Zaubernächte in den Armen des Scheichs

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Scheich Caleb muss schnellstens heiraten, sonst verliert er den Thron. Nur wen? Da sucht eine betörend schöne Reiterin während eines Sandsturms Schutz in seinem Palast. Lia ist die Königin des Nachbarlandes, auch sie muss heiraten und die Thronfolge sichern – eine Zweckehe scheint für beide die Lösung! Doch schon bald sprühen tatsächlich sinnliche Funken zwischen ihnen, überraschend fühlt Caleb sich immer mehr zu Lia hingezogen. Aber nach einem ersten sinnlichen Kuss weist sie ihn unvermittelt wieder zurück. Liebt sie etwa heimlich einen anderen?


  • Erscheinungstag 15.10.2024
  • Bandnummer 212024
  • ISBN / Artikelnummer 0800240021
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1.KAPITEL

„Keine Veränderung?“

Angespannt wartete Lia auf die Antwort des Arztes. Sie war von der Liege, auf der er die Untersuchung durchgeführt hatte, aufgestanden und steckte ihr Shirt wieder in den Bund ihrer Hose. Wie immer trug sie bequeme Jeans, auch wenn sich das nicht unbedingt für eine Königin ziemte. Dann folgte sie Dr. Madir zu seinem Schreibtisch. Der grauhaarige Mann schüttelte bedächtig den Kopf.

„Keine Veränderung“, erklärte er mit einem Anflug von Bedauern in der Stimme. „Aber das war leider auch nicht zu erwarten, wie Sie wissen, Majestät.“

Ja, natürlich … Lia seufzte. Es war nicht zu erwarten gewesen. Schon früh hatten die Ärzte ihr wenig bis keine Hoffnung gemacht. Ihre Nieren waren unwiderruflich geschädigt, durch eine schwere Scharlach-Erkrankung in ihrer Jugend. Sie hatte Glück gehabt, zu überleben. Eine chronische Nieren-Insuffizienz, wie sie bei ihr vorlag, war irreversibel, das wusste sie nur zu gut. Trotzdem hoffte sie immer wieder auf eine Verbesserung ihres Zustandes, wenn die regelmäßige Kontroll-Untersuchung anstand.

„Eine Transplantation …?“, wagte sie einzuwerfen.

„Eine Transplantation sollte man nur als letzte Möglichkeit in Erwägung ziehen“, erklärte Dr. Madir, ihr Leibarzt, geduldig. „Sie birgt durchaus Gefahren und auch ein neues Organ ist keine Garanti für eine problemlose Schwangerschaft. Sie müssten ihr ganzes Leben lang starke Medikamente einnehmen, um eine Abstoßung des Organs zu verhindern. Ein Fötus könnte dadurch irreparabel geschädigt werden. Deshalb sollten Sie nicht leichtfertig Ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen. Solange Ihre Nieren funktionieren – wenn auch nur eingeschränkt –, können Sie ein weitgehend normales Leben führen.“

„Aber nicht schwanger werden!“

„Es ist nicht ratsam. Es wäre eine zu große Belastung für den gesamten Organismus. Dennoch gibt es Möglichkeiten. Eine Leihmutterschaft?“ Er sah sie freundlich an. Sein faltiges Gesicht trug einen Ausdruck liebevoller Besorgnis zur Schau. Dr. Madir kannte Lia schon ihr ganzes Leben lang. Er hatte sie damals, als Sechzehnjährige, behandelt und um ihr Leben gekämpft, als der Scharlach Komplikationen verursacht hatte. Sie wusste, dass sie ihm voll und ganz vertrauen konnte. Nur Wunder – die konnte auch er nicht vollbringen!

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was das für die Thronfolge bedeuten würde. Außerdem …“

Sie brach ab. Außerdem wäre es nicht dasselbe. Will ich ein Kind nur deshalb, um zu beweisen, dass ich eine richtige Frau bin? fragte sie sich. Schon möglich. Sehnte man sich nicht immer ganz besonders nach den Dingen, die man nicht haben konnte? Doch sie musste auch an die Konsequenzen für ihre Familiendynastie denken. Als Königin von Zaafir trug sie die Verantwortung für ein ganzes Land.

Auch wenn es vermutlich noch stärkere Konsequenzen hätte, gar keine Kinder haben zu können. Aber mit diesen Problemen wollte sie sich im Augenblick nicht befassen. Noch hatte sie die Hoffnung nicht ganz begraben …

Lia seufzte. War es wirklich erst ein Jahr her, seitdem ihr Bruder Karim als König von Zaafir abgedankt hatte, um seine große Liebe Annie zu heiraten und mit ihr in London zu leben, ohne die Last der Krone und ohne an das strenge Hofzeremoniell gebunden zu sein? Damals war Lia voller Begeisterung und Tatendrang an seine Stelle getreten. Die erste Königin in der Geschichte ihres Landes zu sein, war ihr wie ein wundervoller Traum erschienen. Wie große Pläne sie gehabt hatte!

Mittlerweile war eine gehörige Ernüchterung eingetreten. Ihre hochfliegenden Träume waren auf den eisernen Widerstand des Ältestenrates getroffen, der jede Anordnung des Regenten absegnen musste. Ihr war bewusst geworden, dass trotz der westlichen Ausrichtung in Zaafir immer noch ein sehr traditionelles Gesellschaftsbild herrschte, in dem Frauen nur bedingt eine Stimme hatten. Als Königin diente sie als Repräsentantin ihres Landes, symbolisierte nach außen Offenheit und Toleranz, doch in Wahrheit hatte sie nur sehr wenig Entscheidungsgewalt.

Wenn ich einen Sohn zur Welt bringen könnte, würde mein Ansehen deutlich steigen, dachte sie grimmig. Im nächsten Augenblick schalt sie sich selbst, dass sie damit nur weiter diese patriarchalischen Strukturen unterstützte, die sie doch eigentlich durchbrechen wollte. Aber es war schwierig, allein als Frau herrschen zu wollen. Wenn sie nur an ihr Öko-Projekt an der Grenze zu Kandur, ihrem Nachbarland, dachte …

Wie sehr hatte sie sich für die Siedlung, die sie zusammen mit einer Gruppe junger zaafirischer Architekten geplant hatte, eingesetzt. Es sollte ein Wohnort für junge Familien werden, erbaut nach den neuesten ökologischen Standards. Weitgehend autark dank Solar-Energie, Windkraft und modernster Wasseraufbereitung. Sie wollte damit ein Musterbeispiel für ein Leben im Einklang mit der Natur schaffen – ein besonders ambitioniertes Unterfangen in einem Wüstenstaat wie Zaafir! In Zeiten eines drohenden Klimawandels wäre es eine Investition in die Zukunft ihres Landes.

Doch der Ältestenrat stemmte sich vehement gegen das Vorhaben. Die vorgesehenen Gelder sollten lieber in die militärische Aufrüstung des Landes fließen, um gegen etwaige Übergriffe durch Kandur gerüstet zu sein. Es hatte in den letzten Wochen immer wieder kleinere Zwischenfälle an der Grenze zum Nachbarstaat gegeben, ausgelöst durch Goldfunde in der Region. Scheich Caleb al Said, der Herrscher von Kandur, beanspruchte einen Teil der Funde für sich, Zaafir wies dies verständlicherweise zurück.

Lia nagte zweifelnd an ihrer Unterlippe. Ob der Scheich wirklich eine Invasion plante, wie der Ältestenrat befürchtete? Zuzutrauen war es Caleb al Said allemal. Der König von Kandur galt als ehrgeizig und gerissen; ein Mann, der sich zu nehmen pflegte, was er wollte.

Nicht zum ersten Mal in ihrer Regentschaft hatte Lia das Gefühl, sich auf dünnem Eis zu bewegen. Was verstand sie schon von militärischen Dingen? Sie hatte nicht so wie ihr Bruder Karim eine entsprechende Ausbildung genossen. Außerdem wollte sie eine kriegerische Auseinandersetzung um jeden Preis verhindern. Doch gleichzeitig durfte sie ihren Gegnern gegenüber auch keine Schwäche zeigen.

Mit einer müden Geste griff sie nach ihrem Baqib, dem traditionellen Kleidungsstück ihres Landes, und zog ihn über ihr Shirt. Der Baqib war ein locker fallendes Hemd, das über der sonstigen Kleidung getragen wurde. Man konnte ihn auch als Mantel benutzen, wie Lia es gern tat.

Zum Baqib gehörte auch ein dünner Schal, der zum Schutz vor der Sonne um den Kopf gewickelt werden konnte oder als Gesichtsschleier diente. Auch wenn in Zaafir Frauen die Freiheit hatten, sich unverschleiert zu zeigen, konnte der Schal durchaus nützlich sein, um den allgegenwärtigen Sand abzuhalten. Lia wickelte ihn sich lässig um den Hals.

Dr. Madir räusperte sich. „Bei allem Respekt, Majestät, ich muss auch dringend von der geplanten Reise durch Zaafir abraten. Jetzt im Hochsommer würde ein solches Unterfangen eine große Belastung für Ihre Gesundheit darstellen. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt …“

„Ich werde vorsichtig sein.“ Lia bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln. Sollte es nicht eigentlich umgekehrt sein und der Arzt müsste versuchen, sie aufzumuntern? „Aber die Reise ist – dringend notwendig. Es ist nun einmal meine Aufgabe als Königin, auf die Menschen zuzugehen und ihre Probleme aus erster Hand zu erfahren. Das kann ich nicht von meinem Palast aus tun. Ich muss mich unter das Volk mischen!“

Um mich bei ihnen einzuschmeicheln und mir ihren Rückhalt zu sichern. Ohne Rückhalt, in welcher Form auch immer, bin ich verloren!

Dr. Madir neigte ergeben den Kopf. Sie konnte sehen, dass er mit dieser Erklärung nicht zufrieden war, aber natürlich konnte er ihr keine Vorschriften machen. Immerhin war sie die Königin. So viel Macht besaß sie zumindest. Um einen alten Arzt einzuschüchtern. Na toll!

Sie streckte dem Arzt die Hand entgegen. „Bis zu meinem nächsten Termin in einem halben Jahr, Dr. Madir. Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen um mich. Ich werde auf der Reise gut versorgt sein.“

„Dann wünsche ich Ihnen eine gesunde Heimkehr“, sagte Dr. Madir ernst. Er hielt ihre Hand mit warmem Druck in seiner. „Passen Sie gut auf sich auf, mein Kind!“

Lia lächelte. Es tat gut, zur Abwechslung einmal als Mensch und nicht als Königin gesehen zu werden. Vielleicht würde es ihr ja auf ihrer Reise durch Zaafir gelingen, auch die Menschen, mit denen sie zusammentraf, davon zu überzeugen, dass sie auf ihrer Seite stand. Dass sie keine abgehobene gottgleiche Erscheinung war, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut, die bereit war, ihre Sorgen und Nöte zu teilen.

Sie wollte den Menschen näherkommen, sie davon überzeugen, dass sie gemeinsam eine bessere Zukunft für ihr Land gestalten konnten. Deshalb wollte sie drei Wochen lang quer durch das Land reisen, nicht nur die größeren Städte besuchen, sondern auch kleine Siedlungen in der Wüste. Um den Bewohnern von Zaafir auf Augenhöhe zu begegnen. Sie würde im Jeep unterwegs sein – und dort, wo es die Infrastruktur nicht anders zuließ, auch zu Pferd, um selbst in die entlegensten Winkel des Landes zu gelangen. Es war zugegeben eine Herkulesaufgabe, die ihr körperlich alles abverlangen würde. Doch es war zum Wohl von Zaafir!

Sie hatte doch nur diese eine Aufgabe in ihrem Leben. Für ihr Land da zu sein und seinen Menschen zu dienen. Denn eine eigene Familie mit einem Ehemann und Kindern – die würde es für sie niemals geben, das hatte Dr. Madir mehr als deutlich gemacht!

Nachdenklich stand Caleb am Fenster des Wachturms und starrte über die weite felsenübersäte Ebene, die sich vor ihm ausbreitete. Er hatte gehofft, der Ritt zu der Festung Dar Bashir an der Grenze zu Zaafir würde ihm guttun. Würde ihn von den quälenden Sorgen und dem Druck, dem er im Palast ausgesetzt war, für eine Weile befreien.

Es gab vieles, das ihn in diesen Tagen belastete. Sein Kampf um die Krone von Kandur war nur ein kleiner Teil davon. Diesen Kampf würde er gewinnen, wie auch immer. Er würde sich sein Geburtsrecht nicht durch irgendeine uralte Tradition aberkennen lassen. Es konnte schließlich nicht so schwer sein, eine Frau zu finden …

Auch wenn keine Ayse gleichkam.

Unbeabsichtigt waren seine Gedanken zurück zu seiner verstorbenen Frau gewandert. Obwohl er sich seit zwei Jahren verzweifelt bemühte, die Erinnerung an sie tief in seinem Herzen zu begraben. So wie er Ayse begraben hatte, nachdem sie bei einem Flugzeugabsturz in den Bergen von Kandur ums Leben gekommen war. Immer noch klangen ihm ihre letzten Worte in den Ohren, als sie ihn kurz vor dem Abflug angerufen hatte:

„Ich bin in einer Stunde bei euch. Gib den Kindern einen Kuss von mir! Ich liebe dich, Cal!“

Caleb ballte die Hände zu Fäusten, um den Schmerz niederzukämpfen, der ihn zu überwältigen drohte. Dieser furchtbare Moment, als man ihm die Nachricht überbracht hatte, lebte wieder in ihm auf. Es war, als hätte man ihm sein Herz herausgerissen.

Es war Kismet!

Es sollte nicht sein!

Jedes Glück war nur von begrenzter Dauer – so viel hatte Ayses Tod ihn gelehrt. Dem Schicksal war nicht zu trauen!

Mit einer erschöpften Handbewegung fuhr er sich durch sein dichtes dunkles Haar, wie um die düsteren Gedanken zu vertreiben. Wie sehr er Ayse vermisste! Ihre zärtlichen Berührungen, ihre leise Stimme, die ihn zu besänftigen wusste wie sonst nichts auf der Welt. Bei ihr hatte er Ruhe und Frieden gefunden … hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben zufrieden gefühlt. Das Loch, das ihr Verlust in sein Herz und sein Leben gerissen hatte, schien durch nichts gefüllt werden zu können.

Alles, was ihm zu tun blieb, war, Kandur durch diese bewegten Zeiten zu führen. Das Land stand vor großen Herausforderungen, nicht zuletzt ausgelöst durch den Klimawandel, der sich in einem Wüstengebiet wie Kandur besonders bemerkbar machte. Die letzte Ernte war katastrophal ausgefallen – einer ganzen Region drohte eine Hungersnot, und Caleb wusste nicht, wie er sie abwenden sollte!

Es galt, all seine Kraft und Energie für sein Land einzusetzen, um den Menschen so gut wie möglich beizustehen. Und wenn er dazu eine neue Frau an seiner Seite brauchte – dann sollte es so sein. Er würde sich auch dieser Herausforderung stellen. Ayse würde nichts anderes von ihm erwarten!

Er drehte sich um, als die Tür hinter seinem Rücken sich öffnete. Captain Arif Omani, der Befehlshaber seiner Leibgarde, betrat den Raum. Omani begleitete Caleb, seit er vor zwanzig Jahren mit gerade einmal achtzehn Jahren zum König von Kandur gekrönt worden war – nach dem überraschenden Tod seines Vaters. Arif war sein bester Freund und sein einziger Vertrauter. Caleb hatte als Regent rasch gelernt, dass das Spiel um Macht und Einfluss beinahe jeden korrumpierte.

„Die Festung ist in erstklassigem Zustand, die Wachmannschaft bestens trainiert“, berichtete Omani von seiner Inspektion der Örtlichkeiten. „Wir können ganz beruhigt sein!“

„Können wir?“, gab Caleb grimmig zur Antwort. Von beruhigt konnte wohl schwerlich die Rede sein!

Sein Freund zog die Augenbrauen hoch. „Geht es immer noch um deine neue Gemahlin? Ich dachte, du hättest bereits eine Entscheidung getroffen. Die Tochter eines deiner Stammesfürsten …“

„Sie ist erst sechzehn, wie ich kürzlich erfahren habe.“

Arif Omani zuckte mit den Schultern. „Bei vielen Stämmen ist das kein Hinderungsgrund.“

„Aber es ist für mich ein Hinderungsgrund“, knurrte Caleb aufgebracht. „Außerdem kenne ich sie überhaupt nicht. Wie soll ich sie da heiraten?“

Arif grinste. „Ich habe meine Frau auch bei der Hochzeit zum ersten Mal gesehen. Und wir sind sehr glücklich miteinander. Manchmal sind die alten Traditionen gar nicht so schlecht.“

„Ich kann aber nichts damit anfangen“, murrte Caleb.

Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als er Ayse zum ersten Mal begegnet war. Sie war als Ärztin auf einer Impf-Tour durch Kandur unterwegs gewesen, um auch die Menschen in den entlegensten Ecken des Landes medizinisch zu versorgen. Um den Dorfbewohnern zu beweisen, dass eine Impfung nicht schlimm war, hatte sie ihn gebeten, als Versuchskaninchen zu fungieren. Immer noch spürte er den zarten Stich, als sie ihm die Injektion verabreicht hatte.

Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Es war ihm unmöglich gewesen, den Blick von ihr abzuwenden, während sie eifrig neugeborene Babys untersuchte und alten Männern behutsam den Blutdruck maß. Er war vollkommen von ihr eingenommen gewesen! Sie war so anders als all die anderen Frauen – ernsthaft, gefühlvoll, herzlich.

Bei seiner Mutter war sie natürlich auf Ablehnung gestoßen. Eine Frau, die einer Arbeit nachging, widersprach so gänzlich ihren Wertvorstellungen. Trotzdem hatte er sich durchgesetzt. Nur um jetzt wieder mit leeren Händen dazustehen.

Erneut zuckte Arif gleichmütig mit den Schultern. „So will es nun einmal das Gesetz. Es wird schon seine Richtigkeit haben.“

„Das mag sein, ich finde es trotzdem nicht richtig, dass es so ist.“ Caleb war klar, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen die alten Traditionen aufzulehnen. Auch er stand nicht über dem Gesetz. Warum nur konnte keiner sehen, wie schmerzlich Ayses Verlust immer noch für ihn war, auch nach zwei Jahren? Man konnte Gefühle doch nicht erzwingen!

„Was ist mit Solana?“

Caleb hob irritiert den Kopf. „Was soll mit Solana sein?“

„Warum heiratest du nicht sie? Schließlich kennst du sie lange genug. Ihr seid zusammen aufgewachsen, nicht wahr?“

„Ihr Vater war der Palastgärtner. Als Kinder haben wir in den Gärten gespielt. Dann ist sie in den Dienst meiner Mutter getreten.“

„Und jetzt kümmert sie sich um deine Kinder. Wäre das nicht die einfachste Lösung?“

Caleb überlegte. Natürlich war ihm dieser Gedanke auch schon gekommen. Tatsächlich bot sich Solana geradezu an. Sie war eine gute Freundin, die dem Haus al Said treu ergeben war. Selbst hatte sie nie geheiratet, sondern schien ganz in ihrem Dienst für das Königshaus aufzugehen.

Nach Ayses Tod hatte sie sich sofort erboten, die Erziehung von Abo und Benita zu übernehmen. Dafür war Caleb ihr dankbar. Sein eigener Kummer über Ayses Tod hatte ihn vollkommen vereinnahmt. Er hätte nicht gewusst, wie er den Kindern gegenübertreten sollte. Bei Solana schienen sie in kompetenten Händen zu sein.

Trotzdem …

Er und Solana waren Freunde … langjährige Vertraute … aber mehr war da nicht zwischen ihnen. Er hatte nie mehr als Kameradschaft für Solana empfunden. Nie hatte sie irgendwelche romantischen oder auch nur erotischen Gefühle in ihm geweckt. Dazu war sie zu ernst und streng. Sie lebte nur für ihre Pflicht.

Aber eine Ehe ohne Liebe war für Caleb nicht vorstellbar – nicht nach den glücklichen Jahren, die er mit Ayse verbracht hatte. Doch die Zeit drängte. Die zwei Trauerjahre, die dem König nach den Gesetzen seines Landes zugebilligt wurden, waren beinahe um. Am Ende des Monats würde er dem Regierungsrat eine neue Königin präsentieren müssen.

Oder er verlor den Thron!

2. KAPITEL

„Das war keine gute Idee!“

Malik erhob sich im Sattel und warf einen Blick über die Schulter. „Das Wetter schlägt um. Ich fürchte, über den Bergen braut sich ein Unwetter zusammen. Wir sollten lieber umkehren.“

„Aber es ist nicht mehr weit bis zu den Felsmalereien von Al Achmat. Wir können doch auch dort Unterschlupf suchen“, beharrte Lia. Sie freute sich darauf, diese alte Kultstätte zu besuchen, die die ältesten erhaltenen Aufzeichnungen ihres Volkes beherbergte. Die Felsmalereien von Al Achmat befanden sich in einem weitläufigen Höhlensystem an der südlichen Grenze von Zaafir. Sie waren nur noch wenige Kilometer entfernt.

Ihr persönlicher Leibwächter, der schon in den Diensten ihres Bruders gestanden war, schüttelte den Kopf. „Ich halte es wirklich für besser, in unser Lager zurückzukehren, Majestät. Wenn es einen Sandsturm gibt, sind wir verloren!“

Lia spürte Angst in sich aufsteigen. Mit einem Sandsturm war nicht zu spaßen, so viel wusste sie, auch wenn sie noch nie einen erlebt hatte. Gleichzeitig wollte sie nicht klein beigeben, keine Schwäche zeigen. Nicht einmal vor Malik, der mehr ein guter Freund als ein Untergebener für sie war. Aber dieses Gefühl, sich beweisen zu müssen, ließ sie einfach nicht los. Sie war die Königin, oder nicht?

Sie blickte zu den Bergen im Westen, über denen sich dunkle Wolken auftürmten. In der Wüste konnte sich das Wetter rasch und sehr dramatisch ändern. Dann war es ratsam, irgendwo Unterschlupf zu finden. Das war ihr von Kindheit an eingebläut worden.

Seit etwa drei Stunden waren sie zu Pferd unterwegs. Lia hatte darauf bestanden, allein, nur mit ihrem Leibwächter, loszureiten, um Al Achmat aufzusuchen. Vorgeblich, um dort Einkehr zu halten und den Eindruck der Stätte auf sich wirken zu lassen. In Wahrheit war es allerdings eine Art Flucht gewesen, die sie zu diesem Ausritt bewogen hatte.

Seit zwei Wochen reiste sie mit einem Tross von Begleitern, auf ihrer großen Tour durch Zaafir. Sie hatte Ärzte und Krankenschwestern in ihrem Gefolge, Lehrer und Kindergarten-Pädagogen, Biologen und Ökologen, die ihr halfen, Pläne zu erstellen, nach denen das Land Schritt für Schritt modernisiert werden sollte. Die medizinische Versorgung lag in den entlegenen Wüstengebieten im Argen, ebenso die Bildung. Der Ackerbau sollte mit neuesten Methoden optimiert werden.

Ihr Vater war zwar ein liberaler Herrscher gewesen, der das Land vor allem politisch und gesellschaftlich an westliche Standards angenähert hatte, aber die Erkrankung ihrer Mutter hatte ihn in den letzten Jahren davon abgehalten, sich intensiver zu engagieren. Lia hatte an einer amerikanischen Elite-Universität Chemie und Biologie studiert und brannte darauf, ihr Wissen und ihre Kenntnisse auf diesen Gebieten in die Praxis umzusetzen.

Doch es war ein riesiges Unterfangen und eine mehr als fordernde Unternehmung. Lia fühlte sich nach der ersten Woche bereits ziemlich erschöpft und ausgelaugt. Es war nicht so einfach, ständig präsent zu sein, ständig Interesse zu zeigen und auf die Menschen, denen sie begegnete, einzugehen. Hatte sie sich vielleicht doch zu viel zugemutet? Dr. Madir hatte sie wohl nicht umsonst gewarnt.

Umso dringender war ihr Wunsch gewesen, dem Ganzen für ein paar Stunden zu entfliehen. Allein zu sein, um ihre Gedanken – und ihre Kräfte – sammeln zu können. Obwohl sie eindringlich davor gewarnt worden war, allein in die Wüste hinauszureiten, hatte Lia sich über sämtliche Einwände hinweggesetzt und war ihren Bedürfnissen gefolgt.

Doch wie es aussah, hatte sie eine schlechte Entscheidung getroffen. Ein Gefühl von Leere und Frustration drohte sie zu übermannen. Alles schien sich im Moment gegen sie verschworen zu haben – sogar das Wetter!

Resigniert zügelte sie ihr Pferd. „Also gut, kehren wir um! Wir wollen kein Risiko eingehen!“

„Wir können es morgen noch einmal versuchen“, sagte Malik und lächelte sie aufmunternd an.

„Das geht nicht“, sagte Lia seufzend. „Morgen steht die Besichtigung der Baustelle auf dem Programm. Oder das, was einmal die Baustelle werden soll, wenn ich unseren Ältestenrat überzeugen kann.“

„Ah, das Wunderdorf!“, rief Malik.

„Wunderdorf?“

„So nennen es die Leute. Weil Wasser aus den Felsen fließen soll und Strom aus schwarzen Brettern kommt!“, erklärte Malik.

Lia lachte. „Das ist aber kein Wunder, sondern moderne Technik. Die schwarzen Bretter sind Solar-Paneele, und das Wasser wird aus einer Tiefenbohrung kommen. Unsere Geologen haben an dieser Stelle eine Grundwasserquelle entdeckt, die die Siedlung versorgen soll. Damit wollen wir Ackerbau betreiben, um Nahrungsmitteln für die Bewohner zu erzeugen und sie damit autark zu machen, also unabhängig von Lieferungen von außen. Das heißt, falls der Ältestenrat jemals einwilligt, die Gelder dafür freizugeben“, fügte sie seufzend hinzu.

„Einige meiner Freunde würden gern in dieser Siedlung leben, auch wenn sie sehr nahe an der Grenze zu Kandur liegt.“

„Ich habe die Lage bewusst gewählt, um Kandur zu zeigen, was Ökologie bedeutet. Auch wenn sich Scheich Caleb vermutlich nicht dafür gewinnen lässt. Er zieht es offensichtlich vor, wie im Mittelalter zu leben“, erklärte Lia mit einem Hauch von Verachtung in der Stimme. 

„Caleb al Said wurde in eine sehr traditionelle Familie hineingeboren. Seine Mutter ist eine Sarina.“

„Eine Sarina? Ich habe die Bezeichnung schon einmal gehört, aber ich weiß nicht genau, was das ist.“ Lia schaute ihn fragend an.

„Das ist eine Gemeinschaft von Frauen, die streng nach den alten Traditionen ihres Landes leben.“ Malik senkte die Stimme. „Sie sind ein bisschen unheimlich. Sie tragen nur schwarze Gewänder und lachen nie.“

„Das klingt wirklich bedrohlich.“

„Bei uns gibt es auch Sarinas, aber nicht sehr viele“, fuhr Malik fort. „Meist sind es alte Frauen, die in entlegenen Gegenden wohnen. In Kandur gibt es allerdings noch sehr viele von ihnen. Es ist kein Wunder, dass Caleb ein so harter Mann ist. Er wurde so erzogen. Auch wenn der Tod seiner Frau ihn schwer getroffen hat.“

„Sie starb bei einem Flugzeugabsturz, nicht wahr? Ich habe davon gehört. Wie schrecklich!“

Die Vorstellung, ein Mitglied ihrer eigenen Familie zu verlieren, schnürte Lia beinahe die Kehle zusammen. Ihre Gedanken wanderten sorgenvoll zu ihrer Mutter, die an Parkinson erkrankt war. Seit sie mit Lias Vater in der Schweiz lebte, fern von den Turbulenzen und Aufregungen des Palastes, schien es ihr deutlich besser zu gehen. Die Ruhe und die erstklassige medizinische Versorgung, die sie in Europa genoss, taten ihr gut.

Diese Erkrankung war der Grund dafür gewesen, dass Lias Vater abgedankt hatte. Und dann hatte ihr Bruder den Thron abgelehnt. Es war ein Wunder gewesen, dass Zaafir bei so viel Wirbel nicht in politische Schieflage geraten war, aber Lia hatte all ihren Einfluss und ihr Fingerspitzengefühl eingesetzt, um für einen reibungslosen Übergang zu sorgen. Damit schienen die Ältesten allerdings ihre Aufgabe für erfüllt anzusehen. Seitdem kämpfte sie gegen Windmühlen an, um von ihnen ernst genommen zu werden.

„Und jetzt muss Caleb dringend eine neue Frau finden“, meinte Malik grinsend, dem es offenbar großes Vergnügen bereitete, Klatsch zu verbreiten.

„Warum denn das?“, fragte Lia. Oder wollte sie es lieber doch nicht wissen? Möglicherweise hegte der Scheich ja irgendwelche ausgefallenen Gelüste.

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