Bianca Weekend Band 23

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DIE PRINZESSIN UND DER COWBOY von MYRNA MACKENZIE

Bevor für Prinzessin Delfyne der Ernst des Lebens beginnt, verbringt sie noch einen Sommer auf der Ranch von Owen Michaels. Sie genießt ihre Freiheit – und Owens Nähe. Doch so verlockend seine Küsse auch sind, sie muss ihm widerstehen. Denn Owen ist ein Bürgerlicher – und deshalb für sie tabu …

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  • Erscheinungstag 06.07.2024
  • Bandnummer 23
  • ISBN / Artikelnummer 8053240023
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Myrna Mackenzie, Crystal Green, Jackie Merritt

BIANCA WEEKEND BAND 23

1. KAPITEL

„Es gibt gute Ideen, und es gibt schlechte, mein Freund. Dass du deine Schwester herschicken willst, gehört zu den schlechten.“ Owen Michaels lehnte sich im Sessel zurück und legte die Füße mitsamt den Cowboystiefeln auf den Schreibtisch.

„Unsinn, Owen, es ist die beste Idee überhaupt“, widersprach die kultivierte Stimme am anderen Ende der Leitung.

Owen warf einen Blick aus dem Fenster auf die endlose Weite, die sich bis zum Horizont erstreckte. Diese Aussicht war für ihn etwas Wundervolles, aber die meisten Menschen waren anderer Meinung.

„Hast du zu viel Cognac getrunken, Andreus? Vielleicht warst du schon zu lange nicht mehr in Montana? Du scheinst vergessen zu haben, dass auf meiner Ranch hart gearbeitet wird, auch wenn ich ein reicher Mann bin. Außerdem liegt die Second Chance ziemlich einsam. Deine Schwester ist eine Prinzessin und andere Umstände gewohnt.“

Was noch eine Untertreibung ist, dachte er. Sie würde sich nach Kultur sehnen, nach Bällen und High-Society-Partys. Frauen konnte man nicht hierher verpflanzen. Seine Mutter und seine Exfrau waren lebende Beweise. Die eine war einfach verschwunden, und die andere hatte sich scheiden lassen, nachdem … Owen fluchte stumm und verdrängte die bedrückenden Gedanken. „Nein, mein Lieber, daraus wird nichts.“

„Hör mir doch erst einmal zu, Owen“, drängte sein ehemaliger Mitbewohner aus Collegetagen. „Und um deine Frage zu beantworten, es war mir niemals ernster, und nein, ich habe nicht einen einzigen Tropfen getrunken. Ich bin nur begeistert, weil ich endlich weiß, was ich mit Delfyne machen soll.“

Die Stimme klang so gequält, dass Owen die Stirn runzelte. „Wieso musst du denn überhaupt etwas mit ihr machen?“

Ein tiefer Seufzer drang aus dem Hörer. „Weil sie eine Prinzessin ist und bald heiraten wird. Sie hat darauf bestanden, einen Sommer lang ihre Freiheit genießen zu dürfen. Es ist ihr gutes Recht. Wir alle hatten diese Auszeit, bevor wir die Rolle übernommen haben, die uns vom Schicksal bestimmt ist.“

Owen sah hinaus auf den grandiosen Sonnenuntergang.
Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die Landschaft in warmes rötliches Licht. Bald schon würde sich die abendliche Dunkelheit wie eine pechschwarze Decke übers Land legen, dicht und undurchdringlich, denn hier draußen gab es keine Straßenlaternen und im Umkreis von vielen Meilen keine Nachbarn. Und die Stille … es existierten sicher nur wenige Orte auf der Welt, an denen ein Mensch weiter vom Fürstenhof und höfischen Leben entfernt sein konnte. Owen war jedenfalls felsenfest davon überzeugt, dass Andreus’ Schwester sich ihre Auszeit anders vorstellte.

„Sie will ein paar Monate ungebunden sein, bevor sie heiratet, und eine Zeit lang ein anderes Leben führen? Wo ist das Problem? Schick sie in irgendein exotisches Urlaubsparadies, auf eine Kreuzfahrt oder nach New York.“

„Nein!“

Der Widerspruch klang heftig. Owen schwang seine Boots vom Schreibtisch, stand auf und schlenderte mit dem Telefon am Ohr zum Fenster. Er schaute in die zunehmende Dämmerung und zu den Wolken hinauf, die sich jetzt orange und purpurrot verfärbten.

„Warum nicht?“

Wieder seufzte Andreus. „Delfyne … ist …“

Ein ungutes Gefühl beschlich Owen. Er drehte dem Naturschauspiel den Rücken zu und konzentrierte sich auf das Gespräch. „Was ist mit Delfyne?“

Nur vage erinnerte er sich an sie. Vor sieben Jahren hatte er Andreus in Xenora besucht und dabei kurz dessen Schwester kennengelernt. Owen war zwanzig gewesen, sie ein siebzehnjähriger Teenager, mager und blass. Ihr aristokratisches Auftreten hatte ihn jedoch beeindruckt. Gleich nach seiner Ankunft war sie zu einer Cousine nach Belgien abgereist. Wahrscheinlich hatte man sie weggeschickt, weil ein amerikanischer Cowboy frei im Palast herumlief. Der Gedanke brachte ihn heute noch zum Schmunzeln.

„Sie ist … anders als meine Geschwister“, fuhr Andreus fort. „Behütet aufgewachsen, impulsiv und naiv. Ihr würde es nicht einmal in den Sinn kommen, dass ihr etwas Schlimmes zustoßen könnte. Sie gehört zu den Menschen, die erst an den Ofen fassen müssen, um zu begreifen, dass er heiß ist. Du kannst dir also vorstellen, was geschieht, wenn man sie in die Welt hinausschickt und ihr alle Freiheiten lässt …“

Na toll!

„Owen?“

„Unterm Strich heißt das, ich soll für deine kleine Schwester den Babysitter spielen?“

„So würde ich es nicht ausdrücken. Zumindest nicht vor Delfyne. Sie kann recht temperamentvoll sein.“

Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Eine aufbrausende Prinzessin ohne gesunden Menschenverstand. Owen unterdrückte ein Stöhnen. „Andreus … Verdammt, du weißt, dass ich der Falsche bin, um auf eine Prinzessin aufzupassen. Zu rau und kantig.“

„Das ist ja das Gute. Du wirst verhindern, dass sie in Schwierigkeiten gerät.“

„Verlangst du von mir etwa, dass ich einer Frau mehr oder weniger Fesseln anlege?“

Andreus zögerte kurz. „Ich möchte, dass du sie ein bisschen im Zaum hältst.“

„Also soll ich doch den Babysitter spielen.“

„Sie wird dir keine Probleme machen.“

„Gerade hast du ein anderes Bild von ihr gemalt.“

„Bei dir wird sie sich benehmen, glaub mir.“

Owen lachte leise. „Schmierst du mir Honig um den Bart?“

„Ich schmiere dir gar nichts um den Bart“, entgegnete sein Freund etwas steif. Umgangssprache ging ihm nicht so leicht von den Lippen. „Du weißt selbst, wie energisch du sein kannst. Ich habe nicht vergessen, was du damals gesagt hast, als wir im Studentenheim unser Zimmer bezogen. Ohne Umschweife hast du mir klargemacht, welches Bett dir gehört und welches mir. Und dass du beim Lernen Ruhe bräuchtest und vorhättest, sehr viel zu lernen. Als Prinz und Thronfolger war ich andere Töne gewohnt.“

„Da hatte ich noch keine Ahnung, dass du ein Prinz bist.“

„Nachdem du es erfahren hattest, hast du mich auch nicht anders behandelt. Du ahnst nicht, wie dankbar ich dir dafür war. Du wurdest mein Freund. Mein bester Freund!“

„Und du hast mich rausgehauen, als diese vier Typen aus der Bar über mich herfielen. Du bist meinetwegen um die halbe Welt geflogen, als …“ Owen brachte den Rest des Satzes nicht heraus. Der Schmerz brannte immer noch, selbst nach so vielen Jahren. „Jedenfalls hast du mir geholfen, als ich Hilfe brauchte“, sagte er lahm. „Ich stehe tief in deiner Schuld.“

„Darum geht es nicht“, sagte Andreus. „Ich fordere nichts von dir ein. Das ist nicht mein Stil.“

Nein, sicher nicht. Aber er war auch ein stolzer Aristokrat, der nicht ohne Weiteres jemanden um einen Gefallen bat. Trotz seines lockeren Tonfalls fiel es ihm bestimmt verdammt schwer, sein Anliegen vorzubringen.

„Du machst dir wirklich Sorgen um deine Schwester, hm?“

„Sie bedeutet mir sehr viel, Owen. Delfyne ist etwas Besonderes … wie ein Sonnenstrahl. Und ich weiß, wie ihr im Moment zumute ist. Wir mögen zwar privilegiert sein, weil wir zur Fürstenfamilie gehören, aber ein Leben in Freiheit ist für einen Prinzen oder eine Prinzessin ein unerfüllbarer Traum. Nach den wenigen Monaten, die jetzt kommen, wird sich für sie alles verändern. Und das weiß sie.“

Was sollte Owen dazu sagen? Seine Freiheit und seine Ranch hier in Montana gingen ihm über alles. Dafür hatte er sogar das Glück anderer Menschen geopfert. Und ohne Andreus wäre es heute schlecht um ihn bestellt. „Okay, schick sie her“, sagte er. „Ich passe auf sie auf. Versprochen.“

„Danke, Owen. Wenn du wüsstest, was das für mich bedeutet. Du bist ein Heiliger, mein Freund.“

Owen lachte auf. „Wenn du mich für einen Heiligen hältst, leidest du unter Wahnvorstellungen! Hoffentlich bereut am Ende keiner von uns diese Vereinbarung.“

Das mulmige Gefühl setzte schon ein, noch während er auflegte. Owen fragte sich, ob seine Entscheidung wirklich klug gewesen war. Eigensinnig, arrogant, schroff, so hatte man ihn schon des Öfteren genannt. Ihn als Sonderling bezeichnet. Er war reich genug, um überall auf der Welt leben zu können. Aber er liebte die Einsamkeit seiner Ranch, die Ruhe – und den relativen Frieden, den er hier gefunden hatte.

Mit der Ruhe jedoch sollte es vorbei sein, wenn eine Prinzessin sich auf der Second Chance einquartieren würde.

„Eine Prinzessin?“, murmelte er. „Auf einer Ranch? Was für ein Blödsinn! Vielleicht findet sie es ja schrecklich hier und fliegt sofort wieder nach Hause.“

Ein Mann brauchte schließlich Hoffnungen und Träume.

Delfyne stieg aus dem Familienjet, warf einen Blick auf den hochgewachsenen Mann, der auf sie wartete, und wusste instinktiv, dass sie in Schwierigkeiten steckte.

Nicht, weil er ausgesprochen attraktiv war. Lange Beine in engen Jeans, breite Schultern, dunkelbraunes Haar und leuchtend blaue Augen – welche Frau würde nicht unwillkürlich den Atem anhalten? Aber gutes Aussehen konnte man ignorieren.

Das, was ihr wirklich unter die Haut ging, ließ sich gar nicht so einfach beschreiben. Der besondere Ausdruck auf seinem kantigen, sonnengebräunten Gesicht … dieser Mann war wie eine Fels. Ein Krieger. Aufrecht, eigenwillig, unnachgiebig.

Außerdem schien er nicht sonderlich erfreut, sie zu sehen. Delfyne ahnte auch, warum.

Zweifellos hatte ihr Bruder Owen Michaels gebeten, in den nächsten Monaten auf sie aufzupassen. Diese Auszeit stand jedem Prinzen und jeder Prinzessin einmal im Leben zu. Doch als sie ihre Freiheit einforderte, hatte auf einmal hektische Nervosität geherrscht. Man überschüttete sie mit Einwänden und guten Ratschlägen. Was sie auch vorschlug, es wurde aus den verschiedensten Gründen abgetan.

Irgendwann hatte sie begriffen, dass ihre Familie sie die süße Freiheit niemals wirklich kosten lassen würde.

Natürlich aus Angst, dass sie einen folgenschweren Fehler begehen würde … wieder einmal. So wie damals, als sie sich nachts heimlich aus dem Palast geschlichen hatte, um schwimmen zu gehen, und um ein Haar ertrunken wäre. Oder als sie sich von der Tochter eines Zimmermädchens hatte überreden lassen, ohne Bodyguard eine Party zu besuchen, und beinahe entführt worden wäre.

Wenn ihre Familie wüsste, was sie noch alles getan hatte, um sich von den Fesseln zu befreien, die ihr Leben so sehr einschränkten!

Ihre schlimmste Erfahrung hatte sie niemandem anvertraut. Nein, darüber konnte sie nicht sprechen … Delfyne spürte, wie die alte Panik in ihr aufstieg, und verdrängte diese Erinnerungen schnell wieder.

Trotzdem war sie nicht bereit, ein Leben hinter gläsernen Mauern zu verbringen, ohne diese Auszeit von der Rolle der Prinzessin gehabt zu haben. Sie brauchte sie wie die Luft zum Atmen. Nur dieses eine Mal wollte sie das berauschende Gefühl der Freiheit erleben und ein normales Leben führen wie alle anderen Menschen auch.

Leider klebten zwei Leibwächter an ihren Fersen, und keine zehn Schritte entfernt wartete ein grimmiger Aufpasser. Owen Michaels war deutlich anzusehen, dass ihm ihr Besuch alles andere als recht war.

Einen Moment lang tat er ihr richtig leid, weil er für sie den Babysitter spielen musste, aber das würde sie für sich behalten. Denn das hieße zuzugeben, dass er für sie verantwortlich war. Ausgeschlossen! Seine Gastfreundschaft in Ehren, aber er stand zwischen ihr und ihren Träumen.

Sie holte tief Luft, setzte das huldvolle Lächeln auf, das sie fast noch vor dem Laufen und Sprechen gelernt hatte, und hob den Kopf. „Owen, richtig?“ Grazil hielt sie ihm die Hand hin. „Es ist wirklich sehr freundlich und großzügig von dir, mir für die Dauer meines USA-Aufenthalts Unterkunft zu gewähren.“

Ein kaum merkliches Lächeln umspielte seine männlichen Lippen, dann kehrte der kriegerische Ausdruck zurück. „Hallo, Delfyne.“ Ein kurzes Kopfnicken. „Ich hatte den Eindruck, dass du nicht gerade begeistert warst, hierherzukommen.“

Das war noch milde ausgedrückt. Sie war wütend gewesen. Wollte lieber im fürstlichen Verlies verrotten als den Sommer auf einer abgelegenen Rinderfarm verbringen. Was natürlich ziemlich albern geklungen hatte, da es im Palast keinen Kerker gab und nie gegeben hatte. Aber schon als Kinder hatten sie diese Drohung benutzt, um gegen den elterlichen Willen aufzubegehren. Allerdings selten erfolgreich.

Auch diesmal nicht.

Andreus hatte von Montanas endlosen Weiten, seinem azurblauen Himmel und den sternenklaren Nächten geschwärmt und den stolzen, gastfreundlichen Menschenschlag gepriesen. Ihre Eltern waren hellauf begeistert gewesen.

Ungewollt hatten seine Erzählungen sie schließlich in ihren Bann geschlagen. Delfyne war neugierig geworden. Besonders, nachdem er berichtet hatte, dass Montana in manchen Teilen noch wild und ungezähmt sein sollte. So wie ich, hatte sie gedacht.

„Ich hatte mich anfangs nicht mit allen Möglichkeiten der Situation befasst“, erwiderte sie freundlich. „Besser gesagt, mit den Vorteilen. Das ist nun geschehen.“

„Aha. Die Vorteile. Erzähl mir gern bei Gelegenheit, was du damit meinst. Bis dahin …“ Er blickte auf ihre Hand. „Was die höfische Etikette betrifft, da fehlt es mir an Übung. Gebe ich dir ganz normal die Hand, oder bekommst du einen Handkuss?“

Er hatte eine raue, tiefe Stimme, die ein schwindelerregend irritierendes Gefühl in ihrem Bauch auslöste. Delfyne ließ die Hand sinken. „Ich denke, ein schlichtes Hallo genügt.“

Berührungen waren nicht nötig. Schließlich war dieser Mann, wenn auch eher ungern, ihr Gefängniswärter. Sie durfte und wollte ihn nicht attraktiv finden. Er war der Freund ihres Bruders und sie bereits einem Mann versprochen. Ihren Zukünftigen kannte sie zwar kaum, aber diese Verbindung würde für ihr Volk und für das Fürstenhaus von großem Vorteil sein. Selbstverständlich wollte sie ihre Pflicht erfüllen … nachdem sie das Leben in vollen Zügen genossen hatte.

Zuallererst jedoch musste sie Owen Michaels dazu überreden, sie ziehen zu lassen, damit sie all das tun konnte, worauf sie sich schon ein Leben lang freute. Und dann würde sie ihm das Versprechen abnehmen, niemandem von ihren Plänen zu erzählen.

Ein Blick in seine scharfen, wachsamen Augen hätte sie fast entmutigt. Dieser Mann war sicher nicht leicht zu überzeugen.

Delfyne unterdrückte einen Seufzer. „Ist es weit bis zu deinem Haus?“, fragte sie.

Er lächelte, und diesmal wirkte sein Lächeln echt. Es war atemberaubend. Seine blauen Augen blitzten verwegen, und eine heiße Welle durchzuckte ihren Körper an Stellen, die sie für gewöhnlich ignorierte.

„Wenn man es nicht gewohnt ist, lange Strecken zu fahren, schon. Können wir los?“

„Ja.“ Sie drehte sich zum Jet um und nickte leicht. Sofort tauchten in der Tür zwei Mitglieder der fürstlichen Garde auf. Stoisch. Massig. Ihre Gesichter waren ausdruckslos.

„Wer zum Teufel sind die beiden?“

„Meine Eskorte.“

„Deine Eskorte“, wiederholte Owen in einem Ton, als hätte sie gesagt, dass sie immer in Begleitung rosafarbener Ponys reise. „Fliegen sie jetzt zurück?“

Schön wär’s. „Du kannst gern versuchen, sie dazu zu bringen. Sie folgen mir überallhin. Es ist ihr Job.“

„Hast du noch mehr Gefolge, von dem ich wissen sollte?“

Zum ersten Mal seit ihrem Abflug war Delfyne nach Lachen zumute. „Wie ich sehe, hat Andreus dir nichts von meinen Begleitern erzählt“, erwiderte sie amüsiert. „Da frage ich mich doch, warum nicht.“

Die Antwort lag auf der Hand. Owen hatte sie hier nicht haben wollen. Ob er sich auf diesen Freundschaftsdienst eingelassen hätte, wenn er gewusst hätte, dass auch zwei Bodyguards mit von der Partie waren?

Wahrscheinlich nicht. Bestimmt gab es für ihn Grenzen, und wenn sie die überschritt, würde er Delfyne freiwillig ziehen lassen. Sie brauchte nur noch herauszufinden, wo Owen Michaels seine Grenzen hatte.

Das dürfte nicht schwer sein.

2. KAPITEL

Andreus’ kleine Schwester ist wirklich kein Kind mehr, dachte Owen, als er Delfyne zu seinem Geländewagen begleitete. Aus dem mageren Teenager war eine schlanke junge Frau mit aufregenden Kurven geworden. Dazu das seidig schimmernde schwarze Haar und veilchenblaue Augen – sie sah hinreißend aus. Und ihre Beine …

Unwillkürlich ließ er den Blick über ihre langen, schlanken Beine gleiten. Die schmalen Füße steckten in Stilettos – ein Hauch filigraner Spitze mit hohen Absätzen –, die in einen Ballsaal, den Sitzungsraum eines Firmenvorstands oder … in ein Schlafzimmer passen würden. Aber ganz sicher gehörten sie nicht auf eine Ranch in Montana, geschweige denn in die Nähe eines Mannes wie ihm.

Wütend unterdrückte er den Impuls, mit der Faust auf den Wagen zu schlagen. Am Horizont stand dunkel das Wort Katastrophe, und er ahnte, dass sie bald über ihn hereinbrechen würde, falls er nicht höllisch aufpasste. Wie konnte er auch nur daran denken, mit seinen schwieligen rauen Händen die Beine einer Prinzessin zu streicheln?

Frustriert blickte er hoch und bemerkte, dass sie ihn bestürzt ansah. Verdammt! Er hatte sie nicht nur ungeniert von Kopf bis Fuß gemustert, sondern auch ihr Gepäck eingeladen, ohne dabei einen Ton zu sagen.

„Entschuldigung.“

Ein erstaunter Ausdruck trat in ihre Augen. „Weshalb?“

Sie war wirklich gut. Wahrscheinlich hatte man ihr von klein auf beigebracht, auf schlechte Manieren mit kühler Gelassenheit zu reagieren.

„Als dein Gastgeber sollte ich dir das Gefühl geben, willkommen zu sein. Das habe ich bisher nicht getan.“

Schweigend betrachtete sie ihn einen Moment lang. Dann legte sie ihm die Hand auf den Arm.

Ein Stromstoß durchzuckte ihn bis in die Zehenspitzen.

Na toll! Owen unterdrückte einen Fluch. Er war scharf auf eine Prinzessin. Eine, die bereits für einen Prinzen bestimmt war. Und noch schlimmer, es handelte sich um die Schwester seines besten Freundes. Beschützen sollte er sie, nicht begehren!

Er atmete tief durch und zwang sich, nicht dorthin zu sehen, wo die sanfte Hand dieser schönen Frau seine Haut berührte.

In ihren Augen tanzte ein Lächeln. „Schluss damit“, sagte sie. „Machen wir uns nichts vor, ja?“

Er wartete.

Sie schüttelte den Kopf, sah auf ihre Hand, als würde ihr erst jetzt bewusst, dass sie ihn angefasst hatte, und zog sie langsam zurück. „Mein Bruder hat dich überredet, mich hier aufzunehmen. Ich bin nicht dein Gast, Owen, sondern eine lästige Verpflichtung. Das weiß ich. Also erwarte ich auch nicht, dass du den begeisterten Gastgeber spielst.“

„Du wolltest nicht auf eine Ranch. Hier wird es dir nicht gefallen.“

„Ehrlich gesagt, hatte ich es so auch nicht geplant.“

„Wie dann?“

Als sie zur Seite blickte, dachte er, sie würde nicht antworten. Doch dann begann sie zu erzählen.

„Mit acht Jahren begriff ich, dass ich nichts zu sagen habe. Egal, wie ich meine Geburtstagsparty plante, wie viele Kinder ich einlud, es war immer dasselbe. Alle bürgerlichen Gäste, die man mir widerstrebend zugestand, wurden genau überprüft. Wenn sie es dann durch die strenge Kontrolle geschafft hatten, mussten sie erst einen Kurs in höfischer Etikette durchlaufen, ehe man sie in meine Nähe ließ. So eingeengt würde niemand Lust haben, meine Freundin zu werden, das wurde mir schnell klar. Dieser Zwang zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben, und mit der Zeit konnte ich es kaum erwarten, endlich eigene Entscheidungen zu treffen – in diesem Sommer. Selbst wenn es nur für begrenzte Zeit sein würde.“

„Verstehe …“ Auch Owen gehörte zu den Menschen, die sie daran hinderten, sich ihren Traum zu erfüllen. „Es tut mir wirklich leid.“

Sie blickte ihm in die Augen. „Du könntest mich gehen lassen.“

Er lachte leise und deutete auf die beiden Bodyguards.

„Die nehme ich natürlich mit.“

Ja, sicher – um sie bei der erstbesten Gelegenheit loszuwerden.

„Tut mir leid, Prinzessin. Aber ich belüge meine Freunde nicht, und Andreus ist mein bester Freund. Für eine Weile gehörst du mir.“ Er merkte, wie sich das anhörte, und fügte schnell hinzu: „Als Gast, natürlich.“

„Das wirst du doch nicht tun, oder?“

„Was?“

„Mich Prinzessin nennen, als wäre es mein Vorname.“

„Warum nicht? Es passt doch.“

„Bitte, Owen …“ Sie zögerte. „Ich weiß, dass du meiner Familie etwas versprochen hast, und Andreus sagte mir, du seiest ein Ehrenmann.“

„Höre ich da ein Aber?“

Die Schönheit atmete tief durch. Dabei spannte sich die blassblaue Seidenbluse über ihren Brüsten, und Owen wünschte, er könnte Delfyne den Gefallen tun und sie wegschicken.

„Also gut, du bist ein Ehrenmann. Dennoch möchte ich dich um einen Gefallen bitten, bei dem du nicht unbedingt dein Wort brichst.“

„Was für einen?“, erwiderte er knapp.

„Ich … Wie viele Menschen haben eine Ahnung, dass ich hier bin?“

Owen runzelte die Stirn. „Meine Mitarbeiter wissen, dass ich einen Gast erwarte. Mehr nicht.“

„Hast du ihnen gesagt, wer ich bin? Was für eine Frage – natürlich wissen sie es. Aber …“ Es klang beinahe verzweifelt.

Endlich begriff er. Sie war adlig und an einen Ort geschickt worden, der ihr wie eine Verbannung vorkommen musste. Natürlich fürchtete sie, hier nicht entsprechend behandelt zu werden.

„Tut mir leid, sie haben keine Ahnung, dass du eine Prinzessin bist. Zumindest noch nicht. Heute Morgen habe ich ihnen nur mitgeteilt, dass wir einen Gast haben werden.“

Weil er bis zum Schluss gehofft hatte, dass Andreus einsehen würde, welchen Blödsinn er sich da ausgedacht hatte, und alles wieder abblasen würde.

„Mach dir keine Gedanken“, fuhr er fort. „Die Second Chance beherbergt regelmäßig Gäste. Normalerweise sind es Geschäftsleute, die einen Tapetenwechsel brauchen. Aber selbst mit solchen Gästen aus hohen oder höchsten Kreisen werden meine Leute keine Probleme haben. Man wird dich entsprechend behandeln.“

„Darum geht es mir nicht. Ich … Also, ich bin froh, dass sie es noch nicht wissen. Ich möchte keine Prinzessin sein.“

Owen glaubte, sich verhört zu haben. „Wie bitte?“

Ein trauriger Ausdruck fiel wie ein Schatten über ihre schönen Augen. „Ich meinte es nicht so, wie es sich angehört hat. Natürlich bin ich stolz auf meine Abstammung und auf meine Familie. Ich möchte nur für die Dauer meines Aufenthalts hier anonym bleiben“, erklärte sie. „Wenn die Leute wissen, wer ich bin, fallen die Medien wie die Heuschrecken ein, oder …“

„Jemand könnte dir etwas antun oder dich entführen wollen“, beendete Owen ihren Satz. Er warf einen Blick auf die beiden Leibwächter, die sich alle Mühe gaben, mit der Landschaft zu verschmelzen. Allerdings waren sie ungefähr so unauffällig wie ein Spritzer Tomatensoße auf einem weißen Hemd. „Als ich Andreus versprochen habe, auf dich aufzupassen, meinte ich es ernst. Und das überlasse ich auch nicht den beiden dort. Dir wird nichts passieren, weil ich schon dafür sorgen werde, dass niemand in deine Nähe kommt.“

„Aber ich will doch die Nähe zu anderen Menschen. Das ist mir sehr wichtig.“

Ja, das sah er ihr an. Owen überlegte noch, was er sagen sollte, da fuhr ein weißer Geländewagen übertrieben langsam an ihnen vorbei. Suze Allen! Und sie musterte Delfyne ausgiebig.

Owen kannte Suze ein Leben lang. Sie war ein lieber Mensch, nur leider schrecklich neugierig und geschwätzig. Keine Neuigkeit konnte sie lange für sich behalten. Dass eine schöne, elegant gekleidete Fremde sich angeregt mit Owen unterhielt, war eine Nachricht, die sich lohnte, weiterverbreitet zu werden.

„Wir sollten fahren“, sagte er. „Steig in den Wagen.“

Delfyne sah zu dem weißen Wagen, der gerade wendete und nun direkt auf sie zukam.

Zu Owens Erleichterung fing sie nicht an zu diskutieren. Er hielt ihr die Beifahrertür auf, und ihre beiden Begleiter saßen im nächsten Moment in einer schwarzen Limousine, die wie aus dem Nichts herangefahren war.

„Eine Freundin?“, fragte Delfyne.

Owen lachte auf. „Nein, eine Tratschtante und bestimmt keine Freundin, auch wenn sie auf ihre Weise ganz liebenswert ist. Suze ist mit einem Mann verheiratet, der sofort zuschlägt, wenn jemand anders seine Frau auch nur zweimal ansieht.“

Delfyne schwieg. Aber nur wenige Sekunden lang. „Und? Hat er dich jemals niedergeschlagen?“

Abrupt wandte er den Kopf. „Die Frauen anderer Männer sind für mich tabu, egal, wie verführerisch sie auch sein mögen. Aber zurück zum Thema. Du sagtest, du wolltest inkognito bleiben.“

„Und du hast gesagt, du würdest niemanden in meine Nähe lassen.“

Er seufzte. „Vielleicht hätte ich mich anders ausdrücken sollen.“ Unliebsame Erinnerungen stiegen in ihm auf. Seine Exfrau Faye hatte ihn einmal beschuldigt, sie einzusperren. „Ich meinte, niemanden, der dir etwas antun könnte.“

„Ich habe nie daran gezweifelt, dass du mich beschützen kannst!“, erwiderte sie würdevoll und sah dabei hinreißend aus. „Aber sobald die Leute wissen, wer ich bin, sind die ersten Reporter hier. Paparazzi werden die Ranch Tag und Nacht belagern. Und die Menschen hier werden mich anders behandeln, weil sie ja eine Prinzessin vor sich haben. Glaub mir, das hasse ich am meisten. Wirklich.“

Owen hörte ihrer Stimme an, dass sie es ernst meinte.

„Das mag selbstsüchtig und verwöhnt klingen“, fuhr sie bedrückt fort. „Ich lebe in einer Welt, die sich die meisten Menschen nicht einmal vorstellen können, aber …“

„Du willst mehr“, unterbrach er sie. Das hörte er nicht zum ersten Mal. So ähnlich waren die Worte seiner Mutter gewesen, als sie ihren Koffer aus dem Schrank geholt und ihn mit Kleidung vollgestopft hatte. Anschließend sagte sie Owen, er solle ein braver Junge sein, zog die Tür hinter sich zu und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Seine Frau Faye hatte ihn angefleht, die Ranch zu verkaufen und mit ihr irgendwohin zu ziehen, wo das Leben Spaß machte. Beinahe hätte er nachgegeben. Doch dann war sein Sohn gestorben und seine Ehe mehr oder weniger am Ende gewesen. Inzwischen wusste er, dass er die Second Chance nie mehr verlassen würde.

„Du irrst dich, Owen“, sagte Delfyne, und für einen Moment dachte er, sie hätte seine Gedanken gelesen. „Ich will nicht mehr, sondern weniger. Zumindest für diesen Sommer. Ich möchte so sein wie alle anderen Menschen und dasselbe wie sie erleben. Wenn die Leute wissen, dass ich eine Prinzessin bin, geht das nicht. Verstehst du?“

„Ich bin nicht gut darin, jemandem etwas vorzutäuschen.“

„Das sollst du auch nicht. Lass einfach ein paar Kleinigkeiten weg. Meinen Titel zum Beispiel.“

Da musste er lächeln. „Nicht gerade eine Kleinigkeit.“

„Nur für diesen Sommer. Danach …“

Sie würden sich nie wiedersehen. Sie würde ihren Prinzen heiraten und er weiterhin auf der Ranch leben, die seit Generationen seine Familie ernährt hatte. Er würde sein gewohntes Leben weiterführen. Was mit ihr geschah, wenn diese Zeit vorbei war, ging ihn nichts an. Was jetzt war hingegen …

„Falls du dir Gedanken machst, dass Andreus sich aufregen könnte …“, begann sie.

Nun lachte er. „Ich habe versprochen, dich vor Schaden zu bewahren, nicht davor, deinen Bruder zu verärgern. Wahrscheinlich hat er dir nicht erzählt, dass ich ihn auf dem College mit meinem Starrsinn fast verrückt gemacht habe. Andreus ist nicht das Problem. Ich versuche mir nur vorzustellen, was alles passieren kann, wenn ich deine Identität geheim halte.“

Ihre Augen leuchteten auf, als sie die rosigen Lippen zu einem Lächeln verzog. Es nahm ihm den Atem. „Denk lieber an die Folgen, wenn du es nicht tust. Sagtest du nicht, deine Freundin Suze redet gern? Sie braucht es nur ein paar Freunden zu erzählen, und die wiederum tragen es weiter. Die Medien werden davon Wind bekommen, und in wenigen Tagen wird sich halb Montana vor deiner Ranch versammeln.“

„Meinst du?“ Er unterdrückte ein Lächeln.

„Andreus hat mir erzählt, wie sehr du deine Privatsphäre schätzt. Ich soll mich benehmen und dich nicht ärgern.“

„Tatsächlich?“ Owen hatte große Mühe, ernst zu bleiben.

„Manchmal neige ich dazu, zu übertreiben. Andreus hat mich gebeten, mich bei dir zu beherrschen.“

„Und dich für jemand anders auszugeben – ist das nicht übertrieben?“

Delfyne biss sich auf die Lippen. „Findest du?“ Sie rang die Hände im Schoß, und plötzlich verging ihm die Lust, sie zu necken. Weder er noch sie waren an der Situation schuld, sondern Andreus. Und was die Medien und die Folgen betraf, hatte sie recht. Er musste seine Ranch führen und konnte seine Zeit nicht mit lästigen Reportern vertrödeln. Seine Ruhe war ihm sehr wichtig.

Nicht nur das, er brauchte sie wie die Luft zum Atmen. Wenn die Medien hier einfielen, würden sie in erster Linie Informationen über Delfyne wollen, aber bei der Gelegenheit sicher auch in seiner Vergangenheit herumwühlen. In seiner tragischen Vergangenheit … Er wollte keine rührseligen Storys darüber lesen, wie er Frau und Kind verloren hatte, und dass nun eine wunderschöne, ledige Prinzessin in sein Leben getreten war.

Owen lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Wer möchtest du denn sein?“

Sie blickte ihm direkt in die Augen. „Einfach nur Delfyne. Mehr nicht. Eine ganz gewöhnliche Frau.“

Glaubte sie wirklich, die Leute würden ihr das abnehmen? Sie sprach mit ausländischem Akzent, hatte eine Haut wie Seide und einen Körper, der jeden Mann in Unruhe versetzen würde. Aber Owen hatte nicht gelogen, als er sagte, dass er schlecht darin war, andere Menschen zu täuschen. Diesen Part musste sie schon selbst übernehmen.

„Wir sind da“, sagte er, als nach der nächsten Kurve das Haus in Sicht kam.

„Du meine Güte!“

Exakt. „Das entspricht wohl nicht ganz dem, was eine Prinzessin gewohnt ist, wie?“

„Es ist aus Holzstämmen gebaut!“

„Das ist dir aufgefallen?“

„Es ist auch sehr groß.“

Das war eher untertrieben. Das Haus war riesig, mit vielen Anbauten, und rundherum zog sich eine breite Veranda.

„Ich habe die Angewohnheit, zu bauen, wenn ich nachdenken muss – oder nicht nachdenken will.“

„Du scheinst oft nachzudenken … oder nicht nachdenken zu wollen. Andreus hat nie davon erzählt.“

„Tja, Bauprojekte kommen in fürstlichen Konversationen wahrscheinlich eher selten vor.“ Aber es war mehr als das. Andreus wusste, welcher tiefe Schmerz Owens Bauwut ausgelöst hatte. Er hätte nie zu anderen Menschen darüber gesprochen, ohne seinen Freund um Erlaubnis zu bitten.

„Und das alles bewohnst du allein? Ich meine, das ist …“

Owen hob die Hand. „Du weißt, dass ich geschieden bin, und dass ich meinen Sohn verloren habe. Meine Haushälterin Lydia Jeffers wohnt nicht hier, und die Rancharbeiter sind in der Schlafbaracke untergebracht. Du hast recht, für eine Person ist es wirklich sehr geräumig. Aber die jährliche Lokalversammlung der Rinderzüchter findet hier statt, und wenn meine Nachbarn viel Besuch bekommen, helfe ich gern mit Unterkünften aus.“

Er hielt vor dem Haus an, stieg aus und kam um den Wagen herum, um ihr die Tür aufzuhalten.

Doch Delfyne war schon ausgestiegen. „Weißt du, wenn ich die nächsten Monate der Mensch sein kann, der ich sein möchte, brauche ich keine Sonderbehandlung. Ich bin eine ganz normale Frau, öffne mir die Autotür selbst und … tue all das, was ich mag. Alles, was einer Prinzessin sonst nicht erlaubt ist.“

Sie strahlte Owen an, und ihm blieb fast das Herz stehen. Verdammt, warum hatte Andreus dieses fröhliche, unbeschwerte Wesen ausgerechnet zu ihm geschickt, einem mürrischen Einsiedler? Delfyne gehörte ins Sonnenlicht. Allein ihr Lächeln war wie das Glitzern auf einem sonnenbeschienenen Fluss. Jetzt tanzte sie förmlich die Stufen hinauf, drehte sich um und streckte beide Arme nach ihm aus. „Vielen Dank, Owen. Du ahnst gar nicht, wie viel mir das bedeutet. Endlich kann ich eine ganz gewöhnliche Frau sein!“

Eine ganz gewöhnliche Frau? Auf dieser Ranch eher wie eine Rose unter Disteln! Und dann die Art, wie sie ihn anblickte. So, als hätte er ihr den Schlüssel zu einer lange ersehnten Schatzkiste in die Hand gelegt …

Vergiss es, ermahnte er sich streng. Er hatte längst begriffen, dass er Frauen nicht mehr als Geld zu bieten hatte. Sich mit einer echten Prinzessin einzulassen, wäre völlig idiotisch. Nein, am besten tat er, worum ihr Bruder ihn gebeten hatte, und hielt ansonsten Abstand zu ihr.

„Ich schaffe deine Sachen ins Haus und zeige dir dann dein Zimmer“, sagte er. „Deine Leibwächter können in der Schlafbaracke wohnen. Ich werde meinen Leuten sagen, dass sie Freunde von dir sind, die das echte Leben auf einer Ranch kennenlernen wollen. Solche Gäste habe ich nicht zum ersten Mal. Sie werden ein bisschen mit anpacken müssen.“

„Einverstanden. Owen?“

Er blickte hoch. Wieder musterte sie ihn auf diese beunruhigende Weise. „Ja?“

„Ich meinte es ernst; ich bin dir sehr dankbar. Meine Familie steht in deiner Schuld, und ich weiß deine Großzügigkeit sehr zu schätzen. Nicht nur, weil es bestimmt nicht einfach ist, eine Prinzessin in deinem Haus zu verstecken“, fügte sie mit sanfter Stimme hinzu. „Andreus hat mir erzählt, dass du für Frauen nicht viel übrig hast.“

Ein gefühlvoller, fast zärtlicher Ausdruck lag in ihren Augen.

Owen spürte, wie sein Körper reagierte, und hätte beinahe laut aufgestöhnt. Sämtliche Warnlampen sprangen an. Verdammt, warum hatte er nur zugestimmt, Delfyne hier unterzubringen?

Andreus irrte in einem entscheidenden Punkt. Es war nicht so, dass Owen Frauen nicht mochte. Er konnte ihnen nur nicht geben, was sie sich wünschten. Also hielt er Abstand, um sie – und sich selbst – nicht zu verletzen.

Und bei dieser Frau ginge er am besten hundertprozentig auf Distanz. Leider war das unmöglich.

„Also nochmals vielen Dank, dass ich hier sein darf“, schloss Delfyne. „Das ist wirklich sehr liebenswürdig von dir.“

Auf keinen Fall sollte sie anfangen, ihn liebenswürdig zu finden. Dann würde sie ihn mit diesen faszinierenden veilchenblauen Augen anlächeln, und er … Denk lieber nicht daran, Cowboy, dachte er missmutig. Du würdest einen Fehler machen und etwas Idiotisches und absolut Falsches tun.

„Aha. Andreus hat dir erzählt, ich sei ein liebenswürdiger Mensch?“

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein, er meinte, du würdest dich ihm verpflichtet fühlen, weil er einmal hergekommen ist, als du … einen Freund brauchtest.“

Das stimmte.

„Aber mich nicht wie eine Prinzessin zu behandeln, das erfordert Mut. Andreus und meinen Eltern wird das gar nicht gefallen. Sie glauben, wenn ich mich als normale Bürgerin ausgebe, bin ich eher gefährdet.“ Einen Moment lang wirkte sie verlegen. „Meine Familie glaubt, dass Männer sich mir gegenüber dann mehr Freiheiten herausnehmen.“

„Keine Sorge, ich lasse niemanden an dich heran“, versicherte er ihr nochmals. Mich eingeschlossen.

„Ich will keine Gefangene sein. Das habe ich dir schon gesagt.“

Owen rieb sich das Kinn. „Die falschen Leute, meinte ich. Ansonsten kannst du tun und lassen, was du willst.“

Immer noch kein Lächeln.

„Ich gebe mein Bestes, Delfyne. Allerdings sind Prinzessinnen nicht gerade mein Spezialgebiet.“

„Stimmt. Was dann?“

„Rinderzucht und Geld verdienen.“

„Und Bauen.“

„Na ja, das ist für mich eher eine Leidenschaft.“

Endlich lächelte sie. „Ah, Leidenschaft. Das verstehe ich. Ich habe selbst einige.“ Welche, verriet sie nicht.

Da standen sie nun, die Prinzessin und der Rancher. Owen betrachtete die berückend schöne, kultivierte Frau, die seine raue Welt betreten hatte, und ahnte, dass die nächsten Wochen nicht leicht werden würden. Er blickte in die Ferne, auf das Land, das ihm gehörte. Weites Land bis zum Horizont, Herden friedlich grasender Rinder. Hier waren seine Wurzeln, hier lebte seine Familie seit Generationen. Das war es, was ihn aufrechterhielt.

„Entschuldige, du hast bestimmt viel zu tun“, unterbrach ihre melodische Stimme ihn in seinen Gedanken. „Andreus hat mir eingeschärft, dir ja nicht zur Last zu fallen. Mach dir keine Sorgen, du wirst kaum merken, dass ich hier bin.“

Beinahe hätte er laut aufgelacht.

Leider war die ganze Angelegenheit eher zum Heulen. Verstimmt zeigte Owen ihr das Zimmer und ihren Aufpassern die Arbeiterunterkünfte. Danach marschierte er zu seinem Quad, um sich den Männern anzuschließen, die draußen Zäune reparierten.

Bei dieser Frau musste er sich auf Überraschungen gefasst machen. Sie wollte Dinge, die sie nicht haben konnte, und mit solchen Frauen kannte er sich aus. Das konnte nur schiefgehen.

Er würde so wenig Zeit wie möglich mit ihr zusammen verbringen. Alles andere wäre absoluter Wahnsinn.

3. KAPITEL

Delfyne hatte sich im Internet etwas zum Anziehen bestellt. Normale Kleidung für ganz normale Frauen. Aber da sie noch nicht eingetroffen war, musste sie wohl oder übel auf die Sachen aus ihrem Koffer zurückgreifen. Am schlichtesten erschienen ihr noch die maßgeschneiderte hellblaue Hose und die weiße Seidenbluse.

Nach kurzem Suchen in ihrem Schmuckkasten fand sie, was sie suchte. Glücklich, sie endlich tragen zu können, streifte sie die gelben, himmelblauen und weißen Armreifen übers linke Handgelenk und befestigte am rechten das Charm-Armband mit den poppig pinkfarbenen kleinen Elefanten.

Dann schlüpfte sie in schneeweiße Ballerinas und machte sich daran, das Haus zu erkunden. Es war eindeutig das Zuhause eines Mannes. Alles war groß, mit klaren Linien, ohne jeden Schnörkel. Überall warm schimmerndes Holz.

An den Wänden hingen geschmackvolle Bilder, Teppiche und Masken, aber keinerlei persönliche Dinge, weder Fotos oder andere Erinnerungsstücke. Und die meisten Räume wurden offenbar selten benutzt. Es gab eigentlich nichts, was irgendetwas über ihren Gastgeber aussagte, über den Mann, der hier wohnte.

Natürlich wusste sie von Andreus einiges über ihn. Er war mit einer blonden Schönheit verheiratet gewesen, die er auf dem College kennengelernt hatte. Sie waren auf die Ranch gezogen. Bald wurde ihr Sohn geboren, der aber mit wenigen Wochen am plötzlichen Kindstod verstarb. Die Ehe zerbrach. Delfyne wusste auch, dass Owen ein reicher Mann war. Sein Vermögen hatte er mit einer Mischung aus riskanten Investitionen und konservativen Anlagen gemacht. Doch er verließ die Ranch nur selten.

Owen war ein geheimnisvoller Mann, und er würde mit ihr zusammenleben, zumindest für eine Zeit lang.

Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Solche Gedanken durften nicht sein. Natürlich sehnte sie sich nach Abenteuern, aber nicht nach romantischen. Durch ihre Herkunft war ihr Schicksal vorbestimmt. Irgendwann würde sie einen Mann aus dem Hochadel heiraten. Eine Romanze war tabu.

Ihren attraktiven Gastgeber hatte sie in den vergangenen zwei Tagen kaum zu Gesicht bekommen. Wenn sie morgens aufstand, war er bereits draußen auf der Ranch. Und seine Rückkehr bekam sie nicht mit, weil sie dann schon wieder schlief. Zum Reden hatte sie nur Lydia Jeffers, die zwar sympathisch war, aber viel zu tun hatte.

Es war nicht gerade das, was Delfyne sich erträumt hatte. Die kostbare Zeit zerrann ihr zwischen den Fingern. Sobald sie nach Xenora zurückkehrte, würde ihr Leben nie wieder so sein wie jetzt. Sie durfte keine einzige Minute vergeuden. Es musste etwas geschehen, und zwar sofort.

„Owen mag mich hier nicht haben wollen, aber ich werde nicht länger im Haus herumhocken und mich zu Tode langweilen. Der Mann wird sich mit mir befassen müssen, ob er will oder nicht!“, verkündete sie den Wänden und marschierte nach draußen.

Augenblicklich erhoben sich Theron und Nicholas, ihre Leibwächter, von ihren Plätzen. Mit einer Handbewegung bedeutete Delfyne ihnen, zu bleiben, wo sie waren. Gestern erst hatte sie ihnen erklärt, sie sollten sich wie Greenhorns verhalten, die das Ranchleben kennenlernen wollen. Anscheinend hatten sie sich mit ihrer neuen Rolle noch nicht angefreundet.

„Geht. Tut irgendetwas“, befahl sie.

„Was denn?“

„Keine Ahnung. Esst.“

Theron lachte und setzte sich wieder. Delfyne ging weiter.

Ein kräftiger Geruch nach Erde und Tieren stieg ihr in die Nase, und sie atmete tief ein. Das war der Duft des Lebens, nicht der Palast! Sie sah sich um. Nicht weit von ihr standen die Wirtschaftsgebäude, und dahinter erstreckte sich saftig grünes Weideland bis zum Horizont.

Jake und Alf, zwei der Ranchhunde, rannten auf sie zu und bellten freudig, während sie um Delfyne herumsprangen. Dabei kam Alf ein niedliches rot getigertes Kätzchen in die Quere.

„Benehmt euch!“, schimpfte sie und kraulte Jake am Ohr. „Passt auf, wo ihr hintretet. Der kleine Kerl ist auch noch da.“

Und tatsächlich, der Kater humpelte ein bisschen. Doch als Delfyne sich bückte, um ihn auf den Arm zu nehmen, fauchte er sie an und setzte seinen Weg fort.

Sie wusste, dass die Katzen hier keine Namen hatten. Es waren keine Schoßtiere, sondern Nutztiere, die Mäuse fangen sollten. „Ich nenne dich trotzdem Tim!“, rief sie dem roten Kater nach. „Tiny Tim … kleiner Tim!“

Ihre Eltern hätten ihr missbilligende Blicke zugeworfen. Vor allem ihr Vater hatte sie gewarnt, als sie immer Gutenachtgeschichten mit Happy End verlangte. Schließlich hätte auch die kleine Meerjungfrau ihren Prinzen nicht bekommen, und König Vondiver sei einsam und traurig gestorben. Dabei war das Märchen vom heldenhaften Vondiver ihre Lieblingsgeschichte gewesen. In ihrer Heimat Xenora eine Legende, beschrieb es einen König, der sich in eine Bürgerliche verliebte und ihr zuliebe auf die Krone verzichtete. In ihrer Fantasie hatte sie das Ende allerdings umgedichtet, und Vondiver und seine große Liebe lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.

Natürlich wusste sie, dass Märchen mit dem wirklichen Leben nichts zu tun hatten. Ihre Eltern hätten sich keine Sorgen zu machen brauchen. Aber sie liebte solche Geschichten, und vor allem Vondivers Schicksal hatte sie immer zu Tränen gerührt.

„Ziemlich peinlich, wegen einer dummen Geschichte feuchte Augen zu bekommen, was, Tim?“

Der kleine Kater beachtete sie gar nicht, und auch Jake und Alf hatten sich getrollt.

„Na schön, was mache ich jetzt?“ Delfyne seufzte und sah sich um.

Owen war nirgendwo zu sehen, also machte sie sich auf den Weg zu einem der großen, lang gestreckten Gebäude vor ihr. Fast hatte sie das Tor erreicht, da hörte sie jemanden brüllen.

„Verdammt, Ennis, komm her und hilf mir!“

Das war Owens tiefe Stimme. Sie kam aus dem kleineren Gebäude nebenan.

Delfyne zögerte keine Sekunde und schlüpfte hinein.

Was sie sah, ließ sie wie angewurzelt stehen bleiben.

Owen stand mit dem Rücken zu ihr, sodass sie seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und die langen, kraftvollen Beine bewundern konnte. Das feuchte Hemd klebte an seinem muskulösen Oberkörper, während er sich über eine Kuh beugte, deren Kopf in einer Art Halterung steckte. Er machte eine knappe Kopfbewegung zu dem Mann hin, der neben ihm stand. Ennis vermutlich.

„Hol Len. Wir müssen operieren. Wenn du zurück bist, sorg dafür, dass hier alles desinfiziert ist. Nun mach schon. Sie leidet.“

Als Delfyne wieder auf die trächtige Kuh blickte, konnte sie einen mitfühlenden Laut nicht unterdrücken. Owen blickte auf und fluchte leise.

„Geh zurück ins Haus“, befahl er.

„Was macht ihr da mit ihr? Das Ding sieht nicht gerade bequem aus.“

Er stöhnte gereizt auf. „Das ist es auch nicht, aber es schützt sie vor Verletzungen und uns vor tödlichen Tritten, während wir ihr helfen. Nun geh. Du hast hier nichts zu suchen.“

„Wird sie überleben?“

Owen verzog das Gesicht und wollte antworten, als ein Mann hereinstürzte, der noch im Laufen die Arme in seinen sauberen weißen Overall schob. Gleichzeitig gab er kurze Anweisungen. Das musste der Tierarzt sein.

„Fertig, Boss?“, fragte er.

„Du kannst loslegen, Len.“ Doch Owen packte mit an und assistierte dem Mann, als hätte er die gleichen Handgriffe schon hundertmal ausgeübt.

„Sie blutet zu stark“, murmelte Len. „Gib mir die Aderklemme. Schnell, verdammt!“

Owen drückte ihm das Instrument in die ausgestreckte Hand, und Len machte weiter.

Überall war Blut, viel Blut. Delfyne wurde schwindlig, und ihre Knie drohten nachzugeben. Unauffällig versuchte sie sich an der Wand abzustützen.

Doch Owens scharfen Augen entging nichts. Mit einem unterdrückten Fluch kam er auf sie zu. „Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen. Ich bringe dich auf der Stelle weg von hier.“

Im selben Moment wurde ihr klar, dass die Kuh vielleicht nicht überleben würde, weil eine zimperliche Prinzessin Owen ablenkte.

„Nein. Nein, mit mir ist alles in Ordnung. Geh und hilf weiter.“ Sie scheuchte ihn mit der Hand weg, atmete dabei tief durch.

Er zögerte.

„Owen!“, brüllte Len.

„Geh!“, drängte sie und hätte fast hinzugefügt: Ich befehle es dir! Obwohl sie so etwas noch nie in ihrem Leben gesagt hatte.

Schweigend kehrte er zu Len und der leidenden Kuh zurück. Seite an Seite arbeiteten die beiden Männer; knappe Anweisungen gingen zwischen ihnen hin und her.

Dann war es geschafft. Ennis trug das offenbar gesunde Kalb weg und kümmerte sich um das Muttertier, das erschöpft und wackelig, aber immerhin auf eigenen Beinen stand. Er sah Delfyne fragend an, sagte aber nichts.

Len war da weniger zurückhaltend. Nachdem er sich gewaschen, den blutigen Overall abgestreift und ein frisches Hemd angezogen hatte, kam er zu ihr und streckte ihr mit einem gewinnenden Lächeln die Hand entgegen. „Hallo, geheimnisvolle Schöne. Sie müssen einer der Gäste sein, von denen Owen gesprochen hat. Ich bin Len Mayall. Und Sie …“

„Geht dich nichts an, Len“, sagte Owen mit ruhiger, fester Stimme, als er hinter ihnen auftauchte. Auch er hatte sich ein anderes Hemd angezogen, aber noch keine Zeit gefunden, es zuzuknöpfen.

Delfyne versuchte, nicht auf seine nackte muskulöse Brust zu starren. Ihre Fingerspitzen prickelten, als wollten sie die glatte Haut berühren … „Ich heiße Delfyne“, sagte sie schnell.

Was anscheinend nicht das war, was Len hören wollte. Er warf Owen einen Blick zu, und Delfyne begriff. Der Tierarzt war neugierig, in welcher Beziehung sie zu Owen stand.

„Ich bin für eine Weile hier zu Gast“, erklärte sie lächelnd.

Len hob eine Augenbraue. „Verstehe.“

Auch wenn Owen Minuten zuvor noch die Befehle des anderen befolgt hatte, als er jetzt neben ihn trat, wurde klar, wer hier der Boss war. „Gar nichts verstehst du, Len. Delfyne ist …“

Oh, oh, gleich würde er sagen „eine Prinzessin“, oder etwas Ähnliches, um klarzustellen, dass zwischen ihm und Delfyne nichts war. „Owen war so freundlich, mich bei sich aufzunehmen, als ich eine Bleibe brauchte“, unterbrach sie ihn.

Damit schien Lens Neugier erst recht geweckt. Vielsagend musterte er ihre elegante Kleidung. „Entschuldigen Sie, Delfyne, aber wenn Sie aus der Gegend stammen, fresse ich mein Skalpell. Eine exotische Schönheit wie Sie wäre mir aufgefallen. Also, in welchem Winkel der Erde hat Owen Sie entdeckt? Und gibt es da noch mehr von Ihnen? Sie sagen … er hat Sie aufgenommen?“ Das klang ungläubig.

Offensichtlich hatte es sich angehört, als hätte er sie auf der Straße aufgelesen.

Die steile Falte auf Owens Stirn vertiefte sich. „Len“, sagte er kühl. „Du bist ein begabter Veterinärstudent und ein guter Helfer, und du weißt, dass ich ohne deine Hilfe Probleme hätte. Aber im Moment bewegst du dich auf so dünnem Eis, dass ich schon das Knacken unter deinen Füßen hören kann. Delfyne ist eine Freundin, und du solltest dich nicht so benehmen, als hätte deine Mutter dir keine Manieren beigebracht. Behalt also deine neugierigen Fragen für dich.“

Er stemmte die Hände in die Seiten. „Delfyne wollte ein bisschen von der Welt sehen und war noch nie in Montana. Sie und ihre Freunde Theron und Nicholas werden für ein paar Monate hierbleiben. Wo sie herkommen, geht dich nichts an. Ich mag es nicht, wenn man meine Gäste ausfragt oder über sie redet. Egal, mit wem. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“

Len hob beide Hände. „Klar, sicher, Owen. Du hast recht. Tut mir leid, Ma’am, wenn ich mich danebenbenommen habe“, sagte er, sah aber nicht im Mindesten schuldbewusst aus. „Ich verschwinde besser, ehe ich gefeuert werde. Morgan und ein paar von den Jungs werden hier alles desinfizieren, Boss. Du kannst dich um deinen Gast kümmern.“

Aber als Owen und sie davongingen, meinte sie ihn ungläubig murmeln hören: „Ein paar Monate …?“

Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Len grinste. „Hat mich übrigens gefreut, Sie kennenzulernen, Delfyne. Ihr Geheimnis, was auch immer es sein mag, ist bei mir sicher, aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie der hübscheste Gast sind, den diese Ranch je gesehen hat!“

Als sie sich wieder umdrehte, war Owen mit langen Schritten davonmarschiert. Sie eilte ihm nach und holte ihn ein. Sein Mund war eine grimmige Linie, seine Miene düster.

„Ich bin wohl zu einem schlechten Zeitpunkt gekommen, oder? Und ich habe dich vor deinem Freund in Verlegenheit gebracht.“

„Len kann eine echte Nervensäge sein. Aber wenn er mit dem Studium fertig ist, wird er ein hervorragender Tierarzt sein. Er weiß genau, dass er schon etwas ganz Schlimmes anstellen müsste, damit ich ihn hinauswerfe. Doch er reißt gern die Klappe auf. Und er hat eine Schwäche für Frauen.“

„Das habe ich gemerkt.“

„Andreus würde wollen, dass ich dich vor Männern wie ihm beschütze.“

Sie hob den Kopf. „Len ist doch harmlos.“

Zu ihrer Verwunderung musterte Owen sie amüsiert.

„Was ist?“

„Deine Identität mag ein Geheimnis sein, aber du verhältst dich wie eine Fürstin.“

„Dann muss ich das ändern. Len hat auch gemerkt, dass ich nicht hierher passe. Ich möchte aber auf diese Ranch gehören und nicht mehr auffallen.“

„Eine Art Experiment, also?“

„Nein, eine neue Lebenserfahrung. Ich möchte in ein normales Leben eintauchen.“

„Nun, der Anfang eben im Stall war nicht schlecht.“

„Ja … interessant.“

Er lachte schallend. „Hat man dir beigebracht, diplomatisch zu sein, noch bevor du laufen konntest? Du bist vorhin beinahe in Ohnmacht gefallen.“

„Das stimmt nicht. Ich bin nicht zimperlich.“

„Das habe ich auch nicht gesagt.“

„Aber gemeint.“ Sie konnte nicht verhindern, dass es gekränkt klang.

Zu ihrer Überraschung streckte Owen die Hand aus und umfasste sanft ihr Kinn. „Tut mir leid“, sagte er. „Len würde sagen, dass meine Manieren noch schlechter sind als seine. Und du hast recht. Du bist wirklich nicht ohnmächtig geworden.“

Warm lag seine große Hand auf ihrer Haut und richtete schreckliche, wundervoll sinnliche Dinge mit ihr an. Als würde ihm plötzlich bewusst, was er tat, ließ er sie sinken.

„Trotzdem bin ich der Meinung, dass dies kein Ort für dich ist“, sagte er. „Es ist eine Ranch, Delfyne, eine große Ranch, und hier dreht sich alles um Rinder. Wer hier arbeitet, sieht manchmal Blut und jeden Tag Schweiß und Schmutz. Die Männer, besonders die Saisonkräfte, sind ziemlich raue Typen. Was wolltest du eigentlich hier draußen?“

Sie zögerte. Spontan wollte sie sagen, dass sie nun zwei Tage hier sei und sich Gesellschaft wünschte. Aber dann würde sie sich wirklich anhören wie eine verwöhnte Prinzessin, die sich langweilte. „Ich brauche eine Beschäftigung“, sagte sie stattdessen.

„Bei den trächtigen Kühen?“

Sein spöttisches Lächeln störte sie nicht. Im Gegenteil, es munterte sie auf. Sie lachte hell auf. „Ich wusste ja nicht, was mich erwartet. Die Kuh und ihr Kalb, werden sie überleben?“

„Wahrscheinlich. Len arbeitet sehr sorgfältig, aber die Gefahr einer Infektion besteht immer. Einer der Männer wird heute Nacht rund um die Uhr nach den beiden sehen.“

„Behältst du manchmal eins von ihnen, gibst ihm einen Namen?“

Owen sah sie an. Noch immer hing ihm das offene Hemd über die Hose, und seine nackte muskulöse Brust glänzte im Sonnenlicht.

Ihr wurde seltsam leicht im Kopf, und ihr Herz klopfte ein paar Takte schneller. Sie riss sich zusammen.

„Dies ist eine Ranch. Es wäre nicht klug, Gefühle zuzulassen, sich zu binden. Ich tue es nicht.“

Delfyne hatte den Eindruck, dass er nicht nur die Tiere meinte. „Aber ich möchte nicht nur herumsitzen und lesen“, sagte sie. „Vielleicht glaubst du, dass Prinzessinnen das tun, doch so nutzlos bin ich nicht.“

„Okay.“ Er stemmte die Hände in die Hüften. „Womit beschäftigst du dich denn sonst so?“

Sie dachte an die Wohltätigkeitsveranstaltungen, Einweihungen von Schulen und Bibliotheken, all die Dinge, die sie mühelos beherrschte und die sie ihr restliches Leben begleiten würden. Aber verglichen mit der harten Arbeit auf einer Ranch …

Delfyne wünschte sich Owen Michaels Anerkennung. Vielleicht, weil ihr klar war, dass er sie nur notgedrungen bei sich aufgenommen hatte. Die kleine Schwester seines besten Freundes, eher eine Last als ein willkommener Gast. Wahrscheinlich würde er sie lieber gestern als heute zu ihrer Familie zurückschicken. Und da das nicht ging, tat er zähneknirschend seine Pflicht und passte auf sie auf. Schließlich war er ein verantwortungsbewusster Mann.

Plötzlich stieg Ärger in ihr auf. Sich zu wünschen, dass ein Mann sie mochte und akzeptierte, hatte sie schon einmal in die bitterste Lage ihres Lebens gebracht. Nie wieder wollte sie einem Mann nachlaufen, ihn anflehen, bitten und betteln.

Also machte sie einen Schritt auf ihn zu. Wagte etwas, was sie eben noch nicht gewagt hätte: Sie legte ihm die Hand auf die nackte Brust.

Was eine entschlossene Geste sein sollte, um ihm zu zeigen, dass sie sich nicht von ihm beeindrucken ließ, wurde zum Bumerang. Kaum spürte sie die warme glatte Haut unter ihren Fingern, durchfuhr es sie heiß. Nur mit Mühe widerstand sie der Sehnsucht, sich an seine breite Brust zu schmiegen.

Deutlich fühlte sie seinen Herzschlag unter ihren Fingerspitzen, stark und kraftvoll, männlich – und viel zu intim. Aber wenn sie jetzt die Hand wegriss, würde er wissen, welche Gefühle er in ihr auslöste.

Haltung bewahren, ermahnte sie sich, das kannst du doch. „Du sollst nur wissen, dass ich nicht vorhabe, herumzusitzen, Champagner zu trinken, Pralinen zu naschen und Luftküsse zu verteilen“, sagte sie so gebieterisch wie möglich.

„Luftküsse?“ Er legte seine Hand auf ihre, und ihr Herz begann zu rasen.

„Du weißt schon …“ Sie konnte nichts dafür, dass ihre Stimme auf einmal leise und belegt klang. „Man tut, als küsse man sich auf die Wangen, küsst aber nur die Luft.“

Damit erntete sie ein Lächeln. „Ich weiß, was ein Luftkuss ist. Und ich glaube auch nicht, dass du so deine Zeit verbringst, Delfyne. Aber ich kenne mich mit Prinzessinnen nicht aus. Was willst du hier machen?“

„Alles“, erwiderte sie spontan, und ihr Blick fiel, sie wusste auch nicht, warum, auf seinen Mund. Sehnsucht überschwemmte sie. Oh nein, bloß das nicht! Sich in Owen Michaels zu verlieben, das hätte ihr gerade noch gefehlt. Er würde sie verletzen. Das wusste sie genau.

Der Gedanke ließ sie zwei Schritte zurückweichen. „Eben alles“, sagte sie dann.

Schweigend sah er sie an, und er wirkte nicht gerade glücklich. „Was verstehst du darunter?“

„Alles, was sich aus dem Moment heraus ergibt.“ Das klang vage, aber sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen.

„Lass mich nur nicht bereuen, dass ich Andreus ein Versprechen gegeben habe.“

Das löste die Spannung. Delfyne lachte und wandte sich in Richtung Haus. „Zu spät. Eigentlich hast du es doch von Anfang an bereut, oder?“

Dass er ihr die Antwort schuldig blieb, machte ihr noch Stunden später zu schaffen.

4. KAPITEL

Es war ein Fehler, Delfyne zu berühren, dachte Owen am nächsten Tag, als er eine Kuh aus einem beschädigten Zaun befreite.

Delfynes Haut war so sanft, sanfter als die jeder anderen Frau, die er kannte. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und diese wunderschönen Lippen geküsst. Und er wollte viel mehr mit seinen Händen berühren als nur ihr Gesicht.

Innerhalb weniger Tage hatte sie nicht nur sein Leben durcheinandergebracht, sondern auch seine Gefühle.

„Reiß dich zusammen“, schimpfte er vor sich hin. Was für ein Blödsinn, davon zu träumen, eine Prinzessin zu küssen, die schon bald einen Prinzen heiraten würde. Abgesehen davon, dass er niemals einer Frau verfallen wollte, musste man schon ein Idiot sein, um eine Frau anzufassen, die einem nie gehören konnte.

„He, Boss, was machst du für ein finsteres Gesicht? Brauchst du Hilfe bei der Kuh?“

Er drehte sich um. In einem alten Jeep kam Ennis herangefahren und warf einen Blick auf die laut muhende Kuh.

Owen dankte seinem Schöpfer, dass er nicht so leicht rot wurde. „Nein“, sagte er, während er das Tier endgültig befreite. „Aber du kannst den Zaun flicken.“

„Mache ich.“

„Wolltest du nicht auch beim Laster das Öl wechseln?“

„Ist längst erledigt. Lydia schickt mich. Ich soll dich holen.“

„Lydia?“ In all den Jahren hatte seine Haushälterin ihn noch nie von der Arbeit weggeholt. Außer in Notfällen. „Was ist passiert?“

„Keine Ahnung, aber ich vermute, es hat etwas mit deinem hinreißend schönen exotischen Gast zu tun.“

„Mit meinem hinreißend schönen exotischen Gast?“, wiederholte Owen und runzelte die Stirn. So überschwänglich kannte er Ennis gar nicht.

Ennis hob beide Hände. „Ich meine ja nur …“

„Schon gut, aber lass das besser nicht Alice hören.“

Grinsend ging Ennis zum Jeep und holte Werkzeug heraus. „Das waren die Worte von Alice, nicht meine.“

„Wirklich? Was hat deine Frau sonst noch über Delfyne gesagt?“

Das Grinsen wurde breiter. „Sie sagt, wenn es jemandem gelingen sollte, dich von deiner idiotischen Einstellung zu Frauen abzubringen, dann Delfyne.“

Owen kniff die Lippen zusammen. „Welche idiotische Einstellung?“

„Was weiß ich?“ Ennis hockte sich vor den kaputten Zaun. „Vielleicht die, dass du mit ihnen nur ins Bett gehst und nicht vor den Traualtar.“

„Das ist nicht ihr Ernst, oder? Hör mal, Ennis, du weißt, wie sehr ich deine Frau schätze, aber bei Delfyne ist sie vollkommen auf dem Holzweg. Delfyne wird heiraten, sobald sie wieder in ihrer Heimat ist.“

„Hm, das wird Alice nicht gefallen. Sie hatte sich schon auf eine Hochzeit gefreut. Und zwar auf deine Hochzeit.“

Owen lächelte. „Sag ihr, es tut mir aufrichtig leid, aber sie muss sich eine andere Hochzeit suchen. Und du weißt wirklich nicht, was Lydia von mir will?“

„Sie hat nur gesagt, dass sie dich etwas Wichtiges fragen möchte. Und dass sie eine Gehaltserhöhung will, wenn sie sich ständig Sorgen machen muss, ob Delfyne sich verletzt oder das Haus in Brand steckt. Du machst dich besser gleich auf die Socken.“

Ennis lachte leise in sich hinein, als Owen sich fluchend auf sein Quad schwang und den Motor anließ.

„Kommen Sie, lassen Sie mich das machen“, hörte Owen Lydia sagen, als er die Küche erreichte.

Der riesige Raum sah aus, als hätte es eine Explosion gegeben.

„Nein. Ich bin schuld an dem Chaos und werde es auch wieder beseitigen.“ Delfynes melodiöse Stimme mit dem sexy Timbre gingen ihm unter die Haut. Lass es, befahl er sich stumm. Du darfst nichts für sie empfinden. Du darfst sie nicht begehren.

Er betrat die Küche, und die beiden Frauen blickten auf. Lydias Gesicht war gerötet. Delfyne dagegen strahlte … und ihr Gesicht war weiß gesprenkelt. Genau wie ihr glänzendes dunkles Haar. Auch ihre nähere Umgebung war mit einer feinen weißen Schicht überzogen. Mehl, tippte er.

„Gibt es ein Problem?“

„Ich wollte kochen“, erklärte Delfyne betreten. „Aber der Mehlsack war schwerer, als ich dachte.“

„Verstehe. Kochst du öfter?“ Sie sah so stolz aus, dass es ihm schwerfiel, sich den spöttischen Unterton zu verkneifen. Seine hochmoderne Küche allerdings hatte noch nie so mitgenommen ausgesehen. Und Lydia auch nicht. Jedenfalls nicht, solange er sich erinnern konnte.

„Heute zum ersten Mal“, gestand sie. „Lydia hat meinetwegen fast der Schlag getroffen. Bitte regen Sie sich nicht auf, Lydia. Ich mache alles wieder sauber.“

Seine Haushälterin schüttelte den Kopf. „Ein bisschen Unordnung bringt mich nicht um. Aber stellen Sie endlich den Besen weg. Ich will ihn Ihnen doch nicht mit Gewalt wegnehmen müssen! Wenn hier jemand aufräumt, dann ich.“

Ihr Ton ließ keinen Wi...

Autor

Myrna Mackenzie
<p>Myrna Mackenzie wusste in ihrer Jugend zunächst nicht, was sie später einmal beruflich machen wollte. Aber sie wusste, dass sie Geschichten und Happy Ends liebte. Und so war der Schritt zur Liebesroman-Autorin nahezu unvermeidlich. Die inzwischen preisgekrönte Autorin von über 35 Romanen wurde in einer kleinen Stadt in Dunklin County...
Mehr erfahren
Crystal Green
<p>Crystal Green – oder bürgerlich Chris Marie Green – wurde in Milwaukee, Wisconsin, geboren. Doch sie blieb nicht lange: Sie zog zunächst nach Südkalifornien, von dort nach Kentucky und wieder zurück nach Kalifornien. Die Reisezeit vertrieb sie sich, indem sie Gedichte und Kurzgeschichten über die ultimativen Superhelden Supermann und Indiana...
Mehr erfahren
Jackie Merritt
Seit 1988 ihre erste Romance veröffentlicht wurde, schreibt Jackie Merritt hauptberuflich. Sie ist fest davon überzeugt, dass jeder, der ein bisschen Kenntnis von Sprache und Grammatik hat, ein Buch verfassen kann. Die Voraussetzung ist allerdings, dass man sehr viel Disziplin aufbringen kann. Die ersten Seiten sind leicht – bis zum...
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