Willkommen auf der Insel der Leidenschaft

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Was für ein sexy Anblick! Fasziniert betrachtet Elena den athletischen Atticus Kalathes am Strand, noch nass vom Bad im Meer. Als junges Mädchen hat sie ihn das letzte Mal gesehen, jetzt hat sie ihren Adoptivbruder endlich auf dieser einsamen Karibikinsel aufgestöbert. Der Grund: Sein Vater – ihr Ziehvater – liegt im Sterben und will sich mit ihm versöhnen. Aber nichts hat Elena auf die prickelnde Erotik zwischen sich und Atticus vorbereitet! Und nichts auf die skandalöse Bedingung, die sich der griechische Patriarch für sie beide ausgedacht hat …


  • Erscheinungstag 16.04.2024
  • Bandnummer 2644
  • ISBN / Artikelnummer 0800242644
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Verdrossen ließ Elena Kalathes den Blick über die kleine namenlose jamaikanische Insel gleiten. Nichts als grüner Regenwald und weißer Sandstrand, umgeben von dem türkis leuchtenden, kristallklaren Wasser der Karibik. Eine Postkartenidylle, unberührt und abgeschieden von der Zivilisation. Das hatten ihr die Leute in Kingston gesagt und dass er sich einmal im Monat Lebensmittel bringen ließ. Gelegentlich käme er nach Port Antonio, aber nicht regelmäßig.

Wo genau er lebte, wusste niemand.

Niemand außer den drei Angestellten von Kalathes Shipping, die sie bereits nach Jamaika auf die Suche nach ihrem Adoptivbruder geschickt hatte. Und außer ihr selbst.

Dabei war er nicht im direkten Sinne ihr Bruder. Zusammen aufgewachsen waren sie nicht, und seit er sie nach dem Erdbeben aus den Trümmern ihres Hauses am Schwarzen Meer gerettet hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Das war sechzehn Jahre her. Damals hatte er sie zur Villa seines Vaters auf eine griechische Insel gebracht und sie dort gelassen.

Also nein, kein echter Bruder. Eher eine Märchengestalt. Ein Mythos.

Atticus Kalathes. Gründer der Hilfsorganisation Eleos. Er leitete das inzwischen weltweit agierende Unternehmen von dieser namenlosen Insel aus, die er nie verließ. Oder nur gelegentlich. Niemand wusste Genaueres.

Sie hatte ein Boot gemietet, das sie zur Insel bringen sollte. Der Skipper stellte den Motor ab und sprang auf den schmalen Anleger, der in die klare See hinausragte. Als das Motorengeräusch verstummte, war nichts mehr zu hören außer den Wellen, die gegen die Felsen und den Sand schlugen, und dem gelegentlichen Schrei einer Möwe.

Elena lief Schweiß den Rücken hinunter. Sie trug ein Kostüm, weil sie möglichst professionell wirken wollte. Die leichte cremefarbene Jacke schien ihr passend, zumal für die Überfahrt. Die Seidenbluse, die sie darunter trug, sollte sie kühl halten.

Ein Irrtum. Bestimmt hinterließ der Schweiß Flecken auf der Bluse. Warum bloß hatte sie dazu noch einen hellen Rock angezogen?

Die Krönung waren die Absätze – elegante Kitten Heels, die überall passten, aber definitiv nicht hier! Das Problem war einfach: Sie mochte teure Kleidung und sah gern gut aus. Sie war im Auftrag von Aristeidis Kalathes, als seine Adoptivtochter, hier und wollte entsprechend auftreten.

Der Skipper machte das Boot fest und hielt ihr eine Hand hin. Elena nahm sie und betrat den Steg. Sie hatte schon Wasserflecken auf den Schuhen, verdammt.

„Vielen Dank“, sagte sie zu dem Mann. „Geben Sie mir eine Stunde.“

Er nickte und sprang zurück ins Boot, um sich eine Zigarette anzuzünden.

Elena ließ den Blick über den kleinen Anleger und den weißen Sandstrand gleiten. Die Hitze war gnadenlos. Die Sonne brannte, obwohl der Nachmittag schon fortgeschritten war. Die Luftfeuchtigkeit ließ ihr jedes Kleidungsstück am Körper kleben.

Sie hoffte, dass eine Stunde reichte. Die anderen, die sie geschickt hatte, hatten nur zehn Minuten durchgehalten. Aber sie war natürlich anders. Elena, das kleine achtjährige Mädchen, das Atticus aus den Trümmern der zerstörten Stadt gerettet hatte.

Dass er sie zu seiner Familie nach Griechenland gebracht und einfach im Stich gelassen hatte, konnte sie ihm notfalls immer noch zum Vorwurf machen. Eine kleine emotionale Erpressung sollte ihr nur recht sein, wenn es ihr half, den letzten Wunsch ihres sterbenden Adoptivvaters zu erfüllen.

Aristeidis wollte seinen Sohn ein letztes Mal sehen und sich mit ihm versöhnen. Dafür war Elena bereit, alles zu tun, was in ihrer Macht stand. Aristeidis hatte ihr ein Zuhause gegeben und seinen Namen. Er hatte ihr die Sicherheit geboten, die sie damals als traumatisiertes Kind nach dem Verlust ihrer Familie gebraucht hatte.

Er hatte ihr alles gegeben, und in den vergangenen Jahren, als er so krank war, hatte sie ihm vieles zurückgegeben. Nun wollte sie ihm den verlorenen Sohn zurückbringen.

Atticus Kalathes würde nach Griechenland zurückkehren, ob er nun wollte oder nicht.

Sie strich sich den Rock glatt, zog die Jacke zurecht und ging den Anleger hinunter. Nicht weit vom Strand entfernt, umgeben von Palmen und dichtem Buschwerk, lag ein weitläufiges Haus aus dunklem Holz. Es erinnerte an eine Reihe von Schachteln, die durch hölzerne Stege verbunden waren. Große deckenhohe Fenster gewährten einen Blick hinaus auf den Ozean.

Ein von kleinen Solarlichtern gesäumter und mit Muscheln bedeckter Weg führte zum Haus. Elena wollte ihm folgen, blieb aber stehen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Strand wahrnahm.

Ein Mann ging über den Sand. Er kam eindeutig aus Richtung der Felsen am Ende des Strandes und trug etwas über der Schulter.

Über einer nackten, sehr muskulösen und gebräunten Schulter.

Elena kniff die Augen zusammen.

Nicht nur seine Schultern waren nackt. Er schien auch keine wie auch immer geartete Badehose zu tragen.

Er war splitternackt.

Vor Verlegenheit errötete sie. Ihre Kleider klebten unangenehm auf ihrer Haut. Hastig wandte sie den Blick ab.

Natürlich war er nackt. Es war ja seine Insel. Normalerweise war er hier vollkommen allein – und nun tauchte sie unangekündigt auf. Sie hatte ihm zwar diverse Mails geschickt und ihm Sprachnachrichten hinterlassen, um ihn über ihren geplanten Besuch in Kenntnis zu setzen, aber er hatte nicht reagiert. Vielleicht hatte er ihre Nachrichten nicht bekommen. Schließlich lebte er hier sehr abgeschieden. Jenseits der Zivilisation.

Vielleicht hatte er ihre Nachrichten auch erhalten, nur nicht antworten wollen. Er war bekannt für seine schroffe Art, das sagten zumindest diverse Leute von Kalathes, die versucht hatten, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Die Leute in Kingston, die ihn bei seinen gelegentlichen Besuchen in der Stadt kennengelernt hatten, fanden ihn hingegen ausgesprochen nett und mochten ihn.

Elena wusste nicht, mit welcher Seite von ihm sie zu tun bekam – vermutlich mit der schroffen. Sicher war er nicht sehr angetan, dass sie ihn hier nackt überraschte. Vielleicht sollte sie sich diskret ins Boot zurückziehen und warten, bis er sich etwas anzog.

Sie hatte gerade den ersten Schritt in diese Richtung getan, als sie ein energisches „Stop!“ hörte.

Elena betrachtete sich als eine moderne und mit Sicherheit eine starke Frau. Sie ließ sich von niemandem gern sagen, was sie zu tun und zu lassen hatte – wenn es nicht gerade Aristeidis war. Dennoch blieb sie wie angewurzelt stehen.

Sie drehte sich herum, um ihm klipp und klar zu sagen, dass er sie nicht wie einen Hund herumkommandieren konnte, aber die Worte erstarben ihr auf der Zunge.

Atticus Kalathes war stehen geblieben. In der karibischen Sonne erschien er ihr wie die männliche Version von Botticellis Venus – ohne das lange blonde Haar und die Muschel.

Er war groß gewachsen, hatte breite Schultern und tiefbraune Haut, an der Wassertropfen herabperlten. Die harten Muskeln wirkten wie aus Marmor gemeißelt. Seine Hüften waren schmal, die Beine lang und kräftig. Und dazwischen …

Elena spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie riss den Blick los und sah ihm ins Gesicht.

Das war nicht viel besser.

Natürlich wusste sie, wie er aussah. Aristeidis hatte viele Alben mit Fotos, die einen lachenden Jungen mit schwarzem Haar und dunklen Augen zeigten. Auf dem Gesicht des Teenagers zeichneten sich bereits deutlich die markanten Gesichtszüge des erwachsenen Mannes ab. Ebenso deutlich waren ihre Erinnerungen an den Tag, der nun schon so lange zurücklag. Damals hielt sie ein kleines Taschenmesser in der Hand, das sie irgendwo in den Trümmern gefunden hatte. Es war ihre einzige Waffe, als eine Gruppe von Plünderern sich ihr näherte. Sie sahen in ihr eine leichte Beute.

Mindestens eine Woche hatte sie in den Trümmern gehaust. Sie hatte überlebt, weil sie aß, was sie dort fand. Sie wollte die Ruinen des Hauses nicht verlassen, unter denen ihre Familie begraben war. Blut aus einer Schnittwunde, die sie kaum wahrnahm, lief ihr die Stirn herab und in die Augen. Starr vor Angst war sie, aber eines hatte sie in dieser Woche gelernt: Die in Banden umherziehenden Plünderer waren wie Tiere. Sie spürten die Angst. Sie durfte unter gar keinen Umständen Angst zeigen. Durfte nicht einmal wie eine mögliche Beute erscheinen.

Also stand sie da, in der Hand das Messer, und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Plötzlich war er aufgetaucht, eine große Gestalt, bis an die Zähne bewaffnet. Er trug einen Helm und einen Tarnanzug. Aus seiner Waffe gab er zwei Schüsse in die Luft ab. Dabei brüllte er den Plünderern etwas in einer Sprache zu, die sie nicht verstand. Die Männer verschwanden. Zurück blieben nur sie und er. Sie sah sein Gesicht – markante Züge und tiefschwarze Augen.

Vielleicht ein Prinz. Instinktiv wusste sie, dass er kein Plünderer war und kein Feind. Er war gekommen, sie zu retten, da war sie sich ganz sicher. Also ließ sie ihr kleines Messer fallen und streckte ihm die Arme entgegen.

Seine Augen, aus denen er sie jetzt ansah, waren immer noch so dunkel wie damals und seine Züge noch genauso markant. Aber sie betrachtete ihn jetzt mit den Augen einer erwachsenen Frau, nicht mehr mit denen eines Kindes, und sie erkannte, wie gut er aussah. Ein auf die Erde herabgestiegener Apoll, der gekommen war, um die Frauen der Sterblichen zu verführen.

Das hatte sie bereits gewusst. Sie hatte Fotos von ihm in den Zeitungen und im Internet gesehen und neugierig alle Interviews mit ihm gelesen. Sie kannte seine Antworten mehr oder weniger auswendig und hätte sie im Schlaf aufsagen können. Insgesamt hatte er vier Interviews gegeben, das letzte vor zwei Jahren. Seither war er nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen.

Ihr Puls ging bei seinem Anblick unwillkürlich schneller. Die Sonne ließ die Wassertropfen in seinem schwarzen Haar glänzen. Offenbar war er gerade schwimmen gewesen. Auch an seinen langen Wimpern hingen noch vereinzelte Tropfen.

Natürlich hatte sie schon nackte Männer auf Fotos gesehen. In der Bibliothek der Familie befanden sich viele Kunstbände mit Gemälden und Skulpturen. Auch entsprechende Websites im Internet kannte sie, und sie fragte sich insgeheim, warum so viel Aufhebens gemacht wurde.

Jetzt wusste sie es und verstand.

Ein lebendiger Mann, der in Fleisch und Blut, mit harten Muskeln, feucht glänzender Haut und schwarzen, blitzenden Augen vor ihr stand. Das war jedes Aufheben wert.

Seine Nacktheit schien ihn nicht im Mindesten zu irritieren oder peinlich zu sein. Er stand da, als sei es selbstverständlich. Über seiner Schulter hing an einer Leine ein frisch gefangener Fisch. Selbst in einem Frack und gar mit Krone wäre seine Haltung nicht anders gewesen.

Sie musste endlich etwas sagen. Vielleicht sollte sie die kleine Rede halten, die sie vorbereitet hatte – von seinem Vater, der starb, und dass es an der Zeit sei, heimzukehren. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. „Ich … also …“

„Was hast du auf meiner Insel zu suchen?“ Sein Ton war hart.

Elenas Mund war wie ausgedörrt, und ihre Wangen waren heiß. Ihr ganzer Körper war heiß, und das lag wohl nicht nur an der Sonne. „Oh, erkennst du mich nicht? Ich bin es …“

„Natürlich erkenne ich dich, Elena.“ Sein Blick glitt desinteressiert über sie hinweg. „Du hast hier trotzdem nichts zu suchen.“

Es überraschte sie, dass er sie erkannte, denn ihre letzte Begegnung war immerhin sechzehn Jahre her. Damals hatte er sie zu seinem Vater auf die Insel Kalifos gebracht.

Nervös zog sie sich die Jacke zurecht, als könne ihr damit kühler werden. „Ich habe dir Mails geschickt und dich angerufen …“

„Und habe ich darauf geantwortet? Habe ich irgendwie angedeutet, dass ich an deinem Besuch interessiert bin?“

„Ich dachte, vielleicht sind meine Nachrichten nicht …“

„Doch, sie sind angekommen.“

„Aber …“

„Mein Schweigen war meine Antwort. Ich bin lieber allein.“ Trotz der Sonne klang sein Ton frostig.

Sie hatte also richtig vermutet und bekam hier den schroffen Atticus Kalathes geboten. Wie auch immer – sie war im Auftrag von Aristeidis hier und wild entschlossen, ihn zu erfüllen. Davon ließ sie sich nicht abbringen, nicht einmal von einem nackten Adonis.

„Das tut mir leid“, sagte sie. „Aber ich bin wegen deines Vaters hier. Er liegt im Sterben, Atticus, und möchte, dass du nach Hause kommst.“

Atticus hatte sehr wohl gewusst, wen das kleine Boot brachte. Er hatte es auf seine Insel zusteuern sehen, als er draußen im Wasser sein Abendessen geangelt hatte. Der Anblick des Bootes hatte ihn augenblicklich in schlechte Laune versetzt.

Er hatte auf Elenas Mails und Anrufe bewusst nicht reagiert, weil der Kontakt zu seinem Vater das Letzte war, was er wollte. Er hatte gedacht, sein Schweigen reiche, um sie abzuschrecken. Offenbar hatte er sich geirrt.

Wieso fand sie ihn so leicht, obwohl er doch auf einer namenlosen Insel lebte, die auf keiner Karte eingezeichnet war?

Er hatte sich keine Mühe mit seinem Äußeren gegeben. Wenn sie unbedingt herkommen wollte, musste sie ihn nehmen, wie er war. Und abends beim Fischen war er nun einmal am liebsten nackt.

Er hatte sie nicht eingeladen, und sie drang in seine Privatsphäre ein. Er dachte ja gar nicht daran, ihretwegen die Angel abzulegen und sich anstandshalber etwas überzuziehen.

Zumindest hatte er das gedacht, bis er sah, wie das Boot anlegte und sie in ihrem unpassenden Kostümchen vorsichtig den Weg zu seinem Haus hinaufstöckelte.

Dann hatte er genauer hingesehen und überhaupt nicht mehr denken können.

Vor sechzehn Jahren war sie acht Jahre alt gewesen, ein Kind, blutverschmiert und mit einem Messer in der kleinen Hand. Allein gegen fünf Männer, die nichts Gutes im Schilde führten. Ihre Kleider waren zerrissen, die blonden Zöpfe zerzaust, und ihre braunen Augen funkelten voll Zorn.

Er war der Anführer einer Truppe gewesen, die im Auftrag der Regierung bei Unruhen oder in Katastrophenfällen eingriff. Sie suchten in den Trümmern nach Überlebenden. Er hatte sie sofort gesehen und die Gefahr erkannt, in der sie sich befand. Er spürte, dass sie trotz aller Entschlossenheit vor Angst wie erstarrt war. Zu Recht. Was sollte ein kleines Mädchen gegen fünf erwachsene Plünderer ausrichten?

Er feuerte ein paar Warnschüsse ab, um die Männer zu vertreiben. Er erwartete, dass sie ebenfalls die Flucht ergriff, weil er ihr in seiner Uniform Angst machte. Aber sie hatte ihn nur angesehen, ihr Messer fallen lassen und ihm ihre kleinen Arme entgegengestreckt, als sei er kein abgebrühter Söldner, sondern ihr edler Ritter.

Das hatte er nie vergessen. Er hatte nie vergessen, wie er bei ihrem Anblick erschauerte.

Daran musste er denken, als sie jetzt verschwitzt vor ihm stand in einem Kostüm, das besser in einen Konferenzraum passte als an den Strand einer Tropeninsel.

Sie hatte sich sehr verändert.

Das lange blonde Haar trug sie nicht mehr zu Zöpfen geflochten, sondern in einem Knoten im Nacken. Ihr Gesicht hatte das kindlich Runde verloren. Sie hatte ein festes Kinn, überraschend volle Lippen, eine markante Nase und blonde Brauen, die etwas heller waren als ihr Haar.

Aus dem verwahrlosten kleinen Mädchen war eine atemberaubend schöne Frau geworden. Eine Frau, die erkennbar unter der Hitze litt und offenbar von seiner Nacktheit verwirrt war.

Das hätte ihm sicher ein Gefühl der Befriedigung entlockt, wäre sie eine andere gewesen. Er wusste schon nicht mehr, wann er das letzte Mal eine Frau berührt hatte. Seine Libido war ebenso tot wie sein Herz, und er sah keinen Grund, sie wieder zum Leben zu erwecken.

Außerdem war Elena nicht einfach irgendeine Frau. Sie war das Mädchen, das er gerettet und zu seinem Vater gebracht hatte. Der Vater, der jetzt im Sterben lag.

Nein, er hatte ihre Mails nicht gelesen, aber er konnte sich denken, dass es einen guten Grund für ihre lange Reise hierher geben musste.

Seit sechzehn Jahren hatte er nicht mehr mit Aristeidis gesprochen und eigentlich nicht vor, es je wieder zu tun. Dennoch rührte es ihn, als sie sagte, sein Vater liege im Sterben.

„Ja, und?“ Atticus’ Antwort war herzlos – die Antwort eines Mannes, der kein Herz mehr hatte.

Sie kniff die Augen zusammen und zeigte deutlich, wie sie zu seiner Reaktion stand. „Was soll das heißen? Ja, und? Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

„Ja. Mein Vater liegt im Sterben und ich soll nach Hause kommen.“ Er schob die Angel mit dem Fisch auf seiner Schulter zurecht. „Erstens ist es mir egal und zweitens will ich nirgends hinfahren. Wieso trippelst du nicht wieder zurück, woher du gekommen bist?“

Sie war offensichtlich überrascht. Einen Moment lang erwartete er tatsächlich, dass sie kehrtmachte und zum Boot zurückging. Als sie ihn wieder ansah, meinte er, das entschlossene kleine Mädchen von damals vor sich zu sehen, das glaubte, es mit fünf erwachsenen Männern aufnehmen zu können.

„Nein.“ Ihr Ton war so klar und kühl wie Frost im Winter. „Erstens habe ich deinem Vater versprochen, dich nach Hause zu bringen, und zweitens will ich nirgends ‚hintrippeln‘.“

Widerworte war er nicht gewohnt. Er war der Gründer einer der größten Hilfsorganisationen der Welt und hatte viel Macht und Ansehen. Er leitete Eleos wie eine Militäreinheit. Es gab eine strenge Hierarchie. Er erwartete, dass seine Angestellten seine Anweisungen befolgten, ohne sie zu hinterfragen. Und genau das taten sie.

Niemals würden sie mit rotem Kopf und verschwitzt vor ihm stehen und nicht Folge leisten. Schon gar nicht würden sie ihn dabei missbilligend ansehen, als sei er es, der hier irgendwie im Unrecht war.

„Das war keine Bitte“, herrschte er sie an.

Sie richtete sich auf. „Und ich bin nicht deine Angestellte. Ich muss nicht tun, was du sagst.“

„Du befindest dich hier auf meinem Grund und Boden. Wenn du nicht gehst, lasse ich dich fortbringen.“

Sie sah sich betont interessiert um. „Wer genau sollte das tun? Ich sehe hier sonst niemanden.“

Es war wirklich niemand da. Er lebte allein hier – so wie er es liebte.

„Dann sorge ich selbst dafür, dass du die Insel verlässt.“ Er nahm den Fisch von der Schulter, als wolle er ihn auf den Boden legen, um die Hände frei zu haben und sich auf sie stürzen zu können.

Es war nur zum Teil ein Bluff. Wenn es sein musste, würde er sie schon loswerden. Sie war hier unerbeten aufgetaucht, also musste sie mit den Konsequenzen leben.

Offenbar hatte sie ihm die Drohgebärde abgenommen, denn sie hob die Hände. „Moment!“ Er sah, wie ein Schweißtropfen ihren Hals herabrann. „Ich bin nicht hier, um mit dir zu streiten.“

Für einen Augenblick hörte er ihr gar nicht zu, weil er fasziniert verfolgte, wie der Schweißtropfen in ihrem Ausschnitt verschwand. Als er merkte, was er tat, hob er rasch den Blick.

„Wieso bist du dann noch hier?“, herrschte er sie an. Sein Ton war unwillkürlich scharf, aber das war ihm einerlei. Er wollte sie nicht hier haben. Eine merkwürdige Hitze durchlief seinen Körper. Eine Hitze, wie er sie lange nicht verspürt hatte. Es gefiel ihm ganz und gar nicht. Sein Körper war wie eine Maschine, die er gut geölt in Topzustand hielt. Er behielt stets die volle Kontrolle. Körperliches Verlangen war eine Schwäche, die er sich nicht gestattete. Also sollte er nicht so auf sie reagieren. Unter gar keinen Umständen!

„Ich habe es ihm versprochen, Atticus“, sagte Elena fest. „Ich habe Aristeidis versprochen, nicht ohne dich zurückzukehren.“

Aristeidis Kalathes, sein Vater. Chef der Familie. Besitzer einer Multimillionen-Dollar-Reederei. Ex-Militär. Stolz. Arrogant. Hart wie Stahl.

Aristeidis war früh Witwer geworden und musste seine beiden Söhne allein großziehen. In all den Jahren war er Atticus kaum ein Vater gewesen. Sein Liebling war Dorian, Atticus’ älterer Bruder.

Dorian starb, als Atticus sechzehn war.

Aristeidis hatte den Tod seiner Frau nicht verwunden und wurde auch mit dem Tod seines Sohnes nicht fertig. Er gab Atticus die Schuld am Tod seines Bruders und konnte ihm nicht verzeihen. Atticus akzeptierte den Vorwurf und nahm die Schuld auf sich. Sein Vater strafte ihn seit Jahren dafür.

Dass sein Vater im Recht war, hieß aber nicht, dass Atticus bleiben und seine Vorwürfe ertragen musste. Also verließ er Kalifos. Auch dafür hasste sein Vater ihn.

Nein, wenn Aristeidis ihn tatsächlich sehen wollte, dann bestimmt nicht, um sich mit ihm zu versöhnen, ganz gleich, was er Elena gesagt haben mochte. Atticus hatte keinen Zweifel daran, dass der alte Bastard ihn immer noch bestrafen wollte. Doch Atticus hatte längst für Dorians Tod gebüßt.

Er würde nicht nach Hause zurückkehren. Unter keinen Umständen.

„In dem Fall steht dir ein langer Urlaub auf Jamaika bevor.“ Ohne ein weiteres Wort ließ er sie stehen und verschwand Richtung Haus.

2. KAPITEL

Elena sah Atticus nach, als er den Muschelpfad hinunterging und hinter dem Haus verschwand. Sie kochte vor Wut.

Aristeidis hatte ihr gesagt, dass es nicht leicht werden würde, Atticus dazu zu bringen, nach Hause zu kommen. Es war seine eigene Schuld. Ihre Beziehung war bereits vor vielen Jahren zerbrochen. Er hätte Atticus ein besserer Vater sein sollen, aber seine Trauer und die Verbitterung über Dorians Tod hatten seinen einzigen verbliebenen Sohn vertrieben.

Jetzt, da der Krebs sich in seinen Körper fraß und es ihm immer schlechter ging, wollte er sich mit seinem Sohn versöhnen und sich bei ihm für sein Verhalten in all den Jahren entschuldigen.

Sein Bedauern und die Trauer zusätzlich zu seiner Krankheit empfand Elena als besonders schmerzhaft. Der Gedanke war unerträglich, dass der Mann, der ihr in der größten Not und Einsamkeit ein Zuhause gegeben hatte, sterben sollte, ohne sich mit seinem Sohn ausgesprochen zu haben. Sie liebte Aristeidis. Er hatte ihr so viel gegeben. Da erschien es nicht zu viel verlangt, ihm seinen Sohn zurückzubringen.

Sie hatte erwartet, dass Atticus mitkommen würde, wenn er hörte, dass sein Vater im Sterben lag. Dass ihn die Nachricht berührte und er ihr schlechtes Verhältnis bedauerte.

Ein Irrtum. Sein Vater war ihm einerlei.

Ihr Zorn wuchs. Es stimmte, Aristeidis hatte nach Dorians Tod Fehler gemacht, aber dennoch – er war Atticus’ Vater und er lag im Sterben. Da musste Atticus doch über seinen Schatten springen können. Elena erinnerte sich kaum noch an ihren eigenen Vater, aber sie würde alles dafür geben, noch einmal mit ihm sprechen zu können.

Hättest du Hilfe geholt und länger in den Trümmern gesucht, statt wegzurennen, dann hättest du die Chance dazu gehabt.

Elena überhörte die Stimme. Die alten Zweifel meldeten sich immer wieder, aber sie versuchte, nicht hinzuhören. Es hatte keinen Sinn. Sie war acht Jahre alt gewesen, als ihre Familie umkam. Was hätte eine Achtjährige schon tun können? Sie hatte ja kaum selbst überlebt.

Wie auch immer – es half jetzt nicht, Atticus böse zu sein. Diese Schwäche durfte sie sich nicht leisten. Außerdem wusste sie aus Erfahrung, dass Wut nichts brachte. Als Atticus sie auf Kalifos zurückließ, war sie wütend gewesen – auf ihn und alle anderen. Das Schicksal hatte ihr die Familie genommen und er ließ sie allein.

Anfangs war Aristeidis ebenfalls entgeistert gewesen. Mit einem verstörten Kind, das eher einer fauchenden und kratzenden Katze glich als einem menschlichen Wesen, wusste er nichts anzufangen. Gefühle zeigte er nicht. Er kam aus der Tradition des Militärs und schätzte Stärke und Selbstbeherrschung. Das war es, was Elena von ihm lernte. Sie wuchs zu einer starken Frau heran, die sich und ihre Gefühle jederzeit im Griff hatte. 

Auch jetzt. Obwohl … vielleicht konnte es nicht schaden, ihn wissen zu lassen, wie sehr sein Vater ihn brauchte. Vielleicht half eine Bitte. Sie wollte nicht so verletzlich sein wie vor Jahren, als er sie aus den Trümmern geholt hatte.

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