Der italienische Herzog und seine falsche Braut
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Stamboulas Fotakis starrte übel gelaunt auf das Dossier, das vor ihm auf dem Tisch lag. Gleich daneben befand sich eine wesentlich dünnere Akte mit dem Untersuchungsbericht über Raffaele di Mancini.
Raffaele di Mancini – der Dorn im Auge seiner Enkeltochter Vivi. Der Mann, der ihr grundlos so übel mitgespielt hatte.
Dabei war er nur ein weiterer gut aussehender Mistkerl, wie Stam fand, während er das Portraitfoto auf der ersten Seite des Dossiers musterte. Raffaele hätte gut und gerne auch als Supermodel arbeiten können.
Offensichtlich hatten Stams Enkelinnen eine Schwäche für attraktive Männer. Nun, er hatte die Probleme seiner ältesten Enkeltochter Winnie gelöst. Selbst wenn die Sache nicht ganz so ausgegangen war wie geplant und sie aus freien Stücken mit dem Vater ihres Sohnes verheiratet bleiben wollte.
Vivi dagegen … die wilde, kluge und heißblütige Vivi …
Sie stellte eine größere Herausforderung dar als Winnie. An seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag hatte Stam eine heftige Auseinandersetzung mit Vivi gehabt. Eine ganz neue Erfahrung für den alten Haudegen, dem man normalerweise mit Angst und Unterwürfigkeit begegnete.
Dank seines Geldes und seiner einflussreichen Position war Stam es gewohnt, dass man sich ihm bedingungslos unterordnete und seinen Anweisungen Folge leistete. Aber nicht Vivi! Sie hatte ihm furchtlos ihre Meinung gesagt, und überraschenderweise rang ihm das einen gewissen Respekt ab. Er mochte ihre innere Stärke und Entschlossenheit.
Und mit all ihrer Entschlossenheit hasste Vivi diesen Raffaele di Mancini, weil er vor zwei Jahren ihren Ruf und ihr Leben ruiniert hatte. Alles nur, damit seine flatterhafte kleine Schwester mit weißer Weste einem handfesten Skandal entkam.
Vivi war vorgeworfen worden, sie würde als Prostituierte arbeiten und hätte die unschuldige Arianna dazu überredet, sich vor der Kamera auszuziehen. Angeblich hatten sie für einen Escortservice gearbeitet, der sich als Modelagentur tarnte.
Es bestand demnach keine Gefahr, dass Vivi sich in Mancini verliebte, und das war für Stams Pläne ungeheuer wichtig. Von den drei potentiellen Ehemännern, die er für seine Enkeltöchter ausgesucht hatte, um ihr Ansehen wieder herzustellen, war Raffaele der mit Abstand gefährlichste und mysteriöseste.
Ein milliardenschwerer Banker und bekennender Philanthrop, dessen adeliger Stammbaum bis ins zehnte Jahrhundert zurückverfolgt werden konnte. Man sagte ihm nach, er sei in finanzieller Hinsicht ein Genie, doch über sein angeblich recht konservatives Privatleben war fast nichts bekannt. Er hielt sich bewusst von der Öffentlichkeit fern.
Das machte es umso schwerer zu begreifen, weshalb Mancini seine Zurückhaltung aufgegeben und die arme Vivi aufs Übelste denunziert hatte. War seine jüngere Schwester Arianna der einzige Grund dafür gewesen? Hatte er geglaubt, sie schützen zu können, nachdem Vivi und sie unverschuldet in diese halbseidenen Machenschaften verstrickt worden waren?
Wie dem auch sei, nun musste gehandelt werden. Allerdings war Mancini viel zu schlau, um sich einfach in die Falle locken zu lassen. Außerdem verfügte er über ein Milliardenvermögen und exzellente Verbindungen. Daher musste Stam sich anderer Mittel bedienen, um sein Ziel zu erreichen, auch wenn es ihm nicht gefiel …
Immerhin verriet die Akte, dass Mancini sein halbes Leben damit zugebracht hatte, seine widerspenstige, unberechenbare Schwester vor den Konsequenzen ihrer eigenen Fehlentscheidungen zu bewahren. Bewundernswert, wenn man bedachte, dass sie bloß eine Halbschwester war, die Tochter seiner drogensüchtigen Stiefmutter.
Andererseits hatte Mancini Vivis Selbstwertgefühl durch seine Aktion tief verletzt. Er hatte alles verdient, was ihm jetzt blühte!
Raffaele di Mancini hatte ein ungutes Gefühl.
Er wusste nicht weshalb, und das machte ihn wahnsinnig, denn auf seinen Instinkt war immer Verlass. Aber im Moment konnte er keinen Grund für diese innere Unruhe erkennen. In seinem Leben lief alles reibungslos, effizient wie ein Uhrwerk.
Familiär war auch alles in Ordnung. Selbst seine jüngere Schwester Arianna – lange Zeit ein echtes Sorgenkind – war endlich zur Ruhe gekommen und lebte inzwischen mit ihrem Verlobten in Florenz. Keine ernsthaften Probleme in Sicht!
Die Tatsache, dass er während einer Bankkonferenz in London zu einer Besprechung mit dem notorisch zurückgezogen lebenden Stamboulas Fotakis in dessen palastartige Londoner Wohnung eingeladen worden war, überraschte ihn allerdings. Fotakis war einer der reichsten Männer der Welt, aber Raffaele hatte ihn nie persönlich getroffen. Und natürlich war er neugierig zu erfahren, was dieser eindrucksvolle Mann von ihm wollte. Im Laufe der Jahre war in den Medien viel über Stam Fotakis berichtet worden, und selbst wenn man die Hälfte der Geschichten als Übertreibungen abtat, war der alte Mann immer noch eine Legende.
Raffaele fuhr sich mit ungeduldigen Fingern durch sein kurzes schwarzes Haar und sah dann auf seine Designeruhr. Warten war für ihn eine neue Erfahrung. Er war grundsätzlich der Meinung, dass tadellose Manieren für eine gute Geschäftspraxis unabdingbar waren, und Fotakis verspätete sich erheblich.
Verärgert runzelte Raffaele die Stirn. Am liebsten wäre er sofort in sein Stadthaus zurückgekehrt, um sich von seinem langen Tag zu erholen. Er hatte es satt, geduldig dumme Fragen zu beantworten und sich umgänglich zu geben. Raffaele hatte wenig Geduld mit Idioten. Schon zu Schulzeiten hatte man ihn ein Genie genannt, er galt als äußerst organisiert und war nur zufrieden, wenn er seinen genauen Zeitplan einhalten konnte.
Endlich betrat Fotakis’ persönlich Assistentin den Empfangsraum. Die hübsche Blondine führte Raffaele zu einem Aufzug. Auf dem Weg nach oben versuchte sie, ein Gespräch anzuknüpfen und mit ihm zu flirten. Doch ihre neckischen Bemerkungen und vielsagenden Blicke prallten wirkungslos an Raffaele ab. Ständig machten sich Frauen an ihn heran, und meistens nervte es ihn nur. So konnte man kein vernünftiges Gespräch führen, und dieses Verhalten trug obendrein nicht zu einer professionellen Atmosphäre im Büro bei.
Wenn diese sogenannte Assistentin für ihn arbeiten würde, hätte er sie aufgrund ihres unangemessenen Verhaltens sofort entlassen.
Natürlich nahmen Frauen einen gewissen Platz in seinem Leben ein. Schließlich hatte Raffaele gewisse Bedürfnisse – wie viele andere dreißigjährige Männer. Aber er war wesentlich diskreter und zurückhaltender als die meisten von ihnen und suchte sich seine Partnerinnen sorgfältig aus. Keine seiner Affären dauerte länger als ein paar Wochen.
Dafür gab es einen guten Grund. Raffaele hatte schnell herausfinden müssen, dass Frauen mit der Zeit immer anhänglicher wurden. Und da er die Absicht hatte, frühestens mit Mitte vierzig zu heiraten, genoss er momentan lieber unverbindlichen Sex ohne jegliche Verpflichtungen.
Raffaele wurde in ein holzgetäfeltes Büro von beinahe viktorianischer Pracht geführt. Hinter einem eleganten Schreibtisch saß ein bärtiger Mann mit schlohweißem Haar. Als Raffaele eintrat, erhob er sich, griff nach einer schweren Akte und reichte sie Raffaele.
„Mr. Mancini“, murmelte Stam Fotakis.
„Mr. Fotakis.“ Etwas beunruhigt wegen dieser ungewöhnlich knappen Begrüßung nahm Raffaele die Akte entgegen und setzte sich in den Stuhl, auf den sein Gastgeber wies.
„Sagen Sie mir, was Sie hiervon halten“, bat Stam ohne Umschweife.
Langsam blätterte Raffaele durch die unglaublich detaillierte Aufstellung, mit wachsendem Entsetzen, und atmete hörbar tief durch, um sich zu beruhigen. Jeder einzelne von Ariannas Fehltritten schien hier genauestens aufgelistet zu sein – sogar einige, von denen Raffaele bisher keine Ahnung gehabt hatte.
Er schluckte schwer.
„Was haben Sie mit diesen Informationen vor?“, fragte Raffaele so höflich, wie er nur konnte, obwohl er innerlich vor Wut kochte. Mit dieser Emotion musste er nur selten zurechtkommen, und instinktiv versuchte er, seinen Zorn zu zügeln.
Sein Gastgeber musterte ihn gelassen. „Das hängt von Ihnen ab. Ich werde diese Informationen nur dann an die Boulevardpresse weitergeben, wenn Sie mich enttäuschen“, erklärte er leise.
„Das ist eine offene Drohung“, antwortete Raffaele. „Ich glaube nicht, dass meine Schwester Ihnen jemals etwas angetan hat.“
„Lassen Sie mich die Zusammenhänge erklären“, bat Stam. „Es ist die Geschichte von zwei jungen Frauen. Die eine stammt aus gutem Hause, besitzt Reichtum und Privilegien: ihre Schwester.“
„Und die andere?“, fragte Raffaele ungeduldig.
„Geboren und aufgewachsen in schlechten Verhältnissen, und trotzdem ist sie eine fleißige, gebildete und anständige junge Dame – und meine Enkelin.“
„Ihre Enkelin“, wiederholte Raffaele ausdruckslos. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, um zu ergründen, was Stam Fotakis von ihm wollen könnte. Wieso drohte der Mann ihm?
„Vivien Mardas, besser bekannt als Vivi“, fuhr Stam fort. „Für kurze Zeit war sie mit Ihrer Schwester befreundet.“
Raffaeles Schultern verspannten sich, als die Erkenntnis ihn traf. „Ich erinnere mich an sie. Sie ist also mit Ihnen verwandt?“
„Allerdings“, gab der ältere Mann kühl zurück. „Und sie steht unter meinem persönlichen Schutz, genauso wie Sie es mit Ihrer Schwester handhaben. Darum bin ich entschlossen, für die Ungerechtigkeiten, die Vivi erlitten hat, Wiedergutmachung zu fordern.“
Aus Vorsicht blieb Raffaele stumm, doch in seinem Inneren brannte tiefer Zorn, während ihm klar wurde, in welcher Situation er sich befand.
Als er Vivi kennengelernt hatte, wusste sie definitiv noch nichts von ihrem sehr reichen und mächtigen Großvater. Sie hatte sogar Teile ihrer Vergangenheit verschwiegen, auf die sie nicht stolz war, um sich in einem besseren Licht zu präsentieren.
„Ungerechtigkeiten?“
„Sie haben ihren Ruf ruiniert, indem Sie sie als Prostituierte bezeichnet haben. Da diese lächerlichen Anschuldigungen immer noch im Internet kursieren, war es für Vivi bisher unmöglich, einen Job zu finden, der ihren Fähigkeiten entspricht“, erklärte Stam. „Sie leidet unter diesem zerstörten Ruf sehr, dabei ist sie völlig unschuldig. Ihre Freunde haben sie fallenlassen, ihr Name wurde in den Dreck gezogen. Man hat sie ausgelacht und verachtet, und sie musste ihren Arbeitsplatz aufgeben. Am Ende war sie schließlich gezwungen, einen anderen Nachnamen anzunehmen, um diese peinliche Vergangenheit zu verbergen. Sie heißt inzwischen Vivien Fox.“
Raffaele nickte, auch wenn ihn die rührselige Erzählung kalt ließ. Natürlich wollte ein alter Mann nur das Beste von seiner Enkeltochter glauben. Doch Raffaele war in diese Sache nicht emotional involviert und von Natur aus kritisch und misstrauisch, besonders wenn es darum ging, eine Frau als unschuldig zu bezeichnen. Er jedenfalls hatte noch keine wirklich unschuldige Frau getroffen!
Er erinnerte sich nur zu gut an Vivi. Volles Haar, das im Sonnenlicht wie Kupfer glänzte und sich wie gesponnene Seide anfühlte. Eine große, bildschöne Rothaarige, die sogar in Jeans unglaublich elegant aussehen konnte. Haut wie zartes Porzellan und Augen so strahlend blau wie der italienische Sommerhimmel.
Er erinnerte sich auch daran, wie knapp er ihrer verführerischen Anziehungskraft entkommen war, obwohl sie seinen Erwartungen an eine Frau in keiner Hinsicht entsprach. Jedenfalls war er froh, ihren Fängen entkommen zu sein. Die Dinge, die er gesagt hatte, bereute er nicht. Da konnte Stam Fotakis sich noch so sehr aufregen.
Aber wenn der Umstand, dass er Stams Familie beleidigt hatte, dazu führte, dass seine kleine Schwester in die Schusslinie dieses skrupellosen Mannes geriet, musste Raffaele sich eben widerwillig fügen. Arianna wäre definitiv zutiefst gedemütigt, wenn dieser ausführliche Bericht über ihre Fehltritte jemals der Presse zugespielt würde. Die Familie ihres Verlobten war sehr konservativ und würde ihn sicherlich dazu zwingen, die Verbindung mit Arianna zu lösen.
Dann würde sie unter Garantie in ihre alten, selbstzerstörerischen Verhaltensmuster zurückfallen. Die Muster, die sie nur dank Tomas aufgegeben hatte.
„Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen“, begann Raffaele ruhig. „Aber ich kann kaum glauben, dass Sie ernsthaft einer weiteren naiven jungen Frau schaden wollen. Arianna kann nichts für die Probleme, mit denen sie zu kämpfen hat.“
Abwehrend hob Stam eine Hand. „Ich weiß, dass sie durch das Fehlverhalten ihrer Mutter schon drogenabhängig zur Welt gekommen ist und unter den Nachwirkungen bis heute leidet. Ich weiß, dass sie nicht besonders klug ist und Fremden viel zu schnell vertraut. Aber ihr Wohlergehen liegt nicht in meiner Verantwortung, sondern in Ihrer“, stellte er ruhig klar. „Als Wiedergutmachung fordere ich, dass Sie Vivi heiraten und ihren Ruf damit wiederherstellen.“
„Wie bitte? Ich soll Ihre Enkelin heiraten?“, rief Raffaele ungläubig. Er konnte kaum fassen, was er da hörte.
„Es geht mir um die Hochzeit, die natürlich entsprechend von den Medien begleitet wird. So wird Vivis gesellschaftliches Ansehen wiederhergestellt“, fuhr Stam in demselben milden Tonfall fort, als würde er bloß über das Wetter plaudern. „Mehr verlange ich gar nicht. Sie werden noch an Ihrem Hochzeitstag getrennte Wege gehen, und natürlich werden Sie sich wieder scheiden lassen. Dafür wird nicht einmal ein finanzieller Ausgleich erforderlich sein. Alles in allem eine bescheidene Bitte, wie ich finde.“
„Bescheiden?“, wiederholte Raffaele in einem schneidenden Tonfall.
„Ja. Ich habe keinerlei Zweifel, dass Sie sich im Vergleich zu meiner Enkeltochter für etwas Besseres halten“, gab Stam trocken zurück. „Deswegen mache ich Ihnen keinen Vorwurf. Sie sollten jedoch dankbar sein, dass Sie Ihren guten Namen nur kurzfristig hergeben müssen, um dieses Dossier als Gegenleistung zu erhalten. Wenn publik würde, was hier zusammengefasst ist, hätte das wohl katastrophale Auswirkungen auf die Hochzeitspläne Ihrer Schwester.“
Fotakis wusste tatsächlich alles, und das ließ Raffaele keinen Spielraum mehr. Unabhängig davon, wie unerhört Stams Forderung war, Vivi zu heiraten, musste Raffaele diesen Wahnsinn ernsthaft in Betracht ziehen. Jedes Mittel war gerechtfertigt, um Ariannas zukünftiges Glück und ihre Sicherheit zu bewahren.
Tomas war fasziniert von ihrer süßen Unbedarftheit und Impulsivität, und er tat ihr unendlich gut. Er wollte sie nicht nur, weil sie eine reiche Erbin war. Die beiden ergänzten sich hervorragend, und Arianna liebte ihn abgöttisch.
Wie könnte Raffaele schweigend dabei zusehen, wie seine kleine Schwester ihr Lebensglück verlor, weil sie in ihrer Vergangenheit ein paar unbedeutende Eskapaden gemacht hatte? Dinge wie öffentliches Nacktbaden in einem berühmten Brunnen oder die versehentliche Verhaftung als Ladendiebin? Unglücklicherweise gab es noch ein paar andere, düstere Episoden, die in dieser Akte beschrieben wurden und noch nicht den Weg in die Klatschpresse gefunden hatten.
Zum Beispiel diese eine Nacht, die sie mit zwei Männern verbracht hatte, weil ihre sogenannten Freunde sie dazu überredet hatten!
„Ich habe jede einzelne Minute gehasst“, hatte sie schuldbewusst gemurmelt, entsetzt darüber, dass ihrem Bruder dieses unappetitliche Gerücht zu Ohren gekommen war. „Aber alle anderen haben das auch schon mal gemacht, und ich wollte eben mitreden können. Mit so einer Story hat echt jeder Respekt vor dir.“
Nach dieser unsäglichen Affäre hatte Raffaele damit begonnen, auch ihre Freunde genauestens unter die Lupe zu nehmen. Ihm wurde mehr und mehr bewusst, wie verletzlich seine Schwester war. Sie sollte niemandem ausgeliefert sein, der ihre leichtgläubige Natur ausnutzte, um sich auf ihre Kosten zu amüsieren.
„Vermutlich haben Sie diese … Idee bereits mit Vivi besprochen“, sagte Raffaele knapp. „Und sie ist natürlich begeistert davon.“
„Vivi und begeistert?“ Stam überraschte ihn, indem er laut lachte. „Die Kleine hasst Sie und will definitiv nicht heiraten! Ich fürchte, Vivi vor den Altar zu locken, wird Ihre ganz persönliche Herausforderung.“
„Sie erwarten ernsthaft, dass ich glaube, diese ganze Farce wäre nicht auch Vivis Plan?“, erkundigte sich Raffaele spöttisch.
„Meine Enkelin schert sich nicht um Logik, sondern handelt hochemotional. Mein … tja … Vorschlag, dass sie heiraten soll, hat sie sogar sehr wütend gemacht. Aber ich bin sicher, ein weltgewandter Kerl wie Sie wird schon wissen, wie er die Gunst einer Frau gewinnen kann.“ In den dunklen Augen des Alten funkelte es gefährlich. „Wenn Sie möchten, dass dieses Dossier privat bleibt, dann bringen Sie Vivi vor den Altar.“
„Das soll meine Buße sein, oder?“, presste Raffaele zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Wenn Sie es gerne so betrachten möchten, bitte. Für mich ist das unerheblich. Sie stecken ihr einen Ehering an den Finger, aber ansonsten behalten Sie Ihre Hände bei sich“, warnte ihn Stam Fotakis unverblümt. „Ich möchte, dass sie absolut unberührt bleibt. Haben Sie mich verstanden?“
Dunkle Röte zeichnete sich auf Raffaeles hohen Wangenknochen ab. Wofür hielt ihn dieser Fotakis eigentlich? „Ich habe noch nie in meinem Leben eine Frau berührt, die das nicht wollte“, konterte er mit eisigem Unterton.
„Nun, meine Enkelin wird vermutlich extrem unwillig sein“, sagte Stam zufrieden. „Ich wage zu behaupten, dass Sie für gewöhnlich eine andere Reaktion vom weiblichen Geschlecht gewöhnt sind. Obwohl Sie den Köder in Gestalt meiner Assistentin nicht geschluckt haben. Sie hat Ihnen im Aufzug doch ziemlich direkt Avancen gemacht, oder?“
„Das war ein Test?“ Raffaele verschlug es kurzzeitig die Sprache.
„Ich ziehe es vor, den Charakter der Männer zu kennen, mit denen ich zu tun habe. Und keine Sorge, Sie haben die Prüfung bestanden. Sie sind definitiv kein ruchloser Weiberheld“, stellte Stam mit scharfer Stimme fest. „Wenn es um Vivi geht, habe ich einen stark ausgeprägten Beschützerinstinkt.“
Raffaele war kurz davor, dem alten Mann unter die Nase zu reiben, wie willig Vivi gewesen war … damals in seinen Armen. Doch er schluckte das unkluge Eingeständnis herunter. Stattdessen war er froh, dass es doch noch einige Dinge gab, die Vivis Großvater nicht über sie wusste.
Als Raffaele endlich in seiner Limousine auf dem Heimweg zu seinem Londoner Stadthaus war, musste er entscheiden, was als nächstes zu tun war. Ironischerweise hatte er stets in dem festen Glauben gelebt, sein immenser Reichtum würde ihn vor Problemen jeglicher Art schützen.
In einer solchen Situation wie jetzt hatte er sich noch nie befunden, und er verspürte ein seltsam fremdes Gefühl der Ohnmacht. Geld allein reichte nicht aus, um diesen alten Mann in Schach zu halten, der entschlossen war, Vergeltung für eine Sünde zu fordern, die Raffaele nie begangen hatte.
Er hatte Vivi nicht als Prostituierte bezeichnet. Zum einen war sie eher ein Escortgirl als eine Prostituierte gewesen, und er kannte den Unterschied. Schließlich hatte er in den exklusiven Kreisen, in denen er sich bewegte, Bekanntschaft mit Frauen aus beiden Branchen gemacht – und gelernt, sie rechtzeitig zu erkennen und ihnen aus dem Weg zu gehen.
Dass er Vivi trotzdem so nah an sich herangelassen hatte, machte ihn immer noch wütend. Doch erst die Presse hatte von ihr als einer Prostituierten gesprochen, um eine reißerische Schlagzeile zu bekommen.
Leider nützte Raffaele diese Wahrheit nichts. Die beschämenden Berichte über seine kleine Schwester befanden sich in den Händen des rachsüchtigen Stam Fotakis, und der würde sie dazu benutzen, seine Pläne umzusetzen.
Obwohl Vivi sich auf ihr bevorstehendes Date mit ihrem Freund Jude freuen sollte, während sie sich schminkte, ließen die düsteren Erinnerungen sie nicht los.
Sie hatte vor Kurzem im Haus ihrer Schwester und ihres Schwagers in Griechenland einen heftigen Streit mit ihrem Großvater gehabt. Ihren Schwestern hatte Vivi nichts davon erzählt, weil die es im Augenblick vorzogen, auf glückliche Familie zu machen.
„Wenn Mancini dich heiratet, brauchst du nie wieder Angst vor diesem Skandal zu haben. Alle Welt weiß, dass er keine Frau von zweifelhaftem Ruf zum Altar führen würde.“ Ihr Großvater hatte seine Worte sehr sorgfältig gewählt. „Er ist wohlhabend, äußerst erfolgreich und hat einen aristokratischen Hintergrund. Durch eine Verbindung mit ihm wäre dein guter Ruf im Nu wiederhergestellt.“
„Lieber heirate ich eine Kröte als Raffaele di Mancini!“ Vivi war vor Wut und Empörung außer sich gewesen. „Außerdem will ich überhaupt niemals heiraten, und das weißt du genau!“
„Winnie ist doch aber sehr glücklich.“ Der Alte blieb beharrlich.
„Im Gegensatz zu mir ist meine Schwester eben anpassungsfähig“, erwiderte sie gereizt. „Ich liebe sie wirklich über alles, aber was für sie richtig ist, muss nicht unbedingt auch für mich gelten, oder? Und falls ich jemals heiraten sollte, dann soll es echt sein. Kein verlogenes, hinterlistiges Arrangement, bei dem es nur um den falschen Schein und den erwünschten Status geht. Das ist mir zu billig!“
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass du Mancini behalten willst.“ Stam machte nicht den Eindruck, als würde er sich von seinen Plänen abbringen lassen. „Wo ist also das Problem? Hochzeit, Trennung, fertig.“
Vivi weigerte sich, einfach klein beizugeben, und warf stolz den Kopf zurück. „Ich kann nicht fassen, was du für ein Geizhals bist. Du könntest im Handumdrehen meine Pflegeeltern vor der drohenden Pleite retten, ohne deine Großzügigkeit an unangemessene Bedingungen zu knüpfen! Wir sollten eine Familie sein, die zusammenhält, aber du benimmst dich einfach wie ein tyrannischer Einzelgänger. Aber was weiß ich schon darüber, wie ein glückliches Familienleben aussieht. Diese Erfahrung durfte ich ja nie machen“, hatte sie zum Schluss gemurmelt.
Es folgte eine unbehagliche Stille.
„Ihr seid meine Familie, und ich werde mich immer um euch kümmern“, erklärte Stam störrisch.
„Mich zu einer Hochzeit zu zwingen würde ich nicht als kümmern bezeichnen. Und dann noch mit dieser Ratte von Mancini! Und wie wolltest du ihn überhaupt dazu überreden?“, hatte sie misstrauisch gefragt. „Wieso sollte ein geachteter Geschäftsmann wie er eine Frau heiraten, die er für eine Prostituierte hält?“
Auf eine etwas unbeholfene Weise zuckte Stam mit den Schultern und seufzte: „Ich kann ihm einen Vorschlag machen, der ihn auf jeden Fall überzeugen wird.“
„Es ist mir egal, ob du ihm den Mond und die Sterne versprichst.“ Bei dem Gedanken, dass Mancini sich vielleicht doch von ihrem Großvater beeinflussen ließ, drohte Vivi erneut an ihrem Zorn zu ersticken „Ich will nichts mit ihm zu tun haben, ich will ihn nie wiedersehen, geschweige denn heiraten! Jeder Kontakt mit ihm wäre absolut demütigend.“
„Nein, das wäre es nicht“, argumentierte Stam ebenso energisch. „Dieses Mal liegt die ganze Macht in deinen Händen, Vivi. Du sitzt am längeren Hebel. Wäre das nicht eine interessante Erfahrung für dich? Endlich befindest du dich in der Lage, es dem Mann heimzuzahlen, der dich beleidigt hat. Du könntest ihn zwingen, sich öffentlich zu entschuldigen und seine Worte zurückzunehmen.“
Nein, Vivi konnte ohne Rache leben, da war sie sicher. Und sie wollte nicht länger an den Streit mit ihrem Großvater denken.
Das Beste wäre, wenn sie Raffaele di Mancini in diesem Leben niemals wiedersehen musste. Er erinnerte sie an zu vieles, das sie lieber vergessen und auf ewig begraben hätte. Sie hatte Arianna sehr gemocht, doch die jüngere Frau hatte ihr kommentarlos die Freundschaft gekündigt. Zweifellos steckte Raffaele dahinter.
Damals war Vivi auch Raffaele allmählich nähergekommen. Es hätte sich leicht eine Beziehung entwickeln können … Sie brach den Gedankengang wütend ab. Nein, es war bloß ein dummer Kuss, mehr nicht, nur ein Kuss. Selbst ein Teenager würde sich davon nicht aus der Fassung bringen lassen. Viel zu bedeutungslos und flüchtig!
Andererseits wusste Vivi genau, dass sie tendenziell anfälliger für verliebte Schwärmereien war als andere erfahrene und emotional stabilere Frauen. Sie hatte Stabilität erst mit vierzehn Jahren kennengelernt, als sie bei ihren letzten Pflegeeltern lebte, die sie so liebevoll großgezogen hatten. John und Liz hatten sogar dafür gesorgt, dass die drei Schwestern in ihrem Haus wieder zusammenfanden.
Davor hatten die Geschwister diverse schreckliche Pflegeheime ertragen müssen, in denen vor allem Vivi schikaniert, beschimpft und mehrfach sexuell bedroht worden war.
Winnie, Vivi und Zoe hatten ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Heute, mit dreiundzwanzig Jahren, konnte sich Vivi kaum noch an sie erinnern. Ihr Vater war Stams jüngster Sohn gewesen, doch die beiden waren im Streit auseinandergegangen. Stam hatte nicht einmal gewusst, dass Enkelkinder existierten, bis die drei ihn – inzwischen als Erwachsene – kontaktiert hatten.
Sie baten ihn um finanzielle Hilfe, weil ihren geliebten Pflegeeltern die Zwangsversteigerung ihres Hauses drohte, in dem sie sich noch um weitere Pflegekinder kümmerten. Zwar hatte Stam seine Enkeltöchter mit großer Begeisterung in sein Leben aufgenommen, aber im Gegenzug für seine Hilfe hatte er geradezu unverschämte Bedingungen gestellt: Sie alle sollten Männer seiner Wahl heiraten, um gesellschaftlich aufzusteigen.