Spiel mir das Lied der Leidenschaft

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Als Stargeiger Anthony Larsen von einer aufdringlichen Verehrerin belästigt wird, gibt sich die junge Musikerin Chloe spontan als seine Freundin aus. Natürlich nur, um seinen Ruf zu retten, damit sein wichtigster Sponsor nicht abspringt! Ein Fehler? Bereits die sinnlichen Blicke aus Anthonys haselnussbraunen Augen bringen Chloes Körper wie eine Saite zum Klingen. Und der erste vorgespielte Kuss für die Paparazzi entfacht heißes, unzähmbares Verlangen in ihr …


  • Erscheinungstag 21.11.2023
  • Bandnummer 2316
  • ISBN / Artikelnummer 0803232316
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Inzwischen hatte Chloe Han mitbekommen, wie töricht es sein konnte, Geheimnisse zu haben – besonders vor der eigenen Familie …

Da waren beispielsweise ihre älteste Schwester Angie und der ihr inzwischen angetraute Joshua Shin. Angie hatte verheimlicht, dass Joshua ein erfolgreicher Komponist war und sie beide ein Liebespaar, bis die Wahrheit ans Licht gekommen war und eine große Welle geschlagen hatte. Ihre zweitälteste Schwester Megan hingegen hatte nicht nur die Identität ihres One-Night-Stands Daniel Pak – der auch Vater ihres Kindes war – verschwiegen, sondern auch, dass sie danach eine Affäre gehabt hatten. Bis die Wahrheit ans Licht kam und eine große Welle geschlagen hatte.

Obwohl ihre Schwestern letztendlich ihre große Liebe gefunden hatten, war der Weg dorthin gepflastert mit unzähligen Geheimnissen, die sich beharrlich dagegen wehrten, geheim zu bleiben. Glücklicherweise war Chloe im Vergleich zu Angie und Megan wie ein offenes Buch. Sie war die Verlässliche ihrer Familie und beabsichtigte nicht, daran etwas zu ändern. Nie würde sie etwas tun, das Staub aufwirbelte. Ganz davon abgesehen gab es auch nichts in ihrem Leben, das hätte geheim gehalten werden müssen. Leise seufzte sie.

„Was ist denn?“, fragte Angie und sah sie stirnrunzelnd an.

„Nichts.“ Chloe strich ein nicht vorhandenes Staubkorn von ihrer Jeans. „Warum fragst du?“

„Weil du mit diesem Seufzer gerade wie I-Aah von Winnie Pooh klingst, deswegen.“

„Ich habe nicht geseufzt, sondern nur tief ausgeatmet“, widersprach Chloe. „Wo steckt eigentlich Megan? Und warum macht sie so ein Geheimnis daraus, wer sie im Hana Trio vertreten wird?“

Wieder seufzte sie. Megan hatte sogar noch ein weiteres Geheimnis, Himmel noch mal! Chloe stellte fest, dass der Schlafmangel sich nicht gerade positiv auf ihre Stimmung auswirkte. Und die Tatsache, dass ihr Erzfeind SerialFiddler sie letzte Nacht beim Online-Computerspiel League of Legends hatte alt aussehen lassen, trug auch nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu verbessern. Sie war stinksauer und widerstand nur knapp der Versuchung, dem Notenständer vor ihr einen Tritt zu versetzen.

„Sie sagt, es ist eine Überraschung und kein Geheimnis“, erinnerte sie Angie. „Außerdem macht Megan nur einen Vorschlag. Die Entscheidung, wer während Megans Mutterschutzzeit in unserem Trio die Violine spielt, liegt ganz bei uns. Wir müssen schließlich mit dieser Person zusammen spielen.“

Chloes Wut verrauchte ein wenig bei dem Gedanken an ihren Neffen, der demnächst das Licht der Welt erblickte. In weniger als zwei Monaten würde sie Tante sein, und sie beabsichtigte, das Kind nach Strich und Faden zu verwöhnen. Sie bezweifelte nicht, dass Angie dasselbe vorhatte.

„Seid ihr bereit für die Überraschung eures Lebens?“

Chloe und Angie zuckten zusammen, als Megan unvermittelt den Probenraum betrat, den die Schwestern im hiesigen Community College angemietet hatten.

Megans Grinsen wurde schwächer, als hinter ihr eine männliche Stimme erklang, woraus sich unschwer herleiten ließ, dass die Vertretung ein Mann sein sollte.

„Peinlich?“, fragte Megan schmollend. „Wieso soll das peinlich sein? Ich bereite sie nur auf deinen großartigen Auftritt vor.“

Das Murmeln wurde lauter, und neugierig spitzte Chloe die Ohren. Ihr gefiel der samtige Klang der Stimme des unbekannten Mannes.

„Quatsch“, entgegnete ihre Schwester. „Natürlich willst du einen großen Auftritt. Warte einfach nur eine Sekunde hier.“

„Megan, Süße“, mischte Angie sich ein. „Bitte hör auf, den armen Menschen in Verlegenheit zu bringen und lass ihn eintreten. Wir versprechen, dass wir uns auch angemessen beeindruckt zeigen, okay?“

„Also wirklich, Unni“, sagte Chloe ungeduldig und verwendete die koreanische Anrede für ihre ältere Schwester. „Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum du so einen Wirbel machst. Wer könnte schon …“

Sie verstummte, als die Tür weit geöffnet wurde und Anthony Larsen den Raum betrat. Chloe sprang auf und sah sich hektisch um. Sie suchte nach einem Fluchtweg. Und warum? Weil einer der talentiertesten und attraktivsten Geigenspieler der Gegenwart, der zufälligerweise auch ihr Jugendschwarm war, vor ihnen stand. Das war einfach zu viel für sie.

„Wow. Anthony Larsen.“ Entspannt stand Angie auf und sprach mit aufreizend ruhiger Stimme weiter. „Jetzt verstehe ich, weshalb Megan so einen Zirkus wegen Ihres Auftritts veranstaltet hat. Ich bin Angie. Es ist mir eine große Freude, Sie kennenzulernen.“

Anthony lächelte, und Chloe entfuhr ein leises Quietschen. Fragend sah er sie kurz an, bevor er sich wieder Angie zuwandte. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“

Wie versteinert blieb Chloe stehen, und Megan legte zufrieden lächelnd einen Arm um ihre Schulter. „Chloe, warum sagst du Anthony nicht Hallo?“

Gott stehe ihr bei. Am liebsten hätte Chloe ihre Schwester umgebracht – mit bloßen Händen. Wenn sie sich nur hätte bewegen können. Oder atmen.

Anthony warf ihr einen leicht zweifelnden Blick zu, doch er klang freundlich, als er sagte: „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Chloe. Megan hat mir eine Menge über Sie erzählt.“

„Ich bin Chloe“, stieß sie hervor.

Sie hörte, wie Megan neben ihr leise lachte, und die Wut, die sie daraufhin empfand, brach den Bann der Schockstarre, in der sie sich gerade befunden hatte. Verärgert sah sie ihre Schwester an, bevor sie Anthony Larsen in die Augen sah – nebenbei bemerkt waren das die schönsten haselnussbraunen Augen, die sie je gesehen hatte. Jetzt hör endlich auf damit, Chloe, ermahnte sie sich im Stillen.

„Ich wollte sagen … Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen, Anthony.“ Sie war stolz darauf, wie gefasst ihre Stimme klang. „Meine Schwester hat nicht übertrieben mit ihrer Behauptung, sie hätte eine Überraschung für uns.“

Jetzt war Anthony an der Reihe, verlegen zu wirken, was ein abwegiger Gedanke war, denn er musste mindestens zehn Jahre älter sein als Chloe. Trotzdem klang er erstaunlich schüchtern. „Ich wünschte, sie hätte das nicht getan“, sagte er. „Ich bin doch keine Berühmtheit. Ganz im Gegenteil – ich bin sogar ziemlich aufgeregt, weil ich endlich den Rest des Hana Trios treffe.“

„Ist er nicht süß?“, fragte Megan unbarmherzig und grinste, als Anthony sich räusperte.

„Megan, hör endlich auf, ihn in Verlegenheit zu bringen“, ermahnte sie Angie.

„Och, du Spaßbremse.“ Immer noch zufrieden lächelnd ging Megan zu ihrem Stuhl und setzte sich. „Okay, Anthony. Bist du bereit fürs Vorspielen?“

„Nicht so sehr, wie ich es gern wäre“, gestand er und rieb sich den Nacken. „Megan hat gesagt, dass ihr Mozarts Divertimento in Es-Dur in eurem Repertoire habt. Wollen wir etwas aus diesem Stück spielen?“

„Eine gute Wahl.“ Chloe setzte sich und nahm ihre Bratsche. Mit dem Instrument in den Händen fühlte sie sich gleich viel selbstsicherer in Gegenwart des berühmten Musikers. „Wie wäre es mit dem zweiten Satz?“

„Das Adagio?“ Angie zog die Augenbrauen hoch und stellte das Cello zwischen ihre mit Jeans bekleideten Beine. „Ich fürchte, wir machen es Anthony nicht gerade leicht.“

„Natürlich nicht“, entgegnete Megan und sah triumphierend zu dem weltberühmten Geiger. „Wir wollen ihn doch nicht beleidigen, oder?“

„Auf gar keinen Fall.“ Selbstbewusst lächelnd sah Chloe zu Anthony. „Dann zeigen Sie mal, was Sie können, Larsen.“

Sein Blick verdunkelte sich, als er auf ihren Lippen verweilte, und Chloe spürte, wie ihre gerade wiedergekehrte Courage sich wieder zu verflüchtigen begann. Ehe sie sich versah, setzte er sich neben sie und grinste. „Na, dann mal los.“

Er setzte die Violine ans Kinn an und atmete tief durch. Nachdem er Angie und Chloe in die Augen gesehen hatte, nickte er, als er die erste Note zu spielen begann. Für jeden anderen hätte es so geklungen, als würden sie gleichzeitig beginnen, doch den Schwestern entging nicht, dass Anthony einen winzigen Moment eher eingesetzt hatte. In den Klängen schwang etwas Zögerliches mit, und Anthonys zusammengepresste Lippen verrieten, dass es ihm auch aufgefallen war.

Gemeinsam spielten sie, bis die Musik ein letztes Mal anschwoll, um dann in melancholischen Wellen zu verebben. Anthony hielt den Kopf gesenkt und schien völlig in die Musik vertieft. Trotzdem war Chloe beeindruckt, wie sehr er mit ihr und Angie harmonierte. Er kam ihr gar nicht wie ein Solist vor, für den sie nur die Begleitung waren. Die letzten Noten spielten sie im Einklang und senkten ihre Instrumente.

„Ein ganz brauchbares erstes Mal“, meinte Angie lächelnd.

„Ziemlich vielversprechend“, ergänzte Chloe.

Es fiel ihr schwer zu verbergen, wie wundervoll sie Anthonys Spiel fand. Er verlieh seiner Musik so viel Kraft und Leidenschaft, dass es Chloe ein wenig atemlos machte. Obwohl sie nicht so einträchtig und anmutig performten, wie es das Hana Trio üblicherweise tat, schufen sie in dieser vorübergehenden Konstellation einen völlig neuen Aspekt von Dynamik und Aufregung.

„Können wir es noch einmal spielen?“, fragte Anthony. „Eigentlich kann ich das besser.“

„Deswegen üben wir ja.“ Megan stand lachend auf. „Können Sie bitte einen Moment draußen warten, Mr. Larsen? Dann können meine Schwestern und ich beratschlagen. Möglicherweise beschließen Angie und Chloe, mit Ihnen heute gleich eine vollständige Probe zu absolvieren. Damit können Sie Ihren inneren Perfektionisten vielleicht eine Weile beruhigen.“

„Du liebe Güte, ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal so aufgeregt gewesen bin.“ Anthony lachte kopfschüttelnd. „Aber seien Sie bitte nachsichtig mit mir, Ladys.“

„Natürlich“, versicherte Chloe. Am liebsten hätte sie ihm geradewegs zugesagt, dass er den Job hatte, um seine Aufregung zu dämpfen – doch ihre Schwestern hatten auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Zwei Herzschläge lang sah er sie an, bevor er nickte und den Probenraum verließ. Chloe war sicher, dass sie sich diese Blicke nur einbildete. Dabei war es nichts Neues für sie, dass Männer ihr hinterhersahen, auch wenn sie nicht ganz so schön war wie ihre Schwestern. Doch sie hatte eine besondere Ausstrahlung, die immer wieder männliche Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass ausgerechnet Anthony Larsen sie attraktiv fand.

„Blablabla“, meinte Megan augenrollend und zuckte mit den Schultern, als Angie sie stirnrunzelnd ansah, als hätte sie den Verstand verloren. „Zumindest müssen wir so tun, als würden wir sein Vorspielen besprechen müssen. Mal ganz realistisch. Was gibt es hier schon zu diskutieren? Er ist dabei.“

„Aber du bist nicht diejenige, die mit ihm spielt“, entgegnete Angie. „Was meinst du, Chloe?“

„Sollte so ein Superstar nicht ein bisschen mehr von sich selbst eingenommen sein?“ Chloe verschränkte die Arme, immer noch unfähig zu glauben, dass Anthony tatsächlich so bodenständig war, wie es den Anschein hatte. „Ich hatte schon erwartet, dass er das Stück an sich reißt und ein Solo daraus macht, bei dem wir ihn nur begleiten. Aber das hat er nicht getan. Nicht einmal.“

„Das klingt ja beinahe so, als seiest du enttäuscht deswegen“, bemerkte Megan skeptisch.

„Natürlich bin ich nicht enttäuscht“, erwiderte Chloe.

Um ehrlich zu sein, wäre ihr wohler dabei gewesen, wenn Anthony sich als arroganter Mistkerl entpuppt hätte. Auf keinen Fall wollte sie wieder damit beginnen, ihn anzuhimmeln. Da sie zusammen arbeiten würden, wäre das äußerst unpassend. Wäre Anthony allerdings weniger anziehend, würde Chloe gar nicht erst in Versuchung geführt werden.

„Er ist zweifellos außerordentlich talentiert“, bemerkte Angie, „aber noch mehr beeindruckt mich seine Entschlossenheit, im Team zu arbeiten. Uns bleibt noch ein Monat, bis Megan in den Mutterschutz geht. Das sollte Anthony und uns genügend Zeit verschaffen, uns miteinander vertraut zu machen.“

„Seht ihr? Er ist dabei“, versetzte Megan schadenfroh, während sie sich wegen ihres fortgeschrittenen Babybauchs etwas schwerfällig erhob. „Chloe, kannst du ihn holen, damit wir ihm die guten Neuigkeiten mitteilen können?“

„Warum ich?“

„Weil du die Jüngste bist und tun musst, was wir dir sagen“, erklärte Megan. „Außerdem muss ich erst einmal wieder zu Atem kommen. Ich habe einfach nicht die Kraft, von diesem Stuhl aufzustehen und durch den Raum zu gehen.“

Beharrlich nicht auf das Schmetterlingsgefühl in ihrem Magen achtend, beeilte Chloe sich, zur Tür zu gehen und sie zu öffnen, bevor sie der Mut wieder verließ. Sie trat in den Flur hinaus und wäre beinahe mit Anthony kollidiert. Gerade noch rechtzeitig konnte sie stoppen, schrie jedoch leise auf.

„Shit“, stieß Anthony hervor. „Es tut mir wirklich leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Allerdings machte er keine Anstalten, einen Schritt zurückzutreten, während er Chloes Gesicht betrachtete. Er schien verwirrt und gleichzeitig fasziniert zu sein.

Als Chloe tief Luft holte, spürte sie, wie sich die Luft zwischen ihnen elektrisch aufzuladen schien. „Ich … ich habe mich so sehr beeilt, weil wir gute Nachrichten haben“, sagte sie ein bisschen lauter als beabsichtigt. „Bitte kommen Sie rein.“

Sie ging zur Seite, damit Anthony vorbeigehen konnte. Doch als er ihr dabei so nahekam, dass kaum noch Abstand zwischen ihnen herrschte, begann jede Faser ihres Körpers auf seine Nähe zu reagieren und wie eine Saite zu klingen. Einen Moment lang schwankte sie, gewann jedoch die Balance wieder und sah verwirrt in Anthonys Gesicht. Sein Blick war dunkel vor Verlangen und strahlte eine Leidenschaft aus, die Chloe zu verbrennen drohte. Hastig wich sie vor ihm zurück und rannte förmlich zu ihren Schwestern. Sie hoffte, in deren Gegenwart ihre Beherrschung wiederzuerlangen, bevor sie sich womöglich plötzlich auf Anthony stürzte.

2. KAPITEL

Innerhalb eines Wimpernschlags war Chloe aus seinem Sichtfeld verschwunden. Als sie bei ihren Schwestern angelangt war, sah sie ihn an und wirkte durcheinander. Also war er nicht der Einzige von ihnen beiden, der gespürt hatte, was eben zwischen ihnen vorgefallen war – was immer es auch gewesen sein mochte. Doch jetzt musste er sich zusammenreißen, denn drei Augenpaare blickten ihm erwartungsvoll entgegen.

So cool wie möglich schloss er die Tür hinter sich und schlenderte den drei Schwestern äußerlich gelassen entgegen. In einem respektvollen Abstand zu ihnen blieb er stehen, steckte die Hände in die Hosentaschen und gab sein Bestes, um nicht unentwegt Chloe anzustarren.

„Willkommen im Hana Trio, Anthony“, sagte Angie lächelnd.

„Wirklich?“ Erleichtert lachte er. „Ich werde alles tun, um dieser Ehre gerecht zu werden.“

„Ich kann noch nicht einmal mit den Augen rollen, weil ich weiß, dass er es genauso meint“, stieß Megan theatralisch seufzend hervor.

„Dann kann ich es noch einmal mit dem Adagio versuchen?“, fragte er und sah nur flüchtig zu Chloe. Er benahm sich, als sähe er zum ersten Mal eine schöne Frau. „Ich würde gern meinen Vortrag von eben wiedergutmachen.“

„Wie wollen Sie etwas Ausgezeichnetes noch verbessern?“, fragte Chloe scherzhaft lächelnd, und Anthony spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.

„Warum hören Sie nicht erst einmal zu, wie wir drei es spielen?“, schlug Angie vor. „Dann bekommen Sie ein besseres Gefühl für unsere Art, dieses Stück zu interpretieren.“

„Das ist eine ausgezeichnete, systematische Vorgehensweise.“ Chloe nickte bekräftigend. „So sollten wir bei den anderen Stücken auch vorgehen. Erst spielt Megan und dann Anthony. Auf diese Weise kommt auch Megan nicht aus der Übung – und Anthony gewöhnt sich an unsere Art der Interpretation.“

„Sie werden noch feststellen, dass unsere kleine Schwester ganz versessen auf systematisches Vorgehen ist“, erläuterte Megan mit einem liebevollen Lachen.

„Ja, das stimmt“, fügte Chloe verträumt hinzu. „Es geht nichts über ein wenig Systematik.“

„Ach, wirklich?“ Anthony war nicht ganz sicher, worüber sie überhaupt sprachen. Eigentlich war es ihm auch gleichgültig, solange er dabei Chloes sanfte, samtige Stimme hören konnte.

„Ja.“ Begeistert nickte sie. „Dadurch wird alles, was man sich nur denken kann, besser und effizienter.“

Unwillkürlich musste er lächeln. „Das klingt ziemlich … produktiv.“

„Es ist längst nicht so langweilig, wie Sie es klingen lassen.“ Missbilligend sah sie ihn an. „Glauben Sie mir, Sie werden mir noch dankbar sein.“

„Also gut.“ Angie klatschte in die Hände. „Dann spielen wir jetzt mal ein bisschen Musik, einverstanden?“

Es war eine faszinierende Erfahrung zu erleben, wie die drei Schwestern musikalisch miteinander harmonierten. Sicher, sie spielten bereits ihr ganzes Leben miteinander. Trotzdem war Anthony nicht klar, wie sie es schafften, mit drei Instrumenten einen so perfekten musikalischen Einklang zu erschaffen. Begeistert applaudierte er, nachdem sie ihre Darbietung beendet hatten.

„Das wird ein hartes Stück Arbeit für mich“, sagte er.

„Dann geben Sie alles. Schließlich sind Sie der beste Violinist unserer Zeit“, erinnerte Megan ihn und stand auf. „Und keine Sorge – auf meine Schwestern können Sie sich verlassen.“

Angie nickte. „Ja, es ist alles nur eine Frage, wie wir uns gegenseitig vertrauen lernen.“

„Wir passen auf Sie auf“, setzte Chloe scheinbar unbeschwert hinzu, aber etwas in ihrem Tonfall brachte sein Herz zum Klingen. Ernst nickte er ihr zu.

Harte Arbeit – das war etwas, mit dem er vertraut war. Die meisten Menschen dachten, dass irgendein magisches Gen ihm zum Erfolg verholfen hatte, aber Talent war nur eine kleine Voraussetzung für eine musikalische Karriere dieser Größenordnung. Der überwiegende Teil bestand aus harter Arbeit – Stunden um Stunden, in denen er übte. Solange er ein Teil des Hana Trios sein würde, würde er alles geben, um die drei Schwestern nicht zu enttäuschen.

Er setzte sich auf Megans Stuhl und setzte die Violine an. Diese vertraute Bewegung erfüllte ihn mit einem beruhigenden Gefühl von Sicherheit und erdete ihn mehr als alle anderen Dinge in seinem Leben. Er atmete tief durch, senkte den Bogen auf die Saiten – und dieses Mal begannen sie alle gleichzeitig zu spielen. Angie und Chloe waren tatsächlich jeden Moment des Stückes bei ihm, stützten ihn, wenn er stolperte, und forderten ihn auf, wenn er zögerte.

Chloe spielte nicht nur ausgezeichnet, der Klang ihrer Viola fühlte sich für Anthony wie eine warme Hand an, die seine umschloss und durch das Musikstück führte. Auch während er sich ganz der Musik hingab, konnte er nicht verhindern, dass er sie immer wieder ansehen musste. Es war eine überwältigende Erfahrung, als Teil eines Trios zu spielen – völlig anders, als seine Darbietung als Solist. Nachdem die letzten Töne des Stückes verklungen waren, senkten sie ihre Instrumente.

„Verdammte Scheiße“, bemerkte Megan leise. „Muss ich mir Sorgen machen, dass Anthony mich dauerhaft vertreten soll?“

Er lachte. „Es war schon besser, aber noch längst nicht das, was ich mir vorstelle. Es wird immer noch eine lange Reise für mich.“

„Aber wir sind da“, sagte Angie. „Und da Anthony jetzt Teil des Hana Trios ist, können wir uns ja auch alle duzen, meint ihr nicht?“

Alle waren damit einverstanden, und Chloe klatschte in die Hände. „Okay, lasst uns das nächste Stück spielen. Jetzt bist du wieder dran, Megan. Kommt, Leute.“

„Stimmt ja.“ Grinsend stand Anthony auf. „Systematik.“

„Richtig erkannt, Larsen“, erwiderte sie mit einem gutmütigen Lachen. „Du lernst schnell.“

Anthony war enttäuscht, als die dreistündige Probe beendet war. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er sich zum letzten Mal so gut gefühlt hatte.

„Darf ich euch Ladys vielleicht zum Lunch einladen?“, fragte er und verstaute seine Violine.

„Sehr gerne“, erwiderte Chloe. „Ich bin am Verhungern.“

„So geht es mir in letzter Zeit ständig“, meinte Megan. „Aber heute kann ich nicht. Ich treffe mich gleich mit Daniel zu einer Vorsorgeuntersuchung.“

„Und ich bin schon mit Joshua und seinem Großvater verabredet“, erklärte Angie bedauernd. „Darf ich ein anderes Mal auf das Angebot zurückkommen?“

„Selbstverständlich.“ Anthony wandte sich an Chloe, die neben ihm stand und gedankenverloren auf ihre Unterlippe biss. Es kostete ihn einige Anstrengung, in ihre Augen zu sehen und nicht fasziniert ihre Lippen zu betrachten. „Schätze, dann bleiben nur noch wir zwei übrig.“

„Ähm, wir können es auch ein anderes Mal machen, wenn die anderen Zeit haben …“, begann Chloe.

„Ich hätte eigentlich gern über die Stücke gesprochen, mit denen ich mich vertraut machen muss“, wandte er schnell ein. Das Argument war natürlich völlig blödsinnig, denn Megan hätte ihm die Namen der Werke einfach texten können. „Dann bin ich bei den nächsten Proben besser vorbereitet.“

„Er hat recht“, bekräftigte Angie und hob den Cellokasten an. „Du solltest ihn auf den neuesten Stand bringen.“

„Tja, vermutlich stimmt das“, willigte Chloe ein.

Das war zwar nicht die enthusiastischste Erwiderung, die er jemals von einer Frau bekommen hatte, die er zum Essen einladen wollte, aber Anthony würde sich damit zufriedengeben. Außerdem war sie ja kein Date oder so etwas, sondern seine Kollegin und Daniels Schwägerin. Sein Freund wäre ganz und gar nicht begeistert, wenn Anthony auch nur Chloes Hand nehmen würde. Nein, dieses Lunch und seine zukünftige Beziehung zu Chloe waren rein beruflicher Natur.

„Magst du Sushi?“, fragte er. Es gab da eine Sushibar, die er immer besuchte, wenn er in Los Angeles war.

„Das kommt darauf an. Bezahlst du denn?“, erwiderte Chloe lächelnd, und ein zauberhaftes Grübchen war mit einem Mal auf ihrer rechten Wange zu sehen.

Beinahe hätte er sich verschluckt, weil ihn der Anblick so in den Bann schlug. Rein beruflich, ermahnte er sich. „Ja, sicher.“

„Dann liebe ich Sushi“, erwiderte sie.

Nachdem sie sich von Angie und Megan verabschiedet hatten, fuhren sie mit zwei Autos zum Restaurant. Anthony hatte sich einen Wagen gekauft, als er nach Los Angeles gekommen war, denn er würde hier bis zum Ende der Spielsaison der Chamber Music Society bleiben. Wenn er zufrieden mit dem Auto war, würde er es vielleicht mit nach New York nehmen. Nachdem er nach Manhattan gezogen war, hatte er nie eines gebraucht. Dafür reiste er viel zu viel, und ihm genügten die öffentlichen Verkehrsmittel voll und ganz. Doch vielleicht würde er sich mit einem eigenen Auto mehr wie zu Hause fühlen.

Er parkte ein Stück weit von der Sushibar entfernt. Als er sich dem Restaurant näherte, unterdrückte er einen Fluch angesichts der langen Warteschlange vor dem Gebäude. Schnell entdeckte er Chloe am Ende der Reihe und gesellte sich zu ihr.

„Es tut mir leid, dass wir jetzt anstehen müssen“, sagte er und achtete darauf, einen Sicherheitsabstand zu ihr einzuhalten.

„Sei nicht albern“, erwiderte sie naserümpfend. „In diesem Restaurant wartet man immer. Deswegen weiß man ja auch erst, dass es ein gutes Restaurant ist.“

Er lachte. „Gegen diese Logik ist nichts einzuwenden.“

„Was meinst du, bekommst du das hin?“ Neugierig sah sie ihn an. „Kannst du an all unseren Proben und Übungssitzungen teilnehmen? Du hast doch bestimmt ohnehin schon einen vollen Terminkalender mit deinen Konzerten überall auf der Welt. Ich weiß gar nicht, wie du das hinbekommen willst.“

„Woher weißt du, dass ich so viele Termine habe?“, erkundigte er sich misstrauisch.

„Ich … du hast ein fantastisches Marketing.“ Chloe zupfte am Saum ihres Shirts herum. „Es ist schwer, nicht mitzubekommen, wenn du irgendwo auftrittst. Da ist immer ein großer Rummel.“

„Rummel, genau.“ Er nickte verständnisvoll, obwohl er sich mit solchen Dingen nicht beschäftigte. Er vertraute in Geschäftsdingen völlig seinem Manager und guten Freund Tanner Moates. „Für die nächsten Monate habe ich alle Termine abgesagt. Dem Hana Trio gehört meine ungeteilte Aufmerksamkeit.“

Stirnrunzelnd sah sie ihn an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann schüttelte sie den Kopf und schwieg.

Seine Neugierde siegte. „Was ist?“

„Ich habe mich nur gefragt, ob es etwas mit … also, wie soll ich es sagen? Dein Privatleben wird auch ziemlich breitgetreten, und nicht alles, was man hört, ist besonders schmeichelhaft.“ Sie errötete. „Da fallen schon mal Begriffe wie rücksichtslos oder Kontrollverlust.“

„Ich hoffe nur, du glaubst nicht alles, was du liest“, erwiderte er und strich sich durchs Haar. Normalerweise kümmerte er sich nicht darum, dass sein Ruf nicht besonders herausragend war. Schließlich hatte er auch dazu beigetragen. Doch Chloes Meinung bedeutete ihm viel.

„Natürlich nicht“, beeilte sie sich zu sagen.

Er schämte sich zu sagen, dass Tanner ihm geraten hatte, eine Weile lang abzutauchen. Seine letzte Eroberung hatte sich als Freundin des Erfolgsdirigenten Javier Morales herausgestellt. Anthony hätte nie etwas mit Scarlett Harding angefangen, wenn sie ihm gesagt hätte, dass sie sich in einer Beziehung befand. Zumal er größten Respekt für Javier empfand. Dieser One-Night-Stand war ein großer Fehler gewesen. Einer, den er nicht zu wiederholen beabsichtigte.

Autor

Jayci Lee
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