Die Schöne und der Bastard - Kapitel 21

~ Kapitel 21 ~

Sybilla nahm sich Sorens Ratschlag zu Herzen und verbrachte die nächsten Tage vorwiegend im Burgfried. Es wunderte sie, dass sie in der Lage war, tagsüber das Bett zu verlassen, wenn doch die Nächte von einer solch kräfteraubenden Leidenschaft bestimmt waren. Oft hörte sie im Gespräch mit ihren Dienerinnen mitten im Satz auf zu reden, weil sie sich an etwas erinnerte, was Soren in der Nacht gesagt oder welche Freuden er ihr geschenkt hatte – oder sie ihm.

Das Einzige, was er ihr dabei vorschrieb, war, dass sie ihn nicht auf die gleiche Weise anfassen durfte, wie er es mit ihr machte. Sie spürte seinen Körper nur, wenn er auf ihr lag oder wenn er sich im Schlaf an ihren Rücken drückte. Aber wenn sie nur versuchte, sein Gesicht zu berühren, dann schob er ihre Hände zur Seite.

Einmal war es ihr gelungen, mit den Fingern über seine Männlichkeit zu streichen, was ihn wohl nicht gestört hatte. Und ein anderes Mal, als sie von der Lust mitgerissen worden war, da hatte sie ihre Hände auf … auf seinen Po gelegt! Sybilla fühlte sich, als hätte sie Fieber, und bat Gytha um etwas kaltes Wasser.

Aldys lachte. Es war ein wissendes Lachen. Vermutlich hatte ihre Dienerin ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und wusste genau, wie es in ihr aussah. Gytha dagegen war noch zu jung, um eine Ahnung von den Dingen zu haben, die sich zwischen Mann und Frau abspielten; deshalb versuchte Sybilla auch, sie mit Einzelheiten zu verschonen.

Die letzten beiden Tage hatten sie fast nur damit zugebracht, die Möbel in ihren Gemächern umzustellen, damit sie sich leichter in ihrem Quartier bewegen konnte, also ganz so, wie er es vorgeschlagen hatte. Dabei hatte er ihr auch aufgetragen, nichts in die Ecke gleich neben der Tür zu stellen, weil er sie mit irgendetwas überraschen wollte. Was das sein sollte, verriet er ihr nicht, auch nicht, wann sie es herausfinden würde.

Seit der Ankunft von Lord Brice hatte eine Art fester Tagesablauf Einzug gehalten. Auch wenn sie und Soren nicht mit den anderen zusammen aßen, sondern sich ihr Mahl für die Abgeschiedenheit in ihren Gemächern aufbewahrten, saßen sie dennoch gemeinsam an der großen Tafel im Saal und erfreuten sich an der Gesellschaft der anderen. Obwohl Soren lieber einen gewissen Abstand wahrte, gefiel es Sybilla, unter Menschen zu sein. Zwar war er nicht besonders glücklich darüber, wenn sein Freund und sein Cousin Anekdoten aus Sorens Leben zum Besten gaben, aber er untersagte ihnen auch nicht, diese Dinge zu erzählen.

In den Stimmen der Menschen nahm sie dabei auf einmal Dinge wahr, die ihr nie zuvor aufgefallen waren – Angst, Wut, aber auch sanftmütigere Regungen. Obwohl keiner von ihnen es offen zugeben würde, überwogen diese sanfteren Töne, wenn Larenz, Lord Brice und Soren sich unterhielten. Diese Männer hatten einen Großteil ihres Lebens gemeinsam verbracht, sodass sie verstand, warum sie einander verbunden fühlten. Natürlich hätten sie das rigoros abgestritten, wenn sie darauf zu sprechen gekommen wäre, darum behielt sie es für sich. Aber sie erfuhr mehr und mehr über diese Männer, die ihre Heimat erobert hatten … und wohl auch ihr Herz.

Tristan le Breton war dagegen ganz anders. Auch wenn Soren eine Verwandtschaft zwischen ihnen beiden angeführt hatte, schien dieser Cousin sich an der Tatsache zu erfreuen, dass Soren nicht mehr der schöne Mann war, der er früher einmal gewesen sein musste. Tristan behauptete, er sei nach Norden gekommen, um einen Platz in Sorens Haushalt zu erhalten, den er sich als Harfenspieler und als Schreiber verdienen wollte, da er des Lesens und des Schreibens mächtig war. Zwischen den beiden Männern herrschte auch deswegen eine angespannte Stimmung, weil Soren so wie viele Krieger von seinem Schlag diese Kenntnisse nicht beherrschte.

Sybilla merkte ihrem Ehemann an, dass es ihm in den Fingern kribbelte, Tristan hinauszuwerfen oder ihn mit Brice zurückzuschicken, sobald der wieder aufbrach, aber aus irgendeinem Grund tat er es doch nicht. Eine gute Sache hatte dieser Besuch mit sich gebracht: Tristan hatte ihr angeboten, ihr das Harfespielen beizubringen. Er sagte, sie müsse die Saiten gar nicht sehen, sondern sie nur ertasten. Schon jetzt freute sie sich auf ihre erste Unterrichtsstunde.

Soren hatte ein leises Knurren von sich gegeben, als Tristan den Vorschlag unterbreitete, ihr aber nicht die Erlaubnis verwehrt. Dann hatte er sie regelrecht mit nach oben in ihre Gemächer geschleift und ihren Körper in dieser Nacht auf jede nur denkbare Art verwöhnt. Am Morgen taten ihr von so viel Aufmerksamkeit alle Knochen weh, und beim Waschen bemerkte sie einen seltsam empfindsamen Fleck auf ihrer Brust und an der Innenseite eines Oberschenkels. Als sie Soren darauf ansprach, reagierte der nur mit einem Lachen – allerdings jenem verruchten Lachen, das bei ihr ein wohliges Kribbeln auslöste.

Als sie Aldys nun bat, mit ihr einen Spaziergang zu unternehmen, war die Ältere wie immer begeistert davon, weil sie dann stets einen Zwischenhalt einlegten, damit sie sich mit Larenz unterhalten konnte. Wenn Sybilla die beiden reden hörte, merkte sie ihnen an, dass sich zwischen ihnen etwas abspielte. Bevor sie jedoch aufbrechen konnten, kamen den Stimmen nach zu urteilen drei Männer und trugen etwas Schweres in ihren Raum. Aldys stieß beim Anblick des rätselhaften Objekts einen leisen Freudenschrei aus.

„Mylady!“, rief sie.

„Was ist das, Aldys? Nun sag es mir schon!“ Als die Dienerin daraufhin ihre Hand ergriff und sie fest drückte, war Sybilla sich nicht mehr sicher, ob sie sich freuen oder fürchten sollte.

Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, flüsterte Aldys etwas, das Sybilla die Sprache verschlug.

„Ein Webstuhl.“

„Ein Webstuhl, Aldys? Die Leute haben mir einen Webstuhl gebracht?“ Es kribbelte sie in den Fingern, ihn zu ertasten.

„Aber nicht irgendeinen, Mylady“, meldete sich einer der Männer zu Wort. „Lord Soren hat Euren Webstuhl reparieren lassen. Es war nur eine Seite des Rahmens zerbrochen, ein paar Gewichte hatten sich gelöst, und die Fäden waren verheddert. Meine Frau hat die Fäden für Euch entwirrt und sortiert.“

Sybilla wusste nicht, was sie noch sagen sollte, da ihr die Worte fehlten. Ihr Webstuhl war ihre letzte direkte Verbindung zu ihrem Vater, dem Mann, der Soren fast umgebracht hätte. Warum tat Soren so etwas für sie? Würde dieser Webstuhl ihn nicht immer an seinen verbitterten Hass und an seine Rachegelüste erinnern, sobald er ihn in der Ecke stehen sah?

„Wir wünschen Euch einen guten Tag, Mylady“, riefen die Männer ihr zu und verließen ihr Quartier.

Hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, den Webstuhl zu berühren, und der Angst, ihn nicht mehr benutzen zu können, rührte sich Sybilla zunächst nicht von der Stelle.

„Er steht wieder an seinem alten Platz, Mylady. Von einem neuen Stück Holz abgesehen ist er ganz der Alte“, berichtete Aldys.

Sybilla versuchte sich daran zu erinnern, woran sie an dem Tag gearbeitet hatte, als Soren vor dem Tor aufgetaucht war, doch es wollte ihr nicht einfallen. Fassungslos schüttelte sie den Kopf, da sie gar nicht glauben konnte, dass ihr Webstuhl tatsächlich wieder da war.

„Kommt mit“, sagte Aldys und führte sie hin, dann nahm sie Sybillas Hände und berührte mit ihnen jedes Teil des Webstuhls, gleichzeitig sagte sie ihr, was ihre Finger soeben ertasteten. „Ihr hattet an einer Bettdecke gearbeitet, als er … kaputtging. In diesem schönen Blauton, der Euch so gut gefallen hatte, als Ihr ihn das erste Mal … gesehen habt.“ Aldys führte verlegen ihren Satz zu Ende, da ihr erst während des Redens aufgefallen war, was sie da eigentlich sagte – dass Sybilla sich für eine Farbe begeistert hatte, die sie nie wieder würde sehen können.

„Glaubt er denn wirklich, ich könnte irgendetwas weben, ohne es zu sehen? Wie soll ich denn ein Muster weben?“

„Ach, kommt schon, Mylady“, ermahnte Aldys sie. „Ihr habt doch immer behauptet, dass Ihr mit geschlossenen Augen weben könnt. Außerdem habt Ihr das ja sogar im Halbschlaf gemacht, als Euch nur das Kaminfeuer ein wenig Licht gespendet hatte.“ Sie nahm Sybillas Hände und legte sie auf den Rahmen. „Versucht es wenigstens erst einmal, bevor Ihr aufgebt.“

Sybillas Hände zitterten, und dreimal hintereinander fiel das Schiffchen auf den Boden, ehe es ihr endlich gelang, es zwischen, über und unter den Fäden durchzuziehen und dabei die ganze Breite des Webrahmens zu bewältigen. Sie wollte gar nicht wissen, wie krumm und schief das Ergebnis aussehen mochte. Während sie sich das Muster einzuprägen versuchte, zählte sie mit, wie ihre Finger sich über die Fäden bewegten, und nach kurzer Zeit hatte sie das Schiffchen dreimal hin und zurück geschoben.

„Wie sieht das aus, Aldys?“, wollte sie wissen. Als sie ein Lachen zur Antwort bekam, nahm sie es auf die leichte Schulter und meinte: „Dann werde ich üben müssen.“

Aus dem Schrank, in dem unter anderem die Bettlaken aufbewahrt wurden, holte ihre Dienerin einen Beutel voll mit Garnen, die die Färber für sie hergestellt hatten.

Nachdem sie noch gut eine Stunde lang geübt hatte, überredete sie Aldys dazu, sich mit ihr zusammen auf die Suche nach Soren zu begeben, damit sie sich bei ihm bedanken konnte. Aber recht schnell fanden sie heraus, dass er Alston verlassen hatte und erst am späten Abend zurückerwartet wurde. Daraufhin unternahm sie noch ein paar Versuche, reagierte aber zunehmend gereizt auf diese Bemühungen, weil sie sich allzu gut daran erinnerte, mit welcher Leichtigkeit sie diese Arbeit erledigt und komplizierte Muster für Wandteppiche, Kleidungsstücke und Decken geschaffen hatte, als sie noch nicht blind gewesen war.

Das Abendessen war eine recht schweigsame Angelegenheit, da diejenigen, mit denen sie zuvor zusammengesessen hatte, fast vollständig mit Soren die Feste verlassen hatten und noch nicht zurückgekehrt waren. Tristan versuchte sie zu überreden, ihr den Umgang mit der Harfe beizubringen, doch ihre Gedanken kreisten immerzu um den Webstuhl und um den Mann, der ihn für sie hatte reparieren lassen.

Später ging sie allein zu Bett, konnte aber nicht einschlafen, sodass sie sich nach einer Weile an den Webstuhl setzte und versuchte, das vergessene Muster in ihr Gedächtnis zurückzurufen. Viel später an diesem Abend ging die Tür auf und Soren trat ein.

 

Der Tag war schlecht verlaufen.

Es hatte weitere Überfälle auf umliegende Dörfer gegeben, dabei war auch die Mühle niedergebrannt, die Alston versorgte. Der Müller und seine Familie waren mit dem Leben davongekommen, aber das Mühlrad war aus seiner Halterung gerissen und stark beschädigt worden. Soren ließ Männer kommen, die die Reparatur durchführen sollten, außerdem blieb ein kleiner, aber schwer bewaffneter Trupp Soldaten dort zurück, um die Arbeiter und die Mühle zu bewachen.

Dann ging eine Nachricht von einem Verwandten Morcars aus dem Osten ein, der den neuen Herrn von Alston kennenlernen wollte. Da sie bereits wegen der Mühle nach Osten geritten waren, erklärte sich Soren zu einem Treffen auf halber Strecke zwischen dem Fluss Tyne und der Grenze zu Northumbria bereit. Um den Treffpunkt zu erreichen, mussten sie so viele Stunden reiten, dass der Hin- und Rückweg den größten Teil des Tages in Anspruch nahm. Soren war froh, dass er Brice als Verstärkung bei sich hatte, und tatsächlich kam es ihm so vor, als wäre er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Herr über sein eigenes Leben.

Der lange Ritt gab ihm Gelegenheit, über etwas nachzudenken, was Larenz zu ihm gesagt hatte und was ihm zu der Zeit lächerlich erschienen war, da er sich damals noch von seiner schweren Verletzung erholt und einzig das Verlangen nach Vergeltung ihn am Leben gehalten hatte. Der alte Mann hatte ihm erklärt, dass zu leben und gut zu leben die beste Rache an jenem Mann sei, der einem nach dem Leben trachtete. Damals hatten diese Worte keinen Sinn ergeben, doch jetzt begann er die Bedeutung zu begreifen, da er ein Leben kennengelernt hatte, das es wert war, gelebt zu werden.

Sein Problem war jedoch, dass er sich in diesem Leben Sybilla an seiner Seite wünschte. Dennoch würde er zu der getroffenen Vereinbarung stehen und sie nach Ablauf des halben Jahres in die Freiheit entlassen.

Durch sein Verhalten war sie zum einzigen Menschen auf der ganzen Welt geworden, der verstehen konnte, was er durchgemacht hatte. Denn sie erlebte all das nun selbst auch. Die Ironie des Schicksals hatte dafür gesorgt, dass er bei seinem Bemühen, Sybilla zu vernichten, die perfekte Frau für sich geschaffen hatte. Die perfekte Frau, die zugleich die Frau war, die er so oder so wieder verlieren würde.

Er begann sich zu fragen, wie sie wohl auf den Webstuhl reagiert hatte. War sie erfreut und glücklich darüber? Oder stimmte der Webstuhl sie traurig, weil sie ihn immerzu mit Soren in Verbindung bringen würde? Wenn das Treffen mit diesem Gesandten hinter ihm lag, konnte er endlich nach Alston zurückkehren und sich ein Bild davon machen, wie seine Überraschung aufgenommen worden war.

Sie trafen sich mit Beornwulf of Hexham an der vereinbarten Stelle, und Soren hätte nicht überraschter auf den eigentlichen Anlass für diese Zusammenkunft reagieren können, während Brice sein Erstaunen deutlich besser überspielte.

Beornwulf war gekommen, um ihm einen Ehevertrag zu unterbreiten, der ihn mit der Tochter Morcars verheiraten würde, der sich zurzeit zusammen mit William in der Normandie aufhielt. Als Soren darauf hinwies, er sei bereits verheiratet, beklagte Beornwulf die gesundheitliche Verfassung von Durwards Tochter und ließ sich darüber aus, wie leicht es doch sein würde, diese Ehe zu beenden, damit Soren in diese mächtige Familie im Norden einheiraten konnte.

Da Soren nicht sofort auf das Angebot einging, die Ehe mit einer blinden Frau auf eine Weise zu beenden, ohne dass man die Erlaubnis des Königs oder des Bischofs einholen musste, versuchte Beornwulf das Angebot noch etwas interessanter zu gestalten.

Das Ganze war eindeutig eine Falle, in die Soren niemals gehen würde, dennoch war es gut, seine Feinde zu kennen und von ihren Plänen zu wissen. Ohne Williams Erlaubnis würde Morcar niemals die Grafschaft Mercia zurückerhalten, daher vermuteten Soren und Brice, dass es sich um einen Teil von Morcars Plan handelte, sich mit William gut zu stellen und das Land im Norden wiederzubekommen.

Dabei ergab es durchaus einen Sinn, dass Morcar versuchte, seine Familie eng an einen frischgebackenen Adligen zu binden, der eindeutig den Rückhalt des Königs genoss. Dennoch musste sich Soren zügeln, diesem Mann für die schamlose Kühnheit nicht auf der Stelle das Haupt abzuschlagen.

Da sich Soren außerstande sah, die Feinheiten eines solchen Angebots mit der notwendigen Nüchternheit zu besprechen, bat er Brice zurückzubleiben und die weiteren Gespräche mit Beornwulf zu führen. Ein Wutausbruch wäre in dieser Situation nicht von Nutzen, aber Soren stand kurz davor, hatte sein Gegenüber doch nichts Geringeres als Sybillas Tod vorgeschlagen.

In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, die sich alle um diesen Vorschlag drehten, doch auf dem Rückweg nach Alston stellte er sich immer wieder die gleiche Frage: Würde er sie davon überzeugen können, bei ihm zu bleiben? Würde er sie dazu bewegen können, seine Frau zu bleiben, falls sie blind bleiben sollte? Würde sie bleiben, trotz allem Schrecken und Entsetzen bei ihrem ersten Zusammentreffen?

Als er schließlich zu Hause ankam, sein Kettenhemd und den Rest seiner Rüstung ablegte und dann hinauf zu ihren Gemächern ging, da war es bereits weit nach Mitternacht.


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