Wenn der Krieg vor der Tür stand, konnte man eine Situation mit einem Mal in all ihren Details erfassen. Dieser Gedanke ging Soren durch den Kopf, als er hörte, dass die Angelsachsen sich den Toren näherten. Die Nachricht von ihrer Ankunft sprach sich schnell herum, und seine Männer gingen entlang der Mauer zügig in Stellung, nachdem die Gefangenen eingesperrt und die Frauen und Kinder im Inneren der Feste in einem sicheren Raum untergebracht worden waren. Als er nun beobachtete, wie die bewaffneten Truppen weiter vorrückten, war Soren in der Lage, die Stärken und Schwächen des Gegners besser einzuschätzen. Nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass sie ihnen allenfalls lästig, aber nicht gefährlich werden konnten, wandte sich Soren an die ungebetenen Besucher.
„Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“
„Ich bin Maurin de Caen. Mein Land liegt einen Tagesritt südwestlich von hier, gleich hinter den Hügeln“, antwortete der erste Mann, der dem Namen nach von normannischer Herkunft zu sein schien.
„Und ich bin Wilfrid of Brougham, Lord Soren. Mein Land liegt in gleicher Richtung zwei Tagesritte von hier entfernt. Wir haben jeder einen Brief vom König erhalten, der die Rebellen betrifft, und wir sind hergekommen, um die Angelegenheit mit Euch zu besprechen.“
Soren sah zu Stephen und dann zu Guermont, der in Rüstung und mit Schwert wieder mehr nach dem Krieger aussah, der er eigentlich war, nicht aber nach dem Steward, zu dem er im Lauf der Zeit geworden war. Als beide zustimmend nickten, ging Soren die Stufen hinab und begab sich zum Tor, um den Männern Einlass zu gewähren. Seine eigenen Soldaten wussten nur zu gut, dass sie sich keinen Moment der Unachtsamkeit erlauben konnten. Vorsichtshalber würde er mit den Besuchern nur auf dem Hof reden, wo jeder sie im Auge behalten konnte. Vor allem aber würden sie dann in Reichweite seiner Bogenschützen sein, die an der Mauer in Position standen.
Er sah zu, wie die beiden Männer absaßen, nachdem sie auf den Hof geritten waren, und ging zu ihnen, wobei er die übliche Reaktion erwartete, die jeder zeigte, der ihm zum ersten Mal begegnete. Als keiner von ihnen seinem Gesicht mehr als nur flüchtig Beachtung schenkte, wusste er, sie waren vorgewarnt worden. Er zog die Handschuhe seiner Rüstung aus und hielt ihnen zum Gruß die Hand hin, die einer nach dem anderen schüttelte. Dann gab er ihnen ein Zeichen, damit sie ihm zu einem Tisch nahe dem Burgfried folgten.
Sie unterhielten sich über die Situation in den umliegenden Gebieten und über den Wunsch des Königs, dass die nördlichen Regionen Englands nicht vom schottischen König überfallen wurden, während Williams Augenmerk auf den Süden des Landes gerichtet war. Sie redeten auch über Morcar und Edwin, vormals der Earl of Mercia und der Earl of Northumbria, deren Ländereien Alston umgaben. Beide waren derzeit zusammen mit dem angelsächsischen Thronanwärter Gäste von William in der Normandie. Soren ließ Ale und Speisen bringen, und er bat Stephen und Guermont, sich zu ihnen zu setzen und sich der Unterhaltung anzuschließen, da sie dabei viel Wichtiges erfahren würden. Mehr als eine Stunde redeten sie über jedes Thema, das Soren wichtig erschien, mit Ausnahme einer einzigen Sache. Nachdem er seine Männer wieder weggeschickt hatte, wandte er sich mit den Fragen an seine Gäste, auf die er unbedingt eine Antwort erhalten wollte, während ihm alles andere längst bekannt gewesen war.
„Erzählt mir von Durward of Alston“, sagte er.
Die beiden sahen sich kurz an, dann begann Maurin, wobei ihm anzumerken war, dass er sich in seiner Wortwahl zurückhielt. „Obwohl ein großer Teil der Ländereien hier oben im Norden vom schottischen König beansprucht wird, erhielt Durward das Gut von König Edward, und Harold legte das urkundlich fest. Harold hatte seine Zweifel an Morcar und Edwin, auch wenn er durch die Heirat mit deren Schwester mit ihnen verwandt war. Er benutzte Durward, um diese wichtige Region zu halten.“
„Schuldete er Mercia oder Northumbria in irgendeiner Weise Lehnstreue?“
Alston bildete den Zugangsweg zu verschiedenen alten Königreichen, die alle sehr begehrt waren und um deren Anspruch eine Generation nach der anderen rang. Während Soren auf eine Antwort wartete, konnte er beobachten, wie die beiden ein weiteres Mal Blicke austauschten.
„Keine Lehnstreue, Lord Soren, aber ein Band von einer anderen Art“, erwiderte Wilfrid. „Eine Verlobung zwischen Durwards Sohn und einer Nichte von Godwinson war bereits arrangiert worden, aber der Tod des Jungen und die Schlacht bei Hastings setzten allen Hoffnungen ein Ende, die beiden Häuser miteinander zu verbinden.“
Wilfrid redete nicht weiter, doch Soren merkte ihm an, dass er noch nicht fertig war. „Aber …?“, hakte er von sich aus nach.
„Morcar hatte bereits angeboten, seinen Sohn mit Durwards Tochter zu verheiraten.“
„Sybilla?“, fragte Soren. Beide nickten. „Weiß sie davon?“
„Sehr wahrscheinlich nicht. Durward hatte sich in der Angelegenheit noch nicht entschieden, als der Befehl einging, den Nordmännern bei York gegenüberzutreten. Als Harolds Vasall musste er Soldaten hinschicken, die von seinem Sohn angeführt wurden. Bedauerlicherweise traf er auf Morcar und Edwin, bevor Harold von Süden aus dazustoßen konnte.“
Soren war mit den verheerenden Folgen vertraut. Die Engländer verloren die Schlacht und erlitten schwere Verluste, wie ihm zu Ohren kam, während er sich zwecks seiner Genesung in der Nähe von London aufhielt. Doch der Versuch, die beiden Häuser miteinander zu verbinden, war ihm neu. Diese Tatsache konnte von Nutzen sein, um die Rebellen aufzuspüren, die eindeutig von mächtigen Leuten hier oben im Norden Unterstützung erhielten. Brice hatte ihm eine Nachricht zukommen lassen, dass Edmund Haroldson in der Nähe von Shildon gesehen worden war und sich in Richtung Norden bewegte. Es wurde vermutet, dass er sich die Unterstützung von Malcolm in Schottland sichern wollte, und auf dem Weg dorthin sollte er hier vorbeikommen.
Damit wurde Soren auch klar, was Giles und Brice gemeint hatten, als sie davon sprachen, dass die ihnen versprochenen Ländereien zu den gefährlichsten in Williams neuem Königreich gehörten. Sie riskierten wahrhaftig ihr Leben und ihre Zukunft bei dem Versuch, diese Territorien zu halten. Bei so vielen Feinden zu allen Seiten und so wenigen wirklich vertrauenswürdigen Verbündeten stellte sich Soren die Frage, ob er überhaupt lange genug leben würde, um Söhne zu zeugen.