Romana Exklusiv Band 371

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TANZ DIESEN TANGO NUR MIT MIR von CAROLE MORTIMER

Als Grace mit dem attraktiven argentinischen Milliardär Cesar Navarro einen Tango tanzt, knistert es sinnlich zwischen ihnen. Aber Cesar ist ihr Boss, sie nur seine Köchin. Wenn Grace ihr Herz schützen will, sollte sie ihm besser widerstehen …

DAS UNMORALISCHE ANGEBOT DES MILLIARDÄRS von ANNIE WEST

Von Liebe ist keine Rede, als Milliardär Rafe Benton der hinreißenden Antonia einen ungeheuerlichen Vorschlag macht: Er bietet ihr viel Geld, wenn sie ein halbes Jahr seine Geliebte spielt! An Gefühle denkt er nicht – bis er die selbstbewusste Schönheit zum ersten Mal küsst …

EINE MAGISCHE NACHT IN DEINEN ARMEN von SHOMA NARAYANAN

Auf den ersten Blick hat sich Samir Razdan in die Werbetexterin Melissa verliebt – und jetzt ist sein Traum wahr geworden: Sie erleben eine atemberaubende Nacht der Zärtlichkeit. Doch im Büro ist Melissa wieder ganz kühl. Hat sie nur mit den Gefühlen ihres Chefs gespielt?


  • Erscheinungstag 10.02.2024
  • Bandnummer 371
  • ISBN / Artikelnummer 0853240371
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Carole Mortimer, Annie West, Shoma Narayanan

ROMANA EXKLUSIV BAND 371

1. KAPITEL

„Bist du sicher, dass du klarkommst, Beth?“

„Grace, wirklich! Hör auf, dir Sorgen zu machen! Steig einfach in dein Auto und fahr los!“ Ihre Schwester Beth schüttelte den Kopf und warf Grace einen ebenso liebevollen wie ungeduldigen Blick zu. „Ich bin dreiundzwanzig, nicht drei, und absolut in der Lage, allein zu leben. Abgesehen davon brauchen wir das Geld …“

Das stimmte. Die Rechnungen, die sich im letzten halben Jahr während der Krankheit ihrer Mutter angehäuft hatten, mussten bezahlt werden. Grace hatte in dieser Zeit ihre Stelle als Patissière in der Küche eines führenden Londoner Hotels aufgegeben, um Tag und Nacht bei ihrer Mutter bleiben zu können und es Beth zu ermöglichen, ihren Abschluss an der Universität von Oxford zu machen.

Inzwischen wohnte Beth wieder zu Hause und hatte einen Job bei einem angesehenen Londoner Verlagshaus, aber ihr Gehalt reichte nicht für sie beide und schon gar nicht, um die unbezahlten Rechnungen zu begleichen.

Was wiederum der Grund dafür war, dass Grace sich jetzt in die Wildnis von Hampshire aufmachte. Hier sollte sie, sofern sie die einmonatige Probezeit überstand, dauerhaft als Köchin und Haushälterin auf dem Anwesen des steinreichen Cesar Navarro arbeiten. Wahrscheinlich beschäftigte der erfolgreiche argentinische Geschäftsmann auch in den anderen Wohnsitzen, die er überall auf der Welt unterhielt, fest angestellte Köchinnen und Haushälterinnen. Grace überlegte, was die Leute wohl mit sich anfangen mochten, wenn er gerade nicht dort wohnte.

„Wie mag dieser Cesar Navarro wohl in Wirklichkeit sein?“ Beths Frage fasste ihre eigene Neugier in Worte.

Sie hörte auf, in ihrer riesigen Schultertasche zu wühlen, blickte hoch und schnaubte abfällig. „Keine Ahnung. Und ich bezweifle, dass ich den Mann irgendwann in nächster Zeit zu Gesicht kriegen werde.“

Ihre jüngere Schwester zog die Stirn kraus. „Wie kommst du darauf?“

Wer die beiden zusammen sah, konnte auf den ersten Blick erkennen, dass Beth, die große Blonde mit den braunen Augen, und Grace mit ihren eins sechzig, dem langen dunklen Haar und den blaugrünen Augen keine leiblichen Schwestern waren.

Grace war mit gerade einmal sechs Wochen adoptiert worden und bis zum Alter von acht Jahren als Einzelkind aufgewachsen. Dann hatten ihre Adoptiveltern die fünfjährige Beth nach Hause gebracht und sie Grace als ihre neue Schwester vorgestellt. Für die beiden Mädchen war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, und diese innige Zuneigung hatte ihnen geholfen, den tragischen Verlust ihres Adoptivvaters vor vier Jahren zu bewältigen. Er war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, den ihre Mutter zwar überlebt hatte, allerdings querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Vor zwei Monaten war Heather Blake schließlich den schweren Folgeerscheinungen ihrer Krankheit erlegen.

Grace grinste schief. „Den Anweisungen seines persönlichen Assistenten in London zufolge, der mich nach einer äußerst strengen Sicherheitsüberprüfung eingestellt hat, muss ich zusehen, dass das Frühstück pünktlich morgens um sieben fertig ist, damit Navarros Angestellter Raphael es ins Speisezimmer bringen kann. Bis Mr. Navarro das Haus verlässt, habe ich mich aus den Wohnräumen fernzuhalten. Danach darf ich abräumen und das Haus in Ordnung bringen, bis auf sein Büro, das zu betreten mir untersagt ist.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Abends ist der Ablauf genauso. Wenn ich keine anders lautenden Instruktionen erhalte, hat das Dinner um Punkt acht fertig zu sein, damit es serviert werden kann, und ich muss das Haus spätestens um neun verlassen haben. Wahrscheinlich, weil es ab dann hoch hergeht bei Mr. Navarro.“

„Glaubst du?“

„Nein.“ Grace verzog das Gesicht. „Ich nehme an, der feine Herr will vermeiden, dass sein Blick auf etwas so Unbedeutendes wie Hauspersonal fällt.“

Beth lachte leise. „Hört sich an, als wäre er ein bisschen überspannt, wenn es um seine Privatsphäre geht.“

„Bei den Milliarden, die er besitzt, ist er vermutlich gewöhnt zu bekommen, was er will und wann er es will.“ Im Gegensatz zu Leuten wie ihr, die nicht wählerisch sein durften. Trotz ausgezeichneter Zeugnisse hatte Grace in den vergangenen sechs Wochen keine Stelle als Patissière gefunden. In ihrer Verzweiflung war sie zu einer Zeitarbeitsfirma gegangen, wo man ihr die – sehr gut bezahlte – einmonatige Arbeit auf Probe in Cesar Navarros Haushalt in Hampshire vermittelt hatte.

„Hm.“ Ihre Schwester grinste. „Aber wenigstens bewohnst du dein eigenes Cottage auf dem Anwesen.“

„Auch nur eine Maßnahme, mit der Mr. Navarro sich seine Privatsphäre sichert, nehme ich an.“

„Mach dir nichts draus, Schwesterherz. Ich komme, sobald es geht, am Wochenende vorbei und leiste dir für ein paar Tage Gesellschaft“, sprach Beth ihr Trost zu.

„Ich habe das Gefühl, die werde ich brauchen können!“ Grace lachte leise und umarmte Beth zum Abschied. „Und wenn du mich brauchst, ruf mich auf dem Handy an.“

Auf der Fahrt nach Hampshire ließ Grace sich die ungewöhnlichen Forderungen ihres zukünftigen Arbeitgebers noch einmal durch den Kopf gehen. Der Name Cesar Navarro war ihr nicht unbekannt gewesen – es gab wohl niemanden, der noch nicht von dem milliardenschweren argentinischen Tycoon gehört hatte. Mit Anfang dreißig schien er nicht nur Wohnsitze in den meisten Hauptstädten der Welt, sondern auch die Hälfte aller global operierenden Unternehmen zu besitzen. Nun ja, das mit der Hälfte mochte übertrieben sein. Ein Viertel war wohl realistischer.

Sein Imperium umfasste Hightech-Firmen ebenso wie breit aufgestellte Medienkonzerne, Fluggesellschaften, Immobilien, Hotelketten und Weingüter. Der Mann mischte in so vielen Branchen mit, dass Grace sich fragte, ob er überhaupt noch etwas anderes kannte als Arbeit.

Wahrscheinlich nicht.

Während sie auf die Einladung zu dem zweiten, entscheidenden Einstellungsgespräch gewartet hatte – in dieser Zeit war bestimmt die Sicherheitsüberprüfung erfolgt –, hatte sie im Internet nach Informationen über den einmaligen Mr. Navarro gesucht.

„Zurückgezogen“ – so ließ er sich wohl treffend beschreiben. Zu dem Schluss war sie jedenfalls gelangt, als sie das Wenige gelesen hatte, das man im Netz über ihn finden konnte.

Der dreiunddreißigjährige Cesar Navarro war das älteste von zwei Kindern eines argentinischen Vaters und einer amerikanischen Mutter, die jedoch inzwischen von ihrem Mann getrennt lebte. Er war in Buenos Aires aufgewachsen, hatte in Harvard studiert und schon im Alter von dreiundzwanzig seine erste eigene Firma gegründet.

Sein Imperium hatte mittlerweile so riesige Ausmaße, dass Navarro die meiste Zeit mit seinem Privatflugzeug oder dem Helikopter von Firmensitz zu Firmensitz flog und für die Zeit seines Aufenthalts in dem Domizil wohnte, das er an dem jeweiligen Ort besaß.

Auf der Website waren Fotos aus früheren Jahren eingestellt, die ihn als bemerkenswert gut aussehenden Jugendlichen zeigten. Schon damals hatten seine Gesichtszüge mit den durchdringend blickenden dunklen Augen aristokratisch und unnahbar gewirkt. Auf keinem einzigen der Bilder war auch nur der Anflug eines Lächelns zu sehen gewesen.

Es gab nur zwei Aufnahmen von ihm als Erwachsenem auf der Internetseite, die eine war ein gestelltes Foto, die andere ein Schnappschuss aus größerer Entfernung. Auf beiden wirkte er noch immer unglaublich gut aussehend, aber – sofern überhaupt möglich – noch ernster und grimmiger.

Der Schnappschuss zeigte ihn auf dem Weg zu seinem Hubschrauber – in Begleitung eines dunkelhaarigen Mannes, den er um einige Zentimeter überragte. Er trug einen dunklen Anzug, der seinen schlanken Körper mit den breiten Schultern betonte; sein etwas zu langes schwarzes Haar war zerzaust – vermutlich von den Turbulenzen, die die Rotorblätter des Helikopters erzeugten –, und noch immer wurde seine kühle Miene vom durchdringenden Blick seiner dunklen Augen dominiert.

Angesichts seines atemberaubenden Reichtums und seines umwerfenden Aussehens hätte er eigentlich der größte Playboy aller Zeiten sein müssen, mit ständig wechselnden schönen Frauen an seinem Arm, von denen jede irgendwann sein Bett teilte. Stattdessen lebte er extrem zurückgezogen und verteidigte seine Privatsphäre wie besessen.

Grace konnte sich keinen Reim darauf machen. Außer …

Vielleicht hatte es einen Grund, dass Cesar Navarro nie mit einer schönen Frau an seiner Seite fotografiert wurde; vielleicht war es sogar derselbe Grund, weswegen er sein Privatleben so konsequent abschottete. Und vielleicht handelte es sich bei dem dunkelhaarigen Mann, der auf dem Foto neben ihm herging, gar nicht um einen Assistenten, wie sie zunächst angenommen hatte.

Also wenn das keine himmelschreiende Schande war: märchenhaft reich, Anfang dreißig und Single, so umwerfend attraktiv, dass einem als Frau die Luft wegblieb bei seinem Anblick – und das alles für einen anderen Mann!

Grace kicherte bei dem abwegigen Gedanken, wurde aber gleich wieder ernst, als sie sah, dass sie sich der Einfahrt zu Navarros Anwesen näherte – dem Ort, an dem sie nun für wenigstens einen Monat leben würde.

Ein imposantes schmiedeeisernes Tor kam in Sicht, zu dessen beiden Seiten sich eine mindestens drei Meter fünfzig hohe Mauer erstreckte. Zwei Wachleute in schwarzen Uniformen standen rechts und links der Zufahrtsstraße, das Haar militärisch kurz geschnitten, die Haltung wachsam und die Augen hinter dunklen Sonnenbrillen verborgen. Nicht dass der bedeckte Himmel an diesem Septembertag es erfordert hätte.

Einer der beiden Wachposten trat an ihren Wagen, als sie vor dem Tor bremste und das Fenster herunterkurbelte.

„Grace Blake?“

„Die bin ich, ja.“ Sie war erleichtert, dass sie erwartet wurde, aber auch ein wenig besorgt. Was mochte der Grund für die strengen Sicherheitsmaßnahmen sein? Bei ihrem gestrigen Telefonat hatte sie Kevin Maddox, den persönlichen Assistenten Navarros in London, so verstanden, dass ihr argentinischer Arbeitgeber erst morgen im Laufe des Tages eintreffen würde …

Der stämmige Wachmann warf einen Blick auf den Rücksitz und nickte knapp. „Wenn Sie kurz den Kofferraum aufmachen würden …?“

„Den Kofferraum …?“

„Ja, bitte.“ Er machte einen Schritt zurück, als Grace aus dem Auto stieg und die Heckklappe öffnete, dann unterzog er den gesamten Stauraum samt ihrem Koffer einer genauen Prüfung. Anschließend trat er zur Seite und sprach leise in einen kleinen Funksender, der an seinem Jackenaufschlag befestigt war. Sekunden später schwenkten die Torflügel langsam zur Seite.

„Wenn Sie die erste Abzweigung rechts nehmen, kommen Sie zu Ihrem Cottage“, informierte er Grace kurz angebunden und nahm seine wachsame Haltung neben dem nun offenen Tor wieder ein.

Grace stieg ins Auto und fuhr langsam an, bis sie auf gleicher Höhe mit ihm war. „Ich …“ Sie räusperte sich. „Man sagte mir, dass Mr. Navarro erst ab morgen hier sein wird.“ Bei ihrem Glück hätte es sie nicht gewundert, wenn ihr neuer Arbeitgeber früher eingetroffen wäre als sie!

Der Wachmann verzog keine Miene. „Ja, das stimmt.“

„Oh.“ Verwundert runzelte sie die Stirn. „Sind die Sicherheitsmaßnahmen immer so streng, auch wenn er nicht hier wohnt?“

„Ja.“

„Oh“, murmelte Grace wieder. Sie konnte mehr fühlen als sehen, dass der prüfende Blick hinter den dunklen Sonnenbrillengläsern über sie glitt. „In Ordnung. Danke.“

„Der erste Abzweig rechts“, wiederholte der Wachmann knapp, das Gesicht geradeaus.

Graces Magen zog sich zusammen, als sie anfuhr und im Rückspiegel sah, wie die Torflügel sich schlossen. Sie war sicher, dass die Überwachungskameras auf sie gerichtet waren und verfolgten, wie sie langsam die von Bäumen gesäumte Auffahrt entlangfuhr und dann rechts abbog, um zu dem Cottage zu kommen, das nun fürs Erste ihr Zuhause sein würde.

Ihr Leben lang hatte sie tun und lassen können, was sie wollte, und kommen und gehen, wann sie es wollte. Ob sie es in diesem Hochsicherheitsgefängnis wirklich länger als vier Wochen aushalten würde?

„Ich akzeptiere keine Ausflüchte, Kevin.“ Mit großen Schritten betrat Cesar Navarro die Eingangshalle seines Domizils in England. Er hatte den ganzen Flug von Buenos Aires hierher gearbeitet und war zu müde, um einen Rückschlag bei den Verhandlungen hinzunehmen, für die er eigens hergeflogen war. „Wenn Dreyfuss nicht … Was ist das denn?“ Wie angewurzelt blieb er stehen.

Kevin zuckte zusammen, als er das dekorative Blumenarrangement auf dem Tisch in der Mitte der Halle sah. „Äh … ein Strauß Lilien?“

Cesar biss die Zähne zusammen. „Lassen Sie sie entfernen, sobald wir mit unserer Unterredung fertig sind“, befahl er knapp und setzte sich in Bewegung.

„Selbstverständlich.“ Kevin Maddox war klug genug, nicht nach dem Grund zu fragen, als er seinem Arbeitgeber in dessen Büro folgte.

Cesar setzte sich hinter den riesigen Mahagonischreibtisch und sah seinen Assistenten durchdringend an. „Ich dachte, ich hätte es hinlänglich klargemacht, dass ich im Haus keine Blumen möchte.“

Kevin machte ein verlegenes Gesicht. „Tut mir leid, ich fürchte, ich habe vergessen, Miss Blake darüber zu informieren …“

„Die neue Haushälterin?“ Cesar hob eine Braue.

„Mrs. Davis ist in Rente …“

„Das ist mir bekannt. Ich meine mich zu erinnern, dass ich ihr eine Gratifikation gezahlt habe, als sie in den Ruhestand ging.“ Ein spöttisches Lächeln zuckte um Cesars Mundwinkel.

„Richtig“, bestätigte Kevin. Er war derjenige gewesen, der Mrs. Davis den Scheck ausgehändigt hatte. „Anscheinend habe ich Miss Blakes Unterlagen zur Genehmigung an Raphael geschickt.“

„Anscheinend.“ Cesar nickte knapp. „Haben Sie eine Kopie bei sich?“

„Selbstverständlich.“ Kevin ließ seinen Aktenkoffer aufschnappen und entnahm ihm die gewünschte Mappe. „Sie ist ein bisschen jung, aber ihre Referenzen sind ausgezeichnet, und die Sicherheitsüberprüfung war in Ordnung.“

Cesar klappte die Mappe auf. Sobald sein Blick auf Grace Blakes Geburtsdatum fiel, hob er die Brauen. „Sechsundzwanzig. Ein bisschen jung …?“ Er musterte Kevin fragend.

Kevin wand sich förmlich vor Unbehagen. „Ihre Referenzen sind ausgezeichnet.“

„Das sagten Sie bereits …“ Cesar lehnte sich in seinem Sessel zurück und verengte die Augen. „Ist sie schön?“

Sein Assistent wurde rot. „Sie denken doch nicht, dass ich mich durch ihr Äußeres hätte beeindrucken lassen …!“

„Also ist sie schön“, sagte Cesar ironisch und überflog Graces Lebenslauf. „Die letzten acht Monate war sie arbeitslos …?“

„Nein. Oder besser gesagt, ihre Mutter war sehr krank. Sie hat ihren Job gekündigt, um sich um sie kümmern zu können.“

„Ersparen Sie mir Einzelheiten aus ihrem Privatleben, Kevin.“ An Cesars Kinn vibrierte ein Nerv.

„Ich wollte auch nur … Selbstverständlich.“ Der Assistent nickte, während Cesar ihn weiter durchdringend ansah. „Und wegen der Blumen spreche ich mit ihr, sobald wir hier fertig sind.“

„Tun Sie das.“ Cesars Kiefer spannte sich an, als er die Mappe mit Miss Blakes Unterlagen zuklappte und zur Seite legte, um sie später gründlich zu lesen.

Raphael war noch draußen, um sich in Bezug auf die Sicherheitsvorkehrungen auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Gleich anschließend aber, davon ging Cesar aus, würde er sicherstellen, dass die schöne junge Miss Blake erfuhr, was Cesar Navarro bei seinen Angestellten tolerierte und was nicht.

Grace raspelte Schokolade auf das Dessert, das sie für Cesar Navarros Dinner zubereitet hatte, als Kevin Maddox die Küche betrat. „Schön, Sie zu sehen, Kevin“, begrüßte sie den Assistenten herzlich.

Vor einer Viertelstunde hatte sie den Helikopter landen hören und gehofft, dass Kevin seinen Chef begleiten würde. Seit sie sich auf dem Anwesen befand, war sie das Gefühl nicht losgeworden, dass jeder ihrer Schritte beobachtet wurde – entweder von den zahlreichen Wachen, die rund um die Uhr im Dienst zu sein schienen, oder von den Kameras, die überall im Haus und auf dem Gelände angebracht waren. Diese wurden in einem Kellerraum mit rund fünfzig Monitoren von Sicherheitsleuten überwacht.

Schon das Cottage, in dem sie untergebracht war, verdiente nichts weniger als die Bezeichnung luxuriös. Doch die Ausstattung des Haupthauses war schlichtweg atemberaubend: elegante antike Möbel und Skulpturen, Stuckdecken, von denen Kristalllüster herabhingen, und wundervolle Gemälde – alles Originale natürlich –, die die seidenbespannten Wände zierten.

Und erst die Küche …!

Wenn sie von den beiden Überwachungskameras und der Tatsache absah, dass sie einen Nummerncode eingeben musste, um durch die Hintertür hinaus- oder hereinzukommen, waren die zurückhaltend schlichten Küchenzeilen aus Eiche der erfüllte Traum eines jeden Kochs. Sie gaben dem Raum etwas Warmes, angenehm Altmodisches und boten gleichzeitig allen notwendigen Hightech-Komfort, um die erlesenen mehrgängigen Menüs auf den Tisch zu bringen, die der Eigentümer des Hauses von ihr erwartete.

Allerdings war es ein Albtraum, auf das Anwesen zu gelangen oder es zu verlassen. Das hatte Grace heute Morgen herausgefunden, als sie zum Lebensmitteleinkauf in die nächstgrößere Stadt gefahren war. Erst erfolgte ein gründlicher Sicherheitscheck beim Hinausfahren. Und beim Hereinkommen hatte der Wachmann von gestern – Rodney – jede einzelne Einkaufstüte durchsucht, ehe sie das Tor passieren durfte.

Entweder war Navarro total paranoid, oder er hatte Feinde. Bei beiden Möglichkeiten beschlich Grace ein unbehagliches Gefühl.

Nach nur vierundzwanzig Stunden in diesem Goldfischglas erschien ihr der unkomplizierte Kevin Maddox mit seinem angenehmen Äußeren, dem kurz geschnittenen blonden Haar und den tiefblauen Augen wie eine frische Brise.

„Was riecht denn hier so gut?“ Er schnupperte anerkennend.

Grace trug ihre „Arbeitsuniform“ – eine gestärkte weiße Bluse und einen knielangen schwarzen Bleistiftrock. Das lange Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, damit es ihr bei der Zubereitung des Essens nicht im Weg war. „Karotten-Ingwer-Suppe, gegrillter Seebarsch an neuen Kartoffeln und gedünstetem mediterranen Gemüse. Zum Dessert …“

„Ah.“ Kevin seufzte bedauernd, als er die gehaltvolle Mousse au Chocolat entdeckte, die Grace mit weißen und dunklen Schokoraspeln dekoriert hatte.

Sie runzelte die Stirn, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. „Mag Mr. Navarro keine Schokolade?“

„Mr. Navarro isst kein Dessert.“

Grace machte große Augen und stammelte: „Was, er …? Nie?“

„Nie.“

„Aber Süßspeisen sind meine Spezialität! Ich bin gelernte Patissière.“

„Das ist mir bekannt.“ Kevin zuckte mit den Schultern. „Und davor haben Sie ein Meisterdiplom französischer Küche erworben.“

„Das war …“ Grace unterbrach sich, als ihr klar wurde, dass ihr ungeduldiger Protest zwecklos war. Sie brauchte diesen Job, und wenn Cesar Navarro kein Dessert aß, dann aß er eben kein Dessert. „Gibt es sonst noch etwas, das Mr. Navarro nicht essen mag?“ Sie nahm die Glasschüssel mit der Mousse au Chocolat und stellte sie in den Kühlschrank.

„Ich habe nicht gesagt, dass er Dessert nicht mag. Nur, dass er keines isst“, erwiderte Kevin.

„Hat er Angst vor Hüftspeck?“ Grace seufzte. „Entschuldigung, das hätte ich nicht sagen sollen.“

„Stimmt“, pflichtete Kevin ihr nüchtern bei. „Aber wo wir schon davon reden: Er mag auch keine Blumen in der Eingangshalle. Auch darauf hatte ich vergessen, Sie aufmerksam zu machen.“ Er verzog das Gesicht. „Mrs. Davis war lange vor mir bei Mr. Navarro angestellt. Sie kannte seine Marot… Vorlieben. Ich habe es versäumt, Sie darüber aufzuklären.“

Grace runzelte die Stirn. „Er mag die Lilien nicht?“

„Nein.“

„Welche Blumen will er dann im Haus haben?“

„Keine.“

Sie blinzelte. „Leidet er an einer Allergie? Heuschnupfen oder so?“ Wie schlimm der werden konnte, wusste sie. Je nach Pollenbelastung hatte ihre Schwester im Frühjahr, im Sommer und selbst noch im Herbst zur Erntezeit schreckliche Beschwerden.

„Nicht dass ich wüsste.“

Frustriert schüttelte Grace den Kopf. „Aber was kann man denn an Blumen im Haus nicht mögen?“ Die langstieligen rosa Lilien waren unglaublich schön und sie hatten göttlich geduftet, als sie sie heute Morgen in der Vase arrangiert hatte.

Kevin zuckte mit den Schultern. „Meiner Erfahrung nach ist es am besten, Mr. Navarros Anweisungen nicht zu hinterfragen.“

„Wenn er sagt ‚spring‘, pflegen die Leute zu springen, nicht wahr?“, mutmaßte Grace scharfsinnig.

Kevin lachte. „Das trifft es, ja.“

„Ich soll also die Blumen aus der Eingangshalle entfernen, richtig?“

„Genau.“

„Meinetwegen.“ Sie zuckte die Schultern.

Kevin seufzte erleichtert. „Und wie leben Sie sich sonst ein, von diesen geringfügigen Problemen abgesehen?“

Gar nicht. Und nun, da Cesar Navarro tatsächlich eingetroffen war und sie noch mehr Einschränkungen unterworfen war, wusste sie nicht einmal, ob sie es überhaupt wollte …

Das Regelwerk, das man ihr vor ihrer Ankunft hier unterbreitet hatte, die umfassenden Sicherheitsmaßnahmen, die auf dem Anwesen herrschten – all das hatte sie schon genug befremdet. Doch nun konnte sie Cesar Navarros Gegenwart im Haus förmlich spüren. Eine düstere, hochmütige, brütende Gegenwart, und das gesamte Anwesen schien davon durchdrungen. Kevin Maddox jedenfalls war bei Weitem nicht so entspannt und offen wie bei den beiden Einstellungsgesprächen oder dem gestrigen Telefonat. Und sicher hatten Rodney und seine Kollegen ihre Wachsamkeit noch um einiges erhöht, seit ihr Boss auf dem Anwesen weilte.

Wie konnte ein Mensch so leben? Ständig abgeschirmt, wie in einer Blase, komplett isoliert vom Rest der Welt? Grace wusste es nicht, aber diese Art zu leben war nichts für sie. Nicht dass sie je reich oder wichtig genug sein würde, um sich ernsthaft Gedanken um das Thema machen zu müssen.

Sie schenkte Kevin ein strahlendes, unverbindliches Lächeln und sah sich mit anerkennendem Blick in der Küche um. „Das Cottage ist traumhaft, die Küche umwerfend.“

„Wunderbar.“ Kevin nickte, unübersehbar angetan von ihrer Antwort. „Raphael wird gleich kommen und Mr. Navarros Dinner holen.“ Er sah auf die Uhr und straffte sich. „Für mich ist es Zeit aufzubrechen.“

„Sie bleiben nicht hier, wenn Mr. Navarro auf dem Anwesen wohnt?“ Es gelang Grace nicht, die Enttäuschung aus ihrer Stimme herauszuhalten.

Kevin zuckte mit den Schultern. „Außer Mr. Navarro und Raphael bleibt niemand im Haupthaus.“

Mr. Navarro und Raphael?

„Ist Raphael etwas über einen Meter achtzig groß, von kräftiger Statur, Ende zwanzig bis Anfang dreißig mit dunklem Haar und blauen Augen?“ Sie beschrieb den Mann, den sie auf dem Schnappschuss im Internet neben Navarro gesehen hatte.

„Das beschreibt ihn ziemlich genau“, bestätigte Kevin belustigt. „Woher wussten Sie …? Ah, da ist er ja …“ Er drehte sich herum, als der andere Mann die Küche betrat.

Ja, es war der Mann von dem Foto im Internet.

Mr. Navarro und Raphael.

Die Gedanken, die ihr kürzlich zu dem Thema in den Sinn gekommen waren, schienen mit einem Mal gar nicht mehr so weit hergeholt …

Und wenn schon: Leben und leben lassen, lautete Graces Motto. Zwei ihrer besten Freundinnen in Paris waren ein Paar gewesen – waren es immer noch, wie sie wusste.

Nicht dass auch nur der Hauch einer Chance bestand, mehr über Raphael oder ihren Arbeitgeber herauszufinden, nachdem Kevin sie vorgestellt hatte und anschließend sofort gegangen war.

In der nächsten Stunde eilte Raphael geschäftig zwischen Küche und Esszimmer hin und her und bediente Cesar Navarro persönlich. Angesichts seiner strengen, verschlossenen Miene sah Grace allerdings nach ein paar erfolglosen Anläufen, bei denen sie nur ein Grummeln als Antwort erhalten hatte, von dem Versuch ab, den Mann in eine Unterhaltung zu verwickeln.

Als Raphael schließlich das Tablett mit dem starken schwarzen Kaffee holen kam – Navarros persönliche Mischung, die er aus Argentinien mitgebracht hatte –, fühlte Grace sich mehr als nur ein bisschen erschöpft. Sie war müde von der Arbeit des Tages, aber auch davon, den schweigsamen Raphael zum Reden zu bringen. So müde, dass sie nichts einzuwenden hatte, als dieser ihr kurz angebunden mitteilte, dass sie für den Abend entlassen war.

Statt allerdings unverzüglich zu gehen, ließ sie sich ermattet auf einen der vier Hocker am Frühstückstresen sinken. Wenn die Anspannung heute Abend und die einengenden Sicherheitsmaßnahmen beispielhaft dafür waren, wie sich der Rest des Monats abspielte, würde sie die Probezeit nicht durchstehen. Egal wie gut sie bezahlt wurde und wie dringend sie das Geld brauchte!

2. KAPITEL

„Dios mio!“

Beim Klang der barschen Stimme sprang Grace auf. Sie konnte förmlich spüren, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich, als sie durch die spärlich beleuchtete Küche spähte und die hochgewachsene, imposante Silhouette Cesar Navarros im Türrahmen stehen sah.

Nachdem sie von Raphael für den Abend entlassen worden war, hatte sie beschlossen, nicht sofort zu ihrem Cottage zu gehen, sondern die Küche aufzuräumen, damit sie das nicht als Erstes am nächsten Morgen machen musste.

Damit hatte sie gegen die Anweisungen ihres Arbeitgebers gehandelt, wie sie nun erkannte.

Anweisungen, die Kevin zufolge niemand je infrage stellte, geschweige denn nicht befolgte.

Und um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte sie sich, mit der Dunstabzugshaubenbeleuchtung als einziger Lichtquelle, anschließend wieder an den Frühstückstresen gesetzt und sich ein paar Löffel von der Mousse au Chocolat gegönnt, die Navarro ja nicht essen wollte.

Sie schluckte schwer. „Mr. Navarro …“

„Miss Blake, nehme ich an?“ Seine Stimme klang tief und ein wenig rauchig, und sein Englisch hatte einen leichten Ostküstenakzent, was wahrscheinlich auf den Einfluss seiner amerikanischen Mutter zurückzuführen war.

Grace wischte sich die schweißfeuchten Hände an ihrem schwarzen Rock ab. Du lieber Himmel, warum hatte sie sich nicht an die Anweisungen gehalten und war längst zu ihrem Cottage gegangen? Mit ihrer Vermutung, dass sie Cesar Navarro erst einmal überhaupt nicht zu Gesicht bekommen würde, hatte sie jedenfalls ziemlich danebengelegen. Wie es aussah, würde sie wohl nicht einmal die Wahl haben, ob sie die gesamte Probezeit bleiben wollte oder nicht.

„Ich …“ Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. „Mein Verhalten ist unentschuldbar. Ich sollte nicht hier sein. Kevin … Mr. Maddox sagte mir, dass ich das Haupthaus spätestens um neun verlassen haben muss, und Raphael hat mich pünktlich fortgeschickt. Ich wollte bloß … es war noch früh, und ich hatte noch keine Lust, allein in dem Cottage zu sitzen … und … deshalb dachte ich, ich räume noch die Küche auf, dann brauche ich es morgen früh nicht zu machen.“

Cesar hatte geduscht und sich schon vor einer Stunde hingelegt, doch nachdem er noch einige Vertragsunterlagen durchgegangen war, hatte er Durst gehabt und sich ein Glas Saft aus der Küche holen wollen, ehe er schlafen ging. Dass er die junge Frau antreffen würde, die neuerdings als Haushälterin auf seinem hiesigen Wohnsitz arbeitete, damit hatte er nicht gerechnet.

Aus Grace Blakes Bewerbungsunterlagen ging hervor, dass sie sechsundzwanzig war, doch als sie nun im Licht der dürftigen Beleuchtung über dem Herd vor ihm stand mit ihren höchstens ein Meter fünfundsechzig und ihrer feingliedrigen Statur, sah sie wesentlich jünger aus.

Ihr braunes Haar hatte sie zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden, sodass ihr ungeschminktes Gesicht mit dem hellen Teint in allen Einzelheiten zutage trat. Und es war, genau wie Cesar vermutet hatte, ein schönes Gesicht: blaugrüne Augen, umrahmt von dichten dunklen Wimpern, ein paar Sommersprossen auf der zierlichen geraden Nase, hohe Wangenknochen und Wangen, die ein wenig hohl wirkten, so, als hätte sie kürzlich Gewicht verloren. Ihre Lippen waren voll und perfekt geformt, ihr hübsches, energisches Kinn ließ vermuten, dass sie ziemlich eigensinnig sein konnte.

Cesar presste die Lippen zusammen, als er in den Raum trat. „Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber essen Sie nicht gerade …“, er deutete auf die Glasschüssel auf dem Frühstückstresen, „… Mousse au Chocolat, statt aufzuräumen?“

„Ja. Also, ich …“ Ihre elfenbeinhellen Wangen röteten sich ganz reizend. „Ich bin fertig mit dem Aufräumen, und ich … ich hatte die Mousse schon für Ihr Dinner zubereitet, als Kevin – Mr. Maddox – mich aufklärte, dass Sie kein Dessert essen.“

Seine Brauen schossen in die Höhe. „Und da beschlossen Sie, es selbst zu essen?“

„Nein!“ Sie machte eine unbehagliche Miene, als ihr klar wurde, dass die halb leere Glasschüssel ihre Behauptung Lügen strafte. „Nun … ja. Aber ich fühlte mich so …“ Sie verstummte und räusperte sich. „Auch in dem Fall gibt es keine Entschuldigung für mein Verhalten. Tut mir leid.“

„Sie fühlten sich so …?“

„Ich komme aus London, wissen Sie, und das Cottage liegt ziemlich weit vom Haupthaus entfernt und ein bisschen einsam. Es ist so still dort, dass ich … Ach zum Teufel!“ Sie seufzte schwer, und mit einem Mal schien sämtliche Spannung aus ihren schmalen Schultern zu weichen. „Warum erschießt mich nicht einfach jemand, damit ich es hinter mir habe?“

Abermals hoben sich Cesars Brauen. „Erschießen?“

„Ja.“ Grace Blake lächelte schief. „Holen Sie Rodney oder einen seiner Jungs und geben Sie ihnen den Befehl, mich zu erschießen.“

„Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sich auf den Chef meines hiesigen Sicherheitsdienstes beziehen?“

„Wenn es derselbe Rodney ist, der am Einfahrtstor Wache steht, ja.“ Sie nickte. „Er schien mir ein wenig aufzutauen, als ich heute Vormittag mit ihm sprach. Aber wenn Sie ihm sagen, dass ich Ihre Mousse au Chocolat aufgegessen habe, wird er mich sicher mit Freuden aus dem Weg räumen. Oder wie auch immer Sicherheitsleute es in ihrem Jargon bezeichnen, wenn sie jemanden erschießen.“

Cesar wusste nicht, ob er über die unverblümte Art der jungen Frau lachen sollte – was er ohnehin selten tat – oder tatsächlich Rodney rufen. Wenn auch nur, damit er sie zu ihrem Cottage brachte. „Glauben Sie allen Ernstes, Rodney würde Sie erschießen, weil Sie mein Dessert aufgegessen haben?“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich glaube allen Ernstes, dass er tut, was Sie ihm sagen, ohne Fragen zu stellen.“

Cesar verbarg seine Verblüffung über ihre Antwort hinter halb gesenkten Lidern. „Ich meine mich zu erinnern, dass kaltblütiger Mord in diesem Land ungesetzlich ist.“

„Nicht nur kaltblütiger, auch jede andere Art von Mord“, korrigierte sie ihn schlagfertig. „Aber bei den Sicherheitsvorkehrungen auf Ihrem Anwesen würde man meine Leiche garantiert niemals finden, wenn Sie sie irgendwo auf dem Grundstück vergraben.“

Cesar fragte sich, ob er schon jemals in seinem Leben eine solch bizarre Unterhaltung geführt hatte. Bizarr und gleichzeitig fesselnd. Was Miss Blake wohl als Nächstes von sich geben würde?

„Sie wollten mir sagen, wie Sie sich fühlten, ehe Sie die Mousse au Chocolat aßen“, entgegnete er und trat in den Lichtkegel um den Herd.

Grace brachte kein Wort heraus. Der Anblick Cesar Navarros verschlug ihr die Sprache. Meine Güte, der Mann war … also, er war … das einzige Wort, das ihr einfiel, war atemberaubend.

Er war mindestens eins fünfundachtzig groß, sein Haar etwas zu lang, lässig zerzaust und natürlich gewellt, sein Teint bronzefarben. Lange, dichte Wimpern umrahmten seine funkelnden dunklen Augen, seine Wangenknochen und die schmale Nase wirkten wie gemeißelt in dem aristokratischen Gesicht mit den sinnlichen Lippen und der markanten Kieferpartie.

Aber es war hauptsächlich das, was er trug, oder besser gesagt, nicht trug, was Grace am meisten überraschte.

Auf dem Foto im Internet hatte er im perfekt sitzenden dunklen Anzug mit weißem Hemd und anthrazitfarbener, sorgfältig geknoteter Krawatte ausgesehen wie der Inbegriff teurer, zurückhaltender Eleganz. Nun trug er ein ärmelloses, eng sitzendes T-Shirt, unter dem sich die Muskulatur seiner breiten Schultern und seines Brustkorbs genauso abzeichnete wie sein flacher, muskulöser Bauch – keine Spur von Hüftspeck weit und breit. Tief auf seinen schmalen Hüften saßen lässige graue Sweatpants. Die schlanken, gepflegten Füße auf den Terrakottafliesen waren nackt.

Pflegte er in diesen Sachen zu schlafen, oder kam er aus dem Fitnessraum, den Grace bei ihrem morgendlichen Erkundungsgang durch das Haus entdeckt hatte? Er sah allerdings nicht im Mindesten erhitzt oder verschwitzt aus, also war Letzteres wohl nicht der Fall.

Was immer der Grund für seine lässige Kleidung sein mochte, seine Gegenwart schien die gesamte Luft aus dem Raum gesaugt zu haben. Grace konnte kaum atmen, und in der spärlich beleuchteten Küche wirkte seine hochgewachsene, kraftvolle Gestalt umso beeindruckender – sie hätte wetten können, dass seine Muskelkraft der seiner Wachleute in nichts nachstand.

„Was für eine Vergeudung …“ Sie zuckte zusammen, als sie merkte, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte. Wie konnte sie nur? Wenn sie vermutete, dass Cesar Navarro und Raphael eine Beziehung hatten, war das noch lange kein Grund, indiskrete Bemerkungen zu machen!

„Was meinten Sie, Miss Blake?“, fragte Cesar knapp.

„Nichts – ehrlich.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wie ich mich fühlte, ehe ich die Mousse au Chocolat gegessen habe?“, wiederholte sie seine Frage, als sie sah, wie er neugierig seine dunklen Augen verengte. „Einsam. Ich hatte Heimweh, wenn Sie es genau wissen wollen. Und wenn man Schokolade isst, erscheinen einem die Dinge immer ein bisschen weniger düster, finden Sie nicht?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Nein, natürlich nicht, weil Sie ja nichts Süßes essen. Warum eigentlich nicht?“ Sie blickte forschend zu ihm hoch und wünschte umgehend, sie hätte es nicht getan, denn sie spürte, wie sich ihr Nacken verspannte.

Was sich wohl zu einem Berufsrisiko auswachsen würde, wenn sie sich zu oft mit diesem Mann unterhielt. Was wiederum höchst unwahrscheinlich war, weil er sie von Rodney erschießen lassen würde und ihre Leiche im Wald vergra…

Du wirst hysterisch, Grace.

Unglücklicherweise half die Erkenntnis ihr nicht im Mindesten. Das zeigte sich prompt an ihrer nächsten unangebrachten Bemerkung, während der sie Cesar Navarros muskulösen Brustkorb betrachtete. „Ganz sicher doch nicht deswegen, weil Sie Angst haben müssten zuzunehmen.“

Nein, stellte Cesar fest, er konnte wirklich nicht voraussagen, was Grace Blake als Nächstes sagen, geschweige denn tun würde. Auch war er nicht bereit, dieser merkwürdigen jungen Frau zu erklären, dass er Desserts von seinem Speisezettel gestrichen hatte, weil er sie für überflüssig hielt. „Haben Sie zufällig auch einen von meinen Weinen getrunken, um das Gefühl der Einsamkeit loszuwerden?“

„Ganz bestimmt nicht.“ Sie musterte ihn indigniert. „Bei der Arbeit trinke ich nicht.“

„Freut mich zu hören“, erwiderte er trocken.

Sie blinzelte. Ob er die Bemerkung sarkastisch gemeint hatte? „Ich bin nur ein bisschen müde, sonst nichts.“

Und ziemlich gefühlsbetont, dachte Cesar und straffte sich. „In dem Fall wäre es vielleicht besser, wenn wir die Unterhaltung morgen früh fortsetzen.“

Ihre blaugrünen Augen weiteten sich. „Sie meinen, ich bin morgen früh noch hier?“

„Statt aus dem Weg geräumt und im Wald vergraben worden zu sein?“, fragte Cesar leise.

Wieder stieg ihr die Röte in die Wangen. „Zugegeben, meine Reaktion war ein bisschen hysterisch.“

„Ein bisschen?“

Wut flackerte in ihren Augen auf. „Sie hätten hier keine Sicherheitsleute, wenn Sie nicht davon ausgehen würden, dass Sie sie möglicherweise brauchen, oder sehe ich das falsch?“

Ungeduldig presste er die Lippen zusammen. „Deswegen würde ich ihnen aber nicht befehlen, eine vorlaute Angestellte zu erschießen. Nicht einmal eine in der Probezeit.“

„Oh.“ Als sie seine Zusammenfassung ihres Verhaltens an diesem Abend hörte, schaute sie schuldbewusst zur Seite.

„Außer Sie meinen, ich muss vor Ihnen beschützt werden?“

Grace stockte der Atem bei den absolut unangemessenen Bildern, die der rauchige Ton seiner Stimme in ihr hervorrief – wie sie mit ihren Händen seine breite, muskulöse Brust hinaufstrich, sie über seine Schultern und seinen Nacken gleiten ließ und die Finger in seinem Haar vergrub, das aussah, als sei es vom Sex zerzaust … Wie sie seinen Kopf zu sich herunterzog, bis sein Mund nur noch …

Himmel noch mal, war sie nicht mehr ganz bei Sinnen?

Sie musste sich einsamer gefühlt haben, als ihr bewusst war, wenn sie sich sogar vorstellte, ausgerechnet Cesar Navarro zu küssen. Oder überhaupt einen Mann, den sie gerade erst kennengelernt hatte.

In den vergangenen Jahren war sie ein paar Mal mit Männern ausgegangen, aber mit keinem hatte sie eine ernsthafte Beziehung gehabt. Und ganz gewiss hatte keiner dieser Männer eine solche Sinnlichkeit ausgestrahlt, dass sie sofort davon geträumt hatte, ihn zu küssen.

Und sie träumte auch nicht davon, ihren neuen Arbeitgeber zu küssen! Wozu auch, wenn seine erotischen Vorlieben nicht Frauen galten?

„Nein, natürlich nicht“, wehrte Grace eilig ab. „Und wie Sie sagten, am besten reden wir morgen weiter.“

Er fuhr fort, sie mit seinem grübelnden Blick zu mustern, dann nickte er langsam. „Ich rufe Rodney her – damit er Sie zum Cottage bringt, nicht um Sie aus dem Weg zu räumen“, fügte er ungeduldig hinzu, als er sah, wie Graces Augen sich alarmiert weiteten.

Sie atmete erleichtert auf. „Ich finde den Weg auch allein.“

Er presste die Lippen zusammen. „Es ist spät und stockdunkel draußen.“

Grace verzog das Gesicht. „Und es sind so viele Wachleute unterwegs auf dem Grundstück, dass unmöglich jemand von draußen eindringen und mich überfallen könnte.“

Cesar verengte die Augen. „Die Anwesenheit der Wachleute beunruhigt Sie?“

„Ich frage mich nur, warum es so viele sein müssen.“

Unwillig runzelte er die Stirn. „Es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, mich zu erklären. Niemandem.“

„Schon gar nicht Angestellten in der Probezeit.“ Grace nickte. „Diese Dinger überall machen mir Angst.“ Sie hob den Blick zur Decke, wo eine Überwachungskamera hing. Das blinkende rote Licht an dem Gerät zeigte, dass es eingeschaltet war. „Ist Ihnen klar, dass man uns jetzt im Monitorraum im Keller beobachtet?“

„Man kann nicht hören, was wir sprechen“, versicherte er ihr unwillig.

„Ein Glück!“ Grace lächelte schief. „Ich war nicht gerade höflich zu Ihnen“, ergänzte sie, als Cesar sie fragend ansah.

In der Tat. Miss Blake hatte sich nicht im Geringsten an die Regeln der Höflichkeit gehalten, an die er gewöhnt war, wie Cesar im Stillen einräumen musste. Aber vielleicht fand er die Unterhaltung mit ihr gerade deshalb ausgesprochen … erfrischend. Er pflegte seine Wünsche und Bedürfnisse zu äußern in dem Wissen, dass sie umgehend erfüllt wurden. Grace Blake machte nicht den Eindruck, als würde sie nach irgendjemandes Pfeife tanzen.

Wie die Vase mit den rosa Lilien bezeugte, die heute Vormittag in der Eingangshalle gestanden hatte und nun den Küchentisch zierte.

„Ich wollte sie nicht wegwerfen“, verteidigte Grace sich eilends, als sie seinem düsteren Blick folgte.

Seine Kiefermuskeln spannten sich an. „Meine Anweisung lautete …“

„… sie aus der Eingangshalle zu entfernen“, fiel Grace ihm ins Wort. „Wie Sie sehen, habe ich das getan.“

„Und sie stattdessen in die Küche gestellt.“

„Ja … nun …“ Ihre Wangen waren flammend rot. „Ich habe sie heute Morgen erst gekauft und es nicht über mich gebracht, sie in den Abfall zu werfen. Sie sind viel zu schön und riechen himm…“ Sie unterbrach sich, als er sie von oben herab ansah. „Könnte ich sie vielleicht mit in das Cottage nehmen? Oder würden Sie das auch als Diebstahl betrachten?“

„Auf den dann wieder die Todesstrafe stünde?“

„Ich habe schon zugegeben, dass ich in dem Punkt ein wenig hysterisch war.“ Grace wand sich förmlich unter seinem Sarkasmus.

Cesar Navarros Miene war undurchdringlich, als er sich zum Küchentelefon wandte, den Hörer abnahm und eine Nummer eintippte. „Ich rufe Rodney an, damit er Sie beglei… Rodney? Ja.“ Sein Blick war unverwandt auf sie gerichtet, während er kurz angebunden mit dem Wachmann sprach. „Nein, alles in Ordnung, aber ich möchte, dass Sie Miss Blake zu ihrem Cottage begleiten. Ja, ich weiß, dass sie längst dort sein sollte. Unglücklicherweise scheint Miss Blake unfähig, selbst die einfachsten Anweisungen zu befolgen.“

Grace schnappte nach Luft. „Das ist ja wohl …!“

„In der Küche.“ Cesar ignorierte ihren Protest, während er seinem englischen Sicherheitschef zuhörte. „Eine Minute? Sicher wird Miss Blake in der Lage sein, uns solange die Zeit zu vertreiben.“ Er beendete das Gespräch und legte den Hörer auf, dann verschränkte er die Arme vor der Brust und musterte sie abermals von oben herab.

Frustriert erwiderte Grace den Blick. „Wie schön für mich, dass Rodney mich nun für ein Sicherheitsrisiko hält!“

Ein ironisches Lächeln zuckte um Cesars Mund. „Und die Meinung meines Sicherheitschefs ist Ihnen wichtig?“

„Unbedingt. Schließlich trägt der Mann eine Waffe.“

Cesar zog die Augenbrauen zusammen. „Sie fühlen sich unbehaglich deswegen?“

Sie hob die Schultern. „Eingeschüchtert beschreibt es besser.“

Cesar lebte schon so lange mit strengen Sicherheitsvorkehrungen, dass er sie kaum noch wahrnahm, und er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie andere Menschen sich unter der permanenten Überwachung fühlen mochten. Nicht dass es ihn kümmerte, wie es Grace Blake damit ging – die Maßnahmen waren berechtigt; sie dienten seinem Schutz und dem seiner Familie, und er hatte nicht vor, irgendetwas daran zu ändern, nur damit seine englische Haushälterin sich besser fühlte. Seine in der einmonatigen Probezeit befindliche englische Haushälterin …

„Ah, Rodney.“ Er drehte sich um, als sein Sicherheitschef durch die Hintertür trat. „Miss Blake ist fertig zum Aufbruch.“

„Das ist wirklich nicht nötig“, protestierte Grace verlegen.

„Ich sagte schon, warum ich es wichtig finde …“

„Na klar. Und Ihr Wort ist natürlich Gesetz auf diesem Anwesen.“

Bei ihrer sarkastischen Bemerkung verengte Cesar die Augen. „Vergessen Sie die Lilien nicht.“ Er wandte sich zum Gehen. „Und nehmen Sie die Vase auch mit“, setzte er müde hinzu, als er sah, dass sie die Blumen herausgenommen hatte und die tropfend nassen Stiele Wasserpfützen auf dem Küchentisch hinterließen.

„Danke.“ Sie wischte den Tisch ab, hob die Glasvase hoch und schwankte fast unter dem Gewicht des wassergefüllten Kristallgefäßes mit den langstieligen Blumen.

„Rodney?“ Cesar warf dem Wachmann einen genervten Blick zu.

„Ja, Sir.“ Als sein Sicherheitschef Grace Blake die Vase abnahm, hatte er anscheinend das gleiche Problem wie Cesar selbst, denn es kostete ihn sichtlich Mühe, nicht über ihren verdrossenen Gesichtsausdruck zu lachen. Was womöglich ein Hinweis darauf war, dass Rodney ihr gegenüber tatsächlich auftaute, wie sie es formuliert hatte.

Nachvollziehbarerweise, denn Miss Blake war nicht nur eine schöne Frau, ihre unverblümte Art hatte auch etwas höchst Unterhaltsames, um es vorsichtig auszudrücken.

„Gute Nacht, Miss Blake“, sagte Cesar spöttisch, als Rodney höflich zurücktrat, um sie vorausgehen zu lassen.

Sie drehte sich halb zu ihm um und nickte, ohne ihn wirklich anzusehen. „Mr. Navarro.“

Cesar wartete, bis sie und Rodney die Küche verlassen hatten und die Hintertür abgeschlossen war. Dann erlaubte er sich ein schiefes Grinsen. Was für eine merkwürdige Begegnung!

Grace Blake war ganz und gar nicht das, was er von seiner neuen Angestellten erwartet hatte. Sie war zu jung. Zu schön. Und viel zu geradeheraus!

Abgesehen davon war sie eine ausgezeichnete Köchin. Das Dinner, das sie für ihn zubereitet hatte, stand dem Angebot der exklusiven Restaurants in aller Welt, in denen er zu speisen pflegte, in nichts nach.

Apropos …

Cesar beugte sich über die halb geleerte Schüssel Mousse au Chocolat auf der Marmorplatte des Frühstückstresens. Ohne dem Dessertlöffel Beachtung zu schenken, der darin steckte, tauchte er den Zeigefinger in die gehaltvolle Masse und leckte ihn ab.

Sobald die köstliche Schokoladencreme auf seine Geschmacksknospen traf, entfuhr ihm ein Stöhnen – kaum weniger machtvoll als das, was er von sich gab, wenn er Erfüllung bei der körperlichen Liebe fand.

Nicht dass Cesar sich dieses Vergnügen allzu häufig gönnte; er zog es vor, möglichst alle Bereiche seines Lebens unter Kontrolle zu haben, auch auf Kosten persönlicher Annehmlichkeiten.

Aber dennoch …

Abermals tauchte er den Finger in die Schokoladenmasse, und wieder entfuhr ihm das lustvolle Stöhnen. An diesem Punkt war ihm klar, dass er die Küche nicht verlassen würde, ehe er die Schüssel nicht bis auf den letzten unwiderstehlichen Rest geleert haben würde.

„Bitte, Miss Blake.“

Es war Punkt halb neun, und Grace spürte, wie ihre Anspannung zunahm, als Cesar Navarro sie nüchtern aufforderte einzutreten. Kevin hatte ihr vor ein paar Minuten Bescheid gesagt, dass sie sich umgehend im Büro ihres Arbeitgebers einfinden sollte, und sie dabei fragend gemustert. Doch wenn Mr. Navarro es nicht für nötig befand, seinem Assistenten von der Unterhaltung zu berichten, die er am vergangenen Abend mit ihr in der Küche geführt hatte, sah Grace erst recht keinen Anlass dazu.

Davon abgesehen würde Kevin rasch genug herausfinden, warum sein Boss sie sprechen wollte – spätestens dann, wenn er ihm sagte, dass sie entlassen war.

Anscheinend hatte Cesar Navarro bis nach dem Frühstück gewartet, um ihr ihre Papiere zu geben …

Grace vergewisserte sich, dass ihr Pferdeschwanz straff saß, strich ihren schwarzen Rock glatt, dann öffnete sie die Tür und trat zögernd ein. Aber sofort blieb sie wie angewurzelt stehen, als ihr Blick auf das Foto an der Wand hinter dem riesigen Mahagonischreibtisch fiel. Es war die gleiche Aufnahme, die sie im Internet gesehen hatte. Cesar Navarro im dunklen Anzug, mit weißem Hemd und akribisch geknoteter anthrazitfarbener Krawatte. Einzig das sexy zerwuschelte Haar erinnerte an den Mann, den sie gestern Abend in der Küche getroffen hatte.

Was nicht gerade ein hilfreicher Gedanke war, jetzt da er ihr offenbar mitteilen wollte, dass sie nicht die Eignung besaß, für ihn zu arbeiten.

„Haben Sie die Croissants, die es heute Morgen zum Frühstück gab, selbst gebacken?“

Grace blinzelte verblüfft. „Ich … Wie bitte …?“

Cesar maß sie mit einem ungeduldigen Blick. „Ich fragte, ob Sie die Croissants, die es heute zum Frühstück gab, selbst gebacken haben.“

„Ah. Also … ja.“ Was sollte die Frage? Spielt er irgendein Spiel mit mir? fragte Grace sich benommen. Eins, bei dem man den Gegner einlullt, sodass er sich in Sicherheit wiegt, und ihm, sobald er sich entspannt, ins Gesicht schlägt? Wenn er das tat …

„Sie waren köstlich.“ Er nickte knapp. „Bessere habe ich nicht einmal in einem erstklassigen Pariser Hotel gegessen.“

Genau so sollten sie auch sein, nachdem Grace ihr Diplom als Meisterköchin gemacht und mehr als ein Jahr in einem erstklassigen Pariser Hotel gearbeitet hatte, noch dazu unter einem der berühmtesten Chefköche Frankreichs.

„Ich freue mich, dass sie Ihnen geschmeckt haben.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Betrachten Sie sie als Abschiedsgeschenk von mir.“

Er blickte sie durchdringend an. „Sie wollen kündigen?“

„Natürlich will …“ Grace musterte ihn argwöhnisch. „Haben Sie mich nicht deswegen holen lassen? Um sich das Vergnügen zu gönnen, mich persönlich zu feuern?“

Gestern Abend hatte Cesar sich gefragt, ob Grace Blakes direkte, manchmal fast unverschämte Art zu reden vielleicht darauf zurückzuführen war, dass sie sich verletzlich und einsam fühlte. Zwei Minuten mit ihr heute Morgen reichten aus, um ihn eines Besseren zu belehren. Sie nahm nie ein Blatt vor den Mund.

Er hob eine Braue und musterte sie unter halb gesenkten Lidern hervor. „Was lässt Sie glauben, es wäre mir ein Vergnügen, Sie zu entlassen?“

Die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken waren im hellen Tageslicht deutlicher zu sehen, ihre Augen hatten die Farbe des Mittelmeers, nicht ganz blau, nicht ganz grün, sondern ein Ton dazwischen. Ihr Haar war glänzend braun, und obwohl sie es auch heute wieder zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden trug, war er sicher, dass es ihr fast bis zur Taille reichte, wenn sie es löste.

Sie trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. „Ich war sehr direkt gestern Abend. Und unhöflich. Wahrscheinlich sogar sarkastisch. Und …“ Sie verstummte, als Cesar aufstand und langsam um den Schreibtisch herumkam. Er schob das gerahmte Foto, das an der Seite stand, vorsichtig ein Stück fort, dann lehnte er sich an die vordere Kante der Tischplatte.

Ein Foto von Raphael vielleicht?

„Und?“, fragte er leise.

Sie schluckte schwer. „Und ich habe mich abfällig über die Sicherheitsmaßnahmen geäußert, die hier herrschen.“

„Ja“, bestätigte er trocken.

Sie runzelte fragend die Stirn. „Ja, ich war direkt? Ja, ich war unhöflich? Ja, ich war sarkastisch? Oder ja, ich habe mich abfällig über die Sicherheitsmaßnahmen geäußert, die hier herrschen?“

„Ja in allen vier Fällen“, präzisierte er knapp.

„Da haben Sie’s.“

„Da habe ich was?“, fragte er gereizt. Freimütigkeit war eins, Ungenauigkeit etwas ganz anderes.

Grace musterte ihn ungeduldig. Seine körperliche Nähe war überwältigend, und wieder schien seine Gegenwart ihr die Luft zu nehmen. „Sämtliche nur möglichen Gründe, mir zu kündigen.“

„Mir das Vergnügen zu gönnen, Sie persönlich zu feuern. So hatten Sie es, glaube ich, ausgedrückt.“

„Ist das wichtig?“ Grace seufzte angesichts seiner Hartnäckigkeit. „Das Entscheidende ist, dass Sie mich entlassen. Der Grad des Vergnügens, das Sie dabei empfinden, ist unerheblich …“

„Für Sie vielleicht“, unterbrach er sie kalt. „Mir geht es gegen den Strich, wenn man mir unterstellt, ich fände Freude daran, jemandem seine Arbeit wegzunehmen.“

In seinen Augen stand schwelende Wut, und er hatte den Mund zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Ein Nerv pochte an seinem Kinn.

„Okay, tut mir leid – ich habe anscheinend voreilige Schlüsse gezogen. Sie kündigen mich, aber es bereitet Ihnen kein Vergnügen“, korrigierte sie sich eilig.

Cesar konnte es nicht fassen. Sie hatte es binnen zwei Minuten geschafft, ihn ein zweites Mal zu beleidigen. Wenn das Grace Blakes Vorstellung von einer Entschuldigung war, gab es an ihrer sozialen Kompetenz noch einiges zu feilen.

„Wir können es gern dabei belassen“, fuhr sie fort und lächelte strahlend. „Ich gehe dann schon mal meine Sachen packen und mache mich auf den Weg. Ihnen und Raphael ist es sicher ohnehin lieber, wenn ich Ihnen nicht die ganze Zeit im Weg bin.“

Cesar konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass ihm die Kontrolle über das Gespräch seit ein paar Minuten entglitten war – eine Situation, die er nicht kannte. Normalerweise hörten die Leute zu, wenn er sprach, anstatt zu versuchen, für ihn zu sprechen.

Frustriert rieb er sich mit der Hand über das Kinn und musterte Grace stirnrunzelnd. „Mir und Raphael …?“

„Keine Sorge, Ihr Geheimnis ist sicher bei mir.“ Sie berührte ihn leicht am Ärmel, um ihre Hand im nächsten Moment erschrocken zurückzuziehen. „Beim Einstellungsgespräch ließ Kevin mich eine Diskretionsverpflichtung unterschreiben.“ Sie war flammend rot geworden. „Aber auch so könnten Sie mich sicher ohne Probleme verklagen, wenn ich über Ihr Privatleben sprechen würde.“ Wieder lächelte sie strahlend.

„Ich und Raphael“, wiederholte er ruhig. Sehr ruhig. Mit genau der tödlichen Ruhe, die Freund wie Feind gleichermaßen bei ihm fürchteten.

Und vor der auch Grace Blake sich besser in Acht nahm, wenn ihre Bemerkung das bedeutete, was Cesar vermutete.

3. KAPITEL

Ein Blick in Cesar Navarros blitzende dunkle Augen, in sein wie gemeißelt wirkendes, kantiges Gesicht, und Grace wusste, dass sie ihn mit irgendetwas verärgert hatte.

Schon wieder.

In seinen Zügen lag eisige Ruhe, und plötzlich fühlte Grace sich, als hätte sie Bleigewichte an den Füßen, als hätte ihr Verstand ausgesetzt. Sie konnte weder flüchten noch sich erinnern, worüber sie gesprochen hatten, ehe er zum Eismann mutiert war.

Ach ja, doch. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie hatte ihm versichert, dass sie absolute Diskretion wahren würde im Bezug auf seine Beziehung zu Raphael …

Oh.

Sie stöhnte gequält. „Sie und Raphael sind kein Paar?“

Eine seiner dunklen Brauen schoss in die Höhe. „Vielleicht könnten Sie mir erklären, wie Sie darauf kommen?“

Grace stöhnte wieder, aber diesmal nur innerlich. Wenn er bis hierher nicht die Absicht gehabt hatte, sie zu feuern, würde er es jetzt ganz gewiss tun.

„Es schien mir die wahrscheinlichste Erklärung dafür, dass ein steinreicher, umwerfend attraktiver Mann in der Blüte seiner Jahre nicht ständig mit Horden schöner Bettgefährtinnen abgelichtet wird …“ Grace biss sich auf die Lippe, als sie erkannte, dass sie die Dinge gerade schlimmer machte statt besser. „Ich kann nicht glauben, dass ich das laut gesagt habe!“

„Doch, haben Sie. Ich versichere es Ihnen.“ Wieder fragte Cesar sich, wie er mit Grace Blakes Direktheit umgehen sollte. War es besser, der Sache ein Ende zu machen und sie aufzufordern zu gehen – die geradezu sündhaft gute Mousse au Chocolat einmal ganz außer Acht gelassen? Oder sollte er einfach lachen oder sie übers Knie legen und ihr die Tracht Prügel verabreichen, die sie verdiente? „Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass derartige Fotos nirgendwo auftauchen, weil ich an vielen Medienkonzernen beteiligt bin und solche Veröffentlichungen verhindern kann?“

„Ach so.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Daran hatte ich nicht gedacht. Heißt das, es gibt Horden schö…?“

„Wie wäre es, wenn Sie ab sofort ein wenig besser aufpassen, was Sie laut äußern?“ Cesar funkelte sie warnend an.

Nach einem kurzen Moment senkte sie den Blick. „Tut mir leid.“

Die Entschuldigung fiel ihr sichtlich schwer, doch er nickte. „Dann halten Sie mich also für einen umwerfend attraktiven Mann in der Blüte seiner Jahre, Miss Blake?“

Sie wurde so feuerrot, dass Cesar innerlich schmunzeln musste. „Nun, das ist ja offensichtlich“, räumte sie verlegen ein.

Cesar lehnte sich bequemer gegen den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Er stellte fest, dass er ihr Unbehagen genoss. „Es ist nicht das Schlechteste, als ‚umwerfend attraktiv‘ und ‚in der Blüte seiner Jahre‘ bezeichnet zu werden.“

„Würden Sie bitte aufhören, die Worte ständig zu wiederholen, als ob … als ob …?“ Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. „Ist Rodney irgendwo in der Nähe?“

„Damit er Sie in den Wald schleppen und ‚aus dem Weg räumen‘ kann?“

„Genau.“

Cesar konnte sich nicht mehr zurückhalten und lachte schallend.

Graces Augen weiteten sich ungläubig, als sie ihn lachen hörte. Der satte, kehlige Klang erweckte etwas tief in ihr zum Leben; keine zaghafte Regung, sondern eine ungezähmte, herrliche Empfindung, die sie so noch nie verspürt hatte.

Verlangen.

Sie keuchte leise, als ein prickelnder Schauer durch ihren Körper jagte, der schließlich in ihren Brüsten zu verweilen schien und Brustwarzen hart werden ließ. Zwischen ihren Schenkeln begann es zu pochen.

Es war das intensivste und gleichzeitig verstörendste Gefühl, das sie je gehabt hatte.

Und verstörend war es deshalb, weil ausgerechnet der rätselhafte, unnahbare Cesar Navarro, dieser für sie völlig unerreichbare Mann, es ausgelöst hatte.

Ein fast schmerzhaftes, hitziges, unfassliches und gänzlich aussichtsloses Verlangen!

Schlimmer war höchstens noch, dass er ihre unzulässigen Gefühle erkannte. Sie merkte es an der Art, wie sein Lachen langsam verebbte, und an der Neugier, mit der er sie plötzlich musterte.

Sie straffte sich. „Hören Sie, können wir es nicht einfach so machen, dass Sie mir meine Papiere geben und Rodney herrufen, damit er mich zum Tor begleitet? Ehe ich noch etwas sage, womit ich mich bis auf die Knochen blamiere?“

Cesar fühlte sich wie benebelt. Diese Angestellte war nicht nur in einem Maß freimütig, dass sie sich selbst in Verlegenheit brachte – ihr Mund, der all diese unverstellten Bemerkungen aussprach, war auch noch unglaublich hübsch: perfekt geschwungen, feucht glänzend, leicht geöffnet, mit vollen, außerordentlich küssenswerten Lippen. Die sein Begehren weckten, je länger er sie betrachtete. Ob sie wohl ebenso köstlich schmeckten wie die Mousse au Chocolat, die er gestern Abend komplett verschlungen hatte …?

Auf gar keinen Fall!

Grace Blake war seine Angestellte, und Cesar unterhielt keine persönlichen Beziehungen zu Frauen, die er beschäftigte. Auch nicht zu denen, die er interessant und zugegebenermaßen erregend fand wie Miss Blake!

Und auch nicht, wenn Miss Blakes erhitztes Gesicht und ihre aufgerichteten Brustwarzen, die sich unter der schmal geschnittenen Bluse abzeichneten, ein Hinweis darauf waren, dass sie ihn körperlich genauso anziehend fand wie er sie.

Wodurch er in ein Dilemma geriet. War es unter diesen Umständen klug, ihr den Vorschlag zu machen, auf den er vergangene Nacht gekommen war?

„Mr. Navarro?“ Sie musterte ihn wachsam.

Abrupt richtete Cesar sich auf, ging um den Schreibtisch herum und nahm in seinem Sessel Platz, froh, dass die Tischplatte ihn wirksam von ihr entfernte und gleichzeitig seine Erregung verbarg. „Es scheint, als hätte sich der Beginn Ihrer Anstellung bei mir ein wenig holprig gestaltet, Miss Blake …“ Er unterbrach sich, als sie ein selbstironisches Schnauben hören ließ, und nickte kurz. „Genau. Was halten Sie davon, wenn wir noch einmal neu anfangen?“

Was genau meinte er damit? Dass er über all die Fettnäpfe, in die sie letzte Nacht und heute Morgen schon wieder getreten war, hinwegsehen wollte und ihr anbot, weiter für ihn zu arbeiten? Wenn das stimmte, hatte sie sich womöglich in ihm getäuscht, und er war gar nicht der rücksichtslose, ehrgeizige, kaltschnäuzige Geschäftsmann, als den sie ihn eingeschätzt hatte.

Aber selbst wenn er bereit war, über ihre plumpe Vertraulichkeit hinwegzusehen, bedeutete das nicht, dass er die peinlichen Äußerungen vergaß – besonders die über sein umwerfend gutes Aussehen.

Genauso wenig wie sie selbst in der Lage sein würde, ihre überwältigende körperliche Reaktion auf den Klang seines Lachens zu vergessen.

Sie schüttelte zweifelnd den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich geeignet bin, in der Wildnis von Hampshire zu leben, egal wie lange.“

„Dieses Anwesen liegt kaum in einer Gegend, die die Bezeichnung ‚Wildnis‘ verdient, Miss Blake“, erwiderte er gedehnt. „Bis zur nächsten Stadt sind es nur zehn Komma zwei Kilometer, und auf dem Grundstück leben außer Ihnen noch zwanzig andere Menschen. Und ja, ich bin mir dessen bewusst, dass es sich bei den meisten von ihnen um Wachleute handelt“, setzte er ungeduldig hinzu, als Grace ihn unterbrechen wollte, „aber deswegen sind sie trotzdem vollwertige Menschen, mit denen man Kontakt haben und reden kann.“

Warum überraschte es sie nicht, dass Cesar Navarro genau wusste, wie weit es bis zur nächsten Stadt war? Oder wie viele Leute auf diesem Anwesen für ihn arbeiteten?

Sie verzog das Gesicht. „Zusammen mit den Überwachungskameras geben sie mir das Gefühl, in einem Goldfischglas zu leben.“

„Es gibt nicht überall Kameras, Miss Blake.“ Er runzelte verärgert die Stirn. „In den Toiletten zum Beispiel …“

„Das wäre ja wohl auch total paranoid!“, fiel sie ihm scharf ins Wort. „Und abgesehen davon eine Verletzung der Privatsphäre.“

„Sie halten mich für paranoid, Miss Blake?“ Der stählerne Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

„Ich bin es nicht gewöhnt, dass jede meiner Bewegungen überwacht wird …“

„Auch in diesem Raum gibt es keine Kameras.“

„Es ist der Raum, den ich nicht betreten darf.“

„Wenn ich mich nicht darin aufhalte, richtig.“ Cesar war immer noch verärgert über den Begriff paranoid. „Sonst schlägt der Bewegungsmelder Alarm.“

„Großartig!“ Sie musterte ihn spöttisch. „Was bewahren Sie so Wertvolles in diesem Arbeitszimmer auf, dass ich hier nicht mal Staub wischen darf?“

Cesar holte tief Luft. „Das Büro ist meine Zuflucht. Hierhin ziehe ich mich ...

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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Annie West
<p>Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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