Riskante Rückkehr in starke Arme

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Mia stockt der Atem: Vor ihrem bescheidenen Londoner Apartment steht Theo Aeton. Schwarzes Haar, feuriger Blick – ihr Ehemann! Kurz nach der Hochzeit hat sie ihn damals verlassen, weil er sie betrogen hatte. Seitdem hält sie sich mit Aushilfsjobs über Wasser. Ungläubig hört sie, was Theo von ihr will: Eine höchst wichtige Angelegenheit zwingt den griechischen Tycoon, sie auf seine Privatinsel zu bitten! Soll Mia sich wirklich auf so viel Nähe mit ihm einlassen – und riskieren, dass ihr Herz zum zweiten Mal gebrochen wird?


  • Erscheinungstag 05.09.2023
  • Bandnummer 2613
  • ISBN / Artikelnummer 0800232613
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Diese unerträgliche Hitze! Obwohl Mia eben erst geduscht hatte, formten sich kleine Schweißperlen auf ihrer Haut, die langsam über ihr Dekolleté in Richtung Bauchnabel rannen. Seufzend fächelte sie sich Luft zu.

Am schwefelgelben Horizont türmten sich dunkle Wolken auf. Wetterleuchten zuckte über den Himmel, gefolgt von fernem Donnergrollen. Nicht der leiseste Windhauch regte sich in der drückenden Schwüle.

Nein, dies war ganz und gar kein gewöhnlicher englischer Frühsommertag!

Ach, könnte ich einmal noch nach Griechenland zurückkehren! Wehmütig dachte Mia an laue Sommerabende; an den belebenden Duft von Zitronenblüten und das herbe Aroma von Pinien; an die sanfte Brise, die stets vom türkisfarbenen Meer her wehte, dessen sanfte Wellen wohltuende Abkühlung versprachen; an den täglichen Regenschauer, der die Luft erfrischte; und an die goldene Sonne, deren Strahlen ihr Herz erwärmten. Wie leicht und luftig sich die Sommerwochen angefühlt hatten, die sie alljährlich bei ihrem Großvater Georgios Minotis hatte verbringen dürfen! Und welch magische Begegnung daraus entstanden war …

Mit einem Kopfschütteln wischte Mia diese unwillkommenen Erinnerungen fort. Warum sollte sie sich mit Bildern einer Vergangenheit belasten, die nie wiederkehren würde?

Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufschrecken. Wer konnte das sein? Sie empfing nie Besuch! Die bescheidene Dienstwohnung im Angestelltentrakt des Hotels war ihr Rückzugsort. In ihrem Job als Zimmermädchen hatte sie den lieben langen Tag genug mit Menschen zu tun. Nach Feierabend schätzte sie ihre Ruhe. Das wussten ihre Kollegen und störten sie nur in äußersten Notfällen. Wie die meisten Menschen hielten sie Mia für eine Einzelgängerin. Sollten sie doch! Es ging niemanden etwas an, wie sie lebte.

Oder wie sie die Erinnerungen an ihr früheres Leben in Schach hielt, die sie einfach nicht losließen.

Es klopfte lauter. Zwar hätte Mia sich am liebsten versteckt. Doch das ließ ihr Gewissen nicht zu. Sie war erst vor wenigen Tagen befördert worden. Vielleicht brauchte man ihre Hilfe? Keine andere Angestellte kannte das Hotel so gut wie sie. Vielleicht gab es einen Notfall? Seufzend öffnete sie die Tür.

Ihr Lächeln gefror beim Anblick ihres unerwarteten Besuchers.

Theodoros Aeton.

Mit seiner hochgewachsenen Statur füllte er den Türrahmen beinahe vollständig aus. Immer noch umgab ihn eine geradezu magische Aura. Der kahle Korridor hinter ihm mit den flackernden Neonröhren schien Mia mit einem Mal noch trostloser.

Unversehens hatten ihre Erinnerungen Gestalt angenommen. Alles war wie früher! In der Gegenwart dieses Mannes verblasste Mias Welt zu einem Schwarz-Weiß-Film.

Der maßgeschneiderte graue Anzug setzte die klaren Konturen seines durchtrainierten Körpers eindrucksvoll in Szene. Die markanten Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen wirkten wie in Marmor gemeißelt. In seinem olivgoldenen Teint glänzten Theos schwarze Augen wie frisch poliert. Kein Wunder, dass die Leute behaupteten, er ähnele einem griechischen Gott.

Er war ein griechischer Gott.

Und er war ihr Ehemann.

Beinahe hätte Mia aufgelacht. Diese Ehe existierte nur auf dem Papier! Streng genommen nicht einmal dort, denn Mia hatte ihren Geburtsnamen nie abgelegt.

Dieser Mann sollte aus ihrem Leben verschwinden!

Und nun stand er unverhofft vor ihr.

Theodoros Aeton.

Einst hatte sie ihn stürmisch geliebt. Dann hatte er sie hintergangen, und ihr Herz war in tausend Scherben zerbrochen.

Schwankend suchte sie am Türrahmen Halt. Eine Welle von Unbehagen drohte ihr den Boden unter den Füßen wegzuspülen.

Sie kannte all die Gefühle, die sie in diesem Augenblick zu übermannen drohten. Jedes Mal, wenn sie in den vergangenen sechs Jahren an Theodoros Aeton gedacht hatte, hatte sich ein kaum zu bändigender Hexentrank in ihrem Inneren zusammengebraut: Schmerz, Wut, Verachtung. Und natürlich Verlangen. Immer wieder ein schier unstillbares Verlangen nach diesem Gott in Menschengestalt. Sie war nicht naiv genug, das abzustreiten. Gegen dieses Gefühl war kein Kraut gewachsen.

Dabei hatte sie ihn seit ihrem Hochzeitstag nicht mehr gesehen. Seit dem unsäglichen Fiasko, das aus heiterem Himmel über sie hereingebrochen war und ihre Welt von einem Moment auf den anderen auf den Kopf gestellt hatte.

Mia erinnerte sich nur zu gut an diesen denkwürdigen Tag. Sie hatte ein bodenlanges weißes Kleid aus fließender Seide getragen, das ihre üppigen Kurven nicht unbedingt vorteilhaft betonte. Doch ihre Mutter hatte behauptet, dass eine Braut so aussehen musste. Das blaue Strumpfband und die halterlosen Seidenstrümpfe spannten unbequem und viel zu eng um ihre Oberschenkel. Nichts davon hatte ihr auch nur das Geringste ausgemacht. Ihr einziger, sehnsüchtiger Gedanke galt dem Moment, wenn Theo sie langsam ausziehen würde. Mit den Zähnen. So wie er es ihr in der Nacht zuvor versprochen hatte.

Was er ihr nicht alles versprochen hatte! Rückblickend waren seine Worte nichts als Schaumschlägereien gewesen. Damals jedoch hatte Mia jede Silbe aufgesaugt, wie ein durstiges Kätzchen. Wie naiv sie gewesen war! Sie hatte zugelassen, dass er sie schamlos ausnutzte und manipulierte!

Am liebsten wollte sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen!

Aber nur Feiglinge liefen davon. Und Mia mochte vieles sein, aber feige war sie bestimmt nicht. Nicht mehr. Sie war erwachsen geworden. Vor sechs Jahren hatte ihr Leben eine unerwartete Wendung genommen. Aber sie hatte sich aufgerappelt und ihren eigenen Weg gefunden. Früher hatte sie sich auf die Hilfe anderer verlassen. Heute kam sie sehr gut allein zurecht. Sie brauchte niemanden. Und ganz bestimmt nicht Theo Aeton!

Dennoch zog sie den Bauch ein, um seine Aufmerksamkeit nicht unnötig auf die paar zusätzlichen Pfunde zu lenken, die sich seit ihrer Trennung um ihre Hüften gesammelt hatten. Wenn sie nur nicht ausgerechnet heute diese ausgebeulte Jeans und ein ungebügeltes T-Shirt trüge!

Unwirsch schüttelte sie den Kopf. Sie musste sich der Wirklichkeit stellen. Schließlich war das Leben kein Wunschkonzert. Und schon gar kein Märchen.

Hatte sie unbewusst nicht immer erwartet, dass Theo Kontakt mit ihr aufnähme? Seit dem schicksalhaften Tag ihrer Hochzeit hatten sie kein Wort gewechselt. Vielleicht wollte er nach sechs Jahren einen Schlussstrich ziehen? Endlich die Scheidung einreichen, weil er den nächsten Schritt gehen wollte? Sollte er nur nicht glauben, er könne sie damit verletzen!

„Theo!“ Unwillkürlich entfuhr ihr sein Name. Der Klang hörte sich schockierend vertraut an.

„Mia.“ Wie schwere Tropfen hingen die beiden Silben in der schwülen Luft. Zwischen den Schweißperlen in Mias Dekolleté jagten elektrisierende Schauer über ihre Haut. Wie damals, als er jeden Zentimeter ihres Körpers mit Küssen bedeckt hatte …

Genug! Sie musste ihre Gedanken im Zaum halten!

Doch das war viel verlangt. Wie sollte sie die Erinnerung an seine Liebkosungen verdrängen, die ihr selbst nach all den Jahren die Sinne zu rauben drohten?

Mia nahm all ihre Willenskraft zusammen. Sie straffte die Schultern und reckte das Kinn. „Was für eine Überraschung. Du bist der Letzte, den ich hier erwartet hätte.“

„Und doch bin ich nun da“, erwiderte er mit dieser leisen Stimme, die ihr direkt unter die Haut ging.

Ihr Herz klopfte wie wild.

Urplötzlich legte sich eine Schicht blanken Eises über seine feinen Gesichtszüge. In seinem kühlen Blick schimmerte etwas Dunkles. Wo eben noch ein verführerischer Funke glomm, flackerte nun ein gefährliches Feuer.

„Willst du mich nicht hereinbitten?“ Ein Hauch bitterer Ironie verlieh seinen Worten ungeahnte Schärfe. „Oder bringt dich mein Anblick derart aus der Fassung, dass dir selbst das geringste bisschen an Höflichkeit abhandengekommen ist?“

Natürlich lag er richtig. Mias Knie zitterten so heftig, dass sie es kaum wagte, den Türrahmen loszulassen. In ihrem Kopf wirbelten Millionen Bilder und Gedanken durcheinander, und in ihren Eingeweiden rangen die widersprüchlichsten Gefühle miteinander.

Mit schier übermenschlicher Überwindung schob sie die Tür ein Stück weiter auf.

„Ich habe dich zwar nicht eingeladen, Theo, aber nachdem du den weiten Weg nach London gekommen bist, kannst du ebenso gut hereinkommen.“

Sie trat einige Schritte zurück. Der Flur ihrer kleinen Wohnung war schmal, und sie wollte diesem Mann um keinen Preis zu nahe kommen.

Du belügst dich doch selbst! Du sehnst dich nach seiner Nähe. Insgeheim träumst du davon, dich an seine starke Brust zu schmiegen, seine atemberaubenden Küsse auf deiner Haut zu spüren, dich in seinen Liebkosungen zu verlieren. So wie früher! Wie damals, als er dir das Gefühl gab, du wärst sein Ein und Alles.

Hör auf damit! rief sie sich selbst zur Ordnung.

„Warum hast du nicht vorher angerufen?“

Theo schloss die Tür hinter sich und musterte Mia einen Moment. Er wählte seine Worte stets mit Bedacht. Er hatte erwartet, Mia kühlen Kopfes entgegentreten zu können, hegte er doch keinerlei Gefühle mehr für sie. Ganz unvermittelt überkam ihn eine völlig unerwartete Regung. Eine seltsame Verwirrung seiner Sinne. Er war kein Mann, der die Fassung verlor! Oder sich gar verletzbar machte. Schon gar nicht vor ihr! Nein, das durfte nicht noch einmal geschehen.

Unwillig verzog er den Mund. Dies war kaum der passende Moment, um um Worte verlegen zu sein und irgendwelchen Gefühlen die Oberhand zu lassen! Ausgerechnet jetzt drängte die alte Wut an die Oberfläche, die seit sechs Jahren in seinem Inneren schwelte. Und mit ihr die Bitterkeit, die nach den Hyazinthenblüten schmeckte, die seine Landsleute als Delikatesse schätzten.

Diese Frau hatte all seine Träume zunichtegemacht, als sie ihn in der Hochzeitsnacht sitzenließ! Hatte sie ihm nicht ein für alle Mal vor Augen geführt, was er stets gewusst hatte: Die Welt war ein schlechter Ort. Es gab keine Sicherheit.

Zeit seines Lebens hatte ihn dieser Zynismus über Wasser gehalten. Mit Mia hatte er an das Gute glauben wollen. Aber das war lange her.

Mit hochgezogenen Brauen ließ er seinen Blick jetzt über ihren Körper schweifen.

Ihre vollen Kurven betörten seine Sinne wie eh und je. Obwohl sie eher klein war, wirkte sie kein bisschen plump. Ihr dichtes, kastanienbraunes Haar, das er als chaotischen Lockenschopf in Erinnerung hatte, war in einen Handtuchturban gewickelt. Einige feuchte Strähnen rahmten ihre stolzen Gesichtszüge, die sie von ihren griechischen Ahnen geerbt hatte. Die langen, tiefschwarzen Wimpern verbargen ihre halb geschlossenen blauen Augen. Ihre sanft geröteten Wangen betonten den ebenmäßig olivbraunen Teint.

Die alten Jeans und das zerknitterte T-Shirt legten den Schluss nahe, dass sie niemanden erwartete. Keinen namenlosen Mann, den er hinauswerfen musste. Theos Gesichtszüge verhärteten sich. Das machte es leichter. Und es machte ihn seltsam zufrieden.

Er blickte sich in dem kleinen Zimmer um. Mias Lebensumstände boten keinerlei Anhaltspunkt, dass sie einer der wohlhabendsten und angesehensten Familien Griechenlands, wenn nicht Europas entstammte. Ein schmales Bett, ein zweckmäßiger Kleiderschrank und eine niedrige Kommode. Ein wenig erinnerte die Einrichtung an ein Krankenhaus.

Niemals hätte er sich träumen lassen, dass Mia so lebte!

„Ich wollte dich überraschen.“ Das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Doch er sagte die Wahrheit. Natürlich hatte er sich gefragt, wie sie reagieren würde, wenn er unverhofft vor ihrer Tür auftauchte. Er hatte erwartet, Wehmut und Reue in ihrer Miene zu entdecken. Doch keineswegs! In ihren Gesichtszügen zeichnete sich nur Müdigkeit und eine kaum verhohlene Feindseligkeit ab.

Seltsamerweise beruhigte ihn das. War das nicht der Beweis dafür, wie unvernünftig ihre Verbindung von Anfang an gewesen war?

Je schneller er sich ganz von ihr lossagte, desto besser.

„Nun, das ist dir gelungen. Ich bin sehr überrascht.“ Sie schnitt eine Grimasse. „Wie hast du mich gefunden?“

Das billige T-Shirt schmiegte sich eng an ihre Rundungen. Theos Mund wurde trocken. Wie kam es, dass er ihren Reizen immer noch nichts entgegenzusetzen hatte?

Damals hatte er sein Begehren immer wieder gezügelt. Er hatte erst dann ganz eins mit ihr werden wollen, wenn sie seine Frau war. Wie dumm er doch gewesen war! Wie romantisch und naiv! Er hätte mit ihr schlafen sollen, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. All die Male, als sie sich hingebungsvoll an ihn schmiegte, als sie voll ungestillter Sehnsucht und rohem Verlangen stöhnte – all die Male, die er seiner eigenen unstillbaren Sehnsucht hatte nachgeben wollen! Warum nur hatte er unbedingt das Richtige tun wollen? Warum nur hatte er gewartet?

„Ein Mann wie ich kommt immer an die Informationen, die er braucht“, entgegnete er kühl. „Wenn du es genau wissen willst: Ich habe jemanden beauftragt, deinen Aufenthaltsort herauszufinden.“

„Meine Güte! Ein Privatdetektiv! Das Telefonbuch wäre wohl zu einfach gewesen!“ Ihre Brauen schnellten so hoch, dass sie beinahe unter dem Rand ihres Handtuchturbans verschwanden, der ihre kupferfarbenen Locken verbarg. „Soll mich das beeindrucken?“

Er zuckte die Achseln. „Warum nicht? Du bist auch nur ein Mensch.“ Mit einem Mal erinnerte er sich an den Grund seines Besuchs. „Zur Sache. Du musst mit mir nach Griechenland kommen, Mia. Dein Großvater ist sehr krank.“

Ihre Lippen wurden schmal, und ein dunkler Schatten legte sich über ihre großen blauen Augen.

„Wie krank?“, flüsterte sie.

„Was soll ich sagen? Er ist über 80 Jahre alt. Alles Weitere wüsstest du selbst, wenn du nicht den Kontakt zu ihm abgebrochen hättest.“

„Ganz so einfach ist es nicht“, widersprach sie. „Er hat mich verstoßen. Das sollte dir klar sein, Theo. Ich habe ihn wieder und wieder kontaktiert, doch er hat nie geantwortet.“

„Er hat eben seinen Stolz. Nach dem Skandal, den du an unserer Hochzeit veranstaltet hast, kannst du kaum erwarten, dass er dich mit offenen Armen empfängt.“

„Ich möchte nicht über unsere Hochzeit reden.“ Sie biss sich auf die Unterlippe.

„Gut. Ich auch nicht.“ Theo presste die Kiefer fest aufeinander. Unter diese unsägliche Episode seines Lebens hatte er längst einen Strich gezogen. Er hatte Mia nicht aufgesucht, um ihre gemeinsame Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Er wollte lediglich einem alten Mann einen Gefallen tun. Selbst wenn der ihn nicht darum gebeten hatte.

Theo verdankte Georgios Minotis alles. Allein deswegen war er hier. Allein deswegen trat er ausgerechnet der Frau gegenüber, die er am liebsten für alle Zeit aus seinem Gedächtnis verbannt hätte. Er musste sich und seine Gefühle im Griff haben! Sie war nichts als eine alte Bekanntschaft.

„Du solltest ihn besuchen. So bald wie möglich.“

„Liegt er im Sterben?“

Tiefer Schmerz verdunkelte ihre Augen, und Theos Herz zog sich zusammen. Diesem Blick hatte er nichts entgegenzusetzen. Auch dafür verfluchte er Mia.

„Ja. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Mann mit dem Herz eines Löwen und dem Körper eines Bullen ist gealtert.“ Nun schwammen ihre meerblauen Augen in Tränen. Theo hielt der Verzweiflung in ihrem Blick stand. „Du solltest dich auf einen Schock gefasst machen.“

Sie nickte. „Hat er nach mir gefragt?“

Einen Herzschlag herrschte Schweigen. Sollte er ihr die Wahrheit sagen? Würde sie seine Beweggründe verstehen? Am Ende würde sie ihm dankbar sein. Das wusste er. Schließlich gab er ihr die Gelegenheit, Abschied von einem geliebten Menschen zu nehmen. Theo selbst war so eine Gelegenheit einst verwehrt geblieben.

„Er möchte dich sehen.“ Er sah sich rasch um. „Wie rasch kannst du reisefertig sein?“

Seine Frage erinnerte Mia daran, dass sie aus völlig unterschiedlichen Welten kamen. Das war auch früher so gewesen. Sie hatte es nur nicht gleich erkannt. Möglicherweise hatte sie es nicht wahrhaben wollen, weil sie fest an ihre Liebe geglaubt hatte. Natürlich hatte das ihre Sicht auf die Dinge getrübt.

Kurz nach ihrer Trennung hatte sie die Nachrichten über ihn noch im Internet verfolgt. Doch sie merkte schnell, wie sehr sie die Bilder und Informationen belasteten. Kürzlich hatte ein Hotelgast ein Finanzmagazin in einem der Zimmer liegen gelassen, auf dessen Titelseite das markante und atemberaubend gut aussehende Konterfei ihres entfremdeten Ehemanns prangte. Natürlich hatte sie den zugehörigen Artikel überflogen. Seine Erfolge als Hedgefonds-Manager stellten alles bisher Dagewesene in den Schatten. Was auch immer das bedeutete. Jedenfalls hatte er sich ein Vermögen erarbeitet.

Selbst wenn sie nicht um seinen beträchtlichen Reichtum gewusst hätte, strahlte Theo die Überlegenheit eines überaus erfolgreichen Geschäftsmannes aus. Mia straffte die Schultern. Sie wollte sich nicht kleinmachen! Schließlich verdankte er seinen Erfolg nur ihr! Hatte er seine Ambitionen nicht auf ihre Kosten verwirklicht?

Und doch lag in seinem Auftreten nicht der geringste Hauch Scham, nicht ein Quäntchen Reue.

Aber das war kein Thema, das sie jetzt aufbringen wollte. Sollte er bloß nicht denken, dass sie noch über ihre gemeinsame Vergangenheit nachdachte! Was geschehen war, war geschehen! Heute machte ihr das alles rein gar nichts mehr aus.

„Ich kann nicht alles stehen und liegen lassen. Ich arbeite hier im Hotel.“ Sie machte eine ausholende Geste. „Und ich lebe auch hier.“

„Das ist mir bekannt.“

Der Detektiv. Natürlich. Mia fragte sich, was Theo sonst noch in Erfahrung gebracht hatte. Wusste er, wie bescheiden sie lebte? Beinahe wie eine Nonne? Ihre Lebensumstände mussten ihm befremdlich erscheinen. Schließlich waren sie meilenweit vom Glanz und Glamour seiner Welt entfernt. Hatte diese Einsicht ihn überrascht? Oder war er erleichtert, dass sie beide nichts mehr verband?

Das Donnergrollen schien näher zu kommen.

Mit einem Finger fuhr Mia den Ausschnitt ihres verschwitzten T-Shirts entlang. „Dann wirst du auch wissen, dass ich gerade erst befördert worden bin. Man schätzt meine Arbeit, und man verlässt sich auf mich.“

„Niemand ist unersetzbar“, erwiderte er lässig, „nicht einmal du, Mia. Sag deinem Vorgesetzten, dass du wegen eines Trauerfalls Urlaub nehmen musst.“ Er zuckte die Achseln. „Falls dein Großvater dir das wert ist.“

Was erlaubte er sich? Seine unverschämte Unterstellung traf Mia ins Mark.

In der Vergangenheit hatte sie Theo stets für unfehlbar gehalten. Sie hatte ihn vergöttert und seine Einschätzung nie in Zweifel gezogen. Wie oft war sie seinem starken Willen allzu rasch und bereitwillig gefolgt!

Heute war sie eine andere. Sie nahm die Dinge nicht mehr hin. Statt sich dem Urteil anderer zu beugen, bildete sie sich eine eigene Meinung und handelte entsprechend.

Ihr Großvater war schwer krank. In ihrer Kindheit und Jugend hatte sie ihre jährlichen Sommerferien auf seinem Anwesen an der griechischen Küste verbracht. In ihrer Erinnerung strahlten diese Wochen wie eine Oase aus Wärme und Licht, die den grauen Alltag in England erhellte. Obwohl Georgios keinen Hehl aus seinem Hass auf Mias Mutter gemacht hatte, war er seiner Enkelin stets voll Liebe und mit großer Zuwendung begegnet. Doch nach dem Skandal um ihre Hochzeit hatte er sie kategorisch aus seinem Leben ausgeschlossen. Erst hatte sie nicht wahrhaben wollen, wie leichtfertig ihr geliebter Großvater sie verstieß. Der Schmerz drohte sie selbst heute noch zu überwältigen. Und doch hatte ein Teil von ihr stets geglaubt, dass er sie zu Recht so behandelte. Dass es besser war, ihn nie wiederzusehen. Wenigstens brauchte sie keine Ausreden zu erfinden, warum sie ihn nicht besuchen konnte. Wenigstens ließ sich so jedes Risiko vermeiden, dass sie je wieder dem Mann gegenübertreten musste, dem sie voll mädchenhafter Naivität das Jawort gegeben hatte.

Es hatte lange gedauert, bis Mia sich eingestanden hatte, wie sehr sie ihren Großvater vermisste und wie sehr sie ihr Zerwürfnis schmerzte. Sie liebte ihn immer noch. Denn Liebe, so viel hatte sie über die Jahre gelernt, ließ sich nicht einfach abstellen. Die Entfremdung zu ihrem Großvater berührte sie viel tiefer als das Scheitern ihrer lächerlich kurzen Ehe mit Theodoros Aeton. Sie reckte das Kinn. Wenn Georgios Minotis auf dem Sterbebett nach ihr fragte, würde sie kommen.

„Natürlich komme ich. Ich werde alle notwendigen Vorkehrungen treffen und den nächstmöglichen Linienflug nach Athen buchen.“

Mit einer ungeduldigen Handbewegung, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen, wehrte Theo ihre Worte ab. „Mein Privatjet ist jederzeit startklar.“

„Dein Privatjet?“ Sie konnte ihr Staunen nicht ganz verbergen.

Als Junge hatte Theo auf der Straße gelebt und im Hühnerstall ihres Großvaters Eier gestohlen. Nun besaß er sein eigenes Flugzeug.

Ein harter, kalter Schleier verdunkelte seinen Blick.

„Da staunst du, nicht wahr? Ob du es glaubst oder nicht, ich habe hart dafür gearbeitet. Du brauchst nicht zu denken, dass ich noch immer alles stehle, was nicht niet- und nagelfest ist.“

„Ich denke im Grunde gar nichts“, erwiderte sie hastig. Sie trat einen Schritt zur Seite, um das Fenster weit zu öffnen. Vielleicht käme ein Windhauch, der die drückende Schwüle im Raum umwälzen würde … Doch nicht das kleinste Lüftchen regte sich.

Wieso konnte Theodoros Aeton jeden ihrer Gedanken so klar lesen, als stünde er ihr auf die Stirn geschrieben? Das war zutiefst verstörend. Einst hatte sie ihm ihr Herz geöffnet. Kannte er sie auch heute noch in- und auswendig? Mia hatte sich geschworen, nie wieder so dumm und naiv zu sein. Niemals wieder wollte sie sich derart verletzbar machen.

Mittlerweile hatte sie sich an ihr neues Leben als Single gewöhnt. Natürlich fühlte sie sich manchmal einsam. Aber das tat lange nicht so weh, wie verlassen zu werden. Die Einsamkeit war eine Tatsache, mit der sie sich abgefunden hatte. Und die ihr Leben einfacher machte.

„Ich ziehe es vor, allein zu reisen.“

Sein Lächeln gab den Blick auf seine perfekten Zähne frei und erinnerte sie an einen Wolf. War sie Rotkäppchen? Zusammen mit einigen weiteren Schweißperlen rann ein prickelnder Schauer Mias Wirbelsäule hinab.

„Kann ich verstehen“, entgegnete er mit samtiger Stimme. „Aber für solche Befindlichkeiten bleibt keine Zeit. Ich biete dir Flug und Unterkunft. Du solltest einwilligen, wenn du deinen Großvater noch einmal sehen möchtest.“

„Unterkunft?“ Sie sah ihn mit großen Augen an. „Ich werde sicherlich nicht bei dir wohnen! Im Haus meines Großvaters gibt es genug Platz.“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht, seit das Pflegepersonal dort eingezogen ist. Meine Villa liegt nicht weit von seinem Anwesen entfernt.“

Mia schluckte. Natürlich. Theo und ihr Großvater hatten sich seit jeher prächtig verstanden. Manchmal hatte sie sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass Georgios Minotis seinen Ziehsohn mehr liebte als sein eigenes Fleisch und Blut. Als ihren Vater. Oder sie selbst. Diesen verrückten Gedanken wischte sie auch jetzt rasch fort. Theo war Waise. Für ihren Großvater war er ein unbeschriebenes Blatt, während seine Enkelin eine lange komplizierte Familiengeschichte mitbrachte. Die Geschichte ihres Vaters, des einzigen Nachkommen der Minotis-Dynastie, der einfach verschwunden war. Oder die Geschichte ihrer narzisstischen Mutter, die nie vom Schwiegervater akzeptiert worden war. Obwohl Mia keinen Anteil an den Versäumnissen ihrer Eltern hatte, schien ihr Großvater ihr deren Fehler anzulasten.

Im Grunde hatte er seine Enkelin immer nur als Tochter ihrer Eltern betrachtet. Er hatte sie nie als eigenständige Person wahrgenommen. Leider hatte Mia das erst erkannt, als er sie bereits verstoßen hatte.

Theos abschätziger Blick lag weiter auf ihr. Mit einem Mal drängten Erinnerungen an ihre gemeinsamen Stunden vor Mias inneres Auge. An ihr Verlangen nach seinen Berührungen. An ihre Sehnsucht nach seiner Nähe. Das war nun wirklich kein passender Zeitpunkt!

„Wie kannst du auch nur daran denken, dass ich mit dir unter einem Dach wohnen würde?“, schnaubte sie.

„Was spricht dagegen? Sicher erwartest du so wenig wie ich, dass wir unsere Ehe im Nachhinein noch vollziehen werden?“ Seine Worte waren so schneidend wie sein Ton. „Ich denke, ich habe hinreichend bewiesen, dass ich mich zügeln kann.“

Mias Herz schlug heftig. „Wie kannst du so voll Hass sein?“

„Ich stelle mich nur der Realität. Außerdem ist mein Anwesen so groß, dass wir uns nicht einmal begegnen müssen, wenn wir es nicht wollen.“ Seine Augen funkelten. „Selbstverständlich steht dir frei, ein Zimmer in der Stadt zu nehmen und mit dem Taxi zum Haus deines Großvaters hinauszufahren. Reine Zeit- und obendrein Geldverschwendung, wenn du mich fragst.“ Er ließ seinen Blick durch das enge Zimmer schweifen. „Und du scheinst nichts davon im Überfluss zu haben.“

Dann warf er einen ungeduldigen Blick auf die Uhr. „In exakt vierzig Minuten habe ich ein geschäftliches Meeting, und ich habe weder Zeit noch Lust, bis dahin mit dir zu diskutieren. Mein Angebot steht. Nimm es an, oder lass es.“

Mia ballte ihre Hände zu Fäusten. Ihre kurz gefeilten Nägel gruben sich schmerzhaft in ihre Handflächen.

Sie sollte ihn hassen.

Ja, sie hasste ihn.

Wenn nur ihr dummer Körper aufhörte, derart ungestüm nach ihm zu verlangen! Ihr dummer, ausgehungerter Körper, der sich an die Vergnügungen erinnerte, die dieser Mann ihm vor so vielen Jahren bereitet hatte; der die Versprechungen nicht vergessen hatte, mit denen dieser Mann ihn einst gelockt hatte.

Bevor sich alles von einem Augenblick auf den anderen in Schall und Rauch aufgelöst hatte. Unwiederbringlich. 

Theodoros Aetons jungfräuliche Braut war Jungfrau geblieben.

Zwar hatte sie sich eingeredet, dass ihr das nichts ausmachte. Doch damit hatte sie sich nur selbst belogen.

Autor

Sharon Kendrick
<p>Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
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