Romana Gold Band 74

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

MEIN FEURIGER ITALIENER von DIANA HAMILTON
Nacht für Nacht liegt die hübsche Sophie in der florentinischen Traumvilla von Ettore Severini wach. Soll sie dem heißen Werben des faszinierenden Bankers erneut nachgeben? Sie liebt ihn immer noch von ganzem Herzen. Doch er scheint ihre Gefühle nicht zu erwidern …

ENTFÜHRUNG NACH FLORENZ von MARGARET MCDONAGH
Für ein paar sinnliche Stunden gibt sich die junge Ruth der Leidenschaft hin. Danach verlässt sie Riccardo Linardi ohne ein Wort des Abschieds, überzeugt, dass sie für den Playboy nur eine unter vielen ist. Bis er sie aufspürt und sie ins malerische Florenz entführt …

(K)EIN MANN FÜR DIE EWIGKEIT? von HEIDI RICE
Issy ist verzweifelt! Ihr kleines Theater steht vor dem Ruin. Nur einer kann sie noch vor dem Bankrott bewahren: Giovanni, der Mann, der sie einst ins Unglück stürzte. Aber seine Hilfe hat ihren Preis: Issy soll mit ihm nach Florenz fliegen – in sein luxuriöses Liebesnest …


  • Erscheinungstag 31.03.2023
  • Bandnummer 74
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517560
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Diana Hamilton, Margaret McDonagh, Heidi Rice

ROMANA GOLD BAND 74

1. KAPITEL

„Besten Dank auch“, zischte Sophie grimmig den Schlusslichtern eines Lastwagens hinterher, der an diesem unfreundlichen Januartag sie und ihren altmodischen Kinderwagen gerade von Kopf bis Fuß mit eiskaltem Regenwasser bespritzt hatte. Wenn ich es in den nächsten Minuten nicht schaffe, diese dämliche Straße zu überqueren, dachte sie frustriert, dann komme ich zu spät zu der Adresse am Finsbury Circus.

Gestern Abend hatte sie völlig außer sich Tim angerufen, und er hatte eingewilligt, sie bei sich aufzunehmen, bis ihre Angelegenheiten geregelt waren. Allerdings hatte er betont, dass er in seiner Mittagspause nur eine halbe Stunde Zeit hatte, um sie in die Wohnung zu lassen. Davon waren jetzt schon fünfzehn Minuten um.

Kalter Schweiß trat auf Sophies Stirn. Wenn dieser Vermieter von Nanny Hopkins nicht zu spät gekommen wäre, um den Schlüssel und die letzte Miete abzuholen, hätte sie Tims Wohnung bequem erreichen können. Aber so …

Während sie nach einer Lücke im Verkehr Ausschau hielt, holte sie tief Luft und erinnerte sich daran, dass Nanny Hopkins sie oft ermahnt hatte, immer die positiven Seiten des Lebens zu sehen, auch wenn die Dinge sich nicht so entwickelten, wie sie sollten. Und irgendwie hatte die alte Dame doch immer recht gehabt mit ihren kleinen Predigten. Immerhin waren ihr sieben Monate alter Sohn und ihre Habseligkeiten unter dem Verdeck des altmodischen Kinderwagens trocken geblieben.

Und wenn Tim wegmusste, bevor sie kam, dann würde sie sich ein billiges Café suchen und dort im Warmen mit ihrem Baby auf den Abend warten, wenn Tim nach Hause kam. Also nicht wirklich ein großes Problem. Das Gute war doch, dass sie und ihr Sohn ein Dach über dem Kopf hatten, während sie sich nach einem Job umsah, und sie nicht als Bittstellerin zum Sozialamt musste.

Allmählich erschien es ihr völlig aussichtslos, auf eine Lücke im Verkehrsfluss zu warten. Sie musste wohl die Straße entlanggehen und hoffen, dass es irgendwo eine Fußgängerbrücke gab. Verärgert über diese weitere Verzögerung rutschte sie bei dem Versuch, den Kinderwagen an einem Laternenpfahl vorbeizumanövrieren, vom Bordstein ab und landete als Häufchen Elend im Minnstein. Sie hörte Bremsen quietschen und sah die Stoßstange eines eleganten silbernen Mercedes nur Millimeter von ihrem Gesicht entfernt.

Sie hätte tot sein können, nicht nur obdachlos und bettelarm! Was wäre dann aus ihrem Kind geworden? Ein Schluchzer stieg in ihrer Kehle auf. Warum war sie nur so eine Idiotin? Als Mutter war sie eine Null – und das war noch freundlich ausgedrückt.

Ettore Severini fädelte sich mit seinem silberfarbenen Mietwagen schwungvoll in den mittäglichen Verkehr ein. Für heute hatte er alle geschäftlichen Termine erfolgreich absolviert. Wie erwartet. Wie immer.

Jetzt musste er nur noch einige Unterlagen sichten, dann hatte er den Nachmittag frei. Er war auf einer seiner regelmäßigen Geschäftsreisen hier in London. Noch zwei weitere Tage mit vollgestopftem Terminkalender – dann ging es wieder heim nach Florenz. An einen Ort, an dem sich schon die ersten Frühlingsboten zeigten. Was für eine Erleichterung, aus dieser tristen, wolkenverhangenen und anscheinend von Dauerregen geplagten Stadt herauszukommen.

Fünf Tage intensiver Verhandlungen, Arbeitsessen und Vorstandssitzungen im Dienste der Londoner Niederlassung der Severini-Bank hatten ihm nicht die erwartete Befriedigung verschafft, die das Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben, ihm sonst einbrachte. Seltsam.

Er fühlte sich … nicht müde, nein – er war bekannt für sein Durchhaltevermögen – aber was dann? Leer? Irgendetwas schwer Fassbares schien in seinem Luxusleben zu fehlen. Ärgerlich verzog er das Gesicht. Er hasste solch negative Selbstbetrachtungen. Reine Zeitverschwendung!

Madonna diavola! Er hatte doch wirklich alles, was ein Mann sich wünschen konnte. Er war sechsunddreißig, war gesund und kräftig. Hatte mehr Geld, als er je brauchen würde, und seit dem Tod seines Vaters vor vier Jahren auch die uneingeschränkte Herrschaft über die alteingesessene Handelsbank der Familie. In einer seriösen Zeitung war er kürzlich sogar als Finanzgenie bezeichnet worden. Außerdem waren viele bildschöne Frauen hinter ihm her, und er hatte eine Verlobte, die bereit war, das eine oder andere Auge zuzudrücken, und es mit dem Termin für diese Heirat, bei der es nur um Geschäftsinteressen ging, ebenso wenig eilig hatte wie er selbst.

Jeder Mann konnte ihn eigentlich nur um diesen Lebensstil beneiden. Was sollte ihm denn wohl fehlen? Rein gar nichts!

Er würde es sich in seiner Londoner Wohnung mit einem guten Rotwein und einer Verdi-CD gemütlich machen, das würde ihn auf andere Gedanken bringen.

Der Verkehr war grauenhaft. Die Scheibenwischer hatten Mühe, gegen das schmuddelige Regenwasser anzukämpfen. Das konnte einen aber auch deprimieren.

Und da vorne noch so ein deprimierender Anblick – eine in einen alten Regenmantel gehüllte Obdachlose mit einer Strickmütze auf dem Kopf mühte sich mit einem museumsreifen Kinderwagen ab, in dem sie zweifellos ihre wenigen Habseligkeiten transportierte. Wenn es überhaupt eine Frau war.

Mit einem leisen Fluch trat Ettore heftig auf die Bremse, als die unansehnliche Gestalt plötzlich das Gleichgewicht verlor und direkt vor seiner silbernen Motorhaube landete.

Ettore stieg aus, ohne sich um den Verkehr und das Hupen der anderen Wagen zu kümmern. Hatte er diese erbärmliche Kreatur etwa angefahren? Das hätte er eigentlich merken müssen.

Mit entschlossenem Schritt umrundete er seinen Wagen. Sie saß noch immer dort, wohin sie gefallen war – in der Gosse, mit gesenktem Kopf und mit dem Rücken zu ihm. Eine lange, regennasse blonde Haarsträhne war unter der Wollmütze hervorgerutscht. Eindeutig weiblich.

Er legte ihr sanft die Hand auf die Schulter und fragte: „Sind Sie verletzt?“

Wie von einer Tarantel gestochen, sprang die Person auf und taumelte zu ihrem Kinderwagen.

„Warten Sie.“ Wenn die Frau eine Obdachlose war, wie er annahm – und ihre Aufmachung sprach dafür –, dann wollte er ihr wenigstens das Geld für eine warme Mahlzeit und ein Bett für die Nacht geben. „Sie haben einen Schock.“

Beide Hände fest auf ihren Schultern, drehte er sie um, wobei er überlegte, wie viel Bargeld er bei sich hatte. Ein- oder zweihundert Pfund. War das eine angemessene Entschädigung?

Sein finsterer Gesichtsausdruck verdüsterte sich erheblich, als sie ihm ihr Gesicht zuwandte. Sein Herz machte unerklärlicherweise einen heftigen Sprung. Dio mio!

Als er wieder sprechen konnte, klang seine Stimme eisig: „Sophie Lang, ich fasse es nicht! Heruntergekommen und in der Gosse, wo du hingehörst!“

Ettore bedauerte diese beißenden Worte in dem Moment, in dem er sie ausgesprochen hatte. Diese erbärmliche Frau zu beleidigen, war seiner nicht würdig und außerdem reine Zeitverschwendung. Und was sagte dieser Ausbruch über ihn? Dass er immer noch nicht darüber hinweg war, dass diese bildschöne, fürsorgliche und warmherzige Frau, die obendrein noch unglaublich sexy war und die ihn betört und verzaubert hatte, sich als hinterhältige kleine Diebin entpuppt hatte?

Ach was, natürlich war er darüber hinweg! Er hatte sie vor über einem Jahr aus seinem Herzen gerissen. Und hatte die ganze unerfreuliche Geschichte als lehrreiche Erfahrung abgeschrieben.

Selbst wenn es um ihr Leben gegangen wäre, hätte Sophie kein Wort herausgebracht.

Er! Hier in London! Wirklich der Mann, den sie am allerwenigsten sehen wollte, von dem sie geglaubt hatte, dass sie ihn ein für alle Mal aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatte. Verwegen und attraktiv wie eh und je sah er aus, Regentropfen glitzerten in seinem perfekt geschnittenen, seidigen, pechschwarzen Haar – und dieser wunderschöne Mund, der den Himmel auf Erden versprach! Seine eindrucksvollen und sexy ein Meter fünfundachtzig steckten in maßgeschneidertem, elegantem Tuch, in dem er sich lässig bewegte.

Unter seinem geringschätzigen Blick gelang es ihr nur mit Mühe zu atmen, ihr Gesicht glühte blutrot, wurde dann aber schlagartig bleich.

Wie Ettore leidenschaftslos feststellte, hatten ihre großen grauen Augen einen gehetzten Ausdruck und waren von dunklen Augenringen umgeben. Ihre weichen, ungeschminkten Lippen zitterten. Warum? Sie schien unverletzt zu sein.

Ettore fluchte leise vor sich hin. Wie sie aussah, ging ihn nicht im Geringsten etwas an. Wenn sie heruntergekommen war, vielleicht sogar gerade aus dem Gefängnis entlassen war – schließlich waren sicher nicht alle ihre Opfer so großzügig wie er – dann hatte sie das einzig und allein sich selbst zuzuschreiben.

In diesem Moment ertönte ein klägliches Geräusch aus den Tiefen des unsäglichen Kinderwagens. Sophie beugte sich darüber und holte ein in einen Schal gewickeltes Bündel heraus, das sie an ihr Herz drückte. Der zärtliche und liebevolle Ausdruck, der ihre Züge weich werden ließ, erinnerte ihn an ihre innere Schönheit, die ihn einst in ihren Bann gezogen hatte. Damals hatte sie ihn dadurch beeindruckt, dass sie Flavias Zwillinge zwar mit fester Hand behandelt hatte, aber auch, als seien sie die kostbarsten Kinder auf der ganzen Welt.

Sie war ein ausgezeichnetes Kindermädchen gewesen, wie er sich widerstrebend eingestand. Anscheinend gelang es ihr noch immer, die Leute hinters Licht zu führen. „Deine momentanen Arbeitgeber könnten sich doch sicher ein etwas zeitgemäßeres Vehikel für ihr Kind leisten? Das Teil sieht ja aus wie vom Sperrmüll.“

Der Säugling ruhte jetzt zufrieden in Sophies Armen und stieß gurgelnde kleine Laute aus.

Sophies hübsches Gesicht verfärbte sich rosig, ihre dichten, dunklen Wimpern verbargen ihre Augen, als sie steif erwiderte: „Ich arbeite nicht mehr als Kindermädchen, wie Ihnen nur allzu klar sein dürfte, Signore.“ Die Wahl dieser förmlichen Anrede zog unmissverständliche Grenzen. „Torry ist mein Sohn.“

Und deiner, fügte sie in ihrem Innern hinzu. Aber das würde sie niemals laut aussprechen. Keine zehn Pferde könnten sie dazu veranlassen.

„Und jetzt muss ich gehen. Ich bin schon sehr spät dran.“

„Wohin?“

Der eisige Wind war stärker geworden, und der Regen fiel noch dichter. Ihr Gesicht wirkte schmaler, als er es in Erinnerung hatte. Blass. Auf der kleinen Insel im Mittelmeer, auf der sie sich kennengelernt hatten, hatte ihre Haut vor Gesundheit gestrahlt, und die Sonne hatte eine charmante Ansammlung von Sommersprossen auf dem schmalen Rücken ihrer hübschen Nase zum Vorschein gebracht. Einer Nase, die sie kräuselte, wenn sie lachte oder lächelte.

Sophie hatte sehr häufig gelächelt. Ihre ungeheuchelte Lebensfreude war das Erste, was ihn angezogen hatte. Im Nachhinein war ihm klar geworden, dass ihre Wärme und Sorglosigkeit zu ihrem eindrucksvollen Waffenarsenal gehörten.

Sie ignorierte ihn und beugte sich über den Kinderwagen, bemüht, den zappelnden Säugling gegen den Regen abzuschirmen, während sie den Regenschutz des Kinderwagens befestigte.

Es irritierte ihn, dass sie auf seine Frage nicht einging, und noch mehr, dass ihn das nicht gleichgültig ließ. „Also?“

Warum ging er nicht einfach weg? Sophie hätte am liebsten laut geschrien. Ihn wiederzusehen, machte ein Nervenbündel aus ihr. Sie hatte sich gezwungen, ihn zu vergessen. Hatte diese zauberhaften Wochen aus ihrem Gedächtnis gestrichen, die Erinnerung daran, wie sie sich eingeredet hatte, dass auch er sie liebte. Und das Nachspiel. Ein Albtraum von Demütigung, Schmerz und Schande. Seine Bereitschaft zu glauben, dass sie eine Diebin war, seine eiskalte Gleichgültigkeit gegenüber ihren Unschuldsbeteuerungen, die Art und Weise, wie er dafür gesorgt hatte, dass sie nie wieder eine Anstellung als Kindermädchen bekommen würde.

„Finsbury Circus“, murmelte sie widerwillig. Wenn sie seine Frage beantwortete, würde er vielleicht verschwinden, und sie könnte endlich weitergehen. Niedergeschlagen ließ sie die Schultern hängen.

Kein Grund zur Eile mehr. Bis sie dort ankam, wäre Tim sowieso schon weg. Und das Taxi mit ihren restlichen Habseligkeiten würde erst am frühen Abend kommen, damit Tim ihr beim Hochtragen in den zweiten Stock behilflich sein konnte.

„Ich fahre dich hin. Es ist nicht sehr weit.“ Das klang nicht wie ein Vorschlag, sondern wie ein Befehl.

„Nein, danke.“ Lieber würde sie laufen, bis ihr die Füße abfielen, als sich von ihm mitnehmen zu lassen.

„Sei nicht albern. Du bist völlig durchnässt, und außerdem hast du gerade selbst zugegeben, dass du zu spät zu deiner Verabredung kommen wirst.“

Ettore hatte ihren Arm schon fest im Griff und schob sie in Richtung seines Wagens. Er hielt ihr die Tür zum einladend warmen und trockenen Beifahrersitz auf. Der ihr nur allzu bekannte Duft seines Aftershaves hing in der Luft. Es war einfach … zu intim. Er schien das nicht zu bemerken. Er verabscheute sie ja auch zutiefst. Aber sie spürte wieder diese wilde Sehnsucht in sich aufsteigen, die sie beide damals in eine leidenschaftliche Affäre getrieben hatte. Das konnte sie nicht aushalten!

Sophie stemmte sich gegen ihn. „Mein Kinderwagen! Ich kann ihn nicht einfach hier so stehen lassen – meine ganzen Sachen sind darin …“

„Ich kümmere mich darum. Hör auf, meine und deine Zeit zu verschwenden. Steig einfach ein.“

In Anbetracht des schrecklichen Wetters und besorgt um das Wohlergehen ihres Kindes, unterdrückte Sophie ihren Stolz und gab widerstrebend nach, während Ettore zu ihrem Kinderwagen hinüberging und ihn zu einem Secondhandladen schob.

Es bedurfte nur weniger Sekunden und einer großzügigen Spende, um das scheußliche Ding dort loszuwerden und weiche Wolldecken, einen Teddybär und diverse vollgestopfte Plastiktüten aus seinen Tiefen hervorzuholen. Ettore wusste selbst nicht, weshalb er sich die Mühe machte. Jedenfalls nicht wegen dieser diebischen Göre, so viel war sicher!

Aber wegen des armen unschuldigen Kindes. Genau. Zufrieden mit dieser Erklärung für sein eigenes bizarres Verhalten warf er den Inhalt des Kinderwagens auf den Rücksitz und setzte sich ans Steuer. Keine Frau sollte gezwungen sein, bei solchem Wetter ein Kind in einem Wagen herumzuschieben, der noch aus Queen Victorias Zeit zu stammen schien.

Ob sie sich nichts Besseres leisten konnten? Während er den Wagen anließ, bemerkte er, dass sie keinen Ehering trug. Alleinerziehende Mutter? Sie war offensichtlich aus seinem Bett direkt in das eines anderen Mannes gehüpft. Vor Ärger verkrampfte sich sein Magen.

Das Baby gab gurgelnde Geräusche von sich. Es hatte schwarz glänzende Locken und große braune Augen. Niedliches Ding! Schade, dass es mit einer solchen Mutter gestraft war.

Sophie schielte auf die Uhr im Armaturenbrett und schätzte, dass sie es vielleicht doch noch gerade pünktlich schaffen könnten. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie schrecklich sie aussah. Wie ein Riesenwalfisch!

Ihre Besitztümer, die jetzt in der Diele von Nanny Hopkins freundlicher Nachbarin der Abholung harrten, würden mit Mühe ins Taxi passen, ohne dass auch noch eine Tasche mit ihrer Kleidung hinzukäme. Den Platz im Kinderwagen hatte sie für die wichtigsten Dinge für Torry gebraucht, sodass ihr nichts anderes übrig geblieben war, als ihre gesamte Kleidung in mehreren Lagen übereinander anzuziehen und das alles unter Nanny Hopkins voluminösem alten Regenmantel zu verbergen.

Na wenn schon, dann sah sie eben furchtbar aus. Das war doch wohl völlig egal, oder?

„Was für eine Verabredung hast du denn? Geschäftlich oder privat?“ Ettore fragte einfach nur, um das peinliche Schweigen zwischen ihnen zu durchbrechen. Nicht, weil die Antwort ihn interessierte.

„Eine private“, antwortete sie mit vor Nervosität dünner und piepsiger Stimme.

Er musterte sie verstohlen. Sie sah krank aus. Blass. Ihr Gesicht war dünner, als es sein sollte, auf Stirn und Oberlippe glitzerten Schweißperlen. Ihr Körper wirkte allerdings eindeutig übergewichtig, keine Spur mehr von ihrer einst so guten Figur.

„Und?“, bellte er, entschuldigte sich aber im gleichen Augenblick in Gedanken für den harschen Ton. Was war denn nur los mit ihm? Warum reagierte er so gereizt? Ihre persönlichen Angelegenheiten konnten ihm doch vollkommen gleichgültig sein.

Langsam bog er in eine ruhige Seitenstraße ein und suchte nach der Hausnummer, die sie angegeben hatte.

Er hörte sie seufzen. „Ich ziehe bei einem Freund ein. Er hat nur eine kurze Mittagspause und kann nicht sehr lange auf mich warten, um mich in die Wohnung zu lassen. Wenn ich Pech habe, ist er schon weg.“

Aber zum Glück war er noch da. Sophie fiel ein Stein vom Herzen, als sie Tim die Treppe hinuntereilen sah, gerade als Ettore den Wagen zum Halten brachte.

Während Sophie mit ihrem jetzt hellwachen Sohn im Arm mühsam aus dem Wagen kletterte, war Ettore schon ausgestiegen und angelte nach den Sachen, die er auf die Rückbank geworfen hatte. Ob das der Vater des Kindes war, der – mit reichlicher Verspätung – seine Verantwortung anerkannt hatte? Sie hatte gesagt, dass sie bei ihm einzog.

Misstrauisch beäugte er den Mann. Er wirkte nicht gerade sehr zuverlässig. Groß und schlaksig, blond mit blauen Augen, genauso hellhäutig wie Sophie. Sehr unwahrscheinlich, dass das der Vater des Babys war. Ihm wurde ganz heiß. Wie viele Typen hatte sie denn noch? Dem Himmel sei Dank, dass er ihr rechtzeitig entkommen war!

Ihr neuer Freund drückte Sophie eilig etwas in die Hand. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Wange und spurtete davon.

Gleich würde alles erledigt sein. Sophie und ihr Kind wären im Trockenen, und er konnte wieder verschwinden. Warum fühlte er sich dann so unbehaglich? Er zuckte die Achseln und trat zu ihr. „Alles in Ordnung?“

Sophie murmelte irgendetwas und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er verschwinden würde. Sie hasste sich dafür, dass er es immer noch schaffte, ihren Puls zu beschleunigen, obwohl sie ihn dafür verabscheute, was er ihr angetan hatte. Und doch konnte sie die lebhafte Erinnerung an seine leidenschaftlichen Umarmungen nicht abschütteln. Sie versuchte, so würdevoll wie möglich die Stufen zur Eingangstür hinaufzusteigen, wo sie sich umdrehte und mit förmlicher Höflichkeit sagte: „Vielen Dank fürs Mitnehmen.“ Sie zeigte auf die Decken und Tüten in seiner Hand. „Leg das einfach hier ab. Ich hole es später hoch.“ Dann trat sie in den Hausflur und begann, nach oben zu steigen.

Torry fing an zu quengeln. Sie drückte ihn fester an sich, denn sie wollte nicht, dass er Ettores Aufmerksamkeit auf sich zog. Ettore war schließlich nicht auf den Kopf gefallen, und wenn er sich das Baby genauer ansah, würde er ganz schnell die Wahrheit ahnen.

Sie hörte seine Schritte hinter sich. Kam er ihr immer noch hinterher? Dazu hatte er kein Recht – sie wollte ihn nicht in ihrer Nähe haben. Er hatte jedes Recht darauf verwirkt, indem er sie als Diebin gebrandmarkt hatte!

Jetzt nur nicht hysterisch werden, ermahnte sie sich und atmete tief durch. Es war albern von ihr, sich aufzuregen, denn er war einfach nur höflich.

Seine guten Manieren hatten sie gleich bei ihrem ersten Zusammentreffen tief beeindruckt. Es war im Haus seiner Schwester in Florenz gewesen, wo sie als Aushilfe für das reguläre Kindermädchen eingesprungen war, das sich ein Bein gebrochen hatte. Ettore hatte sie wie einen geschätzten Gast behandelt. Auch wenn er sie jetzt für eine Betrügerin hielt, verbot seine gute Erziehung ihm, sie mit ihren sperrigen Habseligkeiten allein am Fuße einer Treppe stehen zu lassen.

Aber trotzdem war er ihr viel zu nahe. Als sie mit zitterigen Fingern den Schlüssel ins Schloss von Tims Wohnungstür steckte, hatte sie das Gefühl, seine Nähe würde ihre Haut versengen. Ob er spürte, dass ihr Puls zu rasen begann? Es war absolut schockierend, dass ihr Körper noch immer auf ihn reagierte, obwohl sie ihn von ganzem Herzen hasste.

„Danke.“ Sie wusste kaum, wie es ihr gelungen war, dieses eine Wort hervorzustoßen, so angespannt war sie. Für diesen verwöhnten, reichen Kerl war sie nichts weiter als eine flüchtige Urlaubsromanze.

Aber ihre Welt war zusammengebrochen, als ihr klar geworden war, dass er den Worten dieser eingebildeten Cinzia di Barsini mehr Glauben schenkte als ihrer eigenen Darstellung der Ereignisse. Das hatte ihr das Herz gebrochen.

Hinter der Tür befand sich gleich das Wohnzimmer. In dieser typischen Junggesellenwohnung mit den schmucklosen Wänden gab es ein riesiges Ledersofa, vor dem das neuste Modell eines Flachbildfernsehers aufgebaut war. Daneben ein Beistelltisch, auf dem einige leere Bierdosen standen. Sie konnte sich vorstellen, wie dieses Ambiente auf Ettore wirkte, der an unaufdringlichen Luxus und wertvolle Antiquitäten gewöhnt war.

„Auf Wiedersehen.“ Sie konnte diese Situation nur durchstehen, indem sie sich an Formalitäten klammerte. „Das war sehr freundlich von dir. Hast du gefragt, bis wann ich meinen Kinderwagen dort wieder abholen muss?“

Wenn der Laden nicht bereit war, den Wagen länger als heute für sie aufzubewahren, würde sie mit Torry auf dem Arm noch einmal durch den Regen dorthin gehen müssen. Aber daran hatte dieser arrogante Mensch vermutlich gar nicht gedacht.

„Überhaupt nicht. Ich habe ihn für wohltätige Zwecke gestiftet.“ Und einen großzügigen Scheck für die Mühe, dieses Ding zur nächsten Mülldeponie zu transportieren. Aber das behielt er lieber für sich.

Jetzt konnte Sophie sich nicht länger beherrschen. „Was fällt dir ein? Du hattest nicht das Recht, mein Eigentum wegzugeben. Der Kinderwagen hat einen großen Erinnerungswert für mich!“ In ihren grauen Augen glitzerten Tränen der Wut. Nanny Hopkins war so stolz gewesen, als es ihr gelungen war, diesen gebrauchten Wagen für ihr Baby zu besorgen.

Die alte Dame war in Sophies vierundzwanzigjährigem Leben ihr Fels in der Brandung gewesen. Als Sophies Vater nach dem frühen Tod ihrer Mutter wieder geheiratet hatte, hatte er das Kindermädchen entlassen. Doch die Nanny hatte den Kontakt aufrechterhalten, hatte lange, aufmunternde Briefe geschrieben und kleine Geschenke geschickt. Und als sie, Sophie, ohne Arbeit, schwanger und obdachlos aus Italien zurückgekehrt war, hatte Nanny Hopkins sie bei sich aufgenommen.

Und jetzt war ihre liebe alte Freundin nicht mehr, ein schwerer Schlaganfall hatte ihr Leben beendet. Und dieser – dieser gefühllose Mensch …

Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Für dich ist wohl gar nichts wichtig, wenn es nicht vergoldet und mit einem teuren Preisschild versehen ist. Nicht einmal die Gefühle anderer Menschen zählen für dich!“ Sie unterdrückte ein Schluchzen. „Geh mir aus den Augen! Jetzt sofort! Verschwinde einfach!“

Ettore kniff die Augen zusammen. Niemand sprach so mit ihm!

Er warf ihr einen verächtlichen Blick zu, dann zückte er seine Brieftasche und schleuderte ihr ein paar Geldscheine vor die Füße. „Hier, kauf deinem Kind etwas, das besser in unser Jahrhundert passt.“ Dann stolzierte er hinaus und schwor sich zum zweiten Mal in seinem Leben, dass er mit dieser Person nichts mehr zu tun haben wollte.

2. KAPITEL

Es brachte nichts, sich selber vorzumachen, dass er Verdis Aida lauschte. Sein zufälliges Zusammentreffen mit Sophie Lang hatte sämtliche Hoffnungen auf ein paar wohlverdiente Stunden der Entspannung ruiniert, wie er sich irritiert eingestehen musste.

Mit einem ungeduldigen Aufstöhnen sprang er auf und schaltete die Stereo-Anlage aus.

Er hasste es, nicht Herr der Lage zu sein. Ruhelos ging er über das glänzende Parkett zur verglasten Front seines Wohnzimmers in einer Penthouse-Suite hinüber, starrte hinaus auf die Lichter der Stadt, die durch die Dunkelheit des trüben Spätnachmittags schimmerten, und ballte die Hände in den Taschen seiner bequemen Trainingshose, die er nach dem Duschen angezogen hatte.

Er war nervös. Irgendetwas machte ihm unterbewusst zu schaffen, aber er bekam es nicht zu fassen. Frustriert runzelte er die Stirn. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Er hatte ein schlechtes Gewissen.

Reichlich übertrieben angesichts der Tatsache, dass Sophie Lang nichts dergleichen besaß. Aber es erleichterte ihn, endlich die Quelle seiner inneren Unruhe aufgespürt zu haben.

Die Art, wie sie ihn wegen dieses erbärmlichen Kinderwagens angeschrien hatte, hatte ihn so erzürnt, dass er die Lage nicht mehr in Ruhe einschätzen konnte. Es war offensichtlich, dass sie wegen des Kinderwagens ernstlich bekümmert war. Er hatte gedacht, dass er ihr mit dem Wegschaffen dieses Monstrums einen Gefallen erwiesen hatte und sie dankbar sein Geld nutzen würde, um ein etwas zeitgemäßeres Vehikel zu erwerben.

Weit gefehlt! Und noch schlimmer war, dass er ihr das Geld in unnötig arroganter Weise vor die Füße geworfen hatte. Sie hatte ihn dazu gebracht, die Beherrschung zu verlieren und seine guten Manieren zu vergessen.

Das konnte er nicht wiedergutmachen, den anderen Fehler aber schon. Ein ungeduldiger Blick auf seine Rolex zeigte ihm, dass es halb sechs war. Der Laden mochte bis sechs geöffnet sein, es war einen Versuch wert. Wenn er sein Gewissen beruhigt hatte, würde er sie auch wieder aus dem Kopf bekommen, so wie er sie das ganze letzte Jahr nach diesem bedauerlichen Vorfall aus seinen Gedanken verbannt hatte.

Er schlüpfte in seine schwarze Lederjacke, griff nach dem Wagenschlüssel und machte sich auf den Weg.

Ettore erreichte sein Ziel gerade in dem Moment, als eine unfreundliche Frau den Laden abschließen wollte. Mit seinem charmanten Lächeln gelang es ihm, eingelassen zu werden und der Verkäuferin ein affektiertes Lachen zu entlocken. Mit einem weiteren dicken Scheck erntete er das Versprechen, dass der Kinderwagen am nächsten Morgen sofort zur angegebenen Adresse geliefert würde.

Wieder im Wagen stellte er fest, dass ihn immer noch irgendetwas beunruhigte. Aber was zum Teufel konnte das sein? Er schuldete dieser unehrlichen Person nichts weiter, hatte schon mehr getan als erforderlich.

Dann traf ihn die Erkenntnis mit einem Schlag, der ihm den Atem verschlug und sein Herz zum Rasen brachte. Leise fluchend wendete er und fuhr in Richtung Finsbury Circus.

Sophie Lang würde eine höchst wesentliche Frage zu beantworten haben!

„Es tut mir leid, dich gleich wieder allein zu lassen“, sagte Tim Dunmore. „Aber Rocko würde mich umbringen, wenn ich seine Junggesellenabschiedsfeier verpasse.“

„Keine Sorge“, erwiderte Sophie mit einem liebevollen Lächeln. „Du bist so nett zu uns! Ich werde dir ewig dafür dankbar sein, dass du uns aufgenommen hast.“

Tim war der große Bruder ihrer besten Freundin Tina, den sie zuletzt gesehen hatte, als Tina ihren kanadischen Freund geheiratet hatte. Aber eines Tages, als sie im dritten Monat schwanger war, hatte er die Weinstube betreten, in der sie kellnerte, und sie hatte ihm die ganze Leidensgeschichte erzählt. Zu dem Zeitpunkt wohnte sie bei Nanny Hopkins war von ihrer Agentur entlassen worden und stand wegen Unehrlichkeit auf der schwarzen Liste.

Genau wie Nanny Hopkins, hatte auch Tim ihr vorbehaltlos geglaubt und ihr seine Handynummer aufgeschrieben, falls sie einmal seine Hilfe brauchte.

Nanny Hopkins hatte trotz ihres Alters immer noch voll belastbar gewirkt. Sie hatte sich bereitwillig um Torry gekümmert, während Sophie im Supermarkt arbeiten ging. Und dann war die alte Dame völlig überraschend gestorben.

In ihrem Kummer erhielt sie kurz darauf die Mitteilung, dass sie die Wohnung schnellstmöglich zu räumen habe, da ihr Name nicht im Mietvertrag stand.

Weil sie an Torry zu denken hatte, schluckte Sophie ihren Stolz hinunter und rief ihre Stiefmutter an. Doch Stacia, die noch nie viel Zeit für sie gehabt hatte, ließ sie abblitzen. In ihrer Not fiel ihr Tims Hilfsangebot wieder ein.

„Ich werde dir ewig dafür dankbar sein“, wiederholte sie jetzt.

Tim grinste. „Kein Problem. Du und Tina wart als Kinder wie Schwestern, also bin ich so eine Art ehrenamtlicher Bruder für dich. Aber ich muss jetzt los. Ach, übrigens, Tina hat gesagt, sie ruft dich nach dem Mittagessen an. Bei der Zeitverschiebung von fünf Stunden müsste das bald sein.“ Mit diesen Worten verschwand er.

Sophie lächelte. Tim Dunmore war so ein lieber Kerl. Sie überhaupt aufzunehmen … Und dann war er extra früh von der Arbeit nach Hause gekommen, um ihre sperrigeren Besitztümer, die mit dem Taxi gekommen waren, die zwei Treppen nach oben zu tragen, und hatte sich noch die Zeit genommen, Torrys Kinderbett zusammenzubauen.

Eigentlich waren die Dunmores und Nanny Hopkins am ehesten so etwas wie ihre Familie gewesen, nachdem ihre Mutter so tragisch jung gestorben war. Tina, ihre beste Freundin seit der Grundschule, hatte dafür gesorgt, dass Sophie die Schulferien meistens bei ihrer Familie verbringen konnte.

Stacia war nur zu froh gewesen, sie los zu sein, und obwohl Sophie sicher war, dass ihr Vater sie auf seine Weise liebte, so war er doch viel zu beschäftigt damit gewesen, das Geld zu verdienen, das seine neue Ehefrau, in die er völlig vernarrt war, mit vollen Händen ausgab. Er hatte sich früh zu Tode gearbeitet in dem Versuch, Stacias Ansprüchen gerecht zu werden. Als er starb, war er so gut wie bankrott.

Sophie schluckte. Sie wollte nicht länger über ihre traurige Vergangenheit nachdenken. Jetzt konnte sie sich auf Tinas Anruf freuen, und in der Zwischenzeit würde sie einen Blick in die Stellenanzeigen werfen.

Nachdem sie nach dem friedlich in seinem Bettchen schlummernden Torry gesehen und sich gerade mit der Zeitung hingesetzt hatte, klopfte es plötzlich – sehr gebieterisch – an der Wohnungstür.

Jemand, der Tim besuchen wollte? Hastig strich sie sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und ging barfuß zur Tür, um zu öffnen. Im nächsten Moment versuchte sie erfolglos, Ettore wieder hinauszudrängen, aber er war stärker als sie und schob sich einfach an ihr vorbei.

Irgendwie schaffte er es, den Raum zu dominieren und die Luft elektrisch aufzuladen. Die sexuelle Spannung zwischen ihnen schockierte sie. Früher hatte die gute Chemie sie zu der Annahme verleitet, dass sie füreinander geschaffen waren. Jetzt konnte sie das nicht gebrauchen!

„Was willst du?“

Wie anmaßend er da stand! Seiner Lederjacke konnte man ansehen, dass es sich um ein teures Designerstück handelte, dazu trug er Jogginghosen und abgetragene Turnschuhe. Nur jemand, der extrem selbstsicher war und eine erlesene und lange Ahnenreihe im Hintergrund hatte, konnte sich einen solchen Stilmix erlauben.

Sophie rief sich ins Gedächtnis, was für ein verlogener und herzloser Snob er war, und stieß entschlossen hervor: „Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“

Das Telefon klingelte.

„Geh ran.“ Ettore sah sie an und stellte fest, dass er sich geirrt hatte. Sie hatte kein Übergewicht. Ihre enge Jeans und der kurze Pullover enthüllten einen wohlgeformten Körper, so wie er ihn in Erinnerung hatte – Wespentaille, üppige Brüste und verführerisch weibliche Hüften.

Begierde wallte in ihm auf. Das passte ihm nicht. Er konnte alle Frauen haben, die er wollte. Warum machte ihn dieses verschlagene kleine Luder so lüstern wie einen Teenager?

Sein Mund wurde trocken, und er schluckte heftig. Versuchte, sich auf den Grund seines Besuchs zu konzentrieren. Ihre großen Augen waren grau, ihr langes Haar war von einem silbrigen Blond. Der Typ, mit dem sie jetzt zusammenlebte, war auch hellblond. Deshalb erschien es äußerst unwahrscheinlich, dass er der Vater des Babys war. Wenn Sophie also nicht die Gewohnheit hatte, von Bett zu Bett zu hüpfen …

Erst als ihr wieder einfiel, dass Tina vermutlich am Apparat sein und sich unnötige Sorgen machen würde, wenn sie nicht abnahm, befolgte Sophie seine Anweisung, die sie eigentlich hatte ignorieren wollen.

Aber wie sollte man unter dem kühlen Blick dieses einschüchternden Mannes ein halbwegs unbefangenes Gespräch führen? Als Tina dann noch sagte: „Du musst eine furchtbare Zeit hinter dir haben. Klar, dass Stacia dir nicht helfen würde, aber hätte Torrys Vater – wer auch immer das ist – dir nicht in irgendeiner Form helfen können?“, unterbrach Sophie sie. „Hör mal, ich kann jetzt nicht reden. Ich rufe dich zurück.“ Sie legte auf und drehte sich langsam zu ihm um.

In seiner Gegenwart hätte sie ihrer Freundin schlecht erläutern können, dass es ihrem Sohn ohne Vater erheblich besser ging als mit einem Vater, der ein Snob, Lügner und Verführer war.

Außerdem durfte Ettore Severini niemals erfahren, dass er einen Sohn gezeugt hatte. Wahrscheinlich würde er jede Verantwortung für das Kind von sich weisen. Dennoch wollte sie auf keinen Fall riskieren, dass er eventuell doch das Sorgerecht für ihr Baby beanspruchte. Und wenn er das vorhatte, würde er auch alles dafür tun, seinen Wunsch durchzusetzen.

„Wo sind sie?“ Ettore feuerte diese Frage ungeduldig ab.

„Wer? Was?“

„Dein Sohn und dein Liebhaber.“

„Tim ist nicht mein Liebhaber“, stellte Sophie richtig. Das ging ihn zwar überhaupt nichts an, aber es war besser, über Tim zu sprechen und die Aufmerksamkeit von ihrem Sohn abzulenken. „Er ist ein sehr guter Freund, und er ist heute Abend nicht zu Hause.“

„Klar.“ Die hochgezogene Augenbraue signalisierte, dass er ihr das mit dem guten Freund nicht abkaufte. Was ihr völlig gleichgültig sein konnte. Seine Meinung von ihr war ohnehin schon so schlecht, dass es darauf auch nicht mehr ankam.

Zitternd vor Anspannung ging Sophie zur Tür und hielt sie für ihn auf. „Geh bitte. Du hast sicher einen Grund dafür, hierher zu kommen, aber egal was es ist, ich bin nicht interessiert.“

„Nein?“

Sophie wurde blass. Sie konnte sich nicht erklären, wie ein so kurzes Wörtchen so bedrohlich klingen konnte. Ihr Magen verkrampfte sich.

Ettore dachte nicht daran zu gehen. Er kam zu ihr, schlug die Tür hinter ihr zu und fragte: „Wie alt ist er genau?“

Das Adrenalin rauschte durch ihre Adern. Vor genau dieser Frage hatte sie sich seit ihrem Zusammentreffen heute Nachmittag gefürchtet.

„Achtundzwanzig.“

Madre di Dio! Jetzt trieb sie es aber wirklich zu weit! Ettore bemühte sich, nicht die Geduld zu verlieren. „Wie alt der Mann ist, bei dem du gerade eingezogen bist, interessiert mich nicht im Geringsten. Wie alt ist dein Sohn?“

Sie spürte, wie die Kraft aus ihren ohnehin schon wackeligen Knien wich. Also presste sie die Lippen zusammen und schwieg.

„Sieben Monate?“

Sophies Herz lag wie ein kalter, schwerer Stein in ihrer Brust, und sie versuchte, eine Formulierung zu finden, die ihm klar machte, dass sie und ihr Baby ein Tabuthema für ihn waren.

Ettore kam ihr jedoch zuvor. „Du hast behauptet, dass du verhütest, und ich habe dir geglaubt. Vermutlich war ich in diesem Punkt genauso irregeleitet wie in allen anderen. Du bist skrupellos und leichtsinnig!“

Er hielt sie für skrupellos genug, um seiner Verlobten ein wertvolles Schmuckstück zu stehlen. Aber auch für leichtsinnig genug, ungeschützt Sex zu haben und es zu leugnen?

Sie hatte die Pille genommen, aber anscheinend hatte sie sie ein- oder zweimal vergessen. Dass sie fernab der Heimat auf einer kleinen Insel ihre große Liebe gefunden hatte, hatte sie völlig durcheinandergebracht.

Mit funkelnden Augen fuhr er fort: „Vielleicht hast du dich auch schon vor meiner Ankunft in der Villa mit irgendeinem Kerl dem zügellosen Sex hingegeben, nach dem du so süchtig bist. Der Gärtner meines Schwagers hat z. B. auch dunkle Augen und Haare. Vielleicht kannst du mich aufklären? Oder weißt du nicht, wer der Vater ist?“

Sophie fühlte sich von seinen beleidigenden Äußerungen zutiefst getroffen. Sie brachte kein Wort heraus und fühlte sich sterbenselend.

„Du hast offensichtlich nicht die Absicht, meine Frage zu beantworten.“ Zu ihrem Erstaunen machte er eine Kehrtwendung und ging zur Tür.

Er ging! Es interessierte ihn nicht weiter, ob Torry sein Sohn war! Ein erleichtertes Schluchzen entrang sich ihrer Brust. Ihre Ängste waren albern und unbegründet gewesen.

Doch diese Illusion wurde sofort wieder zerstört. Ettore Severini drehte sich an der schon geöffneten Tür ein letztes Mal zu ihr um. „Ich beabsichtige, die Wahrheit herauszufinden. Wenn du dich morgen immer noch weigerst, meine Fragen zu beantworten, dann werde ich andere Möglichkeiten der Klärung finden. Einen DNA-Test zum Beispiel.“

Noch im Treppenhaus begann Ettore mobil zu telefonieren. In der Vergangenheit hatte die Bank schon des Öfteren die Dienste einer sehr diskreten und effizient arbeitenden Detektei in Anspruch genommen. In wenigen Minuten würde jemand hier sein und Sophies Haus beobachten. Falls sie versuchen sollte, mit ihrem – seinem? – Kind zu verschwinden, würde man ihr folgen und ihn über ihren Aufenthaltsort informieren.

In seinen Augen spiegelte sich eine gefährliche Wut, als er hinter das Lenkrad seines Wagens glitt. Wenn das Baby sein Kind war, dann würde Sophie Lang lernen müssen, dass sie nirgends vor ihm, Ettore, sicher war.

3. KAPITEL

Keine junge Frau, weder mit noch ohne Baby auf dem Arm, war beim Verlassen des Gebäudes beobachtet worden.

Diese Information bekam Ettore, als er am nächsten Morgen zu Fuß in Richtung Finsbury Circus ging. Er hatte es vorgezogen, einen Teil seiner ruhelosen Energie lieber so zu gebrauchen, als im Wagen durch den engen, morgendlichen Berufsverkehr zu kriechen.

Als er vor Sophies momentaner Unterkunft ankam, beendete er das Telefonat, und der unauffällige Wagen des Privatdetektivs, der auf der anderen Straßenseite geparkt war, fuhr leise davon. Ettore verstaute das Handy in einer Innentasche seines Jacketts. Die abschließende Information, dass ein hochgewachsener blonder junger Mann die Lieferung eines schwarzen Kinderwagens entgegengenommen hatte, als er um kurz vor neun das Gebäude verlassen wollte, und dann wenig später eilig weggegangen war, interessierte ihn nicht übermäßig.

Dass ihr neuester Liebhaber schon zur Arbeit gegangen war, offenbar zu spät dran war – wegen einer sehr heißen Liebesnacht mit Sophie? –, ging ihn nichts an, und der unangenehme Knoten in seinem Magen hatte absolut nichts mit Eifersucht zu tun. Definitiv nicht. Das war der durchaus begründete Zorn darüber, dass sein eventuelles Baby eine Kindheit unter der zweifelhaften Fürsorge zahlloser „Onkel“ und einer unmoralischen Mutter vor sich hatte.

Wenn es sein Kind war.

Zu seinem eigenen Erstaunen wurde ihm plötzlich klar, dass er wollte, dass es sein Kind war. Vor Schreck blieb er eine Sekunde wie angewurzelt stehen, dann riss er sich zusammen und stieg entschlossen die Treppen hinauf.

Wie auch immer, er würde es herausfinden.

„Schlaf schön, mein Liebling“, hauchte Sophie, während sie den erschöpften Säugling in sein Bettchen legte. Dann ging sie leise aus dem winzigen Schlafzimmer.

Torrys hungriges Schreien hatte sie gegen halb sechs aus ihren unruhigen Träumen gerissen. Ihn zu füttern, zu baden und etwas mit ihm zu spielen, hatte sie von ihren sorgenvollen Gedanken abgelenkt.

Nun kehrten ihre Ängste ungehindert zurück. Sie würde Ettore Severini die Wahrheit sagen müssen, ihm gestehen müssen, dass Torry sein Sohn war. Sie sah keine Möglichkeit, wie sie das vermeiden könnte, außer ihre Sachen zu packen und wegzulaufen.

Sophie konnte nur hoffen, dass er so viel Verstand haben würde einzusehen, wie abträglich es der Beziehung zu seiner Ehefrau wäre, seinen Sohn öffentlich anzuerkennen. Soweit sie sich an seine damalige Verlobte erinnern konnte, war diese kalte Schönheit nicht gewillt, irgendetwas zu verzeihen.

Vergeblich versuchte sie, die Erinnerung an die damaligen Ereignisse zu verdrängen, aber es war hoffnungslos …

Sie war mit den vierjährigen Zwillingen der Familie Valenti, die sie den Sommer über betreut hatte, von der Isola del Giglio zurückgekehrt. Ettore hatte aus geschäftlichen Gründen schon einen Tag früher abreisen müssen.

Signore Valenti, der Vater von Matteo und Amalia, hatte sie im Hafen in Empfang genommen – sehr zur Freude seiner Kinder, die ihre Eltern seit vier Wochen nicht gesehen hatten.

Als sie im Firmenhubschrauber nach Florenz saßen, bedauerte Signore Valenti seufzend, dass er und seine Frau Flavia verhindert gewesen waren, der Hitze der Großstadt zu entfliehen. Außerdem entschuldigte er seine Frau, die zwar eine unglaubliche Sehnsucht nach ihren Kindern habe, aber wegen der Vorbereitungen für ihre eigene, heutige Geburtstagsparty nicht mit zum Abholen habe kommen können.

Sophie bemühte sich sehr, einen mitfühlenden Ausdruck auf ihr Gesicht zu zaubern, aber im Inneren war sie froh, dass die Valentis ihren Urlaub nicht hatten antreten können. Sonst wäre Ettore, Flavias Bruder, nicht auf die Insel geschickt worden, um nach dem Rechten zu sehen.

Dann hätten sie sich nicht gefunden und ineinander verliebt. Dann war die Inselidylle vorüber, und in ein bis zwei Tagen würde sie wieder nach England zurückkehren, denn das fest angestellte Kindermädchen der Zwillinge war wieder vollkommen genesen.

Aber es war nicht wirklich zu Ende – ganz und gar nicht! Ettore hatte zwar nicht direkt um ihre Hand angehalten, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass auch er wusste, dass sie für immer zusammengehörten. In seiner letzten Nacht auf der Isola del Giglio hatte er ihr versprochen, sie nach London zu begleiten, weil sie noch so viel miteinander zu besprechen hatten.

Flavia hatte Sophie herzlich zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen. Die meisten der Gäste, die auch bei den Valentis übernachteten, waren schon eingetroffen, unter ihnen die mondäne Cinzia di Barsini, die nie ohne ihre unterwürfige Zofe reiste.

Sophie war nicht ganz wohl bei dem Gedanken gewesen, ihren letzten Abend in Florenz in so mondäner Gesellschaft zu verbringen, aber da sie überzeugt war, Ettore auch bei der Geburtstagsfeier seiner Schwester zu treffen, hatte sie eingewilligt und suchte nun in ihrem schon gepackten Koffer nach einem passenden Outfit.

Sie hatte ihn noch nicht wiedergesehen, seit er die Insel verlassen hatte, aber sie vertraute ihm blind. Er würde am Abend bei der Feier erscheinen, und er war fest entschlossen gewesen, mit ihr nach London zurückzukehren und Zukunftspläne zu machen.

Die Party war schon in vollem Gange, als Sophie sich zu den Gästen gesellte, aber von Ettore war immer noch nichts zu sehen. Die weiblichen Gäste trugen Designerroben und viel Schmuck, und Sophie fühlte sich außerordentlich deplatziert mit ihrem cremefarbenen Baumwollkleid, von dem sie angenommen hatte, dass es elegant genug war. Aber sie hatte sich geirrt: Es war hoffnungslos altmodisch und wirkte wie aus dem Secondhandladen. Wenn Flavia nicht darauf bestanden hätte, sie einigen der Gäste vorzustellen, hätte sie sich unauffällig wieder in ihr Zimmer zurückgezogen.

Als sie schon drauf und dran war, ihre Gastgeberin zu fragen, ob Ettore auch kommen würde, entdeckte sie ihn endlich.

Er stand in der Nähe der Tür und unterhielt sich mit Cinzia di Barsini. Vor Erleichterung begann ihr Herz heftig zu klopfen, und sie hasste sich für ihre Ängste und Zweifel. Wie hatte sie nur fürchten können, dass er vor ihrer Abreise nicht mehr auftauchen könnte? Er liebte sie, ihre Beziehung war für sie beide etwas ganz Besonderes, nicht nur ein Urlaubsflirt.

Sophie schmolz förmlich dahin vor Verliebtheit – er war so unbeschreiblich attraktiv, seine perfekten Gesichtszüge verschlugen ihr den Atem. Und er gehörte ihr! Unglaublich, aber wunderbarerweise wahr!

Es gelang ihr, für einen kurzen Moment einen Blick aus seinen atemberaubenden Augen aufzufangen, und sofort begannen ihr Magen zu flattern und ihr Herz zu rasen, genau wie an jenem warmen Abend am Meer, an dem er plötzlich in der abgelegenen Bucht aufgetaucht war, als sie gerade in ihrem winzigen Bikini aus dem Wasser gestiegen war.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Cinzia zu, die ihn bewundernd anlächelte und ihre Hand auf seinen Arm gelegt hatte, während sie mit ihm sprach.

Jetzt gesellte sich Flavia zu ihnen, und Ettore zog eine längliche Schmuckschachtel aus der Brusttasche, sein Geburtstagsgeschenk für seine Schwester.

Sophie nippte an ihrem Champagner und beobachtete mit verklärtem Lächeln diese Szene. Plötzlich stand Cinzia di Barsini neben ihr, die sich mit der Geschmeidigkeit einer Schlange angeschlichen hatte und deren Augen giftig glitzerten.

„Ich schlage vor, dass Sie sich rarmachen. Eine Hausangestellte meinen Verlobten anstarren zu sehen, ist peinlich für alle Beteiligten. Sie sind verrückt nach ihm, aber das ist völlig unpassend. Ich weiß, dass er drei Wochen mit Ihnen und den Zwillingen verbracht hat – als Aufsichtsperson, denn natürlich war sich die liebe Flavia nicht sicher, wie weit sie Ihnen trauen konnte.“

Ein verständnisvolles Anheben der eleganten Schultern begleitete die nächste Behauptung. „Und wie ich Ettore kenne, hat er vermutlich ein wenig mit Ihnen geflirtet, um der Langeweile zu entrinnen. Das liegt in der Natur eines italienischen Mannes und hat absolut nichts zu bedeuten. Also tun Sie uns allen und vor allem Ettore den Gefallen und vergessen Sie es – was auch immer ‚es‘ war. Er sagte schon, dass er beinahe der Party ferngeblieben wäre, weil er wusste, dass Sie ihn verliebt anhimmeln und ihn damit zu Tode langweilen würden. Er ist nur gekommen, weil wir noch einiges wegen unserer bevorstehenden Hochzeit zu klären haben.“

Als die Italienerin wieder davongerauscht war, hatte Sophie sich ganz krank gefühlt und sich auf einen Stuhl sinken lassen, weil ihre Beine ihr den Dienst versagten. Sie sah, wie Ettore mit seiner zukünftigen Braut den Raum verließ. Er hatte offensichtlich nicht einmal mehr die Absicht, mit ihr zu sprechen. War die ganze Leidenschaft nur gespielt gewesen? Hatte er gelogen bei allem, was er sagte? Aber diese Cinzia di Barsini würde wohl kaum behaupten, dass er ihr Verlobter sei, wenn das nicht wahr wäre.

Sophie brauchte ihre ganze Willenskraft, um aufzustehen und zu Flavia hinüberzugehen, die noch immer das Armband bewunderte, das ihr Bruder ihr geschenkt hatte. Sie musste sich vergewissern, dass diese Cinzia nicht gelogen hatte.

„Es ist wunderschön“, sagte sie mit dünner Stimme.

„Ja, Ettore hat mich schon immer verwöhnt!“ Als Flavia sie lächelnd ansah, nahm Sophie all ihren Mut zusammen und erwiderte betont lässig: „Dann wird er Cinzia sicher auch verwöhnen. Ich habe gehört, sie sind verlobt.“ Dann fügte sie noch hinzu: „Sie ist sehr schön.“

Flavias Lächeln erstarb. „Man kann nicht nur nach dem Aussehen urteilen. Allerdings bringt diese Verbindung viele Vorteile mit sich und gehörte zu den sehnlichsten Wünschen unseres verstorbenen Vaters.“ Dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf. „Kommen Sie, mischen wir uns wieder ins Getümmel? Ich werde Ihnen …“

„Es tut mir leid …“, stieß Sophie flüsternd hervor. Wie dumm von ihr zu hoffen, dass Flavia die Verlobung bestreiten würde. In ihren Ohren begann es zu dröhnen, und der Boden schien unter ihren Füßen zu schwanken. „Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe Migräne.“

„Oje!“ Flavia wirkte besorgt. „Was kann ich tun? Soll ich die Haushälterin rufen? Benötigen Sie eine Kopfschmerztablette?“

„Ich muss mich einfach nur hinlegen. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Eine Migräne war die einzige Ausrede, die ihr eingefallen war, um sich zurückziehen zu können. Jetzt mit Leuten zu reden und so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre, wäre zu qualvoll für sie gewesen. „Morgen früh wird alles wieder in Ordnung sein“, sagte sie, obwohl sie wusste, dass es sehr viel länger dauern würde, bis es ihr wieder gut ging.

Als sie endlich mit einem unsicheren Lächeln den überfüllten Raum verließ, bemerkte sie die Zofe der di Barsini mit einem seltsam triumphierenden Gesichtsausdruck die Treppe in die menschenleere Eingangshalle hinunterkommen. Sie erwiderte den Gruß der Frau nicht, weil sie fürchtete, kein Wort herausbringen zu können, ohne sofort in Tränen auszubrechen.

Sophie flüchtete sich in den Garten hinter dem Haus und ließ sich seufzend auf eine steinerne Bank sinken.

Wie naiv war sie gewesen, ihm nur ein Wort zu glauben! Warum sollte der Nachkomme einer angesehenen Familie von Bankern sich an einen Niemand wie sie binden? Aber sie war mit Sicherheit nicht die erste Frau, die sich von einem gewissenlosen Charmeur hatte einwickeln lassen und mit ihm im Bett gelandet war.

Wie lange sie dort im Mondlicht gesessen hatte, wusste sie nicht. Doch sie wusste, dass sie zwar ihr Herz, aber nicht ihre Würde verloren hatte, als sie schließlich über den Dienstbotenaufgang zu ihrem Zimmer schlich.

Als sie sich zum Schlafengehen zurechtmachte, war es schon spät, und sie vermutete, dass die Party zu Ende sei und Ettore sich aus dem Staub gemacht hatte, ohne einen weiteren Gedanken an die Hausangestellte zu verschwenden, mit der er sich auf der Isola del Giglio eine Weile vergnügt hatte, um die Langeweile dort zu bekämpfen.

Sie musste den Gedanken akzeptieren, dass er sie benutzt hatte, versuchen, den Schmerz darüber hinter sich zu lassen, und sehen, wie sie mit dem Rest ihres Lebens zurechtkam.

Ein Schluchzen unterdrückend, öffnete sie ihren Koffer und stopfte ihr Kleid lieblos hinein. Sie würde ihn nie wiedersehen. Ihn zu lieben, war ihr Lebensinhalt geworden, das konnte sie nicht so auf Anhieb abschalten.

Sophie wollte gerade ins Bett gehen, als plötzlich die Zimmertür aufflog.

Schweigend stand Cinzia di Barsini im Türrahmen, die Pailletten, mit denen ihr Kleid besetzt war, schimmerten genauso wie ihre kohlschwarzen Augen. Dann tauchte hinter ihr Ettore auf und drängte sich in den Raum. Er hatte Jackett und Krawatte abgelegt und die oberen Knöpfe seines cremefarbenen Seidenhemdes geöffnet, sodass seine braune Haut darunter zum Vorschein kam.

Sein Gesicht war jedoch bleich, und seine Augen blickten düster. Sein sinnlicher Mund, mit dem er sie zur Ekstase hatte bringen können, war nun zu einer schmalen, festen Linie verzogen, als seine aristokratische Verlobte gebieterisch auf Sophies Koffer zeigte.

„Mach ihn auf! Wenn es nicht darin ist, dann such das ganze Zimmer ab.“

„Was erlauben Sie sich?“ Sophie wusste, dass sie im Nachteil war in ihrem alten T-Shirt und mit den sonnengebleichten blonden Haaren, die ihr ungekämmt ins Gesicht hingen. Ihre Frage hatte eher wie das Wimmern eines verängstigten Kindes geklungen.

Cinzia ignorierte sie vollkommen und näherte sich dem Koffer. Ettore sagte steif: „Du wirst beschuldigt, etwas gestohlen zu haben.“

Er winkte die Zofe herein, die sich mit verschlagenem Blick umsah. Voller Verachtung sagte Cinzia: „Filomena, wiederholen Sie bitte, was Sie beobachtet haben.“

Diese brach in einen unverständlichen italienischen Wortschwall aus, den Ettore sich zu übersetzen bemüßigt fühlte. „Filomena behauptet, dass sie dich vor ein paar Stunden aus Cinzias Zimmer hat kommen sehen. Als sie dich angesprochen hat, weil sie dachte, dass du ihre Herrin suchst, hast du dich geweigert zu antworten.“

„Aber ich bin nicht in der Nähe ihres Zimmers gewesen“, widersprach Sophie heftig. „Ich weiß nicht einmal, welches ihr Zimmer ist. Und ich habe nichts gestohlen!“ Ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben.

Doch Ettore fuhr unbeirrt fort: „Cinzia hatte ihre Schmuckschatulle offen auf ihrer Frisierkommode stehen lassen. Daraus fehlt jetzt ein sehr wertvolles Diamantencollier. Sie rief Filomena, und die berichtete ihr, dass du aus dem Zimmer gekommen bist, während alle bei der Party waren.“

„Ich habe nichts weggenommen“, flüsterte Sophie, die nicht wusste, wie ihr geschah. „Wie kannst du das nur von mir glauben?“

Wie konnte er? Auch wenn er sie getäuscht und ausgenutzt hatte: Nach all dem, was sie verband, ihren langen leidenschaftlichen Nächten, müsste er sie doch gut genug kennen, um zu wissen, dass sie ehrlich war?

Inzwischen hatte sich Filomena über den Koffer gebeugt, um ihn zu öffnen. Sophie wollte sie daran hindern, aber Ettore hielt sie zurück.

In diesem Moment beschlich sie ein ungutes Gefühl. Sie war hereingelegt worden, man wollte ihr etwas anhängen. Die Zofe? Oder Cinzia selbst? Es schien völlig lachhaft, aber sie wusste, dass es so war, als Filomena einen triumphierenden Aufschrei von sich gab und mit dem Schmuckstück in der ausgestreckten Hand aufsprang.

Sophie war so erschüttert, dass sie nicht in der Lage war, etwas zu ihrer Verteidigung zu sagen, auch dann nicht, als Ettore unfreundlich fragte: „Nun?“

Er glaubte natürlich der Beweiskraft dessen, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Das gab ihr den Rest nach diesem schon vorher traumatischen Abend. Ihr Gehirn war nicht mehr in der Lage, normal zu funktionieren.

„Aha. Du hast nichts dazu zu sagen.“ Ettore warf ihr einen langen, schwer zu deutenden Blick zu, dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging erhobenen Hauptes aus dem Zimmer.

Triumphierend wandte Cinzia sich an Sophie: „Sie werden morgen früh zum Flughafen gebracht. Sie sollten mir dankbar sein, dass ich nicht in der Stimmung bin, Anklage gegen Sie zu erheben. Es würde mich zwar freuen, Sie hinter Gittern zu wissen, aber ich bin zu sehr mit meinen Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt, um mich damit zu befassen.“

Sophie hatte einen Kloß im Hals. Die schmerzlichen Erinnerungen, die sie verdrängt hatte, waren mit solcher Lebhaftigkeit wieder hochgekommen, dass sie ganz durcheinander war.

Sie trat ans Fenster und sah in der Hoffnung hinaus, dass er es sich vielleicht doch noch anders überlegt hatte und nicht wiederkommen würde. Was wollten ein vermögender italienischer Bankier und seine aristokratische Ehefrau mit einem unehelichen Kind? Oder der negativen Publicity, die ein Sorgerechtsprozess mit sich bringen würde?

Dann sah sie ihn kommen. Er näherte sich der Haustür mit entschlossenem Schritt. Ihr Herz machte einen Sprung. Impulsiv öffnete sie die Wohnungstür und stürmte ihm entgegen. Sophie wusste, dass sie irrational reagierte – sie wollte ihn einfach so weit wie möglich von ihrem friedlich schlafenden Baby fernhalten. In ihrer Hast, die Tür vor ihm zu erreichen, um ihn am Eintreten zu hindern, stolperte sie und fiel der Länge nach hin.

Ettore öffnete schwungvoll die Haustür und verkniff sich eine spöttische Bemerkung beim Anblick der Mutter seines eventuellen Kindes, die aus keinem erkennbaren Grund auf dem staubigen Fußboden im Hausflur saß und ihren Blick fassungslos zwischen ihm und dem furchtbaren Kinderwagen schweifen ließ.

Hilfsbereit streckte er ihr die Hand entgegen, doch Sophie ignorierte die freundliche Geste und stand alleine wieder auf. Sie brauchte seine Hilfe nicht, niemals. Doch eine Sache musste sie noch klarstellen. „Du hast den Kinderwagen für mich zurückgeholt?“

Er nickte lächelnd. Wie gut er sich an diesen Unschuldsblick aus großen Augen erinnerte, klar und offen, voller Wärme und Verwunderung. Die gelungene Darbietung einer erfahrenen Betrügerin. Wichtig, sich das wieder ins Gedächtnis zu rufen.

„Nicht persönlich“, behauptete er kühl. „Mit diesem Schrotthaufen würde ich mich nicht auf der Straße blicken lassen. Aber du schienst aus unerfindlichen Gründen sehr daran zu hängen. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass er dir zurückgebracht wird.“

Sophie sah ihn mit großen Augen an. Das war sehr freundlich von ihm gewesen und passte zu dem Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. Nicht aber zu dem Mann, als der er sich in der Realität erwiesen hatte. Dem Mann, der schamlos seine Verlobte betrogen hatte, der die Dienstboten verführte und ihnen ewige Liebe versprach und der schließlich anstandslos geglaubt hatte, dass sie eine Diebin war. Nicht zu vergessen auch der Mann, der mit ihrer Agentur Kontakt aufgenommen und dafür gesorgt hatte, dass sie als Kindermädchen nie wieder Arbeit finden würde. Aber dennoch …

„Danke.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Ettore musterte sie feindselig.

Jetzt wurde es ernst.

Und obwohl Sophie darauf vorbereitet war, stieg eine Welle der Übelkeit in ihr auf, als er eiskalt feststellte: „Du bist mir eine Erklärung schuldig.“

4. KAPITEL

Sophie schnappte nach Luft.

Ettore sah kalt und unnahbar aus, und die Aussicht, ihm etwas zu sagen, was ihm ein gewisses Recht auf ihren geliebten Sohn geben würde, brachte sie vor Angst schier um den Verstand. Sie erschauerte, als sie seine angespannte Stimme hörte.

„Können wir nach oben gehen? In diesem kalten und dreckigen Hausflur ist es unmöglich, in Ruhe zu reden.“

Was sollte sie nur tun? Sie wollte auf keinen Fall, dass er in die Nähe ihres Babys kam. Dann würde er vermutlich verlangen, sich seinen Sprössling genau anzusehen. Und niemand konnte sich dem Charme des Kleinen entziehen und sich nicht in ihn verlieben. Nicht einmal ein so hartherziger Mann wie Ettore Severini.

Doch plötzlich schien ihr der Gedanke, weiter zu lügen, unerträglich. „Torry ist dein Sohn. Aber, glaub mir, ich verspreche dir, keinerlei Forderungen zu stellen. Niemand außer mir – und jetzt dir – weiß, wer sein Vater ist, und deine Frau braucht niemals etwas von ihm zu erfahren. Es gibt keinen Anlass, sie damit zu beunruhigen. Du kannst uns beide einfach vergessen.“

„Wo ist er? Oben?“

Am fiebrigen Glanz seiner Augen konnte Sophie ablesen, dass er kein Wort von dem aufgenommen hatte, was sie ihm mitzuteilen versuchte, außer der Tatsache, dass er jetzt Vater war. Wo sollte das Baby wohl anders sein? Was für eine alberne Frage!

Er drängte sich an ihr vorbei zur Treppe, wo er immer zwei Stufen auf einmal nahm und entschlossen nach oben stieg. Er wirkte nicht wie ein Mann, der die Absicht hatte, die Existenz seines unehelichen Sohnes zu leugnen – obwohl sie ihm die Möglichkeit dazu gerade auf einem Silbertablett serviert hatte.

Sophie riss sich zusammen und eilte ihm hinterher, sodass sie gleichzeitig mit ihm in Tims Wohnung zurückkehrte. Instinktiv legte sie ihm ihre Hand auf den Arm, um ihn am Weitergehen zu hindern, doch er schüttelte sie gleich wieder ab.

„Also … wo ist er?“ Er gab ihr jedoch nicht die Chance zu antworten, sondern strebte schon in Richtung der beiden Schlafzimmertüren. Vielleicht würde er auf sie hören, wenn er seine Neugier befriedigt hatte. Widerstrebend öffnete sie die Tür zu dem kleinen Zimmer, das Tim ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Sie ließ Ettore zuerst eintreten.

Würde ihm ein Blick auf seinen schlafenden Sohn genügen? Vermutlich nicht. Er sah ihn sich lange an, so als ob er jedes Detail des winzigen Gesichtchens, der vom Schlaf erhitzten weichen Haut und des seidigen schwarzen Haarschopfes in sich aufnahm.

Endlich wandte er sich um, und die Zärtlichkeit vermischt mit etwas, das verdächtig nach Stolz aussah, die sie kurz über sein Gesicht hatte huschen sehen, verwandelte sich wieder in Aggressivität, als er sagte: „Wir müssen reden.“

„Natürlich.“ Sophie ging ihm voran ins Wohnzimmer zurück. „Und dieses Mal hörst du hoffentlich zu. Wie ich schon sagte …“

„Ich habe gehört, was du gesagt hast“, unterbrach er sie brüsk. „Keine Forderungen. Geheimhaltung. Glaubst du etwa, ich würde mich scheuen, meinen eigenen Sohn anzuerkennen? Mein eigen Fleisch und Blut? Dass ich meinen Sohn vaterlos in der Obhut des jeweiligen Liebhabers seiner Mutter aufwachsen lasse, ohne Sicherheit und moralische Richtlinien?“

„Wie kannst du es wagen, so etwas zu behaupten!“ Sophie war außer sich vor Wut. Sie hatte die Hände in die Hüften gestützt. „Du Heuchler! Welchen moralischen Prinzipien bist du denn gefolgt, als du mich verführt hast, mir geschworen hast, dass du mich liebst, obwohl du doch mit einer anderen Frau verlobt warst?“

Ihre großen grauen Augen leuchteten triumphierend auf, als sie sein Unbehagen bemerkte. Er senkte seine dichten schwarzen Wimpern, und an seiner Schläfe trat eine pochende Ader hervor.

Obwohl ihre Vorwürfe völlig gerechtfertigt waren, tat er ihr doch irgendwie leid. Ob das ausgereicht hatte, um ihn sich wieder vom Hals zu schaffen?

Aber Ettore Severini war kein Mann, der sich so leicht erschüttern ließ. Seine Stimme klang kühl, als er bemerkte: „Es ist sinnlos, über vergangene Sünden zu streiten, wenn wir uns auf die Gegenwart und die Zukunft unseres Sohnes konzentrieren sollten.“

Er sah, wie ihr üppiger Mund zuckte, und sein Herzschlag setzte einen Moment aus, als er daran dachte, wie dieser Mund sich unter seinen Lippen angefühlt hatte, wie unglaublich stark Sophie auf seine Liebkosungen reagiert hatte.

Nur widerwillig hatte er seiner Schwester den Gefallen getan zu überprüfen, dass das neue Kindermädchen alles im Griff hatte. „Du könntest nur für einen oder zwei Tage auf der Isola del Giglio vorbeischauen“, hatte Flavia gesagt. Aus den zwei Tagen waren drei Wochen geworden.

Damals war er gerade dabei gewesen, seinen bisherigen Lebensplan infrage zu stellen. Die Verbindung mit Cinzia di Barsini, der Tochter des besten Freundes und Geschäftspartners seines Vaters, war seit Langem geplant und war ihm bis vor Kurzem auch durchaus akzeptabel erschienen. In den Kreisen, in denen er sich bewegte, wurde eine Heirat hauptsächlich als eine Art Geschäftszusammenschluss angesehen. Liebesehen überließ man den unteren sozialen Schichten, die nicht die Verantwortung für einen Namen, Grundbesitz oder Geschäftsimperien zu tragen hatten.

Aber plötzlich begannen Zweifel an ihm zu nagen, und er rebellierte innerlich. Hielt die Zukunft wirklich nicht mehr für ihn bereit...

Autor

Diana Hamilton
Diana Hamilton gehört zu den populären britischen Autorinnen für Liebesromane. Seit 1986 wurden über 50 Romane von ihr veröffentlicht. Bereits als Kind trainierte Diana Hamilton ihre Fantasie. Gern wäre das Stadtkind auf dem Land geboren, deshalb verwandelte sie den Baum im Garten des Nachbarn in einen Wald, aus einem Mauerloch...
Mehr erfahren
Margaret Mc Donagh
Mehr erfahren
Heidi Rice
Mehr erfahren