Broken Hearts – Verbotene Berührungen

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Reich, mächtig und unbezähmbar - Dane Michaelson ist der Traum vieler Frauen. Doch die Kellnerin Kenna Starr will nicht auf die Liste seiner Eroberungen - erst recht nicht, weil sie sich von früher kennen ... Und als alleinerziehende Mutter hält Kenna sich von Bad Boys inzwischen fern. Doch mit jedem heißen Blick, mit jedem gestohlenen Kuss und jeder verbotenen Berührung von Dane schmilzt ihr Widerstand dahin …


  • Erscheinungstag 15.02.2016
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783955766061
  • Seitenanzahl 120
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

WIDMUNG

Ein riesiges Dankeschön an Susan Mallery, Lori Foster und Bella Andre.

1. KAPITEL

“Sie sind zu spät.” Ein gestresst wirkender Mann in einem Anzug, der gut auf die Titelseite eines Hochglanzmagazins gepasst hätte, trat Kenna Starr in den Weg und hielt sie auf. “Das gesamte Personal hat den Hintereingang zu benutzen. Und jetzt seien Sie ein braves Mädchen und beeilen Sie sich.”

Als sie begriff, wer da vor ihr stand, begannen ihre Wangen vor Demütigung zu brennen. Timothy Calbert jun. Sie war praktisch mit dem Typen aufgewachsen, und obwohl er den Ort vor zwei Jahren verlassen hatte und wahrscheinlich nur zu diesem besonderen Anlass zurückgekehrt war, bedeutete die Tatsache, dass er der Sohn ihres Chefs war, dass sie ihn nicht auf dieselbe Weise zurechtweisen konnte wie früher, als sie noch Kinder gewesen waren: mit einem Klaps auf den Hinterkopf.

“Ich gehöre nicht zum Personal”, murmelte sie. Jedenfalls nicht heute Abend. Normalerweise arbeitete sie durchaus auf Events wie diesem. Und ja, sie trug ein ähnliches Kleid wie all die Mädchen, die die Gäste der Verlobungsfeier mit Horsd’œuvres versorgten.

Wobei sie mit “ähnlich” eigentlich “genau das gleiche” meinte.

Aber jeder Dollar, den sie verdiente, wurde von Rechnungen verschlungen, und es blieb nie Geld übrig, um sich etwas Besonderes zu gönnen. Also hatte sie sich an Plan WDKH gehalten: Was der Kleiderschrank hergibt. Und das war ihre Uniform.

Klar, die war viel zu kurz und so eng, dass Atmen ein reiner Wunschtraum blieb, doch sie hatte einen entscheidenden Vorteil, der alles wieder ausglich: Sie hatte keinen Cent gekostet.

Einfallsreich, wie sie war, hatte Kenna versucht, sich abzuheben, indem sie sich einen leuchtend weißen Schal um den Hals geschlungen hatte, dessen Enden zwischen ihren Brüsten hingen und bis zum Kleidersaum herabfielen.

Klarer Fall von #Modesünde.

Nein! Böse Kenna! Kein Gedanken-Twitter heute! “Ich bin Gast”, fügte sie hinzu. “Ein Ehrengast.” Irgendwie … vielleicht …

Na gut, wohl eher nicht.

Junior schürzte irritiert die Lippen. “Ihr Name?”

Im Ernst jetzt? Sie beantwortete seine Frage und gab sich dabei alle Mühe, sich nicht noch gedemütigter zu fühlen.

Er sah auf seinem Klemmbrett nach. Nach einem kurzen überraschten Blinzeln taxierte er sie missbilligend von oben bis unten. “Hier entlang.” Er wies nach links, machte aber keinerlei Anstalten, ihr aus dem Weg zu gehen.

Erhobenen Hauptes umrundete sie ihn und näherte sich dem Foyer. Die Party war bereits im Gange und das weitläufige Wohnzimmer voller Menschen. Während Kenna ein unbekanntes Gesicht nach dem nächsten musterte, hämmerte ihr das Herz gegen die Rippen. Makellose Haut und perfektes Make-up – all diesen Leuten, die vor Glanz und Glitter nur so zu funkeln schienen, stand das Wort “Großstadt” quasi auf die Stirn geschrieben.

Und jetzt sollte sie sich einfach unters Volk mischen? Unter die Crème de la Crème der Gesellschaft von Oklahoma? Gemeinsam mit Dane Michaelson, der eigentlich auch hier sein sollte?

#EchtÜbel!

Er war vor sechzehn Jahren aus Strawberry Valley weggezogen, und obwohl seine Eltern ihr Haus behalten hatten, war er nie zurückgekehrt. Nicht mal für einen Kurzbesuch. In Vergessenheit geraten war er trotzdem nicht, und laut Klatsch und Tratsch hatte er vor Kurzem das Erdöl- und Naturgasunternehmen seines Vaters übernommen.

Naturgas, dachte sie kichernd.

Ich bin doch kein Kind mehr. Hastig setzte sie eine angemessen damenhafte Miene auf. Ich bin ein braver kleiner Roboter.

Sie suchte noch einmal die Menge ab, aber keine Spur von Dane. Dem Mann, der angeblich eine supermodelartige Schönheit nach der nächsten eroberte, als würden sie auf einem Fließband in sein Schlafzimmer transportiert werden – und auch wieder nach draußen. In seiner Freizeit fuhr er schnelle Autos, spielte Golf, segelte und besuchte dann und wann eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Reicher-Junge-Luxus, wie ihn ein Mädchen vom Land wie sie niemals kennenlernen würde.

Ob er wohl jemals an sie dachte? Sich an sie erinnerte – sie hasste?

Darf nicht über den bescheuerten Dane Michaelson und seine bescheuerten Gefühle grübeln, muss ausnahmsweise mal Spaß haben.

#LügenDieIchMirSelbstErzähle.

Auf der verzweifelten Suche nach einer Ablenkung wagte sie sich in die Menge und entdeckte schließlich ein paar Leute aus der Gegend. In Strawberry Valley kannte jeder jeden, also war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand sie bemerken und zu sich winken würde.

Andy “Bring mir ‘nen Scotch und sei diesmal nicht geizig”-Teegle übersah sie absichtlich, und Caroline “Bild dir nicht ein, ich merk es nicht, wenn du in der Küche auf meinen Teller spuckst”-Walloby deutete auffordernd auf ihr leeres Champagnerglas.

Für diese Leute werde ich nie etwas anderes sein als eine Kellnerin.

Kennas beste Freundin und Mitbewohnerin Brook Lynn Dillon, die tatsächlich bediente, bemerkte sie und zog eine Grimasse. Kenna lachte und wünschte, sie könnte sich mit ihrer Freundin zusammentun und müsste ihr für den Rest des Abends nicht mehr von der Seite weichen. Wenn man sich Brook Lynn näherte, trat man in ihr Kraftfeld und wurde einfach unsichtbar, egal, wo man sich gerade befand. Besonders Männer nahmen nichts anderes wahr als Brook Lynns dichte blonde Locken und ihre großen blauen Augen.

Wie auf Kommando legte ein älterer Mann seine fleischigen Finger um Brook Lynns Arm. Sie zuckte zusammen, und das Tablett, das sie trug, geriet ins Wanken. Der Champagner schwappte aus den Gläsern, und die Frauen in ihrer Umgebung wichen zurück, als wären sie gerade einem tödlichen Virus ausgesetzt worden, während die Männer herbeisprangen, um ihr zu helfen.

Brook Lynn versuchte, sie abzuwimmeln, aber sie redeten einfach weiter auf sie ein und tupften mit Servietten die Champagnerpfützen auf.

Rettung im Anflug! Kenna durchquerte den Raum, um ihre Freundin von den grapschenden Händen zu befreien. Als die Partygäste einen Ring um das Chaos bildeten, konnte sie einen Blick auf eine Menschengruppe erhaschen, die ihr bislang noch nicht aufgefallen war. Inmitten dieser Gruppe stand der schönste Mann, den sie jemals gesehen hatte. So schön, dass er eigentlich gar nicht echt sein konnte.

Ihr Mund wurde schlagartig trocken. Der Mann war hochgewachsen und hatte sehnige Muskeln, gebräunte Haut und tiefschwarzes Haar. Seine Gesichtszüge sahen aus wie in Granit gehauen, stark, aber fein gemeißelt. Hart. Seine atemberaubenden Augen, die einen glimmenden Goldton hatten und ihr irgendwie vertraut vorkamen, ruhten über einer scharf geschnittenen Nase – einer Nase, die vielleicht zu streng gewirkt hätte, wäre da nicht der sinnliche Kontrast zum einzigen weichen Element an diesem Mann gewesen: seinen Lippen. Selbst sein Kinn wirkte hart, ein Viereck, auf dem sich ein leichter Bartschatten abzeichnete.

Seine gefährliche, aufregende Ausstrahlung stand ihm mindestens so gut wie der Nadelstreifenanzug, der so makellos saß, als wäre er von kleinen Elfen für ihn maßgeschneidert worden. Er war ein fleischgewordener Frauentraum … und er starrte sie unverblümt an, sein Glas auf halbem Weg zu den Lippen gehoben, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Die Luft zwischen ihnen knisterte – für Kenna eine ganz neue Erfahrung. Eine, die sie nicht verstand und die ihr nicht gefiel. Gleichzeitig war sie zu gebannt, um zu bemerken, dass sie längst an Brook Lynn vorbeigelaufen war. Mit einem Mal stand sie direkt vor dem Fremden, und es war zu spät, um einen Rückzieher zu machen, ohne eine Szene zu verursachen.

Was hab ich nur getan?

Kinn hoch, Schulter straffen, lächeln.

“Ähm, hi”, sagte sie und verfluchte sich in Gedanken für ihren mangelnden Einfallsreichtum.

Die dickbusige Blondine neben dem Mann warf ihr einen verärgerten Blick zu, doch ihre Miene hellte sich sofort wieder auf.

“Oh, sehr gut.” Sie reichte Kenna ein leeres Glas. “Noch einen davon, bitte.” Dann wandte sie ihr das Profil zu und erzählte weiter von ihrer Reise nach Italien neulich und wie wahnsinnig viel Spaß sie doch gehabt hatte.

Willkommen in meinem Albtraum. Kenna stieg die Röte in die Wangen.

Bedauerlicherweise wird das wohl nicht das letzte Mal gewesen sein, dass man mich heute Abend in Verlegenheit gebracht hat.

Mr. Traummann senkte langsam sein Glas. Seine Lider wirkten schwer und verbargen das glimmende Gold teilweise hinter langen schwarzen Wimpern.

“Kenna Starr”, sagte er und unterbrach damit ohne einen Anflug von Reue die Blondine, die sie jetzt mit finsterem Interesse beäugte. “Schön, dich wiederzusehen.”

Seine Stimme war genauso berauschend und verführerisch wie der Rest von ihm. Tief, ein wenig rau, wie flüssiger Honig, der über warme Schoko-Cookies tropfte.

Dann drangen seine Worte durch die Faszination, die sein markanter Charme auf sie ausübte. Sie wiederzusehen?

Er musste ihre Verwirrung spüren, da er hinzufügte: “Und das auch noch am selben Ort, an dem wir uns kennengelernt haben.”

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Derselbe Ort. Es gab nur einen Menschen, dem sie in diesem Haus zum ersten Mal begegnet war … nein, bitte nicht … aber es führte kein Weg an der Wahrheit vorbei: Sie war gerade über Dane Michaelson gestolpert.

Dem Aussehen nach war er im richtigen Alter, etwa neunundzwanzig. Auch Haar- und Augenfarbe stimmten. Es fehlte jedoch das Narbengewirr auf seiner linken Gesichtshälfte – Chirurgie? –, und er starrte sie nicht hasserfüllt an oder beschimpfte sie übel.

Du dummer, hässlicher Abschaum!

Das waren die Worte, mit denen er sie bei ihrer letzten “Verabredung zum Spielen” bezeichnet hatte. Sie war sieben gewesen und er dreizehn, und bis zu diesem Moment hatte sie es geliebt, Zeit mit ihm zu verbringen. Was witzig war, wenn man bedachte, dass er sie jedes Mal ignorierte, wenn man sie zusammensteckte, und sich bis zu diesen letzten Minuten niemals herabgelassen hatte, auch nur ein Wort mit ihr zu reden. Sie hatte sich damals so sehr nach Freunden gesehnt, dass sie fest daran glaubte, ihn irgendwann schon noch für sich gewinnen zu können.

Rückblickend war ihr klar, wie hoffnungslos ihr Vorhaben gewesen war. Denn Dane hatte etwas gewusst, das sie nicht wusste: dass ihre Mutter und sein Vater eine Affäre miteinander hatten.

Kenna hätte sich am liebsten jedes Mal unter der Bettdecke versteckt, wenn ihre Gedanken zu dem Tag zurückkehrten, an dem die Sache aufgeflogen war – dem Tag, an dem Danes Mutter Christine das Paar in flagranti erwischt hatte.

Wie konntest du mir das nur antun? Ich bin deine Frau. Und Sie? Sie sind der reinste Abschaum. Eine billige Hure!

Gleich am nächsten Tag waren die Michaelsons in die etwa eineinhalb Stunden weit entfernt gelegene City gezogen. Kenna hatte sich oft gefragt, ob Dane wohl mitbekommen hatte, dass die Affäre trotz der Distanz nicht endete. Roanne Starr hatte sich durch ihre “Ich-Urlaube” verraten, in denen sie sich “ausruhte und die Batterien auflud”, obwohl sie nie im Leben auch nur einen einzigen Tag gearbeitet hatte. Und …

Alle hier starren mich an, bemerkte Kenna mit aufkeimendem Grauen. Sie warteten darauf, dass sie Dane antwortete.

“Du bist erwachsen geworden”, platzte sie heraus. Oh, Wahnsinn. Wie schlagfertig. Sechs, setzen, Starr! Ehrlich mal, den Gedanken-Twitter-Account kannst du gleich wieder dichtmachen.

“Ich kenne da zwar ein paar Leute, die derselben Meinung sind”, erwiderte er leichthin, wobei seine bernsteinfarbenen Augen funkelten, “aber viele sind es nicht.”

“Also”, sagte die dickbusige Blondine und strich ihm dabei mit ihren manikürten Fingernägeln über die Krawatte, “ich für meinen Teil weiß zufällig ganz genau, dass du ein großer … großer Junge bist.”

Ooookay. So was gibt’s wirklich?

Dane warf der Frau einen finsteren Blick zu.

“Schätzchen!”, durchdrang Roannes Stimme die Szenerie, was Kenna davor bewahrte, etwas sagen zu müssen. “Entschuldigt uns bitte.”

Ein schlanker Arm schlang sich um Kennas Taille und zog sie nicht sonderlich liebevoll von der Gruppe weg. “Tja, dann muss ich wohl Auf Wiedersehen sagen”, sagte Kenna und winkte.

Danes Blick traf ihren und wurde noch finsterer.

Roanne zog sie mit sich und zischte, ohne ihr Lächeln zu verlieren: “Ich hab dich gebeten, mich nicht zu blamieren, und du tauchst hier in so einem Fetzen auf?”

Ach ja. Mutterliebe und die gute alte bedingungslose Akzeptanz. Da kann ich einfach nicht genug von bekommen.

In einer dunklen Ecke blieben sie stehen. Mit ihren fünfundvierzig Jahren war Roanne immer noch eine der schönsten Frauen, die Kenna jemals gesehen hatte, mit einer dicken Flut aus roten Locken und dazu grünen Augen, die die teuersten Smaragde in den Schatten stellten – zwei Merkmale, die Kenna von ihr geerbt hatte. Doch während Roanne einen makellosen Porzellanteint hatte, war sie über und über mit Sommersprossen bedeckt.

“Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, dass du mir absichtlich wehtust.” Roanne nahm ihr den Schal ab und steckte ein Ende entlang des Ausschnitts am Kleid fest.

“Was machst du da?”, fragte Kenna, hielt aber still und ließ es geschehen, was auch immer es war. Sich zu wehren brachte sowieso nichts.

“Ich mache dich ein bisschen vorzeigbarer. Du hättest mich um ein neues Kleid bitten sollen.”

Roanne lebte seit etwa zwei Jahren von Henry Starrs Lebensversicherung. Er war nach acht Monaten dem Kampf gegen den Krebs erlegen, eigentlich aber schon lange vorher an einem gebrochenen Herzen gestorben, voller Hass auf Roanne, weil sie ihn betrogen hatte, gleichzeitig aber unfähig, sie zu verlassen. Kenna hatte nie herausgefunden, weshalb er geblieben war. Ganz sicher jedenfalls nicht wegen ihr. Tatsächlich hatte er sie sogar kurz vor ihrem siebzehnten Geburtstag enterbt, und er hatte deutlich gemacht, dass sein Geld nicht für sie ausgegeben werden durfte. Trotz des scheinbar großzügigen Angebots ihrer Mutter – im Hause Starr hat alles seinen Preis – hätte Kenna also nie im Leben auch nur einen Cent von ihr angenommen.

“Du weißt, dass Daddy mich am liebsten in einer Mülltüte aus der letzten Saison gesehen hätte”, sagte sie.

“Er ist tot. Was er wollte, spielt keine Rolle mehr.”

“Das ist ganz schön kaltherzig.”

“Aber es ist die Wahrheit.”

Vielleicht, aber Kenna hatte nun mal ihr Leben lang nichts mehr gewollt, als ihren Vater stolz und glücklich zu machen.

Und ich bin auf ganzer Linie gescheitert.

Mit präzisen Bewegungen fädelte Roanne ihr den Schal zwischen den Brüsten hindurch, drapierte ihn um ihren Oberkörper und schlang ihr die Enden um die Taille. Damit nichts verrutschte, steckte sie sie hinten mit einer diamantbesetzten Brosche fest. Das Endergebnis sah unerhört elegant aus – das Kleid erinnerte jetzt an eine griechische Toga.

Roanne musterte ihre Tochter und nickte dann. “So müsste es gehen. Und jetzt hör auf, dich wie ein Mauerblümchen zu benehmen”, sagte sie und tätschelte ihr die Wange. “Geh raus da und amüsier dich. Oder auch nicht. Besser nicht. Wir wollen ja nicht, dass sich … du weißt schon was wiederholt.” Und damit flatterte ihre Mutter davon und rief: “Hannah! Meine Liebe, du siehst ja hinreißend aus! Wie schön, dass du es geschafft hast.”

Tief einatmen … und wieder ausatmen …

Kenna konzentrierte sich auf die ansprechende Umgebung und fragte sich, wo sie als Nächstes hingehen sollte. Der Raum war mit gemeißeltem Stein, exotischen Hölzern und farbenfrohem Marmor geschmückt. Jedes einzelne Möbelstück wirkte wie speziell angefertigt oder direkt aus irgendeinem viktorianischen Palast entnommen. Ihre Lieblinge waren die verschlungenen Mosaike und das atemberaubende Deckenfries.

“Champagner?” Brook Lynn gesellte sich zu ihr und hielt ihr das Tablett hin.

Kenna warf den Gläsern einen sehnsüchtigen Blick zu, schüttelte aber den Kopf. “Ich würde ja gern, dann verginge die Zeit bestimmt viel schneller.” Sie achtete darauf, deutlich zu sprechen, damit Brook ihre Lippen leichter lesen konnte. Ihre Freundin litt an einer seltenen Anomalie der Innenohren, wegen der normale Alltagsgeräusche für sie unerträglich laut klangen. Schon so etwas Einfaches wie das Maunzen einer Katze konnte ihr grauenhafte Schmerzen bereiten. Die Ohrimplantate, die sie deshalb trug, sollten die Lautstärke ein wenig regulieren, aber in Situationen, in denen das nichts brachte – und bei großen gesellschaftlichen Anlässen war das eigentlich immer der Fall –, machten sie Brook Lynn zeitweise taub.

“Würde jedenfalls ein bisschen Leben in die lahme Bude hier bringen”, sagte Brook Lynn.

“Stimmt, aber das kann ich nicht riskieren.” Ein paar Schlucke Alkohol reichten, um Engelchen-Kenna in Teufelchen-Kenna zu verwandeln, in die Kenna, die auf dem Tisch tanzte, zu laut mitsang und sich nicht mal zu schade für einen Strip war. Einmal hatte sie sogar mit einem Jungen geschlafen, den sie gar nicht kannte, was ihr diesen fürchterlichen Ruf eingebracht hatte, den sie bis heute nicht wieder losgeworden war.

“Klaro”, sagte Brook Lynn. “Aber wenn mir noch ein einziger betrunkener alter Sack an den Hintern fasst, mach ich mit ihm das, was Rick mit diesem Biker gemacht hat, und reiß ihm die Kehle raus – mit den Zähnen.”

Rick aus The Walking Dead. Brook Lynn und sie guckten die Serie immer zusammen und diskutierten danach, welche Überlebensstrategie im Fall einer Zombie-Apokalypse am besten aufgehen würde – eine Apokalypse übrigens, die eines Tages definitiv eintreten würde. Es war nur eine Frage der Zeit.

“Heute ist nix mit Kehlerausreißen.” Kenna lüpfte ihren Kleidersaum und zeigte die kleine Waffe, die sie sich an die Oberschenkelinnenseite geschnallt hatte. Es kam äußerst selten vor, dass sie ohne Schutzmaßnahme das Haus verließ. “Ich habe eine Mini-Axt dabei. Um deine Ehre zu verteidigen.”

“Hey, die Axt ist aber eigentlich nur für Kämpfe gegen Zombies gedacht!”

“Hm, ich finde, die Leute hier sind nahe genug dran. Du nicht?”

Brook Lynn lachte leise auf und zog damit wie immer die Aufmerksamkeit aller umstehenden Männer auf sich. Leider zählte zu “allen” auch ihr Chef Mr Calbert, der etwas weiter weg in einer Ecke stand und darüber wachte, dass seine Angestellten ihre Arbeit erledigten. Jetzt warf er Brook Lynn einen strengen Blick zu und machte eine Geste, mit der er sie scheuchte – die Griesgrämiger-Geschäftsmann-Abkürzung für: Mach dich wieder an die Arbeit oder du bist gefeuert!

“Ich bleibe bis zum bitteren Ende und helfe dir beim Aufräumen”, sagte Kenna. “Damit Calbert ganz schnell vergisst, dass er dich gerüffelt hat.”

“Kommt gar nicht infrage. Du wirst nicht dafür bezahlt, und du musst nach Hause zu Norrie.”

Norrie. Ihre Tochter und ihr Lebensinhalt. Der Grund, aus dem Kenna sich so anstrengte, weshalb sie in Vollzeit arbeitete und in Teilzeit die Schulbank drückte, um sich ihren Traum zu erfüllen und eines Tages Lehrerin zu werden. “Sie übernachtet bei einer Freundin, also keine Widerrede. Ich helfe, basta.”

“Okay. Ich nehme an, und du bist ein Engel.” Brook Lynn gab ihr ein Küsschen auf die Wange, dann dampfte sie ab.

Kenna schlängelte sich durch die Menge. Ein Typ hielt sein leeres Glas in den Raum, ohne von seiner Unterhaltung aufzublicken, weil er offenbar erwartete, dass die Angestellten ihn sofort bemerkten und es ihm abnahmen. Da Kenna befürchtete, dass er es gleich fallen lassen und damit einen Aufstand provozieren würde, was wiederum Mr Calberts Unzufriedenheit mit seinen Mitarbeitern anstacheln würde, sprang sie vor und schnappte es sich. Daraufhin drückte ihr auch der Mann, mit dem der Typ sich unterhielt, sein Glas in die Hand, das er ebenfalls geleert hatte.

Nachdem sie die Gläser auf einem Tablett abgestellt hatte, das gerade jemand vorbeitrug, schlenderte sie herum und tat so, als wäre sie ein glücklicher Gast. Die reichen Frauen von Strawberry Valley begegneten ihr mit entschiedener Eiseskälte, aber das war nichts Neues für sie. Einige zogen sogar ihre Männer weg, damit es bloß nicht zu irgendeiner Form von Kontaktaufnahme kam.

Kinn hoch, Schultern straffen, lächeln. Sie würden niemals erfahren, wie sehr es sie verletzte, so behandelt zu werden.

Sieben Jahre lang hatte sie für ihre Sünden gebüßt. Für die Sünden ihrer Mutter allerdings würde sie noch viel länger büßen müssen. Niemand hatte Thomas Michaelson die Schuld geben wollen – oder seinen Zorn wecken, indem man auf seine Geliebte losging. Irgendein Sündenbock musste jedoch her. Und da war ich, mit einer Zielscheibe mitten auf der Brust.

Die Leute aus der City dagegen plauderten bereitwillig mit ihr, jammerten aber über Dinge, mit denen sie sich weder auskannte noch auskennen wollte. NYMEX. US Energy Information Administration. Unerschlossene Öl- und Naturgasfelder in Alaska und einigen weiteren Gegenden der USA. Irgendwann suchte sie sich ein ruhiges Eckchen, um eine kleine Atempause einzulegen … und beobachtete dabei Dane wie die letzte Spannerin.

Das blonde Gift wich ihm fünfundneunzig Prozent der Zeit nicht von der Seite und klammerte sich an seinen Arm. Ganz gleich, mit wem er sprach, egal, ob Mann oder Frau, immer erntete er so eifriges Nicken, als wäre jedes Wort aus seinem Mund das lang erwartete Geheimrezept zur Erlangung des Weltfriedens.

Er behandelte alle höflich, auch die Angestellten, was Kenna überraschte, weil es so untypisch für die Elite war. Allerdings fiel ihr auf, dass er seinen Vater und ihre Mutter mied, was so weit ging, dass er die Blondine an seiner Seite einmal sogar offensichtlich in die entgegengesetzte Richtung lenkte.

Jessica Kay Dillon, Brook Lynns ältere Schwester, ihre zweite Mitbewohnerin und außerdem die Exschönheitskönigin von Strawberry Valley, tauchte auf und hielt ihr ein Tablett mit gefüllten Champignons hin.

“Hast du Dane Michaelson gesehen?”, flüsterte sie. “Ich hoffe, zu seinem Engagement für den guten Zweck zählen auch Orgasmus-Spenden. Ich würde es ihm so hart besorgen, dass er eine Woche lang nicht mehr aufrecht gehen kann.”

Natürlich ließ sich Dane im selben Moment dazu herab, ihr einen Blick zuzuwerfen. In genau dem Augenblick, in dem sie gerade feuerrot anlief, weil sie sich vorzustellen versuchte, wie viele unterschiedliche Methoden der Orgasmus-Spende er wohl beherrschte. Ich darf so nicht an ihn denken. Nie im Leben. Weil …

Sag es. Schließ deinen Frieden damit.

Sie konnte den Blick einfach nicht von ihm losreißen, flüsterte aber: “Er ist bald mein Stiefbruder.”

Nach all den Jahren hatte sich Mr Michaelson endlich von Danes Mutter scheiden lassen, um Roanne heiraten zu können. Deswegen auch die pompöse Verlobungsfeier. Alle hier schienen begeistert darüber zu sein, an ihrem Glück teilhaben zu dürfen. Alle bis auf Dane und ihr.

“Was spielt denn das für eine Rolle?”, fragte Jessie Kay. “Er ist doch nicht dein leiblicher Bruder.”

“Trotzdem ist er tabu.”

Ein umwerfender Typ beanspruchte Danes Aufmerksamkeit, woraufhin er endlich den Blickkontakt zu ihr unterbrach. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte, und atmete tief durch. So, wie sie auf ihn reagierte, war es besser für sie, wenn sie sich weit, sehr weit von ihm fernhielt.

2. KAPITEL

“Die Rothaarige ist ja … wow.”

Dane folgte dem Blick seines Freundes, obwohl er wusste, wer ihn am anderen Ende erwartete. Kenna Starr. “Ist sie”, gab er zu.

Aber sie war auch eine Komplikation.

Er war nicht darauf gefasst gewesen, welche Wirkung sie auf ihn haben würde. Sie nach all den Jahren wiederzusehen hatte sich angefühlt, als wäre er in einen glühenden Ofen gestolpert, nachdem er in einer Tiefkühltruhe festgesteckt hatte. Und jetzt wusste er nicht, ob er sich in der Hitze aalen, laut fluchen oder hinausklettern und eine Handgranate hineinwerfen sollte.

Lincoln West rieb sich mit zwei Fingern das stoppelige Kinn. “Die Frauen hier scheinen sie nicht sonderlich zu mögen.”

“Es kursiert das Gerücht, dass sie ein männermordender Vamp ist”, sagte Dane. “Allerdings steht noch zur Debatte, ob sie ihre Opfer im Ganzen verschlingt oder ob sie die Knochen abnagt.” Außerdem hatte er gehört, dass sie ausnahmslos mit verheirateten Männern schlief und die armen Trottel verließ, sobald sie kurz davor waren, sich von ihrer Ehefrau scheiden zu lassen.

Und sie sollte angeblich eine Tochter haben, wobei der Name des Vaters ein Geheimnis war.

Dane hätte es nie offen zugegeben, aber er hatte absichtlich mit jedem einzelnen Partygast gesprochen, der im Augenblick in Strawberry Valley lebte. Nach einer Weile hatte er aufgehört, ihnen seine Fragen vorsichtig unterzujubeln, und stattdessen ganz direkt Antworten gefordert. Die Leute hatten sich fast überschlagen, um ihm alles zu erzählen, was sie über Kenna Starr wussten … nur um jedes Informationshäppchen mit all den Gründen zu würzen, aus denen er Oklahoma City, wo er die vergangenen sechzehn Jahre über gelebt hatte, besser verlassen und “nach Hause” zurückkehren sollte.

Er würde für immer zurückkehren, sobald … die Hölle gefror.

“Dieser süße kleine Leckerbissen soll ein männermordender Vamp sein?” West knuffte ihn leicht in den Arm. “Kann ich nicht glauben. Du hast doch selbst gesehen, wie sie die Gläser herumgetragen hat, um dem Personal zu helfen.”

Auch er hätte den Klatsch lieber nicht geglaubt. Zu sagen, er sei enttäuscht gewesen, als er davon hörte, war in etwa so, als würde man einen Ozean als Pfütze bezeichnen. Allerdings … wenn sie nur ein bisschen nach ihrer Mutter kam …

Na klar. Darauf lief am Ende doch alles hinaus, obwohl er besser wusste als die meisten, dass man ein Kind nicht für die Fehler seiner Eltern verantwortlich machen sollte. Aus genau diesem Grund war er heute hier. Nicht, um die idiotische Entscheidung seines Vaters zu unterstützen, die Frau zu heiraten, die zur Zerstörung seiner Familie beigetragen hatte, sondern um sich bei dem rothaarigen kleinen Mädchen zu entschuldigen, dem er vor all diesen Jahren wehgetan hatte.

Er hatte nie vergessen, wie sich an jenem Tag, an dem seine Mutter die Affäre entdeckt und Roanne angebrüllt hatte, Angst und Schmerz über Kennas sommersprossiges Gesicht gelegt hatten. Oder wie ihr schmaler Körper gezittert hatte. Oder wie sie trotz allem versucht hatte, ihn zu trösten, obwohl er sie so fürchterlich beschimpfte.

Alles wird gut, du wirst schon sehen. Es wird alles gut.

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