Romana Extra Band 142

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SINNLICHE GEFÜHLE FÜR DEN RIVALEN von SUSAN CLARKS

Unberührte Natur, Heimat der seltenen Korallenmöwe: Mit allen Mitteln kämpft Elaine für den Erhalt der kleinen Insel vor der Küste der Toskana! Wenn ihr Rivale bloß nicht so sexy wäre – die feurigen Blicke des Bauunternehmers Lorenzo Bianchi wecken sinnliche Gefühle in ihr …

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  • Erscheinungstag 20.01.2024
  • Bandnummer 142
  • ISBN / Artikelnummer 0801240142
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Susan Clarks, Justine Lewis, Becky Wicks

ROMANA EXTRA BAND 142

1. KAPITEL

Immer wieder zupfte Elaine die Ärmel ihrer hellblauen Bluse zurecht, schlug nervös die Beine übereinander, nur um sie erneut auszustrecken. Wenn diese Tür zum Gerichtssaal doch endlich aufgehen und die Anhörung beginnen würde! Für Elaine fühlte es sich an, als säße sie schon seit Tagen hier in Livorno am Landesgericht, obwohl es vermutlich erst zehn Minuten waren.

„Es wird alles gut gehen, du wirst schon sehen“, murmelte ihre lebensfrohe Freundin Maria und strich sich unbekümmert die schwarzen Locken aus dem Gesicht.

Elaine nickte, auch wenn sie Marias Optimismus nicht ganz teilen konnte. Dr. Greco, der ihre Umweltschutzgruppe juristisch vertrat, hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass es kein leichter Sieg werden würde. Sofern sie überhaupt siegten. Einzig, dass Dr. Greco reichlich Erfahrung in Umweltstreitigkeiten besaß, machte Elaine Hoffnung. Sie rechnete es ihm hoch an, dass er den Fall ohne langes Zureden übernommen hatte.

„Glauben Sie, wir werden gewinnen?“, wollte sie wissen.

Dr. Greco lächelte nachsichtig. Sein graues Haar war ordentlich nach hinten gekämmt, der dunkelbraune Anzug mit bordeauxroter Krawatte unterstrich den Respekt, den er vor den Räumlichkeiten in diesem Gebäude hatte. „Elaine, Sie kennen die Antwort.“

Elaine seufzte. Ja, sie kannte die Antwort. Er wusste es nicht, aber Geduld war nun mal nicht ihre Stärke. Sie erhob sich von der Bank und begann, auf und ab zu laufen.

Bisher waren Lorenzo Bianchi und seine Anwälte nicht aufgetaucht. Elaine hätte auch gut auf das Zusammentreffen verzichten können, denn Bianchi hatte etwas an sich, das sie jedes Mal aus dem Konzept brachte. Er wirkte immer derart siegessicher, als wären Elaine und ihre Freunde nur lästige Fliegen, die es zu verscheuchen galt. Aber Elaine würde eher tot umfallen, als kampflos aufzugeben. Für dieses Stück Land hatte bereits ihre Mutter gekämpft, und sie würde ihrem Beispiel folgen.

„Was passiert, wenn er nicht kommt? Gewinnen wir dann automatisch?“

Dr. Greco zuckte mit den Schultern. „Unter Umständen, allerdings …“

In diesem Moment wurde die schwere Eingangstür geöffnet, und eine Gruppe von Männern betrat das Gebäude.

Elaines Hoffnung löste sich im Nu auf. „Verdammt“, murmelte sie. Wie oft hatte ihr Bianchi schon einen Strich durch die Rechnung gemacht? Seit sie vor fünf Monaten in Italien eingetroffen war und sich ihren Freunden bei der Umweltschutzgruppe angeschlossen hatte, kam er ihr ständig in die Quere. Gegen alle Anträge, die sie bei Gericht einbrachten, hatte er Einspruch erhoben, hatte allem, was sie unternahmen, etwas entgegenzusetzen. Wieso konnte er sich nicht eine andere Insel suchen, um sein Urlaubsresort zu bauen?

„Bon giorno“, grüßte einer nach dem anderen. Bianchi war mit zwei Anwälten gekommen, also schien er die Angelegenheit immerhin ernst zu nehmen.

Elaine warf ihm einen vernichtenden Blick zu, wandte sich, ohne die Begrüßung zu erwidern, ab und setzte sich neben Dr. Greco. Ihr Anwalt erwiderte die Grüße höflich und forderte Elaine mit einem Nicken auf, es ihm gleichzutun. Widerwillig gehorchte sie. Auch Maria grüßte die Männer.

Bianchi und seine Anwälte nahmen auf der gegenüberliegenden Seite Platz und begannen im Flüsterton ein Gespräch.

Obwohl es Elaine nicht passte, musste sie sich eingestehen, dass Bianchi in seinem taubengrauen Anzug wie ein Model von einem Werbeplakat aussah. Er war groß gewachsen, durchtrainiert. Etwas, das Elaine bei Männern sonst gern mochte. Und weder verunstaltete eine unerwünschte Knitterfalte sein Outfit, noch fiel eine Haarsträhne unvorteilhaft in sein Gesicht. Sein kantiges Profil zeugte von der Willenskraft, mit der er sein Projekt verfolgte. Das braune Haar war im Nacken kurz geschoren, das Deckhaar ordentlich zu einer Seite gelegt. Mehr als einmal hatte sie unwillkürlich den Wunsch verspürt, ihre Finger darin zu vergraben und in seinem Haar zu wühlen. Warum bloß wollte sie das tun? Um ihn der kalten Fassade zu berauben? Ihn weicher und freundlicher aussehen zu lassen? Sie wusste es nicht.

„Noch wäre Zeit für eine gütliche Einigung“, bemerkte Dr. Greco.

Die Anwälte blickten verwirrt auf. „Das ist aus unserer Sicht kaum notwendig“, erwiderte einer von ihnen. Die Arroganz, die in den Worten mitschwang, stieß Elaine sauer auf.

„Es sei denn, Sie wollen auf die Anhörung verzichten und lassen mich endlich in Ruhe das Resort bauen.“ Bianchi verschränkte die Arme vor der Brust und sah Dr. Greco an. Dann schweifte sein Blick zu Elaine und blieb an ihr hängen.

Sein Blick machte sie nervös. Sie spürte die Intensität, mit der er sie musterte, bis tief in die Knochen, und ihre Kehle wurde trocken. Sie schluckte. „Niemals!“, verkündete sie dann laut.

Bianchi lächelte. Und dieses Lächeln ließ ihn dummerweise noch attraktiver aussehen. „Signorina Madison, lassen Sie mich etwas erklären.“

Er sprach sie auf Englisch an, was sie zusätzlich ärgerte, weil sie wusste, dass Dr. Greco und Maria ihm dadurch nur schwer folgen konnten. Zudem mochte sie es nicht, wenn er ihren Namen in den Mund nahm. Es klang so seltsam weich. Das O und N am Ende zog er unnötig in die Länge. Manchmal wirkte es fast, als würde er es genießen, ihren Namen zu sagen.

„Ich bin der italienischen Sprache sehr gut mächtig. Sie müssen nicht Englisch mit mir reden.“

„Es wäre aber besser, Sie würden die italienischen Gesetze kennen, dann könnten wir uns diesen ganzen Zirkus hier sparen“, erwiderte er abermals auf Englisch. Seine Anwälte, die ihn offensichtlich bestens verstanden, lächelten in sich hinein.

„Noch besser wäre es, wenn Sie Ihre Anwälte arbeiten ließen und erst gar nicht persönlich bei Gericht erscheinen würden“, konterte sie erneut auf Italienisch.

„Und mir entgehen lassen, wie Sie mit wehenden Fahnen untergehen? Niemals, Signorina Madison.“ Wieder auf Englisch.

Und wieder mit dem lang gezogenen O und N. Der weiche Klang ihres Namens hallte in ihr nach, berührte etwas, das sie erzittern ließ. Angenehm erzittern. Wären sie nicht bei Gericht und wäre Bianchi nicht der, der er war, hätte dieses Gefühl beinahe etwas Erotisches gehabt. Unwillkürlich musste Elaine erneut schlucken.

„Großer Gott, hören Sie auf, meinen Namen zu sagen“, murmelte sie. Allerdings wohl laut genug, dass die anderen es hörten, denn alle blickten sie verwundert an.

Im selben Moment öffnete sich die Tür zum Gerichtssaal, und ein freundlicher Herr bat die Anwesenden herein. Dr. Greco und Maria stürmten los, Bianchis Anwälte folgten ihnen, sodass sich Elaine mit Lorenzo Bianchi allein vor der Tür wiederfand.

„Nach Ihnen, Signorina Madison.“ Er erhob sich und deutete in den Gerichtssaal.

Elaine war sich sicher, dass er nicht nur mit voller Absicht erneut Englisch sprach, sondern auch aus reiner Boshaftigkeit ein weiteres Mal ihren Namen ausgesprochen hatte. Der Kerl war einfach unmöglich! Schwungvoll stand sie auf, schulterte ihre Handtasche und lächelte ihn zuckersüß an. „Sehr freundlich von Ihnen, Signor Bianchi.“ Mit erhobenem Haupt schritt sie in den Gerichtssaal. Sie hoffte nur, dass nach dem heutigen Tag endlich alles geklärt war.

Lächelnd schaute Lorenzo Elaine hinterher, als sie in den Gerichtssaal stolzierte. Ihr Anblick war auch von hinten eine echte Freude. Eigentlich gab es keinen Grund für ihn, persönlich zu diesem Gerichtstermin zu erscheinen, aber der Wunsch, Elaine Madison noch einmal zu treffen, hatte ihn dazu bewogen, seine Anwälte zu begleiten.

Dabei war es absurd, schließlich kämpften sie auf verschiedenen Seiten um dieselbe Sache, und um nichts auf der Welt würde er von seinem Vorhaben abrücken – auch nicht für eine kesse blonde Engländerin, die ihn in seinen Träumen heimsuchte. Dennoch freute er sich jedes Mal, wenn er sie sah. Wenn sie ihm einen mürrischen Blick zuwarf, sich ärgerte, sobald er nur ihren Namen aussprach … So gern würde er ihn ihr einmal ins Ohr flüstern, aber dazu würde es vermutlich niemals kommen. Daher begnügte er sich mit diesem letzten Treffen, ehe er endlich die Insel kaufen und bebauen konnte.

Langsam betrat er den Gerichtssaal und setzte sich neben seine Anwälte. Elaine starrte eisern an ihm vorbei, was ihn zum Schmunzeln brachte. Ihm würden diese Begegnungen künftig fehlen, aber alles Gute nahm nun mal ein Ende.

Er hatte ohnehin schon viel zu viel Zeit und Geld in die ganze Angelegenheit investiert. Immerhin war es eine glasklare Sache. Er würde ein Grundstück in Form einer kleinen Insel kaufen, um dort ein Resort zu errichten. Nur hatte er nicht mit der kleinen Umweltschutzgruppe gerechnet, die vehement gegen seine Baupläne vorging und es sogar geschafft hatte, gegen ihn vor Gericht zu ziehen.

Als die Anhörung endlich begann und geklärt war, worum es genau ging, lauschte Lorenzo nur halbherzig den Argumenten des gegnerischen Anwaltes. Das Ganze war lächerlich. Die Umweltschützer führten sich auf, als wollte er eine Atommülldeponie auf der Insel hochziehen. Stattdessen plante er lediglich, ein kleines Urlaubsresort zu bauen, wie es in der Gegend viele gab. Gut, vielleicht nicht sehr viele, immerhin gehörte die Insel geografisch zum Arcipelago Toscano und stand in den vergangenen zwanzig Jahre unter dem Naturschutz des Archipels, aber gerade das machte sie so interessant für ihn. Mit Ende des derzeitigen Pachtvertrags endete auch der Schutz, und er konnte auf der Insel machen, was er wollte. Selbst wenn er planen sollte, eine Mülldeponie zu bauen …

Er seufzte laut.

„Haben Sie der Angelegenheit selbst etwas hinzuzufügen?“ Die Richterin musterte ihn eisig durch übergroße Brillengläser. Sie konnte ihn wohl nicht leiden, zumindest entnahm er das der abwehrenden Körperhaltung, die sie eingenommen hatte, seit sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte.

„Gentile Guidice …“

„Dottoressa Valencia bitte“, unterbrach sie ihn prompt.

Auch recht, dachte er. „Ich bin sicher, meine Anwälte haben nachvollziehbar dargelegt, dass das Recht auf meiner Seite ist.“

„Haben sie das?“ Die linke Augenbraue der Richterin wanderte nach oben.

„Die Insel Incolume befindet sich in Privatbesitz. Der damalige Pachtvertrag ist ausgelaufen, somit steht sie nicht mehr unter Naturschutz und der Kauf der Insel ist völlig legitim.“

„Die jungen Leute Ihnen gegenüber machen sich aber weniger Sorgen darum, dass Sie die Insel kaufen wollen, als viel mehr darüber, was Sie darauf alles bauen wollen.“

„Das ist ja dann wohl meine Sache.“ Er hätte in seinem Büro bleiben sollen, das hier wurde immer mühsamer.

„Ach ja?“

„Ja!“

Einer seiner Anwälte räusperte sich und rutschte unruhig auf seinem Platz herum. „Was mein Mandant sagen will …“

„Ich verstehe sehr gut, was Ihr Mandant sagen will“, fauchte ihn die Richterin an. „Er soll ruhig weiterreden.“

Lorenzo holte tief Luft und biss sich auf die Zunge. Er wusste, wann es besser war zu schweigen.

„Il gabbiano corralino kommt nur im Mittelmeerraum vor, speziell im Toskanischen Archipel. Die Möwe ist nicht ohne Grund das Wahrzeichen des Archipels“, mischte sich Dr. Greco wieder ein. „Ihr Bestand schwindet. Aber auf der Insel Incolume, die Signor Bianchi kaufen und bebauen will, gibt es zahlreiche Brutplätze.“

„Es gibt vereinzelte Brutplätze“, erwiderte Lorenzos Anwalt. „Von zahlreich kann nicht die Rede sein.“

Nun sprang Elaine auf. „Aber es werden bald gar keine mehr sein, wenn er …“ Wild fuchtelnd deutete sie auf Lorenzo. „… ein riesiges Urlaubsresort darauf errichtet hat.“

Sosehr Lorenzo Elaines Anblick normalerweise gefiel, in diesem Moment büßte sie in seinen Augen viel von ihrer Schönheit ein. Konnten die verdammten Umweltaktivisten ihn nicht in Ruhe lassen? „Das Hotel nimmt nur einen kleinen Teil der Insel ein“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Es wird noch reichlich Platz für Ihre heilige Möwe bleiben.“

„Ach ja? Und Ihre Gäste werden nicht die Insel erkunden und alles niedertrampeln, einschließlich der Brutplätze?“

„Haben Sie schon überlegt, wie viele Arbeitsplätze der Bau und die Führung des Hotels schaffen werden?“

„Davon hat die Korallenmöwe aber herzlich wenig.“

„Dann nehmen Sie diese gottverdammten Brutnester und bringen Sie sie woandershin.“ Nun erhob sich auch Lorenzo.

„So einfach ist das nicht, und das wissen Sie verdammt gut!“ Rote Flecken breiteten sich auf Elaines Dekolleté aus, und Lorenzo wünschte, er würde es nicht bemerken.

„Alles, was ich weiß, ist, dass ich diese Insel bebauen werde und Sie und Ihre Freunde nichts dagegen tun können.“ Er hätte wirklich besser in seinem Büro bleiben sollen, dann müsste er nun nicht dagegen ankämpfen, auf Elaines Dekolleté zu starren.

„Na ja“, meldete sich die Richterin wieder zu Wort, „da hab ich vielleicht auch noch mitzureden.“

Verdammt. Die Richterin hatte er ganz vergessen.

„Dottoressa Valencia“, versuchte Lorenzos Anwalt die Sache zu übernehmen. „Tatsache ist doch …“

„Tatsache ist“, riss Dr. Greco das Wort an sich, „dass diese Brutplätze allein es wert sind, die Insel unter Naturschutz zu stellen.“

„Sagt wer?“, wollte Lorenzos Anwalt wissen.

„Alle Biologen, mit denen ich gesprochen habe.“

„Und wo sind Ihre Biologen heute?“

Lorenzo lächelte zufrieden. Sein Anwalt hatte es auf den Punkt gebracht. Denn selbst wenn es diese Brutplätze gab, und selbst wenn diese Korallenmöwe schützenswert war, hatten es die Umweltschützer verabsäumt, hierfür rechtzeitig entsprechende Unterlagen vorzulegen.

„Wo bleibt das Gutachten, das Sie seit Wochen versprechen?“, hakte Lorenzos Anwalt weiter nach.

„Es ist in Arbeit!“

„Die Anhörung ist aber heute.“

„Wir brauchen auch nur einen kleinen Aufschub, dann können wir ein namhaftes Gutachten vorlegen.“

„Dieser Gerichtstermin wurde bereits zweimal verschoben. Ein weiterer Aufschub wurde abgelehnt.“

„Bitte, Dottoressa Valencia“, richtete Dr. Greco das Wort direkt an die Richterin. „Wir brauchen nur ein paar Wochen.“

Lorenzo wusste, dass das Gutachten nie fertiggestellt wurde, weil der Gutachter einen schweren Autounfall hatte und seither zur Rehabilitation in einer Klinik weilte. Das war Pech für die Umweltschützer, aber Glück für ihn. Denn ein neues Gutachten brauchte Zeit, Zeit, die ihnen die Richterin niemals gewähren würde. Dafür zog sich das Ganze schon viel zu lange hin.

„Ein weiterer Aufschub ist nicht gerechtfertigt“, erklärte sein Anwalt. „Dr. Greco hatte um einen Anhörungstermin gebeten und hatte genug Zeit, ein Gutachten vorzulegen. Offenbar findet sich nur niemand, der bezeugen will, dass es auf der Insel schützenswerte Brutplätze gibt.“

„Unser Gutachter hatte einen Unfall.“

„Das kann aber nicht zum Nachteil meines Mandanten sein.“

„Was sind schon ein paar Wochen, Dottoressa Valencia?“

„Für meinen Klienten sehr viel. Der Bau des Resorts würde sich unnötig weiter verzögern.“

„Es geht hier aber doch um eine bedrohte Tierart“, mischte sich Elaine wieder ein. „Um das Leben so vieler Tiere.“

Lorenzo sah sie an. „Sie hatten Ihre Chance, Signorina Madison.“

Elaine erwiderte seinen Blick. „Bitte …“, murmelte sie.

Was hatte diese Frau nur an sich, dass sie ihm derart unter die Haut ging? Dass sie nur ein Wort flüsterte und er wäre fast bereit, auf alles zu verzichten? „Es tut mir leid.“ Und er meinte die Worte tatsächlich ernst.

„Aber …“ Elaine sah hilfesuchend zu ihrem Anwalt, dann starrte sie zu der Richterin. „Bitte, Gentile Guidice. Sie können doch nicht zulassen, dass er gewinnt.“

„Ihr bleibt keine andere Wahl“, erklärte Lorenzo, der nur noch von hier wegwollte. Er wollte, dass das alles endete und er endlich wieder sein ruhiges, geordnetes Leben weiterleben konnte. Ohne dieses Spektakel. Und ohne Elaine, die so verzweifelt vor ihm stand.

„Nun seien Sie mal nicht so vorlaut!“ Die Richterin richtete sich auf und beugte sich vor. „Die Entscheidung liegt noch immer bei mir.“

Alle Aufmerksamkeit lag nun bei der Richterin, die einen nach dem anderen musterte.

„Signor Bianchis Anwalt hat recht. Es wurde bereits zweimal Aufschub gewährt für einen Termin, den Sie selbst wollten, Dr. Greco. Eine weitere Verschiebung wäre mehr als ungewöhnlich. Allerdings nicht unmöglich.“

Im Saal rührte sich keiner, auch Lorenzo wagte es kaum, zu atmen.

„Sie sollen Ihren Aufschub von zwei Wochen haben, Dr. Greco.“

Lorenzos Anwalt sprang augenblicklich auf. „Dottoressa Valencia! Das ist unerhört. Diese Entscheidung basiert auf keinerlei Rechtspraxis …“

„Verklagen Sie mich doch“, entgegnete die Richterin ungerührt. „Um der Sache aber Genüge zu tun, werde ich selbst einen Gutachter bestellen, der innerhalb der zwei Wochen das Gutachten erstellt.“ Dann erhob sie sich und verließ ohne ein weiteres Wort den Saal.

Elaine und ihre Freundin fielen einander lachend in die Arme, während Dr. Greco zufrieden Lorenzo zulächelte.

Lorenzo schüttelte den Kopf. „Am Ende wird dieser Aufschub und das Gutachten nichts ändern“, erklärte er Dr. Greco.

Dieser grinste breit. „Das werden wir ja sehen.“

„Jemand sollte die Gutachterin begleiten“, erklärte Michele. Der schlaksige Informatikstudent schob seine Hornbrille hoch und schaute in die Runde. „Jemand, der die Insel gut kennt.“ Sein Blick blieb an Elaine hängen.

Als alle anderen seinem Blick folgten, schrak Elaine auf. „Ich soll sie begleiten?“ Der Gedanke gefiel ihr nicht. Es hing zu viel von dem Gutachten ab. „Luigi ist doch viel geselliger als ich. Er kann sie sicher eher für uns gewinnen.“

„Nein, keinem liegt die Sache so am Herzen wie dir“, erwiderte Michele.

„Und du kennst dich in der Materie auch viel besser aus als ich“, ergänzte Luigi, ein leicht übergewichtiger Wirtschaftsstudent, dem die Haare immer wirr vom Kopf standen, und zuckte mit den Schultern.

Elaine atmete laut aus. Sie griff nach der Colaflasche, die auf dem kleinen Beistelltisch neben der abgewetzten Ledercouch stand, und nahm einen Schluck. In der alten Garage war es unangenehm heiß. Die Sonne heizte das Blech auf, und die kleine Klimaanlage, die Luigi aufgestellt hatte, verschaffte kaum Linderung. Einzig die eisgekühlten Getränke brachten etwas Linderung.

Sie hätten sich für den Sommer wohl einen anderen Treffpunkt suchen sollen, aber die Zusammenkünfte in der Garage von Luigis Eltern in Livorno waren schon Tradition, seit es die Gruppe gab. An der Wand stand eine alte Werkbank mit rostigem Werkzeug, und auf der anderen Seite stapelten sich abgefahrene Autoreifen, die den Namen kaum noch verdienten. In der Mitte hatten sie die Ledercouch aufgestellt, daneben ein paar Plastikklappsessel, und so machten sie es sich hier immer gemütlich, planten und diskutierten ihr weiteres Vorgehen.

Elaine war als Letzte zu der Gruppe hinzugestoßen, obwohl sie deren Aktivitäten bereits seit Jahren übers Internet verfolgte. Ihre Mutter hatte schon vor vielen Jahren in dieser Gegend mit ihren Freunden für die Umwelt gekämpft, und auch wenn die damalige Umweltschutzgruppe nicht mehr existierte, so war deren Geist für viele noch immer spürbar und lebte in dieser aktuellen Gruppe wieder auf.

„Ich habe der Gutachterin auch schon ausrichten lassen, dass wir sie übermorgen gern zur Insel bringen und sie herumführen“, erklärte Maria. „Als Meeresbiologin kannst du ihre Fragen viel besser beantworten als jeder andere.“

Elaine war noch immer nicht glücklich bei dem Gedanken, die Gutachterin zu begleiten, aber vermutlich war sie tatsächlich die Qualifizierteste für etwaige Fragen. Viele in der Runde schlugen sich entweder mit Gelegenheitsjobs durch oder standen gerade erst am Beginn eines Studiums. Elaine war neben Maria die Einzige mit einem Hochschulabschluss – und Maria hatte Kunstgeschichte studiert.

Michele reichte ihr einen Teller mit selbst gebackenen Pizzastangen, und Elaine schnappte sich eine mit viel Rosmarin. Um nicht sofort antworten zu müssen, biss sie herzhaft hinein und begann genüsslich zu kauen. Das war der Vorteil, wenn man mit jungen Studenten abhing. Viele hatten Mütter, die sie mit lauter Leckereien versorgten.

„Meine Bekannte hat mir erzählt, dass Bianchi womöglich ebenfalls vorhat, die Gutachterin zu begleiten“, sagte Bianca, eine mollige vierundzwanzigjährige Botanikstudentin, die praktischerweise eine gute Bekannte hatte, die bei Bianchis Anwälten arbeitete. So kamen sie öfter an Informationen, die eigentlich gar nicht für sie bestimmt waren.

„Was?“ Entsetzt starrte Elaine sie an.

„Ja, offenbar kennt er sie von irgendwoher.“

„Dann musst du auf jeden Fall mit!“, rief Michele.

„Ja, wer weiß, was der Typ im Schilde führt“, brachte Luigi es auf den Punkt.

Genau das war auch Elaines Gedanke. Was führte Bianchi im Schilde? Sie traute dem Kerl nicht. Der glaubte womöglich, er konnte mit seinem Charme und seinem Aussehen die Gutachterin um den kleinen Finger wickeln und das Gutachten zu seinen Gunsten beeinflussen. „Können wir das nicht irgendwie verhindern?“, fragte sie in die Runde und zupfte ungeduldig am T-Shirt, das ihr am Körper klebte.

Alle zuckten ratlos mit den Schultern. „Vielleicht kann Dr. Greco uns etwas dazu sagen“, murmelte Maria.

„Selbst wenn, dafür haben wir doch gar nicht genug Zeit.“ Michele stand auf, nahm sich ein Peroni-Bier aus der Kühlbox und reichte ein weiteres an Luigi weiter. „Elaine, du musst mit rausfahren und den Kerl im Auge behalten.“

„Ja“, sagte Luigi, „wir brauchen dieses Gutachten, sonst verlieren wir. Und der Typ steht voll auf dich, Elaine.“

Elaine blinzelte verwirrt. „Wie bitte?“

„Der verschlingt dich doch jedes Mal mit seinen Blicken“, bestätigte Michele und grinste breit hinter seiner Bierflasche.

„Das ist doch Blödsinn“, erwiderte Elaine.

„Da ist schon was dran“, mischte sich nun Maria ein.

„Der Kerl kann mich nicht ausstehen.“

„Das denkst du vielleicht.“ Luigi lachte, aber als er dafür einen bösen Blick von Elaine erntete, versteckte auch er sich hinter seiner Bierflasche.

„Du musst die beiden auf jeden Fall begleiten“, erklärte Michele. „Wir können es uns nicht leisten zu verlieren, und du bist nun mal unser bestes Pferd im Stall.“

Dagegen konnte Elaine wenig einwenden. Sollte Lorenzo die Gutachterin tatsächlich begleiten, war es definitiv unumgänglich, dass einer von ihnen dies ebenfalls tat.

Ihre Mutter Clarissa hatte vor über zwanzig Jahren denselben Kampf geführt. Bereits damals sollte die Insel verkauft und bebaut werden, aber die Umweltschützer erreichten, dass die Insel an den Staat verpachtet und damit unter Naturschutz gestellt wurde. Es war der größte Sieg ihrer Mutter, und Elaine würde alles dafür tun, dass dieser Triumph nicht zunichtegemacht wurde.

Als Kind hatte sie Clarissa oft zu Treffen wie diesem hier begleitet. Sie saß dann irgendwo in der Ecke, malte oder las, während ihre Mutter und die anderen Aktivisten alle möglichen Aktionen organisierten und planten. Sie hatte Clarissa dabei beobachtet, wie sie leidenschaftlich ihre Standpunkte vertrat und ihre Freunde mit ihrem Enthusiasmus ansteckte, und war so stolz auf ihre Mutter gewesen, weil sie wusste, dass die für das Gute kämpfte. Auf der Heimfahrt hatte Clarissa ihr dann oft erklärt, wofür sie sich gerade einsetzten und warum das so wichtig war. Welche schlimmen Folgen eine Niederlage haben würde. Schon damals war Elaine klar gewesen, dass sie eines Tages wie ihre Mutter für den Umweltschutz eintreten wollte. Deshalb war sie heute hier. Und deshalb durfte sie Bianchi keinesfalls gewinnen lassen.

„Also gut“, sagte sie schließlich. Sie stellte ihre Colaflasche ab und klopfte sich auf die Oberschenkel. „Ich mache es. Ich begleite diese Gutachterin.“

Lautes Jubelgeschrei hallte durch die Garage, und alle prosteten einander mit ihren jeweiligen Getränken zu. „Bravo!“, ertönte es unisono in der Runde.

„Und wenn sie meine Begleitung nicht will?“, fragte Elaine.

„Dann sorge jedenfalls dafür, dass dieser Bianchi sie auch nicht begleitet“, erwiderte Luigi.

„Und wie soll ich das anstellen?“ Elaine hatte nicht den Eindruck, dass sich Bianchi so leicht von etwas abbringen ließ.

„Also, mir fiele da schon die eine oder andere Möglichkeit ein.“ Michele lachte anzüglich und der Rest der Gruppe stimmte ein.

Elaine streckte ihm zur Antwort die Zunge heraus. Mit Bianchi zu flirten oder anzubandeln war mit Sicherheit das Letzte, was sie tun würde.

„Dann sehen wir uns morgen auf der Insel, Giada. Ich freue mich.“ Lächelnd legte Lorenzo sein Handy beiseite.

Da hatte die Richterin ausgerechnet Giada Lombardi als Gutachterin bestellt. Hätte sie gewusst, dass Giada und er alte Bekannte waren, hätte sie sicher jemand anderen gewählt. Aber so war das für ihn ein echter Glücksfall, denn Giada konnte er sicher etwas bezirzen und von seiner Sache überzeugen. Dann hätte dieses leidige Thema um die Korallenmöwe endlich ein Ende.

Der Bau des Urlaubsresorts wäre sein bisher größter Erfolg. Seit er vor zehn Jahren sein eigenes Unternehmen, bestehend aus sich und einer Menge Ideen, gegründet hatte, konnte er stetig expandieren. Seine Jugend hatte er auf dem Bau verbracht, die Schule besuchte er nebenher, um die Erwachsenen ruhig zu stellen. Denn alles, was er wissen musste, hatte er auf der Baustelle gelernt. Dabei hatte alles damit begonnen, dass er mit zwölf nach einer Möglichkeit gesucht hatte, etwas Geld zu verdienen, um sich die angesagtesten Nike-Turnschuhe kaufen zu können.

Zunächst war er nur ein einfacher Hilfsarbeiter gewesen, aber rasch hatte er sich als eines der wertvollsten Mitglieder des Bautrupps entpuppt. Er war derjenige, der die anderen motivieren konnte, der darauf achtete, dass die Qualität der Arbeit stimmte, der die Pläne richtig lesen konnte und unentbehrliche Kontakte besaß. Er hatte schnell begriffen, dass man am Bau mit Geld allein nicht immer vorankam. Wenn die Arbeiter unzufrieden waren, litt die Qualität. Wenn die Lage des Grundstücks uninteressant war, verkauften sich die Projekte nicht. Und wenn man sich selbst nicht mit den notwendigen Materialien auskannte, bezahlte man meist viel zu viel für minderwertiges Zeug. Und wie sich bald herausstellte, besaß Lorenzo nicht nur das richtige Händchen für die Menschen am Bau, ihre Arbeit und das richtige Material. Sondern auch einen untrüglichen Riecher für die perfekte Immobilienlage.

Genau deswegen wollte er das Resort auf dieser Insel bauen. Sämtliche Zusatzkosten, die der Rechtsstreit und der Zeitaufwand um den Bau verursachten, würde er mit dem Verkauf locker wieder erwirtschaften. Was interessierte ihn da diese Korallenmöwe? Was kümmerten ihn diese Brutplätze? Die Welt würde eben mit ein paar Möwen weniger auskommen müssen.

Er gab es vor anderen nicht gern zu, aber die Brutplätze existierten wirklich. Er hatte die Insel danachabgesucht undauch einige davon gefunden. Letztlich hatte dies nichts an seinen Plänen geändert. Er hatte ein Ziel vor Augen, das es zu verfolgen galt. Er wollte sich keine Schwäche leisten, denn nichts war ihm verhasster als das.

Mit zwölf war er schon so groß gewesen, dass er damals locker für sechzehn durchging und ohne Papiere am Bau angestellt wurde. Nach ein paar Monaten hatte er so viele Muskeln aufgebaut, dass keiner je wieder wegen seines Alters nachfragte. Von da an war er finanziell unabhängig, und seine Mutter konnte den Nachtjob an der Tankstelle kündigen. Mit vierzehn hatte er einen stolzen Betrag auf die Seite gelegt und ihn gut in seinem Kopfpolster verwahrt. Dass ihn schließlich sein eigener Vater beklauen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Aber es war ihm eine Lehre gewesen. Der Alkohol hatte seinen Vater schwach gemacht, ihm die Möglichkeit genommen, seine Träume zu verwirklichen.

Lorenzo würde das nicht passieren. Das hatte er sich geschworen. Er hatte den Traum, der größte Bauunternehmer Italiens zu werden. Und er war auf dem besten Weg dorthin. Keine Möwe dieser Welt konnte ihn daran hindern. Auch keine Umweltschützer, und schon gar nicht eine süße blonde Engländerin …

Verdammt. Warum spukte ständig Elaine Madison in seinem Kopf herum? Sie hatte dort nichts verloren!

„Lorenzo?“ Seine Sekretärin hatte leise an der offen stehenden Bürotür geklopft und sah ihn erwartungsvoll an.

„Ja?“ Loretta war vor zwei Jahren zu einem Bewerbungsgespräch erschienen für einen Job, für den sie null Qualifikationen mitbrachte. Aber ihr Ehrgeiz hatte ihm gefallen, daher stellte er sie ein – was sie ihm seither jeden Tag mit ausgesprochen guter Arbeit dankte. Zudem war sie seine loyalste Mitarbeiterin. Das Beste an ihr war jedoch ihre Homosexualität, denn so kam er trotz ihrer körperlichen Vorzüge nie in Versuchung, sie zu einem Date einzuladen.

„Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich den Chauffeur für morgen bestellt habe. Er wird dich rechtzeitig zu deiner Jacht bringen.“

„Danke.“

„Und hier habe ich endlich die Unterlagen, die du wolltest.“ Sie trat ein und legte eine Akte vor ihm auf den Schreibtisch.

Er öffnete die Mappe und starrte auf das erste Blatt. In der Ecke klebte ein Foto von Elaine Madison.

„Ich habe alle Mitglieder der Umweltschutzgruppe durchleuchtet und das Wichtigste zusammengefasst. Wenn du noch etwas brauchst, lass es mich einfach wissen.“

Lorenzo nickte. Seine Kehle war plötzlich staubtrocken. „Danke“, murmelte er, „ich seh es mir gleich an.“

Loretta machte kehrt und ging aus dem Raum. Die Absätze ihrer Schuhe klapperten auf dem edlen Parkettboden, aber Lorenzo hatte diesmal keinen Blick für ihre endlos langen Beine übrig, die in einem roten Minirock steckten.

Noch immer konnte er sich nicht von Elaines Foto losreißen. Was hatte sie bloß an sich, dass sie ihn so in den Bann zog? Warum berührte sie ihn derart?

Er überflog Elaines Eckdaten, aber da stand nichts Neues. Er hatte bereits gewusst, dass sie die ersten zwölf Jahre ihres Lebens in der Toskana verbracht hatte und nach dem Tod ihrer Mutter mit ihrem Vater nach England gezogen war. Auch ihre schulische Laufbahn enthielt nichts Neues. Worauf hatte er gehofft? Dass plötzlich ein Ehemann auftauchte, von dem er noch nichts wusste? Oder dass sie ebenfalls lesbisch war?

Seufzend schloss er die Akte. Darin würde wohl nichts stehen, was ihn von der Faszination für diese Frau befreite. Sein Handy läutete, und dankbar für die Ablenkung nahm er den Anruf entgegen.

„Marcella! Was für eine Überraschung.“ Marcella war ein Model, mit dem er sich ab und zu traf. Allerdings hatten sie sich in den vergangenen Wochen kaum gesehen, zu sehr war er mit der Arbeit beschäftigt gewesen. „Was verschafft mir die Ehre?“

„Ich bin für zwei Tage in Florenz und wollte fragen, ob du heute zufällig Zeit hast.“

Eigentlich sollte er sich auf den morgigen Ausflug mit Giada vorbereiten. Er durfte es keinesfalls verpatzen. Allerdings konnte er sich kaum konzentrieren, solange Elaines Foto vor ihm lag.

„Ja, habe ich. Sollen wir gemeinsam essen gehen?“

„Klingt gut. Holst du mich in meinem Hotel ab?“

Wenig später waren alle Details geklärt und er ließ Loretta einen Tisch reservieren.

Erleichtert atmete er auf. Marcella würde ihn mit Sicherheit von seinen trüben Gedanken ablenken können.

Dann würde auch endlich Elaine aus seinem Kopf verschwinden.

2. KAPITEL

Bewundernd beobachtete Elaine, wie ihre Freundin Maria das kleine Motorboot mühelos durchs azurblaue Wasser steuerte. Es war noch früh am Morgen, und der Fahrtwind blies Elaine einzelne Haarsträhnen aus ihrem Pferdeschwanz, dennoch spürte sie bereits die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrer Haut.

Sie näherten sich der Insel Incolume, und Elaine konnte schon die raue Schönheit der unberührten Wildnis erkennen. Alte Pinienbäume und Felsen säumten die Küste. Eine Steigung in der Mitte der Insel fiel zu den Küsten hin ab. Vereinzelt gab es stille Buchten mit Sandstränden, an denen sich das Wasser in sanften Wellen brach.

Maria manövrierte sie schließlich an vorspringenden, spitzen Felsen vorbei in eine seichte Bucht. Hier war es fast windstill, und Elaine sog den frischen Duft der salzigen Meeresbrise tief ein. Nahe dem Land stoppte Maria den Motor, sprang vom Boot, eilte zum nächstgelegenen Pinienbaum und sicherte das Boot, indem sie ein Seil um dessen Stamm wickelte. Dann half sie Elaine und Giada Lombardi aus dem Boot.

Die Gutachterin war eine angenehme Frau Ende dreißig, mit der sich Elaine auf Anhieb verstand. Sie hatte den kurzfristigen Auftrag wohl nur aus Gefälligkeit der Richterin gegenüber angenommen, und arbeitete ansonsten am Instituto di Biologia Ed Ecologia Marina in Piombino. Auch sie setzte sich für den Umweltschutz ein und war an der Arterhaltung der Korallenmöwe mehr als interessiert. Elaine und ihre Gruppe hätten selbst keine bessere Gutachterin finden können.

„In welche Richtung müssen wir denn, wenn wir Lorenzo treffen wollen?“, fragte Giada.

Das war der einzige Schwachpunkt an der Sache, Giada kannte Bianchi über gemeinsame Bekannte. Und hielt ihn, soweit Elaine herausgehört hatte, für einen ehrenwerten Menschen. Ehrenwert! Elaine konnte bei dem Gedanken nur den Kopf schütteln. Lorenzo Bianchi war für Elaine vieles, aber sicher nicht ehrenwert.

„Richtung Osten“, antwortete Elaine und deutete nach rechts.

Sie hatten beim Heranfahren schon von Weitem Lorenzos Jacht gesehen, die weiter östlich in einem gewissen Abstand zur Insel vor Anker lag. Offenbar hatte auch er Giada angeboten, sie zur Insel zu bringen, nur war die Umweltschutzgruppe schneller gewesen. Das Boot hatten sie sich problemlos von Marias Eltern ausleihen können, die einen größeren Bootsverleih betrieben und sich immer freuten, wenn sie ihre Tochter unterstützen konnten. Dass Elaine den Tag mit Bianchi verbringen musste, gefiel ihr zwar noch immer nicht, aber zumindest hatte sie Maria überreden können, sie zu begleiten.

Gemeinsam marschierten sie schweigend auf großen flachen Steinen die Küste entlang. Eine sanfte Brise und das Wellenrauschen begleiteten sie. Viele der Steine waren trocken und gut zu begehen, andere jedoch feucht und glitschig, weswegen sie nur zögerlich vorankamen. Das Landesinnere mieden sie wegen der reichlichen Macchiesträucher mit ihren Dornen und Stacheln lieber. Gegen die zunehmende Sonneneinstrahlung trug Elaine inzwischen einen Sonnenhut und versteckte ihre Beine in einer langen Leinenhose.

Schließlich gelangten sie an die Stelle, an der Bianchi mit seinem kleinen Beiboot an Land gegangen war. Er hatte es sich auf einem Felsen im Schatten gemütlich gemacht und winkte ihnen zu. Als sie sich ihm näherten, erhob er sich und kam ihnen entgegen. Selbst in der kakifarbenen Dreiviertelhose und dem schwarzen T-Shirt sah er einfach umwerfend aus. Unter dem T-Shirt konnte Elaine sogar ein perfektes Sixpack erahnen. Hatte dieser Kerl denn gar keinen Makel außer seinem Charakter?

Nachdem sich alle begrüßt hatten und geklärt war, wie der Tagesablauf in etwa aussehen würde, machten sie sich gemeinsam auf, um die ersten Brutplätze zu besichtigen. Elaine marschierte mit Maria entlang eines Trampelpfades durch das Dickicht voraus, denn sie kannte den Weg von früheren Expeditionen. Wenige Meter hinter ihnen folgten Lorenzo und Giada. Elaine konnte nicht verstehen, was sie redeten, hörte Giada aber immer wieder lachen, weshalb Maria ihr einen besorgten Blick zuwarf.

„Du musst die beiden trennen“, raunte ihre Freundin. „Sonst hat der Kerl sie noch vor der Mittagsrast um seinen kleinen Finger gewickelt.“

Elaine atmete laut aus. Maria hatte schließlich recht. Sie musste dafür sorgen, dass Lorenzo nicht ständig allein mit Giada marschierte. Aber wie sollte sie das anstellen?

„Signor Bianchi“, sie wandte sich zu ihm um. „Könnten Sie mir hier vorne etwas zu Hilfe kommen?“

Überrascht blieb er stehen und schaute sie fragend an.

Elaine deutete auf die dicht verwachsenen Macchiesträucher. Der kleine Trampelpfad führte in die andere Richtung und eigentlich wäre das der bequemere Weg gewesen, doch Elaine war bereit ihre Leinenhose von den spitzen Ästen ruinieren zu lassen, wenn sie dadurch Bianchi und Giada trennte.

„Sind Sie sicher, dass wir hier lang müssen?“ Bianchi musterte erst das Unterholz, dann Elaine mit eindeutiger Skepsis.

„Natürlich. Ich war vor nicht allzu langer Zeit hier. Diese Sträucher wachsen einfach sehr schnell.“ Sie schenkte ihm das herzlichste Lächeln, das sie sich abringen konnte. „Wären Sie also so lieb und würden mir helfen?“

Schließlich setzte er sich in Bewegung und schob sich an Maria vorbei, die Elaine strahlend zuzwinkerte und sich zu Giada gesellte. Elaine folgte Bianchi, der das Gestrüpp für sie beiseiteschob.

„Mir kommt es vor, als würden wir uns von der Küste entfernen. Liegen die Brutplätze nicht an der Küste?“

„Das ist eine Abkürzung“, erwiderte sie rasch. „Der andere Weg wäre bei der Hitze kaum zumutbar für Giada gewesen.“

Er hielt kurz inne und sah sie an, arbeitete sich dann aber ohne ein weiteres Wort voran.

„Jetzt etwas nach links … hier geradeaus … nun wieder mehr nach links …“ Sie gab ihm ständig Richtungsanweisungen, in der Hoffnung, dass sie am Ende wieder auf dem ursprünglichen Pfad landen würden. Zwar kamen sie nur mühsam voran, aber die angrenzenden Pinien und Olivenbäume spendeten zumindest mehr Schatten, als sie am eigentlichen Weg gehabt hätten. Maria unterhielt sich derweil mit Giada und lenkte sie davon ab, was vor ihnen geschah. Elaine war sich ziemlich sicher, dass Bianchi ihre List durchschaut hatte, aber er ließ das Ganze ohne Gegenargumente über sich ergehen.

Nach etwa zwanzig Minuten des Martyriums, und nachdem Bianchi den einen oder anderen Kratzer abgekriegt hatte, erreichten sie wieder den Originalweg, hinter dessen nächster Biegung die Brutplätze lagen. Bianchi hielt die letzten Äste beiseite und wartete, bis Maria und Giada an ihm vorbeigegangen waren.

Als auch Elaine aus dem Gestrüpp hervortreten wollte, lächelte er ihr zu. „Sieht so aus, als hätten wir diese Abkürzung erfolgreich geschafft.“ Abrupt ließ er die Äste los und trat auf den Weg hinaus.

Der zurückschnellende Ast des Macchiestrauchs traf sie an der Hüfte und eines der Bundbänder ihrer Hose verhedderte sich in den Zweigen. Nur mühsam konnte sie sich daraus befreien.

„Oh, das tut mir leid“, sagte er, während er ihr mit einem breiten Grinsen dabei zusah, wie sie sich freikämpfte. „Ich dachte, Sie wären schon aus dem Gebüsch heraus.“

„Kein Problem“, erwiderte sie zähneknirschend, „ich wusste ja schon, dass Sie kein Gefühl für die Natur haben. Ansonsten wären wir ja nicht hier.“

„Trösten Sie sich, bei Ihrem nächsten Besuch hier auf der Insel wird von diesem Gestrüpp nichts mehr übrig sein. Stattdessen können Sie auf einem gepflegten Wanderweg spazieren gehen, ohne sich dabei im Dickicht zu verlaufen.“

Sie trat näher an ihn heran und blickte aus zusammengekniffenen Augen zu ihm hoch. „Dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wir werden alles tun, um genau das zu verhindern.“

Er beugte sich ein Stück nach vorn, sodass sich beinahe ihre Nasen trafen. Sein Atem streifte ihre Wange.

Sie erzitterte und musste unwillkürlich schlucken. Verdammt, ihr war noch nie aufgefallen, wie blau seine Augen waren.

„Am Ende werden Sie und Ihre Freunde verlieren“, flüsterte er ihr auf Englisch zu. „All Ihr Bemühen und Ihr Einsatz werden umsonst gewesen sein, Signorina Madison.“

Sie hörte ihn, aber seine Worte drangen kaum bis zu ihrem Verstand vor. Einzig ihr Name hallte durch ihren Kopf. Signorina Madison.

„Elaine! Elaine, kommst du?“ Marias Worte rissen sie aus ihrer Trance. Sie trat einen Schritt zurück, um von Lorenzo abzurücken, schaffte es aber kaum, ihren Blick von ihm loszureißen.

Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden, stattdessen schienen seine Augen sie wie hypnotisch festzuhalten.

„Elaine!“ Abermals rief Maria nach ihr.

„Ich komme“, erwiderte sie, schüttelte kurz den Kopf, befreite sich von dem Blau seiner Augen und marschierte los.

Lorenzo blickte Elaine hinterher. Anfangs hatte er nicht gewusst, was er davon halten sollte, dass auch sie heute Giada begleitete. Sollte er sich darüber freuen? Oder doch ärgern? Am Ende hatte er sich wider besseres Wissen darüber gefreut. Auf eine verquere Art zog sie ihn magisch an.

Es waren nicht nur ihr hübsches Gesicht mit der geraden Nase und ihre sportliche Figur mit Rundungen an den richtigen Stellen, die ihn ansprachen. Es waren vor allem Elaines Intelligenz, ihre wachen Augen, die ihn stets skeptisch musterten. Dass sie mit ihrer hellen Haut und den langen blonden Haaren genau in sein Beuteschema passte, tat sein Übriges. Gäbe es diesen Disput um die Insel nicht, er hätte sie längst zu einem Abendessen eingeladen. Das Dumme war, dass diese Gefühle umso stärker wurden, je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, weswegen sie diesen Tag am besten schnellstmöglich hinter sich brachten.

Langsam folgte er der Gruppe zu den ersten Brutplätzen. Elaine erklärte Giada alles, was die ihrer Meinung nach wissen musste. Sie erzählte ihr etwas über die Populationsgrößen, Nist- und Paarungsgewohnheiten. Berichtete, dass die Korallenmöwe schon fast ausgestorben gewesen war und sich der Bestand nur mühsam erholte. Wie wichtig die Möwe für die Gegend war und welchen symbolischen Charakter sie besaß.

Er hörte nur halbherzig zu, all diese Fakten kannte er längst. Schließlich hatte er seine Hausaufgaben gemacht. Deshalb wusste er auch, dass alles stimmte, was Elaine der Gutachterin erzählte. Nichtsdestotrotz war die Anzahl der Brutplätze nicht so enorm, wie Elaine das gerne hätte. Auch war der Bestand der Korallenmöwe in den letzten Jahren wieder deutlich gestiegen, weshalb sie nicht mehr als bedrohte Art galt. Darum würde Giada gewiss zu dem Schluss gelangen, dass die paar Brutplätze keinen Unterschied machten und er die Insel bebauen konnte.

Als Elaine davon anfing, wie sehr der Baulärm und die Touristen die Korallenmöwe in ihrem Dasein stören würden, mischte auch er sich in das Gespräch ein. Er erklärte Giada seine Pläne. Dass er nicht diese Seite der Insel bebauen wollte, sondern die gegenüberliegende. Dass er nur ein paar vereinzelte Wanderwege plante und durchaus gewillt war, einen abgesonderten Bereich für die Brutplätze zu belassen. Giada nahm alle Informationen schweigend auf und schlenderte schließlich gemeinsam mit Maria um die Brutplätze herum. Sie machte Fotos, kritzelte ab und an etwas in ihren mitgebrachten Notizblock, gab aber nicht zu erkennen, was sie über die ganze Angelegenheit tatsächlich dachte.

„Einen abgetrennten Bereich für die Möwen?“ Elaine stand mit verschränkten Armen unmittelbar vor ihm. „Ist Ihnen das gerade eben eingefallen?“

„Ich hatte schon länger darüber nachgedacht“, log er, denn in Wahrheit war ihm der Gedanke erst jetzt gekommen. Aber wenn es der Sache dienlich war, wäre er durchaus dazu bereit.

„Und das soll ich Ihnen glauben?“

Er grinste breit. „Ich glaube Ihnen ja auch, dass ich meine Kratzer einer Abkürzung verdanke und nicht einer List, um mich von Giada fernzuhalten.“

Das Aufblitzen in ihren Augen verriet ihm, dass er sie ertappt hatte. Aber sie hatte sich schnell wieder im Griff und zuckte lediglich mit den Schultern. „Sie hätten ja in Ihrem Büro bleiben können.“

„Und mir diesen Spaß hier entgehen lassen?“

„Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie sich besonders amüsieren.“

„Der Eindruck täuscht.“ Denn er unterhielt sich tatsächlich gern mit ihr. Sie machte aus ihrer Abneigung keinen Hehl, was es ihm wiederum leichter machte, seine Sympathie zu verstecken.

„Ein abgetrennter Bereich nützt der Korallenmöwe gar nichts. Am Ende wird es hier keine Brutplätze mehr geben.“

„Hören Sie, Signorina Madison“, erwiderte er auf Englisch. Sie atmete scharf ein, was ihm erneut bewies, dass es sie wahnsinnig machte, wenn er ihren Namen aussprach. „Ich bin ein Geschäftsmann. Ein paar Vögel werden mich nicht dazu bringen, diesen Standort aufzugeben.“ Und letztlich würde es auch Elaine nicht können.

„Es geht ja nicht nur um die Korallenmöwe. Auch die ganze Fauna und die Unterwasserwelt an den Riffs gehen zugrunde, wenn Sie die Touristen hierherholen. Sie werden alles niedertrampeln, alles zerstören, was Incolume so besonders macht.“

„Übertreiben Sie nicht ein bisschen?“ Allmählich war er diese Diskussion leid. Ob sich andere Bauunternehmer auch mit diesen Themen auseinandersetzen mussten?

Sie schenkte ihm einen genervten Blick, dann griff sie plötzlich nach seiner Hand und zog ihn mit sich.

Die Berührung kam so überraschend, dass er ihr fast reflexhaft die Hand entzogen hätte. Als er die Berührung jedoch bewusst wahrnahm, ihre Hand in der seinen sah, den sanften Druck spürte, die Wärme, die von ihr ausging, lächelte er und ließ sich widerstandslos mitführen.

Am Wasser blieb sie stehen und deutete in die Umgebung. „Hier, sehen Sie sich das an“, sagte sie laut. „Schauen Sie hin und sagen Sie mir, dass das alles so bleiben wird, wenn Sie erst mal mit Ihren Bauarbeiten begonnen haben.“

Noch immer deutete sie in die Natur, aber alles, was er ansah, war sie. Sie war so schön, wenn sie wütend und entschlossen vor ihm stand. Durch die Sonne hatten sich ein paar kleine Lachfältchen um ihre Augen gebildet, am Haaransatz zeigte sich eine hauchdünne feine Narbe, und ihren Nasenrücken zierten zahlreiche Sommersprossen. Einzig ihr verbissen aussehender Mund störte das Bild, weswegen er ihr am liebsten die Strenge von den Lippen geküsst hätte.

„Sie sehen ja gar nicht hin!“, stellte sie ungehalten fest. „Ist Ihnen das tatsächlich alles so egal?“

Er seufzte. „Nein, aber ich kenne das alles. Ich habe genug Erkundungstouren durchgeführt, um zu wissen, wie es auf der Insel aussieht.“

„Und das alles lässt sie kalt?“

„Im Moment ist mir eher ziemlich heiß.“ Aus vielerlei Gründen … „Und meine Interessen liegen nun einmal woanders.“

„Ist Geld das Einzige, was Sie interessiert?“

Diese Frage stellten immer nur Leute, die zeit ihres Lebens genug Geld auf ihrem Bankkonto gehabt hatten. Die niemals erfahren hatten, was es hieß, nicht mal genug Geld zu besitzen, um sich vernünftige Kleidung oder Essen kaufen zu können. Und er war es leid, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass er nie wieder so arm sein wollte. Er schob seine Hände in die Hosentaschen und trat zurück. „Ich bin Ihnen über meine Motive keine Rechenschaft schuldig. Also lassen Sie uns zu den anderen gehen und diesen Tag hinter uns bringen.“

Dann wandte er sich ab und stapfte davon. Er spürte ihren fragenden Blick in seinem Rücken, aber das war ihm egal. Für ein reiches Mädchen aus England mochte es leicht sein, sich für so hehre Ziele wie den Umweltschutz einzusetzen, wenn man sonst gerade nichts zu tun hatte. Aber für ihn stand mehr auf dem Spiel. Seine Baufirma war sein Lebenswerk. Das, was er aus eigener Kraft aufgebaut hatte, und das, was ihn aus der Gosse herausgeholt hatte.

Nie im Leben würde er sich dafür entschuldigen. Niemals klein beigeben.

Die Sonne näherte sich im Westen immer weiter dem inzwischen wolkenverhangenen Horizont, und bald wäre sie völlig dahinter verschwunden. Obwohl Elaine das Gefühl hatte, dass der Tag ganz gut für die Umweltschützer lief, war sie doch froh, dass der Ausflug sich seinem Ende näherte. Abgesehen von zwei längeren Pausen hatten sie den schützenswerten Bereich der Insel den ganzen Tag zu Fuß erkundet. Nun war Elaine schlicht müde. Sie freute sich auf ihre kleine Wohnung in Livorno, wo sie es sich vor dem Fernseher gemütlich machen und ihre Beine hochlegen konnte.

Giada nahm ihre Arbeit ernst. Sie hatte alle Informationen aufgesogen, die Elaine ihr geben konnte. Sie hatte reichlich Bilder gemacht, viele Notizen und auch Bianchi gut zugehört, als er von seinem Bauprojekt sprach. Wenigstens hatte es Elaine geschafft, dass die beiden kaum mehr private Worte wechseln konnten. Ständig hatte sie Giada etwas Neues oder Informatives vorgeführt oder zu erzählen gehabt, hatte Lorenzo ein weiteres Mal als Wegbereiter durch ein Dickicht gescheucht und ihn, wenn es gar nicht anders ging, selbst in ein Gespräch verwickelt, um ihn von Giada abzulenken.

Im Gegensatz zu ihr wirkte er jedoch kein bisschen müde. Noch immer strotzte er vor Kraft und versprühte seinen Charme. Und auch wenn Elaine es nicht gern zugab, musste sie doch einräumen, dass er ihr gegenüber stets höflich geblieben war, obwohl sie das vermutlich nicht immer verdient hatte. Ihre List, ihn unter fadenscheinigen Vorwänden durchs Gebüsch zu jagen, hatte er lediglich mit einem wissenden Lächeln quittiert, ihre Angriffe gegen sein Vorhaben und seine Person meist unkommentiert gelassen. Trotzdem ärgerte sie sich über ihn. Es wäre ihr fast lieber gewesen, er wäre ein übler Kotzbrocken, der keine Manieren besaß. Dieser höflichen und freundlichen Fassade hatte sie kaum etwas entgegenzusetzen.

„Wir sollten für heute wohl Schluss machen“, erklärte Giada an die Gruppe gewandt.

Maria nickte. „Ja, wir sollten uns langsam wieder auf den Rückweg machen, sonst wird es zu dunkel für die Bootsfahrt.“

„Ist es möglich, dass morgen wieder jemand mit mir hinausfährt?“, fragte Giada.

Überrascht schaute Elaine zu Maria. Davon, dass sie einen weiteren Tag die Insel erkunden wollte, war nie die Rede gewesen.

„Ich kann dich gern morgen noch mal begleiten“, antwortete Bianchi sofort. „Aber hast du heute nicht schon genug gesehen?“

Genau die Frage hätte Elaine Giada auch gern gestellt. Eigentlich hatte sie doch alles Wesentliche erkundet, was es zu besichtigen gab.

„Ich würde mir gern noch die Gegend genauer ansehen, wo du dein Hotelresort errichten willst. Damit ich einen besseren Eindruck von dem Ausmaß und den Auswirkungen bekomme.“

Erneut warf Elaine Maria einen fragenden Blick zu. Was hatte das zu bedeuten? Sicher, heute hatten sie sich in erster Linie auf die Natur und auf die Brutplätze der Korallenmöwe konzentriert und weniger darauf, was und wo genau Bianchi bauen wollte. Das Resort sollte auf der anderen Seite der Insel entstehen, aber die Auswirkungen würden bis zu den Brutplätzen spürbar sein.

„Reichen dir die Pläne dafür nicht?“

„Für ein abschließendes Gutachten würde ich es mir gerne noch vor Ort ansehen.“

„Okay“, erwiderte Bianchi scheinbar ungerührt, „dann zeige ich dir das morgen alles.“

„Und wir kommen natürlich auch mit“, sagte Elaine sofort. „Maria bringt uns drei sicher wieder gern mit dem Motorboot zur Insel.“

„Ja klar, natürlich“, erwiderte Maria pflichtbewusst.

„Das ist doch nicht nötig“, wandte Bianchi ein. „Ich kann Giada morgen gern mitnehmen, dann …“

„Nein, wir nehmen sie mit“, entgegnete Elaine prompt. Keinesfalls würde sie Bianchi allein mit Giada auf dieser Insel lassen. Wer weiß, was der Kerl ihr dann alles erzählte. „Wenn es um die Auswirkungen des Baus geht, sollte Giada auch meine Meinung und Ansichten hören.“

Bianchi lachte kurz auf. „Natürlich sollte sie das.“

„Da der Liegeplatz des Motorboots direkt neben meinem Hotel liegt, wäre es für mich tatsächlich praktischer, wenn ich morgen wieder mit Maria und Elaine fahre.“

Elaine konnte sich ein breites Grinsen in Richtung Lorenzo nicht verkneifen.

„Wie es für dich angenehmer ist“, erwiderte der freundlich. „Dann gibt es für mich eigentlich keinen Grund, zurück zum Festland zu fahren. Ich werde die Nacht auf der Jacht verbringen und warten, bis ihr morgen wiederkommt.“

Elaine kniff die Augen zusammen. Bianchi wollte auf der Jacht übernachten? Warum? Auch Maria wirkte misstrauisch. Sie stellte sich dicht neben Elaine. „Der führt doch was im Schilde“, flüsterte sie ihr zu.

„Sie können auch gern mit uns zurückfahren“, schlug Elaine vor.

„Danke, aber das ist nicht nötig. Ich habe auf der Jacht alles, was ich brauche.“

„Aber ist es nicht angenehmer, im eigenen Bett zu schlafen?“

Bianchi lächelte. „Ich übernachte öfter auf der Jacht, das ist kein Problem.“

„Hier draußen sind Sie aber ganz allein.“

„Das Handy funktioniert zur Not.“

Elaine starrte ihn an, weil sie nicht mehr wusste, was sie sagen sollte. Es gefiel ihr nicht, dass er hierbleiben wollte. In der Nähe des geplanten Baus gab es zwar kaum Brutplätze, aber vielleicht wollte er noch schnell die wenigen, die dort waren, heimlich verschwinden lassen. Womöglich wartete er nur darauf, dass Giada, Maria und sie endlich von der Insel fort waren, und er würde dorthin fahren und alles so zurechtlegen, wie er es für die Besichtigung brauchte.

Maria schien dieselben Gedanken zu hegen, denn sie sah mindestens so entsetzt aus, wie Elaine sich fühlte.

„Ich wünsche euch eine angenehme Rückfahrt“, erklärte Bianchi. Dann wandte er sich an Giada. „Ich freue mich schon auf morgen.“

Sie machten noch eine Uhrzeit und einen Treffpunkt aus und drückten sich gegenseitig zum Abschied einen Kuss auf die Wange.

Hilflos beobachtete Elaine das Geschehen. Unfähig, etwas dagegen tun zu können, folgte sie Giada zum Motorboot.

Maria schloss hastig zu ihr auf. „Du kannst nicht zulassen, dass er hier allein bleibt.“

„Was soll ich denn dagegen tun?“

„Keine Ahnung. Flöß ihm ein Schlafmittel ein.“

Für den Kommentar strafte Elaine ihre Freundin mit einem genervten Blick. Schweigend gingen sie hinter Giada her, während Elaines Hirn nach einer Lösung suchte. Sie blickte sich um und sah, wie Bianchi noch an derselben Stelle stand, zufrieden vor sich hin lächelte und auch noch die Frechheit besaß, ihr zu winken.

Als Giada in das kleine Motorboot kletterte, raunte Maria Elaine zu: „Ich hab ein Zelt und einen Schlafsack an Bord.“

Verwirrt schüttelte Elaine den Kopf. „Ja und?“

„Du kannst hier übernachten und ihn im Auge behalten.“

„Ich werde sicher nicht allein mit ihm hierbleiben.“

„Er übernachtet ohnehin auf der Jacht. Du musst nur dafür sorgen, dass er auch dort bleibt.“

„Und wenn er sich heimlich an Land schleicht? Soll ich ihn dann fesseln und knebeln?“

„Mach Beweisfotos. Irgendwas in der Art.“

Elaine atmete laut aus. Dann schaute sie erneut in Bianchis Richtung. Noch immer stand er an derselben Stelle. Noch immer grinste er. Es war ihm zuzutrauen, dass er etwas ausheckte. Dass er spätabends noch mal an Land ging, um die paar Brutnester, die in unmittelbarer Nähe seines Bauvorhabens lagen, zu entfernen. Wenn sie ihn dabei auf frischer Tat ertappte, würden das Gutachten und die Entscheidung des Gerichts sicher zu ihren Gunsten ausfallen. So etwas würde die Richterin niemals durchgehen lassen.

„Ist irgendetwas?“, wollte Giada wissen, die allein im Motorboot saß.

„Ich überlege nur, ob ich nicht auch hier draußen übernachten soll. Wir haben für den Fall ein Zelt und einen Schlafsack dabei.“ Elaine wäre es zwar lieber gewesen, Maria würde ebenfalls bleiben, aber die musste Giada zurück an Land und das Boot zu ihren Eltern bringen. „Ich nehme nicht an, dass Sie auch hierbleiben wollen.“

„Nein, nein“, wehrte Giada sofort ab. „Ich mag zwar die Natur, aber ich schlafe dann doch lieber in einem warmen, weichen Bett.“

Maria bedachte Elaine mit einem strahlenden Lächeln. „Du hast ja schon lange davon geredet, mal wieder zu zelten. Das ist sicher eine super Gelegenheit.“

Elaine hatte tatsächlich mal wieder unter freiem Himmel schlafen wollen, allerdings hätte sie sich dafür gern eine andere Gesellschaft als Bianchi ausgesucht. Wobei sie mit etwas Glück nicht allzu viel von ihm mitkriegen würde. Solange er auf seiner Jacht blieb, hätte sie ihre Ruhe. Und wenn er doch an Land käme, würde er um sie einen Bogen machen. Zumindest würde er das versuchen …

Maria sprang ins Motorboot, kramte unter dem Verdeck einen Rucksack hervor und reichte ihn Elaine. „Hier ist das Zelt.“ Dann langte sie noch mal unter das Verdeck. „Und das ist der Schlafsack.“

„Danke“, murmelte Elaine, der das alles nun etwas zu schnell ging. Hatte sie überhaupt noch genug Proviant?

Als hätte Maria ihre Gedanken gelesen, reichte sie ihr auch noch ihren eigenen Rucksack. „Nimm meine Wasserflasche und mein restliches Essen. Damit solltest du bis morgen locker auskommen.“

Elaine tat wie ihr geheißen. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als Maria dabei zuzusehen, wie sie das Boot wieder zu Wasser ließ, und ihr zum Abschied zu winken.

Wie war sie nur in diese Situation geraten?

3. KAPITEL

Lorenzo sah dem davonfahrenden Boot hinterher, dann schlenderte er zu Elaine. Wieso war sie hiergeblieben?

Unmittelbar neben ihr blieb er stehen. „Ist alles in Ordnung?“, wollte er wissen.

„Ja, ich habe nur beschlossen, die Nacht hier draußen unter freiem Himmel zu verbringen.“

„Warum?“ Lorenzo konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Elaine Madison sah keinesfalls danach aus, als würde sie sich auf diese Nacht im Freien freuen. Und er konnte sich auch gut denken, was ihr Beweggrund war, hierzubleiben. Sie misstraute ihm. Dabei war das völlig absurd. Was sollte er schon anstellen? Glaubte sie ernsthaft, er würde wie ein Verbrecher herumschleichen und Brutnester von irgendwelchen Vögeln zerstören? Na gut, an Tagen, an denen er sich über die Umweltschützer mehr als geärgert hatte, hatte er mit diesem Gedanken gespielt, aber ihn stets wieder verworfen. Er war kein Krimineller, selbst wenn Elaine und ihre Freunde das glauben wollten.

„Sommernächte in der Toskana sind die schönsten“, erklärte sie und hob einen Rucksack hoch.

Sein Blick glitt zum Horizont, wo sich immer mehr Wolken auftürmten. Es war gut möglich, dass es noch zu regnen begann. „Wenn Sie meinen.“ Es konnte ihm schließlich egal sein, wenn sie sich eine Erkältung und einen steifen Rücken einfing.

Mit viel Balance hievte Elaine sämtliche Tragetaschen auf ihre Schultern und marschierte los.

„Lassen Sie mich helfen.“ Er griff nach dem größten und wohl schwersten Rucksack und zog ihn von ihrer Schulter. Ohne auf ihren Einwand zu reagieren, schnappte er ihn sich und lud ihn auf seinen Rücken. „Haben Sie sich schon überlegt, wo Sie Ihr Nachtlager aufschlagen wollen?“

„Genau da, wo Sie heute mit Ihrem Beiboot an Land gegangen sind.“

„Wenn Sie mich unbedingt im Auge behalten wollen, können Sie auch gern bei mir auf der Jacht übernachten.“

Elaine warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Lorenzo lachte. Er war froh, dass sie in der Nähe der Jacht bleiben wollte, so konnte er ihr zumindest zu Hilfe kommen, falls sie Probleme bekam. Ein bisschen fühlte er sich für diese Aktion verantwortlich. Wäre er nicht auf die Idee gekommen, auf der Jacht zu übernachten, wäre Elaine sicher auch niemals hiergeblieben.

Dabei war sein Entschluss völlig spontan und ohne Hintergedanken gefallen. Er schlief gern auf der Jacht. Die Stille des Meeres und die sanften Wellen wirkten stets beruhigend auf sein aufgewühltes Gemüt. Zudem hatte er alles bei sich, um auch etwas Büroarbeit erledigen zu können. Doch Elaines mürrische Haltung ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihm das nicht abnehmen würde.

Schweigend gingen sie zurück zu dem Strand, vor dem seine Jacht ankerte. Schließlich ließ Elaine sämtliche Sachen fallen und wandte sich ihm zu. „Danke“, sagte sie, „aber von nun an komme ich gut allein zurecht.“

„Sind Sie sicher?“ Er wollte nicht gehen. Aus irgendeinem Grund wollte er noch bleiben.

„Ja, absolut. Das ist nicht das erste Zelt, das ich aufbaue.“

Er legte den schweren Rucksack, den er getragen hatte, zu ihren anderen Sachen und schob die Hände in die Hosentaschen. „Es ist gut möglich, dass ein kurzes Gewitter über die Insel hinwegzieht.“ Er deutete gen Westen, wo die aufkommenden Wolken immer dunkler wurden.

„Dann sollte ich mich wohl mit dem Aufbau des Zeltes beeilen.“

Er lächelte. „Ob Sie es glauben oder nicht, es wäre auch nicht das erste Zelt, das ich aufbaue.“

Elaine verschränkte demonstrativ die Arme. „Wie gesagt, ich komme gut alleine zurecht.“

„Na gut“, erwiderte er, „dann überlass ich Sie Ihrem Schicksal.“ Er wartete kurz, ob sie ihn vielleicht doch bat zu helfen, aber da sie schwieg, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu gehen. Er schlenderte zu dem kleinen Beiboot, das bereits den ganzen Tag auf seine Rückkehr gewartet hatte, schob es ins Wasser, sprang hinein und tuckerte zu seiner Jacht. Zum Glück gehörte zur Standardausrüstung der Jacht ein gutes Fernglas, so würde er sie zumindest bei ihrem Treiben beobachten können.

Auf der Jacht eingetroffen, ging er erst mal in die Kombüse und warf den Herd an. Er schnitt zwei Panini auseinander, briet sie mit etwas Olivenöl an und belegte sie mit Tomaten und Mozzarella. Danach setzte er sich mit den Panini und einem Glas Rotwein an Deck, neben sich das Fernglas. Der Himmel war inzwischen bedeckt von dunkeln Wolken, auch der Wind hatte um einiges zugelegt, und von einem lauen Sommerabend konnte kaum mehr die Rede sein. Dennoch blieb er im Freien sitzen und riskiert...

Autor

Susan Clarks
<p>Neben ihrem großen Vorhaben, die Welt zu retten, träumte Susan Clarks schon früh davon, einen Roman zu verfassen. Prompt verschob sie die Weltrettung auf später und widmete sich stattdessen ausgiebig dem kreativen Schreiben. Bisher hat sie mehrere Romane veröffentlicht, darunter die Serie „Restless“.</p>
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