Die Schöne und der Bastard - Kapitel 5

~ Kapitel 5 ~

Soren hatte versucht, nicht zu oft an die kommende Nacht zu denken, weil er lieber noch so viel wie möglich erledigen wollte, ehe die Sonne unterging und es zu dunkel wurde, um zu arbeiten. Daher kreisten seine Gedanken vor allem um die Fragen, wie man so viele Gefangene unterbringen und unter Kontrolle halten sollte, und wie viele seiner Leute beim Sturm auf die Feste getötet worden waren. Er wusste auch noch nicht, wie viele Bewohner aus dem Dorf rings um die Feste die Flucht ergriffen hatten und wie viele noch verblieben waren, die die Felder bestellen konnten. Neben diesen Dingen gab es auch noch anderes, nicht minder Wichtiges zu bedenken. Erst als er nun die Stufen hinaufging in den ersten Stock des Eckturms, fiel ihm auf, dass er mehr über Sybilla nachdachte, als er sich eingestehen wollte.

Die vorwurfsvollen Blicke, die die Wachen vor der Tür zu Sybillas Gemächern ihm zuwarfen, ließen ihn innehalten. Eben wollte er seine Soldaten auf dieses unangemessene Verhalten ansprechen, da rief Stephen nach ihm. Da der Mann aber am anderen Ende des Korridors stehen blieb und keine Anstalten machte, näher zu kommen, musste Soren zu ihm gehen, wenn er wissen wollte, was es Wichtiges gab.

„Soren, hältst du das für klug?“, fragte Stephen leise.

„Wovon redest du?“

„Ich weiß, nach einer Schlacht ist das Blut eines Mannes immer noch in Wallung, aber ist das wirklich klug?“

Diese Worte ausgerechnet von einem Mann, der am eigenen Leib hatte erfahren müssen, welche Folgen fehlgeleitete Lust nach einer Schlacht mit sich bringen konnte, machten Soren nachdenklich. Dennoch war es nicht an Stephen, sich hier einzumischen.

„Würde ich mich derzeit in den Fängen der Blutlust befinden, dann würdest du jetzt für eine solche Frage längst ohnmächtig am Boden und ich zwischen den Schenkeln dieses Weibs liegen, und ich wäre auf dem besten Weg zu meiner Befriedigung“, gab er zurück und warf seinem Freund einen finsteren Blick zu. „Es ist für uns beide besser, wenn du mich derartige Dinge gar nicht erst fragst.“ Soren wandte sich ab, wurde aber zurückgehalten, da Stephen ihn am Arm packte.

„Sie ist jetzt deine Ehefrau, Soren“, wandte Stephen ein, von dessen Hand Soren sich mühelos wieder befreit hatte.

„Sie ist Durwards Brut“, hielt er dagegen. Die Männer, die an seiner Seite gekämpft hatten, wussten von seinen Plänen für jeden, in dessen Adern das Blut von Durward of Alston floss. Jede finstere, schmerzhafte Einzelheit seiner Absichten war ihnen bekannt. Dass Sybilla jetzt nicht mehr bloß die Tochter des Erzfeindes war, spielte dabei keine Rolle.

„Und nun ist sie deine Ehefrau. Das ist nicht das, was du dir vorgenommen hattest. Damit ändert sich alles.“

„Und es ist allein meine Sache, Stephen. Tu nichts, was mich bereuen lassen könnte, dich in meine Dienste genommen zu haben.“

Der Krieger schien noch mehr sagen zu wollen, aber er verkniff es sich und nickte nur. Nach einem letzten Blick über die Schulter ging Stephen fort. Soren machte sich wieder auf den Weg zu der Tür, durch die er schon vor einigen Augenblicken in ihre Gemächer hatte eintreten wollen.

Die Wachen machten einen Schritt zur Seite und warteten auf seine Befehle.

„Ihr bleibt da unten. Wenn ich euch brauche, werde ich euch rufen“, sagte er und zeigte auf die Stelle, wo er sich soeben mit Stephen unterhalten hatte. „Niemand nähert sich dieser Tür, solange ich es nicht ausdrücklich erlaube.“

Als er nach dem Riegel fasste, um ihn hochzuheben, bemerkte er, dass seine Handflächen nass geschwitzt waren. Er hätte schwören können, gefasst zu sein, doch sein Herz raste, und ein ungeheurer Druck lastete auf seiner Brust, während er im Begriff war, den nächsten Schritt auf dem Weg zur vollständigen Rache an dem Mann zu machen, der sein Leben zerstört hatte … und mit ihm auch seinen Körper und seine Seele. Soren drückte die Tür auf und trat ein.

Ihre beiden Dienerinnen – die ältere, etwas beleibtere, und die jüngere, schlanke Frau – standen wie Statuen neben dem Bett, auf dem seine Ehefrau lag und sich nicht rührte. Wenn man davon absah, dass sich ihre Brust mit jedem ihrer schnellen Atemzüge hob und senkte und dass sich ihre Finger so bewegten, als wollten sie sich am Bettzeug festklammern, ohne dort Halt zu finden.

„Kann sie sehen?“, fragte er. Eine Kopfverletzung bedeutete nicht zwangsläufig auch Blindheit. „Konnte sie sehen, als der Verband gewechselt wurde?“

Mit einem steifen Kopfschütteln bestätigte die ältere Frau, dass sich am Zustand nichts geändert hatte, was ihn erleichtert aufatmen ließ.

„Ich habe angewiesen, dass sie vorbereitet wird“, redete er weiter und näherte sich langsam dem Bett. „Zieht sie aus und dann verschwindet.“

„M… Mylord …“, stotterte die jüngere Frau und verbeugte sich in dem erfolglosen Bemühen, ihn zu beschwichtigen. Dafür war es bereits zu spät.

Seinen Absichten zum Trotz zögerte er und sah mit an, wie die beiden Dienerinnen ihr halfen, das Bett zu verlassen und sich daneben hinzustellen. Jetzt, da sie saubere Kleidung trug und ihre Verletzung versorgt war, konnte Soren zum ersten Mal sehen, wie liebreizend sie war. Und er sah auch ihre ungeheure Angst, denn alle Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen, und sie zitterte am ganzen Leib.

Ihr blassblondes, welliges Haar lockte sich bis weit über die Schultern, doch es waren ihre Finger, die ihm sofort ins Auge fielen. Sie waren feingliedrig und so elegant wie der Schwung ihres Halses. Während sie ihren Dienerinnen etwas zuflüsterte, fiel ihm auf, dass sie nichts mehr von jener Tapferkeit erkennen ließ, die er zuvor bei ihr hatte beobachten können. Außerdem war sie jünger, als er sie eingeschätzt hatte … und auch viel schöner. Was ihn jetzt aber vor allem faszinierte, waren ihre fein geschnittenen Gesichtszüge. Sie war eine Dame von besserer Herkunft, während er nur …

Abrupt schüttelte er den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden und um sich auf seine eigentlichen Absichten zu konzentrieren. „Entweder ihr zieht sie aus, oder ich werde das selbst erledigen“, warnte er die Dienerinnen in einem schrofferen Tonfall als eigentlich erforderlich, aber sie sollten auch merken, dass er es ernst meinte.

Dann drehte er sich um und versuchte sie zu ignorieren, während sie zur Tat schritten, nur um zu verhindern, dass er seine Drohung wahrmachte. Er war unterdessen damit beschäftigt, seinen schweren Ledergürtel abzulegen, an dem das Schwert hing, dann zog er die Kettenhaube vom Kopf. Als hinter ihm Ruhe einkehrte, drehte er sich wieder um. Seine Ehefrau lag unter der Bettdecke, die Dienerinnen hielten gemeinsam die Kleidungsstücke, die sie ihr ausgezogen hatten.

Sehr gut. Erst als er erleichtert aufatmete, bemerkte er, dass er gebannt die Luft angehalten hatte. Seine Aufgabe hier würde schnell erledigt sein, und er konnte sich in Kürze wichtigeren Angelegenheiten widmen. Wenn sie diesmal nicht von ihm schwanger wurde, würde er sie so oft aufsuchen, bis dieses Werk vollbracht war, und dann musste er sich erst wieder bei ihr blicken lassen, wenn sein Erbe geboren wurde.

Während der stundenlangen Arbeit, die nötig war, um die Feste und das Land für sich zu sichern, war er zu dem Schluss gekommen, dass völlige Gleichgültigkeit ihr gegenüber eine angemessenere Bestrafung für sie war als der Hass, der in seinen Adern brodelte und darauf wartete, sich seiner Kontrolle zu entziehen und auf seine Feinde loszugehen – und damit auch auf sie. Zwar war Vergeltung sein eigentliches Ziel, aber er würde aus dieser Frau nichts weiter machen als eine Kreatur, die seine Saat austrug und seine Bedürfnisse stillte.

Soren lächelte boshaft, erfreut darüber, dass der Erfolg zum Greifen nah war. Mit einem knappen Nicken schickte er die Dienerinnen aus dem Zimmer, und als sie auf dem Weg nach draußen die Tür hinter sich zuzogen, atmete er beruhigt aus. Sein Lächeln verharrte weiter auf den Lippen, aber als er fast neben dem Bett stand, fiel ihm abermals ihr heftiges Zittern auf. Ihre Haare lagen auf dem Bett ausgebreitet und umrahmten Kopf und Schultern, ein Anblick, der ihn wieder von seinen Gedanken über die angestrebte und nun so gut wie erfüllte Rache ablenkte. Obwohl sie keinen Verband mehr trug, lag sie da und hatte das Gesicht zur Seite gewandt, so als wollte sie ihn auf keinen Fall ansehen.

Sofort regte sich in ihm dieses Gefühl von Demütigung, wie er es immer wieder erleben musste, wenn andere sich von ihm abwandten. Gallebitterer Geschmack stieg ihm in die Kehle. Doch dann wurde ihm ihr leerer Blick bewusst, und ihm fiel ein, dass sie ihn gar nicht sehen konnte. Erleichterung überkam ihn, und sofort war alle Anspannung wie weggeweht.

Sie kann mich nicht sehen.

Er gestattete es sich, diese Erkenntnis zu genießen, und fühlte sich so unbeschwert wie noch nie seit jenem Tag im September. Als er über sie gebeugt dastand, bemerkte er ihre cremigweiße Haut, und er verspürte das Verlangen, diesen eleganten Hals, ihre vollen Lippen und ihren so zerbrechlich wirkenden Körper zu liebkosen. Es würde keine große Anstrengung darstellen, das Bettlaken wegzuziehen, um auch den Rest ihrer weiblichen Kurven betrachten zu können. Diese winzige Andeutung ihrer Anmut genügte, um seinen Körper für sie zu erwärmen, und er streckte den Arm aus, um nach dem Laken zu greifen. In dem Moment, in dem er es berührte, zuckte sie so heftig zusammen, dass er seinerseits vor Schreck einen Satz nach hinten machte.

„Sybilla“, sagte er, weil ihm in den Sinn kam, dass er ihr wohl besser erklärte, was er tat, da sie nichts sehen konnte. Zweifellos war sie diese ungewollte Ehe als Jungfrau eingegangen.

Der Klang ihres Namens, der ihm zum ersten Mal über die Lippen gekommen war, fühlte sich auf seiner Zunge rau und unpassend an. Er schluckte und räusperte sich, aber noch bevor er sich ihr wieder nähern oder irgendetwas anderes tun konnte, schlug sie das Laken zur Seite und sprang aus dem Bett. Zwar versuchte er noch, sie zurückzuhalten, doch er fasste ins Leere und landete quer auf dem verlassenen Bett. Als er sich wieder aufrichtete, konnte er beobachten, wie sie einem wilden Tier gleich versuchte, aus einem Käfig zu entkommen, aus dem es kein Entrinnen gab.

Da sie barfuß war, rutschte sie auf dem glatten Holzboden immer wieder aus, wobei sie von ihrem eigenen Schwung getragen quer durch das Gemach stolperte und schließlich hinfiel. Soren kletterte auf der anderen Seite aus dem Bett und versuchte erneut, Sybilla zu fassen zu bekommen, aber auch diesmal war sie unerwartet schnell wieder auf den Beinen und entwischte seinen Händen. Sie war wie eine Wahnsinnige, die so sehr nach einem Fluchtweg suchte, dass sie von ihrer eigenen Blindheit nichts bemerkte. Verwirrt und von ihrer Verletzung wohl auch noch ein wenig benommen stand sie mit dem Rücken gegen eine Wand gepresst da, redete leise vor sich hin und schüttelte den Kopf.

Ein paar Mal sprach Soren sie mit ihrem Namen an, doch sie nahm ihn gar nicht wahr, während er sich ihr wie einer äußerst unruhigen Stute näherte, die er mit leiser, sanfter Stimme zu beruhigen versuchte.

„Sybilla“, sagte er nochmals und versuchte, zu ihr zu gelangen, bevor sie sich weitere Verletzungen zufügen konnte. „Du musst damit aufhören.“

Reglos stand sie da, aber das währte nur einen trügerischen Moment lang, weil sie gleich darauf schon wieder davonstürmte, gerade als er einen Schritt in ihre Richtung machte. Fast hätte er sie zu fassen bekommen, aber dann rannte sie gegen den kleinen Tisch, auf dem ein Krug mitsamt Bechern stand, und stieß ihn um. Ihr kurzes Zögern nutzte er und bekam ihre Schultern zu fassen. Er wollte sie nur festhalten, damit sie sich nicht bei ihrer kopflosen Flucht noch schwerer verletzte, doch kaum berührten seine Finger ihre Haut, stieß sie ein entsetzlich klägliches Heulen aus. Es war so schrecklich, dass es ihm in den Ohren wehtat und in ihm den Wunsch weckte, ihr etwas anzutun, damit sie damit aufhörte.

Er rechnete damit, dass sie jeden Moment versuchen würde, sich aus seinem Griff zu befreien und weiter vor ihm davonzulaufen. Doch sie überraschte ihn erneut, da sie sich plötzlich einfach fallen ließ.

Zwar sagte Soren sich, dass sie bloß versuchte, dem Unvermeidbaren zu entkommen, und dass es sein gutes Recht war, heute Nacht ihren Leib für sich zu beanspruchen, doch da war etwas tief in seinem Inneren, das ihn von genau diesem Schritt abhielt. Stattdessen flüsterte er ihren Namen, weil er hoffte, so diese völlig verstörte Frau zu beruhigen, die er zur Ehe gezwungen hatte. Irgendwie gelang es ihm, sie zum Bett zu bringen, wo er ihr half sich hinzulegen und sie wieder zudeckte.

Er fuhr sich durch die Haare und sah sich im Gemach um, wobei er überlegte, was verkehrt gelaufen war, dass ihm eine Situation entglitt, die er vor wenigen Augenblicken noch unter Kontrolle gehabt hatte. Sein Vorhaben, keinerlei Rücksicht auf ihre Gefühle zu nehmen, war in dem Moment vergessen, als er Zeuge ihres bedauernswerten Zustands wurde. Ein Überbleibsel seines alten Ichs nagte an ihm, aber das währte nur kurz, da ihm gleich darauf schon klar war, dass er heute Nacht ihr Bett nicht teilen konnte und nicht teilen würde.

Die Erkenntnis, dass er sie nicht gegen ihren Willen nehmen konnte, so sehr er es auch wollte, schien alle Wut zu entfachen, die er so lange Zeit mit sich herumgetragen hatte.

Sie hatte wieder gewonnen.

Ihr Vater hatte ihn ein weiteres Mal besiegt.

Soren fühlte, wie diese Wut zu kochen begann, und wandte sich von ihr und von ihrem Bett ab. Dann griff er in blindem Zorn nach dem erstbesten Gegenstand und bekam einen Webstuhl zu fassen, den er mit dem Rahmen voran gegen die Wand schleuderte, wo er dann mit lautem Getöse auf dem Boden landete. Er hörte Sybilla vor Entsetzen schreien, aber diesmal kümmerte es ihn nicht. Er hatte in dieser Nacht auf vieles verzichtet, und er konnte nicht noch mehr geben.

Dummerweise war ein Teil des Webstuhls so vor der Tür gelandet, dass ihm der Weg nach draußen versperrt war. Er rief nach den Wachen, die sofort mit vereinten Kräften die Tür aufmachten, was ihm verriet, dass sie sehr wohl unmittelbar davor gewartet hatten, und nicht ihrem Befehl entsprechend am anderen Ende des Korridors.

„Schafft das verdammte Ding hier raus!“

Erst als die Männer begannen, die Holzlatten einzusammeln, kam von Sybilla eine Reaktion. Sie begann zu schluchzen und kletterte aus dem Bett. Rasch stellte sich Soren so hin, dass er den Wachen den Blick auf ihren Körper versperrte, dann legte er ihr eine Decke um, gerade als sie stolpernd zu den Überresten des Webstuhls lief.

Fassungslos schüttelte er bei diesem Anblick den Kopf. War sie vielleicht nicht nur blind, sondern auch noch verrückt?

Während er ihr zusah, versuchte sie, Teile des Rahmens aufzusammeln und zu berühren, wobei sie unablässig schluchzend vor und zurück wippte. In diesem Moment tauchte Stephen in der Tür auf und stutzte, als er Zeuge dieser befremdlichen Szene wurde.

„Was ist passiert, Soren?“

Der zuckte nur mit den Schultern. Zuerst war er der Meinung gewesen, Sybilla sei von schrecklicher Angst heimgesucht worden. Dass sie Angst davor hatte, die Ehe zu vollziehen, konnte er gut verstehen, immerhin war sie eine junge Frau und stellte zugleich seinen ärgsten Feind dar, an dem er sich rächen wollte. Aber dann schien es so, als hätte sie den Verstand verloren, und nun war dieses herzerweichende Schluchzen gefolgt, das aus den Tiefen ihrer Seele zu steigen schien und ihn vollkommen durcheinanderbrachte. Verdammt! Warum musste Stephen mit seiner Warnung bloß recht haben?

„Der Webstuhl ist umgefallen“, erklärte er und verschwieg die maßlose Wut, die überhaupt erst dazu geführt hatte. Es war eine unvollständige und unzutreffende Erklärung, aber mehr als das wollte er nicht zugeben.

„Es scheint ihr nicht gut zu gehen, Soren“, sagte Stephen mit Blick auf die in Tränen aufgelöste Frau, die ziellos auf dem Boden umhertastete. „Soll ich ihre Dienerin holen?“

Was sonst sollte er jetzt noch machen? Dass sie heute Nacht die Ehe nicht vollziehen würden, stand für ihn bereits fest, doch er fragte sich auch, ob diese Heirat womöglich ein Fehler gewesen war. Er betrachtete den Schaden, den er in ihrem Gemach angerichtet hatte, und hob nur hilflos die Schultern. Vielleicht konnten die beiden Dienerinnen sie beruhigen und ihm erklären, was das alles auf sich hatte.

„Aye, hol die Frauen und lass auch den Heilkundigen kommen.“

Als Stephen gegangen war, stand Soren da und beobachtete Sybilla. Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt, sondern kauerte weiter auf dem Fußboden und schien nichts zu spüren und zu hören, während sie weinend vor und zurück schaukelte. Als er hörte, dass die beiden Frauen auf dem Weg hierher waren, verließ er mit bedächtigen Schritten das Zimmer, ohne dabei jedoch Sybilla aus den Augen zu lassen. Dann hob er eine Hand und veranlasste die Dienerinnen, einige Schritte von ihm entfernt stehen zu bleiben.

„Halt“, sagte er im Flüsterton. „Du da, komm ganz leise her“, forderte er dann die ältere Frau auf. Als sie näher kam, nickte er. „Erzähl mir vom Verhalten deiner Herrin.“

Die Frau beugte sich vor, um einen Blick ins Zimmer zu werfen. Als sie sah, in welchem Zustand sich der Raum und ihre Herrin befanden, wollte sie sofort erschrocken eintreten, doch Soren hielt sie schnell zurück.

„Sag mir, warum sie sich wie eine Verrückte aufführt.“

„Was habt Ihr mit ihr gemacht?“, wollte sie prompt wissen.

Rüde zog Soren sie an ihrem Ärmel zu sich heran. „Ich werde einer Dienerin nicht mein Verhalten erklären“, knurrte er sie an, dann stieß er sie weg und deutete erneut auf seine Ehefrau. „Hat sie den Verstand verloren?“

Bevor sie darauf antworten konnte, kam der Heilkundige dazu, ein Mann, den Soren mitgebracht hatte und der es verstand, Verletzungen zu behandeln und mit der Hilfe von Kräutern zu heilen. Brice’ Ehefrau hatte nur lobende Worte über seine Behandlungskünste verloren, und Soren war froh darüber gewesen, ihn nach dem Gemetzel noch lebend anzutreffen. Bis auf Weiteres sollte der Mann auch bei Sorens Leuten bleiben.

„Mylord?“

„Teyen, habt Ihr die Verletzungen dieser Dame behandelt?“

„Nein, Mylord. Ihre Dienerinnen waren bereits damit beschäftigt, daher habe ich mich um die gekümmert, die meine Hilfe dringender nötig hatten. Soll ich mich jetzt ihrer annehmen?“

Soren rieb sich die Stirn und versuchte, die stechenden Kopfschmerzen zu vertreiben, die durch diese absurde Situation ausgelöst worden waren und die sich beständig steigerten.

„Was ist mit ihr geschehen?“, fragte Soren. „Du da …“ Er zeigte auf die jüngere Dienerin. „Wie heißt du?“

„G… Gytha“, brachte sie stotternd heraus.

„Gytha“, wiederholte er. „Sag mir, wodurch deine Herrin erblindet ist.“

„Als Ihr … als der Angriff begann, lief sie los, um die Kinder in die Feste zu bringen, so wie Gareth es ihr aufgetragen hatte. Ein Loch wurde in die Mauer gerissen, ein Stein traf sie am Kopf und ließ sie zu Boden gehen.“

„Dann ist sie also ohnmächtig geworden?“, fragte er, und Gytha nickte. „Wie lange war sie ohne Bewusstsein?“

„Bis Ihr … bis Ihr in die Feste vorgedrungen seid. Da war sie gerade erst aufgewacht.“

Auf dem Schlachtfeld hatte er viele Männer erlebt, die nach einer Kopfverletzung benommen und verwirrt waren. Manche vergaßen für eine Weile, wer sie waren. Manche hielten sich für ganz andere Persönlichkeiten, und ein paar reagierten sogar mit Gewaltausbrüchen. Einige erholten sich nie mehr davon. Eine Kopfverletzung war eine überzeugende Erklärung für Sybillas Verhalten.

„Teyen, kümmert Euch um sie. Ein Beruhigungstrank wäre …“ Weiter kam er nicht, da Teyen den Kopf schüttelte.

„Es wird besser sein, sie nicht in einen tiefen Schlaf zu versetzen, Mylord. Mancher erwacht nicht mehr, wenn er mit einer solchen Verletzung zu lange schläft.“

„Tut, was notwendig ist. Lasst die Dienerin vorgehen, damit sie sich ein Bild von der Verfassung ihrer Herrin machen kann. Dann folgt ihr.“

„Aye, Mylord.“ Teyen machte Platz, damit Gytha eintreten konnte.

Als die junge Frau einen erschrockenen Laut von sich gab, da sie sah, wie ihre Herrin auf dem Boden kauerte und Teile des zerschmetterten Webstuhls an sich drückte, fasste Soren sie am Arm und schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Wenn du nicht die Ruhe bewahren kannst, dann kannst du auch nicht zu ihr gehen“, machte er ihr klar, wartete, bis sie begriffen hatte, und ließ sie erst dann los. Ihm entging dabei nicht, dass Stephen in dem Moment einen Schritt nach vorn machte, als Soren die junge Frau packte, und dass er sehr aufmerksam das Gespräch mitverfolgte. Was in Soren den Eindruck weckte, dass Stephen mehr als nur beiläufig an dieser Gytha interessiert war.

Die ältere Frau kam näher, als Gytha ihre Herrin vorsichtig an der Schulter berührte und in beschwichtigendem Tonfall auf sie einredete. Auch wenn sie zu nervös erschien, gelang es ihr doch, Sybilla zum Aufstehen zu bewegen und zum Bett zu begleiten. Dabei fiel ihm auf, dass seine Frau jetzt humpelte. Gerade als Gytha ihr ins Bett helfen wollte, begann Sybilla den Kopf zu schütteln und wurde wieder unruhig. Stattdessen brachte die Dienerin sie rasch zu einem Stuhl, der in Reichweite stand, damit sie sich dort hinsetzen konnte.

„Ihr wolltet wissen, ob sie den Verstand verloren hat, Mylord?“

Überrascht drehte sich Soren zu der älteren Frau um, die ihm diese Frage gestellt hat.

„Mylady hat alles verloren, nur nicht den Verstand, Mylord. Ihren Vater und ihren Bruder, beide im Kampf gefallen. Ihre Mutter starb viele Jahre zuvor. Heute wurde ihr ihre Zukunft weggenommen, aber das Schlimmste ist, dass sie heute auch noch ihr Augenlicht verloren hat.“ Die Frau atmete einmal tief durch, dann redete sie weiter: „Ein solcher Verlust muss für einen Menschen verheerend sein, der so gütig und so warmherzig ist wie meine Herrin.“

Er sah mit an, wie Gytha die Verletzungen ihrer Herrin begutachtete und versorgte. Die Worte der älteren Frau weckten bei ihm ein Gefühl, das ihm zuerst fremd war. Obwohl es ihm unzählige Male selbst zuteil geworden war, benötigte er einen Moment, um zu begreifen, dass er jetzt ganz genauso empfand.

Es war Mitleid.

Er bemitleidete seine Ehefrau.

Nein, schlimmer noch. Er bemitleidete die Tochter des Mannes, der sein Leben zerstört und ihm seine Zukunft genommen hatte.

Mit dieser Empfindung konfrontiert – einer Empfindung, die er für niemanden verspüren wollte, in dessen Adern das Blut Durwards floss –, tat Soren das, was er tun musste, bevor sich solche Gefühlsregungen festsetzten und seine Rachepläne zunichtemachten: Er kämpfte dagegen an und ging als Sieger hervor.

„Wie heißt du?“, fragte er, während er langsam das Gemach verließ und die Arme vor der Brust verschränkt hielt. Dass es eine Abwehrhaltung seines Körpers war, würde er niemals zugeben.

„Ich bin Aldys“, antwortete die Frau und verbeugte sich.

„Ich übertrage dir die Verantwortung dafür, dass meine Frau gut versorgt wird“, erklärte er. „Kümmere dich um alles Notwendige.“ Bevor sie noch irgendetwas darauf erwidern konnte, hatte er schon die ersten Stufen auf der Treppe zurückgelegt, die ins Erdgeschoss führte.


Mondscheinküsse für Miss Dara

Sold out

Falsche Verlobung mit dem Gentleman?

Sold out

Verbotene Leidenschaft einer Prinzessin

Sold out
Vorheriger Artikel Die Schöne und der Bastard - Kapitel 6
Nächster Artikel Die Schöne und der Bastard - Kapitel 4