Broken Hearts - Brennende Sehnsucht

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Auf jeder Party punkten, reihenweise Typen abschleppen und die weibliche Konkurrenz locker abhängen: Keine Frage, Harlow ist die Flirt-Queen von Strawberry Valley. Bis ein Schicksalsschlag sie aus der Bahn wirft und sie entschlossen einen Schlussstrich unter ihre wilde Vergangenheit zieht. Jetzt will sie nichts mehr von Oberflächlichkeiten wissen. Zu dumm, dass sie sich ausgerechnet in Beck Ockley verknallt. Der ist zwar theoretisch der perfekte Kandidat: umwerfend sexy, Millionär, verboten charmant. Aber leider total allergisch gegen jede Art Bindung. Dabei knistert es wahnsinnig zwischen ihm und Harlow und er scheint ihre Gefühle zu erwidern … Sein rätselhaftes Verhalten fasziniert sie immer mehr. Erst als sie erfährt, was wirklich dahintersteckt, begreift sie, worauf sie sich eingelassen hat …

"Unverschämt freche, clevere Helden und ein perfekt gestrickter, unkonventioneller Plot: Gena Showalter in atemberaubender Bestform."

New York Times-Bestsellerautorin Kristan Higgins

"Showalter haut mich jedes Mal von Neuem um."

Sylvia Day, #1 New York Times-Bestellerautorin

"Auf jeder Seite prickelnde Romantik"

New York Times-Bestsellerautorin Jill Shalvis

"Die Figuren sind so sexy und witzig, dass man sich vom Fleck weg in sie verliebt"

Bestsellerautorin Lori Foster

"Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen"

New York Times-Bestsellerautorin Carly Phillips

"Der Name Showalter garantiert beste Unterhaltung"

RT Book Reviews

"Mitreißende Stories und unvergessliche Figuren - Gena Showalter schaffte es immer wieder, ihre Leser zu überwältigen"

Bestsellerautorin Jeaniene Frost

"Eine clevere und sexy Romanze voll witziger Sprüche, mitreißender Dialoge und aufregender Sinnlichkeit"

Romantic Times Book Reviews

"Die ultimative Gute-Laune-Lektüre"

All About Romance

"Gena Showalters Geschichten sind rasant, ihre Figuren so lebendig, dass sie förmlich aus den Seiten herausspringen ... Sie enttäuscht nie."

USA Today-Bestsellerautorin Julie Kenner

"Showalter erzählt humorvoll und eindringlich"

Booklist


  • Erscheinungstag 15.08.2016
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783956499067
  • Seitenanzahl 416
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Gena Showalter

Broken Hearts –
Brennende Sehnsucht

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Christiane Meyer

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Hotter You Burn

Copyright © 2015 by Gena Showalter

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Eva Wallbaum

Titelabbildung: Getty Images, München: Stuart McClymont

ISBN eBook 978-3-95649-906-7

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Harlow Glass stand auf der Veranda eines einhundert Jahre alten Farmhauses, das wohl mehr Persönlichkeit hatte als die meisten Menschen. Das letzte Licht des Tages schien das Gebäude liebevoll zu umfangen, die Wände, von denen einst die cremeweiße Farbe abgeblättert war und den Blick auf das morsche, verwitterte Holz freigegeben hatte, glänzten in neuer Verkleidung und frischer Farbe. Die beschädigte Versiegelung am Erkerfenster war ersetzt worden, sodass sich zwischen den Scheiben keine Feuchtigkeit mehr sammeln konnte. Früher hatte sich Efeu bis zum Dach hinaufgerankt, doch inzwischen waren die Pflanzen beschnitten und die Ranken entfernt.

Harlow sah die Auffahrt hinab. Keine Autos.

Sie lauschte an der Tür. Keine verdächtigen Geräusche.

Ein Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht. Nachdem sie monatelang Pech gehabt hatte, lief endlich einmal etwas zu ihren Gunsten.

Hoffentlich würde es so bleiben.

Zitternd schob sie den Schlüssel ins Türschloss. Die Angeln quietschten, als die massive Eingangstür aus Holz aufschwang. Anheimelnde Düfte nach frischem Brot, Vanille und karamellisierten Früchten wehten ihr entgegen und ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihr leerer Magen knurrte und zog sich beinahe schmerzhaft zusammen.

„Hallo?“, rief sie.

Eine empörte oder überraschte Antwort blieb aus.

Mutig schloss sie die Tür hinter sich und ging ins Wohnzimmer. Erleichtert atmete sie durch. Ich bin wieder da.

Ihr Zuhause aus Kindertagen erwiderte einen ächzenden Willkommensgruß, und einen Moment lang spielte sich vor ihrem geistigen Auge eine ihrer liebsten Erinnerungen ab: Martha Glass rückte das Sofa an eine neue Stelle, während sie, Harlow, auf einer der Armlehnen saß und so tat, als würde sie auf einem buckelnden Wildpferd reiten. Ihr Vater war an jenem Tag nicht da gewesen, um sie zu verhöhnen und zu beleidigen – Du bist jämmerlich, du bist dumm, du bist eine einzige Enttäuschung! Und so hatte eine entspannte, beinahe ausgelassene Stimmung geherrscht.

Die Erinnerung, die sie so lange in Ehren gehalten hatte, erstarb, als eine deprimierende Erkenntnis sich Bahn brach. Das hier war zwar das Zuhause ihrer Kindheit, doch es gehörte nicht länger ihr. Streng genommen hatte sie gerade einen Einbruch begangen. Aber eben nur streng genommen! Schließlich hatte sie nur … Na ja, nachdem die Renovierungsarbeiten nun abgeschlossen waren, musste sie sich das Haus doch einmal von innen ansehen. Und falls anschließend zufällig ein paar Nahrungsmittel verschwanden, würde sie den neuen Besitzern damit nur einen Gefallen tun – immerhin bewahrte sie diese vor fiesen Fettfallen.

„Gern geschehen“, murmelte Harlow.

Die Besitzer des Farmhauses waren die neuesten Einwohner von Strawberry Valley, Oklahoma. Es waren drei Junggesellen, die sie einige Wochen lang aus der Ferne beobachtet hatte. Lincoln West, dem sie den Titel „der Intelligente“ verliehen hatte. Beck Ockley – „der Schöne“. Und Jase Hollister – „der Wilde“. Männer, mit denen sie noch nie gesprochen hatte und mit denen sie auch in Zukunft nicht zu sprechen vorhatte. In Harlows Herzen gehörte das Haus nach wie vor ihr und würde immer ihr gehören. Und das machte die Männer zu Eindringlingen. Sie war hier geboren, und wenn alles nach Plan lief, würde sie hier auch sterben. Nur hoffentlich nicht heute.

Dies war das erste Mal, dass sie das Haus betrat, nachdem die Bank sie vor ungefähr sieben Monaten unsanft vor die Tür gesetzt hatte. Langsam drehte sie sich im Kreis und betrachtete die einzige Liebe, die noch Teil ihres Lebens war. Zu viele Veränderungen. Verschwunden waren die zerkratzten, fleckigen Holzfußböden. Die angeblichen Makel waren abgeschliffen worden.

Was war denn an ein paar Schwachstellen verkehrt? Die Eigenarten eines Hauses oder auch eines Menschen zeugten doch nur davon, dass gelebt wurde.

Die Tapete war entfernt, die Wände mit Rigipsplatten ausgebessert und in der Farbe eines Karamell-Latte gestrichen worden. Ehemals heruntergekommene Zierleisten und die Vertäfelung erstrahlten in neuem Glanz. Eine weibliche Note hier und da verhinderte, dass das Haus wie eine totale Junggesellenbude wirkte – Dekokissen, Schalen mit Duftpotpourri und Spitzendeckchen. Aber sie vermisste die Katzenbilder, die ihre Mutter aufgehängt hatte, oder die hier und da platzierten Stücke aus Porzellan, die Strickkörbe, die Porzellanpuppen und die kitschigen Lampen, die auf den Beistelltischen mit den Deckchen gestanden hatten.

Harlow machte sich auf eine Enttäuschung gefasst und ging in Richtung der Schlafzimmer. Zuerst kam sie ins ehemalige Gästezimmer, das inzwischen das reinste Männerrefugium war. Die eine Hälfte des Zimmers wurde von einem breiten Bett mit dunkelbrauner Bettwäsche dominiert, während die andere von einem riesigen Flachbildschirm beherrscht wurde, der oberhalb einer gigantischen Konsole mit unzähligen DVDs angebracht war.

Wie sollte sich ein Mensch in einem solchen Raum entspannen?

Der Anblick des nächsten Schlafzimmers – ihr ehemaliges Kinderzimmer – ließ sie innerlich kochen. Das Prinzessinnen-paradies, das ihre Mutter für ihr Töchterchen geschaffen hatte und das sie, selbst als sie älter geworden war, aus sentimentalen Gründen nicht verändert hatte, war zu einer Spielwiese für einen großen Jungen umfunktioniert worden. Unterschiedliche Spielkonsolen standen auf einem gestuften Podest. Die Controller lagen auf dem Boden verteilt. Vor einem riesengroßen ungemachten Bett hing eine Bildleinwand, die von der Decke bis zum Fußboden reichte. Die Wände, die sie einst mit einem liebevoll gestalteten magischen Wald bemalt hatte, waren inzwischen beige. Beige!

Gut, das Wandgemälde hatte ein paar Schäden davongetragen. Dennoch hatte sie jeden Zentimeter geliebt, hatte Wochen damit zugebracht, Skizzen anzufertigen, Farben zu mischen, den ganzen Prozess zu lernen und wertzuschätzen, während sie sich von ihrer Fantasie mitreißen ließ. Natürlich hatte sie die Früchte ihrer Arbeit schon zerstört, bevor die Farbe Beige den Rest erledigte, als sie in einem Wutanfall wahllos Farbe über das Gemälde schüttete. Trotzdem. Diese monotone Wandgestaltung war viel schlimmer.

Ehe sie doch noch dem Drang nachgab, sich einen Stift zu suchen und etwas an die Wand zu malen, um ein wenig „Leben in die Bude“ zu bringen – zum Beispiel zwei Hände mit ausgestreckten Mittelfingern –, verließ sie das Zimmer lieber wieder und zog die Tür hinter sich zu.

Das Hauptschlafzimmer schließlich hatte sich in den Traum eines arbeitssüchtigen Nerds verwandelt. Alle Spuren ihrer Eltern waren verschwunden. Computer und Zubehör lagen auf einem großen Schreibtisch, auf dem Bett und auf dem Fußboden. Gott, sie hielt es nicht länger aus …

Sie ging in die Küche – wo die Tapete von den Wänden abgezogen worden war. Gut. Nicht so schlimm. Diese Veränderung konnte sie nachvollziehen. Die Tapete war im Laufe der Jahre dermaßen vergilbt, dass die Erdbeeren, die ursprünglich frisch und fröhlich die Wände geziert hatten, zum Schluss eher wie geschwollene Hoden aussahen.

Die dazu passenden roten Arbeitsflächen auf den Küchenmöbeln waren durch glänzende weiße Marmorflächen ersetzt worden. Wenigstens die Schränke waren noch da – wenn man sie auch abgeschliffen und schwarz lackiert hatte. Nicht schlecht oder so … Einfach nur anders.

Stechender Schmerz erfasste Harlow, während sie darüber nachdachte, was sein sollte und was nicht. Der Schmerz hätte bestimmt auch noch den Rest ihres Herzens zerstört, wenn sie nicht mit einem Mal einen Blaubeerkuchen entdeckt hätte, der auf dem Herd stand.

Arbeitslos, ohne einen Cent in der Tasche und überdies obdachlos, hatte sie seit einer Ewigkeit keine anständige Mahlzeit mehr zu sich genommen. Und ein anständiges Dessert? Nicht mehr seit Mommas Tod.

Erneut durchzuckte sie dieser Schmerz – dieses Mal allerdings schlimmer. Aber wieder lenkte der gedeckte Kuchen sie davon ab. Wie in Trance ging sie darauf zu. Mit zitternden Fingern strich sie über den Rand der Kuchenform und fing einen Tropfen der noch warmen Glasur auf.

Nur mal probieren … Nur ein einziges Mal.

In dem Moment, als sie den süßen Geschmack auf der Zunge hatte, verpuffte ihr ursprünglicher Plan, sich ein Sandwich aus ein paar Lebensmitteln zu machen, die die drei Junggesellen nicht vermissen würden. Sie hastete durch die Küche und durchsuchte die Schubladen nach den richtigen Utensilien. Mit wachsender Ungeduld stellte sie fest, dass sich nichts mehr am angestammten Platz befand.

Kies knirschte. Eine Autotür wurde zugeschlagen.

Harlow gefror das Blut in den Adern. Sie rannte ins Wohnzimmer und warf sich auf die Couch, um aus dem Fenster zu sehen.

Beck Ockley, „der Schöne“ höchstpersönlich, half gerade einer Frau aus dem Wagen. Beck … der Mann, der sie an den Geräteschuppen auf dem hinteren Teil des Grundstücks erinnerte: außen gepflegt, innen alles durcheinander.

Er war über eins achtzig groß und muskulös und seine Haare waren eine faszinierende Mischung aus Hell- und Dunkelbraun. Die Strähnen wirkten immer etwas zerzaust. Seine Augen, in denen stets ein Ausdruck lag, als wäre er gerade aus einem Bett aufgestanden, hatten die Farbe von flüssigem Honig. Wimpern, die so lang und dicht waren, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte, umrahmten diese Augen. Aber selbst ein Mann wie er sollte ein paar Stunden brauchen, um einen neuen Fisch an Land zu ziehen.

Andererseits strahlte er eine geradezu magische Attraktivität aus. Vermutlich konnte er mit seinem Lächeln so gut wie jede Frau um den Finger wickeln.

Harlow schlug das Herz bis zum Hals, als sie in die Küche zurückrannte und sich den Kuchen schnappte. Wahrscheinlich war es das Beste, den Beweis ihrer spontanen Hausbesichtigung aufzuessen. Jetzt beeil dich! Sie jagte zur Hintertür – um im nächsten Moment wie angewurzelt stehen zu bleiben. Durch das geschliffene Glasfenster erkannte sie Jase und seine Verlobte Brook Lynn Dillon, die aneinandergekuschelt auf der Hollywoodschaukel saßen, die auf der Veranda stand.

Wie hatte sie die beiden bei ihrem Kontrollgang vorhin übersehen können?

Die Angeln der Eingangstür quietschten. Mist! Beck und sein Date würden jeden Moment hereinkommen. Sie sprintete durch das Wohnzimmer, den Flur entlang und in das erste Schlafzimmer – doch das Schloss am Fenster war neu und kompliziert, und egal, wie sehr sie auch daran ruckelte und zog, es ließ sich nicht öffnen. Da die Fensterverriegelungen in den anderen Räumen wahrscheinlich die gleichen waren, rannte sie zurück ins Wohnzimmer. Wenn sie sich neben die Tür stellte, würde man sie nicht sehen, wenn die geöffnet wurde. Und falls Beck vergaß, die Tür zu schließen, könnte sie sich hinausschleichen, sobald er …

„Nachdem du mich nun hierhergelockt hast“, erklang eine atemlose Frauenstimme, „was hast du mit mir vor?“

Zu spät! Der Schreck lähmte sie wie tonnenschwere Gewichte an den Füßen. Sie blieb mitten im Flur stehen. Das Blut rauschte aus ihrem Kopf, das Atmen fiel ihr schwer. Es schien, als wäre das Überleben gerade zu ihrem schlimmsten Feind geworden.

Tawny Ferguson ging rückwärts. Wenn sie in diesem Moment einen Blick nach links geworfen hätte, dann hätte die Frau sie auf jeden Fall gesehen, wie sie mit weit aufgerissenen Augen und einem gedeckten Kuchen in der Hand im Flur stand. Sieh nicht nach links. Bitte, bitte, sieh nicht nach links.

Beck folgte der jungen Frau langsam und ohne Eile. Er verströmte sinnliche Hitze und Entschlossenheit. Unvermittelt hielt er Tawnys Hände über ihrem Kopf fest und sagte: „Ich werde mit dir tun, was auch immer ich will.“

Tawny schmiegte sich aufreizend an ihn. „Sollte ich jetzt Angst haben?“

„Süße, du solltest dankbar sein.“

Die erotische Wirkung seiner Stimme jagte einen wohligen Schauer über Harlows Körper. Sie hasste und liebte ihre Empfindungen gleichermaßen.

Beck beugte sich vor und war nur noch Zentimeter von Tawnys Mund entfernt. Offensichtlich wollte er sie mit dem, was kommen sollte, reizen, verlocken. „Du wirst jede Sekunde, die wir zusammen verbringen, lieben. Das verspreche ich dir.“

Tawny, die offensichtlich kurz vor der Ekstase stand, erschauerte. „Oh, ich bin mir sicher, dass ich es lieben werde. Aber was passiert danach?“

Stille. Grillenzirpen.

Beck erstarrte, auch wenn er mit der Nase an ihrer Wange entlangstrich. „Danach wirst du so weiche Knie haben, dass du nach Hause kriechen musst.“

Tawny kicherte. „Nein, ich meinte beziehungsmäßig. Ich weiß, dass dir der Ruf vorauseilt, König des One-Night-Stands zu sein. Wirst du mich am Morgen immer noch wollen?“

Ein Moment voller Anspannung lag im Raum, als Beck ihr Kinn umfasste und so dafür sorgte, dass Tawny den Blick nicht abwenden konnte. „Ich habe es dir gesagt. Ich habe noch keiner Frau mehr als eine Nacht versprochen. Für diese Regel gibt es keine Ausnahme.“

„Aber warum?“, fragte Tawny schmollend, während sie am Reißverschluss seiner Hose nestelte. „Ich wäre eine sehr … gute … Ausnahme.“ Bei jedem Wort öffnete sie ihn ein Stückchen weiter.

Becks Lächeln erreichte seine Augen nicht und wirkte dadurch kalt und bitter. „Ein Mädchen wie du sollte ein persönliches Happy End mit einem Kerl erleben, der weniger Altlasten mit sich rumschleppt als ich.“

„Mir machen Altlasten nichts aus.“

„Das spielt sowieso keine Rolle.“ Er drängte sich an sie und lenkte sie ab. „Im Moment zählt nur, ob du mich willst oder nicht.“

Tawny stöhnte und schloss die Augen. „Hör nicht auf. Bitte hör nicht auf.“

Nein, nein, hör nicht auf, wage es ja nicht … Mit einem Schlag kehrte Harlow in die brutale Realität zurück. Während Tawny und sogar sie den Blick für alles andere außer Beck verloren hatten, fiel es ihm nicht schwer, seine Sinne beisammenzuhalten. Er konnte meisterhaft ablenken. Und sie sollte es wissen. Sie hatte auf der Highschool immerhin das Gleiche getan. Viele Lehrer und Berater hatten sie zur Seite genommen, um ihr eine einzige Frage zu stellen.

Warum verletzt du deine Mitschüler?

Ihre Antwort? Ich verletze sie nicht. Im Gegenteil. Indem ich auf die Schwächen hinweise, an denen sie arbeiten müssen, helfe ich ihnen.

Unterdessen hatte tief in ihr ein schmutziges Geheimnis an ihr genagt. Die Beleidigungen, die sie geäußert hatte – und es waren tatsächlich Beleidigungen gewesen –, waren nichts im Vergleich zu den grausamen Worten, die ihr Vater ihr entgegenschleuderte.

Du bist nur in einer einzigen Sache wirklich gut, Kleine, darin, mir den Tag zu versauen.

Selbst jetzt zuckte sie noch unwillkürlich zusammen.

Eines Tages hatten all die Gemeinheiten ihres Vaters einen Schalter bei ihr umgelegt, und sie hatte grundlos eine Freundin beschimpft. Das Mädchen fing an zu weinen. In dem Moment begriff Harlow, dass sie die Gefühle anderer beeinflussen konnte. Diese Erkenntnis bedeutete Macht. Schon bald fühlte sie sich nur besser, wenn sie ihre Mitschüler verbal fertigmachte. Zumindest für eine Weile lenkte es sie von sich selbst ab und vermittelte ihr ein gutes Gefühl. Denn in Wirklichkeit war diese Macht nichts als eine Illusion gewesen, ein Kartenhaus, das jeden Tag von Schuldgefühlen und Traurigkeit zum Einsturz gebracht worden war und immer wieder neu hatte errichtet werden müssen.

Wahre Stärke erlangte man nicht, indem man andere runtermachte, sondern indem man sie aufbaute.

„Beck“, sagte Tawny. „Ich will dich. Heute Nacht … und morgen.“

„Einmal reicht.“

Seine Stimme klang so ungerührt, so tonlos, dass Harlow überrascht blinzelte. Egal, mit wem sie ihn bisher hatte reden hören – ob Mann, Frau, alt oder jung, immer hatte ein lockerer, neckischer, leicht anzüglicher Unterton in seinen Worten mitgeschwungen.

„Glaube mir.“

„Aber …“

„Einmal oder keinmal“, entgegnete er kühl. „Deine Entscheidung. Triff sie jetzt, sonst übernehme ich das für dich und bringe dich wieder nach Hause.“

Wenn Tawny in dieser Situation auf mehr drängte, würde er dann tatsächlich Ernst machen? Prinzipien vor Lust – egal, wie schräg und überzogen diese Prinzipien auch sein mochten?

Das Mädchen ließ die Schultern sinken und seufzte geschlagen. „Ein Mal.“

Als Belohnung nahm Beck ihr Gesicht in beide Hände, neigte den Kopf und gab ihr einen glühend heißen, überwältigenden Kuss. Tawny schmolz dahin, krallte die Finger in sein T-Shirt und zerknitterte den schwarzen Baumwollstoff. Harlow hätte sich beinahe verschämt eine Hand vor die Augen gehalten. Beinahe. Denn sie konnte sich nicht mehr rühren, geschweige denn atmen. Beck wusste ganz offensichtlich, was er tat. Und er war so heiß. Er leckte, saugte … Und er machte mit den Händen Dinge mit dieser Frau, dass sie jetzt schon klang, als würde sie kurz vorm Höhepunkt stehen.

Überraschende Sehnsucht rührte sich in Harlows Bauch.

Beck und Tawny boten eine perfekte Studie der Leidenschaft, verführerisch, erotisch, schamlos. All das, was ihr in ihrem eigenen Leben fehlte. Andererseits hatte Beck mit jeder Frau, mit der sie ihn zusammen erlebt hatte, diese perfekte Studie der Leidenschaft geboten.

Sie hatte Beck schon sehr oft dabei beobachtet, wie er dieses Programm durchzog – nur mit unterschiedlichen Frauen und an unterschiedlichen Orten. Auf der Veranda. Im Garten. Selbst auf dem Dach.

Keine der Frauen hatte ihn je zurückgewiesen.

Er umfasste Tawnys Po und befahl ihr mit rauer Stimme: „Schling deine Beine um mich.“

Tawny gehorchte – wie sie alle gehorchten –, und Beck wandte sich zur Couch um, sodass er mit dem Rücken zu ihr stand.

Erleichterung durchströmte Harlow. Auf der Zielgeraden … Nur noch ein paar Minuten … Verdammt, der süße Duft des Kuchens war so verführerisch.

Ausgerechnet diesen Moment wählte ihr Magen, der fiese Verräter, um laut zu knurren.

Das genügte.

Beck drehte den Kopf abrupt in ihre Richtung. Sein Körper war angespannt. Er stellte Tawny auf den Boden und trat vor sie, als wollte er sie beschützen.

Diese fürsorgliche Geste war noch heißer als der Kuss.

Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck des Wiedererkennens.

„Du“, sagte er und klang eher erstaunt als wütend.

Verwirrt blinzelte Harlow. „Ich?“ Er kannte sie?

„Was machst du in meinem Haus?“

In meinem Haus! Harlow ersparte es sich, ihn zu korrigieren. Nichts würde ihn beschwichtigen oder ihr die Haut retten, und so rannte sie außerhalb seiner Reichweite an ihm vorbei und stürzte zur Tür. Sie riss sie auf und jagte hinaus.

„Hey!“, rief Beck. „Stopp.“

Sie legte noch einen Zahn zu und steuerte die Bäume an, eine riesige Eiche, einige ausgewachsene Pekannussbäume und zwei Magnolien, die in voller Blüte standen. Grillen zirpten. Grashüpfer sangen. Vögel krächzten. Das war der makabre Soundtrack im Hintergrund, während sie den vertrauten Duft von Walderdbeeren und taubenetzten Rosen wahrnahm und sich ihre Kehle immer mehr zuschnürte.

Fast da … Nur noch ein Stückchen …

Auf dem einundzwanzig Hektar großen Grundstück standen ein Treibhaus, eine kleine Molkerei, zwei Scheunen, drei Arbeits- beziehungsweise Geräteschuppen. Außerdem waren hier diverse Gemüsebeete angelegt, um die Harlow sich nie richtig gekümmert hatte. Daneben gab es im hinteren Teil des Geländes einen wild bewachsenen Abschnitt mit knorrigen Bäumen, Dornbüschen und Gestrüpp, in dem Schlangen und Skorpione ihr Zuhause gefunden hatten. In diesen Teil des Gartens hatte sich noch keiner der Männer gewagt. Es wäre der perfekte Platz, um sich nun dort zu verstecken – wenn sie nicht ihr Lager da aufgeschlagen hätte.

Sobald sie an der Böschung vorbeigerannt war, lief sie in der entgegengesetzten Richtung weiter und jagte an der alten Eiche vorbei, in die sie früher immer geklettert war … an der Trauerweide, in deren Schatten sie ihren ersten Kuss bekommen hatte … an der Reifenschaukel, die ihr Vater in einem der raren Momente für sie gebaut hatte, in denen er nett gewesen war.

„Bleib stehen“, befahl Beck. „Sofort!“

Es hörte sich an, als wäre er dicht hinter ihr. Zu nah. Es klang jedoch nicht so, als wäre er außer Atem. Sie umklammerte den Kuchen – Versuche ruhig, mir den Kuchen wegzunehmen! – und blickte zurück. Mist! Er war fast bei ihr. Sie lief noch etwas schneller … bis sich einige Disteln in ihre Fersen bohrten und der Schmerz sie dazu zwang, langsamer zu werden. Jede Sekunde würde Beck sie einholen …

Starke Hände umfassten ihre Taille, und zweihundert Pfund pure Muskelkraft stürzten sich auf sie. Sie fiel, und der gedeckte Kuchen flog in hohem Bogen durch die Luft.

„Neeeein!“, rief sie.

Der unsanfte Aufprall raubte ihr den Atem. Tränen schossen ihr in die Augen, doch sie wischte sie sich mit zitternden Fingern weg. Leises Wimmern entrang sich ihrer Brust, als sie sah, wie Stücke des Blaubeerkuchens sich über Steine und Unkraut verteilten und im Dreck lagen.

„Kuchenkiller!“ Hallo, dunkle Seite. „Falls es Gerechtigkeit auf dieser Erde gibt, wirst du dafür in der Hölle schmoren.“

„Wirklich? Das sagst du zu mir?“ Beck hockte sich hin und befreite sie von seinem Gewicht.

„Du hast mich zu Boden gerissen. Ich sollte dich auf Schmerzensgeld verklagen.“

„Ja, tu das ruhig. In der Zwischenzeit werde ich dich wegen Einbruchs anzeigen. Und jetzt erkläre mir, was du mit meinem Kuchen vorhattest.“

Mit meinem Kuchen! Sie hatte ihn rechtmäßig gestohlen. Aber der Vorwurf des Einbruchs ließ sie vorsichtig werden. „Wenn du mal wie ein vernünftiger Erwachsener darüber nachdenkst, wirst du feststellen, dass dein Verbrechen viel schlimmer ist als meins. Deine Tat hat immerhin zum schmerzvollen Tod eines unschuldigen Desserts geführt.“ Jetzt würde sie eine weitere Nacht hungrig einschlafen müssen.

Ihr Magen, dieser Hurensohn, knurrte laut.

„Der Kuchen wäre heute Abend sowieso gekillt worden. Ich habe nur angenommen, dass mein Mund das übernehmen würde und nicht eine dreckige kleine Diebin, die entschlossen ist, einem anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben.“

Er erhob sich und überraschte sie damit, dass er ihr eine Hand reichte, um ihr aufzuhelfen. Das konnte nur ein mieser Trick sein. Harlow lehnte dankend ab, indem sie allein auf die Beine kam. Im Übrigen hatte sie gesehen, wo diese Finger schon überall gewesen waren. Und sie musste nicht unbedingt herausfinden, wie sie sich anfühlten. Ob sie hart und rau waren … und heiß genug, um sie zum Brennen zu bringen und sie erschauern zu lassen wie Tawny und unzählige andere Frauen vorher.

„Was machst du hier?“, wollte er wissen.

Warum sollte sie ihm nicht die Wahrheit sagen? Er musste nur die Bewohner Strawberry Valleys fragen, um zahllose Geschichten über ihre Schreckensherrschaft auf der Highschool zu hören. Vielleicht würde ein besonders zuvorkommender Mensch ihm sogar erzählen, dass einmal ein Abstimmungszettel am Schwarzen Brett auf dem Marktplatz gehangen hatte: Wenn Sie die Möglichkeit hätten zu wählen, wen würden Sie lieber foltern? Den Teufel oder Harlow Glass?

Sie hatte einen erdrutschartigen Sieg davongetragen.

„Ich bin Harlow Glass, und ich habe hier mal gelebt.“

Beck ließ seinen Blick über sie gleiten, um sie dann erneut langsamer von Kopf bis Fuß zu mustern. „Es ist mir eine Ehre. Harlow Glass höchstpersönlich. Ein seltenerer Anblick als Bigfoot.“

Woher wusste er das? Immerhin hatte er keinen Grund gehabt, nach ihr zu suchen.

Und wow. Seine Stimme. Er klang noch rauer, noch besser als zuvor, fesselnd und verführerisch, und jagte ihr lustvolle Schauer über den Körper.

Achtung! Achtung! Gefahr! Sie vergrößerte den Abstand zwischen ihnen.

„Oh nein, das lässt du schön bleiben. Wir gehen jetzt zurück nach Hause.“ Beck gab ihr ein Handzeichen.

Bleib stark. „Wie süß. Das war echt lustig.“

Seine Miene wurde ernster. Sein Gesichtsausdruck versprach Konsequenzen, wenn sie sich weiterhin weigerte, Folge zu leisten. Trotzdem wurde seine gesamte Haltung weicher, war nicht mehr so bedrohlich.

„Entschuldige, dass ich mich nicht so klar ausgedrückt habe, Süße. Du kommst jetzt mit mir. Basta.“

„Nein. Nichts basta. Ich habe keine Lust, mir eine weitere Lektion in Mund-zu-Mund-Beatmung mit Tawny anzusehen. Lass uns einfach einen Schlussstrich unter die Sache ziehen, ja?“

Das Lächeln, das nun auf sein Gesicht trat, wirkte freudlos. Dennoch brachte es sie vollkommen durcheinander. Sie fühlte sich völlig neben der Spur.

„Du hast zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir besprechen den Diebstahl und die Zerstörung meines Kuchens bei mir zu Hause im privaten Rahmen und überlegen uns gemeinsam, wie du Wiedergutmachung leisten kannst. Oder zweitens: Ich rufe Sheriff Lintz an.“

Verdammt! Er hatte sie bei den Eiern, und er wusste es. „Hör mal, du könntest mich mit Waterboarding foltern, und trotzdem würde ich nicht gestehen …“

„Gut zu wissen, dass ich dein Einverständnis fürs Waterboarding habe.“

„… ein Verbrechen begangen zu haben. Also, warum entschuldige ich mich nicht einfach für die kleine Störung, und wir belassen es dabei?“

„Gibt es zu der Entschuldigung eine Kuchenbeilage?“

„Nein“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Dann belassen wir es nicht dabei.“

Dachte ich mir schon. „Erwartest du von mir, dass ich dir einen neuen Kuchen backe?“

„Ja, Ma’am. Das erwarte ich.“

„Wirst du mir tausend Fragen darüber stellen, wie ich getan habe, was ich angeblich getan habe, oder warum ich getan habe, was ich angeblich getan habe?“

„Sehe ich wie jemand aus, den das Wie oder Warum interessiert?“

Nein. Nein, so sah er nicht aus. Er sah wie ein Typ aus, den überhaupt nicht viel interessierte – abgesehen von seinem eigenen Vergnügen. „Okay. Also gut.“ Sie hätte so ziemlich alles getan, um ihn (1) von ihrem Camp fernzuhalten, (2) ihn endlich loszuwerden und (3) ihn zu besänftigen, damit die ganze Sache unter ihnen blieb. Doch er musste sich auf eine unangenehme Überraschung gefasst machen. Ihre Mutter hatte ihr nicht ohne Grund den Titel „Schlechteste Köchin aller Zeiten“ verpasst. „Du hast gewonnen.“

Hocherhobenen Hauptes stolzierte sie an ihm vorbei. Er folgte ihr und ging dann neben ihr her. Eine Hand hatte er leicht auf ihren Rücken gelegt. Die Geste sollte sicherstellen, dass sie nicht abhaute, aber die Wärme, die sie spürte, löste bei ihr Sehnsucht aus. Sehnsucht nach … irgendetwas.

„Du weißt schon, dass es mehrere Stunden dauert, einen gedeckten Kuchen zu backen, oder?“ Zumindest hatte es bei ihrer Mutter so lange gedauert. „Lässt du mich denn allein in der Küche meiner Beschäftigung nachgehen, während du dich mit Tawny zurückziehst, damit ihr eurer Beschäftigung nachgehen könnt?“

„Tawny wird warten müssen. Wenn ich zwischen Sex und Kuchen wählen kann, zieht Sex immer den Kürzeren.“

„Wow“, entgegnete sie und verdrehte die Augen. „Kein Wunder, dass in deiner Gegenwart reihenweise die Schlüpfer fallen. Deine Worte sind die reinste Poesie.“

„Willst du mir damit sagen, dass dein Schlüpfer praktisch auch schon gefallen ist?“

Sie sah ihn erst ungläubig, dann verblüfft an. Schwindendes Sonnenlicht traf ihn, streichelte ihn mit goldenen Strahlen und ließ ihn beinahe übermenschlich schön aussehen. Überirdisch. Erneut verspürte sie in ihrem Innersten diesen sehnsüchtigen Schmerz.

„Der Tag, an dem mein Höschen für dich fällt“, sagte sie ohne jede Schärfe in der Stimme, „ist der Tag, an dem ich hinter einen der Gartenschuppen gestellt und erschossen werden möchte.“

„Weil du weißt, dass du mich danach nie wieder haben wirst, und weil du mit dem Verlust nicht leben kannst?“

Sie schnaubte verächtlich, dennoch bezauberte sein schräger Sinn für Humor sie irgendwie.

Nein. Nicht irgendwie. Beck wusste genau, was er tat, was er sagen musste.

„Ja“, erwiderte sie trocken. „So etwas in der Art.“

Seine goldenen Augen funkelten belustigt und seine Mundwinkel zuckten verdächtig. „Also gut. Ich verspreche dir, es so schnell und schmerzlos wie möglich zu machen.“

Wie nett. „Noch mal kurz zurück zum Anfang. Vorhin hast du mich angesehen, als würdest du mich kennen. Außerdem hast du angedeutet, dass du nach mir gesucht hast. Warum?“

Schlagartig war die Belustigung aus seinen Augen verschwunden. „Womöglich verwechselst du Schock mit Vertrautheit.“

Sie hatte vielleicht keine überragende Menschenkenntnis, aber sie besaß sie. „Die beiden sind so weit voneinander entfernt, dass sie sich nicht verwechseln lassen.“

„Du findest den Gedanken, dass du mich getroffen und mich wieder vergessen hast, also plausibler?“

Tja. Der Einwand war nicht ganz von der Hand zu weisen.

Als sie die Bäume hinter sich ließen, erblickten sie Tawny. Die junge Frau wartete auf der Veranda. Sie stützte sich auf der Brüstung ab, in die die Initialen H. G. geschnitzt waren, und drückte mit den Oberarmen unauffällig ihre Brüste zusammen. Als hätte sie in der Hinsicht wirklich Unterstützung nötig. Die Frau war klein und kurvig, verglichen mit ihr, der mädchenhaften Harlow, ein fleischgewordenes Pin-up-Girl.

Tawny kniff ihre stahlgrauen kühlen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und zischte wie eine Schlange kurz vor dem Angriff: „Ich hatte gehofft, einen Albtraum gehabt zu haben.“ Eine Windböe hob Strähnen ihrer rockigen Frisur an, als sie die Stufen hinunterlief, um ihnen entgegenzukommen. „Aber nein. Du bist es wirklich. Die Leibhaftige.“

Harlow schwieg. Die früher einmal übergewichtige Tawny war auf der Schule Zielscheibe ihrer Grausamkeiten gewesen, also akzeptierte sie die Beleidigung. Sie hatte es nicht anders verdient.

Rückblickend wusste sie, dass es keine Entschuldigung für all die verletzenden Dinge gab, die sie zu den anderen gesagt hatte. Der tyrannische Vater? Der Wunsch, sich selbst besser zu fühlen? Ach, bitte.

Zumindest hatte sie am Ende die gerechte Strafe bekommen.

Unwillkürlich rieb Harlow über die Narben an ihrem Oberkörper – Beweise dafür, dass sie innerhalb eines winzigen Augenblicks von der Tyrannin zum Opfer geworden war.

Beck legte einen Arm um ihre Taille. Die Berührung wirkte wie ein elektrischer Impuls, der durch ihren Körper jagte und sie aus ihren Gedanken riss. Tawny bemerkte die Geste und fluchte.

Harlow wollte einen Schritt zur Seite machen, weg von dem Playboy. Wenn es darum ging, die Sünden ihrer Jugend wiedergutzumachen, konnte sie Tawny nicht viel geben. Doch sie konnte ihr zumindest das Feld überlassen, wenn es sich um die Aufmerksamkeit der bekanntesten und berüchtigtsten männlichen Schlampe der Stadt handelte.

Es gab nur ein Problem. Beck wollte sie offensichtlich nicht loslassen, sondern nutzte seine gut ausgebildeten Muskeln, um sie festzuhalten. Der Kontakt ihrer Körper brachte Harlow aus der Fassung – sie spürte augenblicklich nicht zu leugnende und beinahe unerträgliche Verzückung, ein Hochgefühl.

Jetzt reiß dich mal zusammen, Glass.

„Wenn du schlau bist“, sagte Tawny zu Beck, „schneidest du ihr die Schlangenzunge raus und lässt sie am Straßenrand liegen, wo sie verbluten kann.“

Autsch.

„Vielleicht später“, entgegnete er. „Im Moment haben sie und ich etwas Wichtiges zu besprechen.“

An der Treppe blieb er kurz stehen und legte den anderen Arm um Tawny. Die Blondine fauchte förmlich, sie wollte anscheinend in keinster Weise mit ihr in Verbindung stehen.

Na schön. An der Tür löste Harlow sich aus Becks Umarmung, indem sie so tat, als wollte sie ihre Sandalen zuschnüren – die allerdings keine Schnürsenkel hatten.

Beck, der sich als äußerst stur erwies, wartete, bis sie sich erhob, zog sie wieder an sich und führte sie in die Küche.

„Bleib hier“, sagte er zu ihr und warf ihr einen eindringlichen Blick zu. „Falls du versuchst wegzulaufen, werde ich dich schnappen. Und was dann passiert, wird dir nicht gefallen.“

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. „Soll das eine Drohung sein?“

„Süße, das ist ein Versprechen. Ich werde so schnell Sheriff Lintz an der Strippe haben, dass dir schwindelig wird.“

Sheriff Lintz hatte allen Grund sie zu hassen. In der zehnten Klasse hatte sie seinen Sohn öffentlich abserviert – und das nicht auf die nette Art. „Ich bleibe“, versprach sie.

Während er die protestierende Tawny durch den Flur schob, konnte Harlow die gedämpfte Unterhaltung zwar nicht verstehen, aber trotzdem mitbekommen, wie Tawny jammerte und wie Beck sie beruhigte. Dann hörte sie etwas deutlicher, wie er sagte: „Warte hier.“

Eine Tür fiel ins Schloss. Schritte erklangen. Er kam um die Ecke gebogen, betrat die Küche und blieb an der Anrichte stehen. Dort legte er die Hände auf die Arbeitsplatte. Sein Blick war auf sie gerichtet, Harlow konnte die Hitze spüren.

Mit der Zungenspitze strich sie sich über ihre mit einem Mal trockenen Lippen.

„Also dann“, sagte er. „Jetzt kommt der Teil, wo ich keine tausend Fragen über das Wie und Warum stellen muss – denn du wirst mir alles freiwillig erzählen. Sonst passiert was.“

2. KAPITEL

Beck hätte lieber ein Springseil aus seinem Dünndarm gedreht, als eine Veränderung zu akzeptieren. Veränderungen waren scheiße. Selbst der Umzug nach Strawberry Valley, Oklahoma, vor ein paar Monaten hatte für ihn eine besondere mentale und emotionale Qual dargestellt. Nur auf Drängen seiner Freunde hin, die er wie Brüder liebte, hatte er es überhaupt durchgezogen.

Er musste sich noch immer einleben und an die neue Situation gewöhnen. In der Großstadt konnte er einkaufen oder in die Bank gehen, ohne belästigt zu werden. Hier blieb so ziemlich jeder, dem er über den Weg lief, stehen, um ihn um einen Gefallen zu bitten. Oder um einen Ratschlag einzuholen. Oder einfach, um nachzufragen, was er gerade so machte – als hätte die ganze Welt ein Recht darauf zu erfahren, was bei ihm so los war.

Obwohl Miss Harlow Glass sich dessen nicht bewusst war, hatte sie sein Leben schon in vielerlei Hinsicht verändert. Und das hatte nichts mit ihrem Besuch hier zu tun.

„Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nichts gestehen werde.“ Sie verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Das war mein Ernst.“

Er bewunderte ihre Entschlossenheit, unter dem Druck seines eindringlichen Blicks nicht ins Wanken zu geraten. Doch jedes Wort, das sie äußerte, spürte er wie eine Liebkosung voller Sünde und Herzschmerz, die ihn tief berührte. Auf diese augenblickliche, heftige Wirkung, die diese Frau auf ihn hatte, war er nicht vorbereitet.

„Mir ist egal, was du gesagt hast, Süße. Du bestimmst hier nicht die Regeln. Ich bestimme sie.“

„Regeln sind dazu da, um gebrochen zu werden, oder?“

„Ja? Du klingst nicht besonders überzeugt.“

Sie hob das Kinn. Es war eine Haltung, die er wiedererkannte.

Er kannte sie, diese schwarzhaarige Schönheit, die so feminine, so zarte Züge hatte, dass seine Urinstinkte sich regten und entfesselt werden wollten. Schon seit Wochen beherrschte sie seine Träume.

Als er, Jase und West in das Glass-Haus gezogen waren – so nannte jeder in Strawberry Valley das Haus auch jetzt noch –, fand er einen alten Karton mit Fotos, den der Vorbesitzer zurückgelassen hatte. In der Pappschachtel lagen die Bilder einer jungen Frau, die ihre Entwicklung vom Kind bis zur Erwachsenen dokumentierten. Jedes Bild faszinierte ihn. Als Kind hatte Harlow Glass traurig gewirkt, gequält und eindringlich. Auf jedem Foto hielt die Kleine den Kopf geneigt und die Schultern hochgezogen. Diese Haltung kannte er gut, denn er hatte sie als Kind selbst viel zu oft eingenommen. Es war der unbewusste Versuch, sich unsichtbar, sich zu einem kleineren Ziel zu machen.

Bei der Jugendlichen verschwand die Traurigkeit dann langsam und wurde von kalkulierter Schärfe überdeckt. Der Verlust der Unschuld. Bei der Frau schließlich standen in ihren Augen, die in einem überwältigenden Meeresblau erstrahlten, Schuldgefühle, Trauer und Schmerz. Emotionen, die auch er jedes Mal sah, wenn er in den Spiegel schaute.

Er behielt die Fotos für sich und versteckte sie vor allen anderen. Kein Wunder. Als ehemaliges Pflegekind waren ihm seine Spielsachen und seine Kleidung alle sechs bis acht Monate wieder abgenommen worden, wenn die jeweilige Familie ihn zurückgeschickt hatte. Das hatte bei ihm eine ziemlich leidenschaftliche Abneigung gegen das Teilen geweckt.

Irgendwie gehörte dieses Mädchen ihm.

Er hatte beobachtet, wie sich Harlows Leben entwickelte. Er hatte über sie nachgedacht, war neugierig, beinahe besessen gewesen und war sogar auf der Suche nach ihr durch die Stadt gestreift. Und da war sie nun. Ein Geschenk des Himmels, das ihm direkt in den Schoß gefallen und noch viel herrlicher war, als er es sich vorgestellt hatte.

„Dein Schicksal liegt in meinen Händen. Vielleicht versuchst du mal, ein bisschen nett zu sein, Süße.“

Unter ihren gesenkten Wimpern hervor warf sie ihm einen Blick zu und nagte an ihrer vollen Unterlippe. Sie war so schön, dass es beinahe wehtat, sie anzusehen.

„Wirst du Sheriff Lintz anrufen?“

Beck verschränkte die Arme vor der Brust und tat so, als müsste er einen Moment lang darüber nachdenken. Er ließ sie zappeln. Der Gedanke, dass diese junge Frau Ärger mit dem Gesetz bekommen könnte, gefiel ihm überhaupt nicht. Gut, er bezweifelte, dass Harlow mehr als eine Verwarnung oder höchstens ein paar Stunden gemeinnütziger Arbeit bekommen würde, aber der Eintrag in ihre Akte würde sie für den Rest ihres Lebens verfolgen.

„Nein“, sagte er schließlich und achtete darauf, möglichst missmutig und schroff zu klingen. „Ich werde den Sheriff nicht anrufen.“

Ein erleichterter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.

„Woher soll ich wissen, ob du die Wahrheit sagst?“

„Süße, ich bin mir sicher, dass ich genauso ehrlich zu dir bin, wie du zu mir warst.“ Das musste sie erst mal schlucken. „Ich will ja auch nur ein paar Antworten von dir. Ganz harmlos, keine übertriebenen Forderungen – nur das, was mir zusteht.“

Er war vielleicht ein kalter, gefühlloser Mistkerl, wie einige Frauen ihn genannt hatten, nachdem er sein Wort gehalten und nach dem One-Night-Stand den Kontakt zu ihnen abgebrochen hatte, aber er war nicht herzlos. Harlow hatte einmal in diesem Haus gelebt, und die Zwangsversteigerung hatte an ihrem Gefühl, noch immer die Besitzerin zu sein, offenbar nichts geändert. Er hätte bestimmt genauso empfunden. Zwar wohnte er erst seit ein paar Monaten hier, doch im Fall der Fälle müsste man ihn schon gewaltsam mit einem Kran aus dem Haus holen. Auf den einundzwanzig Hektar Land des Anwesens wuchsen Pekannussbäume, Kirsch- und Pflaumenbäume, dazu Walderdbeeren, Brombeeren und Blaubeeren. Alles, was Brook Lynn, die Verlobte von Jase, für ihre Kuchen brauchte.

Es gab einen Pool, den er und seine Freunde renoviert hatten, einen Schwimmteich und einen kleinen Teich, in dem Barsche lebten. Außerdem gab es einen Schuppen Schrägstrich sicheren Unterschlupf, der inzwischen mit Waffen und Nahrungsmitteln ausgerüstet war, falls es zu einer Zombie-Apokalypse kommen sollte. Diese Apokalypse war etwas, vor dem Brook Lynn tatsächlich Angst hatte.

Nun diese Einbruchsgeschichte – Harlow war nicht der Mensch, der gegen das Gesetz verstieß. Angesichts der Tatsache, dass jeder in der Stadt sie hasste und niemand ihr einen Job geben wollte, musste sie pleite und halb verhungert sein.

Der Gedanke brachte ihn dazu, zum Kühlschrank zu gehen. Er bereitete ein Truthahnsandwich zu.

„Hier“, sagte er.

„Nein, nein. Das kann ich nicht.“ Sie wich zurück, auch wenn ihr Blick an dem belegten Brot klebte und ein sehnsüchtiger Ausdruck in ihre Augen trat.

„Du kannst meinen Kuchen stehlen, aber kein Sandwich annehmen?“

„Hey, es war ein ‚mutmaßlicher Diebstahl‘. Und vielleicht habe ich die Lektion gelernt, wie gefährlich es sein kann, etwas von Fremden anzunehmen.“

„Vielleicht will ich nicht allein essen.“ Obwohl er bereits mit Tawny zu Abend gegessen hatte, machte er noch ein zweites Sandwich. „Ist dir das schon mal in den Sinn gekommen?“

„Oh! In dem Fall.“

Harlow schnappte sich das angebotene Sandwich so schnell, dass sie vermutlich ein Schleudertrauma davontrug. Anfangs versuchte sie anmutig zu essen und nur hier und da mal ein bisschen zu knabbern, doch bald gab sie es auf und biss so ausgehungert in das Brot, dass es Beck das Herz brach.

Wieso war sie so lange in Strawberry Valley geblieben? Ja, die sanften Hügel und die bunte Main Street mit den hübschen Geschäften hätten glatt einem Kitschbild des „Malers des Lichts“ Thomas Kinkade entsprungen sein können. Und die öffentlichen Barbecues, Straßenpartys, Feste des Schwimmvereins, Fes-tivals und sonstigen Feierlichkeiten für alles Mögliche – von der ersten Zahnspange des Kindes bis zum ersten Date des Teenagers – waren so charmant, dass sich sogar jemand wie er in ihren Bann hatte ziehen lassen. Aber Harlow schaffte es nicht, sich hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Warum also war sie nicht in die Großstadt gezogen und hatte von vorn begonnen?

Waren es ihre Wurzeln, die sie zurückhielten? Das war etwas, das er gerade erst zu verstehen begann.

Als kleines Kind hatte Beck durch den Krebs seine Mutter verloren und schon bald darauf seinen Vater – durch die gute alte Selbstsucht. Sein lieber Daddy hatte ihn bei einer Tante abgegeben und war einfach nie mehr zurückgekommen. Nachdem Tante Millie es leid gewesen war, sich um ihn zu kümmern, hatte sie ihn an ein anderes Familienmitglied weitergereicht. So hatte sich das fünfmal wiederholt, bis kein weiteres Familienmitglied mehr übrig gewesen war. Keiner von ihnen hatte ihn für immer aufnehmen wollen. So war er schließlich in die Obhut des Staates gekommen und von einer Pflegefamilie in die nächste gereicht worden. Während einige Familien ganz nett waren, hatte er bei anderen die Hölle auf Erden erlebt.

Die Hintertür ging auf, wobei die Türangeln quietschten. Jase Hollister kam mit Brook Lynn im Schlepptau in die Küche. Beide hatten gerötete Wangen und waren außer Atem.

„Hey, Mann.“ Jase klatschte Faust an Faust mit ihm ab.

„Hey.“

Jase und West waren ebenfalls Staatsmündel gewesen und hatten das Gleiche durchgemacht wie er. Sie hatten ihn besser verstanden als er sich selbst. Gleich, als sie sich zum ersten Mal begegneten, freundeten sie sich an und wurden füreinander die Familie, die sie nie gehabt hatten. Wie Pech und Schwefel hielten sie zusammen und gingen gemeinsam durch dick und dünn. Er liebte die beiden. Mann, er würde für sie sterben.

Brook Lynn bemerkte Harlow, und ihr Blick verfinsterte sich. „Was will die denn hier?“

Harlow hatte für diesen Tag offenbar genug Beleidigungen klaglos über sich ergehen lassen, denn sie warf ihr Haar über die Schultern zurück und sagte: „Beck hat mich gesehen und ist mir hinterhergelaufen. Er hat darauf bestanden, dass ich hier bei ihm zu Hause etwas Zeit mit ihm verbringe. Ungestört.“

Beck strich sich über den Mund, um ein Lächeln zu verbergen. „Das kann man so sagen.“

„Beck.“ Brook Lynn war die Besorgnis deutlich anzumerken. „Du kennst sie nicht und weißt nicht, wozu sie fähig ist. Schlaf nicht mit ihr. Bitte. Sie ist …“

Jase fiel seiner Freundin ins Wort. „Und hier trennen sich unsere Wege“, sagte er zu ihm und Harlow und zog Brook Lynn hinter sich her.

In den vergangenen Monaten war Jase weicher geworden – er, der Mann, den viele als „abgebrühten Kriminellen“ bezeichneten. Ausnahmsweise musste Beck zugeben, dass eine Veränderung auch etwas Positives bedeuten konnte.

Nach Jases neunjährigem Gefängnisaufenthalt hatte er einen Neuanfang an einem neuen Ort gebraucht. Er hatte sich Strawberry Valley ausgesucht, da die weite Landschaft und der enge Zusammenhalt in der Gemeinde ihn faszinierten.

Mit Jase hierherzuziehen, war für ihn selbstverständlich gewesen. Obwohl es eine Herausforderung dargestellt hatte. Dass er so lange auf seinen Freund hatte verzichten müssen, war schon schlimm genug, doch er und West schuldeten Jase mehr, als sie ihm je zurückgeben könnten. Die Tatsache, dass er so tief in Jases Schuld stand, war der Grund dafür, dass Beck sich nie beklagt hatte, als Jase das heruntergekommene Farmhaus renovierte. Und der Grund dafür, dass er lächelte, auch wenn seine Umgebung sich Stück für Stück immer weiter veränderte.

„Ich sollte gehen“, verkündete Harlow.

Beck blickte sie an. „Netter Versuch, Süße, aber wir sind noch nicht fertig miteinander. Wie bist du überhaupt ins Haus gekommen?“ Er hatte keinerlei Einbruchsspuren gesehen. Nicht, dass er besonders darauf geachtet hätte, bevor oder nachdem er ihr hinterhergerannt war und sie geschnappt hatte.

„Na ja … ich habe irgendwie einen Schlüssel.“ Sie zupfte sich einen unsichtbaren Fussel vom T-Shirt und fügte hinzu: „Ist es ein ungünstiger Zeitpunkt, um zu erwähnen, dass mir die Veränderungen, die ihr am Haus vorgenommen habt, überhaupt nicht gefallen?“

„Du kannst keinen Schlüssel haben. Jase hat das Schloss gleich am ersten Tag austauschen lassen.“ Der Mann traute keinem Fremden. Genau wie er selbst und West auch. Sie hatten gelernt, nicht zu vertrauensselig zu sein.

„Na ja … es könnte sein, dass er die Schlüssel mal auf der Veranda hat liegen lassen, als er in den Garten gelaufen ist, um sein Werkzeug zu holen.“

Und sie war zufällig in der Nähe gewesen und hatte das beobachtet? Und keinem von ihnen war es aufgefallen? „Von morgen an wird dein Schlüssel jedenfalls nicht mehr passen.“

In ihren meeresblauen Augen blitzte kurz Wut auf, die jedoch schnell einem resignierten Ausdruck wich. Sie senkte den Kopf und zog die Schultern hoch, wie er es auf so vielen Fotos von ihr gesehen hatte. „Ja. Das habe ich mir schon gedacht.“

Verdammt. Ihre Worte versetzten ihm einen Stich. Wie viele Schicksalsschläge hatte dieses Mädchen bereits erdulden müssen?

Und warum kümmerte ihn das überhaupt? Ja, die Fotos von ihr hatten ihn gefesselt. Ja, sie war heiß. Doch so viel Zeit und Energie in eine einzige Frau zu stecken, entsprach nicht seiner üblichen Vorgehensweise.

„Wenn du hungrig warst, wieso bist du dann nicht gekommen, hast geklingelt und gefragt, ob wir dir etwas zu essen geben?“

Sie straffte unwillkürlich die Schultern. „Ich brauchte … ich brauche eure Hilfe nicht.“

Aha. Stolz. Der Untergang so vieler Menschen. Er hatte sich früher auch einreden wollen, keinen anderen Menschen zu brauchen und ganz gut allein zurechtzukommen. Aber immer, wenn er eine glückliche Familie sah, hatte er sich gefühlt, als wäre er von einem Auto überfahren worden.

„Du brauchtest … du brauchst doch Hilfe, sonst wärst du nicht hier.“ Als sie ihn wütend anfunkelte, fügte er hinzu: „Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass du das Haus verloren hast?“

„Das geht dich nichts an“, erwiderte sie knapp.

„Du hast das Geld, das du von der Versicherung deiner Mutter bekommen hast, auf den Kopf gehauen. Verstehe.“ Als sie das Haus kauften, erzählte der Makler ihnen, dass die verzogene Glass-Göre am Anfang des Jahres die Mutter verloren hatte und sich weigerte, sich einen Job zu suchen, weil es unter ihrer Würde sei. Er hörte nur mit halbem Ohr zu und bereute das bitter, seit er den Karton mit den Fotos gefunden hatte. Jetzt versuchte er, sich an irgendetwas zu erinnern, das er vielleicht aufgeschnappt hatte. Doch vergeblich. „Was bist du, Harlow Glass?“

Harlow schürzte die Lippen, lenkte mit dieser Geste seinen Blick auf ihren Mund und hielt ihn dort gefangen. Diese Lippen waren noch besser, als die Fotos es versprachen. Voll und rot. Lippen, die jeder Mann gern verschlungen hätte … und von denen er sich gern verschlingen lassen würde. Harlow verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und wirkte nervöser als in dem Moment, als er sie im Haus entdeckt hatte.

„Was meinst du damit? Was bin ich? Was soll das für eine Frage sein?“

„Eine absolut zulässige Frage. Womit verdienst du deinen Lebensunterhalt? Bist du Life-Coach? Buchhalterin? Unterwäschemodel?“ Er ließ seinen Blick über sie schweifen und achtete darauf, ihr hübsches Gesicht auszusparen – der Rest von ihr war für seine geistige Gesundheit allerdings genauso gefährlich. „Bist du eine Femme fatale?“

„Ich bin keine Herzensbrecherin, so viel ist klar. Nicht so wie andere Leute, die ich kürzlich kennengelernt habe.“

„Meinst du mich?“

„Ja, dich“, sagte sie und nickte. „Wen sonst? Du hast dich mit keiner Frau zweimal getroffen. Jedenfalls nicht, seit du hier wohnst.“

Eigentlich bisher nie. „Und?“ Ja, er vögelte in der Gegend herum. Warum auch nicht? Sex fühlte sich gut an, und ein paar Stunden lang konnte er sich in der Lust verlieren. Keine Gedanken. Keine Probleme. Keine Sorgen. Seine Version einer Psychotherapie.

„Ich war noch nicht fertig. In deinem Schlafzimmer wartet eine Frau auf dich, aber du bist hier und …“ Sie fuchtelte mit den Händen herum. „… und flirtest mit mir.“

„Das ist doch kein Flirt, Süße. Das ist ein Verhör.“

„Ha! Ein Verhör setzt voraus, dass ich bedroht werde, aber das Einzige, was an mir im Augenblick in Gefahr ist, ist mein Mund. Du starrst.“

Tat er das? „Mache ich dir Angst? Oder errege ich dich?“

Sie riss die Augen auf. „N… nichts von beidem.“

Ein Stammeln. Bezaubernd. „Lass uns mal herausfinden, wie du reagierst, wenn ich tatsächlich flirte.“ Aufreizend langsam ging er um die Anrichte herum.

Harlow wich zurück, einen Schritt, zwei Schritte. Sie wäre noch weiter zurückgegangen, wenn der Herd ihren Rückzug nicht gestoppt hätte. Ein Triumphgefühl erfasste Beck, als er die Hände links und rechts von ihr abstützte und sie so gefangen nahm. Er beugte sich vor und strich mit der Nase über ihre Nasenspitze. Der Duft von Erdbeeren und Pekannüssen war unglaublich verlockend. „Wenn nicht jeder Mann, dem du je begegnet bist, voller Lust auf diesen Mund geschaut hat“, sagte er, und in seiner Stimme schwang ein Verlangen mit, das er nicht verbergen konnte, „wäre ich schockiert.“

Harlow berührte ihre Lippen mit den Fingerspitzen. Diese Geste war so sinnlich, so unschuldig, dass er alles getan hätte, um sie zu verderben … Alles, um einen Kuss zu stehlen.

Wie du mir, so ich dir – eine Köstlichkeit für die andere.

„Dann darfst du jetzt schockiert sein“, flüsterte sie.

„Was für dumme Männer.“ Als er ihr nun so nahe war, sah er die winzigen Details, die ein Foto nicht abbildete. Er sah den Schwung ihrer schwarzen Wimpern. Die versprengten Sommersprossen auf ihrer Nase. Die rosige Röte ihrer Wangen. „Aber lass uns zum Punkt kommen, Süße. Du schuldest mir etwas – und zwar nicht nur für das Essen. Sondern für die mentalen Qualen, die ich erleiden musste.“

„Mentale Qualen?“, wiederholte sie.

„Genau.“ Er beugte sich noch ein kleines Stückchen vor. Er konnte nicht anders, es war wie ein Zwang. Sein Oberkörper berührte ihren.

Scharf sog sie die Luft ein, atmete schnell und kurz wieder aus. Es war eine instinktive Reaktion, aus dem Bewusstsein geboren, dass er ihr so unglaublich nahe war. Beck spürte augenblicklich, wie seine Lust zunahm.

„Ein Teil von mir ist zusammen mit diesem Kuchen kaputtgegangen“, sagte er und strich wieder mit seiner Nase über ihre.

„Kaputtgegangen?“, flüsterte sie.

„Hmm.“ Seine Lippen waren nur Zentimeter von ihren entfernt, und ihr Atem vermischte sich mit seinem. Verdammt. Wie war es möglich, dass es sinnlicher war, diese Frau nicht zu berühren, als eine andere Frau auszuziehen? „Ich habe dich gefragt, was du bist, weil ich wissen muss, wie ich eine angemessene Wiedergutmachung festlegen soll. Sag mal, weißt du eigentlich, wie schmerzvoll es sein kann, etwas mit jeder Faser zu begehren? Sich etwas noch mehr zu wünschen als die Luft zum Atmen?“

„Das weiß ich.“ Sie schmiegte sich an ihn, ihr zarter Körper verschmolz mit seiner Härte. „Das weiß ich wirklich.“

Wie kurz war sie davor, sich ihm hinzugeben?

Er unterdrückte einen Fluch. Die Antwort spielte keine Rolle. Sie durfte keine Rolle spielen. Harlow war nicht hier, um mit ihm zu schlafen. Was sie zuvor gesagt hatte, war die Wahrheit. In seinem Schlafzimmer wartete eine andere Frau auf ihn. Auch wenn er es praktisch mit jeder trieb, wollte er doch nicht mit einer Frau rummachen, während eine andere in seinem Bett auf ihn wartete. Diese Grenze wollte er nicht überschreiten.

Zurück auf Kurs. „Genauso sehr will ich … den Kuchen.“

Sie verstand und schob ihn entsetzt von sich. Eine klägliche Geste, er wich trotzdem zurück.

„Danke für diesen kleinen Einblick in deine Flirtkünste“, sagte sie und grinste spöttisch. „Aber wie du siehst, hinterlässt es bei mir einen üblen Nachgeschmack.“

Nein. Sie hatte sich in diesem Moment verloren. Verdammt, er selbst hatte sich in diesem Moment verloren.

Sie machte den Mund auf und schloss ihn wieder. „Hör mal. Es tut mir leid, dass ich deinen Kuchen gestohlen habe. Okay? Ich schätze … Na ja, ich war irgendwie verbittert, missgünstig. Ihr lebt in dem Haus, in dem ich eigentlich wohnen sollte, und ich bin einfach … Es tut mir leid. Es wird nicht noch mal vorkommen.“

„Ich nehme deine Entschuldigung an.“

„Toll. Ich denke, ich werde jetzt gehen.“

Sie wollte sich an ihm vorbeischieben, doch er streckte den Arm aus und hielt sie auf.

„Du findest alle Zutaten im Kühlschrank beziehungsweise in der Vorratskammer und die Schüsseln und Ähnliches in den Schränken neben der Spüle.“

Einen Moment lang starrte sie ihn verdutzt an. „Vergebung sollte ohne irgendwelche Verpflichtungen auskommen.“

„Ich gebe dir nur die Möglichkeit, deinen Worten Taten folgen zu lassen, um zu beweisen, dass du auch meinst, was du sagst, und dass du mir helfen wirst, meinen Verlust zu verkraften.“

„Gut.“ Sie massierte sich die Nasenwurzel. „Ich werde für dich backen.“

Das war der sinnlichste Satz, den er je gehört hatte. „Du kannst mit einem gedeckten Kuchen anfangen und mit einer Torte, einem Dutzend Cookies und ein paar Cupcakes enden.“

„Wow, das sind eine Menge Ansprüche.“

„Habe ich schon erwähnt, dass ich auch eine Menge Schmerz verspüre?“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich hoffe, du magst deinen gedeckten Kuchen, die Torten, Cookies und Cupcakes gut durch. Es ist mir nämlich noch nie gelungen, irgendetwas zu backen, das nicht angebrannt wäre.“

„So schlecht kannst du nicht sein.“

„Willst du eine Wette darauf abschließen?“

Mit einem unglaublich verführerischen Hüftschwung ging sie nun durch die Küche und deutete wortlos auf eine schwarze Stelle am Abzug über dem Herd – es war das Einzige, was Jase noch ausbessern musste.

„Was hat zwei linke Hände und zerstört alles, was es berührt?“, fragte sie und richtete beide Daumen auf sich. „Dieses Mädchen.“

Tja, Scheiße. „Dann vergiss das Backen. Was schlägst du als Wiedergutmachung vor?“

Sie zwirbelte eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern und sagte: „Ich kann … ich weiß nicht … Ich könnte den Garten auf Vordermann bringen? Mir ist nicht entgangen, in welch jämmerlichem Zustand die Rosen sind.“

„Das ist uns auch schon aufgefallen. Als wir hier eingezogen sind.“ Wochenlang hatten die beiden anderen ihn angefleht, einen Gärtner zu engagieren. Diese Aufgabe fiel in seinen Bereich, weil er erwartete, dass vom Mähen bis hin zum Unkrautjäten alles auf eine bestimmte Art und Weise erledigt wurde – nämlich auf seine. Wenn es nicht so lief, wie er es sich vorstellte, musste es noch einmal gemacht werden. Doch er schob diese Angelegenheit vor sich her, weil er sich nicht mit einer weiteren neuen Person in seinem Leben auseinandersetzen wollte.

Aber … wenn Harlow sich um die wild wuchernden Rosenbüsche im Garten kümmern würde, könnte er sie über ihre Vergangenheit ausfragen, könnte seine Neugierde ein für alle Mal stillen und diese Frau dann vergessen und weiterziehen. Weiterziehen war etwas, das er kannte. Und er liebte es, wenn er etwas kannte, wenn ihm etwas vertraut war.

„Also gut“, sagte er und nickte. „Du kannst morgen früh anfangen. Es sei denn, du hast einen Job, von dem ich noch nichts weiß?“

„Habe ich nicht. Ich werde in aller Frühe hier sein.“

Ihre Antwort weckte sein Misstrauen. „Wie bezahlst du eigentlich deine Miete? Und da wir gerade von Miete reden: Wo wohnst du überhaupt?“

In ihren Augen blitzte ein panischer Ausdruck auf, der allerdings genauso schnell wieder verschwunden war.

„Hör mal, es ist schon spät. Ich bin müde.“ Sehnsüchtig sah sie zum Ausgang. „Ich muss jetzt gehen. Okay?“

Nein, nicht okay. In seinem Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. „Wo wohnst du, Harlow?“

„Also, als ich meinte, ich hätte keinen Job, wollte ich damit eigentlich sagen, dass es kein Job ist, auf den ich stolz sein könnte.“ Sie lachte leicht hysterisch. „Ich bin … äh … ich bin Stripperin. Ja, genau. Ich ziehe mich aus und tanze an der Stange, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und ich verdiene sehr viel Geld. Furchtbar viel Geld. Unfassbar viel. Ich habe ein wundervolles Apartment. In der Stadt. In der Nähe vom Stripclub. Wo ich arbeite.“

„Wie heißt der Stripclub?“

„Boobie Bungalow“, entgegnete sie wie aus der Pistole geschossen und schien sich von Minute zu Minute sicherer mit ihrer Geschichte zu fühlen.

Er hätte beinahe seine Zunge verschluckt. Lügnerin, Lügnerin.

„Was ist?“ Sie funkelte ihn finster an. „Es ist ein sehr exklusiver Club.“

„Ich weiß. Ich bin ein sehr exklusiver Mann, und ich war schon dort.“

„Tatsächlich?“, krächzte sie.

„Ja, das war ich.“ Seine Kunden machten manchmal lieber Geschäfte, während sie Eindollarscheine in Höschen steckten. „Ich kann mich nicht erinnern, dich da gesehen zu haben, und du bist keine Frau, die ich vergessen könnte.“

„Tja … äh … Ich habe gerade erst angefangen.“

Er schenkte ihr sein unschuldigstes Lächeln, ehe er zum entscheidenden Schlag ausholte. „Ich habe eine Idee. Warum arbeitest du deine Schuld nicht anders ab? Du kommst morgen wie geplant vorbei. Aber statt im Garten zu buddeln, machst du einen Lapdance für mich.“

Die Farbe wich aus ihren Wangen, während sie nervös am Kragen ihres T-Shirts zupfte. „Nein. Meine Leidenschaft ist und bleibt die Gartenarbeit.“

„Bist du dir sicher? Ich kann dir anschließend eine Note geben und dir sagen, was du beim nächsten Mal besser machen könntest.“

„Das glaube ich gern.“

Er seufzte übertrieben laut. „Also gut. Aber falls du es dir anders überlegen solltest …“

„Das werde ich nicht.“

„Falls doch, lautet meine Antwort Ja.“ Er brachte sie zur Vordertür. „Bis morgen dann, Harlow Glass.“

Sie schluckte. „Bis morgen dann, Beck Ockley.“

Als sie auf die Veranda eilte, fiel ihm auf, dass auf der Auffahrt kein Auto stand. „Wie kommst du nach Hause, Süße?“, rief er.

Sie blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. „Nur, weil du den niedlichen kleinen Camaro ein Stück die Straße hinunter nicht sehen kannst, heißt das nicht, dass er nicht existiert, oder?“ Damit rannte sie los, so schnell ihre Beine sie trugen.

Irgendetwas stimmte nicht. Er musste den Impuls unterdrücken, ihr hinterherzulaufen, und schloss die Tür. Eine Frau gegen ihren Willen festzuhalten, würde nur Probleme bringen – und nicht nur Probleme der moralischen Art. Er und seine Freunde konnten sich einen weiteren Zusammenstoß mit dem Gesetz nicht leisten.

Jase hatte beim letzten Mal teuer genug dafür bezahlt.

Vor zehn Jahren war Wests Freundin nach einer Studentenparty überfallen und vergewaltigt worden. Tessas tränenreiches Geständnis hatte bei ihnen drei Jungs unbändigen Zorn entfacht. Jase und er hatten sie wie eine Schwester geliebt.

Zusammen hatten sie den verantwortlichen Mistkerl gejagt, ihn gestellt und ihn zusammengeschlagen. Sie hätten einfach gehen sollen, sodass er sich irgendwann erholt und seine gerechte Strafe bekommen hätte. Aber sie waren nicht gerade die emotional stabilsten jungen Männer gewesen, und so hatten sie immer weiter auf den Kerl eingeschlagen.

Gedanken, die mit der damaligen Situation eigentlich gar nichts zu tun gehabt hatten, waren auf ihn eingeprasselt. Er hatte sich an die Pflegemutter erinnert, die ihn im Alter von vierzehn Jahren zum Sex gezwungen hatte. Er hatte sich daran erinnert, wie jede verbotene Berührung ihn mit Schuldgefühlen und Scham erfüllt hatte – und trotzdem hatte er sich dabei auch seltsam gut gefühlt, ja, als etwas Besonderes. Er hatte sich daran erinnert, wie er sich eingeredet hatte, dass er, wenn er alles tat, was sie wollte, ihre Liebe gewinnen würde, dass sie ihn behalten würde, dass sie eine Familie sein könnten. Und er hatte sich daran erinnert, wie er geweint hatte, als sie ihn später mit einem Lächeln und einem fröhlichen Winken in die nächste Familie geschickt hatte. Während er also Tessas Vergewaltiger schlug und trat, legte er seinen Frust, seine Enttäuschung und seine Wut auf seine eigene Vergangenheit in jeden einzelnen Schlag.

Der Vergewaltiger – Pax Gillis – starb in seinem Blut, das in den Boden sickerte.

Beck würde nie seinen Namen vergessen, niemals das Gefühl von Reue abschütteln können.

Er hätte eigentlich einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, daran beteiligt gewesen zu sein, das Leben eines anderen Menschen zu beenden – auch wenn dieser Mensch Abschaum war. Doch er und West waren verschont worden, weil Jase die gesamte Schuld auf sich genommen hatte. Jase hatte seinen Freunden die Chance bieten wollen, ihre Träume zu verwirklichen, und hatte von ihnen verlangt, den Mund zu halten. Zwischen ihnen gab es eine Regel: Was einer der Freunde verlangte, das machten die anderen, ohne Fragen zu stellen. Und aus dem Grund hatten sie sich gefügt. Aber im Laufe der Jahre waren die Schuldgefühle und die Reue immer größer geworden.

Er hätte sich irgendwann melden müssen, um zumindest zu versuchen, Jases Strafe ein wenig zu verkürzen. Wenigstens um die Hälfte. Er hätte endlich etwas Gutes mit seinem Leben anstellen müssen. Tatenlos hatte er mit angesehen, wie Tessa nach einem Streit mit West in den Trümmern ihres Wagens starb und wie West daraufhin den Drogen verfiel und sein Stipendium am Massachusetts Institute of Technology verlor.

Er war nicht mal derjenige gewesen, der West dabei geholfen hatte, wieder clean zu werden. Sein Freund schaffte es ganz allein. Dann entwickelte West ein Computerprogramm, das er, Beck, der geborene Verkäufer, für einige Millionen Dollar verkaufte. Den Gewinn teilten sie durch drei und legten das Geld auch für Jase klug an, damit der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zumindest keine Geldsorgen haben musste.

Verflucht, er brauchte ein Bier. Nein, er brauchte eine Ablenkung von seinen Problemen und den quälenden Gedanken. Glücklicherweise erwartete ihn eine in seinem Schlafzimmer.

Beck ging den Flur entlang und öffnete die Schlafzimmertür. Frauenkleidung lag auf dem Fußboden verteilt und bildete eine Spur zum Bett. Und dort rekelte sich Tawny. Nackt und willig.

„Ich habe dich vermisst.“ Mit einem Finger strich sie zwischen ihren üppigen Brüsten hindurch. „Sag mir, dass du die ‚Böse Hexe des Südwestens‘ losgeworden bist, dann mache ich sehr, sehr ungezogene Dinge mit dir.“

„Sie ist keine Hexe, und wir werden jetzt nicht über sie reden.“ Mit einem Fußtritt schloss er die Tür hinter sich. „Aber die sehr, sehr ungezogenen Dinge wirst du trotzdem mit mir machen.“

3. KAPITEL

Harlow blickte von ihren blutenden Händen zu den verstümmelten Überresten des Rosenbusches, den sie gerade „beschnitten“ hatte, und stöhnte auf. Drei Stunden lang hatte sie unter der erbarmungslos vom Himmel knallenden Sommersonne so hart gearbeitet wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Und das war das Ergebnis?

Das kam ihr ein wenig ungerecht vor.

„Durstig?“

Die Frauenstimme riss sie aus ihrem Selbstmitleid, und sie sah auf. Sie erblickte die unglaublich hübsche blonde Brook Lynn Dillon, die vor ihr stand. Die junge Frau war mit ihrem Leben so zufrieden, dass sie von innen heraus zu strahlen schien. Neid wollte sich bei ihr breitmachen, doch Harlow beachtete die unwillkommene Empfindung gar nicht. Brook Lynn hatte es verdient, glücklich zu sein.

Jahrelang hatte diese Frau mit dem großen Herzen auf ihre partysüchtige Schwester Jessie Kay aufgepasst, während sie nebenbei zwei Vollzeitjobs gehabt hatte, damit sie die Miete bezahlen konnte – und das alles hatte sie getan, obwohl sie krank war. Sie litt an einer Störung des Innenohrs. Harlow war sich nicht sicher, wie man die Krankheit nannte; sie wusste nur, dass die Hörgeräte, die Brook Lynn trug, dafür sorgten, dass sie leise Geräusche oder ein Flüstern nicht genauso laut hörte wie ein Schreien.

Zwar hatte sie ihre Boshaftigkeit nie an Brook Lynn ausgelassen – selbst eine Tyrannin wie sie hatte Grenzen –, aber Jessie Kay und ihre beste Freundin Kenna Starr hatten nicht so viel Glück gehabt.

„Ist das Arsen oder Bleichmittel?“, scherzte sie.

„Ich habe nicht gefragt, ob du das willst, was jeder in der Stadt dir gern servieren würde“, erwiderte Brook Lynn streng, und Harlow zuckte zusammen. „Ich wollte nur wissen, ob du Durst hast.“

„Das habe ich“, entgegnete Harlow und erhob sich. „Danke.“

Während ein alter, hässlicher Hund Brook Lynn verspielt in die Hacken biss, reichte die ihr ein Glas mit eiskaltem Wasser.

Harlow versuchte anfangs, ganz damenhaft einen winzigen Schluck nach dem anderen zu nehmen, doch das kühle Wasser auf ihrer Zunge ließ sie alle Zurückhaltung vergessen, und sie leerte das Glas in einem Zug. Bis auf den letzten Tropfen. Kein Getränk war je kühler oder beruhigender gewesen, hatte ihre Zunge und ihren staubtrockenen Hals je so wundervoll benetzt.

„Danke“, sagte sie noch einmal und fühlte sich wieder wie ein Mensch.

Brook Lynn nahm ihr das Glas ab. „Eigentlich musst du dich nicht bei mir bedanken. Du solltest dich bei Beck bedanken.“

Allein der Klang seines Namens ließ Harlows Puls schneller schlagen. Ständig hatte sie zur Hintertür geblickt und gebetet, er möge rauskommen und nach ihr sehen. Auf diese Weise hatte sich bei ihr ein gewisses Verlangen angestaut, und die berauschende Wirkung, die Beck auf sie hatte, war in diesem Moment stärker als ohnehin schon.

„Ist er da?“ War er noch immer mit Tawny im Bett? Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten.

„Nein“, antwortete Brook Lynn. „Er hat einen Termin, aber er hat mich gebeten, mich um dich zu kümmern, solange er unterwegs ist.“

Erst spürte sie zufriedene Aufregung, die jedoch im nächsten Moment von einer verwirrenden Erkenntnis verdrängt wurde. Es lag ihm nicht mal genug an ihr, um selbst kurz nach ihr zu sehen? Wow. Na ja, scheiß auf ihn. Er verwirrte sie, raubte ihr den Atem und ließ sie mit einem einzigen Blick erschauern. Na und? Körperliche Anziehung hielt nie besonders lange. Und Beck blieb sowieso nicht lange. Einmal und nie wieder – der König des One-Night-Stands.

Harlow hatte kein Interesse daran, benutzt und weggeworfen zu werden und für den Mann, dem sie sich hingab, nicht mehr als eine blasse Erinnerung zu werden. Sie wollte Zuneigung und Liebe. Die Art von Liebe, von der sie in Büchern gelesen und die sie in Filmen gesehen hatte. Die Art von Liebe, für die ein Paar kämpfte, auch wenn es mal schwierig war. Die Art von Liebe, die beschützte und umsorgte. Die verteidigte. Die schätzte.

Tiefe Sehnsucht ergriff sie. Es würde keine Beschimpfungen geben. Keine Bloßstellungen. Keine Demütigungen.

Bevor sie die Highschool verlassen hatte, um zu Hause unterrichtet zu werden, war sie mit Jungs zusammen gewesen. Mit vielen Jungs. Sie hatte sich mit ihnen verabredet und sie genauso schnell wieder fallen gelassen wie Beck seine Frauen. Sie hatte nach irgendjemandem gesucht, der die Leere in ihr füllte. Eine Leere, die größer geworden war, als bei Dairyland, einer Molkerei südlich der Stadt, eine Maschine explodierte und die halbe Belegschaft in den Tod riss – inklusive ihres Dads.

Er war ein furchtbarer Mensch gewesen, also hätte sie jubeln sollen, oder nicht? All ihre Probleme hätten sich schlagartig in Luft auflösen müssen. Doch dem war nicht so gewesen.

Brook Lynn drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon. Der Hund hechelte ihr hinterher.

„Brook Lynn“, rief Harlow, und die junge Frau blieb stehen, ohne sich umzusehen. „Es tut mir leid, wie ich mich benommen habe. In der Vergangenheit, meine ich … Und in letzter Zeit natürlich.“ Ruhe in Frieden, Blaubeerkuchen.

„Das ist schön, und ich freue mich“, antwortete Brook Lynn. „Taten sagen jedoch mehr als Worte, und bisher hast du überhaupt nichts bewiesen.“

„Ich weiß. Aber ich bin immer noch hier und erledige diese Aufgabe, damit ich irgendwie beweisen kann, dass ich mich geändert habe.“

„Bitte. Das hier ist, wie ihr es so schön nennt, eine Abgeltung.“ Brook Lynn sah sie über die Schulter hinweg an und wirkte wie ein Racheengel. „Ich frage mich allerdings, ob du den Garten aus einem bestimmten Grund ruinierst? Willst du damit Beck treffen? Weswegen? Was hat er dir getan? Welches Verbrechen hat er dir angetan? Das gleiche Verbrechen, das der Rest der Stadt begangen hat? Einfach zu existieren?“

Harlow ließ den Kopf sinken und zog die Schultern hoch. Ich habe es nicht anders verdient. Ich habe es wirklich nicht anders verdient. „Er hat mir nichts getan. Er ist wundervoll.“ Und das war er. Als ihr Boss – oder ihr Gläubiger oder was auch immer er gerade für sie war – war er umwerfend. Er stand nicht neben ihr und ließ sie nicht aus den Augen, sondern gab ihr die Freiheit, ihr eigenes Ding zu machen. Und weil er wusste, dass er nicht da sein konnte, hatte er dafür gesorgt, dass sie alles bekam, was sie brauchte.

Aber Beck als Mann? Was ihn betraf, war sie sich nicht sicher. Er hatte diese Einstellung, einmal mit einer Frau zu schlafen und dann nie wieder. Und es war auch eine Tatsache, dass er ihren Familiensitz gekauft hatte, obwohl sie ihn nicht verkaufen wollte. Die Bank hatte sie von ihrem Grund und Boden vertrieben, ihren Anspruch auf das Land für nichtig erklärt. Und das alles, weil ihre Mutter ein paar Jahre zuvor ein kleines Darlehen aufgenommen und das Haus als Sicherheit gedient hatte. Als ihre Mutter starb, hatte sie versucht, einen Job zu finden.

Sie hatte sich in jedem Geschäft in der Stadt vorgestellt und vorgeschlagen, zum Beispiel die Schaufensterscheiben mit Gemälden zu verzieren oder Porträts von Familienmitgliedern zu malen. Sie hatte sogar angeboten, Häuser zu streichen. Als diese Bitten abgelehnt worden waren, hatte sie sich auf jede verfügbare Stelle beworben – sie hatte sich als Müllmann angeboten, sich bereit erklärt, beruflich Vogeldreck zu entfernen oder Füße zu pflegen. Doch sie hatte nur Absagen bekommen. Die meisten Ladenbesitzer hatten sie ausgelacht. In die Großstadt zu ziehen, wäre ein kluger Schachzug gewesen. Niemand dort kannte die alte Harlow, und irgendjemand hätte sie bestimmt engagiert, damit sie irgendetwas tat. Aber ihr Herz schlug für Strawberry Valley. Ihre Mutter war hier aufgewachsen. Sie war hier aufgewachsen. Sie glaubte daran, dass die Leute hier ihr nichts antun würden, auch wenn sie sie nicht ausstehen konnten. Das dürfte in einer Stadt voll fremder Menschen sicher anders aussehen.

Außerdem hatte sie einen Fünf-Punkte-Plan. Punkt eins: Sie wollte beweisen, dass sie nicht die Inkarnation des Bösen war. Bisher war ihr das noch nicht gelungen, doch wie sie selbst schon erlebt hatte, konnten sich die Umstände von einer Sekunde auf die andere ändern.

„Ich weiß nicht genau, wie man gärtnert“, gab sie zerknirscht zu. „Aber ich tue mein Bestes.“

Die blonde Frau zog eine Augenbraue hoch und sah sie mit einem ungläubigen Ausdruck auf dem Gesicht an. „Tja, dann solltest du dich ein bisschen mehr anstrengen, würde ich sagen.“

„Engel?“ Eine raue Männerstimme wehte herüber, und die Angeln quietschten, als die Hintertür aufschwang.

Brook Lynn hüpfte ihrem Verlobten Jase entgegen, um ihn zu begrüßen. Jase nickte ihr, Harlow, zu. In seinen grünen Augen lag ein kluger, neugieriger Ausdruck. Dann wandte er sich wieder Brook Lynn zu.

„Ich habe dich vermisst“, sagte er.

Es war ihm offenbar egal, dass auch sie ihn hören konnte. Mit gespreizten Fingern strich er durch Brook Lynns helles Haar.

„Ich war doch nur zwei Minuten weg“, erwiderte Brook Lynn mit einem hinreißenden Lächeln.

„Auch eine Sekunde ist schon zu viel. Vielleicht ist es an der Zeit, endlich die Operation durchführen zu lassen, über die wir gesprochen haben, und dich an meine Seite nähen zu lassen.“

Brook Lynn lachte leise. „Wenn ich zusätzliche zweihundertfünfzig Pfund an meinen Körper nähen lasse, wird es nicht gerade leichter, Zombies in den Hintern zu treten.“

„Ich werde dich beschützen.“

„Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass du einer der Ersten sein wirst, die gebissen werden.“

Er knabberte zärtlich an ihren Lippen. „Gut. Ich zeige dir mal, was ich mit dir machen werde, wenn ich zum Zombie mutiere.“

Die beiden Turteltäubchen erinnerten Harlow an „Die Schöne und das Biest“. Romantik pur. Jase war ein großer Mann, hochgewachsen und muskulös, das dunkle Haar stand lässig in Stacheln von seinem Kopf ab – er war ein absoluter Bad Boy. Gerüchte besagten, dass Brook Lynn erwähnt hatte, diesen Style zu mögen, und, zack, am nächsten Tag hatte er seinen Look geändert. Tattoos zierten seinen Körper vom Hals bis zur Taille hinunter. Vielleicht hatte er sogar noch an anderen Stellen Tätowierungen. Harlow hatte ihn mal mit freiem Oberkörper an der Fassade des Hauses arbeiten sehen; sie hatte sich gewundert, dass ein Mann wie er tatsächlich existierte.

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