Das Feuer deiner heißen Küsse (Julia 2423)
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Dante Lucarelli legte sich mit seinem Motorrad in die Kurve, genoss das Adrenalin, das durch seine Adern pulsierte, und den Wind in seinem Gesicht. Er war Milliardär – sein Vermögen hatte er mit erneuerbaren Energie gemacht –, und nichts, was man mit Geld kaufen konnte, blieb ihm verwehrt. Doch für eine kurze Weile all seine Probleme zu vergessen, verbunden mit dem Gefühl von unendlicher Freiheit, war etwas, was er sich nur selten erlauben konnte.
Auch jetzt währte dieser geschenkte Moment nur kurz, ehe er sich wieder an seine guten Manieren erinnerte, und er drosselte das Tempo, damit Steve, sein Gastgeber, ihn überholen konnte.
„Du hast mich absichtlich gewinnen lassen“, grollte Steve und boxte ihm gegen den Arm, als sie die Motorräder abgestellt hatten. „So macht ein Wettrennen keinen Spaß.“
„Ich wollte dich nicht vor all den Leute vorführen“, schoss Dante zurück und zog seinen Helm ab, unter dem zerzaustes schwarzes Haar hervorkam. Er grinste seinen früheren Schulfreund an. „Außerdem ist es dein Motorrad …“ Er schaute sich um. „So, das ist also dein jüngstes Projekt?“
Durch die Kronen der Pinien hindurch konnte man das schicke Restaurant erkennen, dessen Holzterrasse dem Badesee zugewandt war. Mit dem Sandstrand direkt darunter war es ein idealer Ort, um Urlaub zu machen.
„Ein bisschen klein ist es aber schon – für einen Typen, der seinen Lebensunterhalt sonst damit verdient, Wolkenkratzer zu bauen.“
„Jetzt hör aber auf“, entgegnete Steve und fuhr sich durch sein blondes Haar. Er war etwas kleiner als Dante, besaß aber die bullige Statur eines Rugbyspielers. „Es lebt vom Saisongeschäft, und bei gutem Wetter läuft es wirklich spitze.“
„Und vermutlich schafft es auch Arbeitsplätze für die Leute hier in der Region, die du so ins Herz geschlossen hast“, neckte Dante, der Steves Sinn für Verantwortung gut kannte. Steve Cranbrook war ein guter Mann – und einer der wenigen Menschen, denen Dante voll und ganz vertraute.
Sie befanden sich im Südosten von Frankreich, einer ländlichen, abgeschiedenen Gegend, in der Steve ein Château als Sommerresidenz für sich und seine Familie gekauft hatte. Seine große Familie. Steve hatte vier kleine Jungs, allesamt unter fünf Jahre alt, die Dante bereits seit seiner Ankunft kaum mehr von der Seite wichen. Entsprechend war er froh gewesen, das Château einmal für eine Weile hinter sich lassen zu können. Es war nicht so, dass Dante Kinder nicht mochte. Er war einfach nicht daran gewöhnt, sie ständig um sich zu haben – und Steves Kinder waren wie ein Wirbelsturm, der über einen hinwegraste.
„Ach, Unsinn“, protestierte Steve. „Ich investiere einfach nur gern in lokale Projekte und trage zum Allgemeinwohl bei, wenn ich irgendwie kann. Es gibt hier in der Region nicht gerade viele Jobalternativen.“
Dante setzte sich an einen Tisch, der aus einem riesigen Baumstumpf geschnitzt worden war. Der Blick seiner dunklen Augen wanderte zur Terrasse, wo eine bunte Girlande im Wind flatterte. Musik wehte zu ihnen herüber, und er bemerkte einige junge Leute, die um die Bar versammelt waren.
„Lass mich raten“, sagte er. „Das hier ist so ziemlich der einzige Platz zum Feiern in der Gegend?“
„So ziemlich. Und die Küche ist auch wirklich empfehlenswert. Bei gutem Wetter herrscht hier Hochbetrieb.“ Steve wandte sich ihm zu. „Also, wann triffst du dich jetzt mit Eddie Shriner?“
Dante presste die Lippen zusammen. „In zwei Wochen. Und ich habe immer noch keine Frau, die mir Krystal vom Leibe hält.“
Steve blinzelte überrascht. „Ich dachte, Liliana wollte dir den Gefallen tun.“
„Nein, das ging voll daneben. Liliana erwartete im Gegenzug einen Verlobungsring“, entgegnete Dante und runzelte die Stirn, als er daran zurückdachte. „Und das war mir einfach zu heiß.“
„Einen Verlobungsring?“, fragte Steve verblüfft nach. „Warum, um Himmels willen, braucht sie einen Ring, um so zu tun, als wäre sie wieder mit dir zusammen?“
Dante zuckte mit den Achseln. „Sie meinte, es wäre eine Frage der Ehre. Angeblich würde sie Krystal gegenüber an Gesicht verlieren, wenn sie keinen Verlobungsring vorweisen kann. Warum sonst hätte sie nach all den Jahren wieder mit uns zusammenkommen sollen?“
„Du und dein Liebesleben …“, stöhnte Steve. „Wenn du deine Frauen besser behandeln würdest, wärst du jetzt nicht in dieser Situation.“
Dante hob eine Braue. Er hatte nicht die Absicht, jemals zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen – und er hatte diesbezüglich auch stets mit offenen Karten gespielt. In seinem Sexleben gab es für so etwas wie Liebe keinen Platz. Und jede Frau, die etwas anderes von ihm erwartete, beging einen Fehler. Er ließ niemanden wirklich an sich heran und würde es auch nie tun. Liliana war die einzige Ausnahme, denn obwohl sie einmal liiert gewesen waren, betrachtete er sie als eine enge Freundin, die er mochte und respektierte. Dennoch hatte er nie so etwas wie Liebe für sie empfunden oder eine engere Beziehung mit ihr gewollt.
Selbst Liliana zu vertrauen war ihm nicht leichtgefallen. Sein Frauenbild hatte sich nie wirklich davon erholt, dass er seine Mutter in flagranti im Bett mit einem der engsten Freunde seines Vaters ertappt hatte. Ausgerechnet seine arrogante, selbstherrliche Mutter, die stets schnell dabei war, ein Urteil über andere zu fällen.
Und ohne Zweifel hatte er das kalte Herz von seinen lieblosen Eltern geerbt – ansonsten konnte er sich nicht erklären, wieso er nie Gefühle für Liliana entwickelt hatte. In seiner Blutlinie musste es so etwas wie ein Eis-Gen geben, das sich von einer Generation an die nächste weitervererbte.
Seine einzige Erfahrung mit dem Gefühl namens Liebe war die zu seinem älteren Bruder Cristiano gewesen. Und als dieser vor einem Jahr starb, hatte es Dante regelrecht zerrissen. Seitdem quälte er sich mit Schuldgefühlen. Wäre er nur ein bisschen weniger selbstsüchtig gewesen, er hätte seinen Bruder womöglich retten können.
Tragischerweise hatte Cristiano sich selbst das Leben genommen, weil er nicht in der Lage gewesen war, für sich selbst einzutreten. Ihre Eltern hatten stets großen Druck auf ihren ältesten Sohn und Erben ausgeübt. Und am Ende war Cristiano, der verzweifelt alles versucht hatte, sie zufriedenzustellen, einfach daran zerbrochen.
Und nun war das Einzige, was Dante noch für seinen Bruder tun konnte, das kleine Waldstück zurückzukaufen, das für Cristiano immer ein Zufluchtsort gewesen war.
Leider hatten ihre Eltern nichts Besseres zu tun gehabt, als ebenjenes Land gleich nach dem Tod ihres Erstgeborenen zum höchstmöglichen Preis an Eddie Shriner zu verkaufen – einem Grundstücksentwickler, der mit einer Ex-Freundin von Dante verheiratet war. Seit sie mit Eddie vor den Traualtar getreten war, hatte Krystal gleich mehrfach versucht, Dante wieder ins Bett zu bekommen. Diese Frau war unverbesserlich, und das Allerletzte, was er gebrauchen konnte, war, dass sie ihm unverhohlene Avancen machte, während er versuchte, einen Geschäftsdeal mit ihrem Ehemann auszuhandeln.
„Du solltest einfach einen Escortservice beauftragen. Jemanden, den du dafür bezahlst, deine Freundin zu spielen“, schlug Steve mit deutlich gesenkter Stimme vor, sodass nur Dante es hören konnte.
„Klingt fragwürdig und außerdem gefährlich“, entgegnete Dante und verzog das Gesicht, ehe seine Aufmerksamkeit von einer jungen Frau auf sich gezogen wurde, die mit einem Tablett an der Bar stand.
Ihr Haar glich einem lodernden Feuer, mit wilden Locken in verschiedenen Schattierungen von Kupfer, Rot und Gold, die mittels einer Spange am Hinterkopf zusammengehalten wurden. Ihr Porzellanteint war der einer echten Rothaarigen, und sie besaß die Beine einer Göttin. Sie endeten in abgetragenen Cowboystiefeln, zu denen sie einen kurzen geblümten Rock und ein eng anliegendes Top trug, das ihre weiblichen Rundungen betonte. Definitiv ein eigenwilliger Kleidungsstil – und ganz sicher nicht seiner.
„Das ist Belle … Dante? Wo bist du mit deinen Gedanken?“
Mit einiger Mühe riss Dante seinen Blick von ihr los und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Freund zu.
„Das ist Belle“, wiederholte Steve amüsiert.
„Wieso arbeitet eine solche Augenweide als Kellnerin in einem Laden wie dem hier?“, fragte Dante, der bereits fühlte, wie sein Blut in Richtung Körpermitte strömte.
„Vermutlich wartet sie nur darauf, dass jemand wie du um die Ecke kommst“, spöttelte Steve. „Aber Scherz beiseite, sie versucht genug Geld anzusparen, um nach England zurückzukehren und sich dort etwas aufzubauen. Du könntest dich von deiner besten Seite zeigen.“
„Ach, und wie?“
„Nimm sie in deinem Jet mit, wenn du zurück nach London fliegst.“
„Hast du mich deshalb hergebracht? Seit wann bin ich bekannt dafür, dass ich Almosen verteile?“ Dante zog seine Sonnenbrille ab, um die Schönheit einer genaueren Musterung unterziehen zu können. Er bemerkte, dass Sommersprossen ihr Gesicht sprenkelten. Es war beinahe eine Erleichterung, dass es einen kleinen Makel inmitten all der Perfektion gab.
„Natürlich nicht. Mir ist nur gerade eingefallen, dass ihr euch ja gegenseitig einen Gefallen tun könntet. Warum engagierst du Belle nicht einfach? Sie steckt gerade ein bisschen in der Klemme und … Oh, in der Geschichte kommt auch ein Hund vor. Du magst Hunde doch, oder? Egal, jedenfalls ist sie ein wirklich nettes Mädchen, und damit vermutlich überhaupt nicht dein Ding. Es werden übrigens Wetten darauf abgeschlossen, welcher Typ bei ihr landen kann.“
„Charmant“, murmelte Dante. „Aber ich fange nichts mit netten Mädchen an.“
„Du sollst auch gar nichts mit ihr anfangen“, stellte Steve klar. „Du brauchst eine falsche Freundin, keine Bettgespielin, und sie braucht das Geld. Ich habe ihr einen Kredit angeboten, aber sie hat dankend abgelehnt. Sie ist stolz, und sie ist ehrlich. Meinte, sie wollte das Geld nicht nehmen, weil sie nicht mit Sicherheit wüsste, ob sie es je zurückzahlen könnte.“
„Sie ist eine Kellnerin, und damit hat es sich“, entgegnete Dante höhnisch. „Damit ist sie aus dem Rennen.“
„Ich wusste gar nicht, dass du so ein Snob bist.“ Steve runzelte die Stirn. „Ich dachte, du willst mit dem blauen Blut, dem Familien-Palazzo, dem Titel und dem ganzen anderen Kram nichts zu tun haben.“
„Wie soll sich eine Kellnerin in meiner Welt zurechtfinden?“
„Ich bin sicher, sie würde dich überraschen. Aber es ist fraglich, ob sie da überhaupt mitmachen würde. Ich hörte, sie kann ziemlich aufbrausend sein.“
Dante sagte nichts. Er hatte den Blick der Frau aufgefangen, die auf ihren Tisch zukam, um ihre Bestellung aufzunehmen. Ihre Augen waren von einem ungewöhnlich dunklen Blau, beinahe schon Violett.
Hübsch. Wirklich außerordentlich hübsch.
Belle war gerade in der Pause gewesen, als die beiden Männer vom Parkplatz herübergekommen waren. Jeder kannte Steve, den Besitzer des Restaurants. Er war freundlich, trotz seines beruflichen Erfolgs und seines Reichtums erfreulich am Boden geblieben. Steve war außerdem ein echter Familienmensch, der vier wunderbare Kinder und eine schöne spanische Ehefrau hatte.
Sein Begleiter hätte rein äußerlich kaum unterschiedlicher zu ihm sein können. Er war groß, schlank und athletisch gebaut, und er bewegte sich mit der Selbstsicherheit eines Mannes, den nichts erschüttern konnte. Seine etwas zu langen schwarzen Haare waren vom Wind zerzaust, und ihr weicher Fall betonte seine harten kantigen Züge. Selbst in Jeans und einem schmal geschnittenen Shirt wirkte er so geschmeidig-elegant wie ein schwarzer Panther – und vermutlich war er auch ebenso gefährlich.
Sie bemerkte mehrere Frauen, die von der Bar her immer wieder zu ihm herüberschauten.
Der Barkeeper, ein Betriebswirtschaftsstudent, erkannte den Fremden auf Anhieb und erklärte jedem, der es wissen wollte, oder auch nicht, dass es sich um Dante Lucarelli handelte. Anscheinend war er Italiener, superreich und außerdem ein Vorreiter auf dem Feld der erneuerbaren Energien.
Sie ging hinüber, um Steve und seinen Gast zu bedienen. Der Italiener schaute auf, und einen Moment lang war sie von seinen goldenen Augen, die von langen dunklen Wimpern umrahmt waren, wie gefesselt. Sie spürte ein Prickeln am ganzen Körper, wie von statischer Energie.
Hastig nahm sie die Getränkebestellung auf und eilte dann zurück zur Bar. Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie hätte ihn nicht ansehen, hätte nicht einmal in seine Richtung blicken sollen.
Er sah verflixt gut aus, und er wusste es. Natürlich wusste er es. Niemand, der jeden Morgen beim Blick in den Spiegel von einem solchen Gesicht begrüßt wurde, konnte übersehen, wie perfekt es war. Hinzu kam, dass er die Aufmerksamkeit jeder Frau zwischen sechzehn und sechzig auf sich zog, was ihm ebenfalls kaum entgangen sein dürfte.
Belle spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Sie hasste es, wenn ihr das passierte – mit zweiundzwanzig noch genauso sehr wie früher in der Schule, wo man sie damit aufgezogen hatte, dass sie wie eine Tomate aussah, wenn sie verlegen war. Klein, rothaarig, sommersprossig und zudem auch noch vollbusig hatte sie weit, weit unten auf der Popularitäts-Skala ihrer Jahrgangsstufe gestanden.
Ein Lächeln zuckte in Dantes Mundwinkeln. Wann hatte er zum letzten Mal eine Frau erröten gesehen? Er konnte sich offen gestanden nicht mehr daran erinnern. Allerdings beging er nicht den Fehler, es als ein Zeichen von Schüchternheit oder gar Unschuld zu werten. Nein, es war ganz eindeutig ein Fall von sexueller Anziehungskraft. Er war daran gewöhnt, dass Frauen sich zu ihm hingezogen fühlten. Immerhin ging das nun schon so, seit er mit sechzehn seine Unschuld an eine Freundin seiner Mutter verloren hatte – ein Akt der Rebellion, nachdem er vom Seitensprung seiner Mutter erfahren hatte. Und jetzt, mit achtundzwanzig, nahm er es als gegeben hin, dass neunundneunzig von hundert Frauen ihn nicht von der Bettkante stoßen würden, wenn er ihnen die Chance gab. Nicht, dass er selbst in der Regel auch nur einen Finger rühren musste. Die meisten Frauen boten sich ihm regelrecht auf dem Silbertablett an.
Belle brachte die Drinks an den Tisch, ohne auch nur ein einziges Mal in Dantes Richtung zu blicken, und das Gefühl, dass ein unkontrolliertes Feuer unter ihrer Haut loderte, ließ zum Glück langsam nach.
Dass ihr ein Mann wie er aufgefallen war, konnte man ihr wirklich nicht ankreiden. Und es war auch nicht ihre Schuld, dass sie immer gleich knallrot anlief. Mit dieser misslichen Laune der Natur hatte sie sich irgendwann abfinden müssen – so wie mit so vielen anderen Dingen.
Irgendwie schien sich das Schicksal ohnehin gegen sie verschworen zu haben. Sie war die Tochter einer Frau, die sie nie gewollt hatte. Ihr Vater interessierte sich nicht für sie und hatte ihr das auch geradewegs ins Gesicht gesagt.
„Es ist nicht dein Problem, dass deine Eltern das Beste, was sie je im Leben gehabt haben, nicht zu schätzen wissen“, hatte Granny Sadie immer zu ihr gesagt. Ihre Großeltern hatten sie geliebt, aber beide, ihre Granny und ihr Grandpa, lebten nicht mehr – und der Gedanke an sie führte ihr noch einmal mehr vor Augen, wie allein sie auf der Welt war.
Sie hatte nichts und niemanden, auf den sie sich stützen konnte, wenn es bei ihr einmal nicht so rundlief. Und hier, in Frankreich, waren die Dinge ganz und gar nicht rund für sie gelaufen.
Dante betrachtete Belle, als sie zur Bar zurückkehrte. Er versuchte sich auszumalen, wie sie wohl in eleganter Haute Couture aussah, aber sein Gehirn zog es vor, sie sich ganz ohne störende Bekleidung vorzustellen. Eine neue Garderobe, so viel stand fest, würde sie auf jeden Fall deutlich salonfähiger machen. Allerdings musste sie damit aufhören, an den Nägeln zu kauen.
„Was hat sie nach Frankreich verschlagen?“, wandte er sich an Steve und nickte in Belles Richtung.
„Ich kenne auch nur Gerüchte. Es heißt, dass sie vor drei Jahren als Haushälterin für eine ältere englische Witwe in den Ort gekommen ist. Deren Familie hatte sie in London engagiert und sie dann mit der alten Dame, die langsam aber sicher in die Demenz abdriftete, alleingelassen. Der hiesige Arzt hat ihr zuletzt eine Hilfe besorgt, aber im Großen und Ganzen stand Belle komplett allein mit der Verantwortung da.“
Dante hob eine Braue. „Warum ist sie nicht einfach gegangen, als ihr der Job zu viel wurde?“
Steve runzelte die Stirn. „Sie mochte die alte Dame und wollte sie nicht im Stich lassen.“
„Und wie ist sie dann hier in der Bar gelandet?“
„Die Witwe ist gestorben. Sie war kaum unter der Erde, da hat die Familie das Haus verkauft, und Belle blieb obdachlos und ohne finanzielle Mittel für die Rückreise zurück. Ein ganz ähnliches Schicksal widerfuhr übrigens auch dem Hund der alten Dame – Charlie …“ Wie auf Stichwort tauchte ein kleiner struppiger Promenadenmischling neben Steve auf und bettelte um Aufmerksamkeit, ehe er sich einem anderen Gast zuwandte, bei dem er sich offenbar bessere Chancen ausrechnete, etwas abzustauben.
Dante kümmerte sich nicht um den Hund. Er schaute seinen Freund fragend an. „Und weiter?“
„Der Typ, der das Restaurant hier gepachtet hat, bot Belle einen Job und einen alten Campingwagen an, der auf dem kleinen Ausweichparkplatz hinter den Bäumen steht.“
„Also ist sie so etwas wie eine geborene Verliererin“, fasste Dante wenig überrascht zusammen. „Ich stehe mehr auf Gewinner.“
„Aber Verlierer sind nicht so anstrengend, und man kann leichter mit ihnen verhandeln“, entgegnete Steve zynisch. „Und seit wann hast du jemals gezögert, das Unglück anderer für dich zu nutzen?“
Dante grinste. „Rücksichtslosigkeit liegt in meinen Genen.“
„Außer wenn es um deinen Bruder ging. Ich weiß gar nicht, wie oft du Cristiano aus irgendwelchen Schwierigkeiten herausgeboxt hast. Und du behauptest, jegliche Sentimentalität sei dir fremd. Aber sieh nur, wie weit du gehst, bloß um dieses Waldgrundstück zurückzukaufen.“
Dante presste die Lippen zusammen. „Das ist etwas vollkommen anderes.“
„Muss wohl so sein. Ich erinnere mich nämlich, dass du Cristianos Blockhütte so rein gar nichts abgewinnen konntest.“
„Ich bin kein großer Fan davon, unter solch primitiven Umständen zu leben, aber Cristiano war immer ein echter Naturfreak“, entgegnete Dante zerstreut, während er beobachtete, wie ein paar junge Männer versuchten, mit Belle zu flirten. Ihretwegen errötete sie nicht, stellte er mit einiger Befriedigung fest. Er winkte ihr, um eine weitere Runde Drinks zu bestellen.
„Nicht für mich“, sagte Steve bedauernd. „Sancha wartet sicher schon auf mich.“
Ungläubig schaute Dante seinen Freund an. „Aber es ist doch noch so früh.“
„Nun, um ehrlich zu sein, meine Frau lässt mich nicht gern allzu lange aus den Augen“, gestand Steve mit stolzgeschwellter Brust.
Allein der Gedanke, dass jemand seine Freiheit derart beschneiden könnte, war für Dante der reinste Horror.
„Du solltest nicht über die Ehe urteilen, ehe du es nicht selbst ausprobiert hast“, protestierte Steve, dem Dantes entsetzter Gesichtsausdruck nicht entgangen war.
„Vielen Dank, aber ich verzichte“, entgegnete er. „Alles, was ich brauche, ist eine Frau, die sich als meine Freundin ausgibt!“
Dante schaute wieder zurück zu Belle, die gerade einen anderen Tisch abräumte. Was für Brüste! Was für ein herrlicher Hintern! Und diese Schenkel …
Verdammt, er war doch kein liebestoller Teenager mehr – warum also verhielt er sich dann wie einer?
Sie brachte ihm seinen Drink, und er legte ihr einen Schein hin. „Behalten Sie den Rest.“
„Das ist zu viel“, sagte sie unbehaglich.
„Seien Sie nicht albern“, entgegnete er knapp. „Ich würde Sie gern kurz unter vier Augen sprechen, wenn Ihre Schicht zu Ende ist.“
„Ich bin müde“, erklärte sie rasch. „Ich werde nach Feierabend sofort ins Bett gehen.“
„Hören Sie sich doch erst einmal an, was ich zu sagen habe. Es könnte sein, dass ich einen Job für Sie habe. Einen Job, der Sie letzten Endes wieder zurück nach England bringen wird.“
Belle versteifte sich. „Ein Job? Was für ein Job?“, fragte sie.
Dante stand auf und lehnte sich, seinen Drink in der Hand, gegen die Balustrade, die die Terrasse umgab. „Später“, sagte er mit einem lasziven Lächeln. „Das heißt, wenn Sie es schaffen, lange genug die Augen offen zu halten.“
Belle errötete. Es ging ihr gegen den Strich, wie überzeugt er von sich selbst war. Er glaubte wohl, dass er ihr einfach nur einen Köder vor die Nase halten musste, um sie nach seiner Pfeife tanzen zu lassen! Aber sie würde nicht tanzen – oder? Und überhaupt – was sollte er schon für einen Job für sie haben? Abgesehen vom Kellnern bestand ihre einzige andere Berufserfahrung in Haushaltsführung und Pflege, und sie hielt es für unwahrscheinlich, dass er sie als Putzkraft anstellen wollte. Ein Mann wie er hatte sicher Leute, die sich um so was kümmerten.
Auf der anderen Seite gab es keinen Grund für sie anzunehmen, dass er ein in irgendeiner Form unmoralisches Angebot machen wollte. Sie gehörte sicher nicht zu den Frauen, nach denen sich die Männer auf der Straße umdrehten. Sicher, auch sie bekam hin und wieder eindeutige Angebote, aber die kamen in der Regel von gelangweilten Ehemännern oder halben Jungs, die hofften, dass sie etwas Abwechslung in ihren langweiligen Dorfalltag bringen würde.
Aber selbst wenn Dante Lucarelli aus irgendeinem Grund die Dienste einer Pflegekraft benötigte – für einen älteren Angehörigen vielleicht –, war sie wohl kaum die erste Wahl für eine solche Stelle. Ironischerweise bestanden ihre einzigen Qualifikationen in persönlicher Erfahrung.
Als ihr Großvater nach Grannys Tod krank geworden war, hatte sie die Schule verlassen, um ihn zu pflegen. Alles andere wäre undenkbar für Belle gewesen, denn ihre Großeltern waren es gewesen, die für sie gesorgt und sie geliebt hatten, seit sie auf die Welt gekommen war.
Tracy, ihre Mutter und das einzige Kind ihrer Großeltern, war ein Fotomodell gewesen, das das Leben der Schönen und Reichen liebte. Und als Belles Vater sich geweigert hatte, Tracy zu heiraten, hatte diese ihr Baby nur wenige Wochen nach der Geburt einfach bei ihren Eltern abgeladen.
Bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr hatte Belle ihre Mutter kaum zu Gesicht bekommen. Die einzigen Lebenszeichen waren gelegentlich eintrudelnde Postkarten von entlegenen Orten der Erde gewesen. Mit vierzehn hatte Tracy ihre Tochter dann zu sich geholt – vermutlich in einem plötzlichen Anfall von Mütterlichkeit. Doch ebenso schnell, wie ihre Mutter sie bei sich aufgenommen hatte, war sie auch wieder aus ihrem Leben entfernt worden. Tracys damaliger Freund hatte versucht, bei Belle zu landen, und war prompt erwischt worden. Während Tracy bei dem Mann großmütig über die Angelegenheit hinwegsah, hatte sie ihrer Tochter nie verzeihen können. Danach hatte Belle ihre Mutter erst zur Beerdigung ihres Großvaters wiedergesehen. Tracy war gerade lange genug geblieben, um den Verkauf ihres Elternhauses abzuwickeln und den Erlös einzustreichen. Dass sie ihre Tochter dabei obdach- und mittellos zurückließ, hatte sie nicht interessiert.
„Du bist alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen. Dein Vater hat schon vor langer Zeit aufgehört, Unterhalt für dich zu zahlen. Erwarte von mir also keine Almosen.“
Ironischerweise hatte sie es nur ihrer Tochter zu verdanken gehabt, dass es überhaupt ein Erbe gab, das sie sich unter den Nagel reißen konnte. Hätte Belle ihren Großvater nicht gepflegt, dann wäre das Haus mit Sicherheit unter dem Hammer gelandet.
Das Jobangebot, nach Frankreich zu gehen und sich um Mrs. Devenish zu kümmern, war ihr wie ein Wink des Himmels erschienen. Belle hatte keine eigene Wohnung gehabt, und London war einfach zu teuer. Davon abgesehen war ihr ein Arbeitsplatz im Ausland wie ein großes Abenteuer vorgekommen – etwas, wovon es in ihrem Leben bislang nicht viel gegeben hatte.
Sie hatte nicht geahnt, dass sie in einem öden Dorf auf dem Land enden würde, in dem es nicht einmal ein Café gab, und mit einem Job, der sie rund um die Uhr auf Trab hielt.
Belle half, die letzten verstreuten Gläser einzusammeln, und schaute zum Strand hinunter, wo Dante Lucarelli jetzt unter einer knorrigen Pinie stand. Er musste dorthin gegangen sein, während sie anderweitig beschäftigt gewesen war. Wartete er auf sie? Natürlich würde sie sich anhören, was für einen Job er ihr anbieten wollte. Sie war kaum in der Position, sich diese Chance, nach Hause zu kommen, entgehen zu lassen. Immerhin schloss das Restaurant in ein paar Wochen zum Ende der Saison, und sie konnte keinerlei soziale Leistungen in Anspruch nehmen, da sie keine französische Staatsangehörige war. Zumindest darauf konnte sie zu Hause in London bauen.
Sie verabschiedete sich von ihren Kollegen und ging, mit Charlie an ihrer Seite, zum Strand hinunter.
Dante trat unter dem Baum hervor, und im Mondschein wirkten seine hohen Wangenknochen und das kräftige Kinn wie in Marmor gemeißelt. Sie spürte, wie sein Blick über sie wanderte, und sofort wurden ihre Wangen heiß. Auf einmal war sie dankbar für die Dunkelheit, denn sie war mit Sicherheit schon wieder knallrot angelaufen.
„Wofür steht eigentlich Belle?“, fragte Dante.
„Tinkerbelle“, entgegnete sie widerstrebend. „Meine Mutter fand, das sei ein niedlicher Name für ein kleines Mädchen, aber meine Großeltern nannten mich Belle. Belle Forrester.“
„Tinkerbelle? Der Name stammt aus einem Märchen, oder?“