Pikantes Spiel mit der Liebe

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Vor einem halben Jahr brach Floras Welt zusammen: Der mächtige Unternehmer Vittorio Vitale ließ sie vor dem Altar stehen. Aus Rache an ihrem Onkel, wie sie später herausfand! Sein raffinierter Plan zerstörte ihre Existenz, mühsam hält sie sich seitdem als Kellnerin über Wasser. Als Vittorio davon erfährt, macht er ihr einen Vorschlag: Er hilft ihr finanziell, wenn sie in der Öffentlichkeit vorgibt, wieder seine Freundin zu sein. Für seinen Ruf ist das gut, weiß Flora, aber soll sie sich wirklich auf dieses pikante Spiel einlassen? Und damit zum zweiten Mal ihr Seelenheil mit ihm riskieren?


  • Erscheinungstag 04.03.2025
  • Bandnummer 2690
  • ISBN / Artikelnummer 0800252690
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Vittorio Vitale schenkte sich einen äußerst edlen irischen Whiskey ein. Er hob sein Glas und ließ den Blick über Rom schweifen. Die Ewige Stadt lag ihm im goldenen Licht der Nachmittagssonne zu Füßen.

Sein Reich.

Er trank einen tiefen Schluck des honigfarbenen Drinks, der ihm mit einem feinen Brennen die Kehle hinunterlief. Ein warmes Triumphgefühl breitete sich in ihm aus.

Was für ein Tag. Endlich war er auf dem Gipfel seiner …

Das Summen der Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch unterbrach seine Gedanken. Ärgerlich drückte er eine Taste. „Tommaso, ich hatte doch darum gebeten …“

„Verzeihen Sie, signore, ich weiß. Aber … ähm … Ihre … Warten Sie! Sie können nicht einfach …“

Die Tür zu Vittorios Büro flog auf, und eine Frau erschien auf der Schwelle. Eine Frau im vollen Brautstaat. Sie trug ein aufwendiges weißes Kleid aus mehreren Lagen feinster Spitze, hochgeschlossen, mit langen Ärmeln. Der ausladende Rock nahm die gesamte Türöffnung ein.

Die Wangen der Frau leuchteten hochrot. Ihr Haar war zu einem strengen Dutt frisiert, darüber trug sie einen zarten weißen Schleier. In der einen Hand hielt sie einen kunstvoll gebundenen, förmlichen Brautstrauß. Die Frau umklammerte ihn wie ein Schwert.

Vito begegnete dem Blick seines Assistenten, der hinter der Frau auftauchte. „Schon gut, Tommaso.“

Er würde seine Feier einen Moment verschieben müssen. Flüchtig dachte er an die Frau, mit der er sich später treffen würde, eines der schönsten Models Italiens, eine atemberaubende Schönheit. Nichts würde ihn von seinen Plänen für diesen besonderen Abend abbringen.

Aber offensichtlich musste er sich zumindest kurz dieser Frau widmen, die er hätte heiraten sollen. Vor zwei Stunden.

Er warf einen Blick auf die Uhr und streckte eine Hand aus. „Signorina Gavia, kommen Sie doch herein.“

Signorina Gavia? Und: Hatte Vittorio Vitale wirklich gerade auf seine Armbanduhr gesehen, als wäre sie eine lästige Störung für ihn? Der Mann, auf den sie im Vorraum der Kirche soeben eine ganze Stunde gewartet hatte? So lange, bis sie zu der unvermeidlichen Einsicht gelangt war, dass er nicht kommen würde.

Das wutverzerrte Gesicht ihres Onkels stand ihr vor Augen. Er hatte sie angeschrien, es sei ihre Schuld, und alles sei zerstört. Und kurz bevor er zusammen mit seiner Frau, Floras Tante, davongestürmt war, hatte er Flora erklärt: „Der kleine Nutzen, den ich von dir hatte, ist aufgebraucht. Vierzehn Jahre lang warst du nur eine Last. Jetzt bist du für mich gestorben.“

Wie betäubt war Flora zurückgeblieben. Sie konnte es nicht begreifen, dass die Menschen, die sie als kaum achtjähriges Mädchen bei sich aufgenommen hatten, sie nun einfach im Stich ließen.

Doch dann, als die Hochzeitsgäste nach und an ihr vorbei nach draußen strömten und dabei die sitzengelassene Braut flüsternd mit neugierigen Blicken bedachten, war heißer Zorn in Flora aufgewallt. Zorn auf den Mann, der ihr das angetan hatte: Vittorio Vitale.

Jetzt war sie hier, um ihn zur Rede zu stellen.

Doch im ersten Moment war sie wieder geblendet von seiner männlichen Schönheit. Groß, breitschultrig, muskulös – bei seinem Anblick dachte man unwillkürlich an einen Modellathleten, nicht an einen Industriemagnaten, einen Milliardär. Kurzes, dunkles Haar, eine hohe Stirn, ein markantes Gesicht mit scharfer Nase und kantigem Kinn. Dazu ein so unerwartet sinnlicher Mund, so sexy, dass Flora bei ihrer ersten Begegnung mit Vittorio kaum den Blick davon wenden konnte. Sehr zu ihrem eigenen Entsetzen – schließlich war sie in sexuellen Dingen höchst unerfahren – hatte sie sich ausgemalt, wie es wohl wäre, von diesen Lippen geküsst zu werden. Kein Mann hatte zuvor derartige Gefühle in ihr geweckt. Aber beunruhigend war ihre heimliche Erregung auch deswegen gewesen, weil die Heirat zwischen ihr und Vittorio nicht im Entferntesten auf romantischen Gefühlen beruhte. Es sollte eine rein geschäftliche Allianz sein.

Nur, dass es jetzt gar keine Heirat gegeben hatte. Weil er sie versetzt hatte.

Floras Wut kehrte mit ganzer Macht zurück. Gewöhnlich war sie sehr ausgeglichen und positiv gestimmt. Sie glaubte grundsätzlich an das Gute in den Menschen und ihren Absichten. Doch im Falle von Vittorio Vitale war es leider offensichtlich, dass seine Absichten von Anfang an schändlich gewesen waren.

Er wirkte nicht im Geringsten schuldbewusst, eher gelangweilt. Vitale war zwanglos gekleidet, er trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd, die oberen Knöpfe aufgeknöpft, die Ärmel lässig hochgekrempelt.

Anklagend schüttelte Flora den Brautstrauß in seine Richtung, und Rosenblätter rieselten zu Boden. „Du bist nicht einmal für eine Hochzeit angezogen! Du hattest nie vor, mich zu heiraten, habe ich recht?“

Er kam um den Schreibtisch herum, lehnte sich gegen die Kante und schob ungerührt die Hände in die Hosentaschen. „Ehrlich gesagt? Nein.“

Erst jetzt wurde ihr bewusst, wo sie sich überhaupt befand. Das Büro von Vittorio Vitale lag im obersten Stock eines eleganten Neubaus mitten im historischen Zentrum von Rom. Das allein sagte schon sehr viel über die Macht und den Einfluss seines Inhabers aus. Panoramafenster zu zwei Seiten boten einen sensationellen Blick über Rom. In der Ferne war die Silhouette des Kolosseums zu erahnen.

Flora atmete bebend ein. In ihrem Kopf drehte sich alles. „Warum? Ich denke, ich habe ein Recht, es zu erfahren.“

Vittorio nahm die Hände aus den Hosentaschen und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. „Das ist verständlich. Was hat dein Onkel dir erzählt?“

Sie schluckte und rief sich die Wuttirade ihres Onkels ins Gedächtnis. „Nicht viel.“ Im Grunde hatte er ihr nie irgendetwas gesagt.

Vittorio zögerte nachdenklich. „Ist dir klar, dass sich die Geschäfte deines Onkels, während wir hier miteinander reden, in rasanter Auflösung befinden?“

Tatsächlich hatte ihr Onkel in jüngster Zeit ungewöhnlich besorgt gewirkt. Ihre Tante war ihr weniger höflich begegnet. Gespräche wurden abgebrochen, wenn Flora den Raum betrat. „Nein, das war mir nicht klar. Ich bin nicht in seine Geschäfte eingeweiht.“

„Nun, immerhin warst du in diese Heiratsabsprache eingeweiht, oder nicht? Da kann es keine Illusionen für dich gegeben haben. Du wusstest, dass dir innerhalb von sechs Monaten eine Ausstiegsmöglichkeit blieb, wenn du es wolltest. Du hattest also nichts zu verlieren.“

Flora hatte in diese Heirat aus einer Vielzahl von Gründen eingewilligt. Nicht zuletzt wegen dieser Klausel, die ihr die Chance bot, nach sechs Monaten einen Schlussstrich zu ziehen.

Sie hatte sich immer in der Schuld ihres Onkels gefühlt, weil dieser die Vormundschaft für sie übernommen hatte, nachdem sie auf tragische Weise beide Eltern und ihren kleinen Bruder verloren hatte. Ihr Onkel und ihre Tante hatten sie bei sich aufgenommen. Es war kein perfektes Arrangement gewesen, aber immerhin war sie bei Familienangehörigen untergekommen, in einer der schönsten Städte auf der Welt. Schließlich hätte ihr Onkel sie auch in ein Heim oder in ein Internat abschieben können.

Nur, dass er dann keinen Zugang zu meinem Treuhandfonds gehabt hätte.

Er brauchte das Geld ja auch für meine Ausbildung und meinen Unterhalt, rief Flora sich sofort schuldbewusst ins Gedächtnis. Um die Hausbediensteten zu bezahlen, die sich in den Ferien um sie kümmerten, während Onkel und Tante um die Welt reisten. Die Tatsache, dass von ihrem Erbe laut ihrem Onkel inzwischen nichts mehr übrig war, zeigte nur, wie teuer es gewesen war, sie großzuziehen. Weshalb er nicht müde wurde, sie darauf hinzuweisen, dass die Heirat nicht nur zu seinem Vorteil sein würde, sondern auch ihrer eigenen Absicherung für die Zukunft diente.

Ja, sie hatte nie daran gezweifelt, dass sie ihrem Onkel die Einwilligung schuldete angesichts all dessen, was er für sie getan hatte. Aber heute hatte sich diese Schuld auf spektakuläre Weise in Rauch aufgelöst.

„Du hast doch ausdrücklich um die Ausstiegsklausel nach sechs Monaten gebeten“, sagte sie nun vorwurfsvoll.

„Meine Rückversicherung, falls es nicht wie geplant laufen würde. Dein Onkel war nicht begeistert, aber er hatte keine andere Wahl.“

Falls es nicht wie geplant laufen würde.

Flora war sich nicht sicher, was er damit meinte. Erneut wurde sie von Scham und Wut überwältigt. „Wie konntest du etwas so Herzloses und Grausames tun? Hast du eine Ahnung, was für ein Gefühl es war, in der Kirche zu stehen und zu warten? Wie demütigend?“

Vittorio sah die Frau an, die dort vor ihm stand, und spürte ein Ziehen in seinem Inneren. Sein Gewissen. Er hatte also doch eines.

Aber das Nächste, was er fühlte, beunruhigte ihn viel mehr. Diese Frau übte eine unmissverständliche Anziehungskraft auf ihn aus.

Bis heute hatte er sich nur wenig um Flora Gavia gekümmert, weil er wusste, was er mit ihr vorhatte. Warum sollte er sie umwerben? Zumal sie damit zufrieden zu sein schien, dass er Distanz wahrte, und auch, weil die Verlobungszeit von kurzer Dauer war. Gerade einmal ein Monat von der Ankündigung bis zum Hochzeitstermin.

Also hatte Vittorio sie bei ihren wenigen Begegnungen kaum wirklich wahrgenommen, nicht zuletzt, weil sie sich ihm nie aufdrängte, wie es die meisten Frauen taten. Bei dem einen oder anderen Dinner zusammen mit ihrem Onkel und ihrer Tante hatte ihr Onkel das Tischgespräch beherrscht. So war Flora für Vittorio eine graue Maus geblieben. Bräunliches Haar. Bräunliche Augen. Ganz hübsch, aber unauffällig.

Plötzlich aber, hier in seinem Büro, war sie wie verwandelt. Vielleicht lag es an dem Kleid. Vielleicht war es das Make-up. Die strenge Frisur ließ ihr Gesicht frei und brachte ihre ebenmäßigen Züge zur Geltung: hohe Wangenknochen, große, ausdrucksvolle Augen, die bei genauerer Betrachtung von einem ungewöhnlichen, faszinierenden Goldbraun waren, und eingerahmt von dichten, schwarzen Wimpern.

Auch ihr Mund war viel sinnlicher, als es Vittorio in Erinnerung hatte. Wie konnte ihm das entgangen sein? Verlangen durchzuckte ihn.

Langsam ließ er den Blick an ihr hinabschweifen. Hohe, straffe Brüste, die sich unter der weißen Spitze erregt hoben und senkten. Eine zierliche Taille, wohlgerundete Hüften. Eine überaus reizvolle Figur, die ihm zuvor gar nicht aufgefallen war. Das war erstaunlich.

Wieder hielt sie aufgebracht den Brautstrauß in seine Richtung. „Hast du nichts zu sagen?“

Vittorio blickte auf. Überall auf dem Fußboden waren Rosenblätter verstreut. Floras Brautschleier war verrutscht, und als wäre ihr dies in diesem Moment klar geworden riss sie ihn sich vom Kopf und warf ihn zu Boden. Ihr eleganter Dutt begann sich aufzulösen.

Vito kribbelte es plötzlich in den Fingern, die Haarklammern herauszuziehen, um zu sehen, wie ihr das Haar über die zierlichen Schultern fallen würde. Er hatte es noch nie offen gesehen, und allein die Tatsache, dass er es sich jetzt wünschte, war in höchstem Maße beunruhigend.

„Antworte mir. Bitte.“

Ihre Stimme klang verdächtig heiser. Würde sie etwa in Tränen ausbrechen? Ungebetene Erinnerungen an das schmerzerfüllte Gesicht seiner Mutter und daran, dass er ihren Schmerz nicht lindern konnte.

Doch Flora sah nicht aus, als wollte sie weinen. Sie wirkte eher … verwirrt.

„Du weißt es wirklich nicht?“, fragte Vito. Er traute ihr nicht über den Weg. Worauf war sie aus? Wollte sie vielleicht aus dem Untergang ihres Onkels so viel wie möglich für sich retten?

„Was weiß ich nicht?“

Das Triumphgefühl meldete sich zurück. „Nun, seit heute, zeitgleich mit der Hochzeit …“

„Die nicht stattgefunden hat“, unterbrach ihn Flora.

„Wie immer du es nennen willst. Also, seit heute befindet sich das Unternehmen deines Onkels im freien Fall. Ich besitze die Mehrheit der Anteile und habe die Kontrolle. Er hielt es für ein Geschäft. Stattdessen habe ich ihn vernichtet.“

Flora wirkte noch verwirrter als zuvor. Aufgewühlt ging sie auf und ab und gestikulierte mit dem ramponierten Strauß. „Willst du behaupten, es war nur eine feindliche Übernahme seiner Firma? Wozu dann die Zweckheirat und das ganze Theater?“ Sie blieb abrupt stehen und sah ihn an.

Jahre der Wut und des Schmerzes hatten sein Herz versteinern lassen. „Weil es hier eben nicht nur um eine feindliche Übernahme geht, sondern um mehr. Viel mehr.“

„Um was geht es hier eigentlich?“

Vitos innere Anspannung wuchs. „Zum Beispiel um die Tatsache, dass dein Onkel für den Ruin der Firma meines Vaters verantwortlich ist. Und damit für seinen Selbstmord und letztendlich auch für den Tod meiner Mutter kurz danach.“

Der Strauß glitt ihr aus den Händen und fiel zu Boden. Er landete neben dem Schleier. In ihrem Gesicht sah er blankes Entsetzen. „Es tut mir leid“, brachte sie hervor. „Das ist schrecklich. Ich hatte keine Ahnung.“

Ihre schauspielerische Leistung war bemerkenswert. Sie wirkte ehrlich betroffen. Vito richtete sich entschlossen auf. Er durfte nicht vergessen, dass sie eine Gavia war, ein Mitglied der Familie, die er verachtete.

„Dein Onkel hat sich nicht einmal an mich erinnert, als wir uns Jahre später trafen. Mein Name sagte ihm nichts. Ich konnte mich in sein Unternehmen einschleichen und es aushöhlen, mitsamt seiner gesellschaftlichen Stellung, und er kam nicht einmal auf die Idee, dass der Name „Vitale“ ihm etwas hätte sagen müssen. Dass er ihn an den Mann hätte erinnern müssen, dessen Firma er selbst so perfide von innen heraus ruiniert hatte, dass mein Vater der Korruption angeklagt wurde und seinen guten Namen verlor.“

Ganz zu schweigen davon, dass seine Eltern über Nacht zu Außenseitern geworden waren, ausgegrenzt von Freunden und Nachbarn. Wie sie ihr Zuhause verloren. Wie Vitos erste Liebe damals seine Anrufe nicht mehr entgegennahm und kurz darauf mit Vitos bestem Freund ausging. Angesichts dieses vielfachen Verrats hatte er gelernt, dass man nur einer einzigen Person wirklich vertrauen durfte: sich selbst.

„Der Name deiner Familie und des Familienunternehmens reicht viele Generationen zurück“, fuhr er unbarmherzig fort. „Mein Vater war der Erste in seiner Familie, der geschäftlich erfolgreich war. Dein Onkel betrachtete ihn als Bedrohung, was lächerlich war. Er hätte ihn damals hundertfach aufkaufen können, aber er entschied sich, ihm wegen seiner Ambitionen eine Lektion zu erteilen, als eine Art Zeitvertreib. Mein Vater hat sich daraufhin das Leben genommen.“

Flora sah ihn entsetzt an. „Und deine Mutter …?“, fragte sie leise.

Es ärgerte Vito, dass er vor dieser Frau seine Seele entblößt hatte. Dass ihr gut gespieltes Mitleid ihn berührte. Er hatte nie in seinem Leben um Mitgefühl gebuhlt, und von einem Mitglied der Familie, die seine zerstört hatte, wollte er es schon gar nicht.

„Sie wurde krank, und wir hatten kein Geld für eine teure Privatbehandlung“, antwortete er schroff. „Also starb sie, während sie noch auf eine Therapie wartete, die sie hätte retten können. Mehr brauchst du nicht zu wissen.“

Floras Zorn war versiegt. Sie war fassungslos. Doch angesichts dessen, wie brutal ihr Onkel sie gerade eben abserviert hatte, wie kaltblütig er sie als Mittel zum Zweck benutzt hatte, zweifelte sie keine Sekunde daran, dass Vittorio die Wahrheit sagte. „Ich hatte wirklich keine Ahnung.“

Vittorio winkte verächtlich ab. „Wem willst du das weismachen? Mag sein, dass du meine Geschichte nicht gekannt hast, aber an dieser Zweckheirat warst du genauso beteiligt wie dein Onkel. Die Ausstiegsklausel nach sechs Monaten hätte dir für den Rest deines Lebens ein luxuriöses Auskommen gesichert. Du konntest dabei nicht verlieren.“

Sie sah ihn an. In seiner ganzen Schönheit kam er ihr jetzt zynisch und kalt vor. Was er vermutlich nicht wusste, war, dass ihr Onkel ihr klargemacht hatte, dass er die gewaltige Abfindung einstreichen würde, sollte sie nach sechs Monaten aussteigen. Es war ihr egal gewesen. Sie hatte in besagter Klausel nur die Rückversicherung gesehen, einer Scheinehe zu entkommen, sollte es sich als notwendig erweisen. Tatsächlich hatte sie dieser Heirat vor allem aus Loyalität zu ihrem Onkel zugestimmt, aber auch aus anderen Gründen, die komplizierter, verwirrender waren. Sie empfand Vittorio Vitale als unbeschreiblich faszinierend und ebenso einschüchternd.

Sie hatte sich erlaubt, ein wenig zu träumen. Davon, dass er, wenn sie erst verheiratet wären, genauer hinblicken und die Frau in ihr entdecken würde. Mehr hatte sie nicht zu hoffen gewagt.

Als er sie heute in der Kirche versetzt hatte, war sie grausam daran erinnert worden, dass einen Mann wie ihn nichts auf der Welt dazu bringen würde, eine Frau wie sie zu heiraten – nicht einmal ein sehr gutes Geschäft. Sie hatte sich sogar gefragt, ob das Scheitern des Deals ihre Schuld sei, weil sie einfach nicht reizvoll genug gewesen war. Ihr Onkel hatte ihr zweifellos dieses Gefühl gegeben.

Nun, jetzt hatte sie zumindest die Gewissheit, dass sie keine Schuld trug. Die Heirat war nicht zustande gekommen, weil Vittorio Vitale niemals die Absicht gehabt hatte, sie zu heiraten.

„Ich war nur ein Faustpfand, um den Niedergang meines Onkels noch drastischer zu gestalten“, sagte sie düster. „Die geplatzte Hochzeit sollte deinem Plan eine kreative und zynische Note verleihen.“ Wie unwichtig sie in diesem Spiel zwischen Männern gewesen war, empfand sie jetzt als zusätzliche Demütigung.

„Oh bitte, erspar mir dein Selbstmitleid“, gab Vittorio zurück. „Die Heirat war ein Vorschlag deines Onkels, der sich davon offenbar einen zusätzlichen Bonus für seine Geschäfte mit mir versprach. Eine Garantie auf Lebenszeit. Ich will nicht leugnen, dass ich die Gelegenheit gern ergriffen habe, ihn auch noch gesellschaftlich zu demütigen. Aber du hast dir genauso Vorteile davon versprochen wie er, warum hättest du sonst in eine Ehe mit einem dir völlig fremden Mann eingewilligt?“

Flora presste die Lippen zusammen. Keinesfalls würde sie diesem kalten, voreingenommenen und rachsüchtigen Mann ihre komplizierte Gefühlslage erklären.

Wie dumm sie gewesen war.

Kein Wunder, dass ihr Onkel sie all die Jahre wie eine Gewächshauspflanze eingesperrt hatte, während er Pläne schmiedete, sie an den Meistbietenden zu verkaufen! Er hatte sie von Privatlehrern zu Hause unterrichten lassen, damit sie so wenig Einflüssen von außen ausgesetzt war wie möglich. Sie hatte es für ein Zeichen von übertriebener Fürsorge gehalten. Jetzt wurde ihr schlecht bei dem Gedanken. War sie wirklich so ausgehungert nach Liebe und Zuneigung gewesen? Wie armselig!

Vittorios vernichtender Blick machte alles nur noch schlimmer. Flora fühlte sich bloßgestellt. „Ich muss gehen“, sagte sie leise.

Er breitete beide Hände aus. „Ich halte dich nicht auf.“

Flora wandte sich zur Tür. Doch Vittorios Kaltschnäuzigkeit brachte sie dazu, sich noch einmal umzudrehen. „Was dir und deinen Eltern passiert ist, tut mir sehr leid. Und ich kann verstehen, dass du dich nach Vergeltung gesehnt hast.“ Dann deutete sie auf sich. „Aber das war der falsche Weg. Mit dem, was du heute getan hast, hast du dich selbst auf das Niveau meines Onkels herabgelassen. Du bist genauso gemein und rücksichtslos. Du hast mich für deine Genugtuung missbraucht und gedemütigt.“

Er schwieg einen Moment. „Heute ist nichts passiert, was du nicht in einer Woche vergessen haben wirst“, gab er dann zurück. „Und glaube mir, ich hätte mit deinem Onkel viel rücksichtsloser verfahren können. Er besitzt immer noch Rücklagen und kann sich etwas Neues aufbauen, wenn er bereit ist, dafür zu arbeiten. Und dir bleibt das Erbe deiner Eltern.“

Sie sah ihn erstaunt an. „Was weißt du davon?“

Dass von diesem Erbe nichts mehr übrig war, würde sie ihm nicht sagen. Es tat weh, daran zu denken, wie ihr Onkel sie gedrängt hatte, eine Vollmacht zu unterschreiben, die ihm Zugang zu ihrem Erbe verschaffte, solange sie noch nicht volljährig war. Er hatte ihr eingeredet, es wäre zu ihrem Besten, doch inzwischen wusste sie es besser. Wie hatte sie nur so naiv sein können!

Vittorio hob seine breiten Schultern. „Ich bin darauf gestoßen, als ich über deinen Onkel recherchiert habe. Eigentlich solltest du mir dankbar sein. Denn du bist jetzt frei, dein eigenes Leben zu leben, außerhalb des Schattens deines Onkels. Du bist zweiundzwanzig und hast dein Erbe als Startkapital. Zwar ist heute nicht der große Zahltag, auf den du gehofft hast, aber du schaffst es bestimmt, dir einen anderen reichen Mann zu angeln, sobald sich die Öffentlichkeit dem nächsten Skandal zugewandt hat.“

Flora richtete sich stolz auf. „Weißt du was? Ich hätte eigentlich etwas ahnen müssen, als du nie den Versuch gemacht hast, dich mit mir allein zu treffen oder auch nur ein richtiges Gespräch mit mir zu führen. Und ich dachte, du wolltest einfach nur ein Gentleman sein.“

Seine dunklen Augen blitzten kalt. „Ich bin ganz bestimmt kein Gentleman.“

Sie hob den Kopf noch höher. „Das weiß ich jetzt auch. Und du hast noch in einem anderen Punkt recht. Ich bin jetzt frei, mein eigenes Leben zu leben, und ich hoffe, dass ich dich nie wiedersehen werde. Denn du …“, ihre Finger zitterten, als sie auf ihn deutete, „… bist kein netter Mensch.“

Impulsiv zog sie sich den Verlobungsring vom Finger. Es war ein großer, protziger Diamant, in Gold gefasst und zu beiden Seiten von weiteren Diamanten flankiert. Flora widerstand der Versuchung, ihm den Ring vor die Füße zu schleudern. Stattdessen legte sie ihn auf einen Tisch. „Du kannst den Klunker zurückhaben. Übrigens habe ich bisher nichts dazu gesagt, weil ich dich nicht kränken wollte. Aber du hast absolut keinen Geschmack.“

So etwas Gemeines hatte Flora vermutlich noch zu keinem Menschen zuvor gesagt. Sofort fühlte sie sich schrecklich. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.

Der Rock ihres Kleides nahm fast den ganzen Aufzug ein, als sie hinunterfuhr. Sie eilte durch die Lobby hinaus auf die Straße und atmete ein paarmal tief durch, um die aufsteigende Übelkeit niederzukämpfen.

Passanten starrten sie neugierig an, doch sie registrierte es nicht. Als die Übelkeit abebbte, erfasste sie Panik. Sie hatte nichts. Nichts und niemanden, nicht einmal eine Unterkunft für die nächste Nacht. Sie war völlig allein, und jetzt wurde ihr bewusst, dass es seit dem Tod ihrer Eltern nie anders gewesen war. Ihr Onkel und ihre Tante hatten sich nie wirklich um sie gekümmert.

Und sie hatten ihr Erbe gestohlen.

Und der Mann da drinnen? Flora konnte sich nicht vorstellen, dass er sich auch nur um einen einzigen Menschen auf dieser Welt sorgte. Auch wenn das Schicksal seiner Eltern furchtbar gewesen war: Vittorio war grausam, kalt, rücksichtslos, zynisch, gemein … Sie rief sich selbst zur Ordnung, atmete tief durch und spürte plötzlich inmitten des Aufruhrs in ihrem Inneren ein kleines, ruhiges Gefühl, das sie selbst überraschte.

Sie war noch einmal davongekommen. Vittorio hatte recht: Sie war jetzt frei. 

Jetzt war Schluss mit der Loyalität, die sie gebunden hatte, seit ihr Onkel sie bei sich aufgenommen hatte. Zögernd blickte Flora sich um, als sähe sie die Welt zum ersten Mal. Sie stand am Rande von etwas, das zugleich erschreckend und aufregend war. Was sollte sie jetzt tun? Wohin sollte sie sich wenden? Erneut begann ihr Herz zu rasen, aber Flora hielt entschlossen dagegen.

Denk nach, denk nach, mahnte sie sich, während sie noch dort stand, auf dem Bürgersteig vor Vittorios Bürogebäude, in ihrem Brautkleid, mit aufgelöstem Haar.

Als Erstes musste sie ein Bett für die Nacht finden und dieses Kleid loswerden. Und dann … würde sie den nächsten Tag in Angriff nehmen.

Sie holte tief Luft, straffte sich, hob stolz den Kopf und wandte sich nach links. Standhaft ignorierte sie die johlenden Zurufe einer Gruppe junger Männer, die auf ihren Motorrollern an ihr vorbeifuhren. Sie würde einen Weg finden. Sie hatte keine Wahl. Jetzt war sie ganz allein, und das war okay so. Sie hatte immer an das Gute in den Menschen geglaubt … in den meisten Menschen. Ihr würde Gutes begegnen!

Geleitet von diesem unerschütterlichen Vertrauen, tauchte sie in ihrem wehenden weißen Kleid in die Straßen von Rom ein.

Nachdem Flora gegangen war, stand Vito lange am Fenster und schaut wie blind hinaus. Seinen Drink zur Feier des Tages hatte er nicht mehr angerührt.

Er war verunsichert über das, was gerade passiert war. Die Wahrheit war, dass er so lange auf Umberto Gavia fixiert gewesen war, dass er sofort eingewilligt hatte, als dieser ihm vorgeschlagen hatte, Flora zu heiraten. Dieser Vorschlag war ihm wie das Sahnehäubchen auf seinem vernichtenden Rachefeldzug gegen diesen Mann vorgekommen. Und da Flora sich keinerlei Mühe gegeben hatte, Eindruck bei ihm zu machen, hatte er sich über sie keine Gedanken gemacht: dass sie es sein würde, die in der Kirche auf ihn warten würde. Er hatte von Anfang an gewusst, dass er nicht kommen würde.

Aber sie hatte es nicht gewusst. Er hatte an die geplante – und geglückte! – Demütigung von Umberto Gavia gedacht, aber nicht an Flora. Nun dachte er an sie. Weil sie vor ihm gestanden und ihm vor Augen geführt hatte, dass auch sie die Konsequenzen seines letzten Schachzugs trug. Eine Person, die – wenn man ihr glauben wollte – von den Machenschaften ihres Onkels nichts geahnt hatte.

Und doch hatte sie in die Heirat eingewilligt. Weshalb Vito angenommen hatte, sie würde mit ihrem Onkel unter einer Decke stecken. Deshalb verdiente sie …

Was? Vor der römischen Gesellschaft gedemütigt zu werden?

Ja. Gavia war Gavia. Umberto hatte nicht nur Vitos Familie zerstört, sondern zahllose andere Menschen auch.

Aber Flora hatte sich nicht so verhalten, wie er es von einer Gavia erwartet hätte. Sie war nicht in Tränen aufgelöst oder Mitleid heischend gekommen, um ihn umzustimmen. Nein, sie war wütend gewesen. Verwirrt. Und sie schien ehrlich bestürzt, als er ihr von seiner Familie erzählt hatte.

Andererseits, er durfte nicht so dumm sein, sich von ihr blenden zu lassen. Natürlich versuchte sie, zu retten, was zu retten war! Oder nicht?

Du bist kein netter Mensch.

Autor