Die Schildmaid und der Wikinger

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Schildmaid Valda hat keine Wahl: Um das nötige Silber für ihre Familie zu verdienen, muss sie auf einem Handelsschiff anheuern. Auch wenn der Einzige, der sie an Bord nehmen will, ausgerechnet Halfdan Ulfsson ist – der Mann, den sie einst hatte heiraten wollen, bis er ihre Liebe verriet! Gegen jede Vernunft brennt ihr Herz in Halfdans Nähe noch immer vor Verlangen. Als sie mit ihm entlang der Seidenstraße nach Konstantinopel segelt, kann sie der Sehnsucht nach seinen Küssen trotz allem nicht mehr länger widerstehen. Ohne an morgen zu denken, lässt sie sich zu einer folgenreichen Liebesnacht verführen …


  • Erscheinungstag 24.12.2024
  • Bandnummer 417
  • ISBN / Artikelnummer 0814240417
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

PROLOG

Frühling 904 n. Chr. – Westfranken

„Wir werden alle mit Blumen im Haar heiraten …“, sagte Helga feierlich und wirkte dabei eher wie eine weise alte Frau als ein Mädchen von gerade einmal zwölf Jahren. Die leicht verwelkten Blüten flatterten in ihrem langen blonden Haar. „Und die Runen werden uns verraten, was für Männer wir heiraten werden.“

Aus irgendeinem Grund machte Helgas Prophezeiung Valda nervös. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihr Schicksal erfahren wollte.

Die drei Mädchen saßen unter einer alten Eiche, die selbst ein Symbol für mystische Kraft war. Der Tag war warm und hell. Perfekt, um auf Bäume zu klettern oder im Fluss zu schwimmen. Das Klirren und Treiben ihres Heerlagers war ein entferntes Summen in der Luft, beruhigend nah bei ihrer Mutter Porunn und ihrer Schar von Schildmaiden, aber auch weit genug entfernt, um den Tag ungestört mit Unfug zu verbringen.

„Gut, also sagen wir den Zauber dreimal, bevor wir wählen?“, fragte Valda mit einem resignierten Seufzer.

„Dreimal, und wir müssen ihn gleichzeitig aussprechen. Dann sucht sich jede von euch einen Knochen aus, und ich sage, was er jeweils zu bedeuten hat.“ Helga schüttelte den Sack mit den Knochen.

„Das ist doch lächerlich!“, sagte Brynhild verächtlich und stand auf, um zu gehen. Sie hatte nun schon neunzehn Winter erlebt und schien zu glauben, dass sie die Oberhand hatte – auch wenn Valda anderer Meinung war.

Valda packte sie am Arm und zog sie resolut zurück auf den Waldboden. „Setz dich hin. Ohne dich funktioniert es nicht. Außerdem … sie wird nie glücklich werden, wenn wir es nicht gemeinsam tun.“

„Richtig!“, rief Helga begeistert, während sie den Sack dreimal kräftig schüttelte. Das Licht, das gedämpft durch das Blätterdach über ihnen fiel, schien auf ihre blasse Hand und zeichnete ungewöhnliche Muster auf ihre milchig-weiße Haut, und Valda fragte sich, ob in den Adern ihrer Schwester wirklich Magie floss. Mit ihrem blonden Haar und ihren schönen blauen Augen, die vor Entschlossenheit, innerer Stärke und einer seltsamen Weisheit leuchteten, sah sie auf jeden Fall wie ein Geschöpf des Waldes aus.

Bald würden die langen Tage, die sie gemeinsam verbrachten, zu Ende gehen. Brynhild trainierte bereits seit Längerem mit ihrer Mutter und würde – wenn sie sich als würdig erwies – bald in die Reihen der anderen Schildmaiden aufgenommen werden. Valda war sich sicher, dass sie es schaffen würde.

Valda würde bald darauf folgen. Es lagen weniger als zwei Winter zwischen ihnen, und auch ihr Training hatte sich seit dem Frühjahr erheblich intensiviert. Es war die Rede von weiteren Schlachten mit den Franken, von mehr Land, das es zu erobern und zu plündern galt. Valda und Brynhild hofften, bei der nächsten Schlacht dabei zu sein, anstatt mit Helga und den anderen Kindern zurückbleiben zu müssen. Aber das hing von ihrer Mutter ab, und Porunn war in jeder Hinsicht vorsichtig, wenn es um ihre Töchter ging – auch wenn sie in anderen Bereichen ihres Lebens vor keiner Herausforderung zurückschreckte.

„Wo hast du diesen Zauberspruch eigentlich gelernt?“, fragte Brynhild unwillig.

„Tante Freydis.“

Brynhild stöhnte. „Die Völva? Das erklärt es. Du willst also eine Hexe sein, die durch die Welt zieht und Wahrsagerei und Zauberei betreibt.“

Helga reckte das Kinn. „Und was, wenn ich das mache? Ich wäre besser darin, als ein Schwert zu schwingen.“

Brynhild lachte. „Das steht fest!“

Ein Anflug von Schmerz zeigte sich in Helgas Gesicht, und Valda stieß ihrer großen Schwester mit dem Ellbogen in die Rippen.

Brynhild stieß einen grimmigen Laut aus, wirkte aber zerknirscht. „Tut mir leid. Du wirst dich bessern … mit der Zeit.“

Helga war nicht so gebaut wie Brynhild – sie war klein und zierlich, und obwohl sie vielversprechend mit dem Bogen umgehen konnte, fiel es ihr schwer, auch nur das leichteste Holzschwert zu führen, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter.

Helga zuckte mit den zarten Schultern, dann lächelte sie. „Fertig?“

„Aber ich will keinen Ehemann!“ Brynhild stöhnte entnervt und schlug die langen Beine übereinander. Valda war es egal, ob Brynhild sich unbehaglich fühlte; die Ältere war viel größer und stärker als jeder der Jungen und an den meisten Tagen so schlecht gelaunt wie ein verwundetes Wildschwein.

„Ich kann nicht ändern, was ich gesehen habe“, erklärte Helga mitfühlend. „Es gibt einen Mann in deiner Zukunft … aber wenn du die Runen benutzt, wirst du vor ihm gewarnt.“

„Aber warum sich damit abmühen, wenn es keinen Unterschied macht?“

Helga runzelte die Stirn. „Weil … es dir helfen wird, ihn zu erkennen.“

„Oh, lasst uns weitermachen! Wir haben es ihr versprochen“, sagte Valda. Das alles dauerte ihr viel zu lange, und das Geplänkel half auch nicht weiter.

„Na schön!“, schnaubte Brynhild.

Als Helga nickte, sprachen sie alle gemeinsam den Zauber, wobei sie die alten Worte langsam rezitierten, um sie nicht durcheinanderzubringen. Schwungvoll ließ Helga den Beutel kreisen, als ob sie einen Topf umrühren würde. Dann schüttelte sie ihn noch dreimal, und der Klang der Magie zitterte durch die Bäume, als ein plötzlicher Windstoß über sie hinwegfegte. Valda schluckte ihre Angst hinunter und rieb sich die Arme, um das plötzliche Frösteln zu vertreiben.

Eine kühle Brise aus dem Norden, mehr nicht.

„Nimm einen“, drängte Helga Brynhild, die den Sack anschaute, als wäre er mit giftigen Schlangen gefüllt.

„Ich fange an“, sagte Valda, die Mitleid mit der älteren Schwester hatte. Sie griff hinein und zog das Erste heraus, was ihre Finger berührten.

Es war eine Schafsrippe. Sorgfältig gesäubert, aber offenbar war das Tier verletzt gewesen, denn in der Mitte war ein leichter Riss zu sehen. Die Rippe war weiß, also drehte Valda sie um. Helga hatte eine Seite mit einer Laguz-Rune bemalt. Das Muster war einfach und hob sich deutlich von dem Weiß des Knochens ab. Eine dicke gerade Linie, die am oberen Ende wie eine abgebrochene Pfeilspitze aussah.

„Wasser, Liebe, Wachstum und Reisen. Vielleicht lebt dein Mann auf der anderen Seite des Meeres?“, meinte Helga fröhlich, sichtlich erfreut darüber, ihre Kenntnisse erproben zu können.

Valda antwortete mit einem schwachen Lächeln und versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen.

Die Rune Laguz bedeutete all diese Dinge, so viel war wahr, aber Helga war nicht die Einzige, die Tante Freydis zugehört hatte. Auch Valda hatte mit großen Ohren gelauscht, und da es eine Wasserrune war, wusste sie, dass deren Bedeutung keineswegs eindeutig war. Vor allem, weil Valda sie verkehrtherum gezeichnet hatte. So konnte sie auch für Angst, Unsicherheit und Verlust stehen.

Das waren Empfindungen, die sie kannte, da sie Teil von Rollos Armee waren. Als sie von ihrer Zukunft geträumt hatte, hatte sie auf Stabilität gehofft, auf ein eigenes Haus oder gar ein Gehöft … auf jeden Fall ein Zuhause. Vielleicht sogar einen Ehemann und Kinder, mit denen sie es teilen könnte? Aber … Konflikte und Reisen? Das waren zwei Dinge, die sie sich nie gewünscht hatte.

Während ihre Schwestern ihre eigenen Runen zogen und über ihre möglichen Bedeutungen spekulierten und darüber kicherten, sagte sich Valda immer wieder: Es ist nur ein Kinderspiel. Es hat nichts zu bedeuten.

1. KAPITEL

913 n. Chr. – an den Docks von Jorvik

„Was soll das heißen, es gibt keine Schiffe?“, fragte Valda ungehalten und starrte den verschwitzten Mann vor ihr mit wachsendem Unmut an. Sie machte eine ausholende Geste mit einer Hand; das Dock war zum Bersten voll mit allen möglichen Langschiffen, Knorr-Schiffen und Ruderbooten.

Die Schiffe lagen so dicht gedrängt, dass man über die gesamte Länge des Hafenbeckens von einem Boot zum anderen hätte hüpfen können, ohne einen Fuß an Land zu setzen. Zu behaupten, es gäbe keine Schiffe, war so, als sagte man, es gäbe es im Wald keine Bäume.

Wenn die Märkte das schlagende Herz der Stadt waren, dann waren die Docks von Jorvik ihre Lungen, die ständig in Bewegung waren – wo Menschen aller Herkunft stetig hinein- und hinausströmten, um Handel zu treiben.

Es war auch der einzige Ort, an dem sie genug Arbeit finden konnte, um ihre Familie zu unterstützen, am besten als Mitglied der Besatzung eines Raub- oder Handelsschiffs. Ihre Familie brauchte Silber, und zwar viel davon – mehr als sie derzeit als Söldnerin verdienen konnte.

Der Mann sprach langsam, als ob er mit einem Kind sprechen würde, und unterstrich jedes Wort mit übertriebenen Handbewegungen. „Ich. Meine. Da. Sind. Keine. Schiffe.“ Er lehnte sich auf dem kleinen Fass, das er als Sitzgelegenheit benutzte, zurück, um sie von oben bis unten zu mustern. „Nicht für Passagiere.“

Sie presste den Kiefer fest zusammen und zischte: „Ich. Bin. Keine. Passagierin.“

Beiläufig ließ sie eine Hand auf den Griff ihres Schwertes sinken, aber der Mann besaß dennoch die Unverfrorenheit, sie vollkommen ungerührt anzusehen.

Sie sollte ihm das Herz ausschütten und sehen, ob er ihr dann glaubte!

Valda hatte wahrscheinlich mehr Schlachten unter Jorunds Banner mitgemacht, als dieser Mann sich überhaupt vorstellen konnte. Sie öffnete und schloss ihre Hand, um die Anspannung zu lösen, während sie sich selbst daran erinnerte, dass sie fremd in diesem Land war und dass ihr Ruf ihr nicht übers Meer gefolgt sein konnte – so sehr sie es sich auch wünschte.

Warum hatte Porunn darauf bestanden, dass sie in diese stinkende und verregnete Stadt reisten? Wenigstens hatte ihr Name in Rouen eine Bedeutung gehabt. Sie war als „Valda die Klinge“ bekannt – schnell und tödlich im Kampf. Hier war sie ein Niemand. Eine junge Frau in zerschlissenen Kleidern, ihr Schwert der einzige Besitz von wirklichem Wert. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie wären in Northmannia geblieben.

Aber der Ruf war ein zweischneidiges Schwert, und Porunn war zu sehr gedemütigt worden, um zu bleiben. Björn hatte ihr alles genommen, auch ihren Stolz.

Und wer war sie, dass sie Kritik übte? War sie nicht auch vor Jorund geflohen, anstatt sich einem Leben unter der Führung eines Mannes zu stellen, der sie nie lieben würde?

Sowohl Mutter als auch Tochter waren in Bezug auf Männer bedauernswert schwach.

Ihre Hand legte sich um den Griff ihrer Waffe; der mit Leder umwickelte Knauf und die Goldintarsien fühlten sich kühl und fest unter ihren Fingern an. Sie war es nicht gewohnt, sich in der Welt der Männer beweisen zu müssen.

In Jorunds Armee hatte niemand ihren Platz infrage gestellt. Und wie ein liebeskrankes Hündchen war sie ihm jahrelang gefolgt und hatte sehnsüchtig auf ein Zeichen der Zuneigung gewartet. In der Hoffnung, dass seine Bewunderung für sie als Kriegerin eines Tages in Liebe für sie als Frau umschlagen würde. Aber er hatte nie das Gleiche für sie empfunden wie sie für ihn und sie nur als Gefährtin im Kampf oder bestenfalls als Schwester betrachtet. Die Bitterkeit brannte schmerzhaft in ihr, und ihre Finger verkrampften sich. Sie brauchte keinen Bruder, schließlich hatte sie schon zwei Schwestern.

Sie wollte einen Partner, einen Liebhaber, einen Gleichgestellten. Jemanden, der ihre Bedürfnisse über seine eigenen stellte.

Das Unmögliche.

Alles, was ihr aus ihrer Zeit mit Jorund geblieben war, war ein Schwert. Ein Geschenk, das er ihr gegeben hatte, als sie seine Stellvertreterin geworden war. Kalter, harter Stahl, nichts weiter.

Mit zusammengebissenen Zähnen sprach sie zu dem Mann, ihre Stimme tief und bedrohlich. „Ich kann kämpfen. Soll ich es demonstrieren?“

Frustration ließ ihre Wut hochkochen, und sie zückte ihr Schwert. Mit einer leichten Drehung ihres Handgelenks schlug sie mit kühnen Hieben in die Luft, wobei der Stahl wie eine Schlange zischte, als er durch die Luft schnitt. Das Schwert war ein Kunstwerk, wunderschön gearbeitet, und es war ein Vergnügen, es zu führen, und die kunstvollen Verzierungen, die es aufwies, versprachen jedem Herausforderer den sicheren Tod.

Der Mann zuckte auf seinem Fass zurück. Sie war fast versucht, ihn ein wenig zu pieken … nur ein bisschen. Aber das wäre unfair gewesen, denn der Mann war sowohl dumm als auch unbewaffnet. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, ihm Angst zu machen.

Vielleicht würde es ihn lehren, nie wieder an einer Schildmaid zu zweifeln.

Als sie das Schwert in die Scheide zurückschob, schluckte der Mann und nickte. Er erkannte jetzt ihren Wert. „Aber …“, sagte er entschuldigend, „die meisten Besatzungen sind bereits vollzählig. Ihr könntet es bei einem der größeren Schiffe versuchen. Die brauchen vielleicht noch jemanden zum Anpacken … Harald!“ Sein donnerndes Gebrüll schallte über das Trockendock und ließ viele Männer von ihrer Arbeit aufblicken.

Harald antwortete mit einem schlecht gelaunten „Was?“

„Braucht ihr noch mehr Besatzung?“

„Nein!“, antwortete Harald nur und wandte sich wieder seiner Tätigkeit zu.

Ein anderer Mann stolperte vorbei und sagte: „Ich gehe auf Raubzug …“ Er hatte ein schmieriges Lächeln, kaum noch Zähne und war offensichtlich betrunken, denn er schwankte von einer Seite zur anderen, während er Valda mit glasigen Augen anstierte. „Ich brauche kein weiteres Schwert … aber du kannst auf … andere Weise bezahlen.“

Valda wäre nicht mit ihm über den Fluss gerudert, geschweige denn auf Raubzug gegangen. Angewidert wandte sie sich ab. Sie hörte sein keuchendes, gackerndes Lachen, als er weitertorkelte.

Was hatte sie denn erwartet? Einen Mann mit Ehre und Integrität? Räuber waren heutzutage Sklavenhändler ohne Charakter und Werte – Tapferkeit hatte nichts mit dem zu tun, was sie taten. Gestern Abend hatte sie zu Helga gesagt, dass sie bereit sei, alles für ihre Familie zu tun, aber angesichts dieses Mannes und der grausamen Realität spürte sie, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet.

Konnte sie wirklich auf Raubzug gehen? Sie hatte in Kriegen gekämpft, um Land und Respekt zu gewinnen, aber könnte sie eine Räuberin sein? Aber welche Wahl hatte sie denn? Nachdem sie alles ruiniert hatte?

Sie hatte zuvor ein ehrenvolles Leben geführt, als Jorunds Stellvertreterin. Er war der beste aller Männer gewesen und war dafür belohnt worden. Jetzt war er Herr von Évreux – mit Land, Macht und einer edlen Frau an seiner Seite.

Eine Frau, die ihn liebte und die er – was noch wichtiger war – ebenfalls liebte.

Wenn sie ihm nur nie ihre wahren Gefühle für ihn gestanden hätte. Dann hätte sie als Jorunds Stellvertreterin bleiben können und nie einen Fuß in das verhasste Jorvik setzen müssen! Sie hätte immer noch ein Zuhause gehabt, in das auch ihre Mutter und ihre Schwestern hätten ziehen können, als sich die Dinge für sie verschlechtert hatten.

Aber stattdessen hatte sie ihm ihre Liebe gestanden wie eine schwatzsüchtige Närrin! Sie hatte ihre Zukunft in einem einzigen Atemzug vernichtet. Diese Jahre des Kampfes um ein Land, das sie als ihre Heimat empfand, waren verschwendet!

Valda straffte die Schultern. Welchen Sinn hatte es, sich in Selbstmitleid zu suhlen? Ihre Schwestern und ihre Mutter verließen sich auf sie! Brynhild hatte sich in all den Jahren, die Valda mit Jorund verbracht hatte, um die Familie gekümmert. Es war an der Zeit, dass sie ihrer Schwester half und Verantwortung übernahm. Sie würde tun, was immer sie tun musste, um genug Silber zu verdienen, um ihnen einen Hof zu sichern.

„Gibt es irgendwelche Handelsschiffe?“, fragte sie hoffnungsvoll einige Männer.

Einer von ihnen zuckte mit den Schultern und öffnete den Mund, um zu sprechen.

Aber es war eine andere Stimme, die antwortete. Eine satte, tiefe Stimme aus mehreren Metern Entfernung, die dennoch deutlich zu hören war. Es war, als ob jeder Mann und jede Frau in Jorvik in diesem Moment das Werkzeug niedergelegt und aufgehört hätte zu sprechen.

„Ich habe ein Schiff, Valda. Wohin möchtest du fahren?“

Dann endete die Stille mit einem Mal, und die Geräusche des Hafens drangen ihr in die Ohren, sodass ihr beinahe schwindlig geworden wäre.

Das konnte doch nicht sein … Halfdan?

Erinnerungen durchzuckten sie. Süße geflüsterte Versprechungen zwischen heißen, gestohlenen Küssen. Für einen Moment glaubte sie, wieder auf seinem Boot zu sein, den Duft von Eichenholz in der Nase und den zärtlichen Kuss ihrer ersten Liebe kribbelig im Nacken.

Ihr wurde übel, und reflexartig umklammerte sie wieder den Griff ihres Schwertes, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Halfdan hatte ihr das Herz gebrochen, lange vor ihrem jüngsten Unglück mit Jorund. Tatsächlich war Halfdan der Grund gewesen, warum sie überhaupt nach einem Mann wie Jorund gesucht hatte. Einem verlässlichen, loyalen und ehrenhaften Mann. Nicht von der Lust auf Abenteuer getrieben, sondern von dem Bedürfnis nach einem Zuhause und einer Familie. Nur war ihr zu spät klar geworden, dass Jorund das nie mit ihr gewollt hatte.

Wollten die Götter sie verspotten? Indem sie ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart auf so schmerzhafte und lächerliche Weise miteinander verwoben?

Seltsamerweise fühlte sie sich an die Laguz-Rune erinnert, die sie als Jugendliche aus dem Sack unter der großen Eiche gezogen hatte, und an das schreckliche Schicksal, das sie ihr vorausgesagt hatte.

Ungewissheit, Unsicherheit, eine wankelmütige Liebe, die sie verlassen und verloren zurücklassen würde wie Treibgut auf dem Meer.

All das hatte sich mit ihm, ihrer ersten Romanze, erfüllt. Und seither hatte sie jeden Tag aufs Neue nach dem Gegenteil gesucht … nur um auch daran zu zerbrechen. Es war eigentlich unvermeidlich gewesen, ihm wieder über den Weg zu laufen. Langsam drehte sie sich um, entschlossen, der Vergangenheit mit einem unbekümmerten Lächeln zu begegnen. Schließlich war sie jetzt eine erwachsene Frau. Er würde sie nicht noch einmal verletzen können.

Halfdan hämmerte das Herz immer noch in der Brust. Er hatte Valdas feuriges Haar auf dem Trockendock entdeckt und sich mühsam durch die Menschenmenge gedrängt, um sie zu erreichen. Er hatte Angst gehabt, sie aus den Augen zu verlieren.

Warum hatte er das getan? Warum sollte er sich nach all den Jahren überhaupt noch um sie kümmern?

Jetzt kam er sich dumm vor und straffte entschlossen die Schultern, um sich zumindest den Anschein von Würde zu verleihen. Was auch immer geschah, sie würde nie erfahren, was sie ihm bedeutet hatte.

Es war seltsam, dass sich ihre Wege noch einmal kreuzten.

Er hatte geglaubt, sie nie wiederzusehen und schon gar nicht hier. Ihre Familie lebte im Frankenreich und hatte keinen Grund, nach Jorvik zu kommen. Er selbst kam nur hierher, um Handel zu treiben, da er es vorzog, die Halle seines Vaters zu meiden, wann immer es möglich war.

Aber jetzt blieb ihm nichts anderes übrig.

Er hatte ein Geschäft zu machen.

Eines, das die Zukunft seines Bruders sichern und die Tyrannei ihres Vaters beenden würde … er musste nur vorsichtig mit dem älteren Mann umgehen.

Jetzt, da Valda vor ihm stand, waren all seine Pläne im Nu vergessen, und er bot ihr an, sie mitzunehmen, wohin sie wollte.

Was war nur los mit ihm? Warum konnte er sie nicht vergessen und mit seinem Leben weitermachen? Warum musste er, wenn es um sein Herz ging, immer mit einem Bein in der Vergangenheit stehen?

Und was noch wichtiger war … würde sie sein Angebot dieses Mal überhaupt annehmen?

Würde sie mit ihm wegsegeln? So wie er sie schon einmal vor langer Zeit gebeten hatte?

Valda wandte sich ihm zu, und sein Herz brannte vor Verlangen. Er hatte gehofft, sie würde nach all den Jahren vielleicht irgendwie eine andere Wirkung auf ihn haben. Weniger überwältigend … Dass die Erfahrungen, die er als Mann inzwischen gesammelt hatte, sie in irgendeiner Weise entzaubern würde. Dass ihre Vitalität und strahlende Schönheit ihm auf einmal gewöhnlicher erscheinen würden. Er hatte innerlich darum gebetet, dass die Schildmaid, die er in seiner Jugend vergöttert hatte, doch nichts Besonderes sein würde. Eine blasse Schönheit im Vergleich zu den exotischen Frauen, denen er auf seinen Reisen begegnet war.

Aber das war nicht der Fall.

Sie war immer noch … perfekt.

Auf ärgerliche Art und Weise.

Wenn überhaupt, hatte das Alter sie noch schöner gemacht. Ihr Haar glänzte wie Kupfer im Sonnenlicht, ihre Züge, einst weich und rundlich, waren nun scharf vor Selbstvertrauen und Stärke. Ein paar entzückende Sommersprossen sprenkelten ihren Nasenrücken wie ein Hauch von Gewürz auf Milch. Mit intelligenten haselnussbraunen Augen musterte sie ihn, ließ den Blick mit akribischer Sorgfalt über seinen Körper gleiten und schien ihn zu bewerten. Die vollen, rosafarbenen Lippen verzog sie zu einem trockenen, amüsierten Lächeln, als hätte sie genau wie er immer gewusst, dass dieser Moment eines Tages kommen würde.

Er war jetzt ein erwachsener Mann. Nicht mehr durchdrungen von den übersteigerten Gefühlen und Leidenschaften seiner Jugend. Aber sie wiederzusehen, tat weh, und er konnte nicht verstehen, warum. Es war ja nicht so, dass er denselben Fehler noch einmal machen würde.

Diesmal würde es keine Liebeserklärungen geben. Nie wieder würde er sie anflehen, mit ihm fortzusegeln. Sie konnte entweder sein Angebot annehmen oder es ablehnen. Es war ihm egal.

Jetzt richtete er sich zu seiner vollen Größe auf, um ihr zu zeigen, dass auch er sich verändert hatte. Dass er kein unbeholfener Jugendlicher mehr war, sondern ein starker und selbstbewusster Mann. Natürlich ließ es sein Stolz nicht zu, dass er sich vor ihr brüstete. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sie könnte wissen, welche Wirkung sie immer noch auf ihn hatte. Dass allein ihr Anblick seine alte Leidenschaft für sie mit neuer Sehnsucht aufflammen ließ.

Gleichgültigkeit. Das war es, was er stets gehofft hatte zu empfinden, wenn er sie jemals wiedersehen würde, und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, würde er sein Bestes tun, um so zu tun, als wäre es so.

„Halfdan, bist du das?“ Sie lachte unbeschwert, und ihr leichtes Lächeln wurde noch breiter, als sie auf ihn zukam. Offenbar erschütterte die Begegnung sie nicht so wie ihn, was ihn nur in seiner Meinung bestärkte, dass sie sich nie wirklich für ihn interessiert hatte. Was sie empfunden hatte, war Leidenschaft, und wie jedes lodernde Feuer war sie zu nichts als Asche verbrannt.

Als unabhängige Frau hatte sie ihre Freiheit mehr geliebt als ihn. Das musste immer noch so sein, denn jeder Mann hätte sich glücklich schätzen können, eine Frau wie sie zu gewinnen. Aber er wusste aus seinen müßigen Erkundigungen – wann immer er an Rouen vorbeigefahren war, hatte er sich nach ihr umgehört –, dass sie nie geheiratet hatte, und das Fehlen eines Rings an ihrer Hand bestätigte dies nun.

Er betrachtete sie. Sie trug noch immer die männliche Kleidung, die sie in ihrer Jugend getragen hatte. Stiefel und weite Wollhosen, um sich frei bewegen zu können. Eine grüne Tunika wurde in der Taille von ihrem Schwertgürtel zusammengehalten, und ein passender schwerer Mantel hing ihr über eine Schulter, ein Rucksack und ein Schild waren auf ihren Rücken geschnallt.

Immer noch die perfekte Walküre, von der er mehr Nächte geträumt hatte, als er sich selbst eingestehen wollte. Wenn ihr jetzt Flügel wüchsen und sie ihn in das Reich seiner Ahnen bringen würde, würde er als glücklicher Mann sterben. Ob er nun in Odins Halle oder in Ráns Meeresreich unter den Wellen speiste, war ihm gleichgültig. Ihn interessierte nur, in wessen Armen er liegen würde.

Natürlich war ihr Haar in diesen Träumen immer offen gewesen, so wie in jenem Sommer. Flüssiges Feuer, das sie umgab und ihm die Haut mit seiner quälenden Weichheit verbrannte. In seiner Fantasie griff sie nach ihm, streichelte sein Gesicht und versprach ihm, ihn nie zu verlassen. Dann würde er in ihrem Kuss ertrinken.

Er verdrängte den Traum aus seinem Kopf und tat, was jeder kluge Kaufmann tun sollte – er konzentrierte sich auf die Details, die ihm einen Vorteil verschaffen würden. Da bemerkte er, dass ihre Kleidung abgetragen war und die Tunika geknotet und nicht von einer Brosche gehalten wurde.

Hatte sie sie verkaufen müssen? War sie arm?

Aber wie konnte das sein? Sie war Jorund Jötunnsons Stellvertreterin – und dieser Mann hatte im Frankenreich großen Erfolg gehabt.

Sie trug ein verziertes Schwert an ihrer Seite … vielleicht war seine erste Vermutung also falsch? Möglicherweise musste sie nach Rouen zurückkehren, und im Moment fehlte ihr das nötige Silber. Aber warum hatte sie Jorund überhaupt verlassen?

So viele Fragen, und sie hatten noch nicht einmal miteinander gesprochen … bis jetzt.

Vor Anspannung taten ihm die Schultern weh, und er rollte sie vor und zurück, um den Schmerz zu lindern.

„Valda!“ Er sprach in einem warmen und unbekümmerten Ton, während er sich gemächlich auf sie zubewegte.

Er klopfte ihr leicht auf die Schulter, in der Hoffnung, ihr damit zu zeigen, dass ihre gemeinsame Vergangenheit für ihn schon längst keine Rolle mehr spielte. Flink wich sie vor ihm zurück und versetzte ihm dabei einen spielerischen Schlag gegen die unteren Rippen. Es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht zusammenzuzucken. Sie war stark und treffsicher.

Sie lachte, aber als sie sich zurückzog, verblasste ihr Lächeln ein wenig, als ob sie etwas Unangenehmes bemerkt hätte. „Ich brauche Arbeit, keine Überfahrt. Aber vielleicht kennst du jemanden, der mir helfen kann? Ich möchte den Sommer über auf einem Handelsschiff mitfahren. Ich muss Silber für meine Familie verdienen.“

Er hielt inne und wog den Preis für eine solche Reise ab. Nicht in Silber, alle seine Reisen waren äußerst profitabel, sondern darin, was es sein Herz kosten würde. Konnte er es wagen, es zu riskieren?

Loki wäre stolz auf Halfdans Listigkeit gewesen, denn nach einem Moment des Zögerns täuschte er ein überraschtes Aufatmen vor. „Oh! Was für ein merkwürdiger Zufall das ist! Ich könnte ein weiteres Schwert auf meinem Schiff gebrauchen. Ich habe diesen Sommer eine lange Reise geplant.“

Eine Reise, für die er sich erst jetzt entschieden hatte. Eine, die seinem Vater nicht gefallen würde … Aber er war zuversichtlich, später eine Lösung dafür zu finden. Jetzt kam es darauf an, Valdas Zustimmung zu erhalten, ihn zu begleiten.

Sie biss sich auf die Lippen. „Bist du sicher, dass es nicht … seltsam sein wird?“

Halfdan lachte und hoffte, dass es nicht so hohl klang, wie es sich anfühlte. „Warum sollte es seltsam sein?“

Sie lächelte, als ob sie beruhigt wäre. „Nun, ich kann viel besser rudern und kämpfen als in meiner Jugend. Wenn du einen Beweis für mein Können brauchst, kann ich es dir jederzeit vorführen …“ Besorgnis überzog ihr Gesicht. „Aber ich habe nichts zum Tauschen, außer ein paar Pelzen. Willst du mich immer noch haben?“, fragte sie mit stolz gerecktem Kinn, als wollte sie ihn herausfordern, sie zurückzuweisen.

Er entkräftete ihre Worte mit seinem charmantesten Lächeln. Er musste sich eingestehen, er hätte sie auf seinem Schiff aufgenommen, selbst wenn er dafür seine Fracht in den Fluss hätte werfen müssen.

„Nicht nötig! Ich weiß, dass du eine hervorragende Schildmaid bist, alte Freundin.“ Das Wort Freundin schmeckte bitter auf seiner Zunge. Als er fortfuhr, fügte er ein sorgloses Schulterzucken hinzu. „Alle Mitglieder meiner Mannschaft erhalten den gleichen Anteil am Gewinn – nachdem ich mir meinem Anteil ausgezahlt habe, versteht sich. Selbst wenn es wenig zu handeln gibt, sollten alle immer noch eine gute Menge Silber verdienen.“

„Ich danke dir, Halfdan. Du warst immer sehr großzügig.“ Der Ausdruck in ihren Augen wurde ein wenig weicher, und er atmete erleichtert auf, da sie es ihm nicht übel zu nehmen schien, dass er ihr nicht mehr bot, weder damals noch heute. Das Unbehagen, das ihn beschlichen hatte, als er sie wiedersah, verschwand langsam wie der Morgennebel in einer Sommerbrise. Es gab nur ein Problem …

„Die Nachricht von meiner Ankunft wird meinen Vater bald erreichen. Ich sollte mich mit ihm treffen“, sagte er.

„Oh, natürlich. Am besten, du lässt ihn nicht warten … Ich würde ihn ungern verärgern, indem ich dich aufhalte.“ Ihr besorgter Ton verdeutlichte den Einfluss seines Vaters in Jorvik. Ulf war ein Tyrann, sodass es Halfdan nicht überraschte, dass Valda Angst hatte, ihn zu beleidigen – zumal sie an das Wohl ihrer Mutter und Schwestern denken musste.

„Du hast mich nicht aufgehalten. Komm doch morgen zu meinem Schiff, und wir werden die Einzelheiten besprechen. Es liegt bei der Gastwirtschaft weiter unten am Ende der Docks. Gehst du ein Stück mit mir? Wenigstens bis zum Platz des Jarls … oder wo auch immer du hier wohnst?“ Er wartete, in der Hoffnung, dass sie ihm verraten würde, wo sie in Jorvik Unterschlupf gefunden hatte, und ihm damit preisgab, wer ihr derzeitiger Herr war, aber sie nickte nur als Antwort.

Seite an Seite gingen sie über die schlammigen Wege in die Stadt. Sie bewegte sich – wie immer – mit Sicherheit und Zielstrebigkeit, die Arme frei an den Seiten schwingend, mit einem leichten Schwung im Schritt. Kühn und so hitzköpfig wie ihr feuriges Haar es vermuten ließ, war sie einfallsreich und mutig.

Valda die Klinge.

Sie sah allerdings recht schmal aus, und er hoffte, dass sie und ihre Familie genug zu essen hatten.

Um sich abzulenken, blickte er in Richtung der Werkstätten, der Kirche und dem Markt von Jorvik, wo es vor Betriebsamkeit nur so wimmelte. Rauch und die vielen Gerüche der Siedlung erfüllten die Luft mit dem Besten – aber auch mit dem Übelsten –, was das Leben zu bieten hatte.

Er konnte seine Neugier nicht länger zügeln und fragte: „Bist du immer noch bei diesem Riesen … wie heißt er noch mal?“ Er tat so, als ob er den Namen des Mannes vergessen hätte, obwohl er ihn sehr gut kannte – schließlich hatte er ihn oft genug verflucht.

„Jorund Jötunnson?“, fragte sie leise, und er bemerkte, wie sich ihre Miene verfinsterte.

Sein Puls beschleunigte sich in vorweggenommener Empörung. Er ballte und löste seine Hände, um die Anspannung zu lindern, die sich in ihm aufbaute. „Ah, ja, Jorund. Das war’s! Kämpft ihr unter Rollos Banner?“ Er hatte viel Gutes über den Mann gehört, aber er war nicht bereit, ihn zu loben … nicht, wenn er Valda etwas angetan hatte.

Es war schon eine Weile her, dass er seine Kontakte im Frankenreich nach Neuigkeiten sie betreffend gefragt hatte. Vor allem, weil er davon ausgegangen war, sie wäre glücklich und sesshaft, was ihm seine Laune gründlich zu verderben vermochte. Ich kann nie dein sein, hatte sie einmal zu ihm gesagt, vor langer Zeit … und er versuchte immer noch, es zu akzeptieren.

Er fragte sich oft, was passiert wäre, wenn die Dinge anders verlaufen wären. Wenn ihre eigene wilde Unabhängigkeit den Kampf nicht gewonnen hätte.

Vielleicht hätten sie geheiratet, wie sie es sich gewünscht hatte, und sich auf dem Land niedergelassen? Auf Gotland, dem Ort seiner Geburt und des frühen Todes seiner Mutter.

Wäre er dort glücklich gewesen? Er war sich nicht sicher.

Aber es war sinnlos, über solche Dinge nachzudenken.

Nach ihrem letzten, schrecklichen Streit war sie, wie sie es versprochen hatte, wieder zu den Franken übergelaufen und eine Schildmaid in Rollos Armee geworden. Als er erfahren hatte, dass sie ihre Schwestern verlassen hatte, um bei Jorund zu leben, hatte er sich fast zu Tode getrunken. Er wusste, dass die Trennung von ihrer Mutter und ihren Schwestern nur eines bedeuten konnte … dass sie einem anderen Mann als ihm ihre Liebe geschenkt hatte.

Einem Mann, der allem Anschein nach nicht durch familiäre Pflichten belastet war und allein für seine Taten geehrt wurde. Das war einer der Gründe, warum Halfdan ein so großes Vermögen aufgebaut hatte. Er wollte sich selbst beweisen, dass er mehr wert war als der Name, den sein Vater ihm gegeben hatte.

„Ich bin nicht mehr mit ihm zusammen“, sagte sie leise.

Er hatte es schon vermutet, als er sie gesehen hatte, aber die Bestätigung ließ sein eigensinniges Herz höherschlagen. Er trat zur Seite, um ein Fuhrwerk vorbeizulassen, während er seine Gedanken sammelte. Als er wieder zu ihr aufgeschlossen hatte, schaffte er es, sich so weit zu beherrschen, dass er lediglich ein unbehelligtes „Oh?“ murmelte.

Schmerz blitzte kurz in ihrem Gesicht auf. „Er ist jetzt Lord of Evreux und … verheiratet. Dort gibt es keinen Platz mehr für mich … Wahrscheinlich gab es sogar nie einen.“ Sie lachte, als wäre es eine plötzliche und bittere Überraschung, die sie erst in diesem Moment erlebt hatte. „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade zu dir gesagt habe! Aber ich schätze, du kennst meine fatalen Entscheidungen, wenn es um Männer geht, besser als jeder andere.“

Er runzelte die Stirn, verwirrt von seinen widerstreitenden Gedanken und Empfindungen.

Mitleid, Wut, Schmerz, Freude – alle Gefühle durchströmten ihn gleichzeitig. „Vergiss ihn. Du verdienst etwas Besseres.“ Er starrte ihr Profil einen Moment länger an, als er es hätte tun sollen, fasziniert von den scharfen und doch schönen Zügen ihres Gesichts und der glutvollen Pracht ihres Haares. Ich hätte sie heiraten sollen. „Das war schon immer so.“

Sie sah ihn an, und er wandte den Blick ab und verfluchte sich, da er seine Zunge nicht im Zaum halten konnte. Es war viel zu spät, um etwas zu bereuen. Valda hatte Jorund so sehr geliebt, dass sie ihm gefolgt war, ein Kunststück, das ihm nie gelungen war. Vielleicht hegte er, Halfdan, immer noch Gefühle für sie. Vielleicht war er sogar gezwungen, ihr zu helfen – trotz ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Aber nie wieder durfte etwas zwischen ihnen geschehen. Sie wollte Stabilität und Sicherheit – zwei Dinge, die er ihr niemals bieten konnte.

Mit einem gezwungenen Lachen fügte er hinzu: „Außerdem wirst du viel glücklicher sein, als er es je sein wird. Die Ehe ist eine Fessel für die Freiheit eines Mannes, die man um jeden Preis vermeiden sollte!“

„Du hast nie geheiratet? Ich dachte, dein Vater hätte dich Olga versprochen.“

„Wem?“

„Jarl Olafs Tochter?“

Halfdan runzelte die Stirn und fragte sich, wie Valda darauf kam, dass er diese Frau hätte heiraten sollen. Eine Frau, die er vor allem wegen der Lügen, die sie über ihn verbreitet hatte, nachdem Valda gegangen war, in Erinnerung hatte.

„Nein, ich konnte sie nicht ausstehen. Sie hat einen der Männer ihres Vaters geheiratet und kurz darauf ein Kind bekommen … ziemlich direkt nach der Hochzeit. Eine Art verspätetes Geschenk.“ Er lachte über seinen jämmerlichen Scherz und bereute ihn sofort.

Valda verzog die Lippen in einem Anflug von Missbilligung. „Klingt nach einem glücklichen Ende“, sagte sie trocken.

Als er Valdas klare Verurteilung sah und sich daran erinnerte, wie schwer es für sie als vaterloses Kind gewesen sein musste, fühlte er sich plötzlich schuldig und empfand Mitleid mit Olgas Situation, was er nie für möglich gehalten hätte.

Er wählte seine nächsten Worte sorgfältig. „Aber es geht ihr gut, das weiß ich mit Sicherheit.“

„Also hat es auch für sie ein glückliches Ende genommen.“ In ihren Worten lag keine Missgunst oder Bosheit, und doch hatte er sich noch nie so wertlos gefühlt.

„Ich hoffe, das Baby muss nicht unter dem Fehler seiner Mutter leiden.“ Ihre Worte klangen seltsam bitter, und er runzelte die Stirn.

„Nein, es geht allen bestens.“

„Gut“, sagte sie kühl. „Ich habe sie nie gemocht, aber ich würde ihr kein … Unglück wünschen.“ Valda wandte den Blick ab.

Aus irgendeinem Grund verärgerte ihn ihre Fürsprache für Olga, und er ertappte sich dabei, wie er sagte: „Nun, trotz meiner besten Bemühungen scheint es, dass ich nicht darum herumkommen werde, auch irgendwann in die Ehefalle zu tappen.“

Neugierig sah sie ihn aus ihren haselnussbraunen Augen an. „Du wirst heiraten?“

Er hatte gehofft, in ihrem Blick noch etwas anderes zu sehen, aber sie schien von der Nachricht unbeeindruckt zu sein, und das schmerzte mehr, als er zugeben wollte.

„Noch nicht. Aber es dauert nicht mehr lang.“ Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sein Vater war sehr daran interessiert, dass er eine bestimmtes Arrangement einging, aber er hatte noch nicht zugestimmt. Er hatte allerdings von Heiratsplänen ihn betreffend gehört, weshalb Ulf seinen Sohn auch um einen Besuch gebeten hatte. Halfdan war bewusst, dass er das unliebsame Thema angesprochen hatte, um ihr klarzumachen, wie schwer ihm der Gedanke an eine Heirat fiel, damals wie heute. Es ging nicht darum, dass er Valda nicht genug geliebt hatte, um sie zu heiraten, sondern darum, dass er sie zu sehr geliebt hatte. Hätte er eine Frau geheiratet, die nicht von seinem Vater ausgesucht worden wäre, hätte dies für die Frau harte Konsequenzen oder sogar den Tod bedeutet.

Doch wie es seine Art war, erklärte er es im Scherz, anstatt den wahren Schmerz dahinter zu offenbaren. Er seufzte in gespieltem Elend. „Ich bin wie Fenrir – gefesselt in unzerstörbaren Ketten. Ich glaube, mein Vater will, dass ich eine Britin heirate, die Schwester eines Fürsten aus dem Westen des Landes – die Sachsen nennen sie Waliser, und sie sagen, dass man mit ihnen nicht umgehen kann. Mein Vater möchte jedoch ein Geschäft mit ihnen machen, und ich werde zweifellos der Einsatz sein, den er zu erbringen plant.“ 

„Armer Halfdan.“ Valda lachte. „Was für ein schreckliches Leben du als Sohn eines mächtigen Jarls führst.“

Halfdan lachte. Natürlich tat sie recht daran, ihn zu necken. Er hatte mehr Glück als die meisten anderen und mehr Glück als sein Halbbruder Erik, der die meiste Zeit seines Lebens als Sklave und Ausgestoßener gelebt hatte.

Aber er konnte nicht anders, ihm wäre es trotzdem lieber gewesen, wenn sein Leben anders verlaufen wäre. Dass er als einfacher Krieger ohne Titel geboren worden wäre. Dann wäre er wenigstens frei gewesen, der Frau den Hof zu machen, die er immer geliebt hatte. Stattdessen musste er sich mit seiner zweiten Liebe begnügen … dem Meer.

„Wir sehen uns morgen, Halfdan.“ Sie biss sich zögernd auf die Lippen, bevor sie mit einem Seufzer hinzufügte: „Ich bin dir wirklich dankbar für dein Angebot.“

Einen Moment lang befürchtete er, sie würde in der Menge verschwinden und er sie nie wiedersehen. Er streckte eine Hand aus und drückte ihr leicht den Arm. „Versprich mir, dass du morgen kommst … Ich schwöre, ich kann dir helfen.“

Sie zögerte, leckte sich mit ihrer süßen Zunge die Lippen, während sie ihm in die Augen sah und über seine Worte nachdachte.

„Ich werde da sein“, flüsterte sie schließlich mit heiserer Stimme, als ob die Zusage ihren Stolz verletzte.

Dann wandte sie sich ab, entschlüpfte seinem Griff und verschwand so flink aus seinem Blickfeld, wie sie es all die Jahre zuvor getan hatte.

2. KAPITEL

Valda bewegte sich zügig in Richtung ihrer Wohnstätte, schlängelte sich durch die Gassen und vorbei an den vielen Menschen wie ein Lachs auf seinem Weg stromaufwärts. Als sie sicher war, dass sie genug Abstand zwischen sich und Halfdan gebracht hatte, lehnte sie sich an die Wand eines der weniger klapprig wirkenden Gebäude und wartete.

Obwohl sie sich mehrmals vergewissert hatte, dass er ihr nicht folgte, musste sie sicher sein. Mehrere Karren und Menschen zogen an ihr vorbei, aber kein großer, gut aussehender Mann in extravaganter Seide und mit einem charmanten Lächeln. Kein Halfdan.

Sie ließ den Kopf an die Wand sinken und schloss die Augen.

Wenn es schon nicht leicht gewesen war, nach all den Jahren seine Hilfe anzunehmen, dann würde es unerträglich sein, ihn in die Hütte zu führen, die sie mit ihrer Familie teilte. Sie waren jetzt nochärmer … was an sich schon eine beeindruckende Leistung war.

Sie stieß sich von der Wand ab, das Atem fiel ihr plötzlich schwer.

Erinnerungen stiegen in ihr auf.

Segel mit mir fort.

Heiße Sommertage, an denen sie sich in seinem halbfertigen Boot liebten …

Verloren in der Vergangenheit, konnte sie fast die Holzspäne riechen. Die duftenden Locken der Eiche, die sich in ihrem Haar verfangen hatten, als er sie auf die Planken gelegt hatte. Die sanfte Wärme seiner Haut unter ihren Fingerspitzen und das weiche Fell unter ihrem nackten Rücken.

Das berauschende Verlangen, die Sehnsucht, die Qualen.

Autor