hast keinen Job, keine Familie, kein Geld, und bald sitzt du auf der Straße. Möchtest du wirklich bleiben, wo du dein Leben lang warst, bis man dich rauswirft? Aus deinem Haus, deinem Zuhause?“

„Woher weißt du das?“

„Ich kann mir denken, was für ein Leben du führst.“ Sein Mund wurde schmal. Schweigend hielt er den Blick auf sie gerichtet.

Natürlich wusste er alles. Er war jetzt ein reicher Mann. Das konnte sie allein an seinem teuren Anzug sehen. Er wusste, dass sie keinen Millimeter vorangekommen war. In seinen Augen war sie noch immer das Mädchen von damals. Verängstigt, einsam und der Furcht vor einem Netzwerk ausgeliefert, dass sie jeden Moment von ihrem Vater trennen konnte.

Ihr Vater hatte ihr beigebracht, nie den Mund aufzumachen. Außenstehende spielten keine Rolle. Sie zählten nicht. Und Charlotte hatte niemandem etwas gesagt, auch nicht der Polizei, die an die Tür klopfte, wenn die Schule ihren Vater drei Tage lang nicht erreicht hatte und die Lehrer sich Sorgen um Charlotte machten. Die Polizei fand ihren Vater bewusstlos, und der Sozialdienst hatte sie daraufhin in ein Kinderheim gebracht, doch Charlotte schwieg noch immer. Nur mit Akeem hatte sie geredet.

Acht Wochen, hatte man ihr gesagt, eine einstweilige Betreuungsverfügung. Wenn ihr Vater nach zwei Monaten bewies, dass er in der Lage war, sich um seine Tochter zu kümmern, könne sie nach Hause zurück. In diesen acht Wochen hatte es nur ihn und sie gegeben. Akeem und Charlotte.

Akeem war ihr erster und einziger Freund. Zum ersten Mal in ihren Leben hatte sie sich einem anderen Menschen geöffnet. Denn er hatte ihr etwas geboten, was sie noch nie gehabt hatte. Freundschaft.

Aber sie war nicht mehr das kleine Mädchen. Das wollte Charlotte auch gar nicht sein. Denn dieses Mädchen hatte seinem Vater alles gegeben, bis es nichts mehr zu geben hatte.

Plötzlich spürte sie eine Verwegenheit wie noch nie. Wie gerne würde sie ihre Vorsicht über Bord werfen und zugeben, wie sehr sie sich nach Akeems Berührung sehnte. Und nach sehr viel mehr. Wann hatte sie jemals zuerst an sich gedacht? Wann war sie mal spontan und wog nicht erst die Vor- und Nachteile ab?

Doch, ein Mal war sie spontan gewesen. Damals, als sie ihren Koffer gepackt hatte, um mit Akeem abzuhauen. Und dann war er ohne sie verschwunden …

Sie hatte nichts zu verlieren. Wenn sie jetzt eine Nacht mit ihm verbrachte, konnte sie nichts verlieren.

Jeder ihrer Muskeln war angespannt, als sie auf ihn zu trat und sich vor ihm auf die Zehenspitzen stellte.

„Eine Nacht?“, fragte sie und wartete Auge in Auge mit ihm auf seine Reaktion – wie ein Boxer im Angesicht seines Gegners.

„Ja“, antwortete Akeem. Sein Atem ging flach, und sein Blick war hungrig. „Eine Nacht.“

Es ging um Lust. Mehr nicht. Ihr neu entdeckter Mut erregte sie ebenso, wie er ihr Furcht einjagte, doch das ließ sie zu. Eine Gelegenheit wie diese hatte sich noch nie am Schopf gepackt.

Bis jetzt.

„Bringen wir es hinter uns“, sagte sie gespielt gleichgültig, dabei war sie alles andere als gleichgültig. Sie war aufgeregt. Nervös. Verspürte ein Prickeln an Stellen, an denen es nicht prickeln sollte.

Er verengte die Augen. „Wie du möchtest. Aber wir werden es nicht hinter uns bringen. Wir werden uns ausgiebig und voller Genuss lieben.“

Das Prickeln wurde stärker. „Eine Nacht, mehr nicht. Dann trennen unsere Wege sich. Zwischen uns wird sich nichts ändern. Wir bleiben eine verschwommene Erinnerung im Leben des anderen.“

„Ja.“ Seine schönen Gesichtszüge waren vollkommen unbewegt.

Charlotte zögerte. Er log. Schon wieder. Oder war sie die Lügnerin? Denn diese Nacht änderte alles. Diese Nacht veränderte sie. Aber wollte sie nicht genau das? Wollte sie sich nicht neu erschaffen, mit einer glänzenden Zukunft und losgelöst von der Vergangenheit?

„Genug geredet, Charlotte“, verkündete Akeem knapp und streckte den Arm aus. „Nimm meine Hand.“

Atemlos gehorchte sie und folgte ihm ohne zu zögern nach draußen. Er führte sie zu einer Limousine, die vor dem Pub wartete.

Sie glitt neben ihn auf den Rücksitz und sah Akeem an, der ihre Anwesenheit vergessen zu haben schien. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Nach der Berührung ihrer Hände brannte ihre Haut noch immer. Ihre Lippen pochten, als sie daran dachte, wie nah sie eben seinem Mund gewesen war.

Sie nahm den Blick von ihm, wandte ihm den Rücken zu und wischte die feuchten Handflächen an ihrem schwarzen Bleistiftrock ab. Ihre Strumpfhose hatte am Oberschenkel eine Laufmasche. Charlotte gehörte hier nicht hin, mit ihrem billigen Rock und den kaputten Strümpfen.

So sah keine Frau aus, die auf dem Weg in ein Hotel war, in dem sie verführt werden sollte.

Sie blickte aus dem Autofenster auf die vorüberziehende Häuserzeile.

Ihre Kleidung spielte keine Rolle. Sie wollte das hier. Sie wollte Akeem.

Autor

Lela May Wight
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