Tiffany Hot & Sexy Band 10

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ZUM ANBEISSEN SEXY von KENT, ALISON
Mit einer raffinierten Verführung will Kinsey Doug davon abhalten, nach Denver zu ziehen. Zunächst plant sie ein außergewöhnliches Dinner, denn die Liebe eines Mannes geht auch durch den Magen. Als Hauptgericht gibt es karibisches Hühnchen und zum Dessert - sie selbst …

EIN ÄUSSERST UNMORALISCHES ANGEBOT von SHARPE, ISABEL
Verführe heute Nacht den Mann deiner Träume, lautet die Aufgabe, die Lindsay als Mitglied des Klubs "Bikinis & Martinis" erfüllen soll. Gar nicht so einfach! Denn der sexy Bar-Manager ist ziemlich irritiert von ihrem eindeutigen Angebot und lässt sie abblitzen …

WILDE NÄCHTE HEISSE KÜSSE von SUMMERS, CARA
Als wichtige Zeugin eines bewaffneten Überfalls bekommt J. C. einen Bodyguard: Detective Nik Angelis, der wie ein griechischer Gott aussieht. Dass er teuflisch gut küssen kann, entdeckt J. C., als er sie mit vollem Körpereinsatz vor der tödlichen Kugel schützt …


  • Erscheinungstag 06.09.2009
  • Bandnummer 10
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956661
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cara Summers, Alison Kent, Isabel Sharpe

Tiffany Hot & Sexy, Band 10

CARA SUMMERS

Wilde Nächte, heiße Küsse

Auf dem Weg zum Auto fallen Schüsse. Detective Nik Angelis wirft sich auf J. C., um sie vor den Kugeln zu schützen – und spürt im selben Moment heißes Verlangen in sich aufsteigen. Vergessen ist die tödliche Gefahr. Für Nik existiert nur noch der warme Körper von J. C., der sich unter ihm wunderbar anfühlt. Er will sie haben, sofort …

ALISON KENT

Zum Anbeißen sexy

Kinseys Einladung zum Dinner hat Doug ziemlich verblüfft. Er wusste gar nicht, dass die Frau, mit der er schon länger locker befreundet ist, kochen kann. Tatsächlich duftet es aus der Küche äußerst appetitlich. Allerdings ist die Aussicht auf ein gutes Essen nur halb so verlockend wie der Anblick von Kinsey, die an diesem Abend einfach zum Anbeißen aussieht …

ISABEL SHARPE

Ein äußerst unmoralisches Angebot

Denver fühlt sich völlig überrumpelt, als seine Chefin ihm aus heiterem Himmel vorschlägt, mit ihr die Nacht zu verbringen. Davon träumt er zwar schon lange, aber das geht ihm jetzt doch zu schnell. Auch wenn es ihm schwerfällt – Denver lehnt dankend ab, fragt sich jedoch: Was steckt hinter Lindsays verführerischem Angebot?

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Cara Summers

Wilde Nächte, heiße Küsse

PROLOG

Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Himmel zu verfärben begannen, eilte Cassandra Angelis durch ihren Garten und machte sich bereit, in die Zukunft zu schauen. Ihre Fähigkeiten als Seherin nahmen in der Morgendämmerung häufig zu. Darauf hoffte sie auch jetzt, denn an diesem Wochenende brauchte sie all ihre Kräfte.

Die Gabe, in die Zukunft sehen zu können, war in ihrer Familie weit verbreitet. Ihre Urgroßmutter hatte behauptet, diese Kraft könne bis zu Apollons Priesterin, dem Orakel von Delphi, zurückverfolgt werden, die den Duft brennender Lorbeerblätter einatmete, bevor sie ihre Prophezeiungen machte. Cass konnte das nicht bestätigen, aber für alle Fälle verbrannte auch sie manchmal Lorbeerblätter.

Seit einem Monat wusste sie, dass die Zeit um den Vollmond herum für ihre Familie entscheidend sein würde. Um Mitternacht hatte sie gesehen, dass ihr jüngster Neffe Kit dem Tod und der Gefahr ins Auge sehen würde, und wenn er sich entschlösse, seinem Herzen zu folgen, würde er außerdem die Frau finden, die das Schicksal für ihn vorgesehen hatte. Eine Frau in Not – das passte sehr gut zu einem Angelis, der Privatdetektiv und Schriftsteller war. Und von ihren drei Neffen würde es Kit am leichtesten fallen, auf die Stimme seines Herzens zu hören.

Ein plötzlicher kalter Schauer überlief sie, als sie den Teich erreichte. Das Schicksal würde an diesem Wochenende noch jemand anderen aus ihrer Familie vor wichtige Entscheidungen stellen. Die Frage war nur, wen?

Sie setzte sich auf eine Bank, faltete die Hände im Schoß und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Über ihr in einem der Bäume raschelte ein Eichhörnchen. Ein laut protestierender Vogel flog erschrocken auf. In der folgenden Stille richtete Cass ihren Blick konzentriert auf die glatte Wasseroberfläche des Teiches und wartete.

Seit sie ihren Mann Demetrius und ihre Schwester Penelope bei einem Bootsunfall vor achtzehn Jahren verloren hatte, fand sie inneren Frieden, wann immer sie an diesem Teich saß.Vielleicht weil sie sich Demetrius hier näher fühlte, denn er hatte das Meer geliebt.

Manchmal brachte sie sogar Kunden mit hierher. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem Demetrius beschlossen hatte, den Teich anzulegen. „Ein Grieche muss am Wasser leben“, hatte er verkündet. Sein Bruder Spiro hatte darauf bestanden, Fische darin auszusetzen, denn, so hatte er verkündet: „Ein Grieche muss in der Nähe von Fischen sein.“

Cass und Penelope hatten Demetrius und Spiro in einem Dorf an der Küste Griechenlands kennengelernt. Sie, Cass, verliebte sich auf den ersten Blick in Demetrius, und Penelope war es mit Spiro ebenso ergangen. Die beiden Angelis-Brüder erkannten das Schicksalhafte der Begegnung und verließen ihre Heimat, um nach San Francisco zu gehen. Nach Penelopes und Demetrius’ Tod waren Cass und Spiro bei ihrem Vater eingezogen, wo sie, Cass, ihre Nichte, ihre drei Neffen und ihren eigenen Sohn Dino großzog.

Inzwischen waren alle erwachsen. Dino hatte das Nest verlassen und war zur Navy gegangen. Die Jüngste, ihre Nichte Philly, hatte im Januar das College beendet, und bald würden wahrscheinlich alle aus dem Haus ausziehen. Vielleicht fühlte Cass sich deshalb in letzter Zeit ein bisschen einsam und vermisste diese ganz besondere Verbindung zu Demetrius.

Ein Fisch kam an die Wasseroberfläche und erzeugte kleine Wellen, die sich nach allen Seiten ausbreiteten. Cass lächelte und spürte Demetrius’ Gegenwart, als säße er hier neben ihr auf der Bank. Beinah augenblicklich ließ ihre Anspannung nach.

In den kleiner werdenden Wellen sah sie Bilder. Zuerst verschwommen, aber dann erkannte sie das Gesicht einer Frau – helle Haut, grüne Augen und rotes Haar. Cass fühlte Leidenschaft, Temperament und einen Mut, den sie nur bewundern konnte.

Ein Schuss zerriss die Stille, und das Geräusch war so real, dass Cass zusammenzuckte. Weitere Wellen ließen das Bild verschwimmen und ein neues entstehen. Die rothaarige Frau rannte, und der Mann an ihrer Seite war …

Cass beugte sich näher zum Wasser hinunter, bis sie ihren Neffen Nik erkennen konnte, der Detective beim San Francisco Police Department war. Ein weiterer Schuss zerriss die Stille, und diesmal spritzte Wasser hoch bis auf die Steine am Ufer des Teiches.

Angst erfasste Cass, als sie die Bedeutung der Bilder begriff. Für die nächsten vierundzwanzig Stunden würde es Niks Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass die Frau an seiner Seite am Leben blieb. Und es würde nicht leicht sein, mit ihr fertig zu werden, denn die Rothaarige war impulsiv und hatte ihren eigenen Kopf.

Nach allem, was sie wusste, mochte Nik große blonde Frauen, die nicht allzu kompliziert waren. Seine Abenteuerlust stillte er im Beruf. Je mehr Cass darüber nachdachte, desto überzeugter war sie, dass Nik eine Frau brauchte, die eine Herausforderung für ihn darstellte. Die temperamentvolle Rothaarige war möglicherweise genau die Richtige für ihren Neffen.

Plötzlich färbte sich das Wasser im Teich blutrot. Gier, Neid und Tod bedrohten Nik und diese Frau von allen Seiten. Doch Cass spürte auch Leidenschaft, Großmut und Liebe. Würden die ausreichen, um Nik und die Frau, die das Schicksal für ihn erwählt hatte, zu schützen?

1. KAPITEL

Das wütende Geschrei begann, als J. C. Riley gerade vorsichtig die Braut in den Pavillon aus Zuckerwatte auf der Hochzeitstorte stellte. Aufgeschreckt von den lauten Stimmen, ließ sie die kleine Figur fallen, die zu ihrem Entsetzen von einer pinkfarbenen Buttercremerose abprallte und zu Boden fiel.

Verdammt! Sie hatte fünf Minuten gebraucht, um diese Rose zu formen. Jetzt war nicht nur die Blume ruiniert, sondern die kleine Plastikbraut trug auch noch einen pinkfarbenen Schleier. Sie bückte sich, um sie aufzuheben. Das Geschrei draußen wurde lauter, und J. C. hörte einen dumpfen Aufprall. Da sie mit vier Brüdern aufgewachsen war, wusste sie, dass es das Geräusch eines gegen die Wand prallenden Körpers war.

Eine Tür wurde zugeschlagen. Weitere dumpfe Schläge waren zu hören, unterbrochen von gedämpftem Ächzen.

Vielleicht sollte sie sich langsam Gedanken darüber machen, die echte Braut zu retten. J. C. lief zur Tür des Esszimmers im Pfarrhaus und spähte in den Durchgang, der Pater Mikes Wohnhaus mit der St. Peter’s Church verband. Die Tür zur Sakristei war geschlossen. Eigenartig! Als J. C. den Kuchen aus ihrem Van geholt hatte, war sie noch offen gewesen.

Bis jetzt war die ganze Hochzeit eigenartig gewesen. Pater Mike hatte Kuchen und Champagner für fünf Personen bestellt – für Braut und Bräutigam, zwei Trauzeugen und sich selbst. Das war die kleinste Hochzeit, die J. C. jemals in dieser Kirche ausgerichtet hatte, und die erste, bei der sie bisher weder Braut noch Bräutigam begegnet war. Pater Mike hatte ihr nicht einmal die Nachnamen der beiden genannt, sondern nur ein einziges Mal ihre Vornamen erwähnt – Juliana und Paulo. Und selbst da schien er sich zu ärgern, dass ihm die Namen herausgerutscht waren, denn er bat J. C., sie niemandem gegenüber zu erwähnen. Es handele sich um eine heimliche Hochzeit, erklärte er. Falls es sich herumspräche, könnte das ernste Konsequenzen haben.

Möglicherweise passierte in der Sakristei gerade genau das. J. C. schaute zum Tisch, den sie dekoriert hatte und in dessen Mitte der Kuchen stand, auf dem nun eine Rose und die Braut fehlten. Ein Arrangement aus weißen Blumen flankierte ihn auf der einen Seite, zusammen mit Servietten aus Leinen, Kristalltellern und silbernen Gabeln. Auf der anderen Seite spiegelte sich flackerndes Kerzenlicht in einem silbernen Sektkübel und Champagnergläsern. Überall auf dem Tisch standen kleine Schalen mit Mandeln in Zuckerwatte.

J. C. ging zum Tisch und schob sich eine Mandel mit Schokoladenüberzug, die sie selbst gemacht hatte, in den Mund. Wenn sie nervös war, wurde sie immer hungrig.

Wieder war draußen Gepolter zu hören.

Das ging sie nichts an. Außerdem musste sie die Plastikbraut wieder in den Pavillon bekommen. Vermutlich hatte man Pater Mike dazu überredet, zwei unbedeutende Prominente zu trauen. Wegen all der Reality-Shows und Superstar-Sendungen im Fernsehen gab es ständig irgendwelche Leute, die für kurze Zeit berühmt waren. Pater Mike hatte selbst eine gewisse Berühmtheit erlangt, als vor einigen Monaten eine Sonntagszeitung einen Bericht über den angesagten Priester brachte, der St. Peter’s Church zu einer äußerst beliebten Kirche bei jungen heiratswilligen Leuten gemacht hatte. Seitdem war es erst recht in, in der St. Peter’s Church zu heiraten – was J. C.s jungem Partyservice-Unternehmen nur entgegenkam.

Erneuter Lärm war zu vernehmen.

Das reichte. J. C. verließ das Esszimmer. Jemand musste etwas unternehmen, und sie besaß genug Erfahrung im Streitschlichten. Die Sakristei war ein kleiner Raum, ungefähr von der Größe eines Boxrings, aber ganz sicher nicht für diesen Zweck gedacht. Der Großteil des Platzes wurde von Schränken eingenommen, in dem größten bewahrte Pater Mike sein Ornat auf. Wer immer dort randalierte, sollte sich schämen. Wahrscheinlich stand die Braut Todesängste aus.

J. C. betrat den überdachten Gang und beschleunigte ihre Schritte. Vor etwa zehn Minuten hatte sie kurz die junge Braut und eine Frau, bei der es sich vermutlich um ihre Brautjungfer handelte, auf dem Parkplatz aus einem Taxi steigen sehen. Fünf Minuten später, als J. C. den Champagner und die Gläser auslud, war der Bräutigam mit seinem Fahrer eingetroffen. Zumindest nahm sie an, dass der jüngere Mann der Bräutigam war und der große, stämmige, der den Wagen gefahren hatte, eine Art Chauffeur. Allerdings hatte er mehr wie ein Bodyguard ausgesehen.

Wenn es sich bei dem glücklichen Paar um Prominente handelte, hatte J. C. sie jedenfalls nicht erkannt. Aber die beiden waren sehr jung, und J. C. war über die neuesten Teenager-Idole nicht auf dem Laufenden.

Der Einzige, der ihr bekannt vorkam, war der Mann, der vor wenigen Minuten allein eingetroffen war. Sie hielt ihn für den Trauzeugen des Bräutigams. Er war groß und gut aussehend, vermutlich Ende zwanzig, Anfang dreißig. J. C. war sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben.

Auf halbem Weg in die Kirche hörte sie weiteres Gepolter und einen Schrei. „Roman! Nein!“

Dann fiel ein Schuss. Und noch einer.

Mit pochendem Herzen blieb J. C. wie angewurzelt stehen.

„Verschwinde von hier! Schnell!“, schrie eine andere Stimme in heller Aufregung.

Zwei männliche Stimmen. Bei dem Namen Roman erinnerte sie sich vage. Der Mann, der ihr bekannt vorgekommen war, war Roman Oliver, dessen Familie bei den letzten beiden Kandidaturen ihres Vaters für das Amt des Bürgermeisters von San Francisco zu seinen treuen Gefolgsleuten gehört hatte. Die Olivers waren vor Kurzem wegen eines großen Grundstückdeals, um den sie konkurrierten, in den Nachrichten gewesen.

Hatte Roman Oliver gerade die Schüsse abgegeben? Wo war die Braut? Und Pater Mike? Sie zückte ihr Handy und tippte die Notrufnummer ein, während sie auf die Sakristeitür zurannte.

„Ich bin in der St. Peter’s Church, nahe Skylar und Bellevue“, erklärte sie der Person in der Notrufzentrale. „Hier findet eine Hochzeit statt, bei der ein Streit ausgebrochen ist. Jemand hat eine Waffe abgefeuert.“

Hinter einem der offenen Fenster oben in der Chorempore, die an den Seitenwänden der Kirche verlief, sah sie einen Mann vorbeirennen – den Bräutigam.

„Es sind Schüsse gefallen?“, fragte der Mann in der Zentrale.

J. C. stieß die Tür auf und wäre beinah über jemanden gestolpert. „Ja“, bestätigte sie und erkannte gleichzeitig in dem am Boden liegenden Mann den Fahrer des Bräutigams. Um ihn herum hatte sich eine Blutlache gebildet. Mit einer Hand hielt er eine gefährlich aussehende riesige Pistole umklammert. „Hier liegt jemand. Ich glaube, er ist tot.“

J. C. bekam nicht mit, was der Mann in der Notrufzentrale sagte, weil es in ihren Ohren summte. Dafür nahm sie Pater Mikes Stimme wahr, die vom Altar her kam.

„… ein Haus Gottes. Stecken Sie die Waffe weg!“

J. C. riss sich vom Anblick der Leiche los und rannte zum Durchgang, der zum Altar führte. Ein Mann, der ihr den Rücken zugedreht hatte, richtete seine Pistole auf Pater Mike.

„Nein!“, schrie sie und tat das Einzige, was ihr einfiel – sie warf mit ihrem Handy nach dem Schützen.

Danach schien sich alles in Zeitlupe abzuspielen. Das Handy traf den Mann am Kopf. Mündungsfeuer blitzte auf, und J. C. hörte die Explosion, als die Waffe losging. Ihr klingelten die Ohren, als der Priester zu Boden fiel. Der Schütze riss sich die Skimaske herunter, presste sie gegen seinen Hinterkopf und drehte sich zu J. C. um.

Kurz trafen sich ihre Blicke. J. C. musste an eine Schlange denken – eine, die ihre Beute hypnotisierte, bevor sie zuschlug. Dann erschien ein Lächeln auf dem Gesicht des Mannes, bevor er die Waffe hob. In der nächsten Sekunde würde sie neben dem Priester auf dem Boden landen. Diese Vorstellung riss sie aus ihrer Starre. Sie wich hinter den Durchgang zurück und presste sich mit dem Rücken gegen die Wand. Eine Kugel ließ ihr Spiegelbild an der gegenüberliegenden Wand zersplittern. Eine weitere zischte durch den Türrahmen und verfehlte sie nur um Haaresbreite.

Obwohl sie wusste, dass sie fliehen musste, waren ihre Beine wie gelähmt. Die des Schützen offenbar nicht, denn nun waren seine Schritte auf dem Marmorfußboden zu hören.

Mit plötzlicher Gewissheit begriff sie, dass sie sterben würde. Gleichzeitig schärfte diese Erkenntnis all ihre Sinne. Sie roch Pulverrauch und Blut, sah den Schützen in den Splittern des zerbrochenen Spiegels an der Wand und spürte einen Türgriff, der sich ihr in die Seite bohrte. Der Schrank. Sie versuchte ihn zu öffnen, doch ihre feuchten Finger rutschten vom Griff ab. Weiter weg fiel ein weiterer Schuss. Oben in der Chorempore?

Die Schritte kamen immer näher. Jeden Moment würde der Schütze die Sakristei betreten. Die Tür zum Gang schien meilenweit entfernt zu sein. Verzweifelt rüttelte sie erneut am Schrankgriff. Diesmal ließ sich die Tür öffnen. J. C. schlüpfte hinein und drückte sich tief in die darin hängenden Kleider.

Dann fing sie an zu beten.

Meine Daumen jucken sehr, etwas Böses kommt daher.

„Verdammt!“ Nik Angelis bremste vor der nächsten roten Ampel. Zusammen mit tausenden anderen Bürgern San Franciscos bewegte er sich zentimeterweise auf die Golden Gate Bridge zu, um übers Wochenende aus der Stadt zu fliehen. Aber er fluchte nicht über den zäh fließenden Verkehr, sondern über das Jucken in seinen Daumen. Schlimm genug, dass ihm den ganzen Tag lang dieser Reim aus Shakespeares „Macbeth“ im Kopf herumspukte. Angefangen hatte es bei seinem Morgenlauf am Baker Beach. Jeder Tag, der am Meer begann, war ein guter Tag – vorausgesetzt, Nik wurde nicht von der Vorahnung einer nahenden Katastrophe geplagt. Aber jetzt fingen seine Daumen tatsächlich an zu jucken.

Das nervte. Schließlich war dies sein freies Wochenende.

Er nahm die Hände vom Lenkrad und spreizte die Finger. Das Gefühl verschwand nicht. Das tat es nie, nur weil er es gern wollte.

Laut seiner Tante Cass, einer in San Francisco sehr bekannten Wahrsagerin, war das Jucken in seinen Daumen, das stets ein bedeutendes Ereignis ankündigte, ein äußeres Zeichen für die hellseherische Fähigkeit, die er von der Familie seiner Mutter geerbt hatte. Seit seiner Kindheit hatten ihn erst seine Mutter und später seine Tante ermutigt, sie zu trainieren. Stattdessen hatte er es vorgezogen, diese Fähigkeit zu ignorieren … soweit das möglich war.

Erst seit er Polizist geworden war, hatte er angefangen, dieses Talent zu schätzen, das ihm vermutlich schon mehrmals das Leben gerettet hatte. Alles, was einen vor einer kommenden Katastrophe warnte, konnte ein Cop nur zu schätzen wissen. Aber an diesem Wochenende hatte er keinen Dienst, und das einzig Bedeutungsvolle, das passieren sollte, war, dass er schneller als seine beiden Brüder Kit und Theo bei der Fischerhütte der Familie ankam und mit seinem Segelboot hinausfuhr. Natürlich würde er auch angeln, aber am liebsten war er auf dem Wasser und segelte.

Theo war bereits bei der Hütte. Nik hatte seinen schadenfrohen Anruf erhalten, kurz bevor er das Büro verlassen hatte. Immerhin bestand noch die Chance, dass er schneller als Kit dort war. Sein jüngster Bruder war Privatdetektiv und Schriftsteller. Wenn er nicht mit einer Überwachung beschäftigt war, hockte er am Laptop, um den nächsten Abgabetermin einzuhalten.

Nik seufzte frustriert, als die Ampel vor ihm auf Rot sprang. Die Liebe zur See und zum Fischen lag in der Familie. Sein Großvater väterlicherseits war Fischer in Griechenland gewesen, und Nik vermutete, dass er seine Leidenschaft für das Segeln von seinem Urgroßvater mütterlicherseits geerbt hatte, der ein Vermögen mit dem Bootsbau im nahe gelegenen Sausalito gemacht hatte. Und obwohl Niks Vater Restaurantbetreiber geworden war, fand Spiro Angelis noch Gelegenheit, sich mit seinen Söhnen an der Hütte zum Angeln zu treffen. In letzter Zeit hatte er jedoch ständig im Restaurant zu tun.

Nach achtzehn Jahren gab es eine neue Frau im Leben seines Vaters, eine Fünf-Sterne-Köchin, die er bei seinem letzten Besuch in Griechenland kennengelernt und eingeladen hatte, mit ihm nach San Francisco zu gehen, um sein Restaurant zu erweitern. Das Ergebnis war, dass es im ersten Stock über dem Poseidon nun ein Feinschmeckerlokal gab und Spiro und Helena zu Rivalen geworden waren. Jedes Mal wenn Helena ein neues Gericht auf ihre Karte setzte, fühlte Spiro sich verpflichtet, auch etwas Neues auf seine Karte zu setzen. Niks Tante Cass und seine Schwester Philly waren der Meinung, Spiro sei in Helena verliebt, aber leider dabei, alles zu vermasseln. Bis jetzt hatten Nik und seine Brüder sich herausgehalten, doch entwickelte sich die Stimmung im Restaurant zunehmend dramatisch.

Während er den Wagen langsam vorwärts bewegte, wurde das Jucken in seinen Daumen stärker. Kein gutes Zeichen. Dem Schicksal konnte man nicht entkommen, und Nik war schon ein bisschen neugierig, ob diese Vorahnung seine Arbeit oder die Familie betraf.

Er dachte an seine Partnerin Dinah McCall, die an diesem Wochenende mit einer Observierung beauftragt war – es ging um einen Drogendealer, den sie schon seit Monaten beobachteten. Da Nik frei hatte, war ihr ein Anfänger zugeteilt worden.

Aus einer Eingebung heraus nahm er sein Handy aus der Gürteltasche und tippte ihre Nummer ein.

„Falls du anrufst, um mir zu sagen, dass du auf der Veranda deiner Hütte sitzt und dein erstes Bier aufmachst, werde ich es dir heimzahlen“, warnte Dinah ihn.

Nik grinste. „Leere Drohungen. Wie läuft die Observierung?“

„Langweilig. Ich bin beim dritten Kreuzworträtsel und der zweiten Tüte M&Ms. Zum Glück wird unsere Ablösung bald kommen. Und du rufst an, weil du glaubst, dass ich ohne dich nicht zurechtkomme.“

„Stimmt nicht“, widersprach Nik, und das war die Wahrheit. Obwohl sie nur knapp einen Meter sechzig groß war und sich kleidete wie ein Girly, wie seine Schwester Philly es ausdrücken würde, war Dinah McCall eine kluge und klasse Polizistin. „Ich hatte nur eine meiner Vorahnungen. Sei also vorsichtig.“

„Du auch“, sagte sie und klang plötzlich ernst. „Von wo rufst du an?“

„Aus meinem Wagen. Ich werde wohl noch eine ganze Stunde brauchen, um über die Brücke zu kommen.“

„Ich lege auf. Weißt du eigentlich, wie viele Unfälle jedes Jahr durch Leute verursacht werden, die während der Fahrt mit dem Handy telefoniert haben? In einigen Bundesstaaten kostet es Bußgeld, wenn du während der Fahrt telefonierst. Und wenn du einen Unfall hast, könnte dein hübsches Gesicht verunstaltet werden, und dann wäre einer der Anreize in meinem Job futsch.“

„Hör auf zu meckern.“ Er warf einen Blick in den Seitenspiegel, gab Gas und schnitt einem Taxi den Weg ab. Der Taxifahrer drückte auf die Hupe.

„In Anbetracht deines Fahrstils ist es ein Wunder, dass deine Daumen noch nicht abgefallen sind“, bemerkte Dinah.

Nik lachte. „Pass auf dich auf.“

„Du auch, Partner.“

Ich hätte sie nicht anrufen sollen, dachte er, als er das Handy wieder in die Gürteltasche schob. Jetzt würde sie sich Sorgen um ihn machen. Aber er wollte sie einfach vorwarnen. Dinah war – abgesehen von seiner Familie – die einzige Person, der er jemals von seiner „Gabe“ erzählt hatte. Außerdem hatte eine seiner kleinen Vorahnungen ihnen beiden einmal das Leben gerettet.

Das Problem war nur, dass die Vorahnung ebenso gut seine Familie betreffen konnte. Beim letzten Mal, als das Jucken in seinen Daumen derart heftig gewesen war, hatte sein Cousin Dino verkündet, er werde zur Navy gehen, um etwas von der Welt zu sehen. Nik war von dieser Entscheidung nicht allzu begeistert gewesen, denn er hatte die bekümmerte Miene seiner Tante Cass bemerkt. Trotzdem hatte er Dino unterstützt, denn sein Vater war über Niks Entschluss, zur Polizeiakademie zu gehen, genauso bekümmert gewesen.

Sein Vater hatte immer davon geträumt, dass einer seiner Söhne in seine Fußstapfen treten und eines Tages das Poseidon übernehmen würde. Bis jetzt sah es jedoch nicht danach aus, als sollte dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Kit hatte eine gut gehende Privatdetektei und eine vielversprechende Karriere als Krimischriftsteller. Theo, der mittlere Bruder, war ein aufgehender Stern in der Juristenszene in San Francisco. Und Nik hatte das Gefühl, dass seine Schwester Philly in die Fußstapfen ihrer Tante Cass treten würde, da sie offenbar die Fähigkeit besaß, mit Tieren zu kommunizieren.

Die Ampel sprang auf Grün, sodass Nik im Schritttempo über die Kreuzung und einen halben Block weit fahren konnte, bevor er wieder anhalten musste. Seine Geduld, ohnehin nicht gerade seine Stärke, war inzwischen beinah aufgebraucht. Die Versuchung war groß, einfach das Blaulicht aufs Dach zu stellen und die Sirene einzuschalten.

Er behielt die Autoschlange in der linken Spur im Auge und wartete auf eine Gelegenheit auszuscheren. Plötzlich rauschte sein Funkgerät.

„An alle Einheiten. Zwei Anrufer berichten von Schüssen in der St. Peter’s Church nahe Skylar und Bellevue. Mindestens ein Mann ist schwer verletzt. Krankenwagen sind unterwegs.“

Das Jucken in Niks Daumen wurde stärker, und er spürte einen Adrenalinstoß. Das war es, davon war er überzeugt. Skylar und Bellevue waren nur etwa zehn Blocks entfernt. Er stellte das Blaulicht aufs Autodach und nahm das Mikrofon des Funkgerätes aus der Halterung. „Detective Nik Angelis. Bin in der Nähe und übernehme.“

„Roger. Ich schicke Ihnen Verstärkung.“

Nik schaltete die Sirene ein, wendete den Wagen und trat das Gaspedal durch.

2. KAPITEL

Die St. Peter’s Church wirkte ruhig und friedlich, als Nik an die Kreuzung kam. Vor der Kirche parkten keine Wagen, und Fußgänger waren auch nicht zu sehen. Da die Verstärkung noch nicht eingetroffen war, fuhr Nik auf den Parkplatz hinter der Kirche. Dort standen drei Fahrzeuge. Dabei handelte es sich um eine schwarze Mercedes-Limousine und einen weißen Lieferwagen mit der Aufschrift „Have an Affair with J. C.“ an der Seite. Der dritte Wagen machte Nik stutzig, denn er kannte ihn, da er oft genug vor Cassies Haus gestanden hatte. Er gehörte dem besten Freund seines Bruders, Roman Olivier.

Nik stieg aus, zog seine Waffe und lief zu einem überdachten Gang, der das Pfarrhaus mit der Kirche verband. Eigentlich sollte er auf die Verstärkung warten, aber die Kirchentür stand offen … und es war verdächtig ruhig.

Vom Durchgang aus entdeckte er einen am Boden liegenden Körper und stellte mit einer gewissen Erleichterung fest, dass es sich bei dem Mann nicht um Roman handelte. Geduckt ging er hinein und sicherte den Raum, indem er die Waffe von links nach rechts schwenkte.

Es war niemand da. Der Raum war klein, und an den Wänden standen Schränke. Ja, hier waren Schüsse gefallen. Ein Spiegel war zersplittert, ebenso ein Türrahmen. Der Mann am Boden lag in einer Blutlache. Die Waffe auf die offene Tür zum Altar gerichtet, ging Nik in die Hocke und fühlte den Puls des Mannes. Nichts. Der Tote war groß und besaß eine Statur, für die man regelmäßig trainieren musste und Maßanzüge benötigte. Seine Krawatte war aus Seide, die Schuhe sahen teuer aus. In der rechten Hand hielt er eine Pistole der Marke Glock. Bodyguard oder bezahlter Killer?

Er würde nicht die einzige Leiche sein, davon war Nik überzeugt. In der Ferne waren Sirenen zu hören. Er richtete sich auf und ging auf die offene Tür zum Altar zu. Erneut sicherte er den Raum und sah hinauf zur Chorempore, die an beiden Seiten und dem hinteren Teil des Kirchenschiffes verlief.

Es war niemand zu sehen. Er ging zu dem hinter dem Altar liegenden Priester. Diesmal fand er einen Puls – schwach, aber gleichmäßig. Soweit er es beurteilen konnte, sickerte das Blut aus einer Schulterwunde. Er zog sein Hemd aus, zerriss es in zwei Hälften und legte einen Druckverband an. Als er sich davon überzeugte, dass die Blutung gestoppt war, schloss sich die Hand des Priesters um sein Handgelenk.

„Beschützen Sie …“

„Versuchen Sie nicht zu sprechen, Pater. Ein Krankenwagen ist unterwegs.“

„Beschützen Sie sie …“ Die Worte waren kaum ein Flüstern.

„Wen beschützen?“

„Braut“, hauchte der Geistliche, dessen Griff fester wurde. „Juliana … Oliver.“

Das Jucken in Niks Daumen wurde heftiger. „Und der Bräutigam? Wo ist der?“

„Paulo …“, antwortete der Priester keuchend, „… Carlucci. Große Gefahr.“

Nik kannte die Namen, und wenn es zwei Menschen gab, deren Liebe unter einem schlechten Stern stand, dann waren es diese beiden. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, war Juliana noch sehr jung, unter zwanzig. Paulo konnte nicht viel älter sein. Nik fragte sich, wie die beiden sich hatten kennenlernen können. Die Olivers und Carluccis waren seit über fünfzig Jahren verfeindet. Die Fehde reichte bis in die Zeit zurück, in der beide Familien noch Verbindungen zum organisierten Verbrechen gehabt hatten. Seitdem waren die Familien reich und durch legale Geschäfte sehr einflussreich geworden. Doch die Rivalität war noch genauso stark wie drei Generationen zuvor. Sie weigerten sich sogar, gemeinsam in der Öffentlichkeit aufzutreten.

San Francisco profitierte allerdings davon. Wenn die Carluccis eine neue Kinderstation in einem Krankenhaus stifteten, bauten die Olivers ein Aquarium, um nachzuziehen. Vor Kurzem war die Fehde durch ein lukratives Grundstücksgeschäft wieder angeheizt worden – es ging um einen unberührten Streifen an der kalifornischen Küste, für den beide Familien Angebote abgegeben hatten. In der vergangenen Woche hatten die Zeitungen angedeutet, dass die Olivers das Geschäft machen würden.

„Helfen … Sie ihnen.“ Der Priester schloss die Augen. „Chor… empore.“

„Halten Sie durch, Pater“, murmelte Nik.

Ein Geräusch, das hinter ihm aus der Sakristei kam, ließ ihn mit erhobener Waffe herumwirbeln. Der Uniformierte im Türrahmen zielte ebenfalls mit seiner Waffe. Er war jung, ein Neuling, wie Nik vermutete. Als der Partner des jungen Polizisten erschien, ließen sie ihre Waffen sinken.

„Ich will, dass Sie sich in den Gang draußen stellen und niemanden außer den Sanitätern hereinlassen“, wies Nik den jungen Cop an.

„Vorn ist noch ein Streifenwagen“, informierte ihn der ältere Polizist.

Nik nickte ihm zu. „Kommen Sie her. Sie müssen den Verband auf die Wunde pressen, bis der Krankenwagen da ist.“ Sobald der Polizist die Position eingenommen hatte, richtete Nik sich auf und entfernte sich vom Altar. Ein Stück weiter weg entdeckte er auf dem Marmorfußboden ein Handy. „Die Spurensicherung soll dieses Telefon eintüten“, ordnete er an. Vorn in der Eingangshalle warteten zwei weitere Polizisten, von denen einer neben einem am Boden liegenden Mann kniete. Nik ignorierte das Jucken in seinen Daumen, als er die Waffe in der Hand des Mannes und seine verdrehte Haltung sah. Er kniete sich rasch neben ihn und fand bestätigt, was er längst befürchtete. Bei dem am Fuß der Wendeltreppe liegenden Mann handelte es sich um Roman Oliver.

„Tot oder lebendig?“, fragte er und prüfte selbst den Puls am Hals. Zu seiner Erleichterung fühlte er noch etwas.

„Er atmet, ist jedoch bewusstlos“, erwiderte einer der Uniformierten. „Keine Schusswunde. Seine Waffe wurde allerdings abgefeuert. Er scheint übel die Treppe hinuntergestürzt zu sein.“

„Entweder das, oder er ist über das Geländer gestürzt“, meinte der andere Polizist.

Niks Gedanken wirbelten durcheinander. Roman Oliver war der ältere Bruder der Braut, und obwohl er sein Temperament für gewöhnlich unter Kontrolle hatte, war Nik auch schon Zeuge eines gelegentlichen Wutausbruchs geworden. Furcht beschlich ihn. Roman war nicht nur seit dem College Kits bester Freund, sondern hatte Theo auch bei der Eröffnung seiner Anwaltskanzlei geholfen. Und vor sechs Jahren hatte Roman Philly das Leben gerettet. Niks Schwester wollte unbedingt allein mit dem Segelboot hinausfahren. Roman, der das Wochenende mit ihnen in der Hütte verbrachte, war als Einziger dagegen und bestand darauf, sie zu begleiten. Ein plötzlich aufziehendes Unwetter brachte das Boot zum Kentern, doch gelang es Roman, Philly sicher ans Ufer zu bringen.

Alle Mitglieder der Angelis-Familie waren der Ansicht, dass sie in seiner Schuld standen.

Nik verdrängte diese Erinnerung und zwang sich, wie ein Polizist zu denken. Da Roman der Nachfolger seines Vaters im Unternehmen der Familie werden würde, konnte er über die Hochzeitspläne seiner Schwester nicht besonders glücklich gewesen sein. Höchstwahrscheinlich hatte er versucht, sie zu vereiteln.

Nik schaute sich um, noch immer neben dem Verletzten kniend. Der Platz hinter der Wendeltreppe lag im Dunkeln, sodass er erst auf den zweiten Blick die Handtasche unter der ersten Treppenstufe entdeckte. Er nahm ein Paar Gummihandschuhe aus der Gesäßtasche und zog sie an. Dann griff er nach der Handtasche und schüttete sie aus. Sie war auffallend aufgeräumt. Seiner Erfahrung nach schleppten die meisten Frauen in ihren Handtaschen viel Ramsch mit sich herum. Diese enthielt jedoch nur ein Handy, eine Brieftasche, einen Terminkalender, einen Lippenstift und einen Kugelschreiber. In der Brieftasche fand er einen Führerschein in einer Klarsichthülle. Sein Magen zog sich zusammen. Der Führerschein war auf Sadie Oliver ausgestellt, Romans andere Schwester.

Sadie musste ungefähr vier Jahre jünger sein als Roman. Nik hatte sie nie kennengelernt, aber vor einiger Zeit ein Foto der drei Geschwister in der Zeitung gesesen. Sadie hatte langes schwarzes Haar und war genau wie ihr Bruder und ihre Schwester groß. Erst kürzlich hatte sie ihr Jurastudium in Harvard abgeschlossen und war heimgekehrt, um bei Oliver Enterprises zu arbeiten. Sadie, Roman und Juliana waren also alle hier in der Kirche gewesen, als die Schießerei begann. Das war nicht gut.

Nachdem er die Sachen wieder in der Handtasche verstaut hatte, richtete Nik sich auf und zog erneut seine Waffe. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn bei der Vorstellung, was er oben auf der Chorempore finden würde. Er gab einem der Polizisten ein Zeichen, ihm zu folgen, und erklärte dem anderen: „Lassen Sie niemanden außer den Sanitätern rein. In der Sakristei liegt ein Toter, und der Priester wurde angeschossen. Benachrichtigen Sie das Kriminallabor, die sollen so schnell wie möglich herkommen.“

„Ja, Sir“, erwiderte der Uniformierte und zückte sein Handy.

Oben an der Treppe blieb Nik stehen. Die Chorempore war leer, aber drei Meter von seinem Standort entfernt gab es eine verschlossene Tür. Er bedeutete dem Polizisten, zur einen Seite zu gehen, während er die andere nahm. Sobald sie beide in Position waren, stieß er die Tür auf und stürmte geduckt hinein. Sein Kollege folgte ihm aufrecht.

Der Raum war klein, vielleicht drei mal drei Meter, und leer bis auf den Brautstrauß – und die Blutflecken an zwei der Wände.

J. C. wusste nicht, wie lange sie es noch versteckt in dem Schrank aushalten würde. Selbst als Kind hatte sie es schon gehasst, auf irgendetwas warten zu müssen. Außerdem quälte sie Hunger. Wenn sie nervös oder ängstlich war, wurde sie hungrig. Bestimmt war die Polizei inzwischen schon eingetroffen.

Sie glaubte, eine Sirene gehört zu haben, aber das war vor einer ganzen Weile gewesen. Es konnte durchaus auch Wunschdenken gewesen sein. Sie war sich nicht einmal sicher, wie lange sie sich bereits versteckte. Sie hatte versucht, einen Rosenkranz zu beten, was sie seit Jahren nicht mehr getan hatte. Wie lange hatte sie dafür gebraucht? Fünf Minuten? Zehn? Sie wollte nach Pater Mike schauen, aber falls Snake Eyes noch dort draußen war, würde sie dem Geistlichen damit keinen Gefallen tun.

Dummerweise war es zu dunkel, um auf die Uhr zu sehen. Wenn sie nur etwas hören könnte. Woraus auch immer die Priestergewänder gefertigt waren, hier drin dämpften sie jedes Geräusch. Die Polizei könnte längst da sein, sie würde es nicht hören, und deshalb spähte sie vorsichtig hinaus.

Ein Mann stand über den Toten gebeugt. Er hatte ihr den Rücken zugedreht, trotzdem wusste sie, dass es nicht Snake Eyes – Schlangenauge – war, dessen Haar wegen der Skimaske mit Gel zurückgekämmt war. Der Mann vor ihr hatte dunkles, gewelltes, leicht zerwühltes Haar. Allerdings wirkte er mindestens so gefährlich wie der Killer.

Er trug ein Unterhemd, das sich eng an seine bronzefarbene Haut schmiegte. Als er langsam um den Toten herumging, konnte sie sein Gesicht sehen und war einen Moment lang völlig fasziniert.

J. C. riss sich zusammen. Dieser Mann war zwar nicht Snake Eyes, aber er konnte durchaus derjenige sein, der die anderen Schüsse abgegeben hatte. Hart genug wirkte er. Mit seinen markanten, scharfen Gesichtszügen erinnerte er sie an einen antiken Krieger, der eine Armee in die Schlacht führte … und siegte. Das erklärte jedoch nicht ihr eigenartiges Verlangen, sein Gesicht zu berühren.

Was ist los mit dir?, fragte sie sich. Krieger waren nie ihr Typ gewesen.

Andererseits besaß sie gar nicht genug Erfahrung mit Männern, um ihren Typ genau zu kennen. Die Sorte Männer, mit denen ihr Vater und ihre Stiefmutter sie zusammenbringen wollten, waren alle gleich – erfolgreiche junge Großstadttypen aus angesehenen Familien. J. C. fand sie beinah genauso langweilig wie die launischen Primadonnen, die sie bei der Ausbildung am American Culinary Institute kennengelernt hatte.

Erst jetzt bemerkte sie die Waffe und bekam einen trockenen Hals. Die Pistole steckte im Hosenbund seiner Jeans, direkt über dem beeindruckend aussehenden …

Hör auf damit!, ermahnte sie sich. Schließlich konnte er ein brutaler Killer sein.

Genau in diesem Augenblick drehte er sich in ihre Richtung, und J. C. starrte in den Lauf einer sehr großen Pistole.

„Öffnen Sie langsam die Tür, und halten Sie die Hände so, dass ich sie sehen kann. Zwingen Sie mich nicht, auf Sie zu schießen.“

„Wer, zur Hölle, sind Sie?“, fragte Nik die zierliche Rothaarige, die aus dem Schrank stieg.

„Wer sind Sie?“, konterte sie.

„Ich bin Polizist, also stelle ich hier die Fragen.“ Sie wirkte so zart und zerbrechlich, dass er sich nur schwer vorstellen konnte, dass sie bei diesem Blutbad in der Kirche eine Rolle gespielt hatte. Allerdings fing das Jucken in seinen Daumen wieder an, als sie aus dem Schrank stieg, und es gefiel ihm gar nicht, dass er so lange gebraucht hatte, um ihre Anwesenheit dort zu bemerken.

„Wer sind Sie?“, wiederholte er seine Frage.

„Ich bin der Partyservice. Jetzt sind Sie an der Reihe.“

Für eine so zierliche Person war sie ziemlich mutig. Unter anderen Umständen hätte ihm das gefallen, aber die Kirche füllte sich allmählich. Die Sanitäter kümmerten sich um Roman und Pater Mike. Nik hatte veranlasst, dass beide in das neue St. Jude’s Trauma Center gebracht wurden. Das erste Team von Kriminaltechnikern hatte er nach oben auf die Chorempore geschickt, weil er noch ein paar Minuten mit der Leiche allein sein wollte. Er hatte seinen Captain angerufen. D. C. Parker wollte einen vollständigen Bericht, sobald er sich von der großen Wohltätigkeitsgala losgeeist hatte, auf der er sich befand.

„Wie heißen Sie?“, wollte Nik wissen.

„Sie sehen nicht aus wie ein Cop. Ihre Kleidung ist ein bisschen zu lässig, selbst für einen Freitagnachmittag. Gibt es für Polizisten überhaupt Tage, an denen Freizeitkleidung erlaubt ist?“ Sie nahm eine Hand herunter und streckte sie ihm entgegen. „Zeigen Sie mir Ihren Ausweis.“

Nik musterte sie. Trotz ihrer geringen Größe wirkte sie kampflustig. Ihre Haare waren hochgesteckt, doch einige rote Strähnen hatten sich aus dem Knoten gelöst. Ihr zerknittertes weißes Hemd hatte sie in den Bund der schwarzen Hose gesteckt, deren Beine erstaunlich lang waren. Er ließ seinen Blick einen Moment auf ihnen verweilen, ehe er ihr wieder ins Gesicht sah. Erst da fielen ihm ihre Augen auf, grün und klar, und einige Sekunden lang nahm er nichts anderes mehr wahr.

„Nun? Haben Sie einen Ausweis dabei oder nicht?“

Nik riss sich zusammen und unterbrach den Blickkontakt. Dann setzte er sein spöttisches Cop-Lächeln auf. „Träumen Sie weiter, und lassen Sie mich eines klarstellen: Ich stelle nicht nur die Fragen, ich gebe auch die Befehle. Drehen Sie sich um, legen Sie die Hände an den Schrank, und spreizen Sie die Beine.“

Erst nach einem kurzen Zögern gehorchte sie, wofür er sie erneut insgeheim bewunderte. Er hatte schon immer eine Schwäche für mutige Frauen gehabt. Als er sie fast zur Hälfte abgetastet hatte, musste er sich eingestehen, dass es ihm zu gut gefiel, die Muskeln ihrer Oberschenkel unter seinen Händen zu spüren. Verdammt, er war Polizist und dies ein Tatort, der seine ganze Aufmerksamkeit erforderte!

Als er sich wieder aufrichtete, wirbelte sie zu ihm herum, sodass ihr Körper seinen streifte und es Nik heiß durchfuhr. Was, um alles in der Welt …

Hastig wich er einen Schritt zurück. Ihre grünen Augen verdunkelten sich und verrieten ihm damit, dass sie das Gleiche empfunden hatte.

„Wer sind Sie?“, murmelte er, doch diesmal war die Frage nur halbherzig an sie gerichtet.

Entschlossen hob sie das Kinn. „Das habe ich Ihnen schon gesagt. Ich bin der Partyservice.“

„Detective Angelis?“

Nik erkannte die Stimme des jungen Polizisten, den er bei Pater Mike gelassen hatte, wandte den Blick aber nicht von der Rothaarigen ab.

„Jetzt kennen Sie meinen Namen. Wie lautet Ihrer?“

„J. C. Riley. Ich habe die Polizei angerufen, und ich will …“

Er hob die Hand, um sie zu unterbrechen. „Was gibt es, Officer?“

„Sir, der Priester wird jetzt abtransportiert.“

Nik schob die Waffe in den Hosenbund, umfasste die Taille der Rothaarigen und setzte sie auf eine Arbeitsfläche. „Rühren Sie sich nicht von der Stelle!“

Dann folgte er dem Polizisten zum Altar, wo die Sanitäter den Priester bereits auf eine Trage gehoben hatten und zwei andere Polizisten den Bereich, wo der Priester gelegen hatte, mit Absperrband versahen. Zwei weitere Beamte von der Spurensicherung standen auf den Altarstufen. So viel zu seinem Vorhaben, sich alles in Ruhe anzusehen und nachzudenken, bevor sein Captain auftauchte.

„Wie geht es ihm?“, erkundigte er sich bei den Sanitätern.

„Er ist bewusstlos, aber sein Zustand ist stabil. Die Blutung hat aufgehört.“

„Und der Mann in der Eingangshalle?“

„Immer noch ohne Bewusstsein. Man wird erst nach einigen Tests wissen, wie schwer seine Verletzungen sind.“

„Ich habe gesehen, wer auf Pater Mike geschossen hat.“

Nik wirbelte herum und stieß beinah erneut mit der Rothaarigen zusammen. „Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich nicht von der Stelle rühren!“, erwiderte er wütend.

„Wenn Sie tatsächlich Polizist sind, sollten Sie mir da nicht mehr Fragen stellen? Ich habe jedenfalls noch welche für Sie. Sind Braut und Bräutigam wohlauf? Ich habe weiter weg noch mehr Schüsse gehört, möglicherweise oben auf der Chorempore. Und was ist mit Roman Oliver?“

Nik runzelte die Stirn. „In welcher Beziehung stehen Sie zu Roman Oliver?“

Bevor er sie aufhalten konnte, war sie an ihm vorbeigeschlüpft und hätte es fast bis zur Trage mit dem Priester geschafft. Nik hielt sie am Arm fest. „Hören Sie, Lady …“

„Ist Roman Oliver auch tot?“

Nik beherrschte seine Wut. „Nein. Er wird ins Krankenhaus gebracht. Im Übrigen ist das hier ein Tatort, und da Sie der Ansicht sind, es sei mein Job, Fragen zu stellen, beantworten Sie mir gefälligst die, die ich Ihnen schon gestellt habe. In welcher Beziehung stehen Sie zu Roman Oliver?“

„In keiner. Ich habe ihn nur wiedererkannt. Sein Foto war vor Kurzem in der Zeitung, im Zusammenhang mit einem großen Grundstücksgeschäft. Er kam kurz nach dem Bräutigam durch den Hintereingang. Zumindest nehme ich an, dass es sich um den Bräutigam handelte. Außerdem rief jemand während der Auseinandersetzung den Namen Roman.“

„Auseinandersetzung?“

„Eine heftige sogar. Ich habe nichts gesehen, es aber vom Esszimmer im Pfarrhaus gehört. Dort kümmerte ich mich um den Kuchen und den Champagner. Was ist mit der Braut und dem Bräutigam und der anderen Frau, der blonden? Sind sie alle okay?“

„Welche blonde Frau?“

„Sie kam mit der Braut und hatte einen großen Kleidersack dabei, daher hielt ich sie für die Brautjungfer. Ich nahm an, die Brünette sei die Braut, weil sie die Blumen trug und eine kleine Krone auf dem Kopf hatte.“

„Sind Sie sicher, dass die Frau in Begleitung der Braut blond war?“ Auf dem Foto, das er von Sadie in der Zeitung gesehen hatte, waren ihre Haare dunkel gewesen.

„Absolut.“

„Wie groß war sie?“

„Klein, etwa meine Größe. Sind alle okay? Ich glaube, einige Schüsse kamen von der Chorempore. Haben Sie dort oben schon nachgesehen?“

Sie versuchte erneut, an ihm vorbeizukommen, doch Nik hielt sie fest.

„Ich habe den Bräutigam gleich nach den ersten Schüssen die Chorempore entlangrennen sehen. Ist ihm etwas passiert?“

Nik zog sie in die Sakristei. Die beiden Beamten von der Spurensicherung wollten ihm folgen, doch er sagte: „Wenn ihr mit der Leiche fertig seid, sucht nach den Kugeln.“ Er zeigte auf den zersprungenen Spiegel und den zersplitterten Türrahmen. Dann schaute er sich um und entdeckte eine weitere Tür, die aus der Sakristei hinausführte. Sie war klein und schmal, und dahinter lag eine Treppe, die wahrscheinlich zur Empore hinaufführte. Doch hier fand Nik genau das, was er brauchte.

Er zückte seine Handschellen und fesselte die Rothaarige mit dem Handgelenk an das Rohr der Heizung im Treppenaufgang.

„Was machen Sie da?“

„Ich würde sagen, ich habe es schon gemacht“, erklärte er zufrieden.

Wütend bohrte sie ihm den Zeigefinger in die Brust. „Das sind brutale Polizeimethoden. Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten beschweren.“

„Sie werden die Gelegenheit dazu bekommen.“ Und zwar viel schneller, als ihm lieb war. Ein kurzer Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass Captain D. C. Parker schon bald eintreffen würde. Nik wollte sich vorher unbedingt in Ruhe den Tatort ansehen.

„Noch besser, ich werde schreien.“

Hielt diese Frau denn niemals den Mund? Er sah ihr ins Gesicht, und einen Moment lang verspürte er wieder dieses eigenartige Gefühl, mit dem er bereits Bekanntschaft gemacht hatte. Aus dieser Nähe erinnerten ihre Augen ihn an einen schnell fließenden Fluss, einen, an dem vor Stromschnellen gewarnt wurde und der einen Mann glatt in die Tiefe ziehen konnte.

Plötzlich wurde er sich bewusst, wie nah er ihr war. Noch ein Schritt, und ihre Körper würden sich erneut berühren. Nur ein Schritt, und er könnte …

Nein. Nik versuchte, sich zusammenzureißen. Was war nur los mit ihm? Er war Polizist und sie Zeugin bei einem Verbrechen, in das der beste Freund seines Bruders verwickelt war. Darauf sollte er sich jetzt konzentrieren.

Trotzdem fiel es ihm schwer, sich von ihr loszureißen und zur Tür zu gehen, um zu sehen, was die beiden Kriminaltechniker im Nebenraum taten. Er nahm sein Handy und fasste einen Entschluss, um den er gerungen hatte, seit er Roman Oliver erkannt hatte. Er würde gegen eine Vorschrift verstoßen und seinen Bruder Kit anrufen, denn er brauchte eine zweite Meinung. Außerdem brauchte Roman jemanden an seiner Seite – zumindest bis sich alles geklärt hatte.

Erst als Detective Angelis zur Tür ging, wagte J. C. wieder zu atmen. Gleich würde auch ihr Verstand wieder arbeiten. Hoffte sie jedenfalls. Sie beobachtete, wie der Detective eine Nummer in sein Handy tippte. Es war keine gute Idee, ihn anzusehen, aber offenbar schaffte sie es einfach nicht, sich von seinem Anblick loszureißen.

„Hallo, Bruderherz, hier ist Nik.“

Es wird Zeit, der Realität ins Auge zu sehen, Jude Catherine, ermahnte sie sich. Dies ist Detective Nik Angelis. Er ermittelt in einem Fall. Einem Fall, in den sie verwickelt war. Jemand hatte versucht, sie zu töten. Es gab ziemlich beunruhigende Dinge, mit denen sie sich auseinandersetzen sollte. Dennoch war es schwer, die Wirkung zu vergessen, die dieser Mann auf sie gehabt hatte. Vor einem Moment erst, als er so nah vor ihr gestanden hatte, war er kurz davor gewesen, sie zu küssen. Wenn er es getan hätte …

Allein die Vorstellung löste ein sinnliches Kribbeln in ihrem ganzen Körper aus. J. C. atmete erneut tief durch. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie so auf einen Mann reagiert. Dabei hatte er sie nicht einmal geküsst! Noch nicht.

Sie musste sich wirklich zusammenreißen. Nik Angelis war ein Fremder, der trotz seines guten Aussehens ein nervtötender Cop war, zumindest was seine Art, sie zu behandeln, betraf.

J. C. bekam schon wieder Hunger. Wenn sie bloß daran gedacht hätte, sich ein paar von den Mandeln in die Tasche zu stecken. Dann fielen ihr die Kerzen ein …

Sie schaffte zwei kurze Schritte, bevor die Handschellen sie stoppten.

Nik wandte sich ihr zu und steckte sein Handy ein. „Sie gehen nirgendwohin.“

„Ich habe die Kerzen im Esszimmer brennen lassen. Jemand sollte nachsehen. Und könnten Sie denjenigen bitten, mir etwas zu essen zu bringen?“

„Wir sind hier nicht in einem Restaurant, und ich bin kein Kellner.“

„Wenn Sie einer wären, würden Sie mit Ihrer Einstellung jedenfalls nicht viel Trinkgeld verdienen.“

Sein Lächeln war unerwartet charmant. „Sie würden sich wundern.“

„Wenn Sie nicht wollen, dass das ganze Gebäude abbrennt, sollten Sie nach den Kerzen sehen.“

Scheinbar unbeeindruckt ging er zur Tür und winkte einen der uniformierten Polizisten zu sich. „Nehmen Sie jemanden mit, und sehen Sie sich im Pfarrhaus um. Im Esszimmer brennen noch Kerzen.“

„Und bringen Sie mir ein paar Mandeln mit“, rief J. C.

Der Officer sah Nik an, der ihm zunickte. Dann lehnte er sich gegen den Türrahmen und betrachtete J. C. „Miss Riley, lassen Sie uns noch einmal von vorn anfangen. Erzählen Sie mir, was Sie hier gemacht und gesehen haben.“

„Ich bin hier, weil ich für die Getränke und Speisen bei der Hochzeit gesorgt habe.“

„Ist das Ihr Van auf dem Parkplatz? Mit der Aufschrift ‚Have an Affair with J. C.‘?“

„Ja. Und Sie sind Detective Nik Angelis.“

„Vom San Francisco Police Department.“

Es folgte ein Moment des Schweigens, und J. C. dachte daran, dass sie sich beinah geküsst hätten, obwohl sie noch nicht einmal per Du waren.

„Haben Sie irgendeine Ahnung, was aus der Braut und dem Bräutigam geworden ist?“, wollte er schließlich wissen.

„Sie sind nicht tot?“

„Sie sind nicht einmal in der Kirche. Ebenso wenig die Blondine, die Sie erwähnt haben.“

„Haben Sie in dem Raum auf der Chorempore nachgesehen?“

„Der ist leer.“

Erleichtert presste J. C. eine Hand auf den Bauch. Hatte sie die ganze Zeit Angst gehabt, es könnte noch weitere Leichen geben, und waren Furcht und Adrenalin womöglich der Grund, weshalb Nik Angelis eine solche Wirkung auf sie gehabt hatte?

„Haben Sie sonst noch jemanden die Kirche betreten sehen?“

Schnell schüttelte sie den Kopf. „Nein.“

Er zückte ein Notizbuch. „Wann haben die Brautleute zum ersten Mal Kontakt zu Ihnen aufgenommen?“

„Gar nicht. Ich wusste nicht einmal, wer sie waren.“

Nik stutzte. „Sie lieferten Speisen und Getränke und kannten die Brautleute gar nicht?“

„Pater Mike hielt alles ganz geheim. Aber ihm rutschten die Namen Juliana und Paulo heraus. Ich hielt sie für nicht ganz so bedeutende Prominente. Gewinner des ‚Dschungelcamps‘ oder so.“

„Sie wussten also nicht, dass es sich um Juliana Oliver und Paulo Carlucci handelte?“

J. C. stieß einen langen Pfiff aus.

„Sie kennen sie also?“

„Nicht persönlich, aber ich kenne die Nachnamen. Die beiden Familien sind große Rivalen, was das Big Business angeht, richtig?“

„Kamen die Brautleute zusammen?“

„Nein. Ich brachte gerade den Kuchen rein, als die beiden Frauen mit einem Taxi ankamen. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass ich die Jüngere, Dunkelhaarige für die Braut hielt und die Blonde für die Brautjungfer. Pater Mike bat mich, für Champagner und Kuchen für fünf Personen zu sorgen – für Braut und Bräutigam, Trauzeugen und Brautjungfer und für ihn.“ Sie überlegte. „Vom Bodyguard hat er nichts gesagt.“

„Bodyguard?“

„Der Tote. Er hat den Bräutigam hergefahren. Sie müssen zugeben, dass er die Statur eines typischen Bodyguards besitzt. Natürlich könnte er auch Trauzeuge gewesen sein.“

„Wann kam Roman Oliver an?“

„Ungefähr fünf Minuten später. Zuerst erkannte ich ihn nicht, erst als die Auseinandersetzung losging und jemand seinen Namen rief.“

„Erzählen Sie mir von dieser Auseinandersetzung.“

J. C. beschrieb ihm die Geräusche und was sie sonst noch gehört hatte.

„Als ich die Schüsse hörte, rief ich die Polizei an und rannte in die Sakristei, wo ich beinah über den Toten gestolpert wäre. Dann erkannte ich Pater Mikes Stimme am Altar, und als ich hinging, sah ich diesen Mann mit der Skimaske, wie er die Waffe auf den Pater richtete.“

„Er trug eine Skimaske?“, fragte Nik nach.

„Ja.“

„Dann war es nicht Roman Oliver, der auf den Priester geschossen hat?“

„Nein.“

„Haben Sie Roman noch einmal gesehen, nachdem Sie die Sakristei betreten hatten?“

„Nein. Ich sah nur den Toten, Pater Mike und den Mann mit der Skimaske.“

„Sie stehen also im Türrahmen und sehen, wie der Mann mit der Skimaske mit einer Pistole auf Pater Mike zielt. Was geschah dann?“

„Ich schrie und warf mein Handy nach ihm. Ich traf ihn zwar, aber es war zu spät, um Pater Mike zu retten.“

„Möglicherweise nicht. Der Pater wurde in die Schulter getroffen, aber ich wette, der Schütze hatte auf sein Herz gezielt.“

„Oh.“ J. C. spürte, wie ihre Beine unter ihr nachzugeben drohten.

Im Nu war Nik bei ihr, kniete sich neben sie und nahm ihre Hände in seine. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie werden doch wohl nicht ohnmächtig, oder?“

„Ich werde nie ohnmächtig“, erwiderte sie trotzig. „Ich bin mit vier Brüdern aufgewachsen. Es gibt nicht viel, was ich noch nicht gesehen habe. Nur wird mir erst allmählich klar, was passiert ist.“

„Sir, hier sind die Mandeln.“

Nik ließ sich die kleine silberne Schale von dem Polizisten geben und reichte sie an J. C. weiter. Nachdem sie eine Handvoll gegessen hatte, sagte er: „Was passierte, nachdem Sie den Kerl mit der Skimaske mit Ihrem Handy getroffen hatten?“

„Er riss sich die Maske herunter und presste sie gegen den Hinterkopf. Ich muss ihn ziemlich hart getroffen haben. Dann drehte er sich um und richtete die Waffe auf mich.“ Sie umklammerte die Schale. „Seine Augen waren wie die einer Schlange. Als unsere Blicke sich begegneten, wusste ich, dass er mich töten würde. Also rannte ich los und versteckte mich im Schrank.“

Nik bewunderte ihren Mut. „Zurück zu der blonden Frau“, sagte er. „Wie sah sie aus?“

J. C. dachte nach und aß eine weitere Mandel. „Ich habe sie auf dem Weg in die Kirche nur von hinten gesehen. Sie war klein und zierlich. Ihr Kostüm wirkte teuer und modisch.“

„Das alles konnten Sie von hinten erkennen?“

„Klar“, bestätigte sie selbstbewusst.

„Wissen Sie, was dann geschah?“

Sie zuckte die Schultern. „Vielleicht hat Snake Eyes die beiden gekidnappt.“

„Möglicherweise.“ Dieses Szenario gefiel Nik ganz und gar nicht, doch verwerfen konnte er es leider nicht. „Da ich in der Nähe war, konnte ich wenige Minuten nach Ihrem Anruf bei der Polizei hier sein. Snake Eyes könnte die Sirene gehört haben und geflüchtet sein.“ Das hoffte er zumindest, denn in diesem Fall bestand die Chance, dass die geheimnisvolle Frau und die Brautleute ihm entkommen waren. „Erzählen Sie mir noch einmal von Snake Eyes. Alles, woran Sie sich erinnern können.“

Das tat sie, und Nik merkte, wie bei der Schilderung der Vorfälle ihre Angst zurückkehrte, daher nahm er ihre Hände erneut in seine.

„Ich brauche noch mehr Mandeln“, sagte sie, und ihre Stimme zitterte merklich.

Nik hatte eine andere Idee. Es verstieß zwar gegen sämtliche Vorschriften, doch seit sie aus diesem Schrank geklettert war, verspürte er das heftige Bedürfnis, sie zu küssen. Er hatte versucht, es zu ignorieren, aber jetzt war er nicht mehr sicher, ob er das überhaupt noch wollte. Immerhin war er derjenige in seiner Familie mit der leichtsinnigsten Ader. Kit war ein Träumer und Theo der Intellektuelle, der Politiker. Dadurch dass er Polizist geworden war, hatte Nik seine Neigung zum Leichtsinn in geordnete Bahnen gelenkt und – das hoffte er jedenfalls – in etwas Nützliches verwandelt. Trotzdem musste er die ganze Zeit daran denken, die Rothaarige zu küssen. Er sollte es tun, damit er endlich wieder einen klaren Kopf bekam.

„Probieren wir lieber das“, sagte er daher und verschloss ihre Lippen mit einem zärtlichen Kuss.

3. KAPITEL

Der Kuss war nicht so, wie J. C. erwartet hätte. Dieser Mann war ein Vulkan, das spürte sie, sah sie in seinen Augen. Daher hatte sie damit gerechnet, dass der Kuss wild und fordernd sein würde. Stattdessen berührten Niks Lippen ihre hauchzart.

Als er sich wieder von ihr löste, hielt sie sich an seinen starken Schultern fest. „Mehr“, flüsterte sie.

Nik küsste sie erneut, aber diesmal nicht mehr so sanft. Das wollte sie auch gar nicht. Sie fühlte seine harten Muskeln und den Druck seiner Finger – nur noch nicht dort, wo sie sie spüren wollte. Aber dieser Kuss ließ schon mehr von der Leidenschaft erahnen, die in diesem ungewöhnlichen Mann schlummerte.

Als sie sich wieder voneinander lösten, atmeten beide tief durch. Am liebsten hätte Nik sie gepackt und beendet, was er begonnen hatte, denn er sah das Verlangen in J. C.s Augen.

„Was …“ Das Wort klang atemlos, und sie schüttelte den Kopf, als versuche sie, ihre Benommenheit zu vertreiben.

Seine leichtsinnige Ader drohte die Oberhand zu gewinnen. Er konnte diese Frau haben. Er konnte die Tür abschließen und mit ihr schlafen. Es würde wild sein und verrückt und absolut … unmöglich.

Verdammt! Er hatte hier einen Job zu erledigen, und sie lenkte ihn davon ab. Er half ihr, sich wieder aufzurichten, und als er stand, merkte er, dass er selbst weiche Knie hatte.

„Wohin gehen Sie?“

Ihre Stimme klang jetzt sicherer, und er hoffte, dass das auch für ihn galt. „Das war toll, aber jetzt muss ich mich um meine Arbeit kümmern.“

Mit diesen Worten verließ er den Raum und hörte einen leisen Aufprall. Vermutlich war das die kleine silberne Schale, die von innen gegen die Tür flog und zu Boden fiel. Nik hätte fast gelächelt. Es war ein Fehler gewesen, J. C. Riley zu küssen, denn es hatte sein Verlangen nur verstärkt. Nun würde er herausfinden müssen, was er dagegen tun konnte.

Zwanzig Minuten später betrachteten Nik und Kit den mit Klebeband nachgezeichneten Umriss von Roman Olivers Körper, der noch vor Kurzem dort gelegen hatte. Nik hatte gewusst, dass sein Bruder sofort herkommen würde, wenn er ihm Bescheid sagte.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich mir mal den Raum oben ansehe?“, fragte Kit.

„Natürlich habe ich etwas dagegen“, erwiderte Nik. Aber hatte er Kit nicht genau deshalb benachrichtigt – um ihn in die Beweislage einzuweihen und seine Meinung zu hören? Er wollte genauso wenig wie sein Bruder glauben, dass Roman hinter der ganzen Sache steckte. Vor allem aber wollte er, dass jemand an diesem Fall arbeitete, der auf Romans Seite war. Als Cop musste Nik sich neutral verhalten. Einem Privatdetektiv blieb da mehr Spielraum. „Wann hat dich das je von etwas, das du dir in den Kopf gesetzt hast, abgehalten?“

„Nie.“

Kit gab seinem Bruder ein Paar Schuhüberzieher. „Komm bloß nicht meinen Leuten in die Quere, und rühr nichts an.“

„Keine Sorge, ich werde vorsichtig sein.“

In diesem Moment flog die Eingangstür hinter ihnen auf, und eine Stimme donnerte: „Da sind Sie ja, Detective Angelis.“

„Mist“, murmelte Nik. „Es sind der Polizeipräsident und mein Captain. Beeil dich oben. Von der Chorempore führt eine zweite Treppe hinunter in die Sakristei. Benutz die, wenn du gehst.“

J. C. zerrte an ihren Handschellen und ärgerte sich, dass Niks Bruder Kit keinen Schlüssel für die Dinger gehabt hatte. Er hätte sie bestimmt freigelassen. Die Unterhaltung zwischen ihnen war zwar nur kurz gewesen, als er ihr hier im Treppenhaus begegnet war, aber sie hatte ihn sofort sympathisch und charmant gefunden. Sie hatte ihn sogar beschuldigt, den „guten“ Cop zu spielen, den Nik ihr geschickt hatte, um sie zu verhören. Aber wenn sie nicht alles täuschte, war Kit Angelis aus anderen Gründen in dieser Kirche.

Und abgesehen von seinem hübschen Gesicht und den unglaublich blauen Augen, wäre sie nicht darauf gekommen, dass die beiden Männer verwandt waren. Während Kit freundlich und nett war, benahm Nik sich arrogant und grob.

Dass er sie mit Handschellen an den Heizkörper gefesselt hatte, würde sie ihm heimzahlen, auch wenn er sie so wundervoll geküsst hatte, dass sie dahingeschmolzen war.

Na schön, sie musste einräumen, dass das der wahre Grund für ihren Zorn auf den attraktiven Detective sein könnte. Oder dass er aufgehört hatte, sie zu küssen, und einfach wieder an die Arbeit gegangen war, so als würde er so etwas jeden Tag erleben.

Das Problem war die Wirkung, die er auf sie gehabt hatte. Was, wenn sie nie wieder einem Mann begegnete, der derartige Empfindungen in ihr weckte?

Du lieber Himmel. Sie setzte sich auf den Heizkörper und legte den Kopf in die Hände. Das absolut Schlimmste an der ganzen Sache war, dass sie ihn noch einmal küssen wollte. Dabei schien es auch keine Rolle zu spielen, dass sie ihn gar nicht ausstehen konnte.

Ihre Reaktion auf ihn ergab überhaupt keinen Sinn. Es sei denn, sie war auf einen Adrenalinstoß zurückzuführen. Dieser Gedanke hellte ihre Laune schon wieder auf. Vielleicht war das die Erklärung, denn Nik war definitiv nicht ihr Typ. Er besaß jede Menge Eigenschaften, die sie an einem Mann nicht mochte. Zum Beispiel war er aufdringlich und benahm sich unmöglich. Genau wie ihr Vater.

Oh, sie liebte ihren Vater, aber wenn es darum ging, Menschen zu manipulieren, um seinen Willen zu bekommen, war er unschlagbar. Patrick Riley war ein großer, mürrischer Bär, dessen Idol Joe Kennedy gewesen war, und genau wie J. F. K.s Dad wollte auch er eine Dynastie gründen. Seine zweite Ehe mit Alicia Hensen, reiche Erbin und Mitglied der Schickeria, hatte ihm zusätzlich zu seinen politischen Ambitionen Geld und Ansehen verschafft. Jetzt wollte er, dass seine Kinder heirateten und ebenfalls Kinder bekamen. Seltsamerweise wünschte ihre Stiefmutter sich das Gleiche. Die beiden straften die Theorie Lügen, nach der Gegensätze sich anzogen.

J. C.s Plan war es, ihren Eltern aus dem Weg zu gehen und ihre ganze Energie in den Aufbau ihres Partyservices zu stecken. „Have an Affair with J. C.“ war in San Francisco noch nicht sehr bekannt, aber das würde sich bald ändern. Bis dahin hielt es sie jedenfalls zu sehr in Atem, um sich mit den kultivierten Langweilern zu treffen, mit denen ihre Stiefmutter sie immer wieder zu verkuppeln versuchte.

Ihre beiden älteren Brüder waren bereits verheiratet und hatten für Nachwuchs gesorgt. Ihre jüngeren Brüder, die Zwillinge, leisteten in Annapolis ihren Militärdienst und hatten somit Aufschub gewährt bekommen. Das bedeutete, dass Patrick und Alicia Harwood Riley sich ganz auf J. C. konzentrierten. Ein Jahr lang hatte sie es geschafft, sich ihnen zu entziehen, indem sie die Kochschule in New York besuchte. Aber jetzt, wo sie zurück in San Francisco war, hatte sie nur noch die Arbeit als Ausrede. Die Hochzeiten, die sie mit ihrem Partyservice ausrichtete, waren ein echter Segen, zumal sie an den Wochenenden stattfanden – wenn man sich für gewöhnlich zu einem Date verabredete.

Der Gedanke an Pater Mike bedrückte sie sofort wieder, und erneut durchlebte sie diese Sekunden, die ihr wie in Zeitlupe vorgekommen waren – das Mündungsfeuer der Waffe und der ohrenbetäubende Knall. Sie wusste nicht einmal, wie ernst es um den Geistlichen stand. Detective Nik Angelis könnte sie wenigstens auf dem Laufenden halten, aber dazu fehlte ihm offenbar das nötige Feingefühl.

Sie schaute herunter auf ihre Handschellen. Irgendwann würde er sie wieder losmachen müssen, und dann konnte sie endlich gehen.

Sobald sie es ihm heimgezahlt hatte.

„Was wir hier haben, ist eine Zeitbombe“, verkündete Commissioner Galvin. „Glauben Sie, dass schon irgendetwas durchgesickert ist?“

„Schwer zu sagen, Sir.“ Nik ging voran zum Altar. Den Raum auf der Chorempore hatte er seinem Captain und dem Polizeipräsidenten schon gezeigt. „Ich habe den Kollegen Anweisungen gegeben, aber die Sanitäter arbeiten nun einmal nicht für das SFPD.“

„Wie lautet Ihre Einschätzung, Parker?“

„Ich schließe mich Angelis an“, antwortete Niks Boss. „Wir haben zwei verschwundene junge Menschen, einen verwundeten Priester und eine Leiche. Außerdem wäre da noch Roman Oliver, der ältere Bruder der Braut, der ein hinreichendes Motiv besaß, die Hochzeit zu verhindern, und der offensichtlich mit der Sache zu tun hat. Wir wissen nicht, welche Rolle die ältere Schwester gespielt hat, aber die Tatsache, dass auch sie verschwunden ist, lässt sie nicht gut dastehen.“

„Sie hat ihre Handtasche hiergelassen“, berichtete Nik. „Meiner Erfahrung nach macht eine Frau so etwas nicht. Möglicherweise hatte sie keine Zeit mehr, sie zu holen, weil sie den Brautleuten bei der Flucht half.“

„Hübsche Theorie, Detective“, bemerkte Parker. „In diesem Fall werden wir bald von ihr hören. Bevor die Medien Wind von der Sache bekommen und mit schlagzeilenträchtigeren Gründen für ihr Verschwinden aufwarten.“

„Für die Medien ist diese Geschichte ein gefundenes Fressen“, sagte Galvin. „Wir müssen die Brautleute finden, und zwar schnell.“

„Da bin ich ganz Ihrer Meinung.“ Nik war klar gewesen, dass weder der Captain noch der Polizeipräsident glücklich über die Situation sein würden. D. C. Parker mischte zwar in der Politik mit, aber er war trotzdem ein guter Polizist. Commissioner Galvin dagegen war lediglich an seinem eigenen Vorwärtskommen interessiert. Es hieß, er nutze seinen Posten als Sprungbrett ins Bürgermeisterbüro, um eines Tages vielleicht Gouverneur zu werden. „Der Priester sagte, jemand habe versucht, Braut und Bräutigam zu töten.“

„Aber Roman Oliver ist im Krankenhaus, da dürfte ihnen doch eigentlich keine Gefahr mehr drohen“, gab Commissioner Galvin zu bedenken.

„Wir wissen nicht, ob Roman dahintersteckt“, erinnerte Nik ihn.

„Er ist unser Hauptverdächtiger“, erklärte Galvin.

„Möglich, nur gibt es noch vieles, was wir nicht wissen“, entgegnete Nik. „Wenn Roman hinter der Sache steckt, riskiert er die Rache der Carluccis. Deshalb habe ich zwei Leute mit ins Krankenhaus geschickt. Wir werden ihn und Pater Mike rund um die Uhr bewachen müssen.“

„Gute Arbeit“, lobte Galvin ihn. „Was ist mit der Augenzeugin, der Frau vom Partyservice?“

„Die wird ebenfalls bewacht werden müssen. Der Mann, der auf Pater Mike geschossen hat, weiß, dass sie ihn identifizieren kann. Er hat seine Skimaske abgenommen, nachdem sie ihm ihr Handy an den Kopf geworfen hat.“ Nik führte die beiden Männer durch die Sakristei zu dem kleinen Treppenaufgang, wo er J. C. zurückgelassen hatte. Dort saß sie auf dem Heizkörper und warf Nik einen erbosten Blick zu.

Zu Niks Überraschung strahlte sie plötzlich übers ganze Gesicht. „Onkel Chad?“

„Jude Catherine? Was machst du denn hier?“ Commissioner Galvin trat vor und schloss J. C. in die Arme. Als sie die Umarmung zu erwidern versuchte, klirrten ihre Handschellen am Heizkörper.

„Was hat das zu bedeuten?“ Galvin schaute missbilligend auf die Handschellen und wandte sich an Nik. „Warum wurden meinem Patenkind Handschellen angelegt?“

„Das habe ich mich auch gerade gefragt, Detective Angelis“, meldete Parker sich zu Wort.

„Bürgermeister Riley wird darüber nicht sehr erfreut sein“, sagte Galvin. „Es wird kein Vergnügen für mich werden, ihm erklären zu müssen, dass ein Detective aus meiner Behörde seine einzige Tochter mit Handschellen angekettet hat.“

Nik schob die Hände in die Taschen seiner Jeans. Das hatte ihm noch gefehlt. Die kleine Rothaarige war Bürgermeister Rileys Tochter. Zumindest wusste er jetzt, weshalb sie andere Leute gern herumkommandierte.

„Ich verlange eine Erklärung, Angelis“, brachte Parker zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Ehe Nik etwas sagen konnte, kam J. C. ihm zuvor. „Er hat mich hier angekettet, damit ich in Sicherheit bin, während er sich auf den Tatort konzentriert. Er wollte nicht, dass ich aus Versehen Spuren verwische. Er hat also nur seinen Job getan.“

„Oh.“ Galvin richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf J. C. „Das erklärt aber noch nicht, was du eigentlich hier machst.“

Nik war verblüfft, dass sie gerade versucht hatte, seine Haut zu retten. Er wurde nicht ganz schlau aus seinen Gefühlen, die in ihm aufwallten, während er beobachtete, wie sie die Schultern straffte und das Kinn hob.

„Ich bin der Partyservice. Ich habe vor fast einem Jahr mein eigenes Unternehmen gegründet, Onkel Chad.“

„Das hat dein Vater nie erwähnt“, meinte Galvin.

„Nein …“

„Moment mal“, unterbrach der Polizeipräsident sie und wandte sich wieder an Nik. „Soll das heißen, sie ist die Frau, die den Mann identifizieren kann, der auf Pater Mike geschossen hat?“

„Allerdings“, bestätigte Nik.

„Sie braucht Polizeischutz“, wandte Galvin sich an Parker. „Ich will, dass Sie Ihren besten Mann dafür abstellen. Genau das wird nämlich auch ihr Vater verlangen, wenn ich ihm die Lage schildere.“

„Sie stehen meinem besten Mann gegenüber.“ Parker deutete auf Nik.

„Er?“, riefen Galvin und J. C. im Chor.

„Ja, er“, sagte Parker.

Galvin musterte Nik von Kopf bis Fuß. Dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. „Na ja, ich schätze, wenn er es geschafft hat, sie an den Heizkörper zu fesseln, wird er mit ihr fertig werden.“

Nik sah zu seinem Boss. „Sir, das ist mein Fall. Wollen Sie wirklich, dass ich für sie den Babysitter spiele?“

„So lautet Ihr neuer Auftrag, Angelis. Um den Fall kümmere ich mich persönlich. Ihre Aufgabe besteht darin, Miss Riley keine Sekunde mehr aus den Augen zu lassen, bis der Fall gelöst ist.“

Mist, dachte Nik, und wenn er J. C.s Miene richtig deutete, dachte sie genau dasselbe. Dies war nicht nur der Fall des Jahrhunderts, sondern noch dazu einer, in den jemand verwickelt war, der seiner Familie sehr nahestand. Und obendrein musste er für die Tochter des Bürgermeisters den Babysitter spielen.

Detective Nik Angelis war wütend, das spürte J. C. an seinem Griff, als er sie beim Verlassen der Kirche hinter sich herzog.

Beim Van blieb sie stehen. „Ich muss meine Tasche holen. Darin sind Sachen zum Umziehen. Ich nehme nicht an, dass Sie mich zu meiner Wohnung fahren.“

Er wartete schweigend, während sie die Hecktüren öffnete und eine Tasche aus dem Wagen holte. Fünf volle Minuten lang hatte er versucht, seinen Boss von diesem neuen Auftrag abzubringen, während sie versucht hatte, auf ihren Patenonkel einzuwirken. Das Schicksal war besiegelt gewesen, nachdem ihr Onkel ihren Vater angerufen hatte, um ihn davon zu überzeugen, dass nur Detective Angelis für diesen Job infrage kam. Anschließend hatte ihr Vater sich mit Captain Parker unterhalten, und damit war die Sache klar. Offenbar gab Detective Angelis ihr die Schuld dafür, dass er den Babysitter spielen musste.

Babysitter. Dieses Wort hatte er gegenüber seinem Vorgesetzten benutzt. Das machte sie immer noch wütend, weshalb sie ihm einen finsteren Blick zuwarf, während er sie um den Van herumführte.

„Was wird aus meinem Wagen?“, wollte sie wissen, als er seinen kleinen roten Sportwagen aufschloss, der absolut nicht nach einem Polizeifahrzeug aussah.

„Parker wird veranlassen, dass der Van zu Ihren Geschäftsräumen gebracht wird.“

„Und der Hochzeitskuchen?“

„Der Kuchen? Sie machen sich Sorgen wegen des Kuchens?“

„Schließlich habe ich ihn gebacken“, meinte sie. „Ich will nicht, dass er weggeschmissen wird. Richten Sie Ihrem Captain aus, dass er ihn zum Revier schicken kann. Es ist ein ausgezeichneter Kuchen, und wenn Cops Donuts essen, werden sie auch …“

„Lassen Sie mich eines klarstellen“, unterbrach er sie. „Meine Aufgabe besteht darin, Sie zu beschützen, nicht, Befehle von Ihnen entgegenzunehmen. Es wird die ganze Sache erheblich erleichtern, wenn Sie das nicht vergessen.“

Sein Griff um ihren Arm wurde fester, und er legte ihr die andere Hand auf den Rücken, um sie wie eine Kriminelle auf den Beifahrersitz seines Wagens zu bugsieren. J. C. stemmte sich mit der Hand auf die offene Tür und leistete Widerstand. „Jetzt passen Sie mal auf. Ich bin genauso unglücklich über die Situation wie Sie.“

„Ach ja, glauben Sie?“

Der Ausdruck in seinen Augen ließ ihren Mund trocken werden. Na schön, vielleicht war sie nicht ganz so unglücklich wie er. Aber warum nur? Ihr fiel der Besuch seines Bruders ein. Es war ihr seltsam vorgekommen, dass ein Familienmitglied eines Cops an einem Tatort herumspazierte. J. C. befeuchtete sich die Lippen. „Es geht gar nicht allein darum, dass Sie den Babysitter für mich spielen müssen. Dieser Fall betrifft Sie persönlich, nicht wahr?“

Nik kniff die Augen zusammen. „Schon möglich. Und jetzt steigen Sie ein.“

Erneut widerstand sie dem Druck seiner Hände. „Warten Sie! Es gibt eine Lösung. Ich habe einen Vorschlag. Ihnen ist sicher nicht entgangen, dass mein Vater ein echtes Talent dafür besitzt, jeden zu schikanieren, der ihm in die Quere kommt.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“

„Ich verfüge über fünfundzwanzig Jahre Erfahrung im Umgang mit ihm. Ich bin sicher, wir finden einen Weg …“

Nik umfasste ihr Kinn, kam ihr gefährlich nah und sagte: „Halten Sie den Mund, und steigen Sie in den Wagen.“

Als er zurückwich, damit sie seiner Aufforderung nachkommen konnte, nutzte sie die Chance, um ihn wegzustoßen. Da er damit nicht gerechnet hatte, stolperte er rückwärts und zog sie mit sich. In diesem Moment spürte sie einen stechenden Schmerz am Oberarm und hörte einen Knall. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, wurde sie zu Boden geworfen.

Benommen spürte sie den warmen Asphalt unter und Niks Gewicht auf sich. Er stieß einen Fluch aus, und aus irgendeinem Grund wirkte seine Stimme beruhigend auf sie. Er hob den Kopf und sah ihr ins Gesicht. „Alles in Ordnung?“

„Ich lebe noch.“

Nik zog seine Waffe und sein Handy. Er klappte es auf, wählte eine Nummer und sprach in angespanntem Ton mit jemandem.

J. C. fand, dass sie allmählich genug Schießereien mitbekommen hatte. „Wer hat da auf mich geschossen?“

„Ich tippe auf Ihren Freund Snake Eyes.“

Darauf hätte sie auch gewettet. „Das bedeutet, er hat auf mich gewartet.“

„Es sieht ganz danach aus. Und er will Ihren Tod offenbar sehr, wenn er es trotz der vielen Polizisten hier versucht.“

J. C. lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Wenn Sie mich nicht mit den Handschellen an den Heizkörper gefesselt hätten, wäre ich hinüber ins Pfarrhaus gelaufen, um die Kerzen auszupusten. Und dann hätte ich wahrscheinlich den Kuchen und den Champagner in den Lieferwagen geladen. Ich bin so. Wenn ich nervös bin, muss ich mich mit irgendwas beschäftigen.“ Sie zitterte. „Er hätte mich wie eine Ente am Schießstand erwischt.“

„Hat er aber nicht.“ Nik klang noch genauso angespannt wie beim Telefonieren. „Und das wird auch nicht passieren, verlassen Sie sich drauf. Mein Auftrag lautet, Sie zu beschützen, und ich bin gut in meinem Job.“

Das glaubte sie ihm sofort. Vermutlich würde sie ihm alles glauben, wenn er sie so ansah – als würde er sie durch und durch kennen. Erneut wurde sie sich seiner Nähe nur allzu bewusst, seines Gewichts auf ihr, der Wärme seines Körpers. Aus dieser Entfernung konnte sie die goldenen Tupfer im dunkleren Braun seiner Augen erkennen. Fasziniert beobachtete sie, wie seine Augen sich verdunkelten und nur noch sie wahrzunehmen schienen.

In der Ferne hörte sie Schreie und Schritte von rennenden Menschen. Trotzdem nahm sie nur Nik wahr, und zwar immer intensiver. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Beine gespreizt waren und seine dazwischen lagen. J. C. spürte ihn hart zwischen ihren Schenkeln. Sie bemerkte nicht mehr nur die goldenen Tupfer in seinen Augen, sondern las auch Verlangen in ihnen – offenbar so glühend und heftig wie ihr eigenes.

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, presste er sie an sich. Ein sinnliches Gefühl durchflutete sie. Er wiederholte diese Bewegung, was ihre Begierde noch weiter steigerte. Wenn er das nur noch ein einziges Mal tat, würde sie zum Höhepunkt kommen. Sie fühlte schon, wie dieser sich in kleinen Wellen ankündigte. Das musste sie unbedingt stoppen, nur war sie nicht mehr sicher, ob sie das noch konnte.

„Das scheint dir zu gefallen“, murmelte Nik.

Er merkt es, dachte sie. Er weiß genau, dass ich kurz vorm Höhepunkt bin.

„Ist alles in Ordnung mit ihr?“

Nik hob den Kopf, als Captain Parker ihn rief.

„Sie lebt“, antwortete er. „Haben Sie den Bastard schon gefunden?“

„Ich habe die Teams ausschwärmen lassen. Sie überprüfen die umliegenden Gebäude, von denen Ihrer Meinung nach geschossen worden sein könnte.“

J. C. hatte Mühe, sich auf das Gespräch der beiden Männer zu konzentrieren. Wie sollte sie auch, wenn Nik ihr so nah und sie so kurz vor einem Orgasmus war? Wenn einer von ihnen sich noch mal bewegte, würde sie kommen. Sie wagte nicht einmal zu atmen und musste sich zusammennehmen, um nicht die Beine um ihn zu schlingen und zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte.

„Bleiben Sie mit ihr lieber noch ein paar Minuten in Deckung“, sagte Parker, dessen Schritte sich danach wieder entfernten.

„Jetzt“, flüsterte Nik ihr ins Ohr und presste sich erneut fest an sie. „Komm für mich, jetzt.“

J. C. konnte nichts dagegen tun, konnte diese überwältigende Lust, die sich in ihr ausbreitete, nicht mehr aufhalten, daher gab sie sich diesem Mann einfach hin.

Sie verlor jedes Zeitgefühl, sodass sie keine Ahnung hatte, wie viele Sekunden oder Minuten vergangen waren, bis sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie hatte den Verdacht, dass ihre Welt völlig außer Kontrolle geraten war.

Fluchend richtete Nik sich auf. „Verdammt, dein Arm blutet. Warum hast du mir nicht gesagt, dass der Kerl dich getroffen hat?“

Jetzt bemerkte auch sie, dass ihr Hemd zerrissen und ein roter Fleck an ihrem Oberarm war. „Das hätte ich wohl, wenn du mich nicht abgelenkt hättest.“

Doch er hörte gar nicht zu, sondern gab per Handy Befehle für die Sanitäter durch, während er ihr half, sich aufzusetzen. Dann riss er ihr Hemd weiter auf. J. C. schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen den Wagen. Houston, wir haben ein Problem, dachte sie. Genau genommen mehr als ein Problem. Zunächst einmal wäre da Nik Angelis. Der Mann, der ihr gerade den besten Orgasmus ihres Lebens verschafft hatte – und dabei hatten sie sich noch nicht einmal ausgezogen. Mal ganz abgesehen davon, dass er sie nicht leiden konnte und sie den ersten Platz auf seiner Liste der meistgehassten Aufgaben eingenommen hatte.

Autor

Alison Kent
<p>Mit ihren prickelnden Liebesgeschichten und den spannenden Thrillern schrieb sich Alison Kent auf Anhieb in die Herzen der Leser. Ihre Romane wurden mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Romantic Times Award für das beste Romandebüt. Zusammen mit ihren drei Kindern, einem Hund und ihrem ganz persönlichen Helden lebt Alison...
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