Was sich neckt, das küsst sich

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Heidi hat genug von reichen Männern, die meinen, sie über den Tisch ziehen zu können. Sie und ihr Großvater haben auf der Castle Ranch endlich ein Zuhause gefunden, und das wird sie sich von niemandem wegnehmen lassen. Da kann Rafe sich auf den Kopf stellen. Oder nackt unter ihre Dusche. Wobei Letzteres ihren Entschluss, ihn auf ewig zu hassen, ganz schön ins Wanken bringt ...

Wegen eines Grundstückstreits muss Rafe Stryker in seine alte Heimat zurückkehren. Dabei hatte er geschworen, nie wieder einen Fuß nach Fool's Gold zu setzen. Dann tritt er seiner Gegnerin gegenüber. Sie ist stur, dickköpfig, blond - und unglaublich sexy. Je länger er mit ihr zusammen ist, desto verlockender kommt Rafe das Leben auf dem Land auf einmal vor.


  • Erscheinungstag 10.12.2013
  • Bandnummer 10
  • ISBN / Artikelnummer 9783862789047
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

Nur in Fool‘s Gold konnte es passieren, dass ein Mercedes von einer Ziege zum Anhalten gezwungen wurde. Rafe Stryker stellte den Motor des PS-starken Wagens ab und stieg aus. Die Ziege stand mitten auf der Straße und schien ihn selbstbewusst zu mustern. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er geschworen, sie versuche ihm mitzuteilen, dass das hier ihre Straße war und wenn einer in diesem geistigen Wettstreit unterliegen würde, dann er.

„Verdammte Ziegen“, murmelte er und schaute sich nach dem Besitzer des eigensinnigen Tieres um. Er entdeckte allerdings nur ein paar Bäume, einen kaputten Zaun und dahinter Berge, die in den Himmel ragten. Einige würden das hier als Land Gottes bezeichnen, aber Rafe wusste, dass Gott, so klug und allwissend er war, mit Fool‘s Gold nichts würde zu tun haben wollen.

Kaum zu glauben, dass Rafe nur drei Stunden in Richtung Westen fahren müsste, um nach San Francisco zurückzukehren - die Stadt der guten Restaurants, der Wolkenkratzer und der schönen Frauen. Dort gehörte er hin. Nicht hierher, in den Außenbezirk einer Kleinstadt, von der er sich geschworen hatte, nie wieder einen Fuß hineinzusetzen. Und doch war er zurückgekehrt, wie ein Magnet angezogen von der einzigen Frau, der er nicht den Rücken kehren konnte - seiner Mutter.

Er stieß einen leisen Fluch aus und warf der Ziege einen bösen Blick zu. Das Vieh wog vermutlich gute hundertzwanzig Pfund. Auch wenn er die letzten achtzehn Jahre sein Bestes gegeben hatte, um seine Zeit in Fool‘s Gold zu vergessen, erinnerte er sich doch nur zu gut an die Lektionen, die er auf der Castle Ranch gelernt hatte. Wenn es ihm als schmächtigem Vierzehnjährigen gelungen war, einen ausgewachsenen Stier in die Knie zu zwingen, würde er es doch heute wohl noch mit einer Ziege aufnehmen können. Zumindest sollte es ihm gelingen, sie hochzuheben und an den Straßenrand zu tragen.

Er ließ den Blick zu ihren Hufen wandern und fragte sich, wie scharf die wohl waren und was sie mit seinem Anzug anstellen würden. Dann stützte er die Ellbogen auf dem Autodach ab und massierte sich den Nasenrücken. Wenn seine Mutter am Telefon nicht so verzweifelt geklungen hätte, würde er jetzt umdrehen und nach Hause fahren. In San Francisco hatte er Personal. Menschen, die sich um Dinge wie auf der Straße stehende Ziegen kümmerten.

Er lachte leise, als er sich vorstellte, wie seine steife Assistentin sich einer Ziege stellte. Ms Jennings, eine Frau Mitte fünfzig, unter deren Blick sich jeder noch so erfolgreiche Geschäftsmann inkompetent fühlte, würde die Ziege vermutlich so lange anstarren, bis sie entnervt weglief.

„Sie haben sie gefunden!“

Rafe drehte sich um und sah eine Frau auf sich zulaufen. In der einen Hand hielt sie einen Strick, in der anderen etwas, das aussah wie Salat.

„Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Athena bringt sich gerne in Schwierigkeiten. Bisher habe ich noch kein Schloss gefunden, das sie nicht knackt. Sie ist so klug. Nicht wahr, mein Baby?“

Die Frau näherte sich der Ziege und tätschelte ihr den Rücken. Das Tier drängte sich an sie wie ein Hund, der nach Streicheleinheiten verlangte. Gelassen duldete es den Strick und machte sich über den Salat her.

Die Frau hob den Kopf und schaute ihn an. „Hey. Ich bin Heidi Simpson.“

Sie war vielleicht eins fünfundsiebzig groß und trug ihr blondes Haar in zwei geflochtenen Zöpfen. Das in die enge Jeans gesteckte Baumwollhemd zeigte ihm, dass sie langbeinig und wohlproportioniert war - eine Kombination, die er normalerweise durchaus ansprechend fand. Aber nicht an diesem Tag. Nicht wenn er sich noch seiner Mutter und der Stadt, die er hasste, stellen musste.

„Rafe Stryker“, stellte er sich vor.

Die Frau - Heidi - starrte ihn an. Ihre grünen Augen weiteten sich, als sie einen Schritt zurücktrat. Ihre vollen Lippen bebten leicht, und ihr Lächeln war verschwunden.

„Stryker“, flüsterte sie und schluckte. „May ist Ihre …“

„Meine Mutter. Woher kennen Sie sie?“

Heidi machte noch einen Schritt zurück. „Sie ist, äh, im Moment auf der Ranch und spricht mit meinem Großvater. Es scheint da ein Missverständnis zu geben.“

„Missverständnis?“, fragte er scharf nach. „So würden Sie das, was geschehen ist, also beschreiben? Mir fallen da eher Worte wie Betrug und Diebstahl ein. Schwerer Diebstahl.“

Das ist schlecht, dachte Heidi und wünschte, sie könnte einfach davonlaufen. Normalerweise stellte sie sich ihren Problemen, aber in diesem Fall würde sie sich wesentlich besser fühlen, wenn sie das in Gegenwart anderer Menschen und nicht allein auf einer verlassenen Straße tun könnte. Sie warf Athena einen verstohlenen Blick zu und fragte sich, ob die Ziege sie wohl beschützen würde. Vermutlich nicht. Athena wäre mehr an einem Happen von Rafe Strykers gut geschnittenem und offensichtlich teurem Anzug interessiert.

Der Mann, der da vor ihr stand, wirkte ernsthaft verärgert. Verärgert genug, um sie mit seinem großen Wagen zu überfahren und einfach liegen zu lasen. Er war groß, hatte dunkle Haare und dunkle Augen und sah im Moment so wütend aus, dass sie ihm zutrauen würde, sie mit bloßen Händen zu erwürgen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass ihn das nicht mal sehr viel Kraft kosten würde.

Ein paarmal atmete sie tief ein und aus. Okay, vielleicht würde er sie nicht erwürgen, aber etwas Gutes führte er nicht im Schilde. Das sah sie in seinen schwarzbraunen Augen.

„Ich weiß, was Sie denken“, fing sie an.

„Das bezweifle ich.“

Seine tiefe seidige Stimme verunsicherte sie. Sie konnte nicht sagen, was als Nächstes passieren würde, hatte aber ein überaus ungutes Gefühl.

„Mein Großvater hat die Grenze überschritten“, sagte sie. Glens Lebensphilosophie war „Lieber um Verzeihung bitten als um Erlaubnis fragen.“ Sie schaute dem Mann in die Augen. „Er wollte niemandem wehtun.“

„Er hat meine Mutter bestohlen.“

Heidi zuckte zusammen. „Sie stehen einander nahe?“ Sie schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie‘s, dumme Frage.“ Wenn Rafe nichts an seiner Mutter liegen würde, wäre er jetzt wohl kaum hier. Und es war nicht überraschend. Soweit sie das bisher beurteilen konnte, war May eine zauberhafte Frau, die sehr viel Verständnis für die Verwechslung gezeigt hatte. Allerdings nicht genügend Verständnis, um ihren Sohn aus der Sache herauszuhalten.

„Glen, mein Großvater, hat einen sehr engen Freund, bei dem Krebs diagnostiziert wurde. Harvey brauchte eine Behandlung, hatte aber keine Versicherung. Glen wollte ihm helfen.“ Heidi versuchte zu lächeln, was ihr jedoch misslang. „Also hatte er die Idee, äh, einen Teil der Ranch zu verkaufen. An Ihre Mutter.“

„Der Ranch, die Ihnen gehört.“

„Technisch gesehen ja.“ Ihr Name stand auf den Kreditpapieren. Sie hatte nicht nachgerechnet, aber sie schätzte, dass sie ungefähr über siebzigtausend Dollar an Eigenkapital verfügte. Der Rest der Ranch war über eine Hypothek finanziert.

„Er hat meiner Mutter zweihundertfünfzigtausend Dollar abgenommen, und im Gegenzug gehört ihr gar nichts.“

„So in der Art.“

„Ihr Großvater hat keine Möglichkeit, ihr das Geld zurückzuzahlen.“

„Er bekommt Rente, und wir haben ein paar Ersparnisse.“

Rafe ließ den Blick von ihr zu Athena und wieder zurück gleiten. „Wie hoch sind die?“

Sie ließ die Schultern sinken. „Zweitausendfünfhundert Dollar.“

„Bitte führen Sie die Ziege aus dem Weg. Ich muss zur Ranch.“

Heidi richtete sich auf. „Was haben Sie vor?“

„Ihren Großvater verhaften zu lassen.“

„Das können Sie nicht machen!“ Glen war die einzige Familie, die sie hatte. „Er ist ein alter Mann.“

„Ich bin sicher, der Richter wird das bei der Festsetzung der Kaution berücksichtigen.“

„Er wollte doch niemandem schaden.“

Ihr Flehen ließ Rafe ungerührt. „Meine Familie ist hier aufgewachsen, Ms Simpson. Meine Mutter war die Haushälterin. Der alte Mann, dem die Ranch gehörte, hat ihr dafür kaum etwas gezahlt. Manchmal hatte sie nicht einmal genug Geld, um ihre vier Kinder satt zu kriegen. Aber sie hat durchgehalten, weil er ihr versprochen hatte, dass sie nach seinem Tod die Ranch erben würde.“

Die Geschichte gefiel Heidi gar nicht. Sie wusste, dass sie kein gutes Ende nahm.

„Wie Ihr Großvater hat auch er gelogen. Als er starb, hinterließ er die Ranch entfernten Verwandten an der Ostküste.“ Der Blick seiner dunklen Augen schien sich in Laserstrahlen zu verwandeln, die sich in sie hineinbohrten und ihr unbeschreibliche Bestrafungen versprachen. „Niemand wird meine Mutter zweimal um die Ranch bringen.“

Oh nein! Das war ja noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Wesentlich schlimmer. „Sie müssen das verstehen. Mein Großvater hat noch nie jemandem absichtlich geschadet. Er ist ein toller Kerl.“

„Er ist der Mann, der meiner Mutter zweihundertfünfzigtausend Dollar gestohlen hat, Ms Simpson. Alles andere ist Schönfärberei. Wenn Sie jetzt also Ihre Ziege aus dem Weg räumen würden …“

Da sie nicht wusste, was sie erwidern sollte, trat Heidi an den Straßenrand zurück. Athena folgte ihr. Rafe stieg in sein Auto und fuhr davon. Das Einzige, was seinem wütenden Abgang fehlte, war eine aufwirbelnde Staubwolke. Doch die Straße war asphaltiert und wurde von der Stadt instand gehalten. Einer der Vorteile, wenn man in Fool‘s Gold lebte.

Sie wartete, bis er an ihr vorbei war, dann drehte sie sich in Richtung der Ranch um und fing an zu laufen. Athena hielt locker Schritt und beharrte ausnahmsweise nicht darauf, noch länger ihre Freiheit zu genießen.

„Hast du das gehört?“ Heidis Laufschuhe klatschten rhythmisch auf den Asphalt. „Dieser Mann ist wirklich böse auf uns.“

Athena trabte neben ihr her. Ihr schien Glens Schicksal vollkommen egal zu sein.

„Es wird dir noch leidtun, wenn wir dich verkaufen müssen, um May Stryker auszuzahlen“, murmelte Heidi und wünschte sich sofort, die Worte zurücknehmen zu können.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich nur eins gewünscht: ein Zuhause. Ein echtes Haus mit einem Dach und einem Boden, das an Wasser, Strom und Kanalisation angeschlossen war. Für die meisten Menschen war das eine Selbstverständlichkeit, aber sie war als Kind von einer Stadt zur nächsten gezogen, und ihr Tagesablauf war von den Jahrmärkten bestimmt worden, auf denen ihr Großvater gearbeitet hatte.

Als sie die Castle Ranch fanden, hatte sie sich auf der Stelle Hals über Kopf verliebt - in das Land, das alte Haus und vor allem in die in der Nähe liegende Stadt Fool‘s Gold. Heidi besaß eine Herde von acht Ziegen, ungezählte wilde Kühe und gute vierhundert Hektar Land. Sie hatte angefangen, Ziegenkäse und Seife aus Ziegenmilch herzustellen. Außerdem verkaufte sie Ziegenmilch und Ziegenmist als Dünger. Auf ihrem Grundstück gab es natürliche Höhlen, in denen sie ihren Käse reifen lassen konnte. Das hier war ihr Zuhause, und das würde sie um nichts in der Welt aufgeben.

Dennoch würde sie es vielleicht verlieren. Wegen Glen. Der einen Teil von etwas, das ihm nicht gehörte, an eine Frau mit einem sehr verärgerten Sohn verkauft hatte.

Rafe stellte seinen Wagen neben dem seiner Mutter ab. Die Ranch sah schlimmer aus, als er sie in Erinnerung hatte. Die Zäune waren kaputt, das Dach sackte ein wenig durch, und das Haus konnte einen Anstrich gebrauchen. Es gab tausend Orte, an denen er jetzt lieber wäre. Doch wegzufahren war keine Option. Nicht ehe er dieses Chaos hier geklärt hatte.

Er stieg aus dem Auto und schaute sich um. Der Himmel erstrahlte in dem für Kalifornien typischen Blau. Diese unglaubliche Farbe, die Filmemacher liebten und über die Sänger Lieder schrieben. In der Ferne erhoben sich die Berge der Sierra Nevada in den Himmel. Als Kind hatte er diese Berge oft angeschaut und sich gewünscht, auf der anderen Seite zu sein. Überall wäre es besser gewesen als hier. Mit fünfzehn hatte er sich gefangen gefühlt. Seltsam, dass er nun all diese Jahre später wieder hier war und genauso festsaß.

Die Haustür wurde geöffnet, und seine Mutter trat heraus. May Stryker war Mitte fünfzig, aber immer noch wunderschön. Ihr glänzend schwarzes Haar fiel bis über die zarten Schultern ihres hochgewachsenen, schlanken Körpers. Rafe hatte seine Größe und Hautfarbe von ihr geerbt, kam aber im Charakter eher nach seinem Vater. Zumindest behauptete sie das. May war eine weichherzige Frau, die am liebsten die ganze Welt bei sich aufnehmen würde.

„Du bist hier.“ Lächelnd kam May auf ihn zu. „Ich wusste, dass du herkommst. Oh Rafe, ist es nicht wunderschön, wieder zurück zu sein?“

Klar, dachte er grimmig. Vielleicht könnten sie später noch in der Hölle vorbeifahren, um ein paar Marshmallows zu rösten. „Mom, was ist los? Deine Nachricht war nicht sehr aussagekräftig.“ Was er damit meinte, war, dass sie ihm nicht erklärt hatte, wie sie überhaupt in diese Situation geraten war.

Sie hatte nur gesagt, dass sie eine Ranch gekauft habe und der Mann jetzt behaupte, dass sie die nicht haben könne. Hauptsächlich weil sie ihm nicht gehöre. Gaunereien am Vormittag. Oder Diebstahl. Wie auch immer, es würde ein langer Tag werden.

„Alles ist wieder gut“, sagte sie und kam weiter auf ihn zu. „Glen und ich haben uns unterhalten und …“

„Glen?“

Ihr Lächeln wurde breiter. „Der Mann, der mir die Ranch verkauft hat.“ Sie lachte leise. „Offenbar hatte er einen kranken Freund und …“

„Den Teil kenne ich schon“, unterbrach er sie.

„Von wem?“

„Von Heidi.“

„Oh, du hast sie schon kennengelernt. Ist sie nicht wunderbar? Sie züchtet hier auf der Ranch Ziegen. Seit beinahe einem Jahr wohnen sie jetzt schon hier - und wirklich, es sind ganz zauberhafte Leute. Glen ist Heidis Großvater. Sie hat ihre Eltern verloren, als sie noch klein war, und ist bei ihm aufgewachsen.“ May seufzte. „Eine ganz reizende Familie.“

Das gefiel ihm gar nicht. „Mutter …“, fing er an.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht einer deiner ungezogenen Klienten, Rafe. Du kannst mich nicht einschüchtern. Es tut mir leid, dass ich dich angerufen und gebeten habe, den ganzen Weg hierherzukommen, aber ich habe jetzt alles unter Kontrolle.“

„Das bezweifle ich.“

Sie hob beide Augenbrauen. „Wie war das?“

„Das hier geht nicht nur dich etwas an. Ich habe die Papiere auch unterschrieben, erinnerst du dich?“

„Du kannst von deiner Unterschrift zurücktreten. Ich kümmere mich um alles. Und nun fahr zurück nach San Francisco.“

Bevor er ihr erklären konnte, dass man von einer auf einem offiziellen Dokument getätigten Unterschrift nicht zurücktreten konnte, ging die Haustür erneut auf, und ein älterer Mann trat heraus. Er war größer als May, hatte weißes Haar und funkelnde blaue Augen. Er schenkte Rafe ein charmantes Lächeln und eilte auf sie zu.

„Da sind Sie ja“, sagte er und streckte Rafe die Hand hin. „Glen Simpson. Schön, Sie kennenzulernen. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat es ein Missverständnis mit Ihrer zauberhaften Mutter gegeben, aber ich möchte Ihnen versichern, dass wir das alles wieder geradebügeln.“

Das bezweifelte Rafe stark. „Haben Sie die zweihundertfünfzigtausend Dollar, die Sie ihr gestohlen haben?“

„Rafe!“

Er ignorierte seine Mutter und starrte Glen weiter an.

„Äh, noch nicht“, gab der alte Mann zu. „Aber wir besorgen sie. Oder finden mit May zusammen eine andere Lösung. Es gibt keinen Grund, warum das hier irgendjemandem von uns Schwierigkeiten bereiten sollte, finden Sie nicht?“

„Nein.“ Rafe zog sein Handy aus der Hemdtasche, drehte seiner Mutter und Glen den Rücken zu und lockerte sich die Krawatte. Dann drückte er auf die Kurzwahltaste.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht hinfahren sollst“, vernahm er eine vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Ich bezahle dich für deinen juristischen Rat“, erwiderte er. „Und nicht für dein ‚Ich hab‘s dir doch gesagt‘.“

Dante Jefferson, sein Anwalt und Geschäftspartner, lachte unterdrückt. „Das ‚Ich hab‘s dir doch gesagt‘ hast du umsonst bekommen.“

„Ich Glückspilz.“

„Wie schlimm ist es?“

Rafe schaute sich auf dem vertrauten Grundstück um. Er war hier aufgewachsen - zumindest bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr. Hier hatte er sich den Hintern aufgerissen, hier hatte er Hunger gelitten.

„Schlimm. Du musst herkommen.“ Er informierte Dante kurz über das, was er vor seiner Abreise am Morgen erfahren hatte. „Es ist kein Geld vorhanden, um sie auszuzahlen, und so wie ich es verstanden habe, gehört dem alten Mann die Ranch gar nicht.“

Dante stieß einen verächtlichen Laut aus. „Hat er geglaubt, sie würde es nicht merken, dass sie keine Ranch bekommt, nachdem sie zweihundertfünfzigtausend Dollar angezahlt und einen Ratenzahlungsplan für den Rest unterschrieben hat?“

„Offensichtlich.“

„Ich bin noch nie in Fool‘s Gold gewesen“, sagte Dante.

„Irgendwann verlässt jeden das Glück.“

Dante lachte wieder. „Deine Mutter liebt die Stadt.“

„Meine Mutter glaubt auch, dass es in Area 51 Aliens gibt.“

„Deshalb mag ich sie so. Habe ich dir nicht gesagt, dass es dich noch mal in Schwierigkeiten bringen wird, Unterlagen zu unterschreiben, ohne sie vorher gelesen zu haben? Und hast du zugehört?“

Rafe umklammerte das Handy fester. „Das verstehst du unter Hilfe?“

„Ja. Meine ganz eigene Interpretation davon. Ich werde die örtliche Polizei anrufen und …“ Im Hintergrund war Papiergeraschel zu hören. „Und Glen Simpson abholen lassen. Bevor ich bei euch bin, ist er schon verhaftet. Ich müsste so gegen sechs Uhr heute Abend da sein. Tu bis dahin nichts, was ich bereuen könnte.“

Dieses Versprechen gebe ich dir lieber nicht, dachte Rafe und beendete das Telefonat. Als er sich umdrehte, kam seine Mutter auf ihn zu.

„Rafe! Du wirst Glen nicht verhaften lassen.“

Der alte Mann war blass geworden. Rafe sah, dass er schluckte und langsam zum Haus zurückging.

„Mom, dieser Mann hat dir Geld abgenommen, indem er dich hat glauben lassen, dass du eine Ranch kaufst. Ihm gehört diese Ranch nicht, also hat er dein Geld gestohlen. Und er hat keine Möglichkeit, es zurückzuzahlen.“

Um Mays Lippen zuckte es. „Wenn du es so ausdrückst …“

Er schnitt ihr das Wort ab. „Genau so ist es.“

„Ich verstehe nicht, wieso du so sein musst.“

Er hätte erwartet, dass Glen sich im Haus verkriechen würde, doch der alte Mann war an der Veranda stehen geblieben. Vielleicht würde er versuchen, sich aus der Geschichte herauszureden. Rafe hatte nichts gegen einen guten Kampf, aber er zog eindrucksvollere Gegner vor.

Er ließ den Blick vom Haus zum Garten wandern. Überall blühten Blumen - ganz anders als die, die seine Mutter damals gepflanzt hatte, aber genauso bunt. Ein großes Schild verkündete, dass hier Ziegenmilch, Ziegenkäse und Ziegendung verkauft wurden. Er hoffte für einen Moment, dass diese drei Produkte in unterschiedlichen Behältern und in unterschiedlichen Bereichen des Grundstücks aufbewahrt wurden.

Wo er gerade von Ziegen sprach - hinter dem Zaun am Haus sah er einige von ihnen. Und ein großes Pferd am Stall. Zum Glück konnte er nirgendwo Stiere entdecken, mit denen er sich als Kind immer hatte herumschlagen müssen.

Wenn er ehrlich war, hatte er hier auch schöne Zeiten erlebt. Vor allem mit seinen Brüdern und seiner Schwester. Sein Vater hatte ihm und Shane das Reiten beigebracht, und später hatte er es dann Clay und Evangeline gezeigt. Nach dem Tod seines Vaters war Rafe in seine Fußstapfen getreten - oder hatte es zumindest versucht, schließlich war er erst acht Jahre alt gewesen. Er erinnerte sich noch, dass er sehr lange gebraucht hatte, um wirklich zu verstehen, dass sein Vater nicht mehr nach Hause kommen würde und er nun der Mann im Haus war.

Die blonde Frau - Heidi - kam von der Straße zum Haus hochgelaufen, die Ziege trottete wie ein gut erzogener Hund neben ihr her.

„Glen, alles okay?“, fragte sie leicht außer Atem. „Was ist los?“

„Alles wird gut“, versicherte Glen ihr. Für einen Mann, dem das Gefängnis drohte, wirke er sehr ruhig.

„Nichts ist gut“, sagte May bestimmt. „Mein Sohn macht Schwierigkeiten.“

„Was für eine Überraschung“, murmelte Heidi und drehte sich zu ihm um. „Ich weiß, dass Sie wütend sind, aber sicherlich können wir uns irgendwie einigen, wenn Sie nur etwas Vernunft annehmen und in Ruhe zuhören.“

„Viel Glück“, seufzte May. „Rafe glaubt nicht an Vernunft.“

Er zuckte mit den Schultern. „Jeder hat so seine Macken.“

„Finden Sie das etwa lustig?“ In Heidis grünen Augen funkelten Wut und Angst. „Wir reden hier von meiner Familie.“

„Und von meiner.“

In diesem Moment bog ein Auto auf den Hof und blieb hinter Rafes Wagen stehen. Es trug das Polizeisiegel von Fool‘s Gold auf der Seite. Gut, dachte Rafe.

Eine Frau Mitte vierzig stieg aus. Sie trug Uniform und eine Sonnenbrille. Ihr Namensschild wies sie als Polizeichef Barns aus. Rafe war beeindruckt. Dante hatte offenbar prompt reagiert.

Den Führstrick immer noch fest in der Hand, ging Heidi auf die Frau zu. Sie lächelte, und obwohl er von ihr und der Situation genervt war, fand er, dass sie so jung und unschuldig aussah wie ein kleines Mädchen.

„Chief Barns, ich bin Heidi Simpson.“

„Ich weiß, wer Sie sind.“ Die Polizeichefin zog ein Smartphone aus der Tasche und betätigte das Display. „Ich suche nach einem Rafe Stryker.“

„Das bin ich.“ Rafe trat vor. „Danke, dass Sie persönlich hergekommen sind.“

„Ihr Anwalt hat darauf bestanden.“ Die Polizeichefin wirkte darüber nicht sonderlich erfreut. „Also, was ist hier los?“

„Glen Simpson hat behauptet, meiner Mutter die Castle Ranch für zweihundertfünfzigtausend Dollar zu verkaufen. Er nahm ihr Geld und gab ihr gefälschte Dokumente zur Unterzeichnung. Weder das Land noch das Haus gehören ihm, und doch hat er das Geld genommen und ausgegeben. Er beteuert zwar, eine Lösung finden zu wollen, doch er hat keinerlei Möglichkeiten, meiner Mutter ihr Geld zurückzuzahlen.“

May stieß ein verzweifeltes Geräusch aus. „Die Fakten hat mein Sohn zwar alle richtig wiedergegeben, aber dabei einen wichtigen Punkt außer Acht gelassen.“

„Und der wäre?“, fragte Chief Barns.

„Dass es keinen Grund gibt, Sie oder das Gericht in diese Sache mit hineinzuziehen.“

„Ich würde Ihnen gerne zustimmen, Ma‘am, aber Ihr Sohn hat offiziell Beschwerde eingereicht. Ich nehme an, er hat hier auch ein Wörtchen mitzureden, was die juristische Seite der Angelegenheit betrifft?“

„Ja, ich habe die Dokumente ebenfalls unterzeichnet“, sagte Rafe. Was ganz allein seine Schuld war. „Meine Mutter mag an Mr Simpsons grundlegende Güte glauben, ich tue es nicht.“

„Er ist kein schlechter Mensch“, warf Heidi ein.

Die Polizeichefin wandte sich an Glen. „Haben Sie dazu auch irgendetwas zu sagen?“

Glen schaute einen Moment lang in den Himmel, dann wieder zu Chief Barns. „Nein.“

„Dann muss ich Sie leider mitnehmen.“

„Das können Sie nicht machen.“ Heidi stellte sich zwischen die Polizeichefin und ihren Großvater. Die Ziege wich ihr nicht von der Seite. „Bitte nicht. Mein Großvater ist nicht mehr der Jüngste. Sie können ihn nicht ins Gefängnis sperren. Er könnte dort sterben.“

„Sie bringen ihn ja nicht nach Alcatraz“, warf Rafe ein. „Er kommt in das örtliche Gefängnis einer Kleinstadt. Das ist doch nicht so schlimm.“

„Sprechen Sie da aus eigener Erfahrung?“, fragte Heidi.

„Nein.“

„Dann halten Sie sich raus.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie sich wieder der Polizeichefin zuwandte. „Sie müssen doch irgendetwas tun können.“

„Da müssen Sie mit der Richterin reden“, erklärte Chief Barns erstaunlich mitfühlend. „Ihr Freund hier hat recht. Es ist kein schlimmes Gefängnis. Ihrem Großvater wird es dort gut gehen.“

„Ich bin nicht ihr Freund.“

„Er ist nicht mein Freund.“

Heidi und Rafe schauten einander an.

„Darf ich ihn treten?“, fragte Heidi Chief Barns. „Nur ein Mal, aber dafür richtig hart?“

„Später vielleicht.“

Rafe wusste, dass Protestieren zwecklos war. So wie die beiden Frauen ihn anfunkelten, wäre ein harter Tritt noch das mildeste Urteil, das er erwarten konnte.

Er wollte darauf hinweisen, dass er nichts falsch gemacht hatte, dass Glen der Böse war. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Logik, so gut kannte er seine Mutter. Und Heidi schien ihr darin irgendwie ähnlich zu sein.

Widerstandslos ließ Glen sich die Handschellen anlegen und in den Streifenwagen verfrachten.

„Ich komme, so schnell ich kann“, versicherte Heidi ihm. „Um die Kaution zu stellen.“

„Die Kautionsanhörung wird erst morgen früh stattfinden“, erklärte ihr Chief Barns. „Aber Sie dürfen ihn gerne besuchen kommen. Machen Sie sich keine Sorgen. Er wird gut behandelt.“

Damit setzte sie sich hinters Lenkrad und fuhr los. Heidi führte die Ziege zu den anderen und May wandte sich an ihren Sohn.

„Wie konntest du ihn nur verhaften?“

Ihm lag auf der Zunge, dass er den alten Mann nicht verhaftet hatte - er hatte nur dafür gesorgt, dass er festgenommen wurde. Doch auch dieses Detail würde seine Mutter in ihrem jetzigen Zustand kaum zu würdigen wissen.

„Er hat dich bestohlen, Mom. Du hast diese Ranch bereits einmal verloren. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie das ein zweites Mal passiert.“

Ihr Ärger schwand. „Ach Rafe. Du bist immer so gut zu mir. Aber ich kann auf mich selbst aufpassen.“

„Man hat dir gerade zweihundertfünfzigtausend Dollar aus der Tasche gezogen.“

May kam zu ihm. „Musst du das jetzt erwähnen?“

Er legte einen Arm um sie und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Obwohl sie recht groß war, überragte er sie noch um einen guten Kopf.

„Du weißt, dass du mich in den Wahnsinn treibst, oder?“, fragte er.

Sie schlang die Arme um ihn. „Ja. Aber ich tue das nicht absichtlich.“

„Ich weiß.“

Sie schaute zu ihm auf. „Und jetzt?“

„Jetzt holen wir uns deine Ranch.“

2. KAPITEL

Heidi stand mitten in Fool‘s Gold und wusste nicht, was sie zuerst tun sollte. Glen brauchte ihre Hilfe, und sie brauchte einen Anwalt. Für den hatte sie zwar kein Geld, aber darüber würde sie sich später Gedanken machen. Im Moment ging es erst einmal darum, ihren Großvater aus dem Gefängnis zu holen.

Langsam drehte sie sich einmal im Kreis, sah das Schaufenster vom Buchladen Morgan‘s Books, den Starbucks, in dem sie sich oft mit ihren Freundinnen traf, und Jo‘s Bar. Aber nirgendwo entdeckte sie das Schild eines Anwalts.

Seufzend holte sie ihr Handy heraus und blätterte durchs Telefonbuch bis zu Charlies Nummer. Dann schickte sie ihr eine kurze SMS: Dringend. Können wir reden?

Sekunden später kam die Antwort: Klar. Bin auf der Wache.

„Die Wache“ war die Feuerwache. Heidi ließ ihren Truck stehen und ging die drei Straßen zum Gebäude der Feuerwehr von Fool‘s Gold.

Die Feuerwache lag im ältesten Teil der Stadt. Es war ein zweigeschossiger Backsteinbau, dessen große Garagentore auf die Straße hinausgingen. Bei dem schönen Aprilwetter waren die Tore weit offen. Charlie Dixon stand neben dem roten Feuerwehrwagen, den sie fuhr.

„Was ist los?“, fragte sie statt einer Begrüßung, als sie Heidi auf sich zueilen sah.

„Glen hat ein Problem.“

Charlie, eine große kompetente Frau, die noch nie einem Mann begegnet war, den sie nicht in allen Disziplinen schlagen konnte, stemmte ihre starken Hände in die Hüften und hob fragend die Augenbrauen.

„Er ist dein Großvater. Wie groß kann das Problem schon sein?“

„Du hast ja keine Ahnung.“

Heidi brachte ihre Freundin schnell auf den neuesten Stand über Glen, die flotte Witwe, die er betrogen hatte, den geheimnisvollen und skrupellosen Rafe Stryker und die Tatsache, dass Glen jetzt im Gefängnis von Fool‘s Gold saß.

Charlie fluchte. „Typisch Mann, so ein Chaos zu veranstalten“, grummelte sie. „Glen hat wirklich jemandem deine Ranch verkauft?“

Heidi seufzte. „Mit Vertrag und allem Drum und Dran.“

Es war nicht das erste Mal, dass ihr Großvater mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, aber normalerweise beschränkte er sich auf kleinere Betrügereien und vermied es, größere Verbrechen zu begehen. In den letzten Jahren hatte sie sich nur über seine Neigung Sorgen machen müssen, sich in jeder Stadt eine Frau zuzulegen. Für einen Mann in den Siebzigern machte er ganz schön viel Action.

„Ich muss ihn da rausholen“, erklärte Heidi. „Schließlich hab ich nur noch ihn.“

„Ich weiß. Okay, bleib ruhig. Das meine ich ernst. Das Gefängnis von Fool‘s Gold ist nicht schlimm. Es geht ihm dort gut. Was die Möglichkeit angeht, ihn da rauszuholen …“ Sie schaute Heidi an. „Versteh mich nicht falsch, aber hast du Geld?“

Betrübt dachte Heidi an das winzige Guthaben auf ihrem Konto. „Ich habe alles, was ich besitze, in meine Ziegen gesteckt.“

„Die Ranch ist mit einer Hypothek belastet?“

„Einer ziemlich großen sogar.“

Charlie zog sie kurz in die Arme. „Der gelebte amerikanische Traum.“

„Das war er, bis das hier passiert ist.“ Heidi genoss die tröstliche Umarmung.

Es machte ihr nichts aus, die monatlichen Raten an die Bank zu zahlen. Sie waren ein Zeichen von Stabilität, der Beweis, dass sie ein Zuhause hatte, das ihr eines Tages rechtmäßig gehören würde.

„Ich kenne eine Anwältin“, sagte Charlie. „Sie nimmt ab und zu Fälle an, ohne etwas dafür zu verlangen. Ich rufe sie mal an und erklär ihr die Sache, dann kannst du gleich bei ihr vorbeigehen.“

„Glaubst du, dass sie mir helfen wird?“

Charlie grinste. „Sie betet mich an. Ich bin mal mit ihrem Sohn ausgegangen. Als wir uns getrennt haben, hat er sich mit so einer Tussi eingelassen, die sofort schwanger geworden ist, sodass er sie heiraten musste. Er ist inzwischen zwar ganz verrückt nach seiner neuen Frau und seiner Familie, aber Trisha denkt, ich habe noch mal Glück gehabt.“

Charlie war die am wenigsten weibliche Frau, die Heidi kannte. Sie trug ihr Haar ganz kurz, zog sich eher bequem als modisch an und würde jeden zu Boden werfen, der auch nur mit Wimperntusche in ihre Nähe käme. Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht attraktiv war. Heidi hatte gesehen, wie einige der Männer in der Stadt Charlie hinterherschauten. Als wenn sie sie für eine Frau hielten, die schwer zu zähmen war, es aber mehr als wert wäre, es zu versuchen.

„Sein Pech“, sagte Heidi.

„Du bist eine tolle Freundin.“

„Du auch. Ich wusste nicht, mit wem ich sonst wegen Glen hätte sprechen sollen.“

Sie hatte auch andere Freundinnen, aber instinktiv hatte sie gewusst, dass Charlie dem Problem gleich auf den Grund gehen und ohne viel Trara die nächsten Schritte einleiten würde.

„Wir kriegen das schon hin.“

An dieses Versprechen klammerte sich Heidi. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch ein Kleinkind gewesen war. Sie erinnere sich nicht an sie. Glen hatte ihre Rolle übernommen. Von Anfang an waren sie ein Team gewesen. Egal, was er getan hatte, Heidi würde ihrem Großvater zur Seite stehen. Selbst wenn das bedeutete, es mit jemandem wie Rafe Stryker aufzunehmen.

Nach dem, was Charlie erzählt hatte, hätte Trisha Wynn Mitte sechzig sein müssen, doch sie sah eher aus wie Mitte vierzig und zog sich an wie eine Fünfundzwanzigjährige. Ihr rosa-gold-farbenes Wickelkleid mit dem tiefen Ausschnitt schmiegte sich an beeindruckende Kurven. Dazu trug sie hochhackige Pumps, viel Make-up und klingende Ohrringe.

„Freunde von Charlie sind auch meine Freunde“, sagte sie statt einer Begrüßung und bat Heidi in ihr kleines, aber gemütliches Büro. „Glen steckt also in Schwierigkeiten. Wieso überrascht mich das nicht?“

Heidi ließ sich auf den bequemen lederbezogenen Besucherstuhl sinken. „Sie kennen meinen Großvater?“

Trisha zwinkerte ihr zu. „Wir haben letzten Herbst ein langes gemeinsames Wochenende im Resort verbracht. Eine Suite mit offenem Kamin und Zimmerservice. Normalerweise gehe ich älteren Männern eher aus dem Weg, aber für Glen habe ich eine Ausnahme gemacht. Es hat sich gelohnt.“

Heidi nickte und lächelte verkrampft, obwohl sie sich am liebsten die Finger in die Ohren gesteckt und angefangen hätte zu summen. Einzelheiten aus dem Liebesleben ihres Großvaters wollte sie schon an guten Tagen nicht hören, und dies war wahrlich kein guter Tag.

„Na dann, freut … freut mich, dass Sie … zufrieden waren“, stotterte sie.

Trishas Lächeln wurde breiter. „So kann man es auch ausdrücken. Also, was hat Glen dieses Mal angestellt?“

Zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde erklärte Heidi die Geschichte von Glen, May Stryker und ihrem Sohn. Trisha hörte zu und machte sich Notizen.

„Und Sie haben das Geld nicht, um May auszuzahlen.“

Das war mehr eine Feststellung von Trisha als eine Frage, doch Heidi beantwortete sie trotzdem. „Bargeld besitze ich praktisch nicht. Ich habe zweitausendfünfhundert Dollar auf dem Sparbuch, mehr nicht.“

Trisha zuckte leicht zusammen. „Ein kleiner Rat unter Freunden: Sagen Sie das niemals einem Anwalt.“

„Oh. Charlie meinte … na ja, sie hat angedeutet, dass Sie diesen Fall vielleicht umsonst …“

Trisha legte ihre Finger mit den fuchsiafarbenen Nägeln aneinander. „Ich nehme pro Jahr ein paar solcher Fälle an. Meistens weil sie mich interessieren oder weil mir jemand Schuldgefühle macht. Mein vierter Ehemann, möge er in Frieden ruhen, hat mich gut versorgt zurückgelassen. Also brauche ich das Geld nicht unbedingt. Aber es ist trotzdem nett, bezahlt zu werden.“

Heidi war nicht sicher, was sie dazu sagen sollte, also hielt sie den Mund.

Trisha lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Okay, das hier sind die Hauptprobleme, die ich sehe. Erstens, zweihundertfünfzigtausend Dollar zu erschwindeln ist nichts, was einen Richter sonderlich amüsiert. Das ist ein schweres Verbrechen, für das Glen mehrere Jahre ins Gefängnis wandern könnte. Wenn Sie so pleite sind, wie Sie behaupten, steht eine zügige Rückzahlung der Summe aber wohl nicht zur Debatte.“

Heidi nickte. „Wenn ich monatliche Raten …“

„Das wird ein Teil der Verteidigungsstrategie sein. Dass Sie das Geld zurückzahlen möchten und einen Rückzahlungsplan vorstellen werden. Was machen Sie beruflich?“

„Ich züchte Ziegen. Aus ihrer Milch mache ich Käse und Seife. Zwei meiner Ziegen sind schwanger. Ich werde die Jungen verkaufen können.“

Trisha schaute zur Decke. „Könnte ich doch nur einmal mit jemandem arbeiten, der eine Internet-Start-up-Firma hat. Aber nein …“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Heidi. „Ziegen. Okay. Gut. Damit sind Sie ortsgebunden und können nicht einfach durchbrennen. Dieser Harvey - der Grund für all den Ärger -, bringen Sie ihn her. Der Richter muss sehen, dass Glen einen Grund hatte, das Geld zu nehmen. Wie geht es Harvey?“

„Super. Die Krebsbehandlung hat angeschlagen, und die Ärzte gehen davon aus, dass er in zwanzig Jahren ruhig im Schlaf stirbt.“

„Gut. Harvey soll seine Krankenakte mitbringen.“

Trisha fuhr fort, ihre Strategie darzulegen. Als sie fertig war, fragte sie: „Wie hieß der Sohn noch mal?“

„Rafe Stryker.“

Trisha tippte den Namen in ihren Laptop. Um ihre perfekt geschminkten Lippen zuckte es. „Sie haben sich leider den falschen Mann ausgesucht, um sich mit ihm anzulegen, Missy. Er würde sogar einem Hai einen Schrecken einjagen.“ Sie tippte noch etwas, dann stöhnte sie. „Sieht er gut aus?“

Heidi dachte an den großen, leicht Furcht einflößenden Fremden, der ihre Welt zerstören wollte. „Ja.“

„Wenn ich Sie wäre, würde ich mir überlegen, wie ich ihn ins Bett kriege. Sex könnte der einzige Weg sein, den Fall hier zu gewinnen.“

Heidi spürte, wie ihr die Kinnlade herunterfiel, und schluckte. „Gibt es vielleicht auch noch einen Plan B?“

Rafe fuhr ganz langsam durch Fool‘s Gold; seine Mutter folgte ihm in ihrem Auto. Er war seit Jahren nicht mehr hier gewesen, und so hätte es problemlos bis ans Ende seines Lebens bleiben können.

Es lag nicht daran, dass die Stadt nicht ansprechend war. Wenn man auf hübsche ruhige Kleinstädte stand, war man hier genau richtig. Die Schaufenster waren blank geputzt, die Bürgersteige schön breit. In Schaukästen wurden Flohmärkte und Stadtfeste angekündigt. Obwohl es mitten in der Woche war, waren viele Menschen unterwegs. Rein geschäftlich betrachtet, schien Fool‘s Gold zu florieren. Aber für ihn würde es trotzdem immer der Ort sein, an dem er als Kind gefangen gewesen war und mehr hatte auf sich nehmen müssen, als er ertragen konnte.

Alles war kleiner, als er es in Erinnerung hatte. Vermutlich lag es an der Perspektive des Erwachsenen, die er jetzt hatte, dachte er. Er erkannte den Park, in dem er sich an den seltenen Nachmittagen, an denen er nicht im Haus und auf dem Hof hatte helfen müssen, mit seinen Freunden getroffen hatte. Die Straße zur Schule sah auch noch genauso aus, und er sah drei Jungen auf Fahrrädern darauf zufahren.

Ihm fiel ein, dass er auch ein Fahrrad besessen hatte. Eines, das die Frauen der Stadt ihm geschenkt hatten. Er war damals zehn oder elf Jahre alt gewesen und hatte verzweifelt so sein wollen wie seine Freunde. Aber das Fahrrad war ein Almosen gewesen, und es war ihm schwergefallen, es anzunehmen.

Er sollte sich nicht beschweren - die Bewohner von Fool‘s Gold waren sehr nett gewesen. Jeden August hatte er neue Kleidung für die Schule bekommen, neue Schuhe und einen Rucksack mit den notwendigen Schulsachen. In den Ferien waren immer wieder Körbe mit Essen aufgetaucht. Zu Weihnachten hatte Spielzeug vor der Tür gelegen. Sein Mittagessen in der Schule war umsonst gewesen, und keiner der Mitarbeiter in der Cafeteria hatte je eine Bemerkung darüber gemacht. Als er einmal von der Schule nach Hause gegangen war, hatte neben ihm eine Frau angehalten, die Tür ihres Wagens geöffnet und ihm eine Jacke gereicht. Einfach so.

Die Jacke war neu und dick und warm gewesen. In den Taschen fand er ein Paar Handschuhe und fünf Dollar. Damals war das für ihn eine Unmenge Geld. Er war gleichzeitig dankbar und furchtbar wütend gewesen.

Obwohl er die Geste und die Fürsorge zu schätzen wusste, hatte er die Tatsache gehasst, dass sie überhaupt nötig waren. Ein paar Abende in der Woche war er gezwungen gewesen, seine Mutter anzulügen, dass er keinen Hunger habe, damit sein Bruder und seine Schwester ausreichend zu essen bekamen. Er war ins Bett gegangen, fest entschlossen, die beißende Leere, die in seinem Magen tobte, zu ignorieren.

Es war ihm nie gelungen, den gemeinen alten Mann, für den seine Mutter gearbeitet hatte, zu verstehen. Ein Mann, der immer dafür sorgte, dass er selbst mehr als genug von allem hatte, seine Haushälterin aber so knapp hielt, dass sie nicht einmal ihre Kinder satt bekam. Das einzig Gute an seiner Rückkehr war, dass das alte Wirtschafterhäuschen noch stand, während das Haus, in dem der alte Mann gewohnt hatte, fort war.

An alldem trägt die Stadt keine Schuld, sagte er sich. Trotzdem, die Erinnerungen waren da. Erinnerungen, die er versucht hatte zu vergessen. Aus denen er herausgewachsen war. Er war jetzt ein mächtiger Mann. Reich. Er musste nur den Telefonhörer in die Hand nehmen und würde zu jedem Senator oder Diplomaten durchgestellt, nach dem er verlangte. Er kannte die Hälfte der mächtigsten Manager des Landes. Aber als er jetzt so durch Fool‘s Gold fuhr, war er wieder das zu dünne Kind, das sich danach sehnte, zu wissen, wie sich Sicherheit und Geborgenheit anfühlten. Das einen vollen Bauch, Spielsachen und eine Mutter haben wollte, die ihre Sorgen nicht hinter einem liebevollen Lächeln verbergen musste.

Er bog auf den Vorplatz der Ronan‘s Lodge ein, dem größten Hotel im Ort. Das Gold Rush Ski Resort lag zu weit außerhalb, weshalb er sich mit der Lodge zufriedengeben würde.

Ronan‘s Lodge oder - wie die Einheimischen es nannten - Ronan‘s Folly war während des Goldrauschs gebaut worden. Das große dreistöckige Gebäude war Zeugnis großer Handwerkskunst aus einer Zeit, als die Feinarbeiten alle noch von Hand ausgeführt wurden. Ein Page eilte auf ihn zu. Rafe schaute zu den geschnitzten Doppeltüren, die in die Lobby führten.

Vor Jahren, als er noch klein gewesen war, hätte er sich niemals vorstellen können, in einem Haus wie diesem zu übernachten. Jetzt stieg er einfach aus seinem Wagen und nahm das Ticket entgegen, das ihm der Parkpage gab, als täte er das jeden Tag. Was er auch wirklich tat - und trotzdem verlor es für ihn nie seinen Reiz.

Er holte die kleine Lederreisetasche aus dem Kofferraum und ging zu seiner Mutter, die bereits ebenfalls ihren Wagen verlassen hatte. May betrachtete das Haus mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Ich erinnere mich an das Hotel.“ Ihre Augen funkelten. „Es ist so wunderschön. Bleiben wir wirklich hier?“

„Ja, so ist es am bequemsten.“

„Du brauchst ein wenig mehr Romantik in deinem Leben.“

„Na, das ist doch mal ein Projekt für dich.“

Sie lachte und berührte sanft seine Wange. „Oh Rafe, ist es nicht schön, wieder zurück zu sein? Als ich so durch die Stadt gefahren bin, wusste ich gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Liebst du hier nicht auch alles? Ich bedaure es so sehr, dass wir von hier fortziehen mussten. Wir waren hier so glücklich.“

Er nahm an, dass er das auf gewisse Weise tatsächlich gewesen war, aber damals hatte es nur einen Gedanken für ihn gegeben: Fool‘s Gold zu verlassen. Doch diese Unterhaltung würde er nicht mit seiner Mutter führen.

„Sobald du deine Ranch zurückhast, kannst du wieder glücklich sein.“ Er nahm ihren Koffer und begleitete sie ins Hotel.

Die Lobby war ein großer, nach oben hin offener Raum. Die Wände waren mit geschnitzten Paneelen vertäfelt, und der Kronleuchter bestand aus teurem irischen Kristall. Rafe war nicht sicher, woher er das wusste oder warum er sich daran erinnerte, aber er tat es.

May blieb stehen und drückte sich unbewusst die Hände aufs Herz, als sie sich mit großen Augen umschaute. Rafe ging derweil zur Rezeption und meldete sie an.

„Es sollten zwei Zimmer reserviert sein“, sagte er. Seine tüchtige Assistentin hatte sich darum gekümmert.

„Ja, Mr Stryker. Für Sie und Ihre Mutter ist jeweils eine Suite im zweiten Stock reserviert.“ Die junge Frau im blauen Anzug reichte ihm ein paar Papiere zum Unterschreiben, dann erklärte sie ihm kurz, wo das Restaurant zu finden war und dass der Zimmerservice rund um die Uhr zur Verfügung stand.

Er war im Moment allerdings mehr an einem Drink interessiert. Nach einem kurzen Blick zur Bar sammelte er seine Mutter ein und geleitete sie in den Fahrstuhl.

„Ich brauche nur ein kleines Zimmer“, sagte sie auf der Fahrt in den zweiten Stock.

„Hm, hm.“

„Ich bin sicher, dass wir mit Glen und Heidi zu einer Lösung kommen. Und dann brauche ich gar kein Hotel mehr.“

Sie stiegen aus, und Rafe blieb vor der ersten Tür stehen. Er steckte die Schlüsselkarte in den Schlitz. „Mom, glaubst du wirklich, dass du auf der Ranch wohnen willst, wenn sie dir gehört? Sie liegt mitten im Nirgendwo.“ Seine Mutter war erst Mitte fünfzig; trotzdem war er nicht sicher, ob sie sich ganz allein da draußen wohlfühlen würde. „Das Haus ist alt und vermutlich nie renoviert worden.“ Er dachte an das Dach und die abblätternde Farbe und spürte die ersten Anzeichen von Kopfschmerzen.

May tätschelte ihm den Rücken. „Es ist süß, dass du dir Sorgen machst, Rafe, aber ich komme schon klar. Seitdem wir sie vor beinahe zwanzig Jahren verloren haben, wollte ich auf die Ranch zurückkehren. Ich gehöre dorthin. Sie wiederzusehen war magisch. Ich will mir dort ein Zuhause erschaffen. Du wirst schon sehen, alles wird gut.“

Er hatte keinen Zweifel, dass sie vor Gericht gewinnen würden. Dafür würde Dante schon sorgen. Aber zwischen einem Sieg und einer wirklichen Lösung lagen Welten. Seine Mutter hatte die Tendenz, Dinge unnötig zu verkomplizieren.

„Ich möchte Glen gerne im Gefängnis besuchen“, verkündete sie, als sie die Suite betraten.

„Beweisstück A“, murmelte er und sah hilflos zu, wie seine Einschätzung der Lage Gestalt annahm.

„Ich fühle mich schlecht, dass er dort eingesperrt ist.“ Ihr warmer Blick wurde kühler. „Du hättest nicht gleich die Polizei rufen müssen.“

„Er hat das Gesetz gebrochen.“

„Ich weiß, und ich weiß es auch zu schätzen, dass du dich um mich kümmerst, aber ich denke, wir sollten einen anderen Weg finden, um die Situation zu klären.“

Mit etwas Glück verfügt mein Zimmer über eine Minibar, dachte er grimmig. Dann würde er nicht extra nach unten gehen müssen.

„Glen geht es gut.“

„Das kannst du doch gar nicht wissen. Ich möchte ihn gerne besuchen.“

Er erkannte Starrköpfigkeit, wenn sie ihm begegnete - vermutlich weil er sie von seiner Mutter geerbt hatte. „Gib mir eine halbe Stunde, um mich kurz im Büro zu melden, dann begleite ich dich.“

Ihr Lächeln kehrte zurück. „Danke.“

Klar, jetzt, da sie ihren Willen bekommen hatte, lächelte sie. Er versprach, in dreißig Minuten zurück zu sein, und flüchtete sich dann in sein Zimmer am Ende des Flurs.

Mit der Schlüsselkarte öffnete er die Tür und betrat den stillen leeren Raum. Sein Blick ging zu den Bergen hinaus, und die Vorhänge waren so weit zurückgezogen, dass er die Gipfel der Sierra Nevada sah, die sich gen Himmel reckten.

Er ging ins Schlafzimmer, warf seinen Weekender auf das große Doppelbett und kehrte dann ins Wohnzimmer der Suite zurück. Nachdem er seine Krawatte gelockert hatte, holte er sein Handy heraus und rief im Büro an.

„Büro von Mr Stryker“, erklang die geschäftsmäßige Stimme seiner Assistentin.

„Hallo, Ms Jennings.“

„Mr Stryker. Sind Sie bei Ihrer Mutter in Fool‘s Gold?“

„Ja. Und es sieht so aus, als wenn ich eine Weile hierbleiben müsste.“

„Das hatte ich schon vermutet, nachdem Mr Jefferson sagte, er würde zu Ihnen fahren. Was für eine entzückende Stadt.“

Rafe runzelte die Stirn. Ms Jennings erwähnte sonst niemals etwas Privates. Er war nicht einmal sicher, ob sie einen Ehemann hatte, Großmutter war oder mit einer Rockband zusammenlebte.

„Sie waren schon mal hier?“

„Oh ja. Ein paarmal. Sie haben dort wunderbare Festivals.“

Über Geschmack lässt sich nicht streiten, dachte er. „Ich werde sie mir mal anschauen.“

„Ich kann Ihnen den Veranstaltungskalender schicken. Sie finden ihn auch auf der Website der Stadt: www.FoolsGoldCA.com.“

„Äh, im Moment nicht, aber danke für das Angebot. Sie müssen bitte meine Termine neu organisieren. Sagen Sie alles ab, was nicht wichtig ist, und verschieben sie die anderen.“

Es entstand eine kleine Pause, in der sich Ms Jennings, wie Rafe wusste, Notizen machte.

„Kein Problem“, sagte sie. „Ich habe gerade die nächsten zwei Wochen aufgerufen, und da ist nichts dabei, um das ich mich nicht kümmern kann. Abgesehen von dem Treffen mit Nina Blanchard.“

Rafe sank aufs Sofa und unterdrückte einen Fluch. „Ich rufe sie selber an.“

„Natürlich.“

Sie besprachen noch ein paar Themen und legten dann auf. Rafe kehrte ins Schlafzimmer zurück, tauschte schnell seinen Anzug gegen Jeans und ein langärmliges Hemd und zog dann seine Lederjacke über.

Ich kann Nina nicht für immer aus dem Weg gehen, dachte er. Immerhin hatte er sie damals angestellt. Aber auf keinen Fall könnte er ihre Dienste in Anspruch nehmen, während er in Fool‘s Gold war. Sie würde warten müssen, bis er das Problem, das sich Mutter nannte, gelöst hatte.

Nach seinem Wegzug aus Fool‘s Gold war Rafe entschlossen gewesen, auszukosten, was die Welt zu bieten hatte. Er war mit einem Stipendium nach Harvard gegangen, hatte Europa bereist und sich mit den Reichen und Mächtigen angefreundet. Aber noch nie zuvor war er in einem Gefängnis gewesen.

Obwohl er glaubte, dass die alle ungefähr gleich aussahen, hatte er das Gefühl, der Knast in Fool‘s Gold war einer der besseren Orte, um einzusitzen.

Zum einen waren die Wände in einem warmen Gelbton mit beigefarbenen Akzenten gestrichen. Bunte Poster kündigten die Festivals an, von denen seine Assistentin so geschwärmt hatte. In der Luft lag nicht der Geruch nach Reinigungsmitteln oder Schlimmerem, sondern es duftete nach Chili und frisch gebackenem Brot. Die Frau, die ihnen die Besuchserlaubnis für Glen ausstellte, war jung und freundlich und hatte gar nichts mit den grimmigen Wärterinnen zu tun, die man aus Filmen kannte.

„Heute Abend ist hier ganz schön was los“, merkte Officer Rodriquez an. Ihr glänzendes dunkles Haar war zu einem hoch sitzenden Pferdeschwanz zusammengebunden, der bei jeder Bewegung fröhlich hüpfte.

Rafe betrachtete die Frisur. Waren Pferdeschwänze im Dienst nicht gefährlich? Boten sie Kriminellen nicht die Möglichkeit, sie zu schnappen und somit die Wärterin unter Kontrolle zu bringen? Oder war Fool‘s Gold so verschlafen, dass man es hier nie mit ernsten Verbrechen zu tun hatte?

„Glen Simpson ist ein sehr beliebter Mann und ein ausgesprochener Charmeur.“ Officer Rodriquez grinste. „Und bei den Frauen einer gewissen Altersklasse herrscht noch immer ein akuter Männermangel.“

May unterzeichnete die Papiere. „Ein Männermangel?“

„Ja, den hatten wir hier in Fool‘s Gold. Bis das letztes Jahr irgendwie publik geworden ist und ein heilloses Chaos losbrach. Die Presse kam von allen Seiten, und es gab sogar eine Realityshow.“

„Ich glaube, ich erinnere mich daran“, sagte May gedankenverloren. „Wahre Liebe für Fool‘s Gold. Sie ist eingestellt worden, bevor die letzte Folge ausgestrahlt wurde.“

„Ja, niemand hat sie geschaut, was schade war. Ich fand sie nämlich gut. Wie auch immer, seitdem unser Männermangel bekannt geworden ist, ziehen sie in Scharen hierher. Was das Leben definitiv interessanter macht.“ Ihre braunen Augen funkelten. „Aber die meisten von ihnen sind jünger. Als Glen also hierher zog, war er sofort heiß begehrt. Er ist erst ein paar Stunden im Gefängnis und hat schon …“ Sie schaute auf ihrer Liste nach. „… sieben Besucher gehabt.“

May wirkte unbehaglich. „Ich versichere Ihnen, ich bin nicht aus romantischen Gründen hier. Ich will nur sichergehen, dass es Glen, äh, Mr Simpson gut geht.“ Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. „Mein Sohn ist derjenige, der ihn ins Gefängnis gebracht hat.“

„Zu viel der Ehre für mich, Ma.“

„Wir hätten eine Lösung finden können.“

„Nicht wenn du vorhast, dein Geld zurückzubekommen.“

Mays Miene verdüsterte sich, ein sicheres Zeichen dafür, dass ihr Sturkopf die Oberhand gewann. Abwehrend hob Rafe die Hände. „Du hast recht. Wir sehen nach ihm. Weil man das so macht.“

Er widerstand dem Drang, auf die Uhr zu schauen. Sie würden schon rechtzeitig wieder im Hotel sein, bevor die Bar schloss.

Officer Rodriquez führte sie einen langen hell erleuchteten Flur entlang und durch eine Doppeltür hindurch. Der köstliche Geruch wurde immer intensiver und erinnerte Rafe daran, dass er nichts zu Mittag gegessen hatte und es langsam Zeit zum Abendessen war.

„Da sind wir schon.“ Officer Rodriquez zog eine weitere Tür auf und bedeutete ihnen, einzutreten. „Glen, du hast schon wieder Besuch.“

Rafes einzige Erfahrungen mit Gefängnissen stammten aus Fernseh- und Kinofilmen. Er war also nicht ganz sicher, wo Fool‘s Gold sich auf der Schrecklichkeitsskala einreihte. Aber mit dem Anblick, der sich ihm in Glens Zelle bot, hatte er wirklich nicht gerechnet.

Der alte Mann lag ausgestreckt auf der allseits bekannten Pritsche, doch diese war mit einem wunderschönen Quilt bedeckt, und es gab mindestens ein Dutzend dicker Kissen am Kopfende. Ein bunter Teppich bedeckte den Großteil des Fußbodens. Vasen mit Blumen standen überall, und es gab einen großen Flatscreen.

Die Geräusche eines Actionfilms durchdrangen die Luft. Ein langes Regal seitlich neben dem Fernseher diente als eine Art Büfett. Dutzende zugedeckte Töpfe und Schüsseln warteten nur drauf, serviert zu werden. Dazu kamen Kuchen, Torten und Kekse.

„Sie!“

Rafe drehte sich um und sah die Polizeichefin auf sich zumarschiert kommen. „Ma‘am?“

„Bleiben Sie mir bloß mit Ihrem ‚Ma‘am‘ vom Hals“, grollte sie und packte seinen Arm mit eiserner Hand, um ihn zurück in den Flur zu ziehen.

„Das ist alles Ihre Schuld“, schimpfte sie, als sie allein waren. „Sie glauben ja gar nicht, was Sie sich gerade für einen Ärger eingehandelt haben.“

Chief Barns reichte Rafe zwar nur bis zur Schulter, aber irgendetwas in ihrer Haltung warnte ihn, dass mit ihr nicht zu spaßen war.

„Wovon sprechen Sie bitte?“

„Von diesem Mann.“ Sie zeigt auf die Tür, die zu den Zellen führte.

„Wenn er ein Problem darstellt …“, fing Rafe an, verstummte unter ihrem Blick aber sofort. Er war noch eisiger als der seiner Assistentin.

„Oh ja, es gibt ein Problem, aber das hat nichts mit diesem Mann zu tun. Sondern mit den Frauen. Wissen Sie, wie viele ihn hier schon besucht haben?“

„Sechs?“, fragte er, weil er annahm, dass in den sieben Besuchern, die Officer Rodriquez erwähnt hatte, seine Mutter bereits enthalten war.

„Sechs“, bestätigte die Polizeichefin. „Sie tauchen hier mit Essen und Decken auf. Eine hat sogar einen verdammten Fernseher vorbeigebracht. Eine andere schleppte eine weiche Matratzenauflage mit. Wir wollen ja nicht, dass unsere Gefangenen schlecht schlafen, oder?“

„Ich bin nicht sicher, was ich damit zu tun habe.“

„Sie haben mich dazu veranlasst, ihn festzunehmen.“ Sie stieß ihm mit dem Finger in die Brust. „Sorgen Sie dafür, dass das aufhört, oder ich mache Ihnen das Leben zur Hölle. Versprochen.“

„Wir gehen morgen früh vor Gericht.“

„Gut. Das Letzte, was ich will, ist eine Gruppe Zivilisten, die mein Gefängnis in eine Kirchenversammlung verwandelt. Wenn der Richter fragt, ob Sie etwas dagegen haben, dass Glen auf eigene Verantwortung entlassen wird, sagen Sie besser Nein. Haben Sie mich verstanden?“

Rafe überlegte kurz, darauf hinzuweisen, dass sie mit dieser Unterhaltung gleich gegen mehrere Gesetze verstieß. Er hatte das Recht, zu verlangen, dass Glen bis zum Prozess in Haft blieb. Aber was wäre dadurch gewonnen? Bis die Situation geklärt war, hing er in dieser Stadt fest. Seine Mutter wollte sich hier häuslich niederlassen, und zwar auf dieser verdammten Ranch. Die Polizeichefin zum Feind zu haben würde ihm nicht weiterhelfen.

„Ich werde mit meinem Anwalt reden“, erklärte er.

„Mehr verlange ich auch gar nicht.“ Sie atmete tief ein und stieß die Luft ganz langsam wieder aus. „Ich schwöre, wenn hier noch jemand mit einem Auflauf auftaucht, fließt Blut.“

Autor

Susan Mallery
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leserinnen und Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem...
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