Zwischen Pflicht und sinnlichem Verlangen

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Als Thronfolgerin hat die schüchterne Prinzessin Beau keine Wahl: Um die Beziehungen zum benachbarten Fürstentum Divio zu festigen, muss sie Kronprinz Lyon heiraten. Einen Mann, dem sie noch nie begegnet ist! Schweren Herzens bricht sie in ihre neue Heimat auf – und erlebt eine Überraschung. Nicht nur ist ihr Bräutigam unerwartet attraktiv und charmant, er weckt auch nie gekannte sinnliche Sehnsucht in ihr. Doch Vorsicht: Wenn sie Lyon zu nah kommt, entdeckt er womöglich ihr trauriges Geheimnis und verstößt sie …


  • Erscheinungstag 21.01.2025
  • Bandnummer 2685
  • ISBN / Artikelnummer 0800252685
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Prinzessin Beaugonia Freja Caja Isabella Rendall saß eingezwängt zwischen ihren Eltern auf dem Rücksitz, während der Chauffeur den schnittigen Wagen geschickt durch die Straßen von Divio lenkte.

Divio – das kleine Fürstentum in den Südalpen, das von nun an Beaugonias neues Zuhause sein sollte.

Einerseits war sie nervös, aber gleichzeitig auch voller Tatendrang. Zwar fühlte sie sich überfordert, aber was sie jetzt tat, tat sie für ihre Zwillingsschwester Zia. Bisher hatte sie so ziemlich alles in ihrem Leben Zia zu verdanken. Jetzt würde Beau sich revanchieren.

Ihr Vater hatte eigentlich bestimmt, dass ihre Schwester als Thronfolgerin von Lille den Kronprinzen von Divio heiraten würde. Doch jetzt war Zia schwanger von einem anderen Mann, und Beau hatte beschlossen, ihre Stelle einzunehmen.

Einen Kronprinzen zu heiraten, dem sie noch nie begegnet war, war nicht gerade das Schicksal, dass Beau sich ausgesucht hätte, aber ihr blieb keine andere Wahl. Zia war schwanger und in den Vater ihrer Kinder verliebt – auch wenn keiner der beiden das bis jetzt zugeben wollte. Beaugonia war keine Expertin in Sachen Liebe, aber sie hatte eine Menge Bücher zu dem Thema gelesen.

Man konnte von Zia wohl kaum erwarten, dass sie in dieser Situation den Kronprinzen von Divio heiratete – selbst wenn Lyon Traverso dazu bereit gewesen wäre. Was unwahrscheinlich war, wenn seine Braut Zwillinge von einem anderen Mann erwartete.

Sehr unwahrscheinlich.

Und Thronfolgerin von Lille konnte Zia so auch nicht mehr sein.

Der König von Lille konnte seine Nachfolge nämlich frei bestimmen. Darum war es ihm auch möglich gewesen, Zia zur Thronfolgerin zu erklären, obwohl Beau drei Minuten älter war. Aber Beau war nie die ideale Prinzessin gewesen …

Vielleicht war das auch einer der Gründe, warum sie diesen Plan ausgeheckt hatte. Damit half sie nicht nur Zia, sondern ruinierte auch die Pläne ihres Vaters. Wenn sie offiziell als seine Erbin auftrat und er sie nicht länger verstecken konnte, konnte er sich nicht einfach jemand anderen als Thronfolger aussuchen.

Der erste Schritt war von Beau ausgegangen. Sobald sie von Zias Schwangerschaft erfahren hatte, hatte Beau sich an Lyon gewandt und ihm vorgeschlagen, sie anstelle ihrer Schwester als Braut zu akzeptieren.

Hinter dem Rücken ihres Vaters hatte sie die Vereinbarungen selbst ausgehandelt. Als sie ihren Vater vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, war ihm keine andere Wahl geblieben. Um den Kronprinzen heiraten zu können, musste er Beau zur Thronfolgerin von Lille machen.

Natürlich hätte er ihre Vereinbarung mit Lyon auflösen und sich weigern können, sie als Nachfolgerin einzusetzen. Doch damit hätte er sich selbst und sein Königreich in eine peinliche Lage gebracht. Ihm blieb nur eins, er musste akzeptieren, was sie getan hatte. Beau war klar gewesen, dass er sich niemals für die Blamage entscheiden würde.

Ja, er hatte sie beschimpft, als sie ihm ihren Plan mitgeteilt hatte. Hätte er im Palast und nicht auf Cristhians Anwesen herausgefunden, was sie getan hatte, hätte er wahrscheinlich Schlimmeres getan, als sie zu beschimpfen.

Aber Beau sah keinen Sinn darin, sich Gedanken über Dinge zu machen, die nicht passiert waren. Sie hatte schon genug Probleme. Zum Beispiel einen Mann zu heiraten, den sie noch nie getroffen hatte und abgesehen von einigen E-Mails und ein paar kurzen Telefonaten überhaupt nicht kannte.

Das Auto schlängelte sich durch kurvenreiche Bergstraßen hinauf zu einem altertümlich anmutenden Schloss, in der Ferne erhoben sich majestätische Berge im Licht der untergehenden Sonne. Jeden Morgen aus dem Fenster auf diese atemberaubende Szenerie zu schauen, würde vielleicht ihr Schicksal etwas leichter machen.

Weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten auf der Fahrt vom Flughafen zum Schloss ein Wort gesprochen. Das änderte sich auch nicht, als man ihnen nun aus dem Auto half und sie zum Eingang des Palasts führte.

Erst als sie schließlich in einen hohen Raum mit Buntglasfenstern geführt wurden, sprach ihr Vater. „Wir werden uns auf diese Farce einlassen, Beaugonia“, erklärte er in diesem eisigen Ton, den er so gut beherrschte. Nicht so laut, dass andere ihn hören könnten. Pures, schneidendes Eis, das nur sie und ihre Mutter hören oder fühlen konnten. „Aber du wirst nicht weinend angelaufen kommen, wenn es eine Katastrophe wird. Du hast dir das selbst ausgesucht. Wenn du mich in Verlegenheit bringst, war das das Letzte, was du je getan hast.“

Beau wollte lachen. Oder weinen? Aber wann hatte sie das je getan? Niemals würde sie vor ihrem Vater auch nur eine einzige Träne vergießen!

Also sagte sie nichts. Sie wartete einfach, wie man sie gebeten hatte.

Dann kam der Prinz die geschwungene Treppe herunter. Sie war Lyon Traverso noch nie begegnet, aber sie wusste von Bildern, dass er es war. Eine ältere Frau folgte ihm. Wahrscheinlich seine Mutter, die Gräfin.

Er sah wirklich gut aus. Das wusste sie nicht nur von Bildern, sondern Zia hatte es immer bestätigt. Doch auch wenn ihr die Tatsache bewusst gewesen war, hatte sie nicht mit seiner überwältigenden Ausstrahlung gerechnet.

Lyon wirkte so groß in seinem dunklen Maßanzug! Sein dunkles Haar war perfekt gestylt, und jede seiner Bewegungen war so präzise wie eine scharfe Klinge. Sein Anblick schien den Sauerstoff aus ihren Lungen zu verdrängen. Was für eine seltsame Reaktion auf einen Mann!

Aber natürlich hing ihre gesamte Zukunft von diesem Mann ab. Darum war dieses Gefühl wahrscheinlich einfach … Angst. Darum konnte sie ihre Füße nicht mehr bewegen und spürte ein Prickeln in ihrer Brust.

Er kam zu ihnen und begrüßte zuerst ihren Vater und ihre Mutter, bevor er sich ihr zuwandte. Mit seinen dunklen Augen musterte er sie, aber obwohl Beau normalerweise sehr gut darin war, Menschen einzuschätzen, konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.

Doch dies war ihr Schicksal. Ein Schicksal, das sie sich selbst ausgesucht hatte. Vielleicht würden sie sich nicht lieben, aber sie hatten eine Abmachung. Eine gegenseitige Vereinbarung, die Beau selbst ausgehandelt hatte. Vielleicht war es nicht besser als echte Liebe, aber es war auf jeden Fall besser als das, was ihre Eltern miteinander verband.

Bereit, eine Rolle zu spielen, in der sie noch nie gut gewesen war, lächelte Beau ihren zukünftigen Mann an. Jetzt musste sie als süße, liebenswürdige Prinzessin auftreten. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, königliche Hoheit.“ Sie gab ihr Bestes, um einen perfekten Hofknicks zu machen.

Er erwiderte den Gruß mit einer Verbeugung. „Das Vergnügen ist meinerseits. Erlauben Sie mir, meine Mutter vorzustellen. Gräfin Ludovica Traverso.“ Er wies mit einer Geste auf die Frau, die noch immer hinter ihm stand.

Die Gräfin begrüßte sie alle mit königlicher Höflichkeit. Im Gegensatz zu ihrem Sohn war ihr Gesichtsausdruck leicht zu lesen: Tiefes Misstrauen lag in ihrem Blick.

„Die Hochzeit findet um neun Uhr in der Kapelle statt“, teilte Lyon mit. „Mein Personal steht Ihnen natürlich zu Diensten.“

„Ich verstehe immer noch nicht, warum es keine öffentliche Zeremonie sein kann. Es handelt sich hier immerhin um eine königliche Hochzeit“, schimpfte Beaus Vater, der wohl bis ans Ende seiner Tage schimpfen würde.

Der Fürst blinzelte nicht einmal. Beau war sich nicht sicher, ob er sich bewegte, aber plötzlich wirkte er noch größer, so als würde er aus großer Entfernung auf ihren Vater hinunterblicken.

Diesen Trick musste sie unbedingt lernen!

„Durch den Wechsel der Bräute befinden wir uns in einer heiklen Situation. Ich dachte, das wäre offensichtlich?“ Lyon klang, als wäre dies eine Frage.

Die Art von Frage, die keiner zu beantworten wagte.

Beaus Vater räusperte sich. Ihre Mutter wandte den Blick ab. Die Gräfin studierte Beaus Kleid, als würde sie jede Falte zählen.

„Wir treffen uns dann später. Marco?“ Lyon winkte einen Mitarbeiter heran.

Und das wars. Schon wurde Beau von ihrer ersten Begegnung mit dem Mann weggeführt, den sie in wenigen Stunden heiraten würde.

Sie spürte, wie vertraute Panik in ihr aufstieg, aber sie atmete tief durch. Sie wussten beide, worauf sie sich eingelassen hatten, und das war alles, was zählte.

„Sie ist hübsch.“ Die Mutter von Kronprinz Lyon Traverso klang, als wäre es eine Art Schock für sie.

Lyon blickte die Gräfin an. „Und?“

„Du weißt so gut wie ich, dass die Rendalls sie so weit wie möglich aus der Öffentlichkeit heraushalten. Ich hatte erwartet …“ Seine Mutter brach ab. Wahrscheinlich kam es ihr unangemessen vor, den Gedanken auszusprechen, selbst wenn es nur unter vier Augen war.

Sie hatte recht. Prinzessin Beaugonia Rendall war hübsch, wenn auch auf andere Art als ihre etwas größer und hoheitsvoller wirkende Zwillingsschwester. Allerdings hatte Lyon von Anfang an weniger über das Aussehen seiner zukünftigen Frau nachgedacht, sondern vor allem darüber, wie geeignet sie für seine Zwecke war.

Und Beaugonia hatte ihm versichert, dass auch sie für seine Zwecke geeignet war, jetzt, da Zia … nun, es war nicht klar, was genau passiert war, aber Lyon hatte Gerüchte gehört.

Und sosehr er auch Erben brauchte, mussten sie doch legitim und seine eigenen sein. Dass eine Frau das verstand und damit einverstanden war, war ihm viel wichtiger als ihr Aussehen. Solange sie ihren Platz kannte, war alles andere unwichtig.

Beaugonia schien ihren Platz zu kennen.

Aber nachdem seine Mutter es erwähnt hatte, musste er zugeben, dass Beaugonia wirklich hübsch war. Sie verhielt sich bis jetzt auffallend zurückhaltend, was nicht recht zu ihrem scharfen Blick und ihren klaren Augen passte. Augen, deren Farbe eine faszinierende Palette von Haselnussbraun in allen Schattierungen zeigte.

Im Stillen musste Lyon zugeben, dass er genauso überrascht war wie seine Mutter. Vielleicht hatte er, ohne richtig darüber nachzudenken, genau dasselbe erwartet, was seine Mutter angedeutet hatte. Einen offensichtlichen Grund, weshalb die Prinzessin ihr Leben lang versteckt worden war, während Zia als die künftige Königin präsentiert wurde.

„Ich hoffe, du weißt, was du tust.“ Seine Mutter lief nervös auf und ab. Er konnte ihre Sorge fast körperlich spüren.

Aber wie auch nicht? Er war nicht der Sohn eines Kronprinzen, nicht einmal ein Enkel. In der Thronfolge von Divio hatte er an hinterster Stelle gestanden. Nur durch eine Reihe unglücklicher Vorfälle war er jung in das Prinzenamt aufgestiegen – die höchste königliche Stufe im Fürstentum Divio.

Aber Lyon war bereit gewesen. Er hatte gewusst, dass seine Familie auf den Thron gehörte. Seine Großmutter hatte ihn in dem Bewusstsein erzogen, dass dies seine Bestimmung war – sie hatte gewusst, dass keiner ihre Brüder oder deren Nachkommen lange im Amt bleiben würde.

Sie hatte immer gesagt, sie seien vom ersten Tag zum Untergang bestimmt gewesen. Egoistisch, leichtsinnig, triebgesteuert und ohne Pflichtgefühl. Sie hatte recht behalten. Nach dem letzten Skandal hatte es sogar eine Abstimmung gegeben, die Monarchie in Divio ganz abzuschaffen. Das Ergebnis war denkbar knapp ausgefallen. Beim kleinsten Anzeichen eines neuen Skandals würde das Parlament eine weitere Abstimmung abhalten, daran zweifelte Lyon nicht.

Er hatte das letzte Jahr damit verbracht, sich das Vertrauen seines Landes zu verdienen. Seitdem war nicht ein Wort nach einer neuen Abstimmung laut geworden.

Beau war der nächste Schritt. Eine Ehefrau. Kinder – so viele, dass es keine Sorgen über die Zukunft geben würde.

Tradition. Seriosität. Alles, was sich ein Bürger von seiner königlichen Familie wünschen konnte.

Nicht der Hauch eines Skandals.

„Sie weiß, was von ihr erwartet wird“, sagte Lyon zu seiner Mutter, um sie zu beruhigen. Und um sich selbst zu beruhigen.

Er hatte sich gründlich vergewissert, dass Zia geeignet gewesen war. Bei Beau hatte die Zeit gedrängt. Aber schließlich handelte es sich bei den beiden um Schwestern. Zia hatte ihre Rolle gekannt. Warum sollte das bei Beaugonia anders sein? Zwar hatte er sie vorher nicht persönlich getroffen, wie er es gerne getan hätte, aber er hatte nicht einmal den Hauch eines Skandals über sie gefunden.

Sie war perfekt. Dafür würde er sorgen.

„Wir können die Hochzeit immer noch aufschieben, Lyon. Wir haben Monate gebraucht, um zu entscheiden, dass Prinzessin Zia die richtige Wahl ist. Zu ihrer Schwester zu wechseln, hast du in wenigen Tagen entschieden.“

Was nicht stimmte. Schon seit Monaten stand er mit Beaugonia in Kontakt. Aber das hatte er seiner Mutter verheimlicht. Wenn er ihr das jetzt mitteilte, würde sie das bestimmt nicht beruhigen.

Lyon lächelte sie ermutigend an. „Ich habe alles unter Kontrolle, Mutter. Ich werde dich nicht enttäuschen.“

Sie musterte ihn mit einem unergründlichen Augenausdruck. Aber sie erwiderte sein Lächeln. „Deine Großmutter wäre sehr stolz auf dich, Lyon. Du warst ihre größte Hoffnung.“

Ja. Das hatte Großmutter ihm immer gesagt. Er hatte versucht, dieses Gewicht mit Leichtigkeit zu tragen, aber er spürte es wie eine Hand um seinen Hals, die ihn erstickte. So sehr, dass er als Teenager heftige Angstzustände bekam. Seine Mutter hatte ihn schließlich zu einem Therapeuten gebracht, der ihm Medikamente verschrieben hatte.

Er wusste, dass es seine eigene Schwäche war. Großmutter hatte es nie erfahren, und seit damals hatte er seine Ängste unter Kontrolle bekommen.

Lyon holte tief Luft. Am liebsten hätte er seine Krawatte gelockert, aber er wusste, was seine Mutter dazu sagen würde. Sie würde sich noch mehr Sorgen machen als ohnehin schon.

Also konzentrierte er sich darauf, ruhig zu atmen und entspannt zu lächeln. Er würde seine Mutter und seine Großmutter stolz machen – so wie es kein Mann in ihrer Familie je getan hatte. Das war seine Pflicht.

Die Brüder seiner Großmutter hatten die Rolle des Kronprinzen mit immer katastrophaleren Ergebnissen ausgefüllt. Ihre Kinder hatten es nicht viel besser gemacht. Divio hatte schon lang nicht mehr erlebt, dass ein König länger als zwei Jahre regierte.

Das würde er ändern. Und Beaugonia würde ein wesentlicher Teil davon sein. Sie würde ihren Platz kennen und ihm Erben schenken, denn so hatte er es beschlossen.

Und Kronprinz Lyon Traverso erreichte immer, was er beschlossen hatte.

2. KAPITEL

Beaugonia drehte sich vor dem großen Spiegel. In dem eleganten weißen Kleid sah sie wie ein ganz anderer Mensch aus. Lyon hatte ein Team für sie bestellt, das sich um ihr Haar und Make-up kümmerte. Sie hatten ihr eine glitzernde Halskette umgelegt, und ihre Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie eine Rendall-Tiara bekam.

Als Prinzessin war Beaugonia schöne Dinge gewohnt, aber normalerweise war diese Art von Glamour Zia vorbehalten. Beau besuchte keine Feiern oder Veranstaltungen. Sie nahm auch nicht an offiziellen Abendessen teil.

Ihre Fehler, wie ihr Vater es zu nennen pflegte, hatten dazu geführt, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens im Verborgenen verbracht hatte. Darum kam es ihr jetzt ein bisschen so vor, als würde sie Verkleiden spielen – als wäre das alles nur eine Fantasie und nicht das echte Leben.

Sie wünschte sich, Zia wäre hier. Aber sie hatte ihrer Schwester absichtlich ihre Pläne verschwiegen, denn zweifellos hätte Zia versucht, die Heirat zu verhindern. Dabei musste sie sich jetzt um Cristhian und ihre Zwillinge kümmern.

Trotzdem wäre es schön gewesen, jemanden an der Seite zu haben. Es kam Beau vor, als wäre sie von Feinden umgeben. Was natürlich eine Übertreibung war. Um Feinde zu haben, musste man jemandem wichtig sein. Sie war für kaum jemanden hier mehr als eine Puppe.

Ihre Mutter sah mit leuchtenden Augen zu, wie Beau hergerichtet wurde, als wäre sie glücklich über diese Hochzeit. Und Beau hätte sich wirklich gerne darüber gefreut, aber sie wusste, dass sie nur in dieser seltsamen Lage war, weil ihre Mutter sich nie für sie eingesetzt hatte. Oder für Zia.

Ihre Mutter hatte nie etwas getan, um ihnen aktiv zu schaden. Aber sie hatte auch nie etwas getan, um ihnen zu helfen.

Beau wusste nicht, wo ihr Vater steckte, garantiert ärgerte er sich gerade irgendwo schwarz darüber, dass sie ihn ausgetrickst hatte. Aber er konnte die Heirat nicht ruinieren, ohne sein eigenes Königreich in ein schlechtes Licht zu rücken. Er war zwar wie immer ihr Feind, aber in dieser Sache war er ein machtloser Feind.

Das freute Beau ein wenig. Das und die Tatsache, dass ihre Eltern morgen abreisten und sie dann nicht mehr viel mit ihnen zu tun haben würde. Sie würde ihr eigenes Leben haben. Ihr eigenes Königreich.

Keine verschlossenen Räume mehr. Kein Versteckspiel mehr. Sie würde endlich … jemand sein.

„Du siehst wunderschön aus“, sagte ihre Mutter mit Tränen in den Augen.

Beaugonia brachte ein Lächeln zustande. Ihre Mutter meinte es gut, aber sie hatte kein Rückgrat. Keinen Mut. Ihr ganzes Leben lang hatte sie zugelassen, dass ihre Töchter schikaniert, bedroht und manipuliert wurden.

Beaugonia liebte ihre Mutter, aber sie konnte sie nicht respektieren, sich nicht auf sie stützen und ihr nicht vertrauen.

Beau war alleine.

Du bist seit Monaten auf dich allein gestellt und du hast dich sehr gut geschlagen, versicherte sie sich.

Sie nickte ihrem Spiegelbild kurz zu.

Sie vermisste Zia, aber sie tat das alles hier für ihre Schwester.

Alleine dieses Wissen würde sie durch den Tag bringen.

Beau wusste, dass es besser war, keine Angst vor einer Panikattacke zu haben. Entweder sie kam oder sie kam nicht, aber sich davor zu fürchten, verschlimmerte das Problem nur. Sie war schon zu weit gekommen, um jetzt alles von einem Panikanfall ruinieren zu lassen. Ihre Angstzustände hatten dafür gesorgt, dass sie in ihrem eigenen Zuhause als schwach, peinlich und unbrauchbar betrachtet wurde. Aber dies war ein neues Leben.

Sie war zuversichtlich, dass sie ihre Panikattacken vor Lyon verbergen konnte. Besonders in einem so riesigen Schloss. Divio mit seinen veralteten Vorstellungen von männlicher Thronfolge war nicht gerade dafür bekannt, Frauen wichtig zu nehmen. Und sobald die Thronfolger erst einmal auf der Welt waren, musste Beau nicht mehr viel Zeit mit Lyon verbringen. Sie konnte sich einfach darauf konzentrieren, Mutter zu sein.

Eine Zukunft, die sie mit Hoffnung und Freude erfüllte. Vor Zias Schwangerschaft hatte sie nicht viel darüber nachgedacht, Mutter zu werden. Aber jetzt … Sie wollte die Chance haben, all das zu sein, was ihre Mutter nie gewesen war. Sie wollte die Chance haben, Menschen so uneingeschränkt zu lieben, wie sie ihre Schwester liebte.

Zwar würde sie nicht ihren Ehemann lieben, aber umso mehr ihre Kinder.

„Es wird Zeit, in die Kapelle zu gehen, Eure Hoheit.“

Beau lächelte den Angestellten an und folgte einer ganzen Reihe von Leuten aus dem Ankleidezimmer durch lange, breite Gänge und uralte Flure. Wie viele Frauen waren schon vor ihr in einem schönen weißen Kleid durch diese Flure gegangen, um einen Mann zu heiraten, den sie nicht einmal kannten?

Wahrscheinlich ziemlich viele. Es war, als würde man einem Club beitreten. Und da sie nie in der Lage gewesen war, irgendetwas beizutreten, fühlte sich das wie eine positive Wendung ihres Lebens an.

Vor einer riesigen dunklen Holztür hielten sie an. Beau blieb mit der strengen Frau, die die heutige Veranstaltung zu leiten schien, allein zurück.

Während sie dort einen Moment lang warteten, spürte Beau, wie ihr Herz immer schneller schlug. Worauf warteten sie? War etwas passiert? Was tat sie eigentlich hier?

Gerade als sie darüber nachdachte, sich mit einer Ausrede umzudrehen und wegzulaufen, trat die strenge Frau vor und öffnete die Tür zur Kapelle. Sie winkte Beau hinein.

Ihr blieb nichts anderes übrig als vorwärtszugehen, in die Kapelle hinein.

Das Gebäude wirkte wie ein Turm mit der hohen Decke und den bunten Glasmalereien. Und viel edler als die Kapelle zu Hause, die eher schlicht und gemütlich wirkte. Diese Kapelle fühlte sich … verspielt an. Elegant. Sie konnte sich vorstellen, wie stolz Generationen von Divio-Bürgern auf diese architektonische und künstlerische Leistung sein mussten.

Fast hätte sie gelächelt. Ein Stupser der Hochzeitsplanerin holte sie aus ihren Gedanken. Sie war nicht hier, um die Glasmalerei zu bewundern. Sie war hier, um den Prinzen zu heiraten.

Nur wenige Gäste schauten zu, wie sie den langen Gang hinunterging. Sie erinnerte sich daran, anmutig und gelassen zu gehen, anstatt wie sonst zielstrebig zu marschieren.

Die Gräfin saß auf der einen Seite der vorderen Kirchenbank, ihr Vater auf der anderen. Einige Mitarbeiter standen in den Schatten, und einer geleitete gerade ihre Mutter zu ihrem Platz neben Beaus Vater.

Vor dem Altar stand Lyon. Seine Haltung war perfekt. In seinem dunklen Anzug sah er aus wie … Sie konnte es nicht aussprechen, aber sie verstand plötzlich die Piratenromane, die sie so gerne las.

In seinem maßgeschneiderten Anzug sah er wie ein Prinz aus, aber etwas in seinen Augen wirkte … wild. Das war lächerlich und wahrscheinlich nur ihre Einbildung. Nichts von allem, was Zia je erzählt hatte, und keine Nachricht, die sie selbst vom Prinzen bekommen hatte, deuteten auf etwas anderes hin als auf einen sehr beherrschten, vorsichtigen, entschlossenen Mann.

Sie kam näher, begegnete seinem Blick und fühlte etwas, das sie nicht genau definieren konnte. Sie hatte nicht erwartet … was auch immer das war. Es ging über Nervosität hinaus – sie wusste genau, wie sich Nervosität und Unwohlsein anfühlten. Das hier war größer, tiefer. Es ging weniger um sie und die Welt um sie herum und mehr um etwas in ihrem Inneren.

Vielleicht lag es einfach daran, dass er sie ansah. Nicht mit dem Hass ihres Vaters oder der komplizierten Mischung aus Sorge und Enttäuschung ihrer Mutter. Und schon gar nicht mit Zias inbrünstiger Loyalität und übertriebenem Beschützerinstinkt.

Nein, er sah sie an, als wäre sie ein Rätsel, das er lösen wollte. Was in keiner Weise romantisch war. Natürlich erwartete Beau keine Romantik, sie wusste nur nicht, warum sie plötzlich so etwas wie freudige Erwartung fühlte.

Vielleicht einfach nur, weil alles so neu war. Sie hatte so lange an demselben Ort festgesessen und war immer dieselbe Beau gewesen. Vielleicht war dies ein Neuanfang.

Einen Fremden zu heiraten.

Sich selbst zur Ungewissheit zu verdammen.

Zia und ihre Babys zu retten.

Wenigstens konnte sie für den Rest ihres Lebens stolz auf sich sein. Außerdem, was bedeutete es schon, ein Gefängnis gegen ein anderes zu tauschen? In diesem konnte sie wenigstens Mutter sein. Sie würde eine Rolle erfüllen, anstatt versteckt zu werden.

Also ja. Keine Zweifel. Kein Bedauern. Nur ein „Ich will“.

Lyon sah Beaugonia entgegen. In ihrem weißen Kleid und mit dem zurückgekämmten dunklen Haar sah sie bezaubernd aus. Das Kleid musste schwer sein, aber sie bewegte sich unter dem Gewicht mit einer Eleganz, die er von ihr nicht erwartet hätte.

Ihre Haltung wirkte entschlossen, aber ihr Blick vermittelte einen Hauch von Schüchternheit unter all der äußeren Stärke.

Das ist gut, versicherte er sich. Das würde sie in der Öffentlichkeit beliebt machen. Bis zu einem gewissen Grad war Selbstvertrauen wichtig, aber die Andeutung von etwas Weicherem unter der Fassade der Kronprinzessin war … faszinierend. Es würde die Bürger faszinieren, die sie für sich gewinnen musste. 

Als sie ihn nach dem Gang durch den Mittelgang bei leiser Musik endlich erreichte, atmete sie vorsichtig aus und wandte sich zu ihm.

Er hatte erwartet, dass sie nervös sein würde, aber ihre haselnussbraunen Augen funkelten eher kämpferisch. Sie wusste, worum es ging, und das war alles, was zählte.

Als der Pfarrer begann, hörte Lyon nur mit halbem Ohr zu und musterte seine zukünftige Braut. Sie musterte ihn auch.

Es war eine seltsame Situation. Noch seltsamer als seine ursprünglich arrangierte Ehe. Vielleicht, weil er bei Zia ausreichend Zeit gehabt hatte. Er hatte sichergestellt, dass sie, ihre Familie und ihr Königreich zu ihm passten.

Die Frau, die jetzt neben ihm stand, war selbst auf ihn zugekommen und hatte ihm die Ehe vorgeschlagen. Hatte ihren Vater, den König, aus all ihren Plänen herausgelassen. Sie war entschlossen gewesen. Selbst jetzt war ihre Entschlossenheit, die Sache zu Ende zu bringen, unübersehbar. Ganz anders als ihre Schwester, die misstrauisch und nur widerwillig zur Hochzeit bereit gewesen war.

Doch Zia spielte jetzt keine Rolle mehr. Er würde Beaugonia all das geben, was er auch Zia gegeben hätte. Ein gutes Leben. Eine starke Partnerschaft. Kinder. Vielleicht würde es für sie keine Liebe geben oder die Freiheit, zu tun, was sie wollte, aber Stabilität war besser als das.

Als er sein Stichwort hörte, sagte er feierlich: „Ich will.“Wenige Worte später tat Beaugonia dasselbe.

„Sie dürfen die Braut jetzt küssen“, erklärte der Pfarrer.

Ihr Blick flackerte nur einen Moment lang. Es gab sicherlich einige Aspekte dieser Vereinbarung, über die man noch reden musste. Aber ein Kuss zur Besiegelung der Hochzeitszeremonie war nötig. Auch wenn es sich um einen geschäftlichen Vertrag handelte, wollte er, dass die Bürger von Divio eine Liebesgeschichte sahen.

Mit anderen Worten, er wollte ein romantisches Foto. Also neigte er den Kopf. Einen Moment lang hielt er inne und wartete darauf, dass ihre Augen diesen verängstigten Blick verloren. Wie der eines Tiers in der Falle. Aber das taten sie nicht. Also beugte er sich näher zu ihr, bis nur noch ein Hauch zwischen ihren Mündern lag.

„Atme, tesoruccio“, murmelte er. Leise genug, dass nur sie es hören konnte. „Es ist nur ein kleiner Kuss.“

Ihr Atem ging stoßweise, und das … machte etwas mit ihm. Er wusste nicht, wie er es beschreiben sollte. Ein seltsames Gefühl. Sprudelnd und leicht. Aber er musste es tun. Es war seine Pflicht. Also berührte er ihre Lippen mit seinen. Und wie versprochen, war es nur eine leichte Berührung.

Mehr nicht.

Egal, wie sehr es sich nach mehr anfühlte.

Er richtete sich auf und bemühte sich um einen gelassenen Gesichtsausdruck.

Denn da war … irgendetwas.

Anziehungskraft, so einfach ist das, dachte er.

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