Aus Dunkelheit und Eis - Die Jagd

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Mit dem Herzen eines Drachen

Bane von Adwaeweth ist der gefährlichste der unsterblichen Krieger. Denn er ist von einem blutrünstigen Dämon besessen. Alles wonach er sich sehnt, ist Rache an demjenigen, der die Liebe seines Lebens auf dem Gewissen hat. Und dafür will er Nola Lee benutzen. Doch ausgerechnet sie bändigt seinen Dämon und weckt längst vergessene Sehnsüchte in ihm. Beim ersten Kuss weiß Bane bereits, dass Nola sein Verderben bedeutet, wenn er nicht Acht gibt.

»Ich liebe diese Welt … Das ist Gena Showalter in Bestform.«
SPIEGEL-Bestsellerautorin J. R. Ward

»Diese Serie ist meine neue Obsession!«
SPIEGEL-Bestsellerautorin Christine Feehan

»Gewalt und Leidenschaft durchdringen die aufregende neue Welt dieser kriegerischen Götter. Macht euch bereit für ein wildes Abenteuer!«
SPIEGEL-Bestsellerautorin Nalini Singh


  • Erscheinungstag 28.07.2020
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783745751567
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Michele Bidelspach.

Unser erstes gemeinsames Buch.

Ich hoffe, es werden noch viele mehr!

Es war einmal vor langer Zeit, da begaben sich die Könige und Königinnen aus allen Galaxien auf die Suche nach neuen Welten und neuen Spezies, die sie ihrer Herrschaft unterwerfen konnten. In ihrer Gier schickten sie ganze Heerscharen in den Kampf. Millionen starben, die gerade erst entdeckten Planeten wurden verwüstet. Voller Verzückung beobachteten jene herzlosen Monarchen die blutrünstigen Schlachten, doch was sie ernteten, war wenig mehr als Ödland.

Da sie aber mit ihren Spielen fortfahren und über neue Welten herrschen wollten, einigten sie sich darauf, einen Wettbewerb auszurichten – den All War. Wurde ein neues Gebiet entdeckt, würde jeder von ihnen einen einzelnen Krieger dorthin schicken. Seinen besten. Das Gebiet würde diesen Kriegern als Spielfeld dienen … und auch als Schlachtfeld. Nur einer der Wettkämpfer würde gewinnen, die übrigen erwartete der Tod.

Im Laufe der Jahrhunderte, die dieses Spiel nun schon existiert, hat sich ein ungeschriebenes Gesetz bewährt: Verliebe dich niemals in Einheimische.

»Liebe? Nie wieder. Mein Herz besteht einzig aus Rache und Hass.«

Bane of Adwaeweth

»Ich hab jahrelang gegen Fibromyalgie und Lupus gekämpft. Einen großen, bösen Krieger und seine Bestie zähmen? Ist ja wohl ein Klacks.«

Nola Lee

Prolog

Das Reich von Adwaeweth

1026 AA (After Alliance – nach dem Bündnis)

Wie stets widersetzte sich Bane of Adwaeweth dem instinktiven Bedürfnis, derjenige zu sein, der oben lag, und drehte sich auf den Rücken, wie es von den Männern Adwaeweths erwartet wurde. Nun ja, genau genommen wurde es nicht nur erwartet, es war gesetzlich vorgeschrieben.

Ob es seine Lust wohl steigern würde, oben zu sein? Bane hatte das Thema Meredith gegenüber einmal – ein einziges Mal nur – angesprochen, doch sie hatte kein Interesse gezeigt, und so hatte er es wieder fallenlassen. Seitdem redete er sich ein, dass es ihm gleich war. Manchmal glaubte er sogar daran.

In Kerzenlicht gehüllt erhob sich Meredith auf die Knie, setzte sich rittlings auf ihn und nahm seine pochende Härte in sich auf. Oh, diese Lust!

Sie warf den Kopf in den Nacken, drückte den Rücken durch und stöhnte ekstatisch auf, als sie ihn zu reiten begann. Schweiß glänzte auf ihrer goldenen Haut, und das Verlangen lag wie ein Schleier über ihren goldenen Augen. So schön. So stark und tapfer.

Meredith war die Liebe seines Lebens. Es war noch nicht allzu lang her, dass sie einander vor dem versammelten Adel ihr Treuegelübde gegeben und damit auf ewig ihre Schicksale aneinandergekettet hatten. Bis dass der Tod uns scheidet.

Als Meredith die Hände auf seine Unterschenkel legte und hart mit den Hüften kreiste, war Bane nur noch von einem einzigen Gedanken erfüllt: mehr. Mit einem erstickten Stöhnen packte er Meredith an der Taille, um ihre Bewegungen zu steuern. Auf und nieder, schneller, härter. Genau so, wie sie es mochte.

»Oh, Bane, das ist … so gut.« Flachsblonde kurze Locken tanzten um ihr hinreißendes Gesicht.

Also noch härter. Schneller, immer schneller. Meredith liebte es, wenn er sie ungestüm nahm. Aber hatte er sich nicht immer schon zu Kriegerinnen hingezogen gefühlt? Zu Frauen, die mutig genug waren, an seiner Seite in den Kampf zu ziehen?

Meredith aber hatte mehr zu bieten als nur körperliche Stärke. Sie war ein Juwel, innen wie außen, und seine einzige Zuflucht in einer brutalen, blutgetränkten Ewigkeit.

Da plötzlich hallte eine schrille Stimme durch seinen Kopf. Lass alles stehen und liegen und komm nach Hivetta. Sofort! Und mit nacktem Oberkörper, es spricht nichts dagegen, dass ich mich an deinem Anblick erfreue, während wir die Angelegenheiten des Königreichs besprechen. Beeil dich!

Bane fuhr zusammen. Nur eine Person kommunizierte per Telepathie mit ihm: Königin Aveline die Große, auserwählt vom Schicksal, beschenkt mit übernatürlichen Kräften. Meine Herrin und Peinigerin.

Wie alle Königinnen und Prinzessinnen aus der herrschenden Klasse verfügte Aveline über herausragende Heilkräfte und konnte telepathisch mit ihrem Volk kommunizieren und sich teleportieren. Zudem war sie mit einer einzigartigen Fähigkeit gesegnet: Durch ihre bloße Berührung konnte sie alle Lebenskraft aus ihrem Gegenüber saugen.

Meredith ritt ihn weiter, ohne zu bemerken, dass er nicht mehr ganz bei der Sache war, während er der Königin antwortete: Ich habe zu tun. Kann die Angelegenheit eine Stunde warten?Was für eine dumme Frage! Er kannte Aveline gut genug, um sich die Antwort denken zu können. Sie war seine erste große Liebe gewesen, bis sich die einst liebenswerte und rücksichtsvolle Prinzessin über Nacht in eine grausame, selbstsüchtige Königin verwandelte, für die Geduld ein Fremdwort war. Oder dreißig … zwanzig … zehn Minuten. Gib mir nur zehn Minuten!

Er wollte nicht gehen, ohne vorher seine Frau befriedigt zu haben.

Du hast fünf Minuten. Erscheinst du nicht rechtzeitig, mache ich deine Braut zur Witwe. Tick, tack!

Aveline sprach niemals leere Drohungen aus.

In den vier Jahrhunderten, die sein Leben nun schon währte, hatte Bane sechs Prinzessinnen bei ihrem Aufstieg an die Macht verfolgt. Ganz gleich, wie freundlich sie zuvor auch gewesen sein mochten: Während der Krönungszeremonie, einem brutalen Brauch, der nicht umsonst auch »Blutritual« hieß, wurden sie alle mit etwas Düsterem, Hinterhältigem infiziert. Spiralförmige goldene Runen erschienen auf ihrer Haut, ein Brandmal für die Ewigkeit, das alles zu versengen schien, was recht und gut war, und ein anmaßendes, selbstverliebtes, zügelloses Geschöpf ohne jede Wertvorstellung erschuf.

»Es tut mir leid, Liebste«, stieß er hervor. Seine … Bereitschaft war bereits dabei nachzulassen. »Ich muss gehen. Die Königin verlangt nach meiner Anwesenheit.«

»Was?« Meredith trommelte mit den Fäusten auf seine Brust ein. »Du kannst mich doch nicht so einfach sitzenlassen!«

»Das werde ich auch nicht.« Er schob eine Hand zwischen ihre Körper und berührte mit dem Daumen Merediths empfindlichste Stelle, um ihr einen raschen Höhepunkt zu verschaffen. Es dauerte nur Sekunden, bis sie sich eng um seine Länge krampfte.

Zähneknirschend drehte er Meredith auf die Seite und zog sich aus dem Paradies zurück. Die letzten Überreste seiner Lust wichen einem quälenden Pochen. »Es tut mir leid«, wiederholte er, sprang vom Bett und zwängte seine Härte in eine schwarze Lederhose.

Meredith ließ sich mit einem anzüglichen Lächeln in die Matratze sinken. »Mein armes Baby. Wie soll das Ding denn nur da reinpassen?« Ihr Lächeln versiegte, während sie mit einer Kopfbewegung auf seinen Schaft deutete. »Avelines Timing ist wirklich grauenhaft.«

»Alles an Aveline ist grauenhaft.«

Gedämpfte Stimmen drangen durch die Wände, gefolgt von einem Chor aus Gelächter. Bane und Meredith wohnten im Augenblick in den Militärbaracken neben dem Königspalast Hivetta mit seinen zerklüfteten, wabenförmigen Kristallwänden.

Mit den Jahren war Hivetta zum pulsierenden Herzen des gesamten Reichs geworden – und mehr Gefängnis als Zuhause.

Vor einigen Wochen hatte Bane ein Stück Land außerhalb der Stadtgrenzen gekauft, auf dem er nun Merediths Traumhaus errichtete. Einen Ort, an dem sie ihre Kinder großziehen konnten, falls ihnen dieser Segen jemals zuteilwerden sollte.

»Wenn ich wiederkomme, machen wir genau da weiter, wo wir aufgehört haben, und ich verschaffe dir den nächsten Orgasmus.« Er setzte sich auf die Bettkante, um seine Stiefel anzuziehen.

»Inakzeptabel.« Meredith presste ihre bloßen Brüste gegen seinen Rücken und bettete ihr Kinn auf seine Schulter. »Ich will zwei Orgasmen – und das ist erst der Anfang.«

Er lachte auf, doch seine Belustigung legte sich schnell wieder. In seinem Kopf hatte ein Countdown eingesetzt. Tick, tack! Tick, tack!

Meredith knabberte an seinem Ohrläppchen. »Wenn ich Aveline herausfordern könnte, um dich von ihr zu lösen, und auch nur den Hauch einer Chance hätte, gegen sie zu gewinnen, würde ich es sofort tun.«

»Ich weiß.« Aber wenn sie es versuchte, wäre Bane gezwungen, Vergeltung an ihr zu üben. Nichts konnte das geheimnisvolle Band zwischen einem adwaewethischen Krieger und seiner Königin zertrennen. Nicht einmal die Liebe zu einer anderen Frau.

Eine Königin hatte die vollkommene Kontrolle nicht nur über ihre Männer, sondern auch über die Bestien, die sie in sich trugen – Bestien im wörtlichen Sinn, Geschöpfe, die alles verabscheuten außer dem Tod. Eine finstere Geißel, mit der sich die Krieger in einem beständigen körperlichen, geistigen und seelischen Kampf befanden, der jeweils nur kurzzeitig unterbrochen werden konnte: während sie Sex hatten und in direkter Nähe einer Adligen.

Wie aufs Stichwort dröhnte ein vertrautes Protestgebrüll durch Banes Kopf. Der Bestie gefiel es nicht, eine willige Partnerin aufgeben zu müssen. Oder überhaupt eine Partnerin. Die Bestien waren nicht sonderlich wählerisch, und sie konnten nie genug bekommen.

Das Gefühl kenne ich. Sein Leben lang hatte sich Bane unvollständig gefühlt. Er hatte gedacht – gehofft –, dass ihn die Ehe davon heilen würde, aber …

Erneutes Gebrüll, lauter diesmal. Bane holte tief Luft, versuchte, Ruhe zu bewahren. Sobald ein Wirt in Wut geriet, verlor er die Kontrolle und gab damit der Bestie die Möglichkeit, die Macht an sich zu reißen und eine Verwandlung auszulösen. Der Wirt wurde größer und breiter, Hörner wuchsen aus seinem Kopf und Stacheln aus seinem Rückgrat. Krallen schoben sich aus seinen Fingerspitzen. Schuppen, so hart wie Stahl, erschienen auf seiner Haut, und seine Zähne wurden scharf wie Pfeilspitzen. In diesem Zustand tötete ein Krieger voller Hingabe und Freude, Blut war sein Nektar, Schmerzensschreie waren seine Musik.

»Hast du eine Ahnung, was Aveline die Großkotzige von dir wollen könnte?«, riss ihn Meredith aus seinen Gedanken.

Tick, tack. »Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie mir befehlen, jemanden zu ermorden, der sie beleidigt hat.« Und Bane würde den Befehl ohne Zaudern befolgen, so wie er alles tat, was Aveline von ihm verlangte. Ganz gleich wie abscheulich – ihr Wunsch war sein Befehl. Er war rein körperlich gar nicht dazu in der Lage, sich zu widersetzen.

Der bloße Gedanke machte ihn wütend.

»Wir müssen einen Weg finden, dich der Macht zu entziehen, die die Königin über dich hat«, sagte Meredith.

»So furchtbar es auch ist und sosehr ich es verabscheue, aber ich kann nicht leben, ohne mit einer Adligen verbunden zu sein.« Eine Tatsache, die für Bestienlose kaum nachzuvollziehen war. Sie verstanden nichts von dem ständigen inneren Machtkampf zwischen Mann und Bestie und dem Gleichgewicht, das nur Mitglieder des Adels zu erzeugen wussten.

Meredith seufzte tief. »Ich helfe dir, ganz gleich, wen sie dir zu töten befiehlt.«

»Einer der zahllosen Gründe, aus denen ich dich liebe.« Er gab seiner hinreißenden Frau einen raschen Kuss, dann sprintete er aus der Baracke, als sei ihm der Teufel auf den Fersen.

Ein Krieger kreuzte seinen Weg, doch Bane wich ihm mit Leichtigkeit aus. Neunundvierzig Sekunden früher als gefordert schoss er in den Thronsaal und blieb mit erhobenem Kinn, gestrafften Schultern und in den Boden gestemmten Füßen vor dem Podest stehen.

Die Bestie verstummte.

Bane stieg der Duft von Kerzenwachs und Flieder in die Nase. Flieder – ein Geruch, den alle Königinnen und Prinzessinnen von Adwaeweth ausströmten.

Wie ich Flieder hasse!

Ein Kerzenleuchter, so groß wie seine Schlafkammer, verströmte warmes Licht, das sich im Massivgoldboden spiegelte. An den Wänden hingen Porträts ehemaliger Königinnen. Aveline musterte Bane von ihrem Thron aus Amethyst und Kristall herab mit ihrem Bernsteinblick, ehe sie ihr kaltes Lächeln zur Schau stellte.

»Genauso appetitlich, wie ich dich in Erinnerung hatte«, schnurrte sie. »Ich bin angetan.«

Für dich bin ich nur noch ein Stück Fleisch. Einst hatte Aveline ihn voller Liebe und Zuneigung, ja, sogar Bewunderung angesehen. Sie hatte seine Hand gehalten, seine Finger geküsst und den Kopf an seine Schulter gelehnt. War glücklich gewesen, einfach nur Zeit mit ihm verbringen zu können.

Wie bei allen Adligen war Avelines Äußeres täuschend zart: die Haut makellos und golden, das Haar so fahl wie Mondstrahlen, die Augen strahlend wie ein Sonnenuntergang, den Bane aufgrund seiner empfindlichen Augen nur von Bildern kannte. In ihre Haut waren die blassgoldenen, wirbelförmigen Runen eingebrannt, die das Ritual hinterließ, und ihr durchsichtiges rosafarbenes Gewand schmiegte sich an ihre makellosen Kurven: die vollen Brüste, die schmale Taille, die ausladende Hüfte. Durch die hohen Schlitze im Rock blitzten bei jeder Bewegung Avelines Schenkel hervor.

Wer Frauen mochte, die so zerbrechlich wirkten wie Glas, der hätte Aveline hinreißend gefunden – zumindest äußerlich. Denn ihr Inneres war verdorben bis ins Mark, gierig und korrupt, und Bane verabscheute sie mit jeder Faser seines Körpers. Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun: Er hasste den gesamten Adel Adwaeweths mit derselben Inbrunst.

Als Aveline keinerlei Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen, das sie so dringend hatte führen wollen, musste er sich zurückhalten, nicht laut zu fluchen. »Du hast mich gerufen?«

»Deine neue Frau zu verlassen war … hart für dich, wie ich sehe.«

Ziemlich sogar. Noch immer kochte ihm das Blut in den Adern wie flüssige Lava. »Warum bin ich hier, Aveline?«

Mit einem Winken ihrer zarten Hand entließ sie die Wächter, die hinter ihr standen – Mount und Micah, ein Brüderpaar, das für seine Grausamkeit bekannt war.

Micah warf Bane einen Luftkuss zu, Mount zwinkerte.

Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden Männern geschlossen, sagte Aveline: »Du bist hier, weil du etwas hast, das meinen übrigen Elitekriegern abgeht: einen Grund, einen schnellen Sieg herbeizusehnen.«

Argwohn beschlich ihn, und seine Finger krümmten sich in dem verzweifelten Wunsch, eine Waffe umfassen zu dürfen. »Sag nicht …«

»Die All War Alliance hat ein neues Reich entdeckt«, unterbrach sie ihn. »Eine gewaltige Welt namens Terra mit Klimazonen und Landschaften für jeden Geschmack. Es gibt Meere, Berge, Steppen, Wälder, Wüsten und vieles mehr.«

Also war sein Argwohn berechtigt gewesen. Furcht und Aggression flammten in ihm auf. »Ich habe meine Pflicht Adwaeweth, Hivetta und auch dir gegenüber bereits erfüllt, indem ich zwei neue Welten eroberte.« Und im Gegenzug nichts weiter als Narben, Albträume und ein tiefes Misstrauen anderen gegenüber erhalten. »Ich habe mir den Ruhestand verdient.«

»In einer Woche wirst du die Reise in dieses neue Reich antreten«, fuhr Aveline gnadenlos fort. »Du wirst mich dort repräsentieren und in einem weiteren All War kämpfen, um Terra für mich zu erobern.«

In den Weiten der Galaxien existierten Tausende anderer Welten, Reiche und Dimensionen, in denen verschiedenste Spezies lebten – auch Unsterbliche und Kreaturen, von denen man nur vom Hörensagen wusste. All diese Welten hatten miteinander um die Vorherrschaft gewetteifert. Kriege brachen aus, jedes Oberhaupt wollte unbedingt neue Territorien und Sklaven für sich gewinnen. Und je mehr Territorien und Sklaven ein Herrscher unter sich vereinte, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass er auch den nächsten Krieg gewann. Doch viele dieser neuen Welten, Reiche und Dimensionen waren durch die Kriege so stark verwüstet worden, dass sie nach dem Sieg nicht mehr bewohnbar waren. In dem Versuch, diesem Problem ein Ende zu bereiten, hatten sich die Herrscher zur All War Alliance zusammengeschlossen und die All Wars ins Leben gerufen.

Jedes teilnehmende Reich schickte einen einzelnen Repräsentanten in das neuentdeckte Gebiet, wo die Krieger bis auf den Tod gegeneinander kämpften. Der gesamte Planet wurde zu einer Art Gladiatorenarena. Doch es gab Probleme.

Je mehr Planeten entdeckt wurden, desto häufiger wurden Repräsentanten in den Krieg geschickt. Und da die Schriftführer der teilnehmenden Reiche Aufzeichnungen zu machen pflegten, konnten neu hinzukommende Wettkämpfer aus den Fehlern ihrer Vorgänger lernen, wodurch es immer schwieriger wurde, sie zu töten. Im Ergebnis dauerte ein einziger All War inzwischen meist nicht mehr einige Tage, sondern mehrere Jahrzehnte.

Banes zweiter All War hatte sich über zweiunddreißig Jahre hingezogen. Als er heimkehrte, war seine Verlobte – Prinzessin Aveline – bereits zur Königin gekrönt worden und hatte beschlossen, dass sie ihn nicht mehr heiraten wollte.

Er war am Boden zerstört gewesen, denn er hatte sie von ganzem Herzen geliebt und sie jede Sekunde eines jeden Tages vermisst. Doch dann bemerkte er, wie sehr sich ihre Persönlichkeit verändert hatte, und sein Kummer wich Erleichterung. Da bin ich wohl gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen.

Wenn Aveline nun einem anderen Krieger befahl, in Banes Abwesenheit um Meredith zu werben …

Sein Zorn wich kochend heißer Wut, die sein Inneres wie Säure verätzte. In seiner Brust tobte die pure Panik. Und dann war da noch ein Problem: Bane setzte Sex ein, um die Bestie zu kontrollieren. Zu diesem Zweck wohnte er Meredith zweimal täglich bei. Mindestens! Wenn er nach Terra reiste, würde er Wochen, Jahre, Jahrzehnte ohne eine Geliebte auskommen müssen. Denn er würde eher sterben, als Meredith zu betrügen.

»Mein Kämpfer wird mit einem großen Nachteil in diesen Krieg ziehen«, sagte Aveline, ohne dem brutalen Sturm, der in Bane wütete, auch nur einen Funken Interesse entgegenzubringen. »Die Sonne Terras ist besonders hell und steht für lange Zeiträume am Himmel. Aufgrund unserer Lichtempfindlichkeit werden wir entsprechende Maßnahmen ergreifen müssen.«

»Und warum ziehst du nicht einfach selbst in diese Schlacht?«, schnauzte er. Sein Blut war wie Benzin, und seine Zellen glichen entflammten Streichhölzern. »Bist du zu schwach? Zu feige?«

Mit schriller Stimme wies sie ihn zurecht: »Obacht. Ich kann dir jederzeit befehlen, dir selbst die Zunge herauszuschneiden.«

»Ein paar Tage, und mir wäre eine Neue gewachsen.«

»Guter Punkt. Dann lasse ich eben Meredith die Zunge herausschneiden.«

Dieses verdammte Weib! Der Preis war zu hoch.

»In Anbetracht deines erschütterten Gesichtsausdrucks gehe ich davon aus, dass kein weiterer Protest mehr von dir zu erwarten ist.« Sie bedachte ihn mit einem bösartigen Lächeln. »Meine Tracker haben Terra bereits vor einem Jahr entdeckt. Ich habe per Portal eine Gruppe von Brüterinnen entsendet – mit dem Befehl, die stärksten und einflussreichsten Männer Terras zu verführen. Die meisten haben sich nahtlos in die dortige Gesellschaft eingefügt, und einige sind bereits schwanger mit terrestrisch-adwaewethischen Kötern. Meine nächste Kriegergeneration wird sich womöglich frei im Sonnenlicht bewegen können, ohne geschwächt oder geblendet zu werden.«

Bane mahlte mit den Zähnen. Köter – so bezeichnete man abfällig adwaewethische Hybride. »Es ist bereits ein strafbares Vergehen, die Entdeckung eines neuen Reiches nicht umgehend zu melden. Doch Leute vom eigenen Volk dort einzuschleusen … das kann mit der Todesstrafe geahndet werden!« Und diese Strafe würde nicht nur für die Königin gelten: Der Hohe Rat würde eine Armee von Vollstreckern nach Adwaeweth schicken, die nur ein einziges Ziel verfolgte. Alles und jeden zu töten.

Vollstrecker waren ausgebildete Mörder, und es ließ sich nicht abschätzen, wie viele von ihnen es gab. Sie alle – Männer wie Frauen – waren als Kinder dem Hohen Rat als Bezahlung für die Teilnahmeberechtigung an einem All War ausgehändigt worden. Adwaeweth würde als abschreckendes Beispiel in die Geschichte eingehen.

Aveline ignorierte seinen Einwurf. »Doch ich schweife ab. Ich weiß nicht, welche meiner Brüterinnen eine Adlige in sich tragen.«

Wenn sich Adwaewethierinnen mit einer anderen Gattung fortpflanzten, erschufen sie eine neue Kolonie und produzierten eine Handvoll Prinzessinnen, die eines Tages die Möglichkeit erhalten würden, Königin zu werden – wenn sie das Blutritual überlebten. Überlebte mehr als eine Prinzessin, wurde durch einen Kampf auf Leben und Tod entschieden.

Bane wusste, was als Nächstes kommen würde, und unterdrückte einen Fluch.

»Sollte auf Terra eine Adlige geboren werden«, fuhr Aveline fort, »wirst du sie töten und ihr Herz konservieren.«

Genau das hatte er befürchtet. Der Fluch brach aus ihm heraus, gemeinsam mit einem Dutzend weiteren. Aß die Königin das Herz einer Gegnerin, vervielfältigte sich damit ihre Kraft … zumindest für einen begrenzten Zeitraum. »Du befiehlst mir, Kinder zu ermorden?«

»Ach, hat meine kleine Bestie etwa ein Gewissen?« Sie winkte ab, als hätten derlei Empfindlichkeiten keinerlei Einfluss auf die Situation. »Wir können nicht zulassen, dass eine Prinzessin das Erwachsenenalter erreicht. Denn sollte es dazu kommen, erwachen die Köter, und dann erfährt der Hohe Rat, was wir getan haben.«

»Was du getan hast. In deiner unersättlichen Gier! Du hast unser Volk …«

»Mein Volk«, warf sie ein.

»… in große Gefahr gebracht!« Sie hatte Meredith in große Gefahr gebracht. Sicher, seine Frau wusste auf sich aufzupassen, aber er war nicht bereit zu tolerieren, dass ihr Wohlergehen unnötigen Risiken ausgesetzt wurde. Dafür hatte er schon zu vieles verloren: seine Eltern, seine beiden Brüder und seine einzige Schwester.

Vielleicht sollte er eine andere adwaewethische Vollblutprinzessin finden, die bereit war, Aveline herauszufordern, und ihr dabei helfen, die Krone an sich zu reißen. Aber gab es denn überhaupt noch andere? Aveline hatte bereits so viele umgebracht.

Sobald er eine Prinzessin gefunden hatte, würde seine Verbindung zu Aveline schwächer werden, und er konnte Bande zu der neuen Anwärterin knüpfen. Doch warum sich die Mühe machen? Am Ende wäre er ja doch nur den Launen des nächsten unberechenbaren Miststücks ausgesetzt, das keinen Deut besser war als Aveline – wenn nicht sogar noch schlimmer!

Wann würde dieser Kreislauf des Grauens nur enden?

»Ich werde kein Kind töten«, knurrte er. »Such dir jemand anders.«

Leicht gesagt. Die Frau konnte ihm alles gebieten, was ihr in den Sinn kam, und sie beide wussten es. Auch wenn es unklug war, ihn zu irgendetwas zu zwingen – besonders zur Teilnahme an einem All War. Unwillige, unmotivierte Repräsentanten waren sehr viel leichter zu besiegen.

Verärgert verzog sie das Gesicht. »Du weigerst dich, Terra für mich zu gewinnen?«

»So ist es.«

»Ts, ts, ts. Noch nie hat ein Mann so wenig Dankbarkeit für das Leben gezeigt, das ich ihm ermögliche. Offenbar benötigst du einen Anreiz, um zu gehen – vor allem aber einen Anreiz, um so schnell wie möglich wiederzukommen. Nun gut, nichts lieber als das. Ganz gleich, was geschieht, du wirst dich nicht in deine Bestie verwandeln, Bane. Das ist ein Befehl.«

Sie schnipste mit den Fingern, und links von der Empore öffnete sich eine Doppeltür. Micah trat ein. Er zerrte eine Gefangene in Ketten hinter sich her. Sie trug ein blassblaues Nachthemd. Ein Nachthemd, das Bane kannte.

Ein Brüllen drang aus seiner Kehle und hallte durch den Thronsaal. Meredith! Ihre Blicke begegneten sich, Zorn loderte in ihrem goldenen Blick. Doch es lag auch Angst darin, und diese Erkenntnis ging Bane durch Mark und Bein.

Wie auch er war Meredith von klein auf zur Soldatin ausgebildet worden. Man hatte ihr die Angst aus dem Leib geprügelt. Die Tatsache, dass sie nun welche empfand …

Die Verzweiflung ließ ihn die Stufen der Empore emporschießen.

Avelines Augen wurden schmal. »Halt. Knie nieder.«

Mehr war nicht nötig. Nur einige Schritte von seinem Ziel entfernt erstarrte er mitten in der Bewegung und fiel auf die Knie, prallte so heftig auf, dass seine Kniescheiben knackten. Wut und Angst loderten in ihm auf, bei jedem keuchenden Atemzug drohten seine Lungen zu platzen. Er kämpfte mit all seiner beträchtlichen Körperkraft gegen Avelines Befehl an, doch es war ihm unmöglich aufzustehen.

Micah lächelte selbstgefällig vor sich hin, während er Meredith ebenfalls in die Knie zwang. Dieser Bastard hatte sich immer schon am Leid anderer erfreut.

»Micah, mein Liebster«, sagte Aveline. »Sei doch so gut und bring das Mädchen zum Bluten.«

»Nein!«, brüllte Bane und versuchte entgegen dem Befehl der Königin, die Bestie heraufzubeschwören. Doch leider weigerte sich das Untier, es auch nur zu versuchen. Denn es mochte die Königin zwar hassen, aber gleichzeitig empfand es keinerlei Liebe zu Meredith, sondern tolerierte sie nur, weil sie ihm Sex gab. Und Sex, so glaubte die Bestie, konnte man stets und überall finden, ganz gleich mit welchen Mitteln.

Micahs Blick glitt zu Bane. Sein Lächeln wurde breiter, und dann schlug er zu. Merediths Kopf flog zur Seite, und ihre Lippe platzte auf. Ein rotes Rinnsal tröpfelte ihr vom Kinn.

»Nein!« Bane kämpfte so wild gegen seine unfreiwillige Position an, dass er sich beide Schultern auskugelte. Gleißender Schmerz schoss durch seinen Körper, doch das konnte ihn nicht aufhalten, interessierte ihn nicht einmal.

»Was auch immer sie will …«, Meredith spuckte einen Mundvoll Blut aus, »… wag es nicht, es ihr zu geben, Bane.«

Durch den Schleier vor seinen Augen suchte er Avelines Blick. »Tu das nicht! Bitte!« Er sagte sich, sie würde es nicht wagen. Sicher, sie liebten einander nicht mehr, aber sie hatten eine gemeinsame Vorgeschichte. Sie würde – musste einfach – kapitulieren!

»Du lässt mir keine Wahl«, erwiderte sie, gnadenlos wie stets. »Ich muss den Grund vernichten, aus dem du hierbleiben willst.«

»Aber wenn du sie tötest, habe ich keinerlei Anreiz, den Krieg für dich zu gewinnen.« Auch wenn es ihn danach verlangte, nach Meredith zu sehen, ließ er seinen Blick weiter auf Aveline ruhen. »Ich würde mit Freuden auf Terra mein Leben lassen, nur damit du den All War verlierst.«

Sie lächelte, und ihr war anzusehen, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten. »Meine Antwort lautet … nein. Du wirst alles in deiner Macht Stehende tun, um den All War zu gewinnen – und sei es nur, um zurückkehren und dich an mir rächen zu können.«

Erkenntnis: Womöglich wird sie es … tatsächlich tun. Die Panik kehrte zurück, mit doppelter Wucht diesmal, und krallte sich in ihm fest. »Ich flehe dich an, Aveline, tu das nicht.«

»Törichter kleiner Bane. Es ist doch schon so gut wie getan!« Sie nickte Micah zu.

Der Bastard trat hinter Meredith, packte ihr Haar und zerrte ihren Kopf in den Nacken, sodass ihr verletzlicher Hals freilag.

»Ich gehe«, versicherte Bane hastig. »Ich töte die Hybridprinzessin und gewinne Terra, du hast mein Wort.«

»Zu spät.« Aveline erhob sich in einer Bewegung, so flüssig wie Wasser, und glitt näher zu Meredith. Nur einen Hauch entfernt blieb sie stehen.

Er kämpfte, kämpfte mit aller Kraft. Eine siedende Träne rann seine Wange hinab. »Bitte, Aveline!«

»Ich liebe dich, Bane.« Meredith versuchte zu lächeln, doch es wurde ein Schluchzer daraus. »Mögen wir uns im Jenseits wiedersehen.«

»Ihr weint umeinander. Wie erbärmlich.« Ohne jede Zärtlichkeit legte Aveline die Hände an Merediths Wangen.

Bane brüllte einen Fluch nach dem anderen. Beruhig dich. Denk nach! Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. »Weißt du noch, als wir klein waren, Aveline? Du wolltest eine Rose aus dem Privatgarten der Königin. Ich habe mich hineingeschlichen und die Rose für dich gestohlen. Zwanzig Peitschenhiebe hat mir das eingebracht. Doch ich habe den Schmerz voller Stolz ertragen, weil ich dich zum Lächeln gebracht hatte. Du sagtest damals, das würdest du mir nie vergessen. Dass du auf ewig in meiner Schuld stehen würdest.«

»Ach ja, die Geschichte. Nun ja, da hab ich wohl gelogen«, erwiderte sie, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

Weitere Flüche barsten aus seinem Mund.

Meredith wehrte sich … anfangs. Dann verzweigten sich die schwarzen Linien – Todeslinien – auf ihrem Gesicht, ausgehend von den Stellen, an denen Avelines Hände auflagen, und sie hielt still, ergab sich einfach. Blut quoll ihr aus Augen und Nasenlöchern.

Tränen rannen Bane übers Gesicht. Die Hand des Todes, Avelines einzigartige Fähigkeit.

Seine geliebte Frau rang wieder und wieder erfolglos nach Luft. Blut benetzte ihre Zähne und tropfte ihr vom Kinn. Bane kämpfte weiter. Los, ich muss zu ihr, muss einfach nur zu ihr, dann wird alles gut! Er würde ihr sein eigenes Blut schenken – bis auf den letzten Tropfen, wenn es sein musste. Sein Leben für ihres. Ein würdiges Opfer. Muskeln und Sehnen rissen, der Schmerz war nahezu unerträglich. Vor seinen Augen tanzten Sterne. Doch die Kraft, die ihn an Ort und Stelle fesselte, ließ keine Sekunde lang nach.

Dann kippte Merediths Kopf nach vorn, und ihr Körper erschlaffte.

»Nein!« War sie … tot?

Aveline rammte mit der Faust ein Loch in den Brustkorb seiner Frau und riss ihr das Herz aus dem Leib. Micah ließ den Leichnam los, und Meredith fiel zu Boden. Das Knacken brechender Knochen hallte durch den Raum.

Ja, sie war von ihm gegangen. Fort. Schuldgefühle, Trauer, das Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben – all das zerfetzte Bane im Inneren und ließ sein Herz in Trümmern zurück. Meredith war tot. Aveline hatte sie ermordet. Die Frau, die er einst so sehr geliebt hatte, dass er um ihre Hand anhielt, hatte die Frau getötet, die er nun liebte und die seinen Antrag angenommen hatte. Aveline hatte ihre gemeinsame Vorgeschichte behandelt wie Müll. Hatte Bane behandelt, als sei er ein Nichts. Nein, weniger als das.

Die Königin suchte seinen Blick und nahm grinsend einen Bissen vom Herzen seiner Frau. Als sie genießerisch die Augen schloss, um die zusätzliche Kraft auszukosten, die sie nun durchfloss, warf er den Kopf in den Nacken und schrie in die Dachsparren, bis seine Lungen zu kollabieren drohten.

»Halt den Mund«, heischte Aveline ihn an.

Er konnte nicht anders, als zu gehorchen. Hilflos ließ er die Hände sinken und sackte in sich zusammen. Er hatte seine geliebte Frau im Stich gelassen, konnte nicht … hatte nicht …

Die Königin verspeiste den letzten Happen von Merediths Herz und trat so anmutig, als sei nichts geschehen, vor Bane, legte ihm zwei Finger unters Kinn und zwang ihn, sie anzusehen. »Verspürst du den Wunsch, mich anzugreifen, Krieger?« Ihre Zähne waren blutverschmiert.

»So ist es.« Sein Zorn loderte, und das Bedürfnis zuzuschlagen war so groß wie nie zuvor. Jeder Atemzug, den Aveline tat, war eine unerträgliche Beleidigung. Er hätte alles gegeben, um sie angreifen zu können. Und wenn es ihm schon nicht möglich war, sie eigenhändig zu töten, dann würde er eine andere Möglichkeit finden.

Oder eine andere Königin.

Vergiss die Sache mit dem Kreislauf des Grauens. Bane war bereit, jedem zu dienen, solange es sich nur nicht um Aveline handelte.

Selbst den Prinzessinnen von Terra, wer auch immer sie sein mochten. Wenn eine von ihnen mündig wurde, würde er sie selbst zwischen tausend anderen auf einen Blick erkennen können. Er würde sie finden und schützen, bis er den All War gewonnen hatte. Und kurz bevor Aveline eintraf, um ihr neues Reich zu begutachten, würde er das Blutritual durchführen und damit die Hybride wecken. Der Hohe Rat würde davon ausgehen, dass Bane sie während seiner Kampfjahre gezeugt hatte, was vollkommen legal war.

Die neue Königin würde gegen Aveline kämpfen und sie töten.

Die Konsequenzen? Nun, leider würde nicht er es sein, der Aveline den Todesstoß versetzte.

Aber spielte das eine Rolle? Aveline musste sterben, ganz gleich durch wessen Hand.

Hoffnung flammte in ihm auf, verlangte nach Nahrung. »Du hast recht«, erwiderte er und starrte sie finster an. »Ich gehe nach Terra, und ich werde diesen Krieg gewinnen. Und eines Tages wird mein Lächeln das Letzte sein, was du siehst, ehe sich ein Schwert durch dein schwarzes Herz bohrt.«

Sie tätschelte ihm die Wange und lächelte zufrieden. »Ich freue mich schon auf deinen Versuch.«

1. Kapitel

Zehn heiße Tipps, mit denen du seine kalte Schale zum Schmelzen bringst!

Nola Lee, Oklahoma Love Match Magazine

701 n. Chr., menschliche Zeitrechnung

103. All War, Monat 2

Terra

Töten. Ohne Gnade.

Auf den Spuren seines nächsten Ziels schlich Bane durch einen terranischen Dschungel. Der Schweiß lief ihm in Bächen über die Haut, raubte ihm die Kraft, doch das Adrenalin hielt ihn aufrecht, nährte seine ausgehungerten Muskeln. Ringsum standen gewaltige, knorrige Bäume, deren verwobene Äste einen grünbelaubten Baldachin bildeten und die sengenden Sonnenstrahlen abwehrten. Sie waren Segen und Fluch zugleich, denn gleichzeitig waren sie widerspenstige Hindernisse, die ihm das Vorankommen erschwerten.

Schnell! Die Bedrohung begleitete ihn auf Schritt und Tritt, bei jedem grünen Pflanzengewirr, um das er sich seinen Weg bahnte. Er gab sein Bestes, stets im Schatten zu bleiben. Von den Bäumen aus beobachteten ihn Affen, wachsam und verängstigt. Ob sie spürten, dass sich ein Raubtier unter ihnen befand, das weitaus gefährlicher war als sie selbst?

Sein niemals versiegender Zorn klebte an ihm wie eine zweite Haut, wurde noch verstärkt durch die erstickende, feuchte Hitze. Unter seinem Zorn lauerte das unstillbare Bedürfnis nach Rache – seine Rettungsleine, sein einziger Freund. Konzentrier dich. Denk nicht an Meredith.

Wunderbare, starke Meredith.

Er biss sich auf die Zunge, schmeckte Blut und zwang sich, seinen Fokus wieder auf die Jagd zu richten, auf der er sich gerade befand.

Er trug keine Waffen, brauchte sie auch nicht. Ich bin die Waffe. Seine Zielperson besaß ein magisches Schwert, das den Namen »Bluttrinker« trug und unheilbare Wunden verursachte. Wenn er Aveline mit einem solchen Schwert verletzen könnte … ihre Schreie hören und zusehen würde, wie sie sich in Todesqualen wand …

Ich muss es einfach haben! Eine der drei All-War-Regeln lautete, dass jeder Teilnehmer nur einen einzigen Gegenstand von zu Hause mitbringen durfte. Neununddreißig Kämpfer bedeuteten neununddreißig Waffen, die er an sich bringen konnte. Um eine Waffe zu aktivieren, musste man ihren Besitzer töten. Da Bane erfahren hatte, dass er sowohl die anderen Kämpfer als auch ein Eingeborenenvolk namens »Wikinger« bestehlen konnte, hatte er anstatt einer Waffe eine Schutzbrille mitgebracht, die seine empfindlichen Augen vor der Sonne abschirmte.

Bisher hatte er nur einen einzigen anderen Kämpfer getötet und dabei einen Dolch an sich gebracht, der seinen Besitzer in Nebel verwandeln konnte. Doch die Bestie war aus ihrem Käfig entkommen und hatte das Metall wie Papier zerfetzt.

Heute würde er einen Mann namens Valor töten, dadurch den Bluttrinker in seinen Besitz bringen und das Schwert fortan selbst nutzen können.

Dazu würde Bane Valors Kopf oder Herz entfernen oder seinen Körper zu Asche verbrennen müssen – die einzigen Möglichkeiten, einen Teilnehmer zu töten. Selbst Feuergeschöpfe wie Bane konnten verbrannt werden. Nicht alle Flammen glichen einander.

Als er auf eine massive Wand aus verknoteten Ästen stieß, strich er mit der Fingerspitze über die Rifter an seiner linken Hand. Jeder Teilnehmer besaß sie: drei Kristallringe, mit denen sich für eine Minute ein Portal öffnen ließ, das an jeden beliebigen Ort auf Terra führte. Als die Ringe vibrierten, winkte Bane in Richtung des Astgewirrs. Zwei Luftschichten schoben sich auseinander und erzeugten einen Durchgang. In der Region, die dahinter lag, war die Sonne noch nicht aufgegangen.

Vögel kreischten, Frösche krächzten, Heuschrecken zirpten, als er das Portal durchschritt. Eine Rohrkatze trug ihr Gebrüll zu der Hintergrundmusik bei. Die Bestie ließ Bane mit einem animalischen Geräusch antworten, das durch die Bäume hallte. Der Wald verstummte, und Bane hielt inne, um auf Anzeichen für das Herannahen seines Feindes zu lauschen.

Nichts. Einatmen, ausatmen. Gut, weiter so!

Unter dem Geruch von Erde und Blattwerk konnte er den charakteristischen Duft seiner Zielperson ausmachen. So nah! Die Anspannung trieb ihn weiter. Schon bald würde die Morgensonne aufgehen, und er wäre stark im Nachteil.

Krieger töten, und ab zurück ins Berglager.

Wie sehnte er den Tag herbei, an dem er alle übrigen Teilnehmer abschlachten und nach Adwaeweth zurückkehren konnte. Doch vorher musste er eine terranische Prinzessin finden, dafür sorgen, dass sie ihren achtzehnten Geburtstag erlebte, und ihr das Kämpfen beibringen. Was bedeutete, dass der All War so lange nicht enden durfte, selbst wenn Bane dafür eine Zeit lang anderen Kriegern das Leben retten musste. Allein aus diesem Grund würde er die Bestie in Schach halten – mit allen Mitteln. Auch wenn er sich zu diesem Zweck eine Geliebte suchen musste.

Alles in ihm wehrte sich gegen die Vorstellung. Lieber wäre er einen qualvollen Tod gestorben, als eine andere Frau zu berühren. Und dennoch war er eher bereit, diese gewaltige Schuld auf sich zu laden, als Aveline das zu geben, was sie begehrte.

Ich werde dich rächen, meine liebste Meredith. Nichts und niemand kann mich aufhalten.

Genug! Schluss mit der Trauer. Weiter geht’s!

Aus geringer Distanz trieben gedämpfte Stimmen zu ihm herüber. Er erstarrte, lauschte konzentriert. Sie waren zu zweit – seine Zielperson und ein weiterer Mann mit einem tiefen Tenor. Ebenfalls ein Kämpfer. Einer, der eine hochentwickelte Rüstung mit ein- und ausfahrbaren Stacheln mitgebracht hatte, die Fleisch und Knochen so mühelos wie Butter durchdrangen.

Seine Anspannung nahm noch einmal zu, während er sich um einen Baum herum anschlich, näher, immer näher …

Hinter ihm knackte ein Zweig. Geduckt fuhr Bane herum, als mit einem unheilvollen Zischen ein Schwert über seinen Kopf hinwegschwang – das Schwert. Das Schwert, das er mehr begehrte als die Luft zum Atmen. Hallo, Valor.

»Stimmenprojektion«, sagte Bane laut. »Netter Trick.« Er hielt sich weiter tief, nutzte seinen Schwung aus und trat gegen Valors Fußgelenke.

Der Krieger stürzte, kam aber noch in derselben Bewegung wieder auf die Beine.

Eine Bewegung zur Linken! Der andere Kämpfer – Malaki – startete einen Überraschungsangriff, indem er sich an einer Liane von einem Baum schwang. Die Stacheln an seiner Rüstung schlitzten Bane von der Wange bis zum Nabel auf, rissen ihm ganze Muskelfetzen aus dem Leib. Greller Schmerz, dann sprudelte Blut aus den offenen Wunden. Die Bestie knurrte und hämmerte von innen gegen Banes Schädeldecke, wollte aus ihrem Käfig.

Ruhig. Ganz ruhig. Beide Gegner waren groß und stark, doch Bane waren sie nicht einmal dann gewachsen, wenn er die Bestie hinter Schloss und Riegel ließ.

»Dachtest du wirklich, wir machen es dir so einfach, Bestienmann?« Malaki landete auf den Füßen. Fetzen von Banes Gesicht klebten an dem Gitterschutz vor seinem Helm.

Valor grinste mit kalter Berechnung. »Du hast während eines All Wars meinen Bruder getötet.« Er hob sein Schwert, ein Sonnenstrahl brach sich blitzend auf dem Metall. »Und heute werde ich ihn rächen.«

Der Morgen war angebrochen.

Die beiden Männer sprachen in ihren jeweiligen Muttersprachen, die Bane nie gelernt hatte. Doch mithilfe des Übersetzers, der in sein Gehirn eingepflanzt worden war, konnte er jedes Wort verstehen. Auch die anderen verfügten über solche Übersetzer und verstanden ihn, als er auf Adwaewethisch antwortete: »Ich bin sicher, dass dein Bruder ein würdiger Gegner war. Für andere als mich.«

Valors Grinsen wich einem grimmigen Ausdruck. Der Spott hatte gesessen. Die Zeit der Worte war vorbei. Mit einem abgehackten Kampfschrei sprang er los und schwang sein Schwert. Das Ziel: Banes Kehle.

Bane wich aus, und ein wilder Tanz begann. Er boxte, kickte, blockte, hieb zu, mal nach oben, mal nach unten. Die beiden Verbündeten arbeiteten in einem steten Fluss koordinierter Bewegungen zusammen: Während der eine angriff, ging der andere bereits für den nächsten Schlag in Position.

Bane wehrte einen besonders heftigen Hieb ab und rammte die flachen Hände gegen Malakis Rüstung. Wie gehofft verhakten sich die Stacheln in seiner Haut. Ohne auf den Schmerz zu achten, schleuderte Bane den Mann gegen einen Baum. Der Stamm spaltete sich, Rindenstücke flogen durch die Luft. Blätter regneten herab, und auf einmal war Bane schutzlos den Sonnenstrahlen ausgeliefert. Er zischte auf.

Seine Augen brannten, und seine Haut warf Blasen, doch er trat, schlug, boxte gezielt weiter, um seine Gegner in eine schattige Ecke zu treiben. Als Malakis Rüstung seine Bauchdecke streifte, quollen Banes Eingeweide hervor. Lodernder Schmerz, Schwindel. Die Bestie protestierte, wollte die Kontrolle an sich reißen, während Bane noch zu klarem Verstand zu kommen versuchte.

Valor hieb mit dem Schwert auf Bane ein, doch der sprang hoch und schwang sich an einer Liane über den Kopf seines Gegners, landete direkt hinter ihm und stieß ihn mit einem Tritt direkt vor Malakis Füße. Die beiden prallten zusammen, und die Rüstung tat ihr Übriges, indem sie Valors Brust häutete.

Der Krieger heulte vor Schmerzen auf, und Malaki stolperte rückwärts, das Gesicht zu einer Grimasse des Grauens verzerrt.

Mit einer raschen Bewegung schwang sich Bane erneut zu Valor, packte ihn an Stirn und Kinn und riss seinen Kopf herum. Valor erschlaffte, sein Rückenmark war durchtrennt.

Verletzt, aber nicht tot. Muss Herz oder Kopf entfernen, bevor er heilen kann.

»Dafür wirst du bezahlen«, knurrte Malaki und hechtete auf ihn zu.

Sie taumelten rückwärts, wobei Banes Körper durch die Metallstacheln beträchtlichen Schaden nahm. Noch mehr Schmerz, noch mehr Blut. Als sie auf den Boden prallten, bohrten sich die Stacheln tiefer in Banes Fleisch, was ihm erneuten heftigen Protest seitens der Bestie einhandelte.

Vorsicht. Wenn die Bestie das Schwert und die Rüstung zerfetzt … Doch besagte Vorsicht führte leider dazu, dass Malaki die Chance erhielt, Bane auf den Boden zu pressen. Die Knie des gegnerischen Kämpfers gruben sich in seine Schultern. Malaki hob eine seiner in Panzerhandschuhe gehüllten Fäuste zum Schlag, doch Bane handelte schnell und rammte ihm die Knie in den unteren Rücken, um ihn aus seiner Position zu schleudern, und Malakis Faust traf den dreckigen Boden.

Malaki hatte zu kämpfen, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, und Bane nutzte die Gelegenheit, um unter ihm herauszugleiten, sich umzudrehen und zuzutreten. Ein Fehler. Valor war inzwischen wieder geheilt – und hatte sich von hinten angeschlichen.

Ein scharfer Schmerz schoss durch Banes Schulter, als die Klinge auf der einen Seite ein- und auf der anderen wieder austrat. Ihm verschwamm die Sicht vor Augen.

Valor will mich töten? Mir das Recht nehmen, meine Frau zu rächen? Dann muss er sterben. Hier und jetzt!

Banes Wut übernahm das Kommando. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, sein Herz hämmerte ihm gegen die Rippen. Und dann befreite sich die Bestie.

Banes Knochen wuchsen in die Länge, sein Kiefer brannte, als sich seine Zähne schärften und vergrößerten. Seine Haut wurde hart, und dunkelgrüne Schuppen sprossen hervor. Dunkelheit senkte sich über seinen Geist.

Aus der Ferne vernahm er gepeinigte Schreie … Stimmen, die um Gnade flehten …

Dann ein Zischen. Ein Knall. Ein dumpfer Aufprall. Und schließlich Stille.

Als er blinzelnd die Augen öffnete, befand er sich inmitten der Überreste eines Gemetzels. Ein Blutmeer tränkte den Boden, Körperteile lagen verstreut herum, hier, dort, überall. Hautfetzen, Gewebebrocken, Muskelfasern baumelten von den Ästen. Zwischen Moos und Gras lagen Stücke von Malakis unzerstörbarer Rüstung. Verdammt! Das Schwert … wo steckte Valors Schwert? Da! Das Heft hatte leichten Schaden davongetragen, aber die Schneide selbst war noch intakt.

Mit einem tiefen, erleichterten Seufzer mühte Bane sich hoch. Ein scharfer Schmerz lenkte seine Aufmerksamkeit auf seinen Oberkörper, zu einer Stelle neben der Lebensbaumtätowierung auf seiner Brust, die alle Kämpfer trugen. Die Tinte infiltrierte ihr Blut, sodass die Vollstrecker sie auf Schritt und Tritt beobachten konnten.

Die Wunde, die er durch den Bluttrinker erfahren hatte, war nicht geheilt, der Schnitt noch genauso roh und rot wie zuvor. Bane massierte sich den Nacken. Es musste eine Möglichkeit geben, den Schaden zu beheben.

Denk nach! Einer der Wettkämpfer trug ein Schwert mit Heilkräften bei sich. Ein anderer besaß einen Zauberstab, der Energie manipulieren konnte. Vielleicht war eine dieser Geheimwaffen dazu in der Lage, das Unheilbare zu heilen.

Gut, dann kannte Bane also seine beiden nächsten Ziele. Sobald er all seine Aufgaben erfüllt hatte, würde er Avelines Schreckensherrschaft ein Ende bereiten können …

… und dann, Meredith, meine Liebste, werde ich zu dir kommen. Schon bald werden wir endlich wieder zusammen sein.

103. All War, Monat 5

Irgendwo in der Arktis

Teilnehmerversammlung

In den vergangenen drei Monaten hatte Bane nichts als seine Ziele im Kopf gehabt und seine Trauer unter einer undurchdringlichen Schicht aus loderndem Hass auf Aveline vergraben. Irgendwie war es ihm gelungen, die Bestie im Zaum zu halten, ohne sich eine Geliebte nehmen zu müssen. Er hatte niemanden mehr getötet, keine weiteren Waffen zerstört. Was leider auch bedeutete, dass er weder das heilende Schwert noch den Zauberstab hatte an sich bringen können.

Ein weiterer Fehler, den Bane sich zuzurechnen hatte.

Vor einigen Minuten hatte die Teilnehmerversammlung des All Wars begonnen, die für alle Krieger verpflichtend war. Wenig später war eine gigantische Schar von Wikingern über die Kämpfer hergefallen.

Nun arbeiteten die überlebenden fünfundzwanzig Krieger zusammen, Unsterbliche gegen Menschen. Die Unsterblichen waren in einem vereisten Tal gefangen, dem sie nicht entkommen konnten, bis die Versammlung beendet war. Ihre Angreifer aber konnten sich frei bewegen.

Metall traf klirrend auf Metall, Blutgeruch durchdrang die eiskalte Luft. Stöhnen, Ächzen und Gebrüll hallten von den Bergwänden wider – ein Kampf, so wild wie die Landschaft, in der er stattfand. Über ihnen erhellten grün und purpurn leuchtende Bänder den Nachthimmel.

Bane ignorierte den pochenden Schmerz in seiner genähten Schulterverletzung, schnappte sich ein zu Boden gefallenes Schwert und hieb einem Sterblichen den Kopf ab. Seit dem Kampf mit Valor hatte sich der Zustand der Wunde stetig verschlimmert. Durch den ständigen Blutverlust geriet Bane viel zu schnell außer Atem, und seine Reflexe hatten sich verlangsamt.

Trappelnde Schritte. Der Feind nahte. Die Bestie brüllte wütend auf, war durstig nach Blut, hungrig auf Fleisch. Ganz so wie immer.

Ruhig, ganz ruhig. Wenn Bane sich verwandelte, würde er die Wikinger abschlachten – sicher. Aber er würde auch die übrigen Kämpfer töten und damit den Krieg gewinnen, ehe er die terranische Prinzessin gefunden hatte. Und das würde bedeuten, dass er weiterhin an Aveline gebunden blieb.

Inakzeptabel! Ihr Niedergang war wichtiger als alles sonst, die Wikinger waren nichts weiter als Hindernisse auf seinem Weg zum Ziel. Und Hindernisse musste man beiseiteschaffen.

Bane wirbelte im Kreis herum, riss einem Mann mit den Zähnen die Kehle auf, durchschlug die Brusthöhle eines anderen und riss ihm das Herz heraus. Sein eigenes Herz schmerzte bei dem Anblick, denn er erinnerte Bane an den schlimmsten Tag seines Lebens.

Nichts da, du musst einen klaren Kopf bewahren! Der nächste Wikinger stürmte, kampfbereit die Axt über den Kopf erhoben, auf ihn zu. Aber kurz bevor sie aufeinanderprallten, durchbohrte ein Pfeil das Auge des Kämpfers, und er brach zusammen.

»Danke«, grollte Bane.

Emberelle of Loandria nickte und fuhr herum, um eine Pfeilsalve auf die Sterblichen außerhalb des Versammlungskreises loszulassen.

Normalerweise kämpfte sie mit einem Wikingerschwert. Sie musste gewusst haben, dass sie heute eine andere Waffe benötigen würde. Möglich war es. Sie hatte aus ihrer Heimatwelt einen metallenen Stirnreif mitgebracht, der es ihr ermöglichte, die Gedanken aller Geschöpfe in ihrer Umgebung zu lesen. Schon früh hatte sie zudem Manschetten getragen, um die sich das Gerücht rankte, man könne mit ihrer Hilfe durch die Zeit reisen – beides Waffen, die Bane gut gebrauchen konnte.

Er schob Emberelle auf seiner Liste ganz nach oben. Finde die Prinzessin, töte alle anderen.

Als die Nordlichter aufflammten und sich im Eis widerspiegelten, brannten und tränten seine Augen. Er fluchte. Seine Schutzbrille hatte er in seinem Versteck zurückgelassen, in dem Wissen, dass es am Ende der Zusammenkunft zu einem Kampf kommen würde – weil es am Ende aller Zusammenkünfte zum Kampf kam. Ein Chaos, in dem häufig Waffen verloren gingen, gestohlen oder zerstört wurden.

Ich hätte das Risiko eingehen sollen.

Erneut näherte sich ein axtschwingender Sterblicher. Die Bestie kämpfte nun mit allen Mitteln darum, sich zu befreien. Sengender Schmerz schoss durch Banes Schläfen. Er blockte einen Angriff des Menschen ab, drehte sich und zerfetzte ihm die Kehle.

Hinter ihm ertönte ein Schlachtruf. Wieder fuhr er herum. Diesmal war es ein Sax, das auf ihn niederging. Bane wehrte das Kurzschwert ab, rammte seine Fäuste durch den Oberkörper des Wikingers und riss ihm die Eingeweide heraus.

Ihm blieb keine Zeit, um Luft zu schnappen. Der nächste Angreifer ging auf ihn los. Bane riss ihm die Arme ab und nutzte sie als Keulen.

Dann hallte ein Horn durch die Berge. Die Wikinger erstarrten, dann zogen sie sich hastig zurück und bildeten einen Kreis um die Kämpfer, genau außerhalb ihrer Reichweite.

Ein Mann mit gehörntem Helm teilte die Gruppe und kam mit langen Schritten näher. Seine gebräunte Haut war blutverschmiert, die eine Gesichtshälfte völlig vernarbt. Er trug einen dichten schwarzen Bart und war in Leder, Pelze und Schaffelle gehüllt. In der Hand hielt er einen langen Stab mit einer Knolle an der Spitze. Der Stab von Clima.

Bane erstarrte. Der Stab gehörte einem Kämpfer namens Cannon. Hatte der Wikinger ihn getötet? Falls ja … dann war der Wikinger nun Teil des All Wars.

Die Unsterblichen rückten zusammen und beobachteten, wie zwei Soldaten einen enthaupteten Körper heranschleiften. Ein weiterer Wikinger warf den Kopf hinterher. Er rollte, rollte, rollte … oh ja. Cannon war tot.

Wuterfülltes Zischen vermengte sich mit Drohrufen, die Krieger warfen sich gegen die unsichtbare Wand, die sie zwischen den vereisten Felswänden gefangen hielt, doch sie prallten unerbittlich ab.

»Wenn ich dir den Schwanz abreiße, werden selbst die Kinder schreien, die du nie mehr zeugen wirst!«

»Soll ich dir den Kopf abschneiden, das Herz herausreißen oder dich verbrennen? Ach, was soll’s, ich mach alles drei!«

»Es wird mir eine Freude sein, dich stückchenweise ins Grab zu bringen, du Hurensohn!«

Bane blieb, wo er war. Die Bestie kämpfte darum, durch seinen Schädel zu brechen. Einatmen. Ausatmen. Bloß nicht die Kontrolle verlieren. Ein. Aus.

Der Mann mit dem Helm hob den Stab und verkündete: »Ihr seid in unser Land eingefallen und habt unsere Männer getötet, weil ihr uns nicht gefürchtet habt. Ich bin Erik, der Witwenmacher, und ich werde euch lehren, uns zu fürchten.« Mit diesen Worten donnerte er die Stabspitze ins Eis. Ein heulender Eissturm erhob sich, toste um sie herum. Der Boden bebte. Von einer Sekunde auf die andere wuchs Eis an Banes Füßen empor, seine Waden hinauf, höher und höher.

Die übrigen Kämpfer ereilte dasselbe Schicksal.

Von Grauen erfasst versuchte Bane, sich freizukämpfen … doch es war zwecklos. Er war gefangen. Hilflos. Soll mein Kampf etwa so enden?

Nein! Eine letzte Waffe blieb ihm noch.

Bane hörte auf, gegen die Bestie anzukämpfen, und die Transformation setzte ein. Muskeln, Knochen …

Nichts. Auch die Bestie war gefangen, das Eis war undurchdringbar, umfasste nun auch seine Taille und Schultern. Panik übermannte ihn, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alle Kämpfer waren gefangen. Dann umschloss das Eis sein Gesicht.

Bin ich … besiegt?

Habe ich Meredith im Stich gelassen?

Nein. Nein! Er würde sich nicht geschlagen geben, würde entkommen! Er würde die terranische Prinzessin finden, den All War gewinnen und das Blutritual durchführen, und dann, endlich, würde die Fessel brechen, die ihn an Aveline band. Aveline würde nach Terra kommen, um den Planeten für sich zu beanspruchen, und dann … oh ja, dann würde er sich rächen, mit Frieden im Herzen sterben und sich endlich wieder mit der Liebe seines Lebens vereinen.

2. Kapitel

Was sich liebt, das neckt sich

Heute

Strawberry Valley, Oklahoma

Magnolia »Nola« Lee schluckte ihren Medikamentencocktail, zupfte den Deckenberg zurecht, unter dem sie lag, und machte es sich im Bett bequem. Na ja, »bequem« war eigentlich nicht der richtige Ausdruck. Ihr tat alles weh, ihre Finger erinnerten an Würstchen, die Erschöpfung brachte sie fast um den Verstand, und ihre Nervenenden brutzelten vor sich hin, als würde sie von winzigen Blitzen getroffen, wieder und wieder, immer wieder.

Es. Nahm. Einfach. Kein. Ende. Ihre Krankheit machte alles kaputt. Beziehungen. Freundschaften. Vorsätze. Alles, was Spaß machte. Solange Nola denken konnte, hatte sie nur eins gewollt: ein ganz normales Mädchen mit einem ganz normalen Leben zu sein. Aber nein, schon in jungen Jahren war sie an Lupus erkrankt. Dann waren die Symptome zurückgegangen, aber nur, um der Fibromyalgie den Weg zu ebnen.

Im Augenblick durchlebte sie einen besonders heftigen Schub, der Schmerz war kaum mehr auszuhalten. Es fühlte sich an, als würde sie von Tausenden säuregetränkter Nadeln durchbohrt. Die Erschöpfung, das benebelte Gefühl, die Schlafstörungen wurden immer schlimmer, ließen ihr keine ruhige Sekunde. Was hätte sie gegeben für ein Cannabis-Rezept, doch ihr Arzt hielt das für »unnötig«, sodass sie auf die Gnade von Opiaten angewiesen war.

Sauwitzig. Opiate kannten keine Gnade.

Sie hatte bereits die maximale Dosis intus, aber die Pillen hatten dem Schmerz kaum Einhalt bieten können. Wäre da nicht die Aussicht auf den bevorstehenden Urlaub mit ihrer Pflegeschwester Valerina »Vale« London gewesen, hätte sie sich einfach unter der Decke verkrochen und im Dunkeln vor sich hin geheult. Aber so hatte sie wenigstens einen Grund, sich morgens aus dem Bett zu schälen.

»Welches von den Kleidern willst du auf die Reise mitnehmen?« Vale kam aus dem begehbaren Kleiderschrank, groß und schlank, mit ihrer blassen Haut und dem zweifarbigen Haar, halb weiß wie Schnee, halb blauschwarz wie die Nacht. Dicke, dunkle Balken umrahmten ihre braunen Augen. Der tätowierte Eyeliner verlieh ihr einen permanenten Smokey-Eyes-Look und das beste Resting Bitch Face aller Zeiten.

In einer Hand hielt sie ein rotes Kleid, das aus mehr Cut-outs als Stoff bestand, in der anderen ein konservatives kleines Schwarzes, wie man es üblicherweise auf Beerdigungen trug. »Das hier sagt: ›Hey, mein Körper ist das reinste Schlaraffenland, aber der Eintritt kostet dich was‹«, erklärte sie. »Und das hier sagt: ›Wenn du mich anrührst, reiße ich dir die Eier ab, und zwar allein kraft meiner Gedanken.‹«

Nola lachte auf. »Du weißt schon, wen du hier vor dir hast, oder? Schlaraffenland, ist ja wohl klar!« Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte sie sich danach gesehnt, sich zu verlieben. Ein paarmal war sie verknallt gewesen, hatte geflirtet, war sogar mit einigen Typen ausgegangen. Aber aus irgendeinem Grund hatte sie sich jedes Mal übergeben müssen, bevor sie mit einem von ihnen ins Bett ging. Und so hatte sie Liebe, Beziehungen und Romantik abgeschrieben und sich stattdessen darauf konzentriert, gesund zu werden und genug Geld für ihre Reise zu verdienen.

Na ja, zumindest hatte sie die Sache mit der Liebe weitestgehend abgeschrieben. Denn vor einigen Jahren hatte sie angefangen, von einem total umwerfenden, supermuskulösen Typen zu träumen, der von Kopf bis Fuß aus Gold zu bestehen schien. Und mit dieser Fantasie hatte sich kein anderer Mann jemals messen können.

Sie seufzte leise auf. Ihr goldener Gott hatte sie nie als »kleine Asiatin« oder »lebendige Sexpuppe in der Korea-Version« bezeichnet. Er hatte sie nie angelogen und ihr auch nie Geld aus der Handtasche geklaut. Er sprach sie stets mit »Prinzessin« an und bat sie – nein, forderte von ihr! –, ihn in Russland aufzusuchen. Um genau zu sein, in den Chibinen, einem Gebirge hoch oben im äußersten Nordwesten des Landes. Nacht für Nacht spendete ihr seine Anwesenheit Trost, und sie war sich ziemlich sicher, zumindest ein bisschen verliebt in ihn zu sein. Einer seiner vielen Vorteile: Da er nicht real war, konnte er ihr auch nicht wegsterben.

Ihre Eltern: tot. Ihre Lieblingsärztin: tot. Carrie, die tollste Pflegemutter der Weltgeschichte: tot. Andere Pflegeeltern, Pflegegeschwister, Sozialarbeiter, Freunde: zumindest im übertragenen Sinne tot. Weil sie Nola einfach im Stich gelassen hatten. Bislang war Vale die einzige Ausnahme gewesen.

»Gute Wahl.« Vale streckte ihr den Daumen hin. »Aber Carrie hat schließlich keine Idiotin großgezogen.«

Nola grinste und zwinkerte. »Und falls doch, dann bist du es.«

Vale schnaubte. »Du bist echt die Königin der Flachwitze. Denk dran, immer Feuchttücher parat zu haben. Könnte nämlich sein, dass dich jemand ansabbert, wenn er dich in dem Kleid sieht.«

»Könnte sein? Ich bitte dich!« Nola war bereit, das Spiel mitzuspielen. »Wir wissen doch beide, dass es so kommen wird.«

»O-hoh! Deine selbstbewusste Seite gefällt mir! Krank oder nicht, du bist der Hauptgewinn, Baby.«

War sie das? Was hatte sie denn schon groß zu bieten? Ein Haus voller »Schätze«, von denen sie sich nicht trennen konnte: hübsche Glasscherben, Knöpfe und Münzen, die sie auf der Straße gefunden hatte. Für alle anderen war das nichts weiter als Müll. Berge von Arztrechnungen. Die Weigerung, jemals Kinder in die Welt zu setzen, weil sie befürchtete, ihre Krankheit weiterzugeben. Die Unfähigkeit, für längere Zeit das Bett zu verlassen. Ein Mann, der sie liebte, würde früher oder später zu ihrem Krankenpfleger werden, sie baden und wickeln müssen. Nein, danke.

Aber sie hielt die Klappe und verbarg den Schmerz. Vale trug auch so schon genügend Lasten mit sich herum, da brauchte sie sich nicht auch noch um Nolas Seelenheil zu sorgen.

»Du weißt ja, das Warten offenbart den wahren Charakter eines Menschen«, sagte Vale, während sie wieder im Schrank verschwand. Sie hatte darauf bestanden, dass Nola sich ihre Kräfte aufsparte, weswegen sie nun für sie beide packte. »Anstatt erst mal viel Zeit und Energie in eine Beziehung zu investieren, erfährst du gleich, was für ein Arsch dein potenzieller neuer Lover ist. Das ist ein unbezahlbarer Vorteil, Puppe.«

Ganz unrecht hatte Vale damit nicht. Wann immer Nola beschlossen hatte, die anfängliche Übelkeit zu ignorieren und sich auf einen Typen einzulassen, hatte er sie entweder wie ein rohes Ei behandelt, das bei der kleinsten Erschütterung zerbrechen würde, oder – was noch schlimmer war – wie eine Hypochonderin, die ihre Symptome übertrieben darstellte, um Mitleid zu erregen. Der letzte Typ hatte es ernsthaft geschafft, sie an sich selbst zweifeln zu lassen. Doch wenn sie sich wirklich auf jemanden einlassen wollte, konnte sie ihm ihre gesundheitlichen Probleme unmöglich vorenthalten – schließlich musste er wissen, worauf er sich da einließ.

»Du hältst aber auch so gut wie jeden für einen Arsch«, erinnerte sie ihre Schwester.

»Stimmt. Das liegt daran, dass ich so megaschlau bin.«

Korrekt. »Na, dann volle Kraft voraus für uns beide, würde ich sagen.« Nach ihrer Rückkehr wollten sie sich richtig reinknien und eine Donutbäckerei für Feinschmecker eröffnen – als gleichberechtigte Partner. Vale würde sich um den Papierkram und die Zulieferer kümmern, Nola ums Backen und die Kundschaft.

Backen war zwar nicht ihre größte Leidenschaft – eigentlich hatte sie gar keine –, aber dank Carrie war sie mit einem bemerkenswerten Talent gesegnet. Außerdem war sie schon glücklich, wenn sie überhaupt irgendetwas gemeinsam mit Vale machen konnte.

Wo bist du, Prinzessin? Komm zu mir, suche mich.

Nola zuckte zusammen. Die tiefe, raue Stimme gehörte ihrem goldenen Gott – ein Klang, so erregend wie eine Liebkosung. Aber wie zum Teufel hatte der Mann aus ihrem Traum in ihrem Kopf zu ihr sprechen können, obwohl sie hellwach war?

Litt sie wegen all der Medikamente inzwischen auch noch an Halluzinationen? Aber welches Medikament konnte dafür verantwortlich sein? Und warum zeigte sich die Nebenwirkung erst jetzt? Es hatte keine Veränderungen in ihrem Behandlungsplan gegeben.

Vermutlich sollte sie sich besser mit ihrem Arzt in Verbindung setzen. Okay, nicht nur vermutlich, sondern ganz sicher. Aber erst nach ihrer Rückkehr. Weil er ihr nämlich raten würde, die Reise abzusagen. Schon wieder.

Kommt gar nicht in die Tüte.

Zuerst wollten sie Jukkasjärvi in Schweden besuchen und sich dort die Eisschlösser ansehen, Hundeschlitten fahren und die Nordlichter bewundern. Dann sollte es weitergehen nach Russland, wo sie eine Wanderung planten.

Nolas Herz begann heftig zu pochen. Sie wusste nicht, warum sie so sicher war, nach Russland zu müssen, nur weil es ihr irgendein Typ im Traum befohlen hatte. Sie wusste nur, dass das Bedürfnis immer und immer stärker wurde.

So stark, dass sie Vale von dem goldenen Gott erzählen wollte. Aber immer, wenn sie es versuchte, geschah etwas Merkwürdiges: Ihr versagte die Stimme, und sie erlitt einen Anfall selektiver Stummheit.

Ein innerer Warnmechanismus? Vielleicht. Vielleicht aber auch irgendeine bislang nicht diagnostizierte Geistesstörung. So oder so: Die nächtliche Existenz des goldenen Gottes blieb ihr Geheimnis, und das Gefühl, dringend handeln zu müssen, wuchs stetig. Los, ich muss mich beeilen!

Also würde sie morgen ins Flugzeug steigen, ganz gleich, wie schlecht es ihr ging, und ihren Schmerz verstecken. Vale würde nichts mitbekommen und entsprechend auch nicht vorschlagen können, dass sie ihre Pläne auf Eis legten, bis es Nola wieder besser ging.

Zusammenfassung: Nichts und niemand konnte Nola aufhalten. Sie hatte sich jeden Penny vom Mund abgespart, ihr gesamtes Geld zusammengekratzt, aufs College verzichtet und zwei Jobs gleichzeitig angenommen, obwohl sie vor Schmerzen und Erschöpfung manchmal nicht mehr ein noch aus wusste.

Job Nummer eins bestand darin, Backwaren an Angestellte in der ganzen Stadt zu verkaufen, Job Nummer zwei darin, eine Kolumne für das Oklahoma Love Match Magazine zu schreiben. Das Thema? Tipps für ein gelungenes Liebesleben. Welch Ironie.

Mist! »Ich hab vergessen, den Artikel für diese Woche zu schreiben!«

»Ab damit in die Scheiß-drauf-Tonne«, rief Vale. »Jetzt wird nicht mehr gearbeitet, jetzt machen wir Urlaub!«

Wenn das nur so einfach gewesen wäre. »Ich hab meinem Chef versprochen, dass ich ihn nicht hängen lasse. Ich muss mir irgendwas aus den Fingern saugen.« Manch einer hätte das zwar vielleicht als altmodisch bezeichnet, aber Nola glaubte fest daran, dass es etwas bedeutete, jemandem sein Wort zu geben. Wenn sie etwas versprach, dann hielt sie sich daran. Immer.

»Worum geht’s diesmal?«

»Zehn Tipps, mit denen du jeden Mann um den Finger wickelst.« Es war immer ihr Chef, der sich das Thema ausdachte, und meistens machten Nola die Recherchen Spaß.

»Ach, da reichen drei Worte: Zieh. Dich. Aus. Zack, erledigt.« Vale spähte durch die Tür. »Krieg ich jetzt fünfzig Prozent vom Honorar?«

Nola musste lachen. »Tut mir leid, aber es gehen schon hundert Prozent für die Stromrechnung drauf.«

»Buuuuh! BUUUHHHH!«

»Bereit für den nächsten Flachwitz?«, fragte sie ihre Schwester. »Was muss man tun, um mit dem Schreiben von Kolumnen Millionärin zu werden? – Als Milliardärin anfangen.«

Vale johlte vor Lachen.

Ich brauche dich, Prinzessin. Du weißt, wo ich bin. Komm zu mir.

Nola schluckte schwer. Die Halluzination hatte gerade noch einen draufgesetzt und die Lautstärke verdoppelt. Was bedeutete, dass sich auch ihr Bedürfnis verdoppelte, nach Russland zu gelangen.

Aber was, wenn … ihr goldener Gott tatsächlich real war?

Wie jetzt, da draußen sollte ein umwerfend heißer blonder Typ rumlaufen, der die Kunst der Telepathie beherrschte? Pfft, unmöglich. Trotzdem würde sie die Reise antreten, um ihn zu suchen. Nur für den Fall der Fälle.

Wunder über Wunder: Nola kam zu Kräften, kaum dass sie Schweden erreicht hatten. Ihre Schmerzen ließen nach und mit ihnen das Erschöpfungsgefühl. Sie schlief besser, fühlte sich nicht mehr wie benebelt. Nun träumte sie zwar nicht mehr von ihrem goldenen Gott, dafür sprach er aber in Gedanken mit ihr, und sein Tonfall wurde zunehmend schnippisch.

Aber sicher, lass dir nur Zeit, Prinzessin. Für dich ertrage ich diese Folter natürlich gern noch weitere dreizehn Jahrhunderte lang.

Nutzloser Adel.

Ach so, du möchtest gern, dass jemand anders über deine Welt regiert?!

Tag für Tag rang sie von Neuem mit sich. Er konnte nicht real sein, aber es musste ihn einfach geben, er konnte nicht real sein, aber es musste … Der einzige Vorteil bestand darin, dass seine aphrodisierende Stimme ihren Körper trotz aller schnippischen Kommentare in einen dauererregten Zustand versetzte, ohne dass Nola auch nur einen Hauch von Übelkeit empfand – ein wunderbares, fürchterliches Gefühl, das sie gleichermaßen liebte und hasste.

Nola hatte versucht, ihm zu antworten, aber es war zwecklos. Eindeutig. Kein einziges Mal hatte er eine ihrer Fragen beantwortet.

Wie heißt du?

Warum zeigst du dich mir nicht mehr in meinen Träumen?

Würdest du bitte für mich strippen?

Sie wollte jede Sekunde ihrer Schwedenreise in vollen Zügen genießen, doch mit jedem Tag, jeder Stunde, jeder Minute wurde ihr Verlangen, nach Russland weiterzufahren, stärker, bis es ihr gesamtes Denken beherrschte.

Aber dann kam der Tag, die Stunde, die Minute endlich. Vale und Nola nahmen einen Mietwagen und fuhren los, Vale am Steuer, Nola als Navigatorin.

Jetzt war es die Aufregung, die ihr gesamtes Denken beherrschte. Goldener Gott – Goldgöttchen –, ich komme!

Ihre selektive Stummheit – immer wenn sie über ihn sprechen wollte – verhinderte, dass sie die Wahrheit erzählte, also musste sie anders vorgehen. Wie Carrie immer gesagt hatte: Wenn du vorwärts nicht weiterkommst, geh rückwärts. Wenn du rückwärts nicht weiterkommst, mach einen Schritt zur Seite. Und wenn du seitlich nicht weiterkommst, hau dem Scheißkerl eine rein.

»Ich hab da mal eine komische Frage.« Während Nola in ihrer Freizeit Liebesromane verschlang – für sich selbst hatte sie das Thema Romantik zwar abgeschrieben, aber das hieß nicht, dass sie nicht für ihr Leben gern Geschichten über Leute las, die das große Wagnis eingingen –, stand Vale auf alles, was mit Science-Fiction und Fantasy zu tun hatte.

»Schieß los«, sagte Vale. »Du weißt doch, dass du mit mir über alles reden kannst.«

Dann mal los. »Hältst du Telepathie für möglich?«

»Na klar, absolut!«, antwortete Vale wie aus der Pistole geschossen. »Ich glaube, dass jedem Mythos, jeder Legende, jeder Vorstellung von übernatürlichen Fähigkeiten ein Funken Wahrheit innewohnt und dass wir alles, was wir uns vorstellen können, auch irgendwie umsetzen können.«

»Aber warum haben wir dann keine unwiderlegbaren Beweise für … keine Ahnung, die Existenz von Außerirdischen zum Beispiel?« Moment mal! Was, wenn Leute mit übernatürlichen Fähigkeiten die Wahrheit nicht aussprechen konnten? Was, wenn sie … an selektiver Stummheit litten, sobald sie jemandem davon erzählen wollten? »Lass es mich anders formulieren. Wenn Superkräfte real sind, warum reißen die Mutanten dann nicht die Weltherrschaft an sich?«

»Aber vielleicht tun wir das ja schon längst.« Vale blinzelte ihr kokett zu. »Ich will ja nicht angeben, aber ich zum Beispiel verfüge über die Superkraft, erwachsene Männer zum Weinen zu bringen.«

Nola prustete.

»Wie kommst du überhaupt darauf?«, fragte ihre Schwester.

Los, sag’s ihr. Mach den Mund auf, sprich es aus. Ganz einfach. Sie öffnete den Mund – aber kein Laut kam heraus. Verdammt noch mal! Am Ende zuckte sie einfach mit den Achseln und sagte: »Stell dir vor, es würde irgendwo einen Drive-in-Schalter geben, an dem man sich mal eben eine Komplettheilung und eine Extraportion Körperkraft bestellen könnte. Wär das nicht der totale Wahnsinn?«

»Oh, Mann, ja!«

Sie verfielen in Schweigen, und in Nola erwachte eine gruselige Stimme, die ihr einflüsterte: Vergiss die Heilung. Vergiss die Körperkraft! Bestell lieber die Fähigkeit, mit Blicken töten zu können.

Mit Blicken töten? Hä? Wo kam das denn bitte her?

Nola lief es eiskalt den Rücken hinab. Einen Moment lang fühlte es sich so an, als würde ihr Körper nicht mehr ihr gehören. Als hätte eine bisher unbekannte dunkle Seite von ihr die Kontrolle übernommen. Pfft, als hätte sie ihren Körper jemals unter Kontrolle gehabt …

Ihr wurde schwindelig, und sie ließ sich tiefer in den Sitz sinken. Berge, Felsplateaus, eine Fülle üppig grüner Bäume. Ein plätschernder Bach. Fast konnte sie die frischen Pinien, die taubenetzten Wildblumen riechen. Doch selbst die atemberaubende Aussicht konnte ihr keinen inneren Frieden schenken.

Komm zu mir, Prinzessin. Ich brauche dich.

Mmmmh, diese Stimme. So sexy! Aber er war ein bloßes Hirngespinst und außerdem der Grund dafür, dass sie so durcheinander war. Warum also war seine Stimme gleichzeitig das Einzige, was sie zur Ruhe bringen konnte?

Schon bald würden Vale und sie ihr Ziel erreichen und zu ihrer Wanderung aufbrechen. Nola würde sich auf die Suche nach ihrem goldenen Gott machen. Und wenn sie sich selbst erst einmal bewiesen hatte, dass er nicht real war, konnte sie ihn endlich aufgeben und sich wieder auf ihr Leben konzentrieren.

Und bitterlich um ihr Goldgöttchen weinen.

Die Wanderung lief nicht wie geplant.

Nola und Vale standen in einem malerischen Tal und machten Fotos. Ihr Führer blieb ständig in ihrer Nähe. Bisher keine Spur von Goldgöttchen. Natürlich nicht.

Dann plötzlich überkam Nola ein Gefühl der Schwerelosigkeit, und die Welt hüllte sich in Dunkelheit. Sie blinzelte, und das Licht war wieder da. Nur dass sich ihre kleine Dreiergruppe nicht mehr in dem Tal befand, sondern in einer Einöde, umgeben von einem Meer aus Schnee und heulendem Wind.

»Was ist passiert?« Nola musste brüllen, um sich Gehör zu verschaffen.

»Keine Ahnung!«, rief Vale zurück. Ihre Stimme war angsterfüllt.

Der Führer rannte panisch durch die Gegend und kreischte auf Russisch herum.

Obwohl Nola eine Fleecejacke, eine Mütze und Handschuhe, eine Trekkinghose und Wanderstiefel trug, fror sie bis ins Mark. »Schau mal!« Sie zeigte auf eine Stelle weiter oben. »Fußabdrücke.« Vielleicht würden sie ganz in der Nähe Hilfe finden.

Sie folgten den Spuren bis zu einer kleinen Hütte, in der bereits ein Feuer im Ofen flackerte. Gedankt sei dem Herrn, Wärme!

Sobald sie drinnen waren, lieh sich der Führer einen Mantel und ein Paar Stiefel aus, die in der Hütte bereitstanden, und ging wieder vor die Tür, um die Umgebung nach Lebenszeichen abzusuchen.

Warme Luft umfing Nola, und sie sank erleichtert in die Knie. Aber wo steckte der Hüttenbesitzer?

Ich könnte hier echt deine Hilfe brauchen, Goldgöttchen.

»Mein Handy-Akku ist leer.« Vale ließ sich neben sie plumpsen. »Und deiner?«

»Auch leer.«

»Mist! Wir haben das Ladegerät vergessen. Aber auch egal. Wenn der Führer mit dem Hüttenbesitzer zurückkommt, wird alles wieder gut.«

Doch vierzehn sorgenreiche Tage vergingen, und weder der Führer noch der Besitzer ließen sich blicken.

Nola und Vale plünderten schon bald die Vorratskammer, und obwohl sie sparsam haushalteten, neigten sich die beschränkten Essensvorräte schnell dem Ende zu. Genauso wie Nolas Medikamente.

Nola graute es vor dem bevorstehenden Entzug. Den Schmerzen, den Schweißausbrüchen, dem ständigen Zittern. Den Muskelkrämpfen. Dem Gefühl, sich eine Mördergrippe eingefangen zu haben. Wegen jeder Kleinigkeit in Tränen auszubrechen. Und dann natürlich die Übelkeit und der Durchfall. Juhu!

Am fünfzehnten Tag sagte Vale: »Wenn wir hierbleiben, sterben wir langsam. Wenn wir gehen, finden wir entweder Hilfe, oder wir sterben schnell.«

»Wenn ich schon draufgehe, dann lieber mit Pauken und Trompeten.« Auf keinen Fall würde Nola hierbleiben und dabei zusehen, wie ihre wunderbare Schwester, die vor Leben nur so sprühte, nach und nach verhungerte. Und außerdem würde sie dann die Suche nach ihrem goldenen Gott fortsetzen können.

Schluss jetzt. Schluss! Er ist nicht real, und das weißt du auch ganz genau. Dich erwartet nur eins: eine dicke, fette Enttäuschung.

»Dann ist es abgemacht.« Vale drückte ihr mit einem traurigen Lächeln die Hand und riss sie damit aus ihren Gedanken. »Morgen früh geht es los.«

In der darauffolgenden Nacht wälzte Nola sich schlaflos hin und her, wartete verzweifelt darauf, die Stimme ihres goldenen Gottes zu hören. Doch er hatte jeden Kontakt abgebrochen.

Weil ich weniger Medikamente nehme als sonst.

Tränen stiegen ihr in die Augen. Also war er die ganze Zeit nichts weiter als ein Hirngespinst gewesen, so wie ein Teil von ihr es von Anfang an befürchtet hatte.

Als der Morgen nahte, setzte sie ein tapferes Gesicht auf und legte die Survivalausrüstung an, die sie im Schrank gefunden hatten. Dann verstauten sie das Wichtigste in zwei Rucksäcken und machten sich auf den Weg. Es dauerte nicht lange, bis die Unterkühlung einsetzte. Nolas Zähne klapperten so unkontrollierbar, als sei ihr Kiefer Schauplatz eines Erdbebens. Trotz Schutzbrillen und Gesichtsmaske brannten ihr bei jedem Atemzug Nase und Lungen.

Aber trotz alledem zwang ihr Instinkt sie, einem bestimmten Weg zu folgen, den nur sie spüren konnte. Dann geschah ein Wunder. Bei Sonnenuntergang entdeckte Vale im silbernen Mondlicht eine Höhle, deren Eingang sich in eine Eiswand duckte. Sie mussten rund sechs Meter emporklettern, um hineinzukommen, aber … das war es so was von wert. Obwohl Nolas Knie schon nachzugeben drohten, schrie ihr Instinkt: Ja, er ist ganz in der Nähe!

Ähm, was? Schluss jetzt, echt. Es reicht.

»Bleib hier, ich mach es uns warm.« Vale holte Feuerholz und Streichhölzer aus ihrem Rucksack und machte Feuer. Dann hängte sie ein Kletterseil als Wäscheleine für ihre durchnässten Sachen auf.

»Danke, danke, tausendmal danke.« Nola zog Mütze, Schutzbrille, Gesichtsmaske und sogar die Handschuhe aus. Wunderbare Wärme leckte an jedem Zentimeter Haut, den sie dabei freilegte.

Autor

Gena Showalter
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Gena Showalter gilt als Star am romantischen Bücherhimmel des Übersinnlichen. Ihre Romane erobern nach Erscheinen die Herzen von Kritikern und Lesern gleichermaßen im Sturm. Mit der beliebten Serie »Herren der Unterwelt« feierte sie ihren internationalen Durchbruch. Mit ihrer Familie und zahlreichen Hunden lebt Showalter in Oklahoma City.</p>
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