Die Schöne und der Bastard - Kapitel 6

~ Kapitel 6 ~

Auch wenn sich die Düsternis nicht lichtete, die Sybillas Herz umgab, ließen die Verwirrung und die Kopfschmerzen im Lauf der nächsten Tage nach. Zumindest kam es ihr so vor, dass sich die Besserung über mehrere Tage erstreckt hatte. Ohne sehen zu können, wie die Sonne sich über den Himmel bewegte, wie es Abend, Nacht und wieder Morgen wurde, ohne die tagtäglichen Arbeiten, die ihr Leben vor der Ankunft dieses Mannes geregelt hatten, fehlte ihr jede Orientierung, wie viel Zeit vergangen war.

Sie gab sich der Trauer hin, die sich in ihrem Herzen und in ihrer Seele aufgestaut hatte, und sie vermochte nichts weiter zu tun als die Stunden damit zu verbringen, ihren Tränen freien Lauf zu lassen oder zu schlafen. Sie konnte nichts sehen und damit auch keine Arbeiten mehr erledigen. Außerdem besaß sie nichts mehr, da diese Invasoren ihr Heim zerstört und diejenigen gefangen genommen hatten, deren Pflicht es gewesen war, sie zu beschützen. Dieser Mann hatte die Aufgabe seines Königs und anderer ebenso dummer Mächtiger vollendet, ihr alles und jeden wegzunehmen, der ihr etwas bedeutet hatte. Die schlimmsten Augenblicke waren die, an die sie sich erinnern konnte, obwohl sie von einem Schleier aus Schmerz und Angst umgeben gewesen war. Vor allem wusste sie noch ganz genau, wann sie die Kontrolle über ihre Trauer und ihr Handeln verloren hatte.

Der Webstuhl.

Blind und nur von dem Gedanken angetrieben, irgendwie zu entkommen, war sie voller Angst durch ihr Gemach gestolpert, da sie nicht wusste, wohin sie lief. Auch wenn sie seit Jahren in diesen Räumlichkeiten lebte, verwandelten sie sich in ein gänzlich unbekanntes Gelände, kaum dass Sybilla nichts mehr sehen konnte.

Mit jedem verkehrten Schritt hatte sie etwas mehr von ihrer Selbstbeherrschung verloren, bis er sie gepackt und zum Bett geschleift hatte. Doch als sie dann hörte, wie er ihren Webstuhl an der Wand zerschmetterte, war auch ihre ganze Welt zerschmettert worden.

Dieser Webstuhl war das Letzte gewesen, was noch eine unmittelbare Verbindung zu ihrem Vater und ihrem Bruder dargestellt hatte. Beide hatten nach dem Tod der Mutter diesen Webstuhl gebaut, um so Sybillas Trauer zu lindern und sie wieder in den Alltag ihres Haushalts zurückzuholen. Es war ein erfolgreicher Versuch gewesen, denn die Arbeit am Webstuhl besänftigte ihr Herz und lenkte sie von ihren quälenden Gedanken ab.

Jetzt war auch noch bis auf sie selbst dieses letzte Überbleibsel ihrer Familie vernichtet worden. Nach den Drohungen zu urteilen, die er ausgesprochen hatte, war sie ebenfalls in Gefahr, ihr Leben zu verlieren – und das ausgerechnet durch den Mann, mit dem sie nun verheiratet war.

Mit jedem Tag schwand ihr Appetit etwas mehr. An Nahrung nahm sie nur das zu sich, was ihre Dienstmädchen in einen Becher füllen und ihr auf diese Weise eintrichtern konnten. Warum sollte sie sich die Mühe machen, etwas zu essen oder zu trinken, wenn es nichts mehr gab, wofür es sich zu leben lohnte? Außerdem gab es niemanden mehr, dem ihr Überleben etwas bedeuten konnte.

Jegliche Hoffnung war erloschen, als Teyen ihr den Verband abnahm und sie ihre angeschwollenen Augen aufschlug – und nichts als Schwärze vor sich sah.

Nur Schwärze.

Keine Spur von noch so schwacher Helligkeit, nicht einmal irgendwelche Konturen.

Nur völlige Schwärze.

Sie war wahrhaftig blind, und auch wenn ihre treuen Dienerinnen ihr zunächst hatten einreden können, das würde sich mit der Zeit wieder legen, wusste sie jetzt, dass es nicht stimmte. Also tauchte sie jeden Tag ein wenig tiefer in diese vollkommene Dunkelheit ein, von der sie umgeben war. Sie versteckte sich vor all den Menschen, denen sie ihren Schutz versprochen hatte, weil sie ihnen in diesem Zustand nicht gegenübertreten wollte und weil sie ihnen jetzt, da sie alles verloren hatte, auch nichts mehr bieten konnte. Gerade als sie glaubte, ihr bleibe nichts anderes mehr zu tun als weiterhin in diesem finsteren Vergessen ihr Dasein zu fristen, da drang er einmal mehr in ihre Welt ein, indem er diesen Jungen benutzte, um ihr seine Befehle zu überbringen.

Ihre Dienstmädchen waren nervöser als sie selbst, sie eilten in Sybillas Gemächern hin und her, stellten Dinge um und rückten sie gerade, korrigierten etliche Male den Sitz ihrer Frisur und ihrer Kleidung, so als ob ihr Erscheinungsbild noch wichtig wäre, wenn doch längst auch alles andere nicht mehr zählte.

Sybilla saß schweigend in ihrer Finsternis da und wartete auf seine Ankunft. Seine Schritte, die allmählich näher kamen, dröhnten so laut wie Donnerschläge, doch bei ihr konnten sie weder viel Angst noch sonst ein Gefühl auslösen. In den letzten Tagen hatte sie sich von ihrer Trauer und von allen anderen Gefühlsregungen befreit, sodass in ihr nur noch Leere herrschte.

Die Tür wurde geöffnet, wobei ihr auffiel, dass die Scharniere dringend geschmiert werden mussten. Dann kehrte wieder Stille ein. Das flache Atmen der Dienerinnen links und rechts von ihr erinnerte sie an das leise Schnauben der Pferde im Stall, wenn sie sie an einem kalten Wintermorgen besuchte. Je mehr Zeit verging, umso schneller und unregelmäßiger ging der Atem.

„Raus“, befahl er in schroffem Tonfall.

Ein Wort von ihm, und schon überließen ihre treuen Dienerinnen sie ihrem Schicksal. Ihr war klar, dass dieser Gehorsam nur einen Grund haben konnte. Angst. Todesangst. Man hatte ihr seine schrecklichen Gesichtsverletzungen in allen blutigen Einzelheiten geschildert und sie mal wegen ihrer Heirat mit ihm bedauert, mal für ihre Erlösung gebetet. Im Flüsterton kursierten Gerüchte über seine schändlichen Taten, mit denen er ohne jede Gnade unschuldige Menschen zermalmte. Sie redeten freimütig über ihre eigenen Ängste, ganz ohne Rücksicht darauf, was sie damit womöglich bei Sybilla auslösten. Doch ihr war es egal, denn sie fühlte gar nichts mehr.

Er schloss die Tür hinter sich und versuchte nicht einmal, möglichst leise zu sein. Genauso laut waren seine Schritte, die sich ihr langsam näherten, bis er dicht neben ihr stehen blieb. Sie wusste, er war neben ihr, weil sie seinen Atem deutlich hören konnte. Als sie im Saal vor ihm gestanden hatte, war sie sich winzig vorgekommen, doch als sie jetzt auf ihrem Stuhl saß, da hatte sie das Gefühl, ein Hund zu sein, der seinem Herrn zu Füßen lag. Am liebsten wäre sie aufgestanden, doch sie fühlte sich noch immer zu unsicher auf den Beinen. Ihr Gleichgewichtssinn war dadurch gestört, dass sie nichts sehen konnte.

„Sybilla“, sagte er in einem Tonfall, der viel respektvoller klang, als sie es nach ihrer letzten Begegnung für möglich gehalten hatte. „Geht es dir gut?“

„Was hat Euer Heiler Euch berichtet?“, entgegnete sie. Ihre Stimme klang fremd, weil sie sie schon so lange nicht mehr gehört hatte. In den letzten Tagen hatte es für sie kaum einmal einen Anlass gegeben, etwas zu sagen.

„Teyen berichtet, dass deine Wunde nicht mehr blutet und dass das Schwindelgefühl nachgelassen hat. Stimmt das?“

Auch wenn seine Worte so gewählt waren, als zeige er Interesse an ihrer Verfassung, schwang darin keine Besorgnis mit. Das konnte sie deutlich heraushören. Schon eigenartig, wieso ihr das jetzt auffiel. Aber da sie nichts sehen konnte, musste sie sich auf das verlassen, was ihre Ohren ihr über die Welt um sie herum und über die Leute verrieten, von denen sie umgeben war. Sie reagierte mit einem Nicken und einem Seufzer.

„Und die Schmerzen?“, fragte er weiter. Sybilla bemerkte eine leichte Gefühlsregung in seiner Stimme, die ihr vermutlich nicht aufgefallen wäre, wenn sie ihn während ihrer Unterhaltung hätte sehen können.

„Es sind nicht die schlimmsten Schmerzen, die ich je erleiden musste“, entgegnete sie.

Daraufhin gab er nur ein kurzes Brummen von sich. Sie horchte aufmerksam hin, wie er zur gegenüberliegenden Seite des Raums ging.

Genau in jene Ecke, die nun leer war … so leer wie sie selbst sich fühlte.

„Es gibt Dinge, über die wir uns unterhalten müssen.“

Sybilla versuchte, bei dieser Ankündigung etwas zu empfinden, selbst wenn es nur Angst wäre, die sie erkennen lassen würde, dass sie überhaupt noch lebte. Doch sie fand keine Gefühlsregung in sich. Dabei hätte sogar der größte Narr es in diesem Moment mit der Angst zu tun bekommen müssen.

„Über was?“, fragte sie in der Hoffnung, dass er umso eher wieder ging, wenn all seine Fragen beantwortet waren. Dann konnte sie in ihre lautlose, schwarze Welt zurückkehren.

„Deine Männer geben uns keine Antworten. Ich habe versucht, sie dazu … zu ermutigen, aber keiner von ihnen will dir in den Rücken fallen.“

Finstere Drohungen schwangen in seiner Stimme mit. Ihre Männer lebten noch? Sie umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls. Zum ersten Mal seit Tagen verspürte sie Neugier.

„Wer lebt noch?“ Eine winzige Flamme der Hoffnung erwachte zum Leben, weil sie vielleicht die Namen derer erfahren würde, die so viel getan hatten, um sie zu beschützen.

„Nur eine Handvoll deiner Männer wurde beim Gefecht getötet“, antwortete er ein wenig herablassend. „Wir haben nicht lange gebraucht, um die spärliche Verteidigung zu durchbrechen und in die Feste und in den Burgfried vorzudringen.“

Unter anderen Umständen hätte sie vermutlich beleidigt auf diese Worte reagiert, mit denen er sich über sie als Herrin dieser Feste lustig machte, doch dieser Stolz der Vergangenheit vermochte kein Gefühl des Zorns in ihr zu entfachen.

„Wie habt Ihr sie dazu bringen wollen, dass sie mir in den Rücken fallen?“

 

Soren presste die Lippen so fest zusammen, dass es fast schon schmerzte. Aber er hielt seine Verärgerung unter Kontrolle und atmete einmal tief durch. War ihr klar, dass sie mit jedem Wort seine rar gesäte Geduld über Gebühr strapazierte?

Er ging ein paar Schritte hin und her, dann drehte er sich um und betrachtete sie aus einiger Entfernung. Was Teyen ihm im Verlauf der letzten Woche berichtet hatte, schien zuzutreffen. Seine Frau machte keinen kränklichen Eindruck, auch wenn Kopf und Gesicht einige dunkel verfärbte Schwellungen aufwiesen. Ihre Augen konnte er nicht sehen, da sie einen frischen Verband trug, aber sie hätte ihn auch ohne diesen Verband nicht anschauen können. Sie hielt die Armlehnen fest umklammert, und er konnte erkennen, wie sich der Griff ihrer Finger immer wieder für einen Moment ein wenig lockerte, während er von ihren Männern erzählte. Es war seit Tagen das erste Zeichen dafür, dass sie sich für etwas interessierte, was er ihr berichtete.

Was sie vielleicht nicht wusste, war, dass er sie seit seinem Eintreffen hier und seit ihrem verheerenden Ausbruch von Trauer viele Male einfach nur beobachtet hatte. Sie saß dann genauso da wie jetzt oder sie lag stundenlang im Bett, regte sich so gut wie gar nicht und fragte auch nach nichts und niemandem. Von der Lebendigkeit, die er noch im Saal erlebt hatte, als sie um den Schutz ihrer Leute besorgt war, war ihr jetzt nichts mehr anzumerken.

Doch davon abgesehen hatte er zutreffend vermutet, dass ihre Leute Sybillas Schwachstelle waren, so wie auch umgekehrt. Mit ein paar Drohungen zur richtigen Zeit am richtigen Ort hatte er ihre Leute dazu veranlasst, alle von seinen Soldaten angerichteten Schäden zu beseitigen. Was Soren jedoch brauchte, waren mehr Informationen, die wohl nur Sybilla zu kennen schien.

„Ich benötige die Bücher des Gutes, damit ich weiß, wie viele Leute in deinen Diensten stehen und wie viele zu deinen Ländereien gehören. Du weißt, wo ich sie finden kann.“ Hätte er sie nicht beobachtet, wäre ihm ihr flüchtiges Nicken nicht aufgefallen. „Wo hast du sie versteckt?“

„Dann ist Algar also tot?“, fragte sie leise.

Er verspürte den Wunsch zu lügen, um ihr Gewissen nicht noch mehr zu belasten, aber schnell schob er den Gedanken beiseite und sagte sich, dass Durwards Tochter solche Rücksichtnahme nicht verdiente.

„Aye, er ist tot. Wir fanden seine Leiche inmitten der Trümmer aus Mauersteinen, zusammen mit den Leichen von vier anderen Männern.“

Er hätte behaupten können, dass diese Männer entkommen waren und wohl versuchen würden, sie in Sicherheit zu bringen, doch diese Worte kamen ihm einfach nicht über die Lippen. Da er nicht darüber nachdenken wollte, warum er der Frau einen solchen Gefallen tun sollte, wenn er doch mit dem Vorsatz hergekommen war, sie von ganzem Herzen zu hassen, wiederholte er schnell seine Forderung: „Wo hat er die Bücher versteckt? Oder war das dein Werk?“

Eine ganze Weile wartete er auf eine Antwort, aber sie schwieg nur beharrlich und machte keine Anstalten, irgendetwas zu sagen. Also brachte Soren ein Druckmittel ins Spiel.

„Mit deinem Schweigen bringst du nur das Leben deiner Leute in Gefahr. Wie viele sollen deinetwegen noch sterben?“

Dass sie gleich darauf nach Luft schnappte, zeigte ihm, dass er mit seiner Frage hinter ihre Fassade aus scheinbarer Teilnahmslosigkeit vorgedrungen war.

„Ihr würdet diese Leute töten für etwas, worauf sie keinen Einfluss haben?“

„Wenn ich auf diese Weise bekomme, was ich haben will, dann ja“, antwortete er und nutzte bei diesem Schlagabtausch ihren Nachteil, nichts zu sehen, zu seinem Vorteil. Seine mangelnde Entschlossenheit konnte sie aus seiner Stimme nicht heraushören, und zusätzlich war es ihr nicht möglich, sein Mienenspiel nach einem Hinweis darauf abzusuchen, ob er womöglich nur bluffte. Erinnerungen an die Zeit, als er selbst durch eine Verletzung vorübergehend blind gewesen war, wollten sich den Weg aus den Tiefen seines Gedächtnisses bahnen, aber Soren riss sich zusammen und vereitelte dieses Vorhaben.

„Nennt mir die Namen derer, die gestorben sind, und ich werde Euch dort hinführen, wo Ihr das Gesuchte finden könnt.“

Er lachte laut über ihren Versuch, mit ihm zu verhandeln. Ein wenig Mumm besaß sie also immer noch, was ihm sehr behagte. Ihm war ein starker Widersacher lieber. Er mochte es, sich mit einem ebenbürtigen Gegner messen zu können, anstatt gegen eine verängstigte Frau anzutreten, die nichts mehr zu verlieren hatte und somit auch nichts mehr riskierte. Soren wusste aber auch, wie wichtig in einem Gefecht der richtige Zeitpunkt zum Handeln war. Das galt auch hier, denn es war ebenfalls eine Art Gefecht. Also machte er kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort ihre Gemächer. Sollte sie ruhig eine Weile dasitzen und sich Gedanken darüber machen, wie er sich entscheiden würde.

Als er die Treppe nach unten ging, musste er wegen der hohen, schmalen Stufen besonders vorsichtig sein. Seit seiner Verletzung konnte er Entfernungen nicht mehr richtig einschätzen, erst recht nicht, wenn es auch noch düster war. Daher sah er sich gezwungen, mit einer Hand Halt an der Mauer zu suchen. In Momenten wie diesem wurde er nur zu deutlich daran erinnert, was er durch Durwards Hieb alles verloren hatte. Es half ihm auch, seine Entschlossenheit zu stärken, sich dadurch nicht entmutigen zu lassen. So hatte er schnell gelernt, beim Bogenschießen auch die Flugbahn des Pfeils so einzuschätzen, dass er ins Ziel traf. Aber es waren die einfachen, alltäglichen Dinge wie diese düstere Treppe, die es ihm unmöglich machten, so selbstbewusst und erfahren aufzutreten, wie es früher der Fall gewesen war.

Guermont, der hier in Alston als sein Stellvertreter agierte, wartete am Fuß der Treppe auf ihn. „Diese Begegnung mit Mylady scheint besser verlaufen zu sein als die letzte“, stellte Guermont fest und durchquerte an seiner Seite den Saal in Richtung der Tür, die auf den Hof führte. „Die Wachen haben seit ihrem ersten Zusammenbruch nichts mehr in dieser Art gemeldet.“

„Hat sie darum gebeten, ihre Gemächer zu verlassen? Oder haben ihre Dienerinnen darum gebeten?“, fragte Soren.

Guermont wachte über alles und jeden innerhalb der Feste, sodass Soren sich um die Verteidigung und um die außerhalb gelegenen Gebäude und Felder kümmern konnte. Zusammen mit seinen eigenen Leuten, den Leibeigenen von Alston und den Menschen, die beim Angriff in seine Gefangenschaft geraten waren, hatte Soren draußen gearbeitet. Erst wenn das ganze Gut seiner Kontrolle unterstand und so wiederaufgebaut war, dass es Angriffen jener Rebellen standhalten konnte, die gegen König William aufbegehrten, würde er genug Zeit haben, um die Aufgaben besser auf seine Untergebenen zu verteilen.

Eigentlich hatte er vorgehabt, diese Feste Stein für Stein und Balken für Balken abzutragen, bis nichts mehr an ihre Existenz erinnerte, doch damit würde er noch warten müssen, da die Rebellen im Norden Englands ihre Angriffe wieder verstärkt hatten. Soren und seine Truppen spielten eine wichtige Rolle darin, diese Region zu kontrollieren, und deshalb waren sie vorläufig auf Alston als ihr Lager angewiesen. Wenn das Gebiet erst einmal gesichert war, konnte Soren Durwards Zuhause zerstören und sich dann seinen eigenen Plänen widmen.

„Nein, das haben sie nicht. Ihre Dienerinnen sind die ganze Zeit bei ihr, sie verlassen die Gemächer nur selten, und wenn doch, dann lassen sie sie nie allein. Wenn eine von ihnen eine Besorgung erledigen muss, dann bleibt die andere bei ihr.“

„Lass es mich wissen, wenn sie ihr Quartier verlassen will, Guermont“, befahl Soren und blieb stehen, nachdem sie sich ein paar Schritte weit auf den Hof begeben hatten. „Ihre Dienerinnen sollen vorläufig bei ihr bleiben.“

„Dann ist sie eine Gefangene?“, erkundigte sich Guermont.

„Nein, keine Gefangene. Sie muss nur fragen, dann hat sie meine Erlaubnis, ihre Gemächer zu verlassen. Aber sie muss mich fragen.“ Soren nickte vor sich hin und wollte sich zum Gehen wenden, da fiel ihm noch etwas ein. „Isst sie?“ Sie wirkte hagerer als beim letzten Mal, als er sie bei Tageslicht gesehen hatte.

Guermont schüttelte den Kopf. „Sie isst wenig. Ich höre oft, wie ihre Dienerinnen auf sie einreden, damit sie wenigstens ein bisschen Porridge oder Brühe zu sich nimmt.“

Eine Erinnerung wurde wach, sie stammte aus den ersten Tagen nach seinem Erwachen aus einem durch Kräutertränke hervorgerufenen Tiefschlaf, der sich über Wochen hingezogen und in den wachen Phasen von schrecklichen Schmerzen abgelöst worden war. Als er vom Ausmaß seiner Verletzungen und den Folgen für sein Leben und seinen Körper erfuhr, stand ihm der Sinn nach nichts mehr. Es war ihm egal, ob er etwas aß oder nicht, ob die Sonne auf- oder unterging. Sybilla of Alston machte genau das Gleiche durch wie er, wobei sie nicht einmal feststellen konnte, ob es Tag oder Nacht war. Ihm war wenigstens noch seine Sehkraft geblieben, um sich in der Welt zurechtzufinden.

Hastig schob er das Gefühl beiseite, das sich in ihm regte, ein Gefühl, das ihm fremd war und das er lieber nicht genauer kennenlernen wollte. Er entließ Guermont, damit der sich wieder seinen Aufgaben widmen konnte, und begab sich zu der Stelle, an der sie beim Angriff das Loch in die Mauer gerissen hatten. Die Gefangenen waren damit beschäftigt, den Schaden zu beheben, wobei Soren auffiel, dass sie alle auf die Anweisungen eines bestimmten Mitgefangenen hörten. Immer wieder unterbrachen sie die Arbeit und sahen ihm zu, ehe sie gehorchten. Dieses Muster wiederholte sich in unregelmäßigen Abständen.

„Gibt es ein Problem, Soren?“, fragte Stephen, der sich zu ihm stellte.

„Nein, ich beobachte nur den Mann da“, antwortete er und deutete auf den älteren Gefangenen. „War er der Befehlshaber von Durwards Wachen? War er der Mann, der neben Lady Sybilla auf der Mauer stand?“

„Ich bin mir nicht sicher“, sagte Stephen, dann ging er ohne zu zögern zu dem fraglichen Mann, zog ihn aus der Reihe der Gefangenen und zerrte ihn hinter sich her zu Soren. Die Kette zwischen seinen Knöcheln war so bemessen, dass er nur kleine Schritte machen konnte und eine Flucht unmöglich wurde.

Als er vor Soren stand, verschränkte der die Arme vor der Brust und sah ihn forschend an. „Du warst der Befehlshaber über die Verteidigung des Guts“, sagte Soren ihm auf den Kopf zu, damit der Mann seine Worte gar nicht erst für eine bloße Vermutung halten würde. „Wie heißt du?“

„Gareth“, antwortete er, sah Soren ins Gesicht und zuckte dabei weder zusammen noch wandte er den Blick von ihm ab. Offenbar hatte dieser Krieger schon oft genug gesehen, was eine Schlacht dem menschlichen Fleisch antun konnte.

Soren gab Stephen ein Zeichen, den Mann loszulassen. Dann holte er ohne Vorwarnung aus und schlug ihm die Faust mit solcher Wucht ins Gesicht, dass Gareth zu Boden geworfen wurde.

„Das ist dafür, dass du die Tore geschlossen hast, obwohl du wusstest, ich würde mich davon nicht aufhalten lassen.“

Die Angelsachsen waren auf den Zwischenfall aufmerksam geworden, ließen ihre Arbeit ruhen und versuchten näher zu kommen. Sorens Leute bildeten sofort eine Reihe zwischen ihm und den Gefangenen, um sie auf diese Weise zurückzuhalten. Soren sah zu, wie Gareth sich aufrappelte, das Blut vom Mund wischte und sich wieder kerzengerade vor ihn hinstellte, als warte er auf den zweiten Hieb.

Soren hatte nicht vor, ihn noch einmal zu schlagen. Ihm ging es nur darum, dem Mann deutlich zu machen, wie dumm er sich verhalten hatte. Wenn man in einer Schlacht dem Gegner zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen war, dann gehörte es nicht zu den klügsten Taktiken, diesen Gegner auch noch zusätzlich gegen sich aufzubringen.

„Komm mit“, wies er ihn an und ging weiter, wobei er darauf zählte, dass Gareth ihm folgte. Nachdem er sich ein Stück weit von den anderen entfernt hatte, blieb er stehen und drehte sich zu Gareth um, der tatsächlich dicht hinter ihm war.

„Wie lange hast du als Befehlshaber der Wache hier in Alston gedient?“, wollte er wissen.

„Fast zehn Jahre“, antwortete Gareth.

„Hast du irgendwelche Mitteilungen oder Anweisungen erhalten, die mit Williams Streitkräften oder mit dem Krieg zusammenhängen?“

„Nicht bis zu Eurer Ankunft in der letzten Woche, und nicht mehr seit den Kämpfen im Süden.“

„Ganz England wird jetzt von William kontrolliert. Jene Angelsachsen, die sich ihm noch immer widersetzen, werden überrannt und wie Ungeziefer vernichtet, was sie ja auch sind“, erklärte Soren, um dem Mann zu verstehen zu geben, dass Widerstand sinnlos war. „Selbst euer Knabenkönig hat William inzwischen Treue geschworen, und dafür ist ihm Nachsicht und Respekt entgegengebracht worden.“ Er beobachtete, wie der andere Mann ihm aufmerksam zuhörte, dessen Blick aber erkennen ließ, dass er die Schilderungen noch nicht akzeptiert hatte. „Finde dich damit ab, sonst wirst du genauso wie jeder andere untergehen, der die Rebellen unterstützt.“

Gareth nahm seine Worte lediglich zur Kenntnis, kniff ein wenig die Augen zusammen und blinzelte kurz. Sorens Vorreiter waren auf Überreste eines Rebellenlagers nicht weit von diesem Land entfernt gestoßen, und Soren würde alles in seiner Macht Stehende tun, um diese Rebellen auszulöschen. Nichts und niemand könnte ihn dazu bringen, den Rebellenführer Edmund Haroldson entkommen zu lassen, wenn er ihn noch einmal sah oder ihm gegenüberstand. Ganz sicher würde er nicht so handeln wie seine Freunde, die sich durch die zärtlichen Gefühle gegenüber ihren Ehefrauen von ihrer Pflicht hatten abhalten lassen, die Welt von den Feinden Williams zu befreien. Soren hingegen hatte sein Herz gestählt, er würde niemals zulassen, dass eine Frau ihn von seiner Pflicht abbrachte.

„Stephen, bring ihn zu Vater Medwyns Ministranten, damit er eine Liste zusammenstellt mit den Namen von allen Leuten, die durch den dummen Versuch, mich aufhalten zu wollen, ihr Leben verloren haben.“

Gareth wehrte sich gegen Stephens Griff und schüttelte energisch den Kopf. „Ich werde Mylady nicht in den Rücken fallen“, erklärte er mutig.

Mit einem erneuten Fausthieb schickte Soren ihn gleich wieder zu Boden. „Glaub nicht, du kannst dich meinen Befehlen widersetzen“, rief er laut genug, damit alle ihn hörten. Er schüttelte die Hand aus, mit der er zugeschlagen hatte. „Ich bin jetzt hier der Herr, und Rechenschaft lege ich allein gegenüber meinem König ab. Du bist nur ein Gefangener, dessen Leben in meiner Hand liegt.“ Damit drehte sich Soren um und ging davon, während Gareth über seine Entscheidung nachdenken konnte. Sorens Geduld war endgültig aufgebraucht.


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