Die süßeste Versuchung bist du

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Eine eigene Chocolaterie in einem schottischen Castle in den Highlands! Bonnie sollte sich freuen über ihren neuen Job. Wäre da nicht der faszinierende Schlossherr Ewen Harris. Er sieht einfach viel zu gut aus, in seiner Nähe verspürt Bonnie jäh Schmetterlinge im Bauch. Doch nach einer schmerzlichen Trennung hat sie der Liebe abgeschworen. Nie wieder will sie sich abhängig von einem Mann machen! Trotzdem kann sie der Sehnsucht nach Ewens Küssen nicht lange widerstehen. Ein Fehler, mit dem sie mehr als nur ihr Herz riskiert?


  • Erscheinungstag 06.08.2024
  • ISBN / Artikelnummer 0800240016
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Als Bonnie den Eingang von BenCrag Castle betrachtete, hörte sie im Geiste fast das Hufgetrappel von Pferden, die eine Kutsche über die Steinbrücke zogen. Das oberhalb der Steilküste von Ayrshire thronende Schloss sah nicht so aus, als hätte es seit seiner Erbauung vor 300 Jahren irgendwelche Veränderungen erlebt. Aber von innen war es sicher modernisiert worden. Sonst würde das Schokoladengeschäft, das Bonnie im Schloss eröffnen wollte, ziemlich deplatziert wirken!

„Eigentlich hätte mich ruhig jemand abholen können“, schimpfte sie leise. Es war ein heißer Tag, die Bushaltestelle lag ganz schön weit weg, und Bonnie hatte ihre gesamten Habseligkeiten dabei. Viel war das allerdings nicht, obwohl ihr Ex-Freund Ed sie zu Anfang ihrer Beziehung wie eine Königin behandelt und mit Geschenken überhäuft hatte.

Als Einzelkind war Bonnie von ihren Eltern sehr behütet worden. Umso aufregender waren die Unternehmungen gewesen, die Ed mit ihr gemacht hatte: Dinner in vornehmen Restaurants, Urlaub an exotischen Orten, neue Kleider für ihr neues Leben. Bis dahin waren das Zuhause und das Schokoladengeschäft ihrer Familie ihre ganze Welt gewesen.

Rückblickend verstand Bonnie, wie naiv sie gewesen war. Doch Ed war ihr wie ein Prinz aus den Märchen ihrer Kindheit vorgekommen. Ein Prinz, der sie aus der elterlichen Chocolaterie mit seiner anstrengenden Arbeit entführte und ihr stattdessen ein wunderbares Leben voller Romantik bot. Blind vor Liebe war sie bei ihm eingezogen, obwohl sich dadurch ein tiefer Graben zwischen ihr und ihrer Familie aufgetan hatte.

Erst viel zu spät fiel ihr auf, dass sie für Ed lediglich ein weiteres seiner vielen Besitztümer war. Schon bald hielt er sie nicht nur von ihren Eltern, sondern auch von ihren Freunden fern, fing an, ihr Aussehen zu kritisieren und jede ihrer Handlungen zu hinterfragen. Irgendwann wurde es so schlimm, dass Bonnie kaum noch aus dem Haus ging. Sich von Ed zu trennen kam nicht infrage, denn wohin hätte Bonnie gehen sollen? Sie hatte ja nur noch ihn! Ed setzte sie immer mehr unter Druck, weil er eine Familie gründen wollte. Doch ihr war klar gewesen, dass sie einem Kind so ein Leben nicht zumuten konnte. Dann hatte er das erste Mal die Hand gegen sie erhoben …

Obwohl es so ein heißer Tag war, zitterte Bonnie bei der Erinnerung. Sie hatte ihre Flucht von langer Hand geplant, heimlich Geld zusammengespart und sich an eine Organisation für Opfer häuslicher Gewalt gewandt. Die hatte ihr eine sichere Unterkunft vermittelt und sie überzeugt, Ed anzuzeigen.

Im Frauenhaus hatte Bonnie die Stellenanzeige für das Café auf BenCrag entdeckt und den Herzog überzeugt, dass ein Schokoladengeschäft noch besser geeignet wäre. So würde sie all das, was sie im Familienbetrieb gelernt hatte, endlich anwenden können.

Sie hatte ihn sogar dazu überreden können, sie hier auf dem Schloss wohnen zu lassen. Bonnie konnte es noch immer nicht fassen! Nach dem Albtraum, den sie durchlebt hatte, kam ihr das alles wie ein Märchen vor.

Allerdings erreichte sie den Herzog schon seit Wochen weder telefonisch noch per Mail. Aber vermutlich war er einfach beschäftigt. Und zum Glück hatte sie ja einen Vertrag.

Bonnie atmete tief ein, dann ging sie mit ihrem Rollkoffer durch den Torbogen. Staunend betrachtete sie den Festungswall mit seinen vielen Türmchen. Vor der großen Tür aus Eichenholz mit Eisenbeschlägen blieb sie stehen und betätigte den Türklopfer in Form eines Löwenkopfes. Das dumpfe Geräusch schien durch das ganze Schloss zu hallen. Sie richtete sich auf und strich sich das widerspenstige kastanienbraune Haar glatt.

Nichts passierte.

Bonnie klopfte noch einmal. Beim dritten Mal wurde sie langsam ungeduldig. Wenn nicht einmal genug Personal da war, das die Tür öffnete, wie sollte sie dann genug Kunden für ihr Geschäft bekommen?

Schließlich hörte sie energische Schritte, und ein mürrisch wirkender Mann öffnete die Tür. „Was ist denn?“

Die feindselige Begrüßung brachte Bonnie durcheinander. „Ich … ähm … ich möchte mit dem Herzog sprechen.“

„Wir haben geschlossen.“ Der Mann schlug die Tür einfach wieder zu.

Perplex wich Bonnie einen Schritt zurück. Sie hatte in den vergangenen Monaten zwar langsam ihr Selbstvertrauen wiedergefunden, dominante Männer lösten in ihr aber nach wie vor eine heftige Reaktion aus. Sie hatte eine Therapie gemacht, und Ed saß mittlerweile im Gefängnis, doch die Erlebnisse mit ihm hatten Spuren hinterlassen. Bonnie war Männern gegenüber jetzt sehr misstrauisch.

Am liebsten wäre sie einfach gegangen, aber wohin? Außerdem hatte sie als Mitarbeiterin dieselben Rechte wie dieser Griesgram von einem Butler. Sie klopfte also noch einmal.

Als wieder nichts passierte, beschloss sie, ihre Taktik zu ändern. Der Herzog würde zwar nicht selbst an die Tür kommen, doch er hielt sich bestimmt im Schloss auf. Sie musste also nur an dem ruppigen Mann vorbeikommen, der den Eingang bewachte. Also machte sie sich auf die Suche nach dem Dienstboteneingang. Den gab es bei solchen Anwesen doch immer, damit die vornehmen Herrschaften nicht den Anblick des Personals ertragen mussten.

Doch leider wurde ihr Plan durchkreuzt, denn der mürrische Butler war gerade dabei, Feuerholz zu holen. Als er sie sah, gab er einen genervten Laut von sich. Bonnie schluckte ihre Verärgerung hinunter und wappnete sich innerlich für die Auseinandersetzung. Schließlich war sie fest entschlossen, auf BenCrag einen Neuanfang zu wagen.

„Ich muss mit dem Herzog sprechen. Er erwartet mich.“

„Ach ja?“ Der Mann warf ihr einen skeptischen Blick zu, wirkte aber nicht mehr so mürrisch wie zuvor. Eigentlich sah er ziemlich attraktiv aus. Und ein Butler war er sicher nicht!

Er trug nämlich keine Uniform, sondern eine abgetragene Jeans und ein kariertes Hemd, dessen Ärmel er sich hochgekrempelt hatte. Von der Größe und von der kräftigen Statur her hätte der Mann ein Holzfäller sein können. Aber wenn sie sein Gesicht mit dem perfekt getrimmten roten Bart betrachtete, erinnerte er Bonnie eher an einen Filmschauspieler. Und zwar an einen ziemlich attraktiven Filmschauspieler …

Schnell rief Bonnie sich in Erinnerung, warum sie hier war. Der einzige Mann von Interesse war der, der ihr eine Arbeit und ein Zuhause zugesagt hatte.

„Ja, ich übernehme das Café und mache daraus ein Schokoladengeschäft. Ich habe mir auch schon einen Namen dafür ausgedacht: Chocolate Dreams! Würden Sie also bitte Ihrem Chef sagen, dass ich da bin?“

„Meinem Chef?!“, wiederholte der Mann lachend.

„Ja. Dem Herzog. Dem Besitzer des Schlosses, mit dem ich in schriftlichem Kontakt war.“ Bonnie seufzte entnervt. Sie hatte in den letzten Monaten wirklich genug Stress erlebt. Jetzt sollte endlich ihr neues Leben losgehen: Bonnie Abernathy 2.0.

Der Mann legte die Holzscheite wieder ab und richtete sich auf. „Das muss mein Vater gewesen sein. Er ist leider letzten Monat verstorben. Ich bin der neue Schlossherr. Der neue Herzog von Arbay.“

Bonnie fand es traurig, dass sie den alten Herzog nun nie kennenlernen würde. Denn er hatte an sie geglaubt und ihr damit neue Zuversicht geschenkt – und die Chance auf einen Neuanfang. Gleichzeitig machte sie sich Sorgen darüber, was nun aus ihr werden würde. Denn ohne diese neue Stelle hätte sie nichts. Ihr Schicksal lag also in den Händen des Mannes, der ihr gegenüberstand.

„Das tut mir sehr leid. Er wirkte wirklich nett“.

Der jungen Frau war die Bestürzung deutlich anzusehen. Auch für Ewen waren die vergangenen Wochen sehr aufwühlend gewesen. Er beschloss, der Frau zumindest einen Tee anzubieten, damit sie die erschütternden Neuigkeiten besser verkraften konnte.

„Ewen Harris“, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand. Er ging weder auf ihre Bemerkung zu seinem Vater noch darauf ein, dass er ihr vor ein paar Minuten die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte.

„Bonnie Abernathy.“ Etwas kraftlos schüttelte sie ihm die Hand. Von ihrer temperamentvollen Art war nichts mehr zu spüren.

„Bitte kommen Sie doch rein, damit ich uns einen Tee kochen kann.“ Er führte sie in die Küche, bot ihr einen Stuhl an und setzte Wasser auf. Dann durchsuchte er die Schränke nach Tassen.

„Es ist lange her, dass ich hier gewohnt habe“, erklärte er. „Ich bin noch dabei, mich zu orientieren.“ Weil er das edle Porzellan nicht fand, nahm er schließlich die alten Becher, die er seit seiner Rückkehr benutzte.

„Waren Sie hier, als der Herzog gestorben ist?“, fragte die junge Frau und fügte sofort hinzu: „Entschuldigung, das ist natürlich eine viel zu persönliche Frage. Ich bin noch dabei, die Neuigkeit zu verarbeiten.“ Gedankenverloren schlang sie die Finger um den Becher mit heißem Tee, den er ihr hinstellte.

„Nicht schlimm“, versicherte er. „Nein, ich war nicht dabei. Und auch sonst niemand, glaube ich. Mein Vater ist offenbar im Schlaf an einem Herzanfall gestorben.“

„Dann war es ja zumindest ein schneller, friedlicher Tod.“

„Ja. Dafür bin ich auch sehr dankbar.“

Das Gespräch rief bei Ewen die Erinnerung an den Tod seines Bruders Ruari wach. Er war zwar auch schnell gestorben, aber friedlich war es für niemanden gewesen.

„Und Sie sind der neue Herzog von Arbay?“

„Ja. Mein älterer Bruder Ruari kam vor zwölf Jahren bei einem Autounfall ums Leben.“ Das würde er niemals vergessen, und seine Eltern hatten es ihm nie verziehen. Denn Ewen hatte bei dem Unfall am Steuer gesessen. Zwar hatte er damals gerade erst seine Führerscheinprüfung bestanden, und außerdem war die Straße an der Unfallstelle vereist gewesen. Doch seine Eltern hatten ihm trotzdem die Schuld am Tod ihres erstgeborenen Sohnes gegeben.

Deshalb hatte er damals beschlossen, zum Studieren nach England zu gehen. Und wegen der unverhohlenen Ablehnung seiner Eltern war er seitdem kein einziges Mal nach Hause gekommen – bis jetzt. Durch das Testament seines Vaters war Ewen gezwungen, ein Jahr lang im Schloss zu leben. Erst danach konnte er es verkaufen und damit die Erinnerung an die schreckliche Zeit nach dem Tod seines Bruders loswerden.

„Das tut mir wirklich leid“, sagte die junge Frau.

„Es ist lange her“, wiegelte Ewen ab. Er wollte sich nicht mit jemandem, den er gerade erst kennengelernt hatte, über dieses Thema unterhalten.

„Und jetzt leben Sie ganz allein hier? Ohne weitere Verwandte oder Personal?“

Er musste lächeln. Ihre direkte Art gefiel ihm sehr, besonders nach dem Erlebnis mit Victoria. Seine Ex-Freundin hatte ihm zwei Jahre lang etwas vorgemacht und die Gefühle für ihn offenbar nur vorgetäuscht, um von seinem Reichtum zu profitieren. Ewen hatte sich seinen Erfolg selbst erarbeitet: Er hatte eine App entwickelt und sie später für mehrere Millionen verkauft.

„Meine Mutter ist vor zehn Jahren gestorben. Aber ich hatte schon damals keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern.“ Ewen war nicht zur Beerdigung gekommen. Ja, die Verhandlungen zum Verkauf der App waren in vollem Gange gewesen, aber das war nicht der Grund für sein Fernbleiben. Seine Mutter hatte ihn nach dem Tod seines Bruders nicht mehr sehen wollen, also hätte sie ihn auch nicht bei ihrem Begräbnis gewünscht. Außerdem hatte er seinem Vater nicht gegenübertreten wollen. Von dessen Tod hatte er durch seinen Anwalt erfahren. Nun wollte er möglichst schnell alles Nötige erledigen und das Schloss verkaufen, sobald dies möglich war.

Ewen fühlte sich hier nicht wohl und war dankbar, dass es so viel zu tun gab, womit er sich ablenken konnte. Er musste sich um die Finanzen seines Vaters sowie um rechtliche Angelegenheiten kümmern. Sorge bereiteten ihm jedoch die emotionalen Altlasten, die sich mit dem Schloss verbanden.

Er hatte sich sehr angestrengt, um erfolgreich zu sein und den Schmerz über den Tod seines Bruders und die Ablehnung seiner Eltern zu verkraften. Er hatte sich damals unendlich einsam gefühlt. Und jetzt hatte er niemanden mehr.

„Das tut mir leid. Ich weiß, wie schwer das ist. Ich habe mit meinen Eltern auch schon lange nicht mehr gesprochen“, erzählte seine Besucherin.

Als er sie fragend ansah, zuckte sie die Schultern. „Sie mochten meinen Freund nicht. Ich bin zu Hause ausgezogen, um mit ihm zusammenzuleben. Aber es hat nicht funktioniert. Und sie sollen nicht erfahren, dass sie recht hatten.“ Sie fuhr fort: „Deswegen bin ich hier. Um einen Neuanfang zu wagen.“

„Tut mir wirklich leid, dass nun alles anders gekommen ist“, sagte Ewen. „Haben Sie einen Plan B?“ Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn die eigenen Pläne ganz unerwartet über den Haufen geworfen wurden. Noch vor ein paar Wochen hatte er zusammen mit Victoria in London gelebt. Und jetzt war er auf dem Familienanwesen in Schottland – als Single. Der Letzte des Harris-Clans.

Es war natürlich schade für Ms. Abernathy, doch sie würde bestimmt schnell eine neue Stelle finden. Offenbar war sie da anderer Meinung, denn sie sah ihn einen Moment lang sprachlos an.

„Nein, ich habe keinen Plan B“, erwiderte sie dann. „Das hier sollte mein Neuanfang werden. Ich habe kein Zuhause, kein Geld und jetzt offenbar auch keine Arbeit.“

Erst jetzt fiel Ewen auf, dass sie einen Rollkoffer dabeihatte, in dem sich wohl ihr gesamtes Hab und Gut befand. Sie besaß also nur sehr wenig. Und nach ihrer Bemerkung über ihren Freund und ihre Eltern zu urteilen, hatte sie keine leichte Zeit hinter sich. Sie tat ihm leid, doch leider hatte er gerade selbst genug Probleme und konnte sich nicht noch um die Schwierigkeiten anderer Menschen kümmern.

Außerdem war er seit der Enttäuschung mit Victoria schönen Frauen gegenüber sehr vorsichtig, denn es konnte immer sein, dass sie nur auf Geld und Ansehen aus waren. Und bei einer Fremden, die ihm eine rührselige Geschichte auftischte, war erst recht Vorsicht geboten.

„Wissen Sie wirklich nichts von der Sache mit dem Schokoladengeschäft?“ Seufzend stellte Ms. Abernathy ihren Becher ab.

„Nein. Ich war in letzter Zeit vor allem mit der Beerdigung meines Vaters und mit seinem Nachlass beschäftigt. Das Personal hat frei, bis ich das Schloss wieder der Öffentlichkeit zugänglich mache. Von einem Schokoladengeschäft weiß ich nichts. Und ehrlich gesagt, ist das auch nicht mein Problem. Ich habe Ihnen schließlich nicht die Stelle versprochen.“

Das war nicht gerade nett, aber Ewen hatte selbst einiges zu bewältigen. Und obwohl er mit seinem Vater seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte, nahm dessen Tod ihn doch mit. Er war nicht in der Verfassung, eine Fremde aufzunehmen oder eine neue Mitarbeiterin einzustellen.

„Ich habe eine schriftliche und mündliche Vereinbarung, der zufolge ich hier wohnen werde. Sonst wäre ich gar nicht hergekommen.“ Ms. Abernathy unterbrach sich, doch Ewen hatte die Panik in ihrer Stimme gehört. Offenbar ging es hier um mehr als nur um Unannehmlichkeiten. Hatte es etwas mit ihrem Ex zu tun?

Sie tat ihm leid, doch das Ganze war nun einmal nicht sein Problem. Er konnte sich nicht auch noch um eine temperamentvolle Brünette kümmern. „Diese Vereinbarung haben Sie aber mit meinem Vater getroffen und nicht mit mir.“

Ewen wusste nicht, warum sein Vater beschlossen hatte, die Tore seines Familienanwesens der Öffentlichkeit zu öffnen, und ebenso wenig, ob er selbst die Führungen weiter anbieten sollte. Angesichts der unsicheren Zukunft des Schlosses wollte er keine neue Mitarbeiterin einstellen. Und dass sie hier einzog, kam erst recht nicht infrage. Ewen war noch dabei, seine Trennung zu verarbeiten, und ganz sicher keine gute Gesellschaft.

Sie presste die sinnlichen Lippen zusammen. „Ich wurde vom Herzog von Arbay eingestellt und soll hier auf BenCrag Castle arbeiten …“

„Vom früheren Herzog von Arbay“, korrigierte er sie.

„Das mag sein. Aber das Schloss steht noch, samt dem alten Café, das von mir in eine Chocolaterie verwandelt werden soll, und ich bin jetzt hier. Wollen Sie mich wirklich wegschicken, nur um Ihre Macht zu demonstrieren?“

Widerstrebend musste Ewen sich eingestehen, dass ihre kämpferische Art ihm gefiel. Doch die hübsche Brünette würde es ihm nur noch schwerer machen, das Schloss und all die schmerzlichen Erinnerungen, die sich damit verbanden, ein für alle Mal loszuwerden.

„Über das Schicksal des alten Cafés habe ich noch gar nicht nachgedacht. In meinem Leben ist gerade ziemlich viel los.“

„Schön und gut, aber Ihr Vater hätte sicher nicht gewollt, dass ich auf der Straße lande.“

„Mag sein. Allerdings treffe ich jetzt die Entscheidungen zur Zukunft des Schlosses.“ Warum sein Vater ihm diese Verantwortung übertragen hatte, war Ewen immer noch schleierhaft. Die Haushälterin Mrs. McKenzie, der Gutsverwalter Richard und sogar die Studenten, die ehrenamtlich in der Gartenanlage arbeiteten, hätten sicher mehr Interesse daran gehabt als er.

Bonnie Abernathy neigte sich vor. „Ich möchte wirklich keine rechtlichen Schritte ergreifen. Aber auch, falls nur die Presse von der Sache erführe, würde der neue Herzog von Arbay nicht gut dastehen.“

Ewen war sich ziemlich sicher, dass sie bei einem Rechtsstreit keine Chance hätte. Schlechte Publicity konnte er sich allerdings nicht leisten, wenn er das Schloss eventuell wiedereröffnen wollte. Er hatte schon genug damit zu tun, die Menschen vor Ort für sich einzunehmen. Denn die wussten lediglich, dass er das Auto gefahren hatte, in dem sein Bruder ums Leben gekommen war und dass er sich seit Jahren nicht mehr im Schloss hatte blicken lassen. Wenn Ms. Abernathy nun auch noch herumerzählte, er habe sie vor die Tür gesetzt, würde sein Ruf noch mehr leiden. Er musste also in den sauren Apfel beißen.

„Also gut, wir einigen uns auf eine Probezeit. Sie helfen mir ein wenig bei der Wiedereröffnung des Schlosses und ich helfe Ihnen dabei, dass Sie in den Räumlichkeiten des alten Cafés Ihre Schokoladenspezialitäten anbieten können. Und wenn es nicht funktioniert, dann müssen Sie wieder gehen.“ Er würde schon dafür sorgen, dass sie es nicht lange bei ihm aushielt.

„Einverstanden“, sagte sie sofort.

„Es ist leider kein Zimmer vorbereitet.“ Ewen selbst schlief noch in seinem alten Kinderzimmer.

„Das macht nichts, darum kann ich mich gern selbst kümmern. Meist werde ich ohnehin im Laden sein, es gibt ja bestimmt jede Menge zu tun. Wissen Sie schon, wann das Schloss wieder seine Tore öffnet?“ Bonnie Abernathy wirkte wieder deutlich lebendiger und fröhlicher.

„Nein. Momentan gehe ich einen Tag nach dem anderen an.“ Weil er sich etwas überfordert fühlte, hatte er den Mitarbeitern freigegeben, um sich in Ruhe mit allem auseinandersetzen zu können. So ging er mit schwierigen Situationen um, seit Ruari ums Leben gekommen war und er Trauma und Schuldgefühle ganz allein hatte bewältigen müssen.

„Dann sollten wir aber schleunigst Pläne machen. Ansonsten sind wir beide hier für immer ganz allein im Schloss, und das wollen Sie ja bestimmt nicht.“

Nein, auf gar keinen Fall. Die temperamentvolle und zugleich verletzliche Fremde mit den großen braunen Augen, die so unerwartet aufgetaucht war, hatte alles durcheinandergebracht. Und eigentlich hatte Ewen hier doch in Ruhe ganz allein nachdenken wollen. Stattdessen hatte er nun eine Mitbewohnerin und ein Geschäft.

Sein Vater hatte einer Fremden erlaubt, ins Schloss zu ziehen. Und er zwang seinen Sohn, ein Jahr lang hier auszuharren.

Wollte er ihn damit auch nach seinem Tod noch bestrafen?

2. KAPITEL

„Guten Morgen“, sagte Bonnie fröhlich und nahm sich Cornflakes und einen ordentlichen Schuss Milch.

„Morgen.“ Ewen blickte kaum von seinem Handy auf.

Trotz der nicht gerade überschwänglichen Begrüßung setzte sie sich zu ihm an den Küchentisch. Sie waren im Wohnbereich für das Personal. Eigentlich sollte der Herzog wahrscheinlich in dem riesigen Speisezimmer essen, das sie bei einem schnellen Rundgang entdeckt hatte. Doch offenbar fühlte er sich, genau wie sie, in der modernen Landhausstilküche wohler.

Die letzten Tage waren merkwürdig gewesen. Der Herzog und sie wohnten zwar zusammen, liefen sich aber nur manchmal zu den Mahlzeiten über den Weg. Bonnie hatte sich ihr Zimmer wohnlich gemacht, ihren Koffer ausgepackt und das Bett bezogen.

Doch natürlich konnte er sie jederzeit wieder auf die Straße setzen. Sie hatte keinen Vertrag mit ihm, und er wollte sie eigentlich nicht hierhaben. Unter anderen Umständen hätte sie nicht so gekämpft, doch das Zimmer und die Stelle im Schloss waren alles, was ihr geblieben war. Und sie hatte sich so auf ihr neues Leben gefreut!

Außerdem wurde sie hier im Schloss nicht an das erinnert, was sie viel zu lange ertragen hatte. Bonnie beschloss, sobald wie möglich etwas Geld zur Seite zu legen, bis sie genug Eigenkapital hatte, um einen Kredit für ein eigenes Haus zu bekommen. Deshalb war jetzt am wichtigsten, dass sie Ewen nicht verärgerte und solange weiter hier wohnen konnte. Leicht machte er es ihr nicht gerade.

Dass sie ihm indirekt mit rechtlichen Schritten gedroht hatte, war kein kluger Zug gewesen. Doch Bonnie hatte keine andere Wahl gehabt und war bereit gewesen, für ihre Chance auf ein neues Leben zu kämpfen. Außerdem hatte sie wirklich genug von Männern, die über ihr Leben bestimmen wollten.

„Ich gehe nachher einkaufen und bringe dann auch Milch und Cornflakes mit. Ich will ja keine egoistische Mitbewohnerin sein“, sagte Bonnie zu Ewen, der sie konsequent anschwieg.

„Das will ich auch hoffen. Und Sie sind nicht meine Mitbewohnerin, sondern eher eine Art Hausbesetzerin, die ich nicht loswerden kann“, erwiderte er, ohne aufzublicken.

Bonnie wusste ja, dass Ewen gerade seinen Vater verloren hatte. Trotzdem fand sie seine Gereiztheit und seine offene Ablehnung schwer zu ertragen. Aber angesichts ihrer Situation musste sie nun einmal damit zurechtkommen.

Die angespannte Atmosphäre erinnerte sie leider ein wenig an das Zusammenleben mit Ed. Damals hatte jedes falsche Wort Konsequenzen gehabt – nur dass es diesmal nicht um körperliche und psychische Misshandlung ging, sondern um den Verlust ihrer Arbeit und ihres Zuhauses. Hoffentlich würden die anderen Mitarbeiter bald zurückkommen, sodass der missmutige Herzog abgelenkt war und ihre Anwesenheit ihm gar nicht mehr auffallen würde.

„Das sind ja harte Worte. Aber vielleicht kann ich Sie ja mit meinen Schokoladenkreationen überzeugen. An Schokolade wird es hier künftig nie wieder mangeln“, sagte sie. „Wie sieht es denn aus? Gibt es ein Budget für die Renovierungsarbeiten? Ich habe mir schon so viele Gedanken gemacht! Auch wenn Chocolate Dreams kein Café sein wird, könnten wir ja trotzdem im Laden so einen modernen Kaffeeautomaten aufstellen, damit die Gäste etwas länger bleiben.“

Seit Bonnie den Vertrag mit dem verstorbenen Herzog in der Tasche hatte, dachte sie darüber nach, wie sie das Geschäft gestalten würde. Plötzlich schienen ihr lauter Möglichkeiten offenzustehen! Und sicher wollte doch auch der neue Herzog, dass das Geschäft ein Erfolg wurde.

Mit finsterer Miene sah er sie an. „Jetzt lassen Sie mal die Kirche im Dorf. Wir wissen ja noch nicht mal, ob der Laden laufen wird. Ich will kein Geld für etwas ausgeben, das es nach einem Jahr vielleicht schon gar nicht mehr gibt. Schreiben Sie einfach eine Liste mit allem, was für die Grundausstattung benötigt wird. Und dann sehen wir weiter.“ Ewen stand auf und stellte seinen Kaffeebecher in die Spüle.

Bonnie atmete tief durch und zählte im Geist bis zehn. „Alles klar, Chef“, sagte sie dann. Auf keinen Fall würde sie sich von seinem Pessimismus die Vorfreude auf ihr neues Projekt nehmen lassen. Erst einmal hieß es auf die Zunge beißen und dankbar für das sein, was er ihr – wenn auch widerstrebend – zugestanden hatte. Sobald ihm klar wurde, wie talentiert sie war, würde er sicher bereitwilliger in das Geschäft investieren. Mehr als das! Wenn Ewen erst einmal ihre Schokolade probierte, würde er darauf bestehen, dass sie für immer im Schloss blieb …

„Den Verkaufstresen und die Kasse, die schon da sind, können Sie ja erst einmal weiter benutzen“, sagte Ewen eine Woche später, als er sich endlich gemeinsam mit Bonnie im alten Schlosscafé umsah. Nach wie vor stellte sie für ihn eine unerwünschte Ablenkung dar. Morgens sah er sie immer im Morgenmantel, der ihr kaum bis über den wohlgeformten Po reichte. Und ständig wollte sie im Schloss Veränderungen anstoßen. Dass sie ehrgeizig war und versuchte, das Beste aus dieser Gelegenheit zu machen, war ja verständlich. Doch er musste vorsichtig sein – sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht.

Eine Frau, zu der er sich hingezogen fühlte, konnte Ewen in seiner jetzigen Situation wirklich gar nicht gebrauchen. Erst recht nicht in Gestalt einer Fremden, in deren Traum er investieren sollte. Durch Victoria hatte er auf schmerzliche Weise gelernt, dass in Bezug auf Beziehungen und sein Geld große Vorsicht geboten war. Möglicherweise war Bonnie Abernathy lediglich auf sein Vermögen aus und setzte ihre weiblichen Reize ganz bewusst ein. Schließlich hatte sie kein Geld, und er musste auf Außenstehende wie eine vielversprechende Geldquelle wirken.

Ewen würde das Schloss verkaufen, sobald die Bedingungen seines Vaters erfüllt waren. Dafür hatte er bereits Kontakt zu einem Immobilienmakler aufgenommen. Es war also nicht sinnvoll, vorher noch viel Geld zu investieren.

Sie war offensichtlich nicht begeistert von seinem Vorschlag. „Kann ich denn zumindest ein bisschen renovieren?“

„Na klar.“ Schwungvoll stellte er einen Farbeimer auf den Tisch.

Bonnie rümpfte die Nase. „Beige?“

Autor

Karin Baine
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