Tiffany Pure Lust Band 18

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SÜNDHAFT VERFÜHRERISCH von KELLI IRELAND

Eine exklusive Hochzeitsfeier auf den Philippinen? Eine echte Herausforderung für Eventplanerin Ella! Alles könnte glattlaufen, wäre da nicht Liam, der sexy Bruder der Braut, der Ella ständig Steine in den Weg legt. Die beste Art, ihn zum Schweigen zu bringen, wäre ein langer intensiver Kuss – oder mehr. Doch darf Ella sich eine Affäre mit dem Bruder ihrer wichtigsten Kundin erlauben?

LOVER UNDERCOVER von STEPHANIE LONDON

Leidenschaftlich schmiegt Imogen sich in die Arme des maskierten Fremden und küsst ihn! Was man nicht alles tut, um für die Schwester zu spionieren. Doch dann stellt sie fest: Sie hat den falschen Mann geküsst! Es ist Caleb, ihr Kollege und nebenbei der schärfste Typ von ganz Melbourne. Allerdings hat Caleb Kontakte, durch die er an wichtige Informationen für Imogens Schwester kommen könnte ...


  • Erscheinungstag 17.08.2024
  • ISBN / Artikelnummer 8054240018
  • Seitenanzahl 320

Leseprobe

Kelli Ireland, Stefanie London

TIFFANY PURE LUST BAND 18

1. KAPITEL

Ella Montgomery lehnte die Stirn gegen das kleine Flugzeugfenster. Ihr Magen rebellierte, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie sah, wie der Boden rasch näher kam, während der Pilot allem Anschein nach Schwierigkeiten hatte, den Landeanflug der kleinen Maschine in den Passatwinden unter Kontrolle zu halten.

Fliegen rief Ella immer in Erinnerung, wie zerbrechlich das Leben war. Nur ein kleiner mechanischer Fehler oder eine Fehlberechnung beim Anflug, verdammt, sogar eine unvorhergesehene Böe konnte ausreichen, und sie würde von diesem Flug niemals zurückkehren. Für nichts im Leben gab es eine Garantie. Nichts wurde erstattet.

Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als die Reifen über den unebenen Asphalt der Landebahn hüpften und die Tragflächen sich so weit nach unten neigten, wie nichts Metallisches es jemals tun sollte.

Eine Schar wilder Hühner rannte aufgeregt ins Dickicht und reckte dort die Hälse, während der Hahn panisch versuchte, zu den Damen aufzuschließen.

Der Pilot bremste die zweimotorige Maschine ab, und der Ruck riss Ella nach vorn. Ihr Sitz schien eher für Individuen entworfen zu sein, die noch mit den Grundlagen von Addition und Subtraktion zu kämpfen hatten.

Mit beiden Händen umklammerte sie die Armlehnen, biss die Zähne zusammen und stand eine Landung durch, die sie eher an eine abgelegene Feldpiste in Wyoming denken ließ als an ihr heutiges Flugziel: Bora Bora in Französisch-Polynesien.

Die Cessna holperte die kurze Landebahn entlang, bog scharf ab und rollte zu dem Flughafengebäude des kleinen Privatflugplatzes, wo zwei genervte Bedienstete sich um das Gepäck kümmerten. Einer kroch in den Rumpf des Flugzeugs und warf die Gepäckstücke nach draußen, während der andere sie auffing und sie auf dem Asphalt zu einem kleinen Hügel auftürmte. Etwas abseits stand ein verloren wirkender Flughafenangestellter in weißer Uniform, der ein paar Blumenketten über dem Arm hielt.

Das Flugzeug war so klein, dass der Pilot nicht die Sprechanlage benutzte, sondern selbst aus der Kabine kam, um die Vordertür in dem Moment zu öffnen, als eine Gangway seitlich an das Flugzeug gerollt wurde. Das metallische Scheppern hallte in der kleinen Maschine wider.

Der Pilot richtete sich auf, so gut das in dem begrenzten Raum möglich war, und wandte sich an die Passagiere der achtsitzigen Maschine. „Ladys und Gentlemen, willkommen auf der wunderschönen Insel Bora Bora. Bitte nehmen Sie Ihr Handgepäck mit, Ihre Koffer befinden sich unten am Fuß der Treppe. Dort können Sie oder Ihr Fahrer es entgegennehmen.“

Ella saß in der zweiten Reihe, doch sie beschloss, den kurzen Ansturm der anderen Passagiere abzuwarten, die es nicht erwarten konnten, aus dieser Sardinenbüchse herauszukommen. Es sah lustig aus, wie die Leute sich verrenkten, um an ihr Gepäck zu gelangen und vorn zum Ausgang zu kommen.

Ein Mann, der auf der anderen Gangseite in derselben Reihe wie sie gesessen hatte, zerrte mit aller Kraft am Griff seiner großen Aktentasche, die er unter den Vordersitz gestopft hatte. Der Griff löste sich, und der Mann landete mit dem Hintern im Gang, wobei er gegen einen anderen Reisenden stieß, der neben Ellas Sitz stand.

Der andere Reisende wurde seitlich weggestoßen und ruderte wild mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren – doch er scheiterte. Auf ganzer Linie. Mit seinen langen Armen und noch längeren Beinen Halt und Stand suchend, landete er auf Ellas Schoß. Ein Knopf seines Jacketts wurde abgerissen und traf Ella an der Stirn. Unterlagen aus der Aktentasche des Fremden flogen umher, und ein Laptop landete auf Ellas Fuß.

„Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid“, wiederholte der Mann, der das Chaos verursacht hatte, während er sich die Aktentasche an die Brust drückte, Unterlagen und Laptop hineinstopfte und sich die Stirn abwischte.

„Kein Problem. So was passiert schon mal, wenn’s eng ist.“

Ohne Ella oder dem Fremden Hilfe anzubieten, schlurfte der Mann die paar Schritte zum Ausgang vorn im Flugzeug und stieg aus.

„Verstehe“, stellte der Mann auf Ellas Schoß mit perfektem britischem Akzent fest. „Manchmal muss man die Mitpassagiere eben mit der Hüfte wegstoßen.“ Er blickte ihr belustigt in die Augen. „Stimmt’s?“

Sie sollte nicht auf ihn eingehen. Sie wusste genau, dass sie das nicht sollte. Aber er war so verdammt attraktiv, wie er da flirtend auf ihrem Schoß saß. Die Herausforderung sprach so deutlich aus seinem Blick, dass Ella sich einfach nicht beherrschen konnte. Kokett neigte sie den Kopf zur Seite und blickte den Mann direkt an. „Ich schätze, das kommt wirklich drauf an.“

„Ach ja?“

Völlig ernsthaft nickte sie.

Einer seiner Mundwinkel zuckte. „Ich muss es unbedingt wissen: Worauf kommt es an?“

Sie setzte sich ein bisschen aufrechter hin, während er sich vertraulich zu ihr beugte. Mit den Lippen streifte sie seine Ohrmuschel, als sie antwortete: „Ich schätze, es kommt in erster Linie darauf an, ob Ihr Arsch es sich zur Gewohnheit gemacht hat, den Schoß von weiblichen Mitreisenden zu attackieren.“

„Okay, ich muss ehrlich sein. Das ist mein kleiner Nebenjob.“

„Offensichtlich.“

„Offensichtlich?“, hakte er mit ersticktem Lachen nach.

Der Fremde drehte und wand sich, während er versuchte, sich aus der Enge zwischen dem Vordersitz und Ellas Oberkörper zu befreien. Es gelang ihm, allerdings berührte er Ella dabei versehentlich seitlich an der Brust.

Bei der Berührung rang Ella scharf nach Luft.

Der Mann räusperte sich und blickte auf seine Aktentasche, die zwischen Ellas Beinen lag.

Nein, sie würde ihm nicht dabei helfen, sie aufzuheben. Auf keinen Fall. Und genauso wenig würde sie den Mann davon abhalten, die Tasche selbst aufzuheben.

Eine Sekunde lang betrachtete er Ella nachdenklich, dann griff er nach der Tasche, wobei er den Arm etwas weiter drehte als nötig. Dadurch glitt sein Handrücken an ihrer nackten Wade hinab.

Es kam ihr vor, als würde er leicht zittern, aber bei ihrer eigenen Reaktion konnte Ella sich da nicht sicher sein.

Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß, bevor sie ihm ins Gesicht sah. „Ganz offensichtlich benötigen Sie dringend zusätzliche Einkünfte. Anscheinend gibt es in den wohltätigen Shops in Ihrer Gegend die Hermès-Socken und die Rolex-Uhren nicht mehr in der neuesten Version.“ Sie sah ihm in die dunkelbraunen Augen, aus denen er ihren Blick eindringlich erwiderte.

Wie Schokoladensauce, dachte sie. Wenn ich jetzt eine Erdbeere wäre, würde ich sofort eintauchen.

Bei diesem Gedanken musste sie lächeln.

Der Fremde erwiderte ihr Lächeln. „Einen Penny für Ihre …“

„Nicht mal für hunderttausend Pennys. Aber danke.“ Es gelang ihr gerade noch, den kleinen Seufzer zu unterdrücken. Natürlich sprach er auch noch mit britischem Akzent. Das war ihr persönliches Kryptonit. Da wurde sie schwach. Unweigerlich.

Ella strich sich übers Haar und musste sich beherrschen, um sich nicht Luft zuzufächeln. „Also, wenn Sie mir gesagt hätten, das hier sei Ihr erster Lapdance, dann hätte ich gesagt: ’Nicht schlecht. Aber dann haben Sie die strikte Nicht-Berühren-Regel gebrochen.“

„Mein erster? Ha.“ Er strich sich eine störrische Strähne aus der Stirn. „Sie merken doch sehr genau, dass das hier einfach perfekt läuft. Gleich beim ersten Dance muss ich Sie beeindrucken. Den gibt’s bei mir übrigens immer gratis. Dann müssen Sie für den zweiten Tanz bezahlen, bei dem ich Sie mit meinen ganz persönlichen Moves sprachlos mache. Und glauben Sie mir, Lady“, jetzt war seine Stimme kaum noch lauter als ein Raunen, „ich bin perfekt darin, die ganze Zeit über Profi zu bleiben. Alles ist Teil des Jobs, auch das Vergnügen.“

Sie stieß ein Lachen aus und suchte ihre eigenen Sachen zusammen. „Persönliche Moves. Ganz schön überzeugt von sich selbst, Mr. Oxford.“ Verdammt, dieser Mann roch gut! Das Rasierwasser duftete nach stürmischer Küste, dazu der warme Duft seines Wollanzugs und die Wärme seiner Haut. Es roch nach ihm.

Ella atmete tief ein und schloss kurz die Augen, bevor sie wieder hochsah, um seinen Blick zu erwidern. „Ich könnte mir vorstellen, dass Sie ausreichend Gelegenheit hatten, diese Moves zu perfektionieren. Und natürlich haben Sie als echter Profi immer Distanz bewahrt.“

Er senkte das Kinn, beugte sich leicht vor und kam ihr ganz nah. „Zahlen Sie und finden es selbst heraus“, stellte er leise, aber ohne jeden Zweifel verführerisch fest. „Es ist ganz bequem für Sie. Ich akzeptiere alle bekannten Kreditkarten, sogar Diner’s Club. Bargeld geht auch. Wie es der Lady am liebsten ist.“

Ihre Mundwinkel zuckten, und verheißungsvoll schlug sie die Augen nieder. „Das Bargeld hebe ich mir lieber fürs Trinkgeld auf.“

„Ich Glückspilz“, stellte er leise fest.

Vom Cockpit her hörte man das Räuspern des Piloten, der offensichtlich gegen ein Lachen ankämpfte.

Ella warf dem Fremden einen listigen Blick zu. „Wie es aussieht, sind wir erwischt worden.“

„Wir tun ja nichts Schlimmes.“

„Ach, nein? Sind Sie auch darin Experte?“

Er beugte sich so weit zu ihr, dass diesmal seine Lippen ganz dicht vor ihrem Ohr schwebten. „Ein echter Profi. Meinen Ratschlag gibt es völlig kostenlos.“

Ella überkam so etwas wie Hysterie. Was, wenn dieser Kerl tatsächlich ein Gigolo war? Wäre das nicht das Tüpfelchen auf dem i? Wie die Kirsche oben auf der Hochzeitstorte, die sie erst noch entwerfen musste.

Kopfschüttelnd tätschelte sie dem Mann die Außenseite des Oberschenkels. „Leider mache ich mich nicht gern vor den Augen anderer zum Narren. Zeit zu gehen.“

„Wirklich schade.“ Mit einem kurzen Nicken deutete er zu der kleinen Kuriertasche, die noch über ihren Köpfen in einem der Gepäckfächer lag. „Ihre Tasche?“

„Yep.“ Sie strich sich den Rock glatt, stand auf und wollte sich gerade recken, als sie sah, dass er ihr die Tasche bereits aus dem Fach geholt hatte und ihr hinhielt.

In diesem Moment sah er sie vollkommen offen und ehrlich an. Kein sexy Flirt, kein Scherz. Es war der Blick. Der Jäger, der seine Beute mustert. „Ich begleite Sie noch bis zum Fuß der Treppe. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“

„Danke“, brachte sie heraus. Der pure Sex, den dieser Mann ausstrahlte, ließ sie fast die Beine zusammenpressen und aneinanderreiben. Es ging doch nichts darüber, den entscheidendsten Job ihres Lebens damit zu beginnen, dass sie sich völlig unprofessionell auf einen umwerfenden Mann einließ.

Und schließlich war sie nur wegen dieses Jobs hier. Dies war nicht irgendein Job. Es war der Job. Mit diesem Auftrag würde sie ihre Karriere wieder in Schwung bringen, die am seidenen Faden hing, seit ihr Geschäftspartner Rob Darlain sie im Stich gelassen hatte.

Rob war mit ihrem gemeinsamen Entwurf einer TV-Show zum nächstbesten Lokalsender gelaufen. Dort hatte man ihm die Show gegeben, und er hatte regionalen Ruhm geerntet. Dadurch waren die landesweiten Sender auf ihn aufmerksam geworden und hatten Kontakt zu ihm aufgenommen.

Und Ella? Sie hatte Kindergeburtstagspartys geplant und Bar-Mizwas organisiert anstelle von exklusiven Luxus-Events, wofür sie und Rob bekannt geworden waren. Obendrein hatte er noch behauptet, er sei der eigentliche Koordinator und Eventplaner gewesen, während Ella ihm nur geholfen habe.

Der Vertrag, den Ella jetzt in ihrer Tasche bei sich trug, war nicht nur ihre Chance zu beweisen, wie sehr ihr Ex-Partner log, sondern auch die Gelegenheit für ihr Comeback im großen Stil. Dieser Event würde ihr Unternehmen und ihren Namen wieder ganz nach oben auf die Liste der Event-Planer bringen, die von den besten Gesellschaftskreisen engagiert wurden.

Ella ging dem Fremden voraus zum Ausgang, wobei sie sich leicht ducken musste, weil sie der niedrigen Kabinendecke durch ihre High Heels noch näher kam. Für jede Frau gab es Dinge, auf die sie unter keinen Umständen verzichten wollte. Bei manchen war es die Kaffeesorte, bei anderen die Hautcreme oder die Mitgliedschaft im Fitnessclub. Bei Ella standen Schuhe auf dieser Liste fast ganz oben. Die High Heels, die sie heute trug, hatte sie sehr sorgfältig ausgewählt. Es war ihr einziges Paar Louboutins. Monatelang hatte sie darauf gespart, als es ihr finanziell noch gut gegangen war. Diese Schuhe waren ihr Symbol der Stärke, sie setzten ein Statement und ließen keinen Widerspruch zu. Für Ella waren diese Schuhe ihr persönlicher Glücksbringer und ihr Symbol von Macht und Führung. Das mochten andere vielleicht albern finden, aber schließlich waren es nicht die Stimmen dieser Menschen, die Ella ständig in ihrem Kopf hörte und die von ihr verlangten, in dem, was sie tat, die Beste zu sein.

Ella seufzte.

Falls sie bei diesem Auftrag ablieferte, dann … Nein. Sobald sie diesen Auftrag erfolgreich abgeschlossen hatte, würde sie sich keine Gedanken mehr zu machen brauchen, ob sie lieber Gas, Strom und Wasser bezahlen oder den Kühlschrank befüllen sollte.

Weil es in der High Society von Los Angeles nun mal so üblich war, hatte Ella eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterzeichnen müssen. Bis zum Tag vor der Hochzeitsprobe würde sie nicht einmal erfahren, wer die Braut und der Bräutigam waren. Daher hatte Ella eingewilligt, ihre Arbeit nicht mit der Braut abzustimmen, sondern mit einem von der Braut bestimmten Repräsentanten. Diese Frau – oder dieser Mann – würde das letzte Wort bei jeder von Ellas Entscheidungen haben. Vertraglich vereinbart war außerdem, dass dieser Stellvertreter selbst Vorschläge oder Änderungen veranlassen konnte, wie es ihm oder ihr gefiel.

Wenn Ella nicht so verzweifelt ihre Karriere wieder ankurbeln müsste, weil sie es leid war, sich von Tütensuppen zu ernähren, hätte sie bei diesen Bedingungen sicher abgewinkt. Aber sie brauchte diesen Auftrag noch mehr als die Braut eine „unbekannte“ Eventplanerin, bei der niemand damit rechnen würde, dass sie die Hochzeit des Jahres koordinierte.

Wie auch immer. Es würde schon klappen.

Das musste es einfach.

Ella war bereit, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, wenn sie dadurch diese Hochzeit reibungslos über die Bühne brachte. Sie hatte zu lange und zu hart gearbeitet, um sich mit weniger zufriedenzugeben. Und wenn sie versagte?

„Dazu wird es nicht kommen“, sagte sie leise zu sich selbst.

Der Shuttlebus des Resorts hielt neben dem Flugzeug.

Ella umkurvte einige Hühner, die sich wieder auf die Landebahn getraut hatten, hievte sich die Kuriertasche über die Schulter, zog den Haltegriff ihres Rollkoffers heraus und ging auf den Bus zu.

Ihr blieben sieben Tage, um den gesellschaftlichen Event des Jahres auf die Beine zu stellen. Dieser Event würde Geld auf ihr Konto spülen, ihren geschäftlichen Ruf wiederherstellen und ihr vielleicht sogar das Wertvollste wiedergeben, das sie in den letzten Jahren verloren hatte.

Ihre Selbstachtung.

Liam Baggett entfernte sich viel langsamer von dem Flugzeug als die Frau, auf deren Schoß er gelandet war. Schade, dass sie seinem Charme nicht erlegen war. Wenn er auch nur den Bruchteil des berüchtigten Charismas der Baggetts hätte, hätte die Frau ihm zumindest ihre Nummer gegeben. Warum sollte er bei diesem Trip auf jede angenehme Ablenkung verzichten? Zumal, wenn sich eine so umwerfende Ablenkung in greifbarer Nähe befand?

Wieder sah er in ihre Richtung und beobachtete, wie sie versuchte, einem ziemlich großen Hahn auszuweichen. Auf eine ungewöhnliche Weise wirkte diese Frau beeindruckend. Ihr Mund war ein bisschen zu breit, aber sie hatte sehr sinnliche Lippen. Ihre Augen hatten ein faszinierendes Grün, und ihr Haar schimmerte in unterschiedlichen Brauntönen. Da hatte eindeutig jemand mit großem Talent das, was die Natur ihr mitgegeben hatte, kunstvoll so zur Geltung gebracht, dass es perfekt zu ihrer hellen Haut passte. Die Frau hatte eine fantastische Figur, die er kurz – viel zu kurz – in die Finger bekommen hatte. Erst als die Frau vor ihm zum Ausgang des Flugzeugs gegangen war, waren Liam ihre Beine aufgefallen. Wenn er ehrlich war, hatten diese wohlgeformten langen Beine ihn so abgelenkt, dass er sich beinahe den Kopf an der Flugzeugtür gestoßen hätte.

Schnell blinzelnd riss er sich zusammen. Egal, wie schön diese Frau war, er durfte sich nicht ablenken lassen. Er musste ein Leben retten und ein anderes zerstören, bevor er nach London zurückflog und weiter das Firmenimperium seines verstorbenen Vaters leitete.

Mit vorhersehbarer Unvorhersehbarkeit zerzauste der Passatwind ihm die Haare.

Hättest dir die verdammte Mähne vor dem Abflug noch schneiden lassen sollen.

„Wenn ich dafür noch Zeit gehabt hätte, hätte ich das sicher gemacht“, beschwerte er sich bei niemandem außer der Henne, die sich anscheinend in seine schimmernden Schuhe verliebt hatte. „Verdammter Vogel, du bist keine Elster. Flatter zurück zu deinem Bauernhof.“ Er verscheuchte das Huhn mit dem Fuß, doch es kam sofort zurückgeeilt, um das Objekt seiner Begierde weiter anzuhimmeln.

Der einzige Vorteil der Böen bestand darin, dass sie die Temperatur erträglich machten. Für einen Engländer, der die Sonne im Durchschnitt nur jeden dritten Tag sah, vorausgesetzt, er konnte vor Sonnenuntergang das Büro verlassen, war es hier verdammt heiß.

Er blickte sich auf der Landebahn um und entdeckte den wartenden Shuttlebus zum Resort, der alle Türen geöffnet hatte. Hinten stand der Fahrer, um das Gepäck einzuladen.

Liam nahm seine Reisetaschen, ging zum Bus und übergab dem Fahrer sein gesamtes Gepäck außer der Aktentasche. Gerade als er den Van von der Beifahrerseite betreten wollte, hielt er inne. Die Frau, die ihn gerade eben so fasziniert hatte, saß ganz hinten im Fahrzeug und tippte rasend schnell Notizen in ihr iPad.

Schweigend nahm Liam Platz, während er seine Mitreisende unablässig beobachtete.

Energisch schloss der Fahrer die Türen, bevor er sich hinters Lenkrad setzte, den Van startete, einen Gang einlegte und losfuhr. Er war noch keine hundert Meter gefahren, als er in den Rückspiegel schaute statt nach vorn auf die Straße und ganz lässig die Frau ansprach. „Die Straßen zum Resort sind ein bisschen holprig, Miss. Sie sollten lieber aufhören zu tippen, bis wir da sind.“

Dann gab er Gas, und der Bus raste in halsbrecherischer Geschwindigkeit los – direkt durch ein riesiges Schlagloch.

Hektisch klappte die Frau die Hülle ihres iPads zu und umklammerte es, damit es nicht zu Boden fiel. Leicht genervt erwiderte sie den Blick des Fahrers. „Ein bisschen holprig, ja?“

Der Mann lachte. „Warten Sie, bis wir ins Verkehrschaos kommen. Hier auf Bora Bora sind das Autos und Motorräder, Mofas, Mopeds und auch ein paar Eselkarren.“

Ohne weiteren Kommentar verstaute sie das iPad in ihrer Tasche, und Liam bemerkte, dass ihre Schultern dem Schwanken und Ruckeln des Vans nicht folgten. Ihre Halsmuskeln traten angespannt hervor, und trotz der Sonnenbrille konnte er die feinen Stress- und Sorgenfältchen in ihren Augenwinkeln ausmachen.

Gerade als er etwas sagen und den Flirt aus dem Flugzeug fortführen wollte, wandte die Frau sich ab, griff in ihre Tasche und holte eine Packung Ibuprofen hervor. Sie zog zwei Pillen heraus und warf sie sich in den Mund. Da sie kein Wasser zum Runterspülen hatte, schluckte sie sie mühsam trocken hinunter.

Was kann so schlimm sein, dass eine Frau, die gerade im Paradies gelandet ist, etwas gegen Kopfschmerzen einnehmen muss? Und wieso mache ich mir darüber Gedanken? Diese verdammte Reise sollte mir selbst genug Kopfschmerzen bereiten.

Trotzdem …

Seine Erziehung als Gentleman verlangte von Liam, dass er etwas unternahm, um die Frau abzulenken. Deshalb beugte er sich zu ihr. „Im Reisebüro hat man mir versichert, dass das gesamte Resort eine kopfschmerzfreie Zone sei.“

Die Frau drehte sich zu ihm um und riss erschrocken die Augen auf, während sie sich eine Strähne zurückstrich, die sich aus ihrem Chignon gelöst hatte. Als sie Liam erkannte, wurde ihr Blick wärmer. „Sie“, stellte sie lächelnd fest.

„Und Sie auch.“

„Was tun Sie …“ Sie schüttelte den Kopf. „Spielt keine Rolle.“

„Offenbar haben Sie bei der Auswahl der Unterbringung denselben erstklassigen Geschmack wie beim Reiseziel.“ Mit einem Nicken deutete er zum Fahrer, der sich durch den langsamen Verkehr schlängelte, als sei der zehnsitzige Van ein Rennwagen auf der Piste von Le Mans. „Das ‚Royal Crescent‘ ist ein Luxus-Resort. Für den Fall, dass Sie keine Cabaña direkt am Wasser gebucht haben, sollten Sie sich unbedingt ein Upgrade holen.“

„Ehrlich gesagt habe ich ein Zimmer direkt im Resort.“ Als er nichts darauf erwiderte und sie nur weiter ansah, zuckte sie mit den Schultern. „Das reicht für meine Bedürfnisse aus.“

„Manchmal sollte man nicht nur seine Bedürfnisse befriedigen, sondern sein tiefstes Verlangen stillen, finden Sie nicht?“

Über seine Schulter hinweg sah sie ins Nichts und tippte sich dabei an die Unterlippe, als würde sie konzentriert über seine Frage nachdenken. Nur wenige Sekunden später blickte sie ihm in die Augen.

Der leicht verruchte Ausdruck in diesen unfassbar grünen Augen verriet ihm, dass diese Frau auch austeilte, wenn sie einstecken musste. „Ehrlich gesagt, nein. Ich bin der Überzeugung, dass eine Frau ihr tiefstes Verlangen nicht lange aufschieben sollte. Eine kluge Frau sollte dieses Verlangen, auf was – oder auf wen – es sich auch bezieht, ganz oben auf ihre To-do-Liste setzen. Finden Sie nicht?“

Fragend zog sie eine ihrer dunklen Brauen hoch wie eine wortlose Herausforderung.

Er hatte sie ködern wollen, und ganz offensichtlich wusste sie das. Allerdings hätte Liam nie damit gerechnet, dass sie anbeißen würde. Beim Gedanken, die ausgeworfene Angel jetzt einzuholen, schlug ihm das Herz ein bisschen schneller, und das Atmen fiel ihm etwas schwerer. Es gefiel ihm. Sie gefiel ihm. Die Aufregung der Jagd erschien ihm verlockend.

Sachte strich er ihr mit den Fingerspitzen über die gebräunte Schulter.

Sie atmete tief ein.

Er lächelte, weil er genau wusste, dass ihr bei seinem Raubtierblick der Puls schneller ging. Wie oft hatte man ihm schon diesen besonderen Blick vorgeworfen, wenn er im Konferenzraum oder auch im Schlafzimmer genau das entdeckte, was er haben wollte! Jetzt, in diesem Moment, wollte er nur eins: diese Frau.

„Touché“, stellte er leise fest und setzte sich etwas bequemer hin, um den Druck seiner wachsenden Erregung zu lindern.

Die Frau lachte auf, und der tiefe, sinnliche und verheißungsvolle Klang erinnerte ihn an den ersten genießerischen Schluck von einem edlen Scotch. Ihr Lachen durchströmte ihn, verklärte ihm die Gedanken und ließ alles außer ihr wie in einem Nebel versinken.

„Sie starren mich an“, stellte sie leise fest.

„Das tue ich.“

Die Frau zog die Brauen höher. „Dann … hören Sie damit auf?“

„Das werde ich.“

„Wann?“

Liam zog eine Schulter hoch. „Wenn ich mit Starren fertig bin.“

Sie drehte sich auf ihrem Platz zur Seite und blickte nach draußen. „Die Landschaft ist sehr schön.“

„Das ist sie ganz sicher“, erwiderte Liam, und sie wandte sich ihm wieder zu. Sie holte tief Luft wie zu einer scharfen Erwiderung, doch Liam sah nicht zu ihr, sondern zu der dichten Dschungellandschaft draußen.

Die leichte Röte, die sich von ihrem Dekolleté über ihren Hals ausbreitete, sah niedlich aus, obwohl Liam vermutete, dass die Frau da anderer Ansicht war. Laut seiner Erfahrung gefiel es den wenigsten Frauen, als niedlich bezeichnet zu werden. Und die – eher jugendlichen – Frauen, die es als Kompliment auffassten, waren nicht Liams Typ.

Aber diese Frau mit ihrem hellwachen Verstand und ihrem aufregenden Körper, die sich nur auf ihr Ziel zu konzentrieren schien, war genau sein Typ, und sie weckte sein Interesse.

Da sie im selben Resort wohnte wie er, würden ihre Wege sich ganz bestimmt kreuzen.

Liam lächelte.

Vielleicht würde diese Reise doch nicht nur aus lästiger Pflicht bestehen.

2. KAPITEL

Der Fahrer raste durch die elegante Toreinfahrt und blieb so abrupt vor dem Eingang des Resorts stehen, dass der Van noch mehrmals vor und zurück wippte wie ein Schaukelpferd.

Als Ella sich endlich davon überzeugen konnte, dass sie tatsächlich angehalten hatten, stoppte sie gedanklich die Zeit, nur für den Fall, dass sie von den Hochzeitsgästen nach der Fahrtdauer gefragt wurde, falls jemand von ihnen ein Taxi nahm.

Sie entspannte ihren klammernden Griff um die Armlehnen, und als sie zum Ausstieg ging, kam es ihr vor, als wäre jeder einzelne ihrer Muskeln verspannt. Deshalb nahm sie auch die hilfreiche Hand, die ihr beim Aussteigen entgegengestreckt wurde. Doch es war nicht der Fahrer, sondern ihr Mitfahrer, der Fremde, den sie viel zu anziehend fand. Er war schnell und leise ausgestiegen, unerwartet um den Shuttle-Van herumgegangen und erwartete sie an der offenen Tür.

Sie zögerte.

Er wartete.

Wieso zögerte sie überhaupt? Entnervt von sich selbst festigte sie ihren Griff und stieg aus. Schließlich ging es bei der Geste nur um Höflichkeit. Okay, er hatte vorher mit ihr geflirtet, aber das war doch vollkommen harmlos gewesen. Größtenteils jedenfalls. Das eigentliche Problem bestand darin, dass sie sich danach sehnte, auf den Flirt einzugehen. Aber das würde in eine Richtung führen, die auf dieser Reise für sie tabu war. Eine kleine Eskapade würde ihr professionelles Verhalten infrage stellen. Andererseits …

Sie blickte sich um und sah, dass der Mann sie unverwandt musterte.

Verdammt.

Sie kehrte ihm wieder den Rücken zu und bestärkte sich selbst in dem Entschluss, jedem privaten Vergnügen aus dem Weg zu gehen. Männer wie er liefen einem ohnehin nicht oft über den Weg. Ein Glück. Er war genau die Art von Ablenkung, die sie sich jetzt nicht leisten durfte. Jedenfalls nicht auf dieser Reise, schließlich hing ihre gesamte Zukunft vom Erfolg dieses Auftrags ab.

Sie ging weiter und erwiderte das Lächeln des Portiers, der sie in die klimatisierte Lobby bat.

„Willkommen im Royal Crescent. Um Ihr Gepäck brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Sobald Sie eingecheckt haben, wird ein Page es Ihnen aufs Zimmer bringen.“

„Vielen Dank“, erwiderte sie. Seufzend ließ sie sich die kühle Luft über die nackten Arme und Beine streichen. Dem Herrn sei Dank für die Erfindung der Klimaanlage!

Das Resort machte einen klassisch-edlen Eindruck, als habe hier jemand vergeblich versucht, seinen Reichtum zu verbergen. Es gab kleine, aber unübersehbare Hinweise auf Geld und Luxus.

Ein ganz in Weiß gekleideter Herr mit einem Tablett näherte sich und bot ihr ein Glas Champagner an, in dem sich eine einzelne Erdbeere in den nach oben perlenden Bläschen drehte.

Ella trank einen Schluck und seufzte erneut. Gut gekühlt, und der trockene Champagner passte hervorragend zur Süße der Erdbeere.

Dieses Resort würde die perfekte Umgebung für die Hochzeit bieten, die Ella geplant hatte.

Sie schaute sich in der Lobby um. Der Empfangstresen war mit drei Angestellten besetzt. Der Leitende war ein Mann um die fünfzig. Er stand auf und kam strahlend lächelnd auf sie zu. Dem Kellner mit dem Tablett flüsterte er schnell etwas ins Ohr, woraufhin der Kellner nickte und an Ella vorbeiging, um der Person hinter ihr ein Glas anzubieten.

Ella brauchte sich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, wer dieser Gast war.

Sie spürte die Hitze, seine Hitze, am Rücken. Schlagartig schien die Klimaanlage keinerlei Wirkung mehr zu haben. Ihre Muskeln, die sich nach der aufreibenden Fahrt endlich entspannt hatten, schienen sich in Pudding zu verwandeln. Der Drang, die Distanz zu dem Mann zu überwinden, einen Schritt nach hinten zu machen und den bestimmt muskulösen, festen Körper zu spüren, war fast unwiderstehlich. Mit seinen kräftigen Händen und Armen hatte der Mann sie im Flugzeug an ihren Sitz gedrückt. Bei der Erinnerung daran verlagerte sie unweigerlich das Gewicht auf die Fersen.

Verdammt, was ist bloß mit mir los?

Ella glaubte an Anziehung auf den ersten Blick. Manche nannten das Chemie. Aber die Art, wie sie auf diesen vollkommen Fremden reagierte, ging über alles hinaus, was sie jemals erlebt hatte, und das gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht. Es kam ihr vor, als würde ihre Selbstbeherrschung wild und unaufhörlich attackiert wie von einem hektisch hämmernden Specht unter Drogeneinfluss.

Unbezähmbare, maßlose Lust. Anders ließ es sich nicht bezeichnen.

Die Erkenntnis lähmte ihren Verstand und ließ sie die tiefen, erdigen Nuancen des Rasierwassers des Mannes wahrnehmen. Sie roch das Leder seiner Aktentasche, und bei jeder leisen Bewegung hörte sie das flüsternde Geräusch von Seide an Wolle.

„Madam?“

Ella blinzelte hektisch und konzentrierte sich wieder auf den Mann, von dem sie annahm, dass er der Concierge war. „Entschuldigung, könnten Sie das wiederholen? Ich fürchte, ich war kurz in Gedanken.“

„Ich sagte, dass mein Name Arvin ist. Ich bin der leitende Event-Koordinator dieses Resorts. Einer Frau, die schon bald verheiratet sein wird, kann man es nicht verübeln, wenn ihre Gedanken ein bisschen abschweifen.“ Sein Lächeln verstärkte sich. „Erst recht nicht, wenn sie sich in einer so romantischen Umgebung wie dieser befindet. Habe ich recht?“

Ella runzelte die Stirn, wie sie es unter Stress immer tat. Ihre Mutter behauptete, das habe sie schon als Dreijährige getan, und wenn sie sich das nicht abgewöhnte, würde sie spätestens mit vierzig tiefe Furchen zwischen den Brauen haben. Gedankenverloren drückte sie sich mit den Fingerspitzen an die Nasenwurzel, um dort die Haut zu glätten. „Tut mir leid, aber … Wer wird hier schon bald verheiratet sein?“

Das Lächeln des Event-Koordinators erstarb kurz, als er zwischen Ella und dem Fremden hin- und hersah, von dem Ella wusste, dass er in Hörweite hinter ihr stand. „Ich … also … Sie, Madam.“ Er hob sein Klemmbrett mit ausgedruckten Informationen und an den Rand gekritzelten Notizen. „Mein Team und ich haben unermüdlich an den Vorbereitungen der Zeremonie gearbeitet, genau wie Sie es gewünscht haben.“ Er sah auf seine Notizen und listete die einzelnen Punkte auf. „Der Termin für das Probieren der Torte steht, die Treffen mit drei Floristen sind arrangiert, ein Streichquartett wird heute Abend in der Lobby auftreten, damit Sie sich einen Eindruck von ihnen machen können. Außerdem gibt es ein …“

„Ich werde nicht heiraten“, unterbrach sie ihn. „Ich bin hier, um die Hochzeit zu koordinieren.“

„Nein.“ Aus dem Einwand in erstklassigem britischem Akzent klang pure Ungläubigkeit. „Nicht Sie.“

Langsam drehte Ella sich zu dem gut aussehenden Fremden um und versuchte, die Fassung zu bewahren. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie damit meinen.“

„Meine Schwester hat Sie engagiert für die Koordination von … dem hier?“ Er ließ die Aktentasche fallen, wedelte ausholend mit den Händen und deutete auf die gesamte Lobby. „Von allem hier?“

„Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie das Familienmitglied sind, das meine namentlich nicht bekannte Braut dazu bestimmt hat, in ihrem Namen alle Entscheidungen zu treffen.“

„O verdammt. Sie sind es. Die Eventkoordinatorin.“ Er betonte jede Silbe wie einen Peitschenhieb.

„Allerdings, die bin ich.“

In zwei großen Schlucken leerte der Fremde seinen Champagner und streckte das leere Glas dem Kellner entgegen, der es ihm abnahm. „Sie sind Ella Montgomery.“

„Wieder richtig. Und wer sind Sie?“

Aus prüfend verengten Augen sah er sie an. „Liam Baggett. Der Bruder der Braut.“

„Baggett.“ Rasend schnell ging sie in Gedanken alle Starlets durch, die sie als mögliche Braut aufgelistet hatte, aber der Name Baggett tauchte in dieser Liste nirgends auf. Vielmehr war ihr dieser Name vollkommen unbekannt.

Anscheinend sah man ihr die Verwirrung an, denn schließlich räusperte Liam sich und erklärte: „Ich bin ihr Halbbruder. Gleicher Vater, verschiedene Mütter. Meine Mutter starb, als ich noch sehr jung war. Ungefähr fünf Jahre danach hat mein Vater wieder geheiratet. Aus dieser Verbindung entstammt meine Schwester.“

„Trotzdem kann ich den Namen Baggett gedanklich nicht einordnen.“ Sie schloss die Augen, holte tief Luft, hielt den Atem an und zählte innerlich bis zehn. Dann stieß sie den Atem aus und zählte wieder bis zehn. Was hatte sie bloß getan? Wie hatte sie all ihre letzten Ersparnisse und den letzten Rest ihres guten Rufs in ein Event investieren können, bei dem sie keinen direkten Kontakt zur Braut aufnehmen durfte? War das hier schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt?

Bei dem Gedanken drehte sich ihr der Magen um. Es tat weh, und ihr wurde fast übel. „Bitte sagen Sie jetzt nicht, dass das alles nur ein großer Scherz ist. Ich bin nicht um den halben Globus geflogen, nur um zum Narren gehalten zu werden. Sagen Sie bloß nicht, dass …“

„Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass meine Schwester als Künstlernamen einen anderen Nachnamen benutzt, um ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit zu schützen. Dieses Geheimnis wird sorgsam bewahrt, und das ist auch der Grund, wieso Sie sich mit mir abstimmen und nicht mit ihr.“

Der Event-Koordinator hatte den verbalen Schlagabtausch interessiert beobachtet. „Dann arrangieren Sie beide Ihre Hochzeit während Ihres Aufenthalts, ja?“

„Wir heiraten nicht“, widersprachen Ella und der Fremde zeitgleich.

„Tut mir leid, das verstehe ich nicht.“ Arvin traten am Haaransatz Schweißperlen auf die Stirn, während er abwechselnd auf sein Klemmbrett sah, dann zu Ella und schließlich zu Liam.

„Ich bin nicht die Braut“, stieß Ella zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich bin die Hochzeitsplanerin. Beauftragt haben mich Mr. Baggetts Halbschwester und ihr Verlobter.“

Mit zitternden Händen blätterte Arvin in den Papieren auf seinem Klemmbrett, wo er einiges durchstrich und anderes hinzufügte. „Ich verstehe.“ Er blickte wieder hoch, und seine Pupillen waren geweitet. „Wie ich bereits sagte, ist mein Name Arvin, und ich bin …“

„… der Event-Koordinator dieses Resorts.“ Wie mechanisch schüttelte Ella ihm die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Arvin. Ich möchte zweifelsfrei klarstellen, dass ich nicht die Braut bin.“

„Das habe ich verstanden, Miss Montgomery, und ich kann mich nur aufrichtig für dieses Missverständnis entschuldigen. Mein gesamtes Team hat ihre Anweisung verinnerlicht, dass alles perfekt sein muss. Zwei Mitglieder meines Teams und auch ich stehen Ihnen rund um die Uhr zur Verfügung.“ Er blätterte bis zum letzten Blatt weiter und wurde blass. „Oh, lieber Himmel …“

„Arvin?“

„Als Zeichen unserer Dankbarkeit, dass Sie sich für das Royal Crescent entschieden haben, haben wir Ihnen ein Upgrade gegeben und Sie im Bungalow mit der Honeymoon-Suite einquartiert.“

„Diese Geste weiß ich zu schätzen, aber das ist wirklich nicht nötig.“ Ella konnte spüren, wie sich wieder die Falte zwischen ihren Brauen bildete, doch das war ihr jetzt egal. Sollten sich dort doch die verdammten Runzeln bilden! „Aber dieses Missverständnis scheint mir kein Grund für Panik zu sein.“

„Normalerweise wäre es das auch nicht.“ Arvin wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn, um die Schweißtropfen wegzuwischen, die sich augenblicklich neu bildeten. „Allerdings habe ich ja bereits angedeutet, dass wir davon ausgegangen sind, Sie seien die Braut.“ Mit dem Klemmbrett fächelte er sich Luft zu. „Und dass … dass … Mr. Baggett Ihr …“

„… mein Bräutigam sei“, beendete Ella den Satz flüsternd. Ihre Kehle fühlte sich so beengt an, dass jedes Wort gequält klang.

Hinter ihr gab auch Liam einen erstickten Laut von sich.

Ella machte keine Anstalten, sich umzudrehen. Ganz sicher wirkte Liam jetzt genauso fassungslos wie sie. „Das geht nicht, Arvin.“ Und das war ihr voller Ernst. Körperliche Nähe zu diesem Mann würde ihr jeden guten Vorsatz rauben. Selbst wenn es ihr gelang, seinem Flirten zu widerstehen, würde er ihrem Flirt bestimmt erliegen. Und dann würde es genau zu dem kommen, wofür die Flitterwochen-Suite gedacht war.

Das war schlimm.

Der Event-Koordinator berührte seinen Ohrhörer und nickte kaum merklich. „Ihr Gepäck ist bereits markiert und wird innerhalb der nächsten halben Stunde zugestellt.“

„Das kann ich nicht“, flüsterte sie. „Das Zimmer mit Mr. Baggett zu teilen kommt nicht infrage.“

„Ich … Ich…“ Arvin stand starr vor ihr.

Ella schloss die Augen. Hoffentlich war dies kein Omen für das, was ihr noch bevorstand. Das … durfte einfach nicht sein. „Wenn Sie uns einfach getrennte Zimmer geben, hole ich mir mein Gepäck selbst, und dann mache ich mich an die Planung der Hochzeit.“

Arvin zerrte an seinem Kragen. Sein Gesicht wurde knallrot. „Es tut mir schrecklich leid, Miss Montgomery, aber das Resort ist vollkommen ausgebucht. Als wir Ihnen und Mr. Baggett das Upgrade für die Suite gegeben haben, wurden Ihre ursprünglich reservierten Zimmer anderen Gästen auf unserer Warteliste gegeben.“

Ella nahm sich noch ein zweites Glas Champagner, kippte den Inhalt hinunter und kämpfte gegen die Tränen an, die das Kribbeln in ihr auslöste. „Von der Warteliste? Wie kann es denn eine Warteliste geben, wenn die Saison so gut wie vorbei ist?“

Arvin zuckte mit den Schultern. „Der jährliche Karneval steht kurz bevor.“

„Davon stand aber nichts auf der Webseite.“ Panik schlich sich in ihren Tonfall und drohte ihr, die Luft zum Atmen zu rauben.

„Das bedauere ich zutiefst, Miss Montgomery. Unsere Website wurde gerade komplett neu designt und …“

„Es muss doch ganz in der Nähe ein weiteres Resort geben. Ich könnte mir dort ein Zimmer nehmen und tagsüber zum Arbeiten ins Royal Crescent kommen. Vielleicht ein Ferienhaus zum Anmieten. Ein Zimmer in einer Pension. Ein Zelt. Irgendetwas.“ Ratlos sah sie sich in der Lobby um. „Irgendwas.“

Der Brite hinter ihr beugte sich leicht vor, und der Duft von Champagner und Erdbeeren umgab sie, als er ihr leise ins Ohr sagte: „Hier in Französisch-Polynesien ist dieses Fest, was bei uns Mardi Gras ist, Miss Montgomery. In den nächsten zehn Tagen bekommen Sie auf der gesamten Insel kein freies Zimmer mehr. Das sollte Ihnen als professioneller Hochzeitsplanerin eigentlich bewusst sein.“

Der Mann hatte recht. Sie hätte es wissen müssen. Aber selbst ihre Verlegenheit reichte nicht aus, um zu verhindern, dass sie sehr genau spürte, wie sein flüsternder Atem ihr am Hals und am Ohr entlangstrich. Sie erzitterte und verlor beinahe die Fassung. Tief in ihrer Magengrube spannte sich alles an.

Schnell trat sie einen Schritt näher zu Arvin. „Ich kann nicht zusammen mit ihm übernachten.“ Ihre Worte überschlugen sich fast. „Das geht einfach nicht.“

„Wie ich bereits erwähnte, Miss, das Resort ist komplett ausgebucht. Ich bin sicher, wir finden ein … Zustellbett … vielleicht?“

Von Kopf bis Fuß strahlte er etwas Flehendes aus. Er schien zu beben, und seine Stimme zitterte. „So einen Fehler kann ich mir in meiner Personalakte nicht leisten, Miss Montgomery. Bestenfalls würde man mich degradieren, aber im schlimmsten Fall …“ Er schüttelte den Kopf und schluckte so laut, dass man es trotz der vielen Gespräche in der belebten Lobby hören konnte. „Und meine Frau … Das würde sich auch negativ auf mein Privatleben auswirken. Bitte erlauben Sie mir, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um eine Lösung für diese Situation zu finden.“

Ella atmete tief ein, hielt die Luft zehn Sekunden lang an und atmete wieder aus. Sie straffte die Schultern, wandte sich Liam zu und zwang sich zu einem angespannten Lächeln. „Als zwei Erwachsene finden wir sicher einen Weg? Ich nehme das Zustellbett, Sie nehmen das Bett. Da wir ohnehin eng zusammenarbeiten werden, könnte diese Art der Unterbringung sogar förderlich sein.“

Liam verengte die Augen noch stärker. „Was wollen Sie dadurch gewinnen?“

„Nichts.“ Sie sah wieder zu Arvin. „Mir geht es eher um das, was dieser Mann verlieren könnte.“

Liam schwieg so lange, dass Ella überzeugt war, sie würde ihn anflehen müssen, damit er einwilligte. Als er schließlich doch sprach, klangen aus seiner tiefen Stimme vielsagende Andeutungen. „Sicherlich können zwei Erwachsene, die sich ihrer Fähigkeiten bewusst und zu reifen Entscheidungen fähig sind, ein paar Tage lang ein Zimmer teilen.“

Ella fiel das Schlucken schwer. Sie nickte. „Es ist ja nur für ein paar Tage.“

3. KAPITEL

Trotz seiner Verärgerung über die Situation musste Liam zugeben, dass er die Frau bewunderte, die vor ihm stand. Ganz offensichtlich wollte sie kein Zimmer mit ihm teilen, und obwohl ihn das in seinem verdammten Stolz kränkte und gleichzeitig sein genauso verdammtes Interesse an ihr weckte, musste er sich eingestehen, dass es nicht nur seine Lust, sondern auch seinen Respekt für diese Frau steigerte. Egal, wer für diesen Fehler verantwortlich war, Ella wollte diesen Hotelangestellten nicht für den Irrtum büßen lassen.

Das einzige Gute an diesem Debakel lag darin, dass die Nähe zu Ella es ihm sehr viel leichter machen würde, die Situation zu manipulieren. Einige wohlplatzierte Bemerkungen, ein kleiner Anstoß hier, ein Vorschlag dort, und voilà.

Die lächerlich kurze Verlobungszeit nach der noch kürzeren Beziehungsphase würde dann nicht zu dem schlimmstmöglichen Ergebnis führen: einer Ehe. Nein, der gesamte Event würde abgesagt, und Liam konnte in seinen Alltag in London zurückkehren, während seine Schwester Jenna zur Vernunft kommen und erkennen würde, was für ein Mann ihr Verlobter wirklich war: ein selbstverliebter Bastard, der nur auf ihr Geld und auf Ruhm aus war. Dieser aufbrausende Mann passte einfach nicht zu Jenna, die sich lieber treiben ließ und die Dinge nahm, wie sie kamen. Und wenn sie erkannte, vor welcher Zukunft Liam sie bewahrt hatte, würde sie ihm dankbar sein. Er war bereit, das emotionale Unwetter durchzustehen, bis Jenna zu dieser Erkenntnis gelangte. Bei ihrer außergewöhnlichen Intelligenz würde das nicht lange dauern.

Er nickte Arvin zu. „Ich war bereits Gast hier. Daher kann ich Miss Montgomery zu dem entsprechenden Bungalow am Meer führen, wenn Sie mir die grobe Richtung zeigen.“

Arvin bot an, sie selbst hinzuführen, doch Liam widersprach behutsam. „Miss Montgomery weiß es sicher zu schätzen, wenn sie die Gelegenheit bekommt, sich in aller Ruhe in der Suite einzurichten, bevor sie mit ihrer Arbeit beginnt. Meine Schwester, die Braut, ist ein bisschen … nennen wir es anspruchsvoll.“

Ella stand sehr aufrecht und starr da. Sie rang nach Luft und spannte sich noch weiter an. Mehr Anspannung war ihr nicht möglich, sonst würde sie durch den Stress dieses Nachmittags auf der Stelle zerspringen.

Liam empfand einen Anflug von Mitgefühl für sie, aber sein wichtigstes Ziel bestand darin, diese Hochzeit aufzuschieben oder bestenfalls platzen zu lassen. Ein für alle Mal.

Ohne weiteres Zögern beschrieb Arvin ihnen den Weg, und Liam hielt Ella einladend den Arm zum Einhaken hin. „Ich schätze, es wäre unpassend, wenn ich jetzt ‚Lass uns gehen, Darling‘ sage?“

Ella achtete nicht auf seine höfliche Geste. Sie verdrehte die Augen und biss sich auf die Unterlippe.

Aus dem Augenwinkel sah Liam, wie sie sich mit der Zungenspitze langsam und sinnlich über die Unterlippe fuhr.

„Tja, schlimmer kann es jetzt nicht mehr kommen, oder?“ Unter dichten dunklen Wimpern hinweg sah sie ihm in die Augen. „Richtig? Bitte sagen Sie mir, dass es nicht schlimmer kommen kann.“

Liam blinzelte ein paarmal und lockerte seine Schultern, um das schlechte Gewissen abzuschütteln, das sich wie eine Schlinge um seinen Hals legte. „Es kann immer noch schlimmer kommen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich wünschte, zur Abwechslung würde mich jemand mal anlügen, wenn ich darum bitte. Stattdessen bekomme ich immer nur Lügen zu hören, wenn ich es nicht erwarte.“

Das Schuldgefühl drückte ihm wie eine Garrotte die Kehle zu und machte ihm das Antworten schwer. „Zu den Bungalows geht es hier lang.“ Er deutete zur nächsten Tür und nahm Ella die Kuriertasche ab, bevor er ihren Ellbogen umfasste und sie behutsam zum Ausgang führte. Die beharrliche Stimme in seinem Kopf, die ihm in Konferenzen beim Einschätzen seiner Gesprächspartner immer half, ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Er musste erfahren, was Ella damit meinte. „Werden Sie oft belogen?“

„Ich bin Hochzeitsplanerin.“ Nach einem kurzen Seitenblick zu ihm schnaubte sie abfällig. „Da lügen die Leute mich ständig an. Die Eltern, die zukünftigen Partner. Ständig. Anscheinend lügen die Menschen am meisten, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht.“

„Sind Sie immer so zynisch?“

„Eher realistisch.“ Behutsam löste sie ihren Ellenbogen aus seinem Griff, streckte die Hand aus und machte eine auffordernde Geste mit den Fingern. Als Liam darauf nicht reagierte, zog sie ihre Kuriertasche von seiner Schulter. „Das schaffe ich allein.“

„Zweifellos.“ Trotzdem hielt er ihr die Tür auf. Er würde tun, was nötig war, um seine Schwester vor ihrem Irrtum zu bewahren, aber gleichzeitig würde er Ella Montgomery als die Lady behandeln, die sie war. Zumindest so lange, bis er das Jenna zuliebe nicht mehr konnte. Falls Ella Geschwister hatte, würde sie es verstehen. Ganz sicher. „Wie kommen Sie denn darauf, dass die Menschen am häufigsten in entscheidenden Situationen lügen?“

„Ganz ehrlich? Eine Lüge macht jede Situation entscheidend.“ Sie schritt über die schmale Brücke, die vom Strand weg hinaus zu den Bungalows führte.

„Hier nach rechts.“ Liam deutete auf einen Bungalow, der abseits von den anderen stand. „Ich schätze, sie wollen uns etwas mehr Privatsphäre gönnen, schließlich sind wir Neuvermählte.“

Ella lachte leise. „Geräusche sind über das Wasser hinweg weiter zu hören als über Land.“

Er stellte sich vor, wie sie mit ausgebreiteten Haaren in einem zerwühlten Bett vor ihm lag, eine Brust entblößt, ein langes Bein bis zur Hüfte vom Laken unbedeckt … Lieber Himmel, rette mich vor meiner überschäumenden Fantasie! Die Hitze durchfuhr ihn, als würde ein Blitz in eine Benzinlache einschlagen. Er durfte seinen Fokus nicht verlieren. Worüber hatten sie gerade gesprochen? Im Grunde hatte Ella seine Frage nicht beantwortet. „Noch mal ganz deutlich …“ Entnervt stellte er fest, dass seine Stimme fast krächzend klang. Mit einer groben Bewegung lockerte er sich die Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf. Dann versuchte er es noch einmal: „Noch mal ganz deutlich: Was ist mit Notlügen? Besonders, wenn man damit versucht, jemanden nicht in seinen Gefühlen zu verletzen?“

Am Eingang zum Bungalow blieb sie wartend stehen, bis Liam eine der zwei Schlüsselkarten aus dem kleinen Umschlag hervorholte und damit über das elektronische Schloss wischte. Er übergab ihr den zweiten Schlüssel und drückte die Tür auf.

Vor ihnen erstreckte sich der weitläufige, elegante Bungalow, zu dem ein kleiner Infinity-Pool gehörte. Im Wohnraum war der Boden verglast, es gab eine kleine Küche, und durch die geöffneten Schiebetüren zum Schlafzimmer war ein riesiges Kingsize-Bett mit zahllosen Kissen zu sehen, das mit einem Moskitonetz verhängt war.

„Raus damit.“ Er betrat den Schlafraum und legte seine Aktentasche auf den Schreibtisch. Auf einem der Nachttische stand ein gigantisches Blumenarrangement, das die Meeresluft mit dem Geruch von Freesien, Rosen und aufregend duftenden Wildblumen erfüllte. Liam hielt inne und ließ einen Finger über ein Rosenblatt gleiten, bevor er rief: „Ich bin ganz Ohr.“

„Vergessen Sie’s einfach.“

Ihre Stimme klang gedämpft, als wäre Ella im Bad.

„Das kann ich nicht. Sorry. Hartnäckigkeit liegt mir im Blut.“

„Hören Sie, im Grunde bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es nie egal ist, wenn man mich anlügt. Wenn etwas wichtig genug ist, um deswegen zu lügen, dann ist es auch nicht egal.“ Sie blickte um die Ecke und atmete ein, als wolle sie etwas sagen, aber dann riss sie die Augen auf und schnappte nach Luft. „Das hier ist die Honeymoon-Suite?“ Sie betrat den Raum und ging direkt durch weitere gläserne Schiebetüren, die auf eine ausladende Plattform führten, von der aus man das kristallklare Meer, Korallenriffe und bunte Fische sehen konnte. „Das ist ja unglaublich!“

„Dafür lohnt es sich fast, geheiratet zu haben.“

Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Betrachten Sie unsere Ehe als annulliert.“

„So ein kurzes Eheglück.“ Er seufzte. „Ich konnte ja nicht mal die Braut küssen.“

Ihr leises Lachen klang sanft, aber zurückhaltend. „Träumen Sie weiter.“

„Das tue ich.“

Diesmal klang ihr Lachen aufrichtig. Liam konnte sich nicht entscheiden, ob er sie lieber beobachten oder den Mund auf ihre Lippen pressen wollte, um diese sinnlichen sexy Laute nicht nur zu hören, sondern auch zu spüren. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er sich danach gesehnt hatte, sie lachen zu hören. Bei einem Lachen wie ihrem würde jeder Mann sich umschauen, um die verführerische Frau zu sehen, von der es kam. Und obwohl er nichts von Glücksspiel hielt, würde Liam jede Wette eingehen, dass man mit Ella auch im Bett Spaß hatte. Sie würde beim Sex lachen und scherzen, bis … bis der Punkt kam, an dem die Leidenschaft ungehemmt und drängend jedes Lachen verschluckte.

Ihr Lachen verklang, aber Liam sah sie weiter an. Es gelang ihm nicht, den Blick abzuwenden. Noch nie hatte eine Frau ihn so fasziniert, dabei legte sie es nicht mal drauf an. Sie spielte keine Show.

Von einem Moment zum nächsten musste er es einfach wissen. Er brannte darauf, diese Wissenslücke auszufüllen. „Wie wäre unser Kuss wohl gewesen?“

Ihr Blick schoss zu ihm. Ihr Mund war leicht geöffnet, und mit der Zungenspitze berührte sie zaghaft den Amorbogen an ihrer Oberlippe. Die unterschiedlichsten Emotionen spiegelten sich auf ihrem Gesicht, doch Liam interessierte sich nicht für die Überraschung und die Neugier. Am meisten fesselte ihn an Ellas emotionaler Reaktion das Verlangen.

Er trat näher und hielt inne. Damit gab er ihr jede Chance, ihm auszuweichen. Stattdessen drehte sie sich ihm leicht zu, sodass sie ihm den Schoß zuwandte. Ihr Körper gab das zu, was sie mit Worten leugnete. „Es hätte keinen Kuss gegeben.“

„Dann hätten Sie Ihren Bräutigam nicht geküsst? Das wäre seltsam gewesen, finden Sie nicht?“

„Sie sind nicht mein Bräutigam.“ Ihre Stimme klang heiser und rauchig und verriet Liam alles, was wer wissen wollte.

„Und Sie sind nicht meine Braut, aber das hält mich nicht davon ab, mich zu fragen, wie es gewesen wäre.“

„Hören Sie auf, mir etwas in den Kopf zu setzen.“

„Wo soll ich Ihnen denn sonst etwas hineinsetzen?“, zog er sie auf.

„O Gott“, stieß sie flüsternd aus und kam ihm kaum merklich näher. „Sie sind wirklich die Versuchung in Person.“

Er beugte sich vor und stützte sich seitlich von ihr auf das Geländer. „Und wie lautet Ihre Meinung in Bezug auf Versuchungen?“

„Niemals widerstehen.“

„Wieso nicht?“

Sie näherte sich weiter und überwand die letzte Distanz, sodass ihre Körper sich berührten. Sie legte ihm eine ihrer zierlichen Hände an die Brust, mit der anderen strich sie ihm durchs Haar und packte gerade fest genug zu, um Kontrolle zu signalisieren. Eindringlich blickte sie ihm in die Augen, während sie ihn an sich zog und sich gleichzeitig auf die Zehen stellte. „Weil man nie genau weiß, wann man ihr wieder begegnet.“

Liam stöhnte auf, als ihre Münder sich heiß, stürmisch und hungrig trafen. Der Kuss hatte nichts Zaghaftes. Die brennende Glut steigerte sich, bis sie beide in einer Supernova zu verglühen glaubten.

Anschmiegsam presste sie sich überall an ihn, wo sie beide es am drängendsten spüren wollten. Flüchtig fragte Liam sich, wieso ihre Kleidung an diesen Stellen nicht in Flammen aufging und zu Asche verbrannte.

Er wollte mehr von ihr, hier und jetzt. Mehr als er es sich je zuvor bei einer Frau gewünscht hatte.

Der Wunsch ließ ihn nur den Bruchteil einer Sekunde zögern, doch das reichte.

Ella unterbrach den Kuss, duckte sich unter seinem Arm hinweg und ging ein paar lange Schritte in Richtung Schlafzimmer. Dort bleib sie stehen, bückte sich und streifte sich die High Heels ab.

Liam sah ihr zu, wie sie wohlig die nackten Füße in den flauschigen Teppich drückte und die Zehen bewegte.

Nicht zu fassen, dachte er, dass diese verführerische Frau sich die Zehennägel in einem hell schimmernden Perlmuttrosa lackierte! Es kam ihm wie ein kleines Geheimnis vor, von dem nur er wusste. Unwillkürlich kam der Wunsch in ihm auf, dass niemand sonst je etwas von diesem winzigen, ganz privaten Detail von ihr erfahren sollte.

Das muss aufhören!

Er war nicht hergekommen, um sich auf eine Bettgeschichte einzulassen. Für ihn gab es nur einen einzigen Grund, der ihn gerade jetzt, wo seine Firma mitten in der Übernahme eines anderen Unternehmens steckte, aus dem Büro weglocken konnte: das Wohlergehen seiner kleinen Schwester.

Als sie ihm anvertraut hatte, dass sie seine Hilfe bei der Planung einer perfekten Hochzeit brauchte, hatte er sich mit ihr und ihrem Verlobten in London zum Dinner getroffen.

Mike Feigenbaum war ein halbprofessioneller Baseballspieler, und anfangs hatte er sich Liams Schwester gegenüber sehr aufmerksam verhalten. Das hatte sich schnell gelegt, als er mitten während des Essens ein Telefonat angenommen hatte. Ohne sich zu entschuldigen hatte er den Tisch verlassen und den Großteil des Hauptgangs versäumt. Als Jenna zu ihm gegangen war, um sich zu erkundigen, wo er blieb, hatte er sie barsch angefahren. Auf ihre bestürzte Reaktion hin hatte ihr Zukünftiger nichts unternommen, um sie zu beruhigen. Stattdessen hatte er ein aufbrausendes Verhalten gezeigt, vor dem Liam seine Schwester Jenna unbedingt bewahren wollte.

Deshalb war er jetzt um den halben Erdball geflogen, um seine Schwester davon abzubringen, sich nach einer überschwänglichen Romanze, über die in allen Klatschspalten berichtet worden war, fest an ein herrisches Arschloch zu binden.

Er krempelte sich die Ärmel hoch und schlenderte mit gespielter Gelassenheit zur Hängematte. Er legte sich hinein und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Aus halbgeschlossenen Augen beobachtete er Ella. Von hier aus konnte er die sinnlichen Kurven ihres Profils genießen, während sie ihn ungerührt ansah.

„Also, so wäre unser Kuss gewesen?“ Mit Daumen und Zeigefinger rieb er sich das Kinn. „Zufriedenstellend.“

Empört und ungläubig schnaubte sie. „Dem harten Ständer hinter deinem Reißverschluss nach zu urteilen, war dieser Kuss weit mehr als nur zufriedenstellend.“ Wieder bückte sie sich und hob ihre Schuhe auf. „Da ich wohl mehr als deutlich zu verstehen gegeben habe, wie wenig ich von Lügnern halte, schlage ich vor, du ersparst mir solchen Unsinn.“

„Offenbar leicht reizbar.“ Sanft brachte er die Hängematte zum Schwingen und beobachtete Ella weiter. „Sag mal, hattest du immer schon so eine Abneigung gegenüber Schwindlern, oder ist das was Neues?“

„Ich war noch nie ein großer Fan von Lügen. Wozu sollen die gut sein?“

„Um zu bekommen, was mal will, denke ich.“

Ihre Miene bekam einen verschlossenen Ausdruck. Sie hielt sämtliche Emotionen zurück. „Egal, wen man dadurch verletzt?“

„Wer hat dich verletzt?“ Die Frage sollte nicht so ernst klingen, wie sie herausgekommen war, doch Liam wünschte sich verzweifelt, die Probleme dieser aufwühlenden Frau zu lösen. Es würde ihn wenig kosten, aber ihr würde es vielleicht etwas von der Last nehmen, die sie mit sich herumschleppte.

Sie musterte ihn skeptisch und biss sich auf die Unterlippe.

„Sag’s mir.“

„Dann frag mich höflich“, erwiderte sie.

Er wartete.

Sie auch.

Schließlich verdrehte er die Augen. „Bitte.“

„Hast du schon mal was von ‚Two Turtle Doves‘ gehört?“

Liam schüttelte den Kopf.

„Das ist eine TV-Show zur Primetime. Es sollte zur Hälfte meine Show sein. Mein Geschäftspartner hat mich hintergangen, ist mit unserer Idee zum Sender gegangen, und sie haben ihm die Show gegeben. Nur ihm, ohne mich.“

Liam setzte einen Fuß auf den Boden und brachte die Hängematte zum Stillstand. „Er hat dich fallenlassen.“

„Das hat er. Die Kunden sind seinem Ruhm gefolgt, und ich stand allein da und konnte Kindergeburtstage, Taufen und Bar Mitzwas organisieren, um halbwegs über die Runden zu kommen. Niemand will sein Event von einer Frau planen lassen, die nicht gut genug war, um vom Sender mit in die Show genommen zu werden.“

„Aber du wurdest doch ganz bewusst hinausgedrängt. Es ging doch gar nicht darum, ob du gut genug warst“, entgegnete Liam.

„Auf diese Tatsache wurde in den Medien nie hingewiesen. Alles, was die Leute erfahren haben, war, dass ich aus dem Deal ausgeschlossen wurde. Den Rest haben sie sich hinzugedichtet.“

„Dein Partner hat dich also belogen.“

„Und alle haben ihm geglaubt. Mit einer einzigen Lüge hat er mein Leben ruiniert.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das hat mich zur Verfechterin der Wahrheit werden lassen. Und jetzt bringt mich die Hochzeit deiner Schwester wieder ins Spiel. Mit der Koordination des größten Events in der High Society von Los Angeles kann ich meinen Ruf wiederherstellen.“

Die Erkenntnis, wie recht sie damit hatte, ließ sein Schuldgefühl wieder aufflackern, aber Liam durfte sich nicht von seinem Kurs abbringen lassen, auch wenn er die süße Ella noch so verführerisch fand, und obwohl ihn ihre Geschichte anrührte. Jennas Glück und Wohlbefinden mussten über allem stehen, auch über Ellas kleinem Unternehmen. Schließlich würden sich ihr noch zahllose Gelegenheiten bieten, sich ihren Platz in der Rangliste der Eventplaner wieder zu erkämpfen. Jenna hingegen? Sie hatte nur eine echte Chance auf ein Happy End, und die durfte sie nicht an einen semiprofessionellen Baseballspieler aus Wisconsin vergeuden.

Liam machte es sich in der Hängematte bequemer und stieß sie wieder an. Während er die Augen schloss, verlangsamte er seinen Atem zu einem ruhigen Ein und Aus. Sein Herzschlag beruhigte sich, und das Brennen in seinem Magen ließ nach.

Schließlich war er wieder in der Lage, sich an Ella zu wenden, die am Fuß der Hängematte stand. „Ich weiß zwar nicht, welchen Ruf du mal hattest, aber ich bezweifle nicht, dass du auf deinem Gebiet sehr fähig bist. Sonst hätte meine Schwester dich nämlich nicht engagiert.“ Er schlug die Augen auf. „Da wir die nächsten sieben Tage miteinander verbringen werden, frage ich mich, was du vorschlägst, wie wir am besten mit dieser aufgezwungenen Nähe umgehen.“

Sie neigte den Kopf zur Seite und blickte zum Schlafzimmer, bevor sie den obersten Knopf ihrer Bluse öffnete. Leicht lächelnd trat sie einen Schritt zurück. „Ich komme mit dieser … aufgezwungenen Nähe klar, wenn du das auch kannst. Als Erstes werde ich meinen Taucheranzug anziehen und probeweise am Tauchkurs des Resorts teilnehmen. Deine Schwester und ihr Verlobter möchten, dass ihre Gäste in den Tagen vor der Hochzeit bei einer der angebotenen Aktivitäten Spaß haben. Aber ich möchte mir selbst ein Bild von dem Tauchkursleiter machen, damit dieses Erlebnis die Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertrifft. Es heißt, man könne zu einem gesunkenen Schiff hinuntertauchen, Hammerhaie sehen und bunte Riffe voller Leben bestaunen. All dieser Kram.“

Liam stand auf und kam zu ihr. Mit langsamen Schritten überbrückte er die Distanz zu ihr, bis sie dicht voreinander standen. Er senkte den Blick und sah ihr in die hellgrünen Augen, die von dunkelbraunen Wimpern eingerahmt waren. Langsam hob er eine Hand und strich ihr eine Strähne hinters Ohr.

„Ich, äh …“

Er beugte sich noch dichter zu ihr. Ihre Reaktion amüsierte ihn. Unwillkürlich schob sie sich ihm etwas entgegen, bevor sie sich wieder zusammenriss. Ohne jeden Zweifel war es ihre Selbstbeherrschung, die sie mitten in der Bewegung innehalten ließ.

Doch sie wich nicht aus. Keinen der winzigen Schritte, mit denen sie sich ihm genähert hatte, entfernte sie sich wieder von ihm.

Gut zu wissen!

„Ich dachte, wir hätten das alles geklärt“, stellte sie fest. „Beruf geht vor Vergnügen.“

„Ja, das haben wir.“ Geschickt löste er einen Ohrring, der ihr vom Ohr zu f...

Autor

Kelli Ireland
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Stefanie London
<p>Stefanie London stammt ursprünglich aus Australien. Mittlerweile lebt sie allerdings mit ihrem ganz eigenen Helden in Toronto und liebt es, die Welt zu bereisen. Bei jeder Gelegenheit frönt sie ihrer Leidenschaft für Lippenstift, guten Kaffee, Bücher, und alles was mit Zombies zu tun hat.</p>
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