Wes - Wächter der Nacht

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Operation Heartbreaker: Besiege die Gefahr, vertraue deinen Freunden - und verschenke nie dein Herz.

Für Navy SEAL Wes Skelly ist Los Angeles die Stadt der Engel. Denn hier lebt Lana, die er liebt und niemals haben kann, weil sie bereits verheiratet ist. Kein Wunder, dass Wes die City meidet - bis er Lanas Schwester in L.A. vor einem Stalker beschützen muss und sich jeden Tag aufs neue mit seinem Dilemma konfrontiert sieht. Frustriert lässt er sich schließlich zu einem Blind Date mit einer anderen überreden. Und findet in der hübschen Brittany überraschend eine mitfühlende, herzliche Freundin, auch wenn von Romantik zwischen ihnen keine Rede sein kann. Aber dann ist Lana plötzlich frei für die Liebe. Und Wes erkennt, dass manche Entscheidungen viel komplizierter sind, als er gestern noch geschworen hätte.


  • Erscheinungstag 10.12.2011
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 9783862781324
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Brittany Evans verabscheute es, zu spät zu kommen. Aber die Parkplatzsuche gestaltete sich schwierig, und schon vorher hatte sie viel zu lange gebraucht, um sich zu entscheiden, was sie anziehen sollte. Als ob das eine Rolle spielte …

Sie trat aus der Tür, die von den Umkleideräumen des College-Baseballstadions aufs Spielfeld führte, und ließ den Blick über die Leute am Hotdogstand schweifen.

Da stand er.

Unter dem Vordach, gegen den Nieselregen geschützt, lehnte er mit dem Rücken zu ihr an der Wand und schaute den Spielern auf dem Spielfeld zu.

Zumindest glaubte sie, dass er es war. Sie waren sich noch nie begegnet. Halt, doch, ein Mal. Aber da hatten sie sich höchstens zweieinhalb Sekunden gesehen. Brittany, darf ich vorstellen, Wes Skelly – die Rangbezeichnung war ihr sofort wieder entfallen. Wes, das ist Melody Jones’ Schwester Britt.

Hallo, wie geht’s. Nett, Sie kennenzulernen. Ich muss weg.

Der Mann, der vielleicht oder vielleicht auch nicht Wes Skelly war, warf einen Blick auf seine Uhr und schaute dann hinüber zum Haupteingang des Stadions. Seine Haare waren länger und heller, als sie es in Erinnerung hatte. Wobei man wohl kaum einer Erinnerung trauen konnte, die sich auf eine Begegnung von kaum zweieinhalb Sekunden Dauer stützte.

Er drehte sich leicht; jetzt konnte sie sein Gesicht besser sehen. Wes lächelte nicht. Im Gegenteil. Er wirkte ein wenig angespannt, verärgert. Hoffentlich war er nicht sauer, weil sie sich verspätet hatte. Nein, vermutlich ärgerte es ihn, dass er sich überhaupt auf dieses Treffen mit ihr eingelassen hatte. Sie hatte in den letzten Jahren eine Menge über diesen Mann gehört. Wenn dieser Mann denn Wes Skelly war.

Er musste es einfach sein. Niemand sonst sah auch nur ansatzweise so aus, als könnte er ein Navy-SEAL sein.

Der Mann war etwa eins achtundsiebzig, nicht gerade groß für einen Navy-SEAL – ganz anders als ihr Schwager oder dessen guter Freund Senior Chief Harvard Becker. Aber Wesley Skelly hatte etwas an sich, das ihm den Anschein gab, zu allem fähig und vielleicht ein wenig gefährlich zu sein.

Er trug Zivilkleidung: eine kakifarbene Hose, Hemd, Krawatte und einen dunklen Blazer. Der Ärmste. Wenn man Mel glauben durfte, dann schwamm Wes lieber in haiverseuchten Gewässern herum, als sich herauszuputzen.

Andererseits ging es ihr gar nicht so viel anders. Hatte sie doch extra diese dummen hochhackigen Sandalen angezogen statt die bequemen flachen, die sie üblicherweise bevorzugte. Sogar deutlich mehr Make-up als sonst hatte sie aufgelegt.

Sie hatten sich verabredet, sich zum Spiel zu treffen und dann essen zu gehen, nicht in der örtlichen Pizzeria, sondern in ein nettes Restaurant.

Beide hatten nicht mit dem Regen gerechnet, der ihnen ihren schönen Plan verdarb.

Wes schaute schon wieder auf die Uhr und seufzte.

Und Brittany erkannte, dass er nur so unbeteiligt und gelassen tat. Er stand scheinbar still, war aber trotzdem irgendwie ständig in Bewegung, trommelte mit den Fingern, verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, suchte in seinen Taschen nach irgendetwas, schaute auf die Uhr. Am liebsten wäre er wohl wie ein Tiger im Käfig auf und ab gewandert, aber er beherrschte sich.

Du meine Güte, so sehr hatte sie sich doch gar nicht verspätet!

Natürlich konnte es sein, dass ihre fünf Minuten gar nicht das Problem waren. Vielleicht stand dieser Mann einfach nie still. Na toll, genau das, was sie brauchte: eine Verabredung mit einem Kerl, der am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom litt.

Im Stillen verfluchte Brittany ihre Schwester, als sie sich dem Mann näherte und ein Lächeln aufsetzte. „In Ihren Augen steht dasselbe wie in meinen: Himmlischer Vater, bewahre mich davor, Freunden und Verwandten jemals wieder einen Gefallen zu tun!“, sagte sie. „Also müssen Sie Wes Skelly sein.“

Er lachte, und dieses Lachen veränderte sein Gesicht völlig. Sämtliche harten Linien wurden weicher, und seine blauen Augen funkelten plötzlich.

Ire. Verdammt, der Mann hatte garantiert Iren unter seinen Vorfahren.

„Dann sind Sie Brittany Evans“, erwiderte er und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie war warm, sein Händedruck fest. „Schön, Sie endlich mal kennenzulernen.“

Schöne Hände. Ein sympathisches Lächeln. Ein angenehmer, direkter Blick. Ein netter Kerl. Obendrein ein geschickter Lügner. Sie mochte ihn sofort, trotz eines möglichen ADS.

„Tut mir leid, dass ich mich ein paar Minuten verspätet habe“, entschuldigte sie sich. „Ich musste fast bis nach Arizona fahren, um einen Parkplatz zu finden.“

„Ja, mir ist auch aufgefallen, dass es hier Parkplatzprobleme gibt“, gab er zurück und musterte ihr Gesicht. Wahrscheinlich fragte er sich, wie um alles in der Welt sie mit der umwerfend schönen Melody Jones verwandt sein konnte.

„Wir sehen uns nicht sehr ähnlich“, erklärte sie, „meine Schwester und ich.“

Ihre Direktheit überraschte ihn, aber er fing sich schnell wieder. „Wie bitte? So ein Unsinn! Ihre Augenfarbe ist ein wenig anders – ein anderer Blauton. Aber ansonsten sind Sie eine … Variation derselben schönen Melody.“

Ach du Schande! Was hatte ihr Schwager diesem Mann bloß erzählt? Dass sie leicht zu haben war? Mach ihr ordentlich den Hof, Skelly, und sie wird Wachs in deinen Händen sein, denn sie ist einsam und bedauernswert und hatte schon fast zehn Jahre keinen Mann mehr im Bett?

Warum war sie nur so dumm gewesen, Melodys Drängen nachzugeben? Ein Blind Date. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Okay, sie wusste, was sie sich dabei gedacht hatte. Mel hatte sie um den Gefallen gebeten, mit Wes Skelly auszugehen. Mel, ihre kleine Schwester, die es in ihrer typischen manipulativen Art mit ihren großen blauen Augen wieder und wieder schaffte, Brittany um den kleinen Finger zu wickeln. Mein einziger Geburtstagswunsch, hatte sie gesagt. Bitte, bitte, bitte …

Statt nachzugeben, hätte Brittany sich rundheraus weigern und ihr eine CD von Dave Matthews schenken sollen.

„Lassen Sie uns von vornherein etwas klarstellen“, erklärte Brittany entschlossen. „Ein paar Grundregeln. Regel Nummer eins: Wir schenken uns den ganzen Unfug. Klar? Keine Übertreibungen, keine Schmeicheleien. Ich erwarte Ehrlichkeit. Meine Schwester und Ihr Freund Cowboy haben uns dazu gebracht, uns diesen Höllentrip anzutun, aber die Regeln in diesem Spiel bestimmen wir. Einverstanden?“

„Ja“, gab er zurück, „natürlich, aber …“

„Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen zu schlafen“, informierte sie ihn kurz. „Ich bin weder einsam noch zu bedauern. Ich weiß genau, wie ich aussehe und wer ich bin, und bin ganz glücklich und zufrieden mit mir, vielen Dank. Ich bin hier, weil ich meine kleine Schwester liebe, obwohl ich ihr im Augenblick am liebsten den Hals umdrehen würde für das, was sie mir – und Ihnen – hiermit antut.“

Er öffnete den Mund, aber sie war noch nicht fertig und ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Ich kenne mein Schwesterchen, und ich weiß, was sie sich davon erhofft: dass wir einander tief in die Augen schauen, uns hoffnungslos ineinander verlieben und noch vor Jahresende heiraten.“ Sie hielt einen Sekundenbruchteil inne, um ihm prüfend in die Augen zu schauen. Schöne blaue Augen hatte er, aber ihre Freundin Julia hatte einen Alaska-Husky mit ebenso schönen blauen Augen. „Nein“, fuhr sie fort. „Hat bei mir nicht geklappt. Wie steht es mit Ihnen?“

Er lachte. „Tut mir leid, aber …“

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, unterbrach sie ihn erneut. „Die Leute glauben, wer allein lebt, ist einsam. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen?“

Er antwortete nicht sofort, sondern wartete ab, bis er sicher sein konnte, dass sie endlich alles gesagt hatte, was sie sagen wollte, und ihm jetzt wirklich das Wort erteilte.

„Ja“, erklärte er dann. „Und Leute, die nicht allein leben – Paare –, versuchen ständig, all ihre alleinstehenden Freunde zu verkuppeln. Ganz schön lästig.“

„Gut gemeint“, stimmte Brittany ihm zu, „aber ausgesprochen ärgerlich. Es tut mir leid, dass Sie meinetwegen in diese Situation geraten sind.“

„Kein Problem“, erwiderte er. „Ich meine, ich wollte sowieso nach L.A. kommen. Und wie oft hat Lieutenant Jones mich schon um einen Gefallen gebeten? Zweimal vielleicht. Wie oft hat er mir den Arsch gerettet? Unzählige Male. Er ist ein ausgezeichneter Offizier und ein guter Freund, und wenn er möchte, dass ich mit Ihnen essen gehe, okay, dann gehe ich eben mit Ihnen essen. Er hatte übrigens recht.“

Brittany war sich nicht sicher, ob ihr das Funkeln in seinen Augen oder sein Grinsen gefiel. Ihre Augen wurden schmal. „Womit?“

„Ich hatte tatsächlich Mühe, auch mal zu Wort zu kommen.“

Sie öffnete den Mund – und klappte ihn wieder zu. Öffnete ihn erneut. „Sie sind bei den SEALs aber auch nicht gerade als stilles Wasser bekannt.“

Sein Grinsen wurde breiter. „Das macht das Ganze umso erstaunlicher. Und Regel Nummer drei?“

Sie blinzelte überrascht. „Regel Nummer drei?“ Sie hatte keine drei Regeln im Sinn, nur diese zwei.

„Nummer eins lautet: keinen Sch… ähm, keinen Käse erzählen“, erklärte er. „Nummer zwei lautet: kein Sex. Das geht in Ordnung, denn daran liegt mir sowieso nichts. Ich bin einfach noch nicht so weit, mich mit wem auch immer so intensiv einzulassen, und nebenbei bemerkt: Obwohl Sie sehr hübsch sind – ich erzähle Ihnen keinen Käse, sondern meine das absolut ernst gemäß Regel Nummer eins –, sind Sie einfach nicht mein Typ.“

„Ihr Typ.“ Wow, das wurde immer besser. „Was oder wer wäre denn Ihr Typ?“

Er öffnete den Mund, aber sie boxte ihm in die Rippen, weil das Geschehen auf dem Spielfeld plötzlich ihre Aufmerksamkeit verlangte. Er hatte einen sehr massiven Brustkorb, obwohl sie in ihren hochhackigen Schuhen fast genauso groß war wie er.

„Merken Sie sich, was Sie sagen wollten“, befahl sie. „Andy ist dran.“

Gehorsam klappte Wes den Mund wieder zu. Sie wusste, dass er keine Kinder hatte, aber offensichtlich verstand er trotzdem, dass es für Eltern nun einmal nichts Wichtigeres oder Interessanteres gab als ihr eigenes Kind, wenn es mit dem Baseballschläger in der Hand auf dem Platz stand.

Ihr „Kind“ war neunzehn Jahre alt und hatte gerade ein Baseball-Stipendium fürs College bekommen. Ihr „Kind“ war fast eins neunzig groß, wog knapp einhundert Kilo, traf die meisten Bälle und beförderte sie meist weit über den Zaun, wenn nicht gleich bis in die nächste County.

Aber der Regen wurde gerade sehr viel stärker.

Den ersten Ball nahm Andy nicht an.

„Wie kann er bei dem Regen überhaupt etwas sehen?“, murmelte Brittany. „Er kann doch gar nichts sehen. Außerdem, was soll das? Es hat in Südkalifornien einfach nicht zu regnen.“ Das war einer der Vorteile des Umzugs von Massachusetts hierher gewesen.

Der Werfer holte weit aus, schleuderte den Ball von sich und … tock. Andys Schläger traf den Ball mit einem scharfen, dröhnenden Laut, der viel eindrucksvoller klang als das blutleere Klick, das bei Baseballspielen im Fernsehen zu hören war. Brittany hatte von alldem keine Ahnung gehabt, bevor sie Andy adoptierte und er mit derselben wilden Hingabe Baseball zu spielen begann, mit der er alle Herausforderungen seines Lebens anging.

„Jaaa!“ Der Ball flog über den Zaun, und Andy rannte los. Brittany begann abwechselnd zu klatschen und gellend auf den Fingern zu pfeifen.

„Cowboy sagte, Ihr Junge sei ganz gut.“

Ganz gut? Blödsinn!“, entgegnete Brittany. „Das ist sein einunddreißigster Home Run in diesem Jahr, wenn Sie es genau wissen wollen.“

„Sind schon Talentsucher auf ihn aufmerksam geworden?“

„Allerdings“, nickte sie. „In erster Linie, weil es noch einen anderen Jungen im Team gibt – Dustin Melero –, der eine Menge Aufmerksamkeit erregt. Er ist Werfer, eine echte Kanone, wissen Sie? Die Talentsucher kommen her, um ihn spielen zu sehen, aber seine Leistungen schwanken ziemlich stark, und es mangelt ihm noch an Reife. Im Endeffekt werden die Typen dann auf Andy aufmerksam und bleiben, um ihn näher unter die Lupe zu nehmen.“

„Werden Sie ihm erlauben, als Profi zu spielen, bevor er das College beendet?“

„Er ist neunzehn“, antwortete Brittany. „Ich erlaube ihm gar nichts. Es ist sein Leben, seine Entscheidung. Er weiß, dass ich ihn unterstützen werde, was immer er tun wird.“

„Ich wünschte, Sie wären meine Mutter.“

„Ich glaube, Sie sind ein bisschen zu alt, um von mir adoptiert zu werden“, lachte sie. Wes war tatsächlich deutlich jünger als sie, mindestens fünf Jahre, vielleicht sogar mehr. Was hatte ihre Schwester sich nur dabei gedacht?

„Wie alt war Andy, als Sie ihn adoptiert haben? Zwölf?“, fragte er.

„Dreizehn.“ Irischer Herkunft. Melody hielt Wes für irischer Abstammung, und sie glaubte, dass Brittany auf Männer stand, deren Augen schalkhaft funkelten und deren Lächeln sie von innen heraus strahlen ließ. Mel war sehr glücklich mit Cowboy, und sie hatte sich gut gemerkt, was Brittany ihr eines Abends vor vielen Jahren erzählt hatte, nachdem sie ein bisschen zu viel getrunken hatte: Was sie am Scheitern ihrer Ehe mit diesem Vollidioten Quentin am meisten bedauert habe, sei der Umstand, dass die Ehe kinderlos geblieben war. Sie hätte so gern ein Kind gehabt, ein eigenes Kind.

Nun ja, in Zukunft würde sie vorsichtiger sein und sich in Melodys Gesellschaft beim Alkohol zurückhalten.

„Man sollte Sie heiligsprechen!“, grinste Wes. „Sie haben einen dreizehnjährigen Halbstarken adoptiert? Alle Achtung!“

„Oh, ich bin alles andere als eine Heilige. Glauben Sie mir, ich … ich habe mich einfach in den Jungen verliebt. Er ist großartig.“ Sie versuchte es zu erklären. „Er wuchs ganz auf sich allein gestellt auf. Er hatte niemanden. Seine Eltern hatten ihn im Stich gelassen. Der Vater hatte Mutter und Kind sitzen lassen, und die Mutter wollte nichts von ihm wissen. Da war er also, sollte wieder einmal abgeschoben werden, in die wer weiß wie vielte neue Pflegefamilie. Und da war ich, und … ich wollte, dass er bei mir blieb. Natürlich lief das nicht ohne Probleme, klar, aber …“

Der Ausdruck in Wes’ Augen – eine Art nachdenklicher Intensität, soweit sie das beurteilen konnte – machte sie nervös. Dieser Mann war nicht etwa ein leichtfertiger Ire mit ADS, für den sie ihn zunächst gehalten hatte, und er war auch kein Zappelphilipp, obwohl es ihm sichtlich schwerfiel, länger still zu stehen. Nein, er war eher wie ein Blitz, bis zum Äußersten geladen mit kaum kontrollierbarer überschüssiger Energie. Und obwohl er Sinn für Humor hatte und unglaublich gewinnend lächeln konnte, hing ihm etwas Düsteres an. Er hatte Ecken und Kanten, und das machte ihn umso sympathischer.

Vorsicht, Gefahr! Gefahr!

„Sie wollten mir sagen, was oder wer Ihr Typ ist“, erinnerte sie ihn. „Und sagen Sie jetzt bitte nicht, dass Sie auf ‚süße junge Dinger‘ stehen! Obwohl, wenn es nach einigen meiner Patienten geht, bin ich auch süß und jung. Allerdings sind die schon in den Neunzigern …“

Das ließ sein Lächeln neu erstrahlen. „Mein Typ steht auf heiße Partys und tanzt dann auf den Tischen. Vorzugsweise nackt.“

Brittany prustete vor Lachen. „Sie haben recht – ich bin nicht Ihr Typ. Ich hätte es wissen sollen. Melody erwähnte irgendwann mal, Sie hätten ein Faible für die schönen Künste.“

„Sie meinte wohl eher Kampfkünste“, konterte er. Es regnete immer noch, und dank des wechselnden Windes bekamen sie hin wieder einen feinen Sprühregen ab. Er schien das gar nicht zu merken, und wenn doch, machte es ihm offenbar nichts aus. „Lieutenant Jones sagte mir, Sie seien nach L.A. gezogen, um wieder die Schulbank zu drücken. Sie wollten Krankenschwester werden.“

„Ich bin Krankenschwester“, stellte sie richtig. „Ich möchte mich selbstständig machen, einen Pflegedienst anbieten.“

„Das ist toll!“

Sie lächelte ihn an. „Ja, finde ich auch, danke.“

„Wissen Sie, wahrscheinlich möchte man uns verkuppeln“, meinte er, „weil alle wissen, wie oft ich eine Krankenschwester brauche. Ich könnte eine Menge Geld sparen, wenn ich nicht in die Notaufnahme müsste, um mich nähen zu lassen.“

„Ein Kämpfer, hm?“ Brittany schüttelte den Kopf. „Ich hätte es wissen müssen. Es sind immer die kleinen Männer …“ Sie brach mitten im Satz ab. Verdammt! Im Allgemeinen hörten Männer es gar nicht gern, wenn man sie als klein bezeichnete. „Tut mir leid, ich wollte nicht …“

„Kein Problem“, erwiderte er lässig. Wo hielt er sein berühmt-berüchtigtes aufbrausendes Skelly-Temperament versteckt? „Obwohl ich mich lieber als zu kurz geraten bezeichne. Bei klein denke ich an … gewisse andere Körperteile.“

Sie musste lachen. „Erstens: Ich dachte keine Sekunde an Ihre … gewissen anderen Körperteile. Und zweitens: Selbst wenn mir Derartiges durch den Kopf gegangen wäre, könnte das doch wohl egal sein, oder? Immerhin hatten wir schon geklärt, dass das hier nicht zum Sex führen wird.“

„Ich halte mich nur an Regel Nummer eins“, widersprach er. „Keine Übertreibungen, keine Schmeicheleien, rückhaltlose Offenheit.“

„Ach ja, richtig! Männer sind Schwachköpfe. Ist Ihnen das schon aufgefallen?“

„Klar doch“, antwortete er leichthin. Offenbar fühlte er sich in ihrer Gegenwart genauso wohl wie sie sich in seiner. Es war erstaunlich: Sie hatte das Gefühl, ihn schon seit Jahren zu kennen, und sie teilte ganz und gar seinen Sinn für Humor. „Und solange sich alle einig sind, dass Männer gut ausgestattete Schwachköpfe sind, stört uns das auch nicht.“ Er warf einen prüfenden Blick zum Spielfeld hinüber. „Sieht so aus, als würde das Spiel abgebrochen.“

Er hatte recht. Der Regen ließ nicht nach, und die Spieler räumten den Platz.

„Meinen Sie, das Spiel wird später fortgesetzt? Es macht mir nichts aus zu warten“, fügte Wes hinzu. „Wenn Andy mein Junge wäre, würde ich alles daransetzen, mir jedes Heimspiel anzusehen. Ich meine, selbst wenn er kein Spitzenspieler wäre, würde ich ihn spielen sehen wollen, verstehen Sie? Sie müssen mehr als stolz auf ihn sein.“

Wie nett er doch sein konnte! „Oh ja, das bin ich.“

„Möchten Sie drinnen warten?“, fragte er.

„Soweit ich weiß, ist für später am Nachmittag noch ein anderes Spiel angesetzt“, erklärte Brittany. „Für eine Regenpause ist keine Zeit. Sie werden das Spiel an einem anderen Tag wiederholen müssen. Jetzt ist jedenfalls Feierabend. Das Spiel ist zu Ende, und wir brauchen nicht zu warten.“

„Haben Sie Hunger? Wir könnten gleich essen gehen.“

„Gern, das wäre mir sehr recht.“ Überraschenderweise entsprach das der Wahrheit. Auf dem Weg hierher hatte Brittany sich ungefähr fünfundzwanzig verschiedene plausibel klingende Ausreden einfallen lassen, warum sie nicht gemeinsam essen gehen sollten, aber jetzt brauchte sie die nicht mehr. „Macht es Ihnen was aus, wenn wir erst in die Umkleidekabine gehen? Ich möchte Andy meine Autoschlüssel geben.“

„Ah“, machte Wes. „Ich habe also die erste Hürde genommen: Sie sind bereit, in mein Auto einzusteigen. Das freut mich.“

Sie ging voran. „Noch besser! Sie haben eine viel wichtigere Hürde genommen: Ich bin bereit, mit Ihnen essen zu gehen.“

Er hielt ihr die Tür auf. „Stand das denn infrage?“

„Ich hasse Blind Dates, solange ich denken kann“, gab Brittany zurück. „Sie müssen wissen: Dass ich mich überhaupt bereit erklärt habe, mich mit Ihnen zu treffen, liegt nur daran, dass ich meine Schwester sehr liebe.“

„Sie haben auch bei mir eine Hürde genommen“, lachte Wes. „Ich gehe nur mit Frauen essen, die auf keinen Fall Sex mit mir wollen. Oh, warten Sie … Verdammt! Das dürfte all die Jahre mein Problem gewesen sein …“

Sie kicherte, genoss das fröhliche Funkeln in seinen Augen, als er ihr die nächste Tür aufhielt, die ins Treppenhaus führte. „Süßer, ich wusste, dass ich gewonnen hatte, als du mich gebeten hast, dich zu adoptieren.“

„Und doch hast du abgelehnt“, konterte er. „Was soll mir das sagen?“

„Dass ich zu jung bin, um deine Mutter zu sein.“ Brittany ging vor ihm her die Treppe hinunter. Sie amüsierte sich köstlich. Wer hätte gedacht, dass Wes Skelly ihr so gut gefallen würde? Nach Melodys Anruf, bei dem sie ihr diese Verabredung abgerungen hatte, hatten Andy und sie ihn scherzhaft als „die Last“ bezeichnet. Er war die Last, die sie zum Geburtstag ihrer Schwester tragen musste. „Du kannst mir aber der jüngere Bruder sein, den ich schon immer haben wollte.“

„Hm, ich weiß nicht recht, ob das eine so gute Idee ist.“

Der Gang vor den Umkleiden war nicht so überfüllt wie üblicherweise nach einem Spiel, wenn die Freundinnen und Klassenkameraden der Spieler sich hier drängten. Heute standen nur ein paar durchnässte Fans herum. Brittany schaute sich suchend um, aber Andys Freundin Danielle war nicht da. Das war vermutlich auch besser so, denn Andy hatte ihr erzählt, dass Dani sich heute nicht gut fühlte. Wenn sie sich etwas eingefangen hatte, dann wäre es ihr bestimmt nicht bekommen, im Regen herumzustehen.

„Meine Erfolgsbilanz bei Schwestern hält sich in Grenzen“, fuhr Wes fort. „Ich neige dazu, sie zu verärgern, und dann laufen sie weg und heiraten meinen besten Freund.“

„Davon habe ich gehört.“ Brittany blieb vor der Tür zur Umkleide des Baseballteams stehen. Sie war nur angelehnt. „Mel hat mir erzählt, dass Bobby Taylor gerade deine Schwester geheiratet hat … Colleen, richtig?“

Wes lehnte sich an die Wand. „Hat sie auch erzählt, wie sehr wir uns vorher in die Haare gekriegt haben?“

Sie warf ihm einen Blick zu.

Er fluchte leise. „Natürlich hat sie es erzählt. Ich frage mich, warum die Geschichte nicht bis in die Nachrichten durchgedrungen ist.“

„Ich bin sicher, es war nicht ganz so schlimm, wie sie …“

„Oh doch“, unterbrach er sie. „Das war es. Ich habe mich wie ein kompletter Volltrottel benommen. Mich wundert nur, dass du dich trotzdem auf diese Verabredung eingelassen hast.“

„Was immer du auch getan haben magst, ein Kapitalverbrechen war es nicht. Meine Schwester hat dir offenkundig vergeben.“

Wes schnaubte abfällig. „Ja. Melody, natürlich. Sie ist ja auch so hart und unversöhnlich. Sie hat mir viel eher vergeben als Colleen.“

„Es muss schön sein zu wissen, dass man so gute Freunde hat.“

Er nickte. „Ja, da hast du recht. Das ist es wirklich.“

Ihre Blicke trafen sich, und wieder nahm sie es wahr: In seinen Augen lag etwas Undefinierbares, Düsteres, Trauriges. Und Brittany verstand. Mit diesem nach außen so fröhlich wirkenden Iren konnte sie eine Menge Spaß haben, und seine humorvolle Art würde ihr gefallen. Aber was ihr wirklich gefährlich werden, was ihn unwiderstehlich machen würde, wenn sie es zuließ, war seine verborgene Seite, seine Ecken und Kanten.

Er war ganz zweifellos ihr Typ. Aber Gott sei Dank war sie nicht seiner.

Eddie Sunamara, dritter Baseman im Team, steckte den Kopf zur Tür heraus. Seine Frau June gehörte zu den total durchnässten Fans. Ihre Augen begannen zu leuchten, als sie ihn sah, und er strahlte sie an. Die beiden waren nur zwei Jahre älter als Andy, ein Umstand, der Brittany jedes Mal aufs Neue erschreckte.

„Ich brauche noch zehn Minuten, Mrs S“, rief er June zu, und Brittany stöhnte unwillkürlich auf.

„Eddie, wie kann man nur so albern sein?“, fragte sie.

„Hallo, Britt.“

„Weiß du, wo Andy steckt?“, fragte sie.

Er deutete den Gang hinunter und verschwand wieder in der Umkleide.

Und tatsächlich, da war Andy. Am Ende des Ganges und mitten in einer offenbar sehr erbitterten Diskussion mit dem Starwerfer des Teams, Dustin Melero.

Andy war groß, aber Dustin überragte ihn um mehrere Zentimeter.

„Junge, ist der gewachsen“, stellte Wes fest, als er Andy entdeckte. „Ich habe ihn vor vier Jahren einmal gesehen, und da ging er mir gerade mal bis hier.“ Er hob die Hand auf Schulterhöhe.

Im selben Moment, während sie noch zu den beiden jungen Männern am Ende des Ganges hinüberschauten, ließ Andy seinen Baseballhandschuh fallen und schubste Dustin gegen die Schließfächer. Es krachte gewaltig.

Brittany setzte sich augenblicklich in Bewegung, aber Wes hielt sie sofort am Arm fest. „Nicht“, sagte er. „Lass mich das machen. Wenn du kannst, dreh dich einfach um und schau nicht hin.“

Klar doch, als ob sie das jemals tun würde …

Immerhin gelang es ihr, Wes nicht zu folgen, als er den Gang zu den beiden Kontrahenten hinuntereilte, die sich wütend anfunkelten und offenbar bereit waren, sowohl die Schulregeln als auch die Nase des jeweils anderen zu brechen.

Sie schaute zu, wie Wes sich einfach zwischen die beiden drängte. Was er sagte, konnte sie nicht hören – dafür stand sie zu weit weg –, aber sie konnte es sich vorstellen. „Was läuft, Jungs?“ Die beiden jungen Männer überragten ihn, aber trotzdem wirkte Wes größer als sie.

Andy schien innerlich zu kochen. Sein Gesichtsausdruck erinnerte an den dreizehnjährigen Straßenjungen, als den sie ihn einst kennengelernt hatte.

Er schüttelte nur immer wieder den Kopf, während Wes auf ihn einredete. Dustin lachte nur, aber dann sagte er etwas. Darauf drehte Wes sich um und widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem größeren Jungen.

Und dann, ganz plötzlich, packte Wes Dustin am Kragen, drückte ihn gegen die Schließfächer und redete nachdrücklich auf ihn ein.

Andys Gesichtszüge entgleisten. Brittany hätte sich über seinen Gesichtsausdruck amüsiert, wenn ihr nicht gleichzeitig durch den Kopf geschossen wäre, wie übel ein ausgewachsener SEAL einen zwanzigjährigen Idioten zurichten konnte.

Dustins überhebliches Lächeln war längst kreidebleicher Angst gewichen.

Schließlich hielt Brittany es keinen Moment länger aus und ging zu den dreien hinüber.

„… wenn du sie auch nur komisch anguckst, werde ich kommen und dich finden. Hast du verstanden?“, hörte sie Wes sagen.

Dustin schaute sie an. Andy schaute sie an. Aber Wes löste seinen Blick nicht von Dustin. Es war beunruhigend, und weil sie nicht wusste, was sie tun sollte, fragte sie aufgesetzt fröhlich: „Ist alles in Ordnung?“

„Hast du verstanden?“, fragte Wes noch einmal.

„Ja“, brachte Dustin mühsam heraus. Seine Stimme überschlug sich dabei.

„Gut“, erklärte Wes und trat zurück.

Und Dustin sah zu, dass er wegkam.

„Also“, wandte Brittany sich an Andy. „Das ist Wes Skelly.“

„Ja“, gab Andy zurück, „ich glaube, über die Vorstellungsphase sind wir schon hinaus.“

2. KAPITEL

Bemerkenswerterweise machte Brittany Evans ihn nicht zur Schnecke.

Bemerkenswerterweise wollte sie nicht sofort und auf der Stelle von ihm wissen, was um Himmels willen in ihn gefahren war, einem Jugendlichen, der gut ein Dutzend Jahre jünger war als er, mit Prügeln zu drohen. Ganz abgesehen davon, dass er dies vor den Augen ihres noch leicht zu beeindruckenden halbwüchsigen Sohnes getan hatte.

Tatsächlich sagte sie gar nichts zu dem Vorfall.

Wes nahm das als deutlichen Hinweis darauf, dass das Thema ganz sicher später zur Sprache kommen würde.

Aber auf der Fahrt zu einem Café in Santa Monica, nicht weit von dem Haus, in dem Brittany und ihr Sohn lebten, sprach sie nur über die Schwangerschaft ihrer Schwester und über gemeinsame Freunde und Bekannte.

Die Fragen, auf die er gewartet hatte, kamen erst, als sie am Tisch saßen, ihre Bestellung aufgegeben hatten und aßen.

„Du hast mich vorhin überrascht“, eröffnete Brittany das Thema. Kerzenlicht tauchte ihren Tisch in warmes Licht und ließ sie so verführerisch wirken, wie ihre jüngere Schwester niemals aussehen würde. Nicht in einer Million Jahren.

Wes hatte Melody immer für die hübschere der beiden Schwestern gehalten, und nach allgemeinen Vorstellungen war sie das auch. Brittanys Gesicht wirkte leicht kantig, ihr Kinn und ihre Nase waren ein wenig spitz. Aber im richtigen Moment aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet, war sie atemberaubend schön.

Sex kommt nicht infrage, rief er sich selbst zur Räson. Ja, diese Frau war sehr attraktiv, aber er hatte kein Interesse. Schon vergessen? Er musste einfach erst einmal das emotionale Chaos in seinem Kopf ordnen, bevor er mit einer Frau ins Bett stieg, die mehr an einer echten Beziehung interessiert war als an einer oder zwei heißen Liebesnächten.

Hinzu kam, dass sie wohl kaum Interesse daran hatte, sich mit ihm auf ein sexuelles Abenteuer einzulassen. Sie wirkte ganz und gar nicht, als sei sie der Typ für so etwas. Aber selbst wenn er sich in diesem Punkt irrte, würden seine Chancen sich in Luft auflösen, wenn er ihr die Wahrheit sagte: dass er ihr nicht mehr als eine oder zwei Nächte geben konnte, weil er eine andere liebte. Nein, nicht einfach eine andere. Lana Quinn. Die Frau eines Freundes. Die Frau von US-Navy-SEAL und -Chief Petty Officer Matthew Quinn alias Mighty Quinn alias verlogener, betrügerischer, untreuer Drecksack.

Brittany Evans saß ihm gegenüber am Tisch und schaute ihn aus Augen an, wie er sie liebte. Aus warmen Augen. Intelligenten Augen. Augen, die ihm sagten, dass sie ihn mochte und respektierte – und dass sie erwartete, von ihm ebenso respektiert zu werden.

Lana schaute ihn – nein, alle SEALs – so an.

„Ja“, sagte Wes schließlich, weil Brittany offenbar auf eine Reaktion wartete. „Ich war selbst ein wenig überrascht von meiner Reaktion.“ Er lachte, aber sie lachte nicht mit.

Sie beobachtete ihn nur, nahm dabei einen Schluck Bier aus der Flasche, und er gab sich Mühe, ihr nicht auf die Lippen zu schauen oder auch nur daran zu denken. Unterm Strich mochte er sie als Menschen viel zu sehr, um mit ihr als Frau herumzumachen, so attraktiv er sie auch fand.

Wenn sie einfach nur ein Mädel wäre, das ihm in einer Bar über den Weg lief, hätte er sich an sie herangemacht, um herauszufinden, ob sie vielleicht Interesse an einer unverbindlichen heißen Nacht hatte.

Gut. Immerhin war er Manns genug, um es zuzugeben. Wenn es egal wäre, würde er sich mit Brittany Evans einlassen. Ohne jeden Zweifel. Und sich Lana aus dem Kopf schlagen – denn wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, musste er das sowieso. Sie war verheiratet, verboten, tabu. Er konnte sie nicht haben, also gönnte er sich Vergnügen und Trost, wo er beides finden konnte. Und ließ sein Herz aus dem Spiel.

Aber es war nicht egal. Nicht einmal ansatzweise. Brittany war Cowboys Schwägerin. Das war vermutlich noch schlimmer, als wenn sie seine Schwester gewesen wäre. Ihrem Bruder würde sie nichts von einer heißen Nacht mit einem nahezu Fremden erzählen. Na ja, vermutlich nicht. Aber ihrer Schwester vielleicht schon. Zumal, wenn die Schwestern sich sehr nahestanden. Wie das bei Brittany und Melody ganz offensichtlich der Fall war.

Und dann erfuhr mit Sicherheit auch Cowboy davon. Gut wäre das ganz und gar nicht.

Nein, nichts dergleichen würde geschehen, nicht heute Nacht, nicht später. Oberflächlich und rein körperlich betrachtet war das sehr schade. Er hätte Brittany Evans wirklich äußerst gern nackt gesehen.

„Was hat er zu dir gesagt?“, fragte sie und schaute ihn auf ihre typische Art an, so als versuchte sie, ihm in den Kopf zu schauen und seine Gedanken zu lesen. Gut, dass sie das nicht konnte. „Melero, meine ich.“

„Der Junge ist ein totaler …“, Wes suchte kurz nach einer gesellschaftsfähigen Bezeichnung, „… Idiot.“

Brittany lächelte ihn an. „Du wolltest aber was anderes sagen.“

„Ich bemühe mich um eine anständige Wortwahl.“

„Das finde ich nett.“

Gott, ihr Lächeln war einfach umwerfend! Wes zwang sich, nicht ständig daran zu denken, was er heute Nacht alles nicht mit ihr anstellen würde. Genug der Selbstquälerei! Er konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. „Melero hat sich einfach wie ein Volltrottel benommen. Das passt auch – Volltrottel.“

„Ich bin ihm schon ziemlich häufig begegnet“, gab sie zurück, und ihre Augen wurden ein wenig schmal. „Ich weiß recht gut, dass er zu extrem idiotischem Verhalten neigt. Aber Andy weiß das auch. Was genau hat dieser Junge zu Andy gesagt, dass er so wütend reagiert hat?“

„Es ging um ein Mädchen“, antwortete Wes, unsicher, wie viel er ihr verraten durfte.

„Dani?“

„Ja, genau.“

„Sie ist Andys Freundin.“

„So viel habe ich verstanden“, erwiderte er.

„Was hat er gesagt?“, hakte sie noch einmal nach.

Wes umschrieb und fasste zusammen. Ihm war an diesem Nachmittag eine ganze Menge zu Ohren gekommen, was er nicht wiederholen wollte. Es ging ihn ja auch gar nichts an. „Melero hat Andy gesagt, dass er, na, du weißt schon, mit ihr geschlafen hat. Er hat es nur sehr viel weniger taktvoll ausgedrückt.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Brittany lachte verärgert. „Und Andy hat ihn nicht einfach stehen lassen? Was für ein Blödmann! Das Mädchen himmelt ihn an. Sie hat nur Augen für ihn. Ein nettes Mädchen. Zu wenig Selbstbewusstsein für meine Begriffe, aber was soll’s, sie ist ja noch jung. Kann alles noch kommen. Ich hoffe nur …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie zu Andy passt, und es täte mir sehr leid für sie, wenn sie schwanger würde. Ich predige nahezu rund um die Uhr, dass er Kondome benutzen soll. Er rollt nur noch mit den Augen.“

„Hm, ja, ich glaube, diese Sorge kannst du von deiner Liste streichen. Zumindest vorerst.“ Wes trank sein Bier aus, bevor ihm wieder einfiel, dass er eigentlich zum Essen bei einer Flasche hatte bleiben wollen. Mist. „Offensichtlich will Dani es sehr, sehr langsam angehen.“ Ach, warum sollte er Brittany nicht gleich alles erzählen? Es ging ihn zwar nichts an, aber offenbar sprach Andy mit seiner Mutter nicht über solche Dinge. „Sie ist eine bekennende Jungfrau.“

Brittany ließ ihre Gabel sinken. „Wie bitte?“

„Sie ist noch Jungfrau, und offenbar hat sie keine Hemmungen, das jedem zu erzählen. Sie lässt alle Welt wissen, dass sie nicht die Absicht hat, mit einem Jungen zu schlafen, bevor sie wirklich so weit ist.“

„Alle Achtung! Gute Einstellung. Ich hatte keine Ahnung, dass sie so viel Rückgrat hat.“

„Aber jetzt erzählt Melero jedem, dass er sie entjungfert hat, und …“ Großer Gott, was redete er da eigentlich? Und dann noch ausgerechnet vor Cowboys Schwägerin. „Er hat sich mehr als vulgär ausgedrückt, okay? Als ich hörte, was er gesagt hatte, hätte ich ihn am liebsten selbst an die Wand geklatscht.“

„Genau das hast du getan.“

Sie schaute ihn so eindringlich an, wie Mrs Bartlett, seine Lehrerin in der dritten Klasse, es getan hatte, und er musste lachen. Junge, Junge, er hatte seit Jahren nicht mehr an die selige Mrs B gedacht. „Ja“, sagte er. „Nein. Das habe ich erst getan, als er etwas anderes sagte.“

„Und das wäre?“

Es würde ihr nicht gefallen. „Ich bin zum Höhlenmenschen mutiert“, entschuldigte er sich vorab. „Es tut mir leid, dass ich mich vor deinem Jungen so verhalten habe. Ich habe ihm damit einen falschen Eindruck vermittelt, aber als dieser kleine Dreckskerl anfing zu lachen und sagte, du seiest heiß und stündest als Nächste auf seiner Liste …“

Einen winzigen Augenblick sah Brittany überrascht aus. Dann lachte sie, und ihre Augen sprühten Funken. „Süßer, das war doch nur ein Dummer-Jungen-Spruch! Und deine Mutter auch … Der Junge ist ein Volltrottel und ein Schulhofschläger, aber keine wirkliche Bedrohung für mich. Und selbst wenn er es wäre, könnte ich mich gut selbst gegen ihn wehren. Das kannst du mir glauben.“

„Ja, das ist mir sofort an dir aufgefallen“, sagte Wes, „und das habe ich ihm auch gesagt.“

„Und anschließend hast du ihm erzählt, du seiest Navy-SEAL, und wenn er mich auch nur anschaut, tätest du was mit ihm?“

Wes kratzte sich am Kinn. „Möglicherweise habe ich mein Tauchmesser erwähnt und seine rapide sinkenden Chancen auf Nachwuchs.“

Sie lachte erneut. Gott sei Dank. „Das muss in dem Moment gewesen sein, als er aussah, als würde er gleich in Ohnmacht fallen.“

„Alles in Ordnung? Schmeckt es Ihnen?“ Der Kellner war an ihren Tisch getreten, aber das Restaurant war voll, und er wartete nicht auf eine Antwort. Rasch sammelte er die leeren Bierflaschen ein. „Noch eins?“

„Ja, bitte.“ Brittany lächelte den Kellner an, und Wes schickte ein kurzes Dankgebet zum Himmel, dass sein Verhalten gegenüber Melero sie nicht davon abhielt, ihn zu mögen.

„Und Sie, Sir?“

„Ja. Nein, warten Sie! Lieber eine Cola.“

„Gern, Sir.“ Der Kellner verschwand.

„Ich versuche mich beim Alkohol zurückzuhalten.“ Wes fühlte sich gedrängt zu erklären, als ihr warmer Blick wieder auf ihm ruhte. „Ein Bier pro Abend. Im Moment werden aus zwei Flaschen einfach zu schnell gleich sechs, weißt du.“

„Finde ich gut“, sagte Brittany. „Zumal du fährst.“

„Ja, nun ja, betrunken bin ich unausstehlich. Das ist gar nicht gut. Schon gar nicht, wenn man mit jemandem Freundschaft schließen möchte.“ Warum zur Hölle erzählte er ihr das? Nicht mal mit Bobby sprach er über seine Ängste, zum Alkoholiker zu werden, und Bobby Taylor war sein bester Freund und sein Schwimmkumpel. „Dies ist ein sehr interessantes erstes Rendezvous. Wir sprechen über das Sexualleben deines Sohnes und meine möglichen Alkoholprobleme. Sollten wir nicht lieber übers Wetter reden? Oder über Filme, die wir uns angeschaut haben?“

„Es hat Gott sei Dank endlich aufgehört zu regnen“, sagte Brittany. „Ich habe mir gerade Ocean’s Eleven ausgeliehen, und der Film hat mir großartig gefallen. Wann hast du aufgehört zu rauchen?“

Verdammt. „Vor zwei Tagen. Was habe ich gemacht? Meine Brusttasche abgeklopft auf der Suche nach der nicht existenten Zigarettenschachtel?“

„Ja.“

Mist. Er musste erneut dem Drang widerstehen, an seine Brusttasche zu greifen. Dabei konnte er jetzt sowieso nicht rauchen. Hier im Restaurant war Rauchen untersagt.

„Aha, na ja. Ich habe es schon ein paarmal versucht, und ich glaube selbst nicht so recht daran, dass ich es schaffe. Sechs Wochen war die längste Zeit, die ich ohne Zigaretten durchgehalten habe.“

„Hast du es mal mit Nikotinpflaster versucht?“

„Nein“, gab er zu. „Ich weiß, dass ich es wahrscheinlich sollte. Keine Ahnung, vielleicht würde der Gedanke mir besser gefallen, wenn ich Julia Roberts dazu bringen könnte, mir das Pflaster auf den Hintern zu kleben.“

Brittany lachte. „Vielleicht wäre eine nicht rauchende Freundin ein guter Anreiz. Sie würde dir erzählen, dass ein Kuss von einem Raucher ähnlich reizvoll ist wie das Ablecken eines Aschenbechers.“

Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, nun ja …“ Die Frau, die er gern zur Freundin hätte, war verheiratet. Er wollte jetzt nicht an das eine Mal denken, wo er sie geküsst hatte. So unbeschwert er sich auch mit Brittany unterhalten konnte, über Lana konnte er nicht reden. Dies war schließlich ein Rendezvous, keine Psychotherapie.

Obwohl, mit dem Psychologen des Teams über Lana zu reden hatte er auch noch nicht geschafft. Darüber sprach er, wenn überhaupt, nur, wenn er sturzbetrunken war.

Der Kellner brachte ihre Getränke und verschwand wieder. Wes nippte an seiner Cola und versuchte Geschmack daran zu finden, nicht zu wünschen, es wäre ein Bier.

„Mein Ex hat geraucht“, erzählte Brittany. „Ich habe alles versucht, ihn zum Aufhören zu bewegen und ihn schließlich vor die Wahl gestellt. Ich habe ihm gesagt: Wenn du rauchst, darfst du mich nicht küssen. Er meinte nur, okay, wenn ich das so wollte.“

Wes wusste, was gleich kommen würde. Er sah es ihrem kleinlauten Lächeln an.

„Also küsste er mich nicht mehr“, fuhr sie fort.

Die Adjektive, mit denen er den Bastard ganz spontan belegte, waren äußerst farbig. Viel schlimmer als alles, was Dustin Melero am Nachmittag von sich gegeben hatte. Aber sie lachte nur, als er schuldbewusst das Gesicht verzog und sich entschuldigte.

„Ist schon gut“, sagte sie, „aber sei ein bisschen nachsichtig mit ihm. Er war nicht allein schuld. Weißt du, er hat schon vor unserer Hochzeit geraucht. So gesehen war es ziemlich unfair von mir, derartige Forderungen zu stellen. Letztlich läuft es darauf hinaus: Du kannst nur aufhören zu rauchen, wenn du selbst aufhören willst. Wenn es dein eigener Wunsch ist.“

„Oder auch, wenn ich möchte, dass Julia Roberts mir ein Nikotinpflaster auf meinen …“

„Ja“, lachte sie, „das könnte auch funktionieren.“

„Er war ein Dummkopf“, sagte Wes, beugte sich über den Tisch und nahm ihre Hand. „Dein Ex.“

Das Lächeln, mit dem sie ihn bedachte, als sie seine Finger drückte, war umwerfend. „Danke. So habe ich das auch immer gesehen.“

Brittany nippte an ihrem Kaffee. „Melody sagte mir, du hättest eine Woche frei …“

„Zwei“, korrigierte Wes.

„Und du wolltest diese Zeit in L.A. verbringen, um einem Freund einen Gefallen zu tun?“

„Ja.“ Es gab ein verräterisches Zeichen, das verriet, wenn Wes Skelly nervös wurde. Selbst hier am Tisch war er ständig in Bewegung, wie eine lebendige Flipperkugel. Permanent spielte er mit irgendetwas auf dem Tisch. Mit seinem Löffel. Mit dem Salzstreuer. Mit der Tischdecke. Mit seinem Strohhalm. Aber wenn er nervös wurde – zumindest glaubte Brittany, dass ihn Nervosität befiel –, dann wurde er ruhig. Bewegte sich nicht mehr. Spielte nicht mehr mit Gegenständen. Er wurde sehr, sehr ruhig.

Genau das geschah jetzt, aber als er begann zu reden, fing er an, die Eiswürfel in seiner Cola hin und her zu schieben. „Tatsächlich bin ich hier, um der Frau eines guten Freundes einen Gefallen zu tun. Wizard.“ Er schaute sie kurz an, und sie wusste, dass er sich verstellte. Er gab sich allergrößte Mühe, gelassen und gleichgültig zu wirken.

„Ich weiß nicht, ob deine Schwester dir von ihm erzählt hat“, fuhr er fort. „Vielleicht kennt sie ihn gar nicht, keine Ahnung. Er gehört zu SEAL Team Six und ist ständig außer Landes, also … schwer zu finden. Im Moment ist er wieder mal fort, und seine Frau Lana … Sie ist, weißt du, sehr nett, sehr … Wir sind seit Jahren befreundet und … Na ja, sie macht sich Sorgen um ihre Schwester, genau genommen ihre Halbschwester aus der zweiten Ehe ihres Vaters, und … Egal, Lanas Halbschwester ist Amber Tierney, und …“

„Stopp!“ Brittany hob die Hand. „Warte eine Sekunde. Informationsüberflutung. Die Halbschwester der Frau deines Freundes Wizard, Lana …“ Lana, die sehr nett war, „… ist Amber Tierney aus High Tide?“

„Ja.“

„Ist ja ’n Ding!“ Schule und Schichtdienst im Krankenhaus ließen ihr praktisch keine Zeit zum Fernsehen, und daher wusste sie auch so gut wie nichts über die vielen Fernseh- und Filmstars, die in L.A. Schlagzeilen machten. Aber Amber Tierney war ihr ein Begriff. Seitdem im September des Vorjahres die Sitcom High Tide lief, war sie der Fernsehstar schlechthin. „Ihre Schwester macht sich Sorgen … weil sie zu viel Geld verdient? Weil Tom Cruise mit ihr ausgehen möchte? Weil …?“

„… ein Stalker hinter ihr her ist“, brachte Wes den Satz für sie zu Ende.

Brittany zuckte zusammen. „Oh. Tut mir leid. Das ist ein Problem, über das man keine Witze machen sollte.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob er eine echte Bedrohung darstellt“, sagte Wes. „Lana meint, Amber nehme das nicht so ernst. Sie halte den Kerl für harmlos und sei sicher, dass er ihr nie wehtun würde. Aber, weißt du, Lana ist Psychologin, und ein paar Verhaltensmuster dieses Typen machen ihr Angst. Sie sind ein bisschen zu zwanghaft, als dass sie das als harmlos abtun könnte. Also rief sie mich an, und … hier bin ich.“

Lana, die, weißt du, sehr nett ist, ruft an, und Wes fährt mal eben schnell rüber nach L.A.? Oh Wes, bitte nicht! Bitte kein Verhältnis mit der Frau eines Freundes! Das wäre einfach zu schäbig, zu sehr unterste Schublade, einfach unverzeihlich. Du bist doch viel zu gut für so was!

Brittany wählte ihre Worte sehr sorgfältig. „Ich weiß, dass Navy-SEALs sehr gut sind in dem, was sie tun, aber … wäre das nicht eher ein Job für die Polizei von L.A.?“

Wes aß die letzten Krümel von seinem Käsekuchen und wischte sich den Mund mit der Serviette ab, bevor er antwortete. „Amber will keine Polizei. Die Sache würde sofort in den Medien breitgetreten, vor allem in der Boulevardpresse. Wie schon gesagt, sie hält den Kerl für harmlos. Deshalb hat Lana mich gebeten, nach L.A. zu kommen, Ambers Alarmanlage unauffällig zu überprüfen, mal zu gucken, ob sie ausreichend und wirklich sicher ist.“

„Und warum kann das nicht – wie heißt er noch gleich – Wizard tun?“

„Er schwirrt irgendwo im Ausland herum. In den letzten zwölf Monaten war er ungefähr zehn Monate außer Landes.“

„Also hat Lana dich angerufen.“

„Ja.“ Er wich ihrem Blick aus.

„Ihr müsst wirklich eng befreundet sein“, meinte Brittany. „Ich weiß, dass ihr nicht viel Urlaub bekommt. Dass du von diesen wenigen Tagen welche hier verbringst, um ihr einen Gefallen zu tun …“

„Ja, nun …“ Wieder hielt er ihrem Blick nicht stand.

„Obwohl, andererseits, klar: Amber Tierney – du liebe Güte! Sie sieht einfach toll aus. Und ist im Moment Single, wenn man dem National Star Glauben schenken darf. Wenn du deine Karten richtig ausspielst …“

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