Die schöne Gefangene des Engländers

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Sie wurde entführt! Mühsam kommt Lady Aline of Leavingham nach einem schweren Schlaftrunk wieder zu sich – und blickt in die eisblauen Augen eines hochgewachsenen Ritters: Hugh of Eardham, der Hauptmann der Burgwache, soll sie zu seinem Herrn, dem Herzog von Roxholm, bringen! Dieser will die reiche Erbin zur Ehe zwingen. Aline sollte Angst haben, doch stattdessen erwacht während ihrer gefahrvollen Reise zwischen ihr und Hugh überraschend eine lodernde Leidenschaft. Aber egal, wie heiß ihre Küsse sind: Hugh weigert sich, den Eid zu brechen, den er geschworen hat: sie unberührt ihrem zukünftigen Ehemann auszuliefern …


  • Erscheinungstag 11.06.2024
  • Bandnummer 403
  • ISBN / Artikelnummer 0814240403
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

1. KAPITEL

„Schon fünf Heiratsanträge hast du abgewiesen, Aline, davon allein drei in diesem Jahr. Wie oft muss ich dich noch erinnern, dass es deine Pflicht ist, dir einen Gatten zu erwählen?“

Stirnrunzelnd lehnte der Herzog von Leavingham, High Lord und Herrscher über die fünf Provinzen, sich in seinem Sessel zurück, während Lady Aline, seine Enkelin, die das verhaltene Murren der zusammengerufenen Ritter und Edelleute im Saal ignorierte, die Augen auf ein überreich verziertes Pergament senkte, welches offen auf dem Tisch lag.

„Stammte das Ersuchen vom Grafen selbst, würde ich es in Betracht ziehen“, erklärte sie mit gepresster Stimme. „Seinen Sohn aber, der erst neun Lenze zählt, kann ich nicht erhören, Großvater.“

„Viele Frauen fühlten sich geehrt, dürften sie zu einer Allianz mit einer solch reichen und hoch angesehenen Familie beitragen“, gab der Herzog in strengem Ton zurück.

Aline errötete. „Ich leugne nicht, dass man großzügige Bedingungen anbietet, frage mich aber, ob die Männer hier, die es ablehnen, Leavingham von einer Frau regieren zu lassen, stattdessen ein Kind als Gebieter begrüßen würden? Wohl kaum.“

Ein blasser Sonnenstrahl brach durch die Wolken und zog Alines Blick zum Fenster, während das Gemurmel der Anwesenden nun zustimmend klang. Da straffte sie die Schultern und wandte sich ihnen zu, indem sie sich eine lose Strähne ihres aschblonden Haares zurückstrich.

„Lords von Leavingham, ich weiß sehr wohl, dass ich heiraten muss, und lehne die Ehe keineswegs ab. Lebte mein Bruder noch, wäre es Euch herzlich egal, wen ich zum Manne nähme; nun aber wird mein künftiger Gemahl nicht allein der unseren, sondern allen fünf Provinzen vorstehen, weshalb ich mir die Wahl nicht leichtmachen kann.“ Während es so still wurde, dass man eine Nadel hätte zu Boden fallen hören, kniete Aline vor dem Herzog nieder, ergriff seine Hände und wandte ihm ehrerbietig ihr Antlitz zu. „Ich bitte Euch, Großvater, zwingt mich nicht, diese Ehe einzugehen.“

Während sie dem alten Mann mit angehaltenem Atem in die Augen starrte, welche so sehr ihren eigenen ähnelten, schürzte er die Lippen.

„Nun gut, diesen Antrag musst du nicht annehmen“, verkündete er seufzend. „Doch weißt du, dass du meine letzte Blutsverwandte bist. Nur deshalb benannte ich dich zu meiner Erbin, gelobte aber, dass du heiratest, bevor du zwanzig Lenze zählst. Bis dahin bleiben dir nur noch sechs Monate, und findest du nicht rechtzeitig einen Gemahl nach deinem Geschmack, werde ich dir einen erwählen müssen.“

Aufatmend erhob Aline sich und knickste, wie es sich gehörte, vor den Anwesenden, bevor sie aus dem dumpfen Sitzungssaal entwich. Dabei klopfte das Herz ihr bis zum Hals, war sie der unpassenden Vermählung doch nur knapp entkommen.

Schnell wie der Wind eilte sie die Wendeltreppe zu ihrem Gemach empor und warf sich in ein Kleid, das sich fürs Reiten eignete. Denn der Gedanke, einen der letzten schönen Tage vor dem Winter verstreichen zu lassen, ohne ihn für einen Ausritt zu nutzen, war ihr unerträglich. Dabei noch einmal ihre Freiheit in allen Zügen auszukosten, die sie wohl nicht mehr lange genießen durfte, schien ihr das Gebot der Stunde.

Auf dem Weg zum Stallhof, wo sie ihren Reitburschen bei den Pferden vermutete, lief sie auf flinken Füßen die Treppe wieder hinab und durchquerte die kleinere der beiden Hallen der Burg, wobei sie die silberne Spange an ihrem Umhang schloss. Als sie um eine Ecke bog, rannte sie fast in einen hochgewachsenen Mann hinein, der ihr entgegenkam und spontan die Hände ausstreckte, um sie aufzufangen. Es war ihr Kindheitsfreund Sir Godfrey.

„Ich muss schon sagen, Aline, Ihr bewegt Euch nicht gemessen, wie es sich für Euch ziemt! Was würde Euer Großvater dazu sagen?“ Er grinste.

Für gewöhnlich wäre die junge Frau ihm eine schlagfertige Antwort nicht schuldig geblieben, doch war sie nach der Ratssitzung nicht zum Scherzen aufgelegt.

„Ich gebe ihm keinen Grund, sich über mich zu beklagen“, fuhr sie auf. „Beiße ich mich doch unermüdlich durch verstaubte Geschichts- und Gesetzesbücher, wie mir aufgetragen wurde; von den trockenen Abhandlungen über diplomatische Regeln und Gepflogenheiten ganz abgesehen. Und bin ich etwa keine liebenswürdige Gastgeberin, keine pflichtbewusste Hofdame, und bescheiden dabei? Bis ins Kleinste erfülle ich alles, was der alte Mann von mir erwartet!“

„Außer einen Heiratsantrag anzunehmen“, versetzte Godfrey mit breitem Lächeln.

„Die Anträge, welche ich bekomme, öden mich an. Die Bewerber erläutern bloß, welche Macht sie zu besitzen glauben, oder fragen nach meiner Mitgift. Und heute“, sie schnaubte wenig anmutig durch die Nase, „hielt ein Kind um meine Hand an! Was würdet Ihr zu so etwas sagen?“

Wie um Gnade flehend hob der junge Ritter die Hände. „Aline, ich mache doch nur Spaß! Verzeiht mir, denn Ihr habt ja recht, wenn Ihr für Leavingham wie für Euch selbst auf den Richtigen warten wollt. Eure Eltern und Euer Bruder wären stolz auf Euch.“

Dass Godfrey ihre Familie erwähnte, schnitt Aline ins Herz, denn sie vermisste die teuren Verblichenen wie am ersten Tag ihres Todes. Ihr Vater und ihr Bruder waren sechs Jahre zuvor der Influenza zum Opfer gefallen, und ihre Mutter – unbewusst legte sie die Hand auf das Amethyst-Halsband mit der silbernen Schließe, das sie von ihr geerbt hatte – war Sohn und Gemahl nur ein Jahr später ins Grab nachgefolgt.

„Ihr habt doch nichts Grundsätzliches gegen eine Heirat?“, fragte der junge Ritter, indem er sich bei Aline unterhakte und mit ihr weiterschlenderte. Die Morgenluft war kalt und frisch.

„Was weiß ich?“, gab sie schulterzuckend zurück. „Doch wird mir ja keine Wahl gelassen. Ihr hörtet meinen Großvater: Die Zeit läuft mir davon. Als er mich zur Erbin ernannte, verlor ich das Recht auf eine Liebesheirat. So bleibt mir nichts als die Hoffnung, dass mein zukünftiger Gatte mir nicht völlig zuwider ist.“

Godfrey lachte auf. „Nur Mut, Herrin! Nehmt mich als Beispiel: War meine Gemahlin auch nicht meine erste Wahl, sind wir mittlerweile ein glückliches Paar. Glaubt mir, Euch wird es ebenso gehen.“

Da er es gut meinte, biss Aline sich auf die Zunge und schwieg. Doch war sie sicher, dass ähnliches Glück ihr nicht beschieden war.

Am Eingang zum Stallhof sagten sie sich Lebwohl. Und während die junge Frau dem Ritter nachblickte, der zur Burg zurückging, tat es ihr ein wenig leid, dass sie, die seine erste Wahl gewesen, ihm damals einen Korb gegeben hatte.

Inzwischen hatte es aufgeklart, und der helle Himmel versprach einen erfreulichen Ausritt. Als Aline anstelle ihres Stallburschen einen fremden Jüngling vorfand, der zwei Pferde am Zügel führte, verhielt sie überrascht den Schritt.

„Ich grüße Euch, Herrin“, sagte dieser, indem er eine übertrieben tiefe Verbeugung vollführte.

„Was ist mit Robert?“, fragte Aline, leisen Argwohn in der Brust.

Bei näherem Hinsehen aber kam der Mann, der sich eine sandfarbene Locke aus dem Gesicht strich, während er die Augen auf ihr ruhen ließ, ihr bekannt vor, denn sie hatte ihn während der letzten Wochen ein- oder zweimal bei den Ställen gesehen.

„Man nennt mich Dickon, Mylady. Ich soll Robert entschuldigen, denn ihn überkam heute Morgen ein Unwohlsein von … wie soll ich’s nur nennen? … etwas heikler Natur, weshalb er in der Nähe des Abtritts bleiben muss.“

Aline lachte über die Wortwahl des jungen Mannes, dem ein gewinnendes Wesen eigen war, bewahrte aber einen Rest Reserviertheit. Solange sie denken konnte, hatte Robert sie eskortiert, der ihr einst auf ihr erstes Pony geholfen hatte. Nur, weil er das Vertrauen ihres Großvaters besaß, durfte sie mit ihm als alleiniger Begleitung ausreiten. Sollte es dem Herzog zu Ohren kommen, sie hätte sich von einem jungen Mann begleitet vom Hof entfernt, würde er ihr gehörig die Leviten lesen.

„Ich weiß nicht recht“, sagte sie unschlüssig. „Vielleicht lasse ich es heute einfach bleiben.“

Dickon legte den Kopf zur Seite, indem ein schiefes Lächeln um seinen Mund spielte. „Ganz wie Ihr wünscht. An Eurer Stelle aber würde es mich betrüben, einen solch schönen Herbsttag hinter dicken Burgmauern zu vertrauern.“

Jede wohlerzogene Frau, die darüber hinaus Hofdame war, hätte umgehend eine ihrer Zofen angewiesen, sie zu begleiten; doch diese ritten nicht so schnell wie Aline, die sich schon auf einen Ausflug in wildem Galopp gefreut hatte. Denn die Ermahnungen ihres Großvaters lagen ihr auf der Seele, und Godfrey hatte mit seinen Neckereien den rebellischen Funken genährt, der von Kindesbeinen an in ihr glomm.

Dem ruhigen Blick aus Dickons braunen Augen mit dem ihren begegnend kam sie zu einem Entschluss. „Nun gut, dann los.“

Darauf half der Jüngling, ein strahlendes Lächeln auf seinem sonnengebräunten Gesicht, ihr auf ihre graue Stute. Mit einer Hand stützte er sie, bis sie sicher im Sattel saß, worauf sie Seite an Seite durch die breiten Straßen Leavinghams zum Stadttor trabten.

Aline, an weite Ausritte in hohem Tempo gewöhnt, freute sich, dass Dickon ihr in dieser Hinsicht in nichts nachstand. Und während sie durch die herbstliche Heide galoppierten, trieben sie die Pferde zu immer schnellerem Lauf an, bis sie am späten Vormittag bei einem Marktflecken ankamen.

Bei einer Schankwirtin, die vor der Tür ihrer Taverne Bier feilbot, stiegen sie in stillem Einvernehmen von den Pferden, kauften eine Kanne des kühlen Trunks und gossen ihn sich genüsslich durch die Kehlen.

„Wollt Ihr hier warten und zu Ende trinken, Herrin, während ich auf dem Markt etwas zum Essen besorge?“, fragte der Jüngling, indem er sich den Mund mit dem Ärmel abwischte.

Und während sie ihm nachsah, als er stolzen Schritts davonging, begann das Herz ihr schneller zu schlagen, schweiften ihre Gedanken doch zu ihrem Geplänkel mit Godfrey zurück, der einst um sie geworben hatte.

Zwar hatte sie intime Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht wie alle hochgeborenen Frauen unbedingt bis zur Ehe aufzuschieben, da ihr zukünftiger Gemahl allein ihr als Erster beiwohnen durfte; doch kannte sie heimliche Augenblicke der Neugier auf das, was sich in der Hochzeitsnacht ereignete. Und manchmal, wenn sie bei Hofe glückliche Paare miteinander tanzen und scherzen sah, sehnte auch sie sich nach kräftigen Armen, die sie umschlössen.

Als Dickon zurückkam, seine Satteltasche mit den Einkäufen lässig über der Schulter, reichte er ihr den Arm, worauf sie zu den Pferden zurückgingen. Dabei war Aline sich der Nähe seines jugendlichen Körpers so deutlich bewusst, dass sie froh war, als sie dort ankamen und sie jeden ungehörigen Gedanken weit von sich weisen konnte.

Sie ritten ohne Unterbrechung, bis die Sonne, welche erstaunlich heiß für einen Herbsttag vom Himmel brannte, den Zenit längst überschritten hatte. Da hielten sie bei einem lichten Wäldchen, wo dürres Heidekraut wuchs, und stiegen im Schatten der Bäume ab. In Aline aber, die Dickon den Weg überlassen und nichts dagegen gehabt hatte, sich an der äußeren Grenze der Provinz umzusehen, keimte gelinde Sorge auf, befand sie sich doch weit von der heimatlichen Burg, mit keinem weiteren Schutz als dem eines einzigen Stallburschen.

Nachdem sie die Pferde angebunden hatten, blieb die junge Frau bei ihnen stehen und kraulte sie zwischen den Augen, während Dickon seine Satteltasche auspackte. Und als er seiner Herrin einen Becher mit Wein reichte, den sie durstig leerte, schob sie ihre Bedenken beiseite, um stattdessen, weil der Tag so warm war, den Umhang abzulegen, sich wie der Bursche gegen einen Baumstamm gelehnt niederzusetzen und sich ihm gleich an Wein, Brot und Käse zu laben. Dabei sprachen sie über Pferde und erzählten sich den neuesten Burgklatsch, wobei Dickon sich als angenehmer Gesellschafter erwies.

Immer wieder füllte er Alines Becher, bis sie die Augen schloss und wohlig auf das sonnenwarme Heidekraut sank, froh, dem ihr auferlegten Lernpensum wie ihren anderen Pflichten für diesen Tag entkommen zu sein.

Als sie in der Ferne ein Jagdhorn blasen hörte, fragte sie sich verträumt, wer dort unterwegs sein mochte, und suchte sich aufzurichten. Doch war ihr Körper unerwartet schwer und ihr schwindelte. Und als sie bestürzt die Augen aufschlug, sah sie Dickon auf sich hinabstarren.

„Der Wein hatte keinen unangenehmen Beigeschmack, stimmt’s, Mylady?“, fragte er mit kaltem Lächeln.

Wie er sie so ansah, erschrak Aline bis ins Mark, spürte sie doch, dass etwas nicht stimmte.

„Was meinst du mit ‚Beigeschmack`?“, verlangte sie zu wissen, hatte aber ihre Stimme, die wie von weit her an ihr Ohr schwappte, nicht völlig in der Gewalt. Und als er sich vorlehnte und ihren Becher aufhob, der neben sie gefallen war, und dabei mit der Hand ihren Arm streifte, überlief sie ein Schauder, weil es ihr zuwider war.

„Ja, der Wein war’s, Herrin. Ich versetzte ihn für Euch mit Mohnsaft, der in Euren Kreisen sicher als anrüchig gilt, in der Wirkung aber unübertroffen ist. Wer ihn trinkt, fühlt sich erst wie gelähmt und schläft anschließend unweigerlich ein.“

„Was … sagst du da, was?“, hauchte Aline, die ihre Worte kaum in die richtige Reihenfolge zu bringen vermochte.

„Sicher habt Ihr längst verstanden, dass ich Euch mit Opium betäubte.“ Sein Ton war nüchtern. „Der Herzog von Roxholm bezahlte mich gut, damit ich Euch hierherbringe. Bald werden seine Leute eintreffen, Euch zu übernehmen und zu seiner Zitadelle zu führen.“

Er hockte sich auf die Fersen. „Später am Abend wird man mich mit wenig gefährlichen, doch dramatisch wirkenden Wunden nahe der Burg Leavingham auffinden, wo ich benommen mit der Lösegeldforderung in der Tasche herumirre.“

Von Panik erfasst nahm Aline ihre Kräfte zusammen. „Dreckiger Verräter! Dafür wirst du … hängen“, versuchte sie ihn zu schmähen und ihm zu drohen, doch war ihre Stimme nicht lauter als das Rascheln trockener Herbstblätter.

„Ach, Mylady, so grimmig und so tapfer!“, feixte er. „Bis Euer Großvater, dieser tumbe Tor, die Bedingungen für Eure Freilassung aushandelt, bin ich längst über alle Berge.“ Damit kniete er sich neben sie und sprach ihr leise ins Ohr, wobei es sie kalt überlief. „Es tut mir leid, dass wir so bald voneinander scheiden müssen. Doch seid Ihr ansehnlich genug, sodass ich mir die Belohnung, die ich für Euch erhalte, etwas aufbessern will.“

Damit begann er, ihr die Kämme aus dem Haar zu nehmen und ihren Zopf zu entflechten, wobei er recht grob zu Werke ging. Aline hätte alles dafür gegeben, ihn beiseiteschieben zu können, doch vermochte sie ihre Arme und ihre Beine nicht zu gebrauchen, die sich taub anfühlten. Und der Schrei, den sie auszustoßen meinte, hörte sich inwendig zwar wie ein schrilles Kreischen an; doch drang aus ihrem Munde nur ein leises Schluchzen.

„Bis zum Eintreffen der Männer bleibt uns noch weidlich Zeit“, fuhr er fort, als nehme er ihren Kampf nicht zur Kenntnis, „sodass ich Euch zum Abschied durch und durch kennenlernen und genießen werde. Die Lust auf Euch packte mich sofort, als ich Euch zum ersten Mal sah.“

Und während Aline der warme weingeschwängerte Atem des Schurken ins Gesicht schlug, begann er, an den Bändern ihres Mieders herumzufingern, was ihr Entsetzen ins schier Unermessliche steigerte, waren ihr seine Berührungen doch abscheulich, als brenne er sie mit heißen Klingen. Und während sie lautlos weiterschrie, presste er seinen Mund auf ihren, in den er mit aller Gewalt seine Zunge schob.

Doch biss die junge Frau in einem letzten Reflex ihres betäubten Körpers die Zähne zusammen, worauf Dickon laut aufschrie und entgeistert zurückwich. Dann packte er sie voller Wut bei den Haaren und riss ihren Kopf zur Seite, indem er sich das Kinn, an dem ein schmales Blutrinnsal hinablief, mit der anderen Hand abwischte.

Zwar tat er Aline damit sehr weh, doch kam aus ihrem aufgerissenen Mund nicht mehr als der Hauch eines Schreis, wobei sie den Mann mit Blicken anflehte, sie zu schonen, hasste sie ihn auch von Herzen.

„Lady Aline, Ihr mögt Euch mit Anstand schmücken, doch las ich längst in Euren Augen, dass Ihr mich begehrt“, warf er ihr an den Kopf. „Also tut nicht so schüchtern! Ich will mich jetzt mit Euch vergnügen, denn unsere Zeit läuft ab.“

Damit schob er sich mit einer schnellen Hüftbewegung rittlings auf sie, öffnete ihre Beine mit seinen harten Knien und presste sich mit Gewalt auf sie, sodass sie kaum noch Luft bekam. Und indem er ihre Arme packte und sie neben ihrem Körper festhielt, der wie leblos dalag, suchte sein Mund sich küssend und beißend seinen Weg über ihren zarten Hals zu den vollen Brüsten. Davon spürte sie schon nichts mehr, sondern hörte nur das Blut in ihren Ohren rauschen, während sie den Angreifer ebenso wenig abzuwehren vermochte, wie sie dem Wind hätte Einhalt gebieten können.

Doch während die Welt um sie herum verschwamm und sich aufzulösen begann, hallte Hufschlag an ihr Ohr, worauf sich zorniges Geschrei erhob. Und mit den spärlichen Resten ihres Bewusstseins nahm sie wahr, wie der Schatten einer hünenhaften Gestalt auf sie fiel, welche Dickon einen blitzenden Dolch an den Hals hielt, worauf eine barsche Stimme ihr in Wellen ans Ohr waberte.

„Runter von der Frau, du Widerling, oder willst du, dass ich dir die Kehle aufschlitze?“

Dann konnte sie endlich wieder atmen, weil kein Gewicht mehr auf sie drückte. Und bevor die Welt unwiderruflich im Dunkel versank, stand ihr das undeutliche Bild zweier riesiger Puppen vor Augen, die umeinander tanzten: die eine war der Stallknecht in seinem groben braunen Wams, die andere ein Mann in Schwarz, dessen Blick aus leuchtend blauen Augen das Dämmer wie ein Blitz durchdrang, bevor dieses die junge Frau endgültig überwältigte und ihr das Bewusstsein nahm.

2. KAPITEL

Nur allmählich fand Lady Aline aus wirren opiumgetränkten Visionen in die Welt zurück. Und während sie sich langsam in die Wirklichkeit ihres Körpers zurücktastete, der wie zerschlagen war, merkte sie, dass ihr speiübel wurde; dazu dröhnte der Kopf ihr, welchen sie kaum zu heben vermochte. Als sie die Augen aufschlug, bezahlte sie das mit einem stechenden Schmerz hinter den Brauen, weshalb sie das Unterfangen vorerst aufgab. Dabei war die Kehle ihr so rau und trocken, dass sie kaum schlucken konnte.

Nach und nach dämmerte es ihr, dass sie in einem fahrenden Karren lag, wurde sie doch ohne Unterlass durchgeschüttelt und – gerüttelt. Nicht zu wissen, was man mit ihr vorhatte, beunruhigte sie zutiefst; doch erst, als sie genügend Kraft gesammelt hatte, öffnete sie erneut die Augen.

Diesmal war der Schmerz erträglicher, und die Nebel, die ihr die Sicht umwölkten, hoben sich nach und nach. Mit zitternden Armen stemmte sie sich zu einer sitzenden Position hoch, worauf die Übelkeit sie übermannte und sie sich in einen Eimer erbrach, den jemand vorsorglich in Reichweite gestellt hatte.

„Mohnsaft hat leider solche Nachwirkung, Mylady“, hörte sie eine männliche Stimme sagen und fuhr in namenlosem Schreck zurück, die Fäuste geballt.

„Wer … wo bin ich …“, stammelte sie mit zittriger Stimme, worauf ihr die Zähne zu klappern anfingen und sie sich auf die Lippe biss, damit es aufhörte.

Der Jüngling, der ihr gegenüber auf einer hölzernen Truhe saß, ein kurzes Schwert im Schoß und das Haar nach Soldatenart kurzgeschoren, schien nicht älter als achtzehn Jahre. Und da er nicht derjenige war, den sie zu sehen gefürchtet, wurden ihr vor Erleichterung die Knie weich.

„Wollt Ihr etwas trinken?“, fragte er eifrig und reichte ihr eine lederne Flasche mit leichtem Bier, die sie dankbar ergriff, an die Kehle setzte und trank, indem sie sich verstohlen umsah. Der Karren, in welchem sie fuhren, war groß genug, um einer Handvoll Männer als Schlafplatz dienen zu können, wozu an einem Ende ein hölzerner stoffbespannter Rahmen eingebaut war. Durch einen grob gewebten Vorhang an der Rückseite sickerte spärliches Licht. Tatsächlich war die Enkelin eines Herzogs Besseres gewöhnt.

„Ihr … Ihr würdet mir wohl nicht bei der Flucht behilflich sein?“, fragte sie wenig hoffnungsvoll mit heiserer Stimme.

„Nein, Lady Aline, es tut mir leid“, antwortete der Junge. „Wir haben Befehl, Euch nach Roxholm zu bringen.“

Mutlos sank sie auf ihr Lager zurück und versuchte sich zu besinnen, was vorgefallen war. Da sie aber bei der Erinnerung, wie Dickons Körper schwer auf ihr gelegen und er sie mit hartem Mund in gieriger Vorfreude abgeküsst hatte, der Ekel ankam, rollte sie sich leise stöhnend zusammen, zog die Knie bis zur Brust hoch und umklammerte sie mit den Armen.

„Ist Euch kalt, Herrin?“, fragte der Jüngling freundlich.

Zur Antwort schüttelte sie verneinend den Kopf, worauf das Bild zweier miteinander kämpfender Männer vor ihrem inneren Auge aufblitzte. Den Gedanken, der Junge, der vor ihr saß, sei womöglich ihr Retter, verwarf sie umgehend.

Dieser streckte nun den Kopf nach draußen und verkündete lauthals, dass sie erwacht war, worauf der Karren zum Halten kam. Darauf sprang der Jüngling hinaus, ein älterer Mann schob seinen grauhaarigen Kopf durch den Vorhang und beäugte sie, worauf ihr befohlen wurde, herauszukommen.

Beim Aussteigen war sie so geschwächt, dass ihr die Beine schlotterten. Drei Männern sah sie sich gegenüber: Neben dem Jungen, der noch immer sein Schwert in Händen hielt, und einem ungefähr fünfzig Jahre zählenden Mann mit einer Armbrust, beide in einfache braune Tuniken und Umhänge aus Leder gekleidet, gab es einen dritten scheinbar unbewaffneten Mann, dem eine dunkle Flut welliger Haare wirr ins Gesicht fiel. Mit gespreizten Beinen stand er in einem Überrock aus schwarzem Leder stark wie ein Baum vor ihr, die Arme vor der Brust gefaltet.

„Lady Aline, ich dachte schon, Ihr würdet gar nicht mehr aufwachen!“, richtete er das Wort an sie.

Seine tiefe Stimme besaß einen unerwartet charmanten, ja, kultivierten Beiklang, und als er seine blauen Augen auf sie richtete, durchzuckte es sie, als habe der Blitz sie getroffen, worauf es ihr wie Schuppen von den Augen fiel: Dies war der Mann, der sie vor Dickons unwillkommenen Avancen gerettet hatte.

„Wir legen hier am Fluss eine Rast ein, weil die Pferde Wasser brauchen.“ Damit kramte er in einem Korb herum und zog einen Laib Brot hervor, brach ein Stück ab und reichte es ihr. „Ich rate Euch: Zwingt Euch, dies zu essen; dann werdet Ihr Euch bald besser fühlen. Ansonsten tut nichts und rührt Euch nicht von der Stelle.“

Der ältere Bewacher stieg auf den Karren und kam mit dem Eimer und einem Sack wieder hinaus; Letzteren drückte er dem Jungen in die Hand. „Rupf das Huhn, und beeil dich damit“, befahl er, worauf er zu dem nahen Flüsschen schritt, wo er den Eimer säuberte. Der Jüngling zog nach einem letzten freundlichen Blick auf Aline ein mageres Huhn aus dem Sack und wandte sich seiner Arbeit zu.

Während die junge Frau an ihrem Stück Brot nagend auf dem Treppchen des Karrens saß, musterte sie verstohlen die Umgebung. Offenbar waren sie so tief in den Wäldern, dass das Licht sich kaum einen Weg durch das dichte Astwerk zu bahnen vermochte, zumal die Sonne schon tief stand. Bedachte sie es recht, war sie wohl nicht länger als ein oder zwei Stunden ohne Bewusstsein gewesen, sodass sie sich noch auf dem Territorium ihres Großvaters befinden mussten. So begann sie fieberhaft zu überlegen, wie sie freikommen könne.

Mit etwas Glück schaffe ich es vielleicht, mich davonzumachen und im Wald zu verstecken, bis Hilfe kommt, dachte sie. Denn auf der Burg wird man mich bald vermissen!

Nachdem sie aufgegessen hatte, erhob sie sich und streckte ihre Glieder. Und da der Junge dabei wohlgefällig seine Augen auf ihr ruhen ließ, hatte sie eine Idee.

So begann sie zu taumeln und sich an den Kopf zu fassen, als werde ihr schwindlig, worauf der Jüngling den Vogel fallen ließ, zu ihr eilte und ihr fürsorglich half, sich wieder hinzusetzen.

Sittsam schlug sie den Blick zu Boden, lächelte zart und flüsterte wie verschämt: „Bitte, lieber Herr“ – damit suchte sie ihm zu schmeicheln –, „ich müsste wohl … nun … ich muss einmal … hinter die Bäume …“

Zuerst zog der Junge verwirrt die Stirn kraus, dann aber verstand er, was sie meinte, worauf er vor Verlegenheit rot anlief. Hilfesuchend blickte er um sich, doch der ältere Wächter war noch drüben beim Fluss, und der Mann in Schwarz stand mit dem Rücken zu ihnen drüben bei den Pferden, in ein Schriftstück vertieft. Da der Jüngling sich nicht zu trauen schien, ihn zu stören, wies er gewährend mit dem Kinn aufs Unterholz, folgte Aline aber zu ihrem Verdruss auf den Fersen, sobald sie losging.

Bemüht unschuldig lächelnd drehte sie sich um zu ihm. „Seid bedankt, lieber Herr! Sicher fürchtet Ihr nur, dass ich wieder umfallen könnte. Doch schäme ich mich, wenn Ihr mir dabei zuseht, und ich will auch nicht Schuld daran tragen, dass Ihr Eure Arbeit nicht rechtzeitig getan habt.“

Der Junge überlegte kurz. „Macht aber schnell“, versetzte er erleichtert und eilte davon, um seine Aufgabe zu Ende zu führen.

Aline aber drängte sich ins Unterholz, wo sie sich bald bückte und auf Händen und Knien in einem weiten Bogen in Richtung Weg kroch, wobei sie versuchte, so wenig Geraschel als möglich zu verursachen. Lieber Gott, betete sie, lass es mich bis zu einem Dorf schaffen! Dort wäre ich in Sicherheit.

Als sie den Waldrand erreicht hatte, richtete sie sich auf und rannte den Weg in derselben Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, blieb aber an einer Biegung, wo sie sich für rechts oder links entscheiden musste, unschlüssig stehen, weil ihre Retter später nicht wissen würden, welche Richtung sie genommen hatte. Da öffnete sie mit bebenden Fingern die Schließe ihres Halsbandes, zögerte kurz, indem sie das geliebte Andenken an ihre Mutter noch einmal in die Hand schloss, drapierte es dann aber sorgfältig über einen Zweig, sodass das helle Silber das Licht fangen konnte. Es zeigte nun die falsche Richtung an, zudem kannte ein jeder Bediensteter ihres Großvaters das Schmuckstück als ihr zugehörig und würde der Spur folgen.

Doch ließ beim nächsten Schritt in Richtung Unterholz eine Männerstimme sie herumfahren, die zu dem Mann in Schwarz gehörte, welcher nachsichtig lächelnd auf den Weg trat. „Ich möchte Euch warnen, in den Wald zu flüchten, wo wilde Tiere oder herumstromernde Banditen Euch ein garstiges Ende bereiten würden.“

In aller Ruhe faltete er die Arme vor der Brust. „Ihr vollbrachtet eine beachtliche Leistung, Mylady, von der ich tief beeindruckt bin, doch habe ich Befehlen zu folgen und darf Euch nicht freilassen.“

Aline aber rannte los wie von tausend Hunden gehetzt.

Mit dem alleinigen Ziel, dem Mann zu entkommen, warf sie sich in den Wald, indem sie weder auf Äste, die ihr das Kleid zerrissen, noch auf Dornen achtete, die ihr die Hände zerkratzten. Selbst als ihr, da sie in schlechter Verfassung war, bald der Atem knapp wurde und die Kräfte rapide schwanden, erlaubte sie sich kein Schwächeln, sondern kämpfte sich weiter vorwärts. Ihr Verfolger jedoch gewann an Boden, ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen.

Schließlich kam sie zu einer Lichtung, wo sie sich verzweifelt nach einem Gegenstand umsah, der ihr als Waffe dienen konnte. Weil nichts Passendes zu finden war, packte sie einen herumliegenden Ast und griff mit der anderen Hand ins Erdreich. Als sie des Mannes dann ansichtig wurde, der zwischen den Bäumen herauskam, hob sie den Ast so drohend, als sei er ein scharfes Schwert.

„Bleibt, wo Ihr seid“, stieß sie atemlos hervor, worauf er den Kopf in den Nacken legte und aus voller Kehle lachte wie über einen guten Witz.

„Was wollt Ihr tun, wenn ich nicht gehorche, Mylady? Mir Splitter unter die Fingernägel jagen?“

„Ich meine, was ich sage“, versetzte Aline mit fester Stimme. „Und seid gewarnt: Nähert Ihr Euch auch nur einen Schritt, schreie ich.“

„Schreit nur nach Herzenslust, Herrin. Von meinen Männern abgesehen, kann Euch ja niemand hören.“

Damit kam er auf sie zu, die jetzt mit dem Ast in der Hand einen Ausfallschritt gegen ihn machte, als wolle sie ihm diesen in die Brust stoßen. Und als er darauf vorwärtssprang und ihr den Stock aus der Hand schlug, schleuderte sie ihm die Erde ins Gesicht und rannte, da er instinktiv die Augen mit dem Arm schützte, aufs Neue davon.

Noch war sie nicht weit gekommen, als er den Ast aufhob und ihn ihr hinterherschleuderte. Und weil er sie damit in die Kniekehlen traf, geriet sie ins Stolpern, verfing sich in ihren Röcken und stürzte mit ausgebreiteten Händen nieder.

Bevor sie wieder hochspringen konnte, hatte er sie und stieß sie herum, dass sie auf dem Rücken zu liegen kam. Und presste er sie auch mit seinem Knie zu Boden, hörte sie nicht auf sich zu wehren. Alle üblen Beschimpfungen ausstoßend, die ihr in den Sinn kamen, riss sie mit beiden Händen an seiner dunklen Mähne und suchte blindlings, ihm mit den Nägeln das Gesicht zu zerkratzen.

Auf der Miene des Angreifers machte sich Erstaunen breit, hatte er doch mit einer solch grimmigen Verteidigung nicht gerechnet. Aber er beherrschte die Lage mühelos, indem er ein Bein herumwarf und sie rittlings mit seinem Gewicht niederdrückte. Dann steckte er mit einer gewissen Lässigkeit die Hand unter seinen Rock und zog ein Messer hervor.

Da brach ein wildes Schluchzen von Alines Lippen. Lieber Gott, lass mich noch nicht sterben, betete sie verzweifelt. Nicht jetzt, nicht hier, nicht so!

Aber anstatt ihr die Kehle durchzuschneiden, schlitzte der Mann nur mit geübter Bewegung ihren Rock von oben bis unten auf, was ihr in Erinnerung an die Gewalt, die Dickon ihr anzutun im Begriff gewesen, die Galle hochtrieb. Noch einmal verdoppelte sie ihre Anstrengungen, sich von ihm zu befreien, indem sie ihm wie entfesselt beide Fäuste gegen die Brust schlug und wild um sich trat.

„Wagt es nicht, mich anzurühren!“, brüllte sie laut bei dem Versuch, ihm das Messer zu entwinden.

Zuerst trat in die blauen Augen des Angreifers ein ungläubiger Ausdruck; dann aber verzog er wie von ihrer Unterstellung abgestoßen den Mund.

„Ihr haltet Euch wohl für unwiderstehlich, Mylady! Nur keine Angst: Für mich entbehren Frauen, die sich wehren, jeglichen Reizes.“

Da brach ihr vor Erleichterung ein Schluchzen aus der Brust, und sie sackte in sich zusammen, worauf ein milderer Ausdruck auf sein Gesicht trat. „Seid versichert, dass Eure Keuschheit nicht in Gefahr ist“, versetzte er, schnitt darauf einen Stoffstreifen von ihrem Rock ab und band ihr damit die Hände auf dem Rücken zusammen. Anschließend fasste er sie um die Taille und stellte sie auf die Füße; und all ihr Widerstand dagegen nützte nichts, denn er war stärker als sie.

„Los jetzt, bewegt Euch“, befahl er, indem er ihr einen sanften Schubs gab.

Aline aber warf sich in der Hoffnung, ihn damit zu überraschen, mit aller Kraft rückwärts gegen ihn, worauf er das Gleichgewicht verlor. Da schlug sie wild auf ihn ein und trat ihm obendrein mit der Hacke gegen die Kniescheibe; und als er sich vor Schmerz stöhnend zusammenkrümmte, rannte sie davon, indem ihr ein rauer Aufschrei aus der Kehle drang.

Doch schaffte sie nicht mehr als sechs Schritte, bis er sie eingeholt hatte, mit einer Hand von hinten am Ausschnitt ihres Kleides packte und sie an seine Brust zog, indem er ihr mit dem anderen Arm die Kehle abpresste. Dann sank er mit ihr auf die Knie, wobei sein Bart sie eigentümlich im Nacken kratzte, während sie sich wand wie ein Aal, um seinen starken Armen zu entkommen. Inzwischen rauschte das Blut ihr vor Aufregung und Empörung in den Ohren, denn sie gab alles; ihm aber stand nicht einmal der Schweiß auf den Brauen.

Mit einem weiteren Stoffstreifen von ihrem Rock band er ihr auch die Füße zusammen, wobei sie unablässig bockte und wüste Beschimpfungen ausstieß. Er aber lachte nur und stopfte ihr den Mund mit seinem Halstuch, worauf er sich mit dem Rücken an einen Baum setzte, Beine und Arme kreuzte und wartete, dass sie sich beruhigte. Denn immer noch drehte und wand sie sich vor ihm auf dem Waldboden und durchbohrte ihn mit hasserfüllten Blicken.

Er aber tat gar nichts. Als sei ihr Zorn ihm einerlei, wartete er in aller Seelenruhe, bis sie aufgab. Letztendlich lag sie still, von ihrem Elend überwältigt.

„Es freut mich, dass Ihr Vernunft annehmt.“ Damit erhob er sich, packte die junge Frau und legte sie sich wie einen Sack über die Schulter, als wiege sie nicht mehr als ein Zweiglein. Und während er sie mit federnden Schritten zum Lager zurücktrug, pfiff er ein Liedchen vor sich hin und schien bereits vergessen zu haben, wie hart sie mit ihren Stiefeln gegen seine Brust getreten hatte.

Diese würdelose Art der Beförderung Alines endete erst, als sie wieder beim Karren ankamen, wo man den beiden Wächtern die Erleichterung anmerkte, sie wieder eingefangen zu sehen. Besonders der Junge, der ein rotes Mal auf der Wange trug, wo er wohl einen Backenstreich erhalten hatte, schien beruhigt.

„Ich bitte um eine Erklärung, Duncan“, richtete der Mann in Schwarz das Wort streng an den älteren Wächter. Dieser salutierte.

„Der Junge ließ sich reinlegen, versprach aber, dass so etwas nie wieder vorkommt“, erklärte er mit grimmiger Miene.

„Dann will ich die Sache als erledigt betrachten“, versetzte der Anführer, fügte aber mit Blick auf den Jüngling hinzu: „Geschieht aber noch etwas in dieser Art, hast du dich mir persönlich zu verantworten.“

Mit vorwurfsvollem Blick auf Aline, die ihn derart in Verlegenheit gebracht hatte, murmelte dieser eine Entschuldigung, worauf der Mann in Schwarz sie im Karren auf ihr Lager warf.

„So, Mylady, da wären wir wieder. Ich hoffe, Ihr seht ein, wie dumm es von Euch war, mir entkommen zu wollen.“ Darauf drehte er sich um und sprang zu Boden. „Wir ziehen weiter“, rief er, worauf der Wagen sich kurze Zeit später in Bewegung setzte und Aline wieder durchzurütteln begann, der deswegen erneut übel wurde.

Ein Schluchzen stieg ihr in die Kehle, welches sie aber unterdrückte, indem sie die Augen schloss und sich zusammenriss. Keinesfalls wollte sie noch einmal speien.

Dabei verfluchte sie Dickon, der sie verraten hatte, wie sich selbst, weil sie auf ihn hereingefallen war und sich letzthin bei ihrer Flucht zu ungeschickt angestellt hatte. Ihre schlimmsten Verwünschungen aber trafen den Mann, der sie wieder eingefangen hatte und dessen Gesicht ihr nicht mehr aus dem Sinn ging.

Wusste sie auch nicht, wie sie es bewerkstelligen werde, wollte sie ihn eines Tages dafür bezahlen lassen, dass er ihr die Freiheit nahm. Jetzt aber fand sie ein wenig Trost darin, sich schmerzhafte Todesarten und Demütigungen für ihn auszudenken; denn sie hielt ihn für einen überheblichen Mistkerl, dem nichts Besseres zukam.

3. KAPITEL

Die Fahrt zog sich über Stunden hin, während derer Aline, die feststellte, dass Knebel wie Fesseln unverrückbar festsaßen, jede Hoffnung aufgab, sich befreien zu können. Und weil das Schaukeln des Wagens wie das konstante Dröhnen des Hufschlags sie schläfrig machten, irrte ihr Geist auf einem schmalen Grat zwischen Traum und Wachen hin und her.

Manchmal erwachte sie mit feuchten Wangen, weil sie im Schlaf geweint hatte, denn die Frage nach dem Grund ihrer Entführung zermürbte sie. Seit Jahren herrschte Frieden im Land, und sie vermochte sich nicht vorzustellen, was den Herzog von Roxholm veranlasst hatte, diesen zu brechen. Und weil es nichts gab, das ihr Sicherheit versprach, und ihr ungewisses Schicksal wie ein Damoklesschwert über ihr hing, fürchtete sie nicht nur um Leib und Leben, sondern auch um ihre Frauenehre.

Als der Wagen plötzlich anhielt, schreckte sie auf und merkte, dass die Dunkelheit eingesetzt hatte und es kälter geworden war. Von den harten Stößen, welche der über unebene Wege holpernde Karren ihrem armen Körper versetzt hatte, war sie wie zerschlagen, und weil niemand daran dachte, ihr etwas zu trinken zu geben, so ausgedörrt, dass sie sich nicht geziert hätte, um Wasser zu betteln. Dazu hatte sie kein Gefühl mehr in ihren kalten Fingern, durch die nur manchmal, wenn sie diese zu bewegen versuchte, ein scharfer Schmerz zuckte. Denn ihre Hände waren so fest zusammengebunden, dass die Fesseln ihr tief in die Gelenke schnitten.

Von draußen hörte sie das Klappern von Gerätschaften, die es brauchte, um ein Nachtlager aufzuschlagen, und bei der Aussicht, in dem dunklen Wagen womöglich vergessen und die ganze Nacht lang liegen gelassen zu werden, zog sich ihr vor Beklemmung die Kehle zusammen. Da zwang sie sich, ihre Atemzüge zu zählen, um bloß die Fassung nicht zu verlieren.

Schließlich hörte sie, wie jemand zu ihr hereinkletterte, und schrie erschreckt auf, als sie bei den Schultern gepackt und zum Sitzen hochgezerrt wurde. Dabei fielen die losen Haarsträhnen des Unbekannten ihr aufs Gesicht, blieben wie stachlige Ranken an den salzigen Tränenspuren auf ihren Wangen hängen und offenbarten auf diese Weise, dass sie geweint hatte. Tief beschämt erkannte sie in dem schwachen Lichtschimmer, den das Feuer von außen durch die Vorhänge warf, den Mann in Schwarz.

Dieser ließ sich jetzt ihr gegenüber nieder, worauf sie ihn zum ersten Mal genauer betrachten konnte. Dabei stellte sie fest, dass er von schöner Statur und etwa zehn Jahre älter als sie selbst war, weshalb sich auf seiner Stirn und um seine Augen feine Linien abzuzeichnen begannen. Schweigend saß er mit aufgestützten Ellenbogen vor ihr und erwiderte sinnend ihren Blick.

Schließlich räusperte er sich und erhob das Wort. „Ich bitte um Verzeihung, Lady Aline, versäumte ich es doch bisher, mich vorzustellen. Ich bin der Hauptmann der Burgwache auf Roxholm und werde Hugh genannt. Um unsere Reise, die noch Tage dauern kann, für beide Seiten angenehmer zu gestalten, möchte ich eine Vereinbarung mit Euch treffen. Zunächst wisset, dass der Leichnam Eures Stallburschen, der für sein ehrloses Handeln die gerechte Bestrafung erhielt, mit Euren Pferden und einer Nachricht von mir nach Leavingham gesandt wurde. Dem Regenten, Eurem Großvater, wird jegliches Handeln untersagt, bis er weitere Anweisungen erhält; missachtet er die Vorgabe, ist Euer Leben verwirkt.“

Kurz schwieg er, als wolle er sicherstellen, dass sie sich seine Worte einprägte, und fuhr dann fort: „Ich würde Euch gern die Fesseln abnehmen, um Euch Eure Lage zu erleichtern, brauche dafür aber Euer Wort, dass Ihr weitere Dummheiten unterlasst. Gebt Ihr es mir nicht, müsst Ihr gebunden weiterfahren: Ihr habt die Wahl.“

Zwar lag Aline manch scharfe Antwort auf der Zunge, doch hinderte das Tuch in ihrem Mund sie daran, diese auch auszusprechen. So blieb ihr nichts, als seinen Blick hasserfüllt zu erwidern, während ihr Körper schmerzte und der Knebel, der ihr Brechreiz verursachte, ihr in die Mundwinkel schnitt.

Und da sie die Lage als hoffnungslos erkannte, nickte sie schließlich, worauf ihr Bewacher sich vorlehnte und das Tuch aus ihrem Mund entfernte. Dabei kam er ihr so nahe, dass sie den guten sauberen Geruch wahrnahm, den er an sich trug und in dem Sattelleder, Pferd und Moschusduft eine eigentümliche Mischung eingingen. Er roch unverkennbar wie ein Mann, der auf sich hielt.

Darauf zog er seinen Dolch und schnitt ihr die Fesseln ab, worauf rote aufgescheuerte Striemen sichtbar wurden, die sich in ihre helle Haut eingegraben hatten. Und als das Blut wellenartig in Alines vorher abgebundene Glieder zurückschoss, rieb sie sich kräftig die Arme, um dem einsetzenden Schmerz entgegenzuwirken.

Dann streckte der Hauptmann den Kopf hinaus und rief nach Wein, der ihm unverzüglich gebracht wurde. Doch als er der jungen Frau den Weinschlauch reichte, konnte sie ihn nicht halten, weil ihre Hände noch ganz taub waren, worauf er sich neben sie kniete und ihn ihr in einer unerwartet freundlichen Geste an den Mund setzte, was ihr so verdächtig vorkam, dass sie die Lippen zusammenpresste.

„Seid versichert, dass der Wein sauber ist“, versetzte er und nahm zum Beweis selbst einen tiefen Zug. „Hier, schön langsam.“

Darauf trank sie in kleinen Schlucken, wobei es sie durcheinanderbrachte, dass ihr Wächter sie auf eine neue Art ansah, die sie nicht einzuordnen wusste. Unvermittelt schlug das Herz ihr schneller, was sie ärgerte.

„Im Wald hättet Ihr mich schon früher wieder einfangen können“, warf sie ihm vor. „Spieltet Ihr Katz und Maus mit mir?“

„Das trifft es nicht“, gab er kopfschüttelnd zurück. „Doch war ich neugierig, was Ihr Euch abzuverlangen im Stande wart. Als ich sagte, Ihr hättet mich beeindruckt, war das nicht nur so dahingesagt, denn Ihr zeigtet wahren Mut. Ihr solltet Euch aber damit abfinden, dass niemand Euch aufspüren und retten wird. Denn ist Euer Einfallsreichtum auch anzuerkennen“, damit zog er ihr Halsband aus dem Beutel, den er am Gürtel trug, und ließ es von seinen behandschuhten Fingern herabbaumeln, „habt Ihr doch nichts damit erreicht.“

Damit zerschlug sich Alines letzte Hoffnung, von Rettern aus Leavingham aufgespürt zu werden. Sie sagte aber nichts dazu und schluckte nur bekümmert, worauf der Hauptmann das Schmuckstück wieder einsteckte und nachdenklich die Augen auf ihr ruhen ließ. Die junge Frau, die ahnte, welch liederliche Erscheinung sie bieten musste, errötete vor Scham. Schließlich war es ihr, seit Dickon sich ihr unsittlich genähert, nicht einmal vergönnt gewesen, ihr Mieder wieder zuzuschnüren, das mehr von ihrer nackten Haut preisgab, als sich gehörte.

„Ihr mögt Euch ein wenig herrichten und Euch uns dann zugesellen“, sagte er nicht unfreundlich. „Denn Jack, der glücklicherweise ein besserer Koch als Wächter ist, hat bereits angefangen, das Abendessen zu bereiten, und Duncan wird Euch eine Salbe geben, die Euren aufgescheuerten Striemen guttut. Und eins noch: Für Eure Notdurft benutzt ausschließlich den Eimer, denn ich will Euch nie wieder im Unterholz suchen müssen. Ich warne Euch ein letztes Mal vor weiteren Fluchtversuchen, denn beim kleinsten Versuch, Euch davonzumachen, werde ich Euch wie ein Brathuhn dressieren und im Karren liegen lassen, bis wir an der Zitadelle angekommen sind.“

Nach kurzem Nicken entfernte er sich, worauf Aline sich hastig das Mieder neu schnürte, ein verirrtes Kämmchen ins Haar zurücksteckte und dann vom Wagen stieg, um einen passenden Ort zu finden, den Eimer aufzustellen. Anschließend bekam sie von Duncan die versprochene Wundsalbe und ging zum Ufer des schmalen Flusses, wo sie sich niederkniete und mit dem kühlen frischen Wasser das Salz der Tränen vom Gesicht wusch. Beim Aufstehen bemerkte sie, dass der Hauptmann sie aus einiger Entfernung beobachtete, und verzog vor Unwillen das Gesicht.

Er lässt mich wohl gar nicht mehr aus den Augen, dachte sie voller Grimm. Denkt er etwa, ich versuche, ihm wegzuschwimmen?

Anschließend setzte sie sich auf das Treppchen am Karren, salbte ihre Wunden und beobachtete, wie die Männer das Lager vollends aufbauten. Dabei holte Duncan einen Stapel dicker Wolldecken aus einer der Truhen im Karren und reichte auch Aline eine zu, denn es war eine kalte Nacht und sie fröstelte bereits. Dazu war sie erschöpft, obwohl sie auf der Fahrt über Stunden vor sich hingedöst hatte, denn sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich.

Als der Hauptmann zu ihr kam, schenkte sie ihm nur einen kühlen Blick, doch fasste er überraschend ihre Hände, schob ihr die Ärmel hoch und untersuchte vorsichtig die wunden Striemen an ihren Gelenken.

„Wird es schon besser?“, fragte er in schroffem Ton, worauf sie wortlos nickte, denn die Salbe entfaltete eine gute Wirkung.

„Da habt Ihr Glück“, versetzte er und verschwand kurz im Wagen, um mit einem Paar eiserner Handschellen an einer langen Kette wiederaufzutauchen. Da wurde ihr klar, was er vorhatte, und sie zog vor Ärger scharf die Luft ein, worauf er erst die Kette durch die Radspeichen fädelte und seiner Gefangenen anschließend die eisernen Fesseln anlegte. Immerhin aber hatte die Kette eine ordentliche Länge und erlaubte es ihr, sich ans Feuer zu setzen oder sich im Karren auf ihr Lager zu betten.

„Das Wort eines Mannes aus Roxholm erweist sich als von geringem Wert“, tadelte sie ihn in spöttelndem Ton, doch ihr Blick war zornig.

„Glaubt mir, ich will ruhig schlafen und keine Nachtstunde damit vergeuden, auf Euch achtzugeben“, versetzte er. „Am Morgen nehme ich Euch die Kette wieder ab.“

Mit seiner herablassenden Art brachte er Alines Blut zum Kochen, doch versprach sie sich keinen Vorteil davon, mit ihm zu streiten. Vielmehr wechselte sie das Thema, indem sie forderte: „Dann gebt mir wenigstens mein Halsband zurück.“

„Nein“, antwortete er entschlossen, „Euer Schmuck ist bei mir vorerst gut aufgehoben. Wir wollen sehen, wie Ihr Euch in Zukunft aufführt …“

Aufgebracht entriss sie ihm ihre Hände, die er noch in den seinen gehalten hatte, worauf er ein tiefes anerkennendes Lachen hören ließ, ganz so, als zolle er ihr Respekt für ihren Widerstandsgeist, und sich verbeugte, bevor er ging. Aline aber, die bis aufs Blut gereizt war, blieb nichts übrig, als mit den Fingern an ihren Ärmeln herumzuzupfen, bis sie genügend Stoff zwischen die scharfen Eisen und ihre geschundene Haut gebracht hatte, um weiteren Schürfwunden vorzubeugen; am schlimmsten aber war ihr, dass sie sich zutiefst gedemütigt fühlte. Und während sie vom Karren aus die drei Männer beobachtete, die kartenspielend und biertrinkend am Feuer lagen, ohne ihre Gefangene eines Blickes zu würdigen, dachte sie mit tiefer Sehnsucht an die Burg Leavingham, wo sie zu Hause war.

Später brachte der Junge, Jack, Aline eine Schüssel unerwartet wohlschmeckender Hühnersuppe, die er mit Haferschrot und Sauerampfer angereichert hatte, worauf der Hunger sie so plötzlich überkam, dass sie gierig wie ein Tier darüber herfiel. Zu sehen, dass sein Essen solch großen Anklang bei ihr fand, freute ihn sichtlich, und da das blaue Auge, das ihm zur Strafe versetzt worden war, sich braun zu verfärben begann, erleichterte sie ihr schlechtes Gewissen, indem sie ihm einen Ratschlag gab.

„Beinwell ist ein gutes Mittel bei blauen Flecken“, versicherte sie ihm, „die dann schneller zurückgehen und weniger wehtun.“

„Wäret Ihr uns entkommen, hätten wir das mit dem Tod bezahlt. Und zwar alle drei.“ Mit kläglichem Lächeln legte er eine Hand auf seine geschwollene Wange. „So glaube ich, dass ich noch ganz gut davongekommen bin.“

Ein Schauder durchfuhr Aline, die erst jetzt verstand, was sie beinahe angerichtet hätte. Wie auf ein Kommando drehten beide die Köpfe und blickten zum Hauptmann hinüber, der mit einer leichten Tunika bekleidet im Schneidersitz am lodernden Feuer saß und mit geübten Bewegungen seinen Dolch an einem Wetzstein schärfte.

Beim Anblick des Muskelspiels an seinen Armen war sie unwillentlich beeindruckt, doch den ungehörigen Gedanken, er sei besonders ansehnlich, wenn er sein gewinnendes Lächeln aufsetzte, tat sie eiligst als Unsinn ab.

Er hatte aber bemerkt, dass die junge Frau ihn ansah, und erwiderte ihren Blick mit dem seinen, welchem auszuweichen sie für unter ihrer Würde hielt. Da setzte er den Wetzstein nieder, klemmte sich eine zusammengerollte Decke unter den Arm und kam zu ihr hinüber.

„Ist es gestattet, Mylady?“, fragte er artig, erntete aber nur ein Schulterzucken, während ihr vor Verlegenheit der Herzschlag stockte, fühlte sie sich doch ertappt. Darauf nahm er ihr die leere Schüssel ab, drückte sie dem Jungen in die Hand und wies mit dem Kopf ins Ungewisse.

„Danke, Jack“, sagte er nachdrücklich, worauf der Jüngling, der den Wink verstand, sie allein ließ. Und hatte Aline dem Hauptmann zuerst auch den Rücken zugekehrt, war ihr Wunsch, Genaueres über ihre Lage zu erfahren, stärker, weshalb sie sich kleinlaut räusperte.

„Was will der Herzog von Roxholm von mir?“, fragte sie ihn mit gepresster Stimme.

Er kreuzte die Arme vor seiner breiten Brust und schüttelte den Kopf. „Das kann ich leider nicht beantworten, denn der Herzog sprach nicht mit mir darüber.“

„Und was hatte es mit Dickon, dem elenden Verräter, auf sich?“

Darauf setzte er sich so nahe neben sie auf die Treppenstufe, dass er einen Moment lang ihre Schultern streifte und sie die Wärme spürte, die von ihm ausging. „Sicher ahnt Ihr bereits, dass der Stallknecht für meinen Herrn im Einsatz war. Früher arbeitete er in der Zitadelle, wurde dann aber eines Vergehens für schuldig befunden, das ihn wohl den Kopf gekostet hätte, wäre ihm nicht gestattet worden, sich zu rehabilitieren, indem er Euch uns zuführte.“ 

Empört über das Versagen der Sicherheitsoffiziere ihres Großvaters in der ganzen Angelegenheit, schwieg sie.

Autor

Elisabeth Hobbes

Elisabeth Hobbes‘ Karriere als Autorin begann damit, dass sie mit ihrem ersten Roman 2013 beim „So You Think You Can Write“-Wettbewerb des Verlagshauses Harlequin Enterprises den dritten Platz belegte. Sofort wurde sie von Harlequin, dem Mutterhaus von CORA, unter Vertrag genommen und hat seitdem acht historische Romane veröffentlicht.

Obwohl das...

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