Dirty Love - Ich will dir gehören!

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Als ich Donovan Kincaid zum ersten Mal traf, war mein Schicksal besiegelt … In seiner Welt drehte sich alles um Geld, Sex und Macht, und das zog mich magisch an. Obwohl ich wusste, dass ich mir die Finger verbrennen würde, konnte ich nicht anders. Ich war unschuldig - und er hat mich zerstört.

Jetzt, zehn Jahre später, hatte ich mein Leben endlich wieder im Griff und gerade einen tollen Job bekommen. Alles war perfekt. Bis ich meinen neuen Chef sah: Donovan Kincaid, so schön und dominant wie damals! Plötzlich gab es wieder nur noch eins, was ich wollte: Ihm gehören …


  • Erscheinungstag 02.07.2018
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767938
  • Seitenanzahl 368
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Kein Mann auf der ganzen Welt konnte küssen wie Weston King.

Als sein Gesicht sich zu meinem hinabsenkte, stockte mir der Atem in der Kehle. Als sein Mund auf meinen traf, sprühten die Funken. Als seine Zunge zwischen meine Lippen glitt, schwebte ich im siebten Himmel. Ich sah Sterne, genau wie die alberne Redewendung besagte. Mir schlug das Herz gegen den Brustkorb. Eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper. Schmetterlinge drehten in meinem Bauch ihre Runden. Mit jeder Zelle, jeder Faser meines Leibes spürte ich, wie er in mich eindrang. Sein Kuss verwandelte meinen Körper in etwas Größeres. Etwas Brennbares. Etwas Aufgeladenes. Etwas Flammendes …

Wenigstens stellte ich mir seine Küsse so vor.

Denn meine Schlüsse zog ich allein aus Beobachtungen. Und beobachtet hatte ich ihn reichlich.

Das Mädchen, für das er sich an diesem Abend entschieden hatte, schien jedenfalls kurz davorzustehen, in Flammen aufzugehen, so wie sie sich an ihm rieb. Nichette? War das ihr Name? Oder Nikita? Der Lärm der Party hatte es schwer gemacht, ihren Namen zu verstehen, als sie sich ihm vor einer Stunde vorgestellt hatte, und seitdem hatte er ihn nur ein- oder zweimal benutzt. Es war irgendetwas Ungewöhnliches und ein bisschen Abgehobenes und vermischte sich mit den anderen ungewöhnlichen, abgehobenen Namen seiner früheren Eroberungen.

Ein Junge, den ich aus meinem Ökonomie-Seminar kannte, stolperte mit seinen Freunden lachend an mir vorbei. Ich presste mich enger an die Wand und umklammerte meinen roten Plastikbecher, um nichts zu verschütten. Auch wenn es mir ziemlich egal war, welches Craft Beer diese Woche in den Fässern war, zählte das zu meinen Lieblingsdingen an den Partys bei The Keep. Die Hauptattraktionen waren immer Bier und Schnaps. Die meisten anderen reichen Harvard-Studenten versuchten, mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und Mischungen, die so experimentell waren, dass die FDA, die amerikanische Arzneimittelbehörde, noch keine Zeit gehabt hatte, sie zu genehmigen, die Massen zu ihren Soireen zu locken.

Die Jungs von The Keep hielten es schlicht und – bis auf Alkoholkonsum von Minderjährigen – legal. »Für alle, die sich keine Lücke im Lebenslauf wünschen«, hatte ich Brett Larrabee sagen hören, den selbst ernannten Manager des Hauses. Normalerweise war er gerade dabei, irgendeinen Jungen mit seinem üblichen Anmachspruch »eines Tages sitze ich im Senat« dazu zu bringen, ihm den Schwanz zu lutschen. Das musste ich ihm lassen: Normalerweise funktionierte es.

Das Beste an den Partys von The Keep war eindeutig Weston King. Ehrlich gesagt war er der einzige Grund, warum ich überhaupt zu diesen Gelagen ging. Ich war vollkommen fasziniert von ihm, einfach nur, weil er heiß, charmant und reich war. Er war meine Sucht. Meine Obsession. Mein Traummann.

Ja, diese Hormone – man musste sie einfach lieben.

Weston war mir schon am ersten Tag vom Einführungsseminar in die Geschäftsethik aufgefallen. Ich hatte mich vorne in den Saal gesetzt (genau so ein Mädchen war ich eben), und er war zu spät gekommen (genau so ein Junge war er eben) und hatte wegen irgendetwas auf seinem Handydisplay gegrinst. Das Grinsen war immer noch auf seinem Gesicht, als er das Handy schon wieder in die hintere Hosentasche gesteckt hatte. Seine blauen Augen schienen zu leuchten. Eisblaue Augen. Das Seminar fand in einem Hörsaal statt, sodass er ein paar Sekunden brauchte, um den Raum zu durchqueren, und ich konnte nicht aufhören, ihn dabei anzustarren. Ich beobachtete ihn die ganze Zeit. Sah zu, wie er sich mit der Hand durch die blonden Haare fuhr, die ihm bis in die Stirn fielen. Sah zu, wie er dem Assistenten des Professors zuzwinkerte, der ihn wegen seines Zuspätkommens wütend anfunkelte. Dieser Typ hatte Selbstbewusstsein. Fast schon zu viel. Genau wie all die adretten, reichen Kinder, die es wegen großzügiger Spenden und ihres Familiennamens nach Harvard schafften. Er war die Art Mensch, die ich hassen wollte, und ich war mit meinem Stipendium und dem Ersparten meines Vaters nach Cambridge gekommen mit dem Plan, genau das zu tun.

Aber dann waren sich unsere Blicke begegnet, und ich weiß nicht einmal, ob er mich wirklich gesehen hatte … Aber ich hatte ihn gesehen, und was ich sah, war absolut faszinierend: Leichtigkeit und Charme, die erhabene Ausstrahlung der Oberschicht. Alles in mir kribbelte. Ließ mich schwerer atmen. Ließ mich rot anlaufen wegen Gedanken, die für ein Ethik-Seminar viel zu schmutzig waren. Und es ließ mich auf jeden Fall vergessen, dass ich vorgehabt hatte, ihn und seine Art zu hassen.

Stattdessen wollte ich mehr herausfinden.

Mehr über ihn zu erfahren war nicht kompliziert. Sein Vater war Nash King, Miteigentümer von King-Kincaid Financial, einer der größten Investmentfirmen der Welt, und die Leute redeten über ihn, ohne dass man groß fragen musste. Ich hatte bald herausgefunden, dass er im ersten Jahr war, so wie ich, und dass er mit ein paar anderen in einem dreigeschossigen Backsteinhaus zehn Minuten vom Campus entfernt wohnte, das schon so lange von den Nachkommen der reichen Familien bewohnt wurde, dass niemand mehr wusste, warum man es The Keep nannte. Das Haus war berühmt für die Partys, die dort jedes Wochenende stattfanden. Und obewohl es Ende Oktober war und Weston noch kein Wort mit mir gesprochen hatte oder mich auch nur direkt angesehen oder sich auch nur hatte anmerken lassen, dass er von meiner Existenz wusste, war ich bei jeder einzelnen gewesen.

Jedes Mal verbrachte ich den Abend damit, in einer Ecke versteckt zuzusehen, wie er mit irgendeinem Mädchen herummachte. Immer in einer anderen Ecke. Immer ein anderes Mädchen. Ich hatte versucht herauszufinden, ob er einen bestimmten Typ hatte, aber mir war noch kein Muster aufgefallen. Diese hier hatte rote Haare. Die von letzter Woche war blond gewesen. In der Woche davor hatte das Mädchen fast genauso braune Haare wie ich gehabt, aber mehr Kurven. Die Rothaarige war so dürr wie ich, aber sie hatte sich dazu offensichtlich ein Paar Brüste gekauft. Ein anderes Mal war er mit einem Mädchen zusammen gewesen, das noch flacher als ich war. Kein Muster. Kein Typ. Fast war es so, als müsste ich nur den Mut aufbringen, mit ihm zu reden, und dann, vielleicht …

Aber was dann?

Ich machte mir nichts vor. Ich wusste, dass ich ihm nichts Besonderes zu bieten hatte. Es gab keine Falle, die zuschnappte, sobald Westons Schwanz in mir steckte. Er würde mich vögeln, und das war es dann. Nur wäre danach meine Besessenheit von ihm noch jämmerlicher, weil ich nicht nur ein Mädchen war, das sich verknallt hatte – ich wäre ein Psycho, der nicht loslassen konnte.

Trotzdem träumte ich davon, dass es bei mir anders wäre. Dass er mich eines Tages bemerken würde, und da wären Funken, und es wären diese ewigen Funken, und wenn ihm dann klar wurde, dass ich mich für jemanden genau wie ihn aufgespart hatte, würde er daran arbeiten wollen, mich zu verdienen, und es auch tun. Und es wäre süß und romantisch, und wir lebten glücklich bis ans Ende unserer Tage.

Für jemanden, der Betriebswirtschaft studierte, hatte ich schon immer eine ausufernde Fantasie gehabt. Das war mir durchaus bewusst.

»Hey, sexy!« Einer der anderen Hausbewohner – ich hatte wirklich keine Ahnung, wie viele es waren – zog ein Mädchen in einem langen Pullover und bunt bedruckten Leggings an sich heran und versperrte mir so die Sicht. »Lange her, seit wir uns gesehen haben. Willst du bei der nächsten Runde mitmachen?«

Ich umrundete den Billardtisch, den die Jungs statt Esstisch im Esszimmer stehen hatten, und sah mich mit zusammengekniffenen Augen um, bis ich Weston und seinen Fang des Abends wiederentdeckt hatte. Gerade noch rechtzeitig. Sie standen an der Treppe, und er hatte sich zu der Rothaarigen gebeugt und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie antwortete mit einem Kichern und einem Nicken.

Das war er. Der Abgang. Der Augenblick, in dem die beiden verschwanden, um die Dinge auf das nächste Level zu bringen. Den Teil, den ich mir den Rest der Woche bis ins kleinste Detail ausmalen würde – nur dass in meiner Vorstellung ich das Mädchen war, und sehr oft hatte ich bei diesen Tagträumen die Hand in meinen Slip gesteckt.

Ganz ehrlich, vielleicht musste ich wirklich einfach nur flachgelegt werden.

Ich nahm noch einen Schluck von meinem gar nicht so köstlichen Craft Beer und krümmte mich innerlich. Wenn Weston mit seinem Date der Nacht verschwand, trank ich normalerweise aus und ging nach Hause. Er brachte sie jetzt nach oben in sein Zimmer. Wenigstens nahm ich an, dass sich dort sein Zimmer befand. Das obere Stockwerk war Sperrgebiet, die Tür, durch die man dorthin gelangte, sogar abgeschlossen, und auch wenn sie das nicht gewesen wäre, ich wäre nie in ihre Privatsphäre eingedrungen.

Aber als Weston dieses Mal mit seinem Fang die Treppe hochstieg, schloss er die Tür nicht wieder fest hinter sich. Von der anderen Seite des Raumes richtete mein Blick sich auf den Schnäpper, der aus dem Türrahmen ragte, und etwas überkam mich. Etwas Unerklärliches. Denn eben noch stand ich wie immer gegen die Wand gelehnt, und auf einmal schlich ich mich die dunkle Treppe hinauf ins obere Stockwerk von The Keep.

Auf der Treppe war es leise und leer. Am Absatz hielt ich inne. Im oberen Stockwerk brannte kein einziges Licht, meine Augen brauchten einen Moment, um sich daran zu gewöhnen. Direkt vor mir schien sich ein Badezimmer zu befinden. Rechts von mir zweigte ein Flur ab, und links war ein Schlafzimmer, zu dem die Tür einen Spalt offen stand. Als aus dem Schlafzimmer ein Kichern drang, machte ich mich auf Zehenspitzen auf den Weg dorthin, verfluchte mich aber selbst bei jedem Schritt. Was zum Teufel machte ich da überhaupt? Hatte ich vor zu spannen, während Weston irgendeine andere vögelte? Wollte ich, dass er mich plötzlich an der Tür bemerkte und mich einlud? Wollte ich von beiden zum Mitmachen eingeladen werden?

Ja, das war ziemlich durchgeknallt.

Fast hätte ich mich umgedreht.

Ich hätte mich umdrehen sollen.

Aber dann atmete Nicorette auf einmal scharf ein, und ich musste es einfach wissen. Musste es sehen.

Ich schlich mich näher heran, spähte ins Zimmer und wäre fast zurückgesprungen, als ich direkt vor mir das Paar entdeckte, das sich in wilder Leidenschaft küsste. Dann merkte ich, dass ich in Wirklichkeit nur ihr Spiegelbild in einem wandhohen Spiegel sehen konnte. Sie befanden sich auf der anderen Seite des Bettes, wo der Mond durch das Fenster schien und ihre Darbietung beleuchtete.

Und du meine Güte, war das heiß.

Die Rothaarige hatte Oberteil und BH bereits abgelegt, und Weston war über sie gebeugt, saugte an einer Brust und küsste die harte Spitze, während er die andere Brust mit der Hand massierte.

Nikita warf ihren Kopf in den Nacken und stöhnte. Unbewusst streichelte ich meine eigene Brust durch den Pullover und keuchte fast auf, als ich merkte, wie empfindlich und hart ihre Spitze geworden war. Ich musste mir auf die Unterlippe beißen, um kein Geräusch von mir zu geben. Musste die Hände zu Fäusten ballen, um das Pochen zwischen meinen Beinen zu lindern.

Ich sah zu, wie Weston sich das Hemd auszog, und hatte von meinem Standpunkt einen guten Ausblick auf seinen herrlichen muskulösen Rücken. Er war in der Rudermannschaft. Natürlich war er das. So adrett. Reicher Junge eben. Aber diese Muskeln … Gott segne die Rudermannschaft.

Und jetzt öffnete er seine Jeans. Und sie zog seinen Schwanz heraus. Ich spürte, wie ich die Augen aufriss, um einen besseren Blick auf seinen Ständer zu bekommen. Ich wagte es, mich ein wenig weiter vorzubeugen. Trotzdem sah ich nicht mehr als einen dunklen Schatten in der kleinen Handfläche der Rothaarigen, während sie ihn auf und ab rieb.

»Ja, Nicki, genau so.« Das Grollen in Westons Stimme verursachte mir weiche Knie. Ich konnte ihn über das Dröhnen des Basses aus dem Erdgeschoss gerade so hören.

»Nichelle«, berichtigte sie ihn. Genau! Das war ihr Name.

»Okay, Nichelle.« Er bog ihren Kopf zurück, um sie wild zu küssen. Das ging so einige Minuten lang, ehe er sich von ihr löste und aus dem Spiegelbild verschwand – auf mich zu.

Ich kauerte mich in die Ecke, wo die Tür auf den Rahmen traf, überzeugt davon, gleich entdeckt zu werden. Aber Weston schloss einfach nur die Tür.

Ich richtete mich auf, lehnte mich gegen die geschlossene Tür und atmete tief aus.

Denn was zum Geier sollte das gerade?

Ich hätte erwischt werden können. Man hätte mich aus The Keep rauswerfen können, und zwar für immer. Ich hätte jeden Respekt verlieren können, den Weston vielleicht für mich gehabt haben könnte, ehe ich ihn mir auch nur verdient hatte.

Und warum zum Teufel stand ich überhaupt so auf diesen Typen? Ich kannte ihn nicht einmal! Ich musste dringend wieder zu Verstand kommen. Musste mich daran erinnern, warum mein Vater all die Jahre im Möbelgeschäft geschuftet hatte und warum er die Lebensversicherung meiner Mutter gespart und angelegt hatte. Nur damit ich die Schule meiner Träume besuchen konnte. Nicht damit ich die ganze Zeit mit Tagträumen von irgendeinem Playboy mit einem schönen Gesicht verschwendete.

Aber es war wirklich ein so schönes Gesicht.

Gott, ich steckte wirklich in Schwierigkeiten.

»Er wird nie mit dir was anfangen«, ertönte hinter mir aus der Dunkelheit eine Stimme. »Nicht, solange du noch Jungfrau bist.«

Ich kniff die Augen zusammen, und als ich genau hinsah, entdeckte ich ein weiteres Schlafzimmer am Ende des Flurs, bei dem die Tür weit offen stand, und auch wenn ich die Gestalt darin nicht richtig erkennen konnte, sah ich, dass jemand in einem Sessel saß und eine Zigarette rauchte. Oder vielleicht eine Zigarre.

Ich trat einen Schritt vor. Er konnte eigentlich nicht mit mir geredet haben, aber es war auch niemand anderes da. »Wie bitte?«

»Weston fängt nichts mit Jungfrauen an. Das ist eine seiner Regeln.«

Hitze stieg mir den Nacken hinauf und flutete meine Wangen. »Äh …«

»Jetzt bist du beleidigt.«

»Ja. Ich bin beleidigt.« Und es war mir peinlich. Wie lange hatte dieser Typ mich schon beobachtet? Man konnte ja wohl mit Sicherheit davon ausgehen, dass er gesehen hatte, wie ich Weston ausspionierte. Und das war einfach … entsetzlich peinlich. Gott sei Dank war es so dunkel, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte.

»Erklärst du mir auch, warum?«

Ich trat noch einen Schritt vor. Dann noch mehrere. Schritte, die ich die Treppe hinab hätte gehen sollen, solange ich noch das anonyme Mädchen in der Dunkelheit war.

Doch dass ich von einem anderen heimlich beobachtet worden war, ließ mich eine Verbundenheit empfinden wie noch niemals zuvor. Die ganze Zeit, in der ich Weston beobachtet hatte, war es so gewesen, als hätte ich ein Geheimnis gehabt. Und die erste Person, die es herausgefunden hatte, hatte es getan, indem sie mich heimlich beobachtete.

Vielleicht war das aber auch nur eine Ausrede, und ich war einfach einsam. Oder betrunken. Oder dumm.

»Na ja.« Ich blieb im Türrahmen zu seinem Zimmer stehen. »Punkt A, du kannst überhaupt nicht wissen, auf was dein Mitbewohner abfährt und auf was nicht. Und Punkt B, du kannst nicht einfach annehmen, dass ich noch Jungfrau bin.«

Er zog an seiner Zigarre – keiner Zigarette, stellte sich heraus –, und der Rauch füllte den Raum mit einem süßen, holzigen Duft, der mich an Kaminfeuer und alte Bibliotheken erinnerte. »Dem möchte ich widersprechen. Beidem.«

Ich schnaubte hörbar. Was sollte man auf eine solche Dreistigkeit noch antworten?

Eigentlich eine Menge.

Ich straffte die Schultern und wollte gerade loslegen, als er mir zuvorkam. »Hör zu. Ich kenne Weston schon, seit er noch in den Windeln steckte. Ich kenne ihn besser als seine Mutter, ich kenne ihn besser als das Mädchen, das ihm da drinnen gerade den Schwanz lutscht, und ich kenne ihn auf jeden Fall sehr viel besser als du.«

Er kannte Weston wirklich gut, wurde mir da klar. Ich kannte diesen Typen ebenfalls. Er war der Assistent in meinem Ethik-Seminar. Zuerst hatte ich ihn nicht erkannt, jetzt aber schon. Er war Donovan Kincaid, der Sohn des Geschäftspartners von Westons Vater. Ich hatte nicht gewusst, dass er auch hier wohnte. Ich hatte ihn vorher noch nie bei einer Party in The Keep gesehen.

Meine Hände fingen an zu schwitzen, und mein Puls beschleunigte sich.

Donovan war mehrere Jahre älter als wir und arbeitete gerade an seinem MBA, dem Master in Betriebswirtschaft. Auf dem Campus galt er als legendär, weil er brillant und skrupellos war. Seine Geschäftsideen waren nicht nur klug, sondern auch am Puls der Zeit. Er war die Art Mann, die einmal die Welt regieren wird. Groß, attraktiv, mächtig, stark. Scharfsinnig. Auf mich wirkte er allgemein einschüchternd.

Und in dem Augenblick? Machte er mir eine Scheißangst.

»Was deine Jungfräulichkeit angeht«, fuhr er fort, »die trägst du wie eine Medaille.«

»Tue ich nicht.« Tat ich irgendwie schon. Ich befand mich gerade auf einer Uni-Party in einem formlosen Pullover und Jeans. Die Haare hatte ich zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich trug Doc Martens, von denen meine Mitbewohnerin meinte, sie seien schon seit mehr als zehn Jahren aus der Mode. Ich versuchte nicht absichtlich, plump zu wirken. Ich hatte es nur gerne bequem. Und als ältere Schwester, ohne eine Mutter im Haus, hatte ich nie jemanden gehabt, der mir beigebracht hätte, wie man sich als Mädchen verhielt.

»Es gibt wirklich keinen Grund, beleidigt zu sein«, sagte Donovan und nippte an der goldbraunen Flüssigkeit in seinem Glas. Whisky, vermutete ich. Irgendetwas verriet mir auch, dass es in jener Nacht nicht sein erstes Glas gewesen war. »Ich will dich nicht kritisieren. Tatsächlich wollte ich meine Hilfe anbieten.«

Ich brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, was er meinte. »Oh, bitte.«

»Das war kein Scherz. Sollen wir die Pros und Kontras abwägen?«

Ich neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn, als würde ich ihn in der Dunkelheit sehen können. Bot er mir tatsächlich an, mit mir zu schlafen? Er hatte offensichtlich keine Ahnung, wer ich war.

»Ich, äh, denke nicht.« Ich zupfte mir am Pferdeschwanz, eine nervöse Angewohnheit von mir. »Es liegt bestimmt daran, dass hier kein Licht ist oder dass wir hier so viele sind, aber ich bin in deinem Seminar Einführung in die Geschäftsethik. Ich bin deine Studentin.«

Er streckte sich zur Seite aus und zog an einer Schnur, um die Lampe neben sich anzuschalten. Ich blinzelte ein paarmal in das erleuchtete Schlafzimmer. Er trug einen schlichten schwarzen Pullover und Jeans. Seine Füße waren nackt. Sein unordentliches Haar schien im trüben Licht roter zu sein, und in seinen grünen Augen waren mehr braune Flecken. Er sah dadurch schroffer aus als normalerweise. Intensiver. Seine Wangen trugen auch dazu bei. Sie waren mit Stoppeln bedeckt, als hätte er sich seit dem Seminar am Tag zuvor nicht rasiert, und auch wenn ich noch nie zuvor diesen Impuls verspürt hatte, wollte ich mit der Hand über diese Stoppeln streichen. Wollte wissen, wie sie sich an meiner Haut anfühlen würden. Waren sie weich? Kratzten sie? Wer war die letzte Frau, die ihm mit der Hand über die Wange gestrichen hatte? Hatte er sie geliebt? Ich betrat das Zimmer.

»Ich weiß, wer du bist, Sabrina Lind.« Donovans Aussage versetzte mich mit einem Schock zurück in die Gegenwart. »Im Durchschnitt siebenundneunzig Komma drei. Du bist Stipendiatin, deshalb ist das wichtig. Verpasst nie den Unterricht. Sitzt immer vorne rechts. Chad Lee schreibt in Tests bei dir ab, aber das weißt du nicht. Deine Essays tendieren ins Detailreiche, aber sie sind kreativ, das respektiere ich. Mir gefiel deine Meinung über die unfaire Kündigung von Peter Oiler bei Winn-Dixie, aber deine Beurteilung von Fords Entscheidung, die früheren Versionen des Pinto nicht umzubauen, war etwas kurzsichtig.«

Ich sperrte den Mund auf. Es gab zu viel, auf das ich reagieren musste. Ich entschied mich für die einfachste Antwort zuerst. »Fords Entscheidung hat Menschenleben gekostet.«

»Sie hat der Firma Geld eingebracht. Das nennt man das Nützlichkeitsprinzip.« Sogar wenn er so herzlos war, klang seine Stimme noch sanft, wie der edle Scotch, von dem ich vermutete, dass er ihn noch auf der Zunge schmeckte.

Ich fragte mich kurz, wie er auf meiner Zunge schmecken würde.

Genauso schnell verbannte ich den Gedanken wieder aus meinem Kopf. »Und ich dachte, das Seminar hieße Geschäftsethik.« Der Fall, von dem er sprach, hatte mich aufgewühlt. 1970 hatte man bei Ford im Modell Pinto einen Fehler gefunden, der Hunderte Menschen das Leben kosten oder sie verletzen würde. Statt ihn aber zu korrigieren, hatte die Kosten-Nutzen-Analyse ergeben, dass es billiger wäre, die Prozesskosten zu tragen, von denen auszugehen war. Also hatten sie keine Änderungen vorgenommen.

»Ich glaube, ich habe euch beigebracht, dass man seine Moral selbst definieren muss.« Donovan lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Er sah mir forschend ins Gesicht, ehe er noch einmal an seiner Zigarre zog. »Das Angebot steht.«

»Welches Angebot?« Ich blinzelte einmal, ehe mir klar wurde, welches Angebot er gemeint hatte. »Bist du taub? Du bist mein Dozent.« Und warum stand ich immer noch da und unterhielt mich mit diesem Menschen? Ich hätte längst gehen sollen. Aber ich rührte mich nicht vom Fleck, so fasziniert war ich von unserem Gespräch, wie ich es höchstens jemals zuvor von Weston King gewesen war.

»Ich bin eigentlich nicht dein Dozent. Ich bin der Assistent des Professors.« Theoretisch stimmte das. Mr. Velasquez unterrichtete offiziell am Montag, Mittwoch und Freitag. Aber er war nur die Hälfte der Zeit anwesend, und selbst wenn er unterrichtete, saß Donovan an seinem Schreibtisch in der Ecke und benotete Arbeiten oder las oder tat, was er sonst so tat, während wir der Vorlesung lauschten. Für mich war er der Dozent.

Anscheinend war eine seiner Beschäftigungen, uns zu beobachten.

Oder beobachtete er nur mich?

Der Gedanke bereitete mir eine Gänsehaut. Ich schlang die Arme um mich und rieb mir mit den Händen die Oberarme.

Donovans Mundwinkel zuckten, als wüsste er genau, was für eine Wirkung er auf mich hatte. »Es verstößt nicht gegen die Vorschriften, wenn ich mich mit den Studenten verbrüdere.«

»Aber nach meiner persönlichen Definition wäre es unmoralisch.«

»Und woran liegt das?« Seine Stimme war nicht nur sanft, sie war warm. Verlockend, sogar mit ihrem bitteren Beiklang.

»Du benotest meine Arbeiten.«

»Und?« Sein Blick war direkt. Intensiv.

Und dieses Gespräch wurde langsam albern. Ich zog sein Angebot nicht ernsthaft in Betracht. Oder doch?

Ich ließ den Blick schweifen und entdeckte dabei einen Fotorahmen auf seinem Kaminsims. Es war ein Bild von Donovan und einer Frau, die lachten, als wäre es ein Schnappschuss. Es konnte vor nicht sehr langer Zeit aufgenommen worden sein – Donovan sah fast genauso alt aus, wie er jetzt war, nur war sein Haar kurz und sauber geschnitten. Und die Frau hatte ich noch nie gesehen. Vielleicht wartete sie zu Hause auf ihn. Oder er hatte mit ihr Schluss gemacht. Oder er betrog sie gerade, indem er mit mir flirtete.

Ich sah ihn wieder an. Offenbar war ihm nicht entgangen, dass ich das Bild betrachtet hatte. »Wenn ich mich mit dir einlasse, wirkt sich das vielleicht auf meine Noten aus«, lautete meine Antwort auf seine letzte Frage.

»Wenn du dich nicht mit mir einlässt, könnte es sich auch auf deine Noten auswirken.« Sein Tonfall wirkte jetzt hart. Kalt.

Ich lächelte angestrengt und verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, während ich versuchte, mich zu entscheiden, ob er einen Scherz gemacht hatte.

Sein Gesichtsausdruck sah nicht danach aus.

Ich schluckte. »Du bist ein Mistkerl.«

»Bin ich das? Du bist diejenige, die hier heraufgekommen ist und etwas von mir wollte.«

»Was meinst du?« Ich hatte das Gespräch völlig aus den Augen verloren, und wo auch immer es sich befinden mochte, ich war mir sicher, ich wollte nicht dabei sein.

»Du bist allein mit mir in meinem Schlafzimmer. Was sollte ich sonst denken, was du von mir willst?«

Ein kalter Schauer durchfuhr mich. Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf. Das Blut wich mir aus dem Gesicht.

Donovan stellte seinen Drink auf den Beistelltisch und beugte sich vor, um sich mit den Ellenbogen auf die Knie zu stützen.

»Verschwinde von hier, Sabrina. Dieses Stockwerk ist während unserer Partys gesperrt. Nächstes Mal, bevor du herkommst, denkst du vielleicht darüber nach, welche Moral sich dahinter verbirgt, dass man sich bei anderen an die Hausregeln halten sollte.«

Ich drehte mich um und rannte die Treppe hinab, ohne noch eine Sekunde zu zögern.

2. Kapitel

Ich sammelte meinen Mantel vom Boden im Erdgeschoss auf, wo alle ihre Jacken ablegten, und rannte nach draußen, schloss den Gürtel um meine Taille, noch während ich die Treppe zum Eingang von The Keep hinunterstürmte. Ich zog mein Telefon aus der Tasche und sah auf die Uhr. Es war zu spät, um zu riskieren, allein zu meiner Wohnung zurückzugehen. Es war nicht weit, aber wir befanden uns auf dem Campus, und ich war die Art Mädchen, die lieber auf Nummer sicher ging. Ich benutzte meine App, um mir eine Begleitung zu organisieren, steckte mein Telefon wieder ein und rieb mir dann die Hände, um sie zu wärmen.

Es war eine kalte Nacht. Der Herbst war genau rechtzeitig über Massachusetts hereingebrochen. Aber auf keinen Fall wollte ich wieder ins Haus gehen. Lieber erfror ich.

Was dumm war. Ich bestrafte mich damit nur selbst, obwohl ich eigentlich Donovan bestrafen wollte. Was zum Teufel sollte das eigentlich?

Ich ließ unser ganzes Gespräch noch einmal Revue passieren, während ich vor dem Haus auf und ab ging, und versuchte herauszufinden, was genau da zwischen uns vorgefallen war. Alles war merkwürdig und an der Grenze zu unanständig gewesen, aber da war auch noch etwas anderes gewesen. Oder nicht? Etwas, das ich nicht genau benennen konnte. Ich hätte mich nie auf ihn einlassen sollen, hätte mich in hundert anderen ähnlichen Situationen nicht auf ihn eingelassen, und doch hatte ich mich zu ihm hingezogen gefühlt. Er hatte mich zu sich hingezogen. Das war eben Donovan Kincaid, dafür war er bekannt – er galt als Puppenspieler. Er war ein Mann, der an den Fäden zog, und mich zog er zu sich hin.

Warum war er dann am Ende so eiskalt gewesen?

Offensichtlich war das die ganze Zeit sein Ziel gewesen. Er hatte nur mit mir gespielt. Er hatte mich an einem Ort erwischt, an dem ich nicht hätte sein sollen, und mich dafür bezahlen lassen. Das hatte ich verdient. Aber es musste mir deshalb nicht gefallen. Und es bedeutete mit Sicherheit nicht, dass ich Donovan deswegen mochte.

Ich sah zu seinem Fenster hoch und schauderte. Stand er jetzt gerade dort? Beobachtete er mich durch die Scheibe?

Fast konnte ich das Glimmen seiner Zigarre in der Dunkelheit sehen. Konnte fast spüren, wie sein Blick mir über die Haut kroch. Bei der Vorstellung wurde mir wärmer und kälter zugleich. Als wäre ich weniger allein und gleichzeitig einsamer als je zuvor.

Dann öffnete sich die Eingangstür von The Keep, und ich wandte mich erschrocken in diese Richtung. Theo, den ich schon ein paarmal gesehen hatte, kam auf die Veranda getaumelt und hielt seine Nase in den Wind. »Scheiße! Es ist sackkalt hier draußen.«

Ginger Baldwin folgte ihm, bei ihr ein Junge, mit dem sie anscheinend nach Hause gehen wollte, so wie die beiden sich aneinanderklammerten. »Dein Sack ist kalt?«, fragte sie kichernd. »Ist das normal bei dir?«

»Meiner ist nicht kalt«, meldete sich ihr Freund für die Nacht, als würde sie das abturnen. »Du hast wohl anatomische Probleme.«

»Haha.« Theo rückte seine Hose zurecht. »Meiner Anatomie geht es gut. Sollen wir sie rausholen und vergleichen?«

»Du willst immer, dass ich ihn raushole. Sicher, dass du mir damit nicht etwas anderes sagen willst?«

Theo schnaubte wütend. »Weißt du was? Leck mich.«

Ich senkte den Kopf und versteckte mich in den Schatten neben der Treppe. Oberflächliches Geplauder war schon nicht meine Stärke, wenn alle Beteiligten nüchtern waren, und noch viel weniger, wenn sie so betrunken waren wie diese drei offensichtlich. Ich hatte in dem Augenblick sowieso keine Lust, mit irgendjemandem zu reden.

Leider hatte Theo etwas bemerkt. »Wer ist da drüben?«

Ich zog mein Telefon aus der Tasche und tat so, als würde ich jemandem schreiben, tat so, als würde ich ihnen nicht zuhören, aber ich konnte ihre Blicke auf mir spüren.

»Die kenne ich. Sie geht in meine Statistik-Vorlesung«, sagte Ginger leise. Dann lauter, als sie die Treppe hinunterkam: »Hey, Bri. Alles in Ordnung?«

»Klar.« Ich steckte mein Telefon ein. »Ich warte nur auf meine Begleitung.« Wie eine Verliererin. Die niemanden hatte, der sie nach Hause brachte, so wie die coolen Kids. Einmal hatte ich es geschafft, meine Mitbewohnerin zu einer der früheren Partys mitzuschleppen, aber das war nicht ihre Szene gewesen. Außerdem standen Sheri und ich uns nicht sehr nahe, einfach nur, weil unsere Stundenpläne nicht zusammenpassten und sie einen Freund hatte, mit dem sie die meiste Zeit abhing.

Ginger lächelte ein wenig zu breit, und ich konnte mir vorstellen, dass sie dachte: Gott sei Dank, ich wollte mich wirklich nicht um dich kümmern, also bin ich froh, dass ich es nicht muss, während sie freundlich sagte: »Super. Schön, dass du die App benutzt hast.« Sie folgte ihrem Freund zu seinem Wagen, der vor dem Haus parkte.

Ihr Begleiter öffnete ihr wie ein Gentleman die Tür und rief dann nach seinem Freund, der immer noch auf der untersten Treppenstufe stand: »Theo, kommst du?«

Theo fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und zuckte mit den Schultern. »Nee, ich gehe zu Fuß.« Aber statt auf den Fußweg zu treten, kam er auf mich zu. »Aber vorher passe ich auf Sabrina auf, während sie wartet. Das ist doch cool. Oder, Bri?«

Ich kannte ihn nicht, außer dass ich ihn hin und wieder mal auf irgendwelchen Partys gesehen hatte. Das Angebot war seltsam und unangebracht. »Das ist wirklich nicht nötig.«

»Das ist eine gute Idee«, sagte Gingers Date, das an der offenen Tür auf der Fahrerseite des Wagens stand. »Sie sollte nicht allein hier draußen sein. Man kann nie vorsichtig genug sein.«

Ich war nicht allein. Hinter mir befand sich ein ganzes Haus voller Menschen, und eine Begleitung war auf dem Weg. Aber wenn Theo sich wie ein braver Pfadfinder vorkam, wenn er mit mir wartete, und Ginger und ihr Typ so eine gute Gelegenheit sahen, das fünfte Rad am Wagen loszuwerden, sollte es eben so sein. »Sicher. Stimmt schon. Danke.«

Wenn Theo gedacht hatte, ich wäre gesprächig, hatte er sich allerdings geschnitten.

Das Auto war gerade erst abgefahren, als mir klar wurde, dass Theo nicht an Gesprächen interessiert war.

»Sabrina«, sagte er und trat dicht an mich heran. Dichter, als mir lieb war. »Du bist viel hübscher, als man auf den ersten Blick meint. Ich bin mir sicher, das hörst du andauernd, oder?«

»Nein. Tue ich nicht. Danke trotzdem.« Ich zupfte an meinem Pferdeschwanz und wandte mich von ihm ab, um auf die Straße zu gehen. Das Problem bei dem Begleiter-Service war, dass sie zu wenige Leute hatten. Besonders samstagnachts. Man wusste nie, wie lange es dauern würde, bis einer kam. Vielleicht hätte ich doch lieber drinnen warten sollen. Es war noch nicht zu spät, um mich anders zu entscheiden.

»Warum versteckst du die ganze Schönheit?« Theo streckte die Hand aus, zog am Gürtel meines Mantels und öffnete ihn.

»Entschuldige mal?« Ich drehte ruckartig den Kopf zu ihm und wollte ihm den Gürtel aus der Hand reißen, aber er ließ nicht los.

»Ich wette, du hast auch einen wunderschönen Körper.«

»Theo, danke, aber mir ist es unangenehm, wie du mit mir redest. Und was du tust.« Er war betrunken. Das war alles. Er wollte nur spielen.

Nur, dass er eben nicht spielte. Er kam noch näher. »Es ist mir ziemlich egal, ob du es angenehm findest, was ich sage, Sabrina.« Sein Atem roch nach Bier, aber seine Worte waren nicht gelallt. Er hatte sich vollkommen unter Kontrolle. Er wusste, was er tat.

Ich versuchte, an ihm vorbeizugehen, aber er legte eine Hand an die Mauer hinter mir. Ich konnte nirgendwohin. Es war ein Fehler gewesen, mich in die Schatten zu ducken, denn jetzt saß ich in der Ecke zwischen Treppe und Gebäude fest, und Theo blockierte mir den Fluchtweg.

»Theo. Bitte.« Ich schluckte gegen den Kloß in meiner Kehle an.

Er schniefte bereits zum zweiten Mal, ob von der Kälte oder weil er etwas geschnupft hatte, wusste ich nicht. »Bitte was?«, sagte er, als wüsste er wirklich nicht, was ich wollte.

»Lass mich los.«

Er tat so, als würde er ernsthaft darüber nachdenken, und schüttelte dann den Kopf, als täte es ihm leid, meiner Bitte nicht nachkommen zu können. »Hör zu.« Er fuhr mir mit dem Daumen über die Unterlippe, und ich zuckte unwillkürlich zurück. »Ich will das nicht unnötig in die Länge ziehen, also, so wird es laufen – ich werde dich ficken. Du kannst es mir leicht machen oder schwer. Jedenfalls wissen wir beide, wer hier die Macht hat.«

Ich dachte nicht einmal nach. Ich öffnete nur den Mund und fing an zu schreien. »Hil…!«

Was Theo offenbar erwartet hatte. Er legte mir die Hand über den Mund – brachte mich zum Verstummen, ehe ich ein richtiges Geräusch herausgebracht hatte – und grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich hatte auch gehofft, dass du dich für die schwere Tour entscheidest. Ich mag es, wenn sie sich wehren. Für dich wird es auch besser. Ich komme dann viel schneller.«

»Fick dich«, sagte ich, erstickt unter seiner Klaue. Und auch wenn ich es hasste, ihm zu geben, was er wollte, auch wenn er wenigstens einen Meter achtzig groß war und neunzig Kilo wog, auch wenn ich nicht die geringste Chance hatte, ihm zu entkommen, wehrte ich mich. Ich stemmte mich mit all meiner Kraft gegen ihn. Ich trieb ihm das Knie zwischen die Beine. Ich wand mich. Ich weinte.

Theo lachte einfach nur leise. »Genau so, Baby.« Er presste sich enger an mich und benutzte seine Schenkel, um meinen Unterkörper ruhig zu halten. Mit der freien Hand öffnete er sich die Hose und zog seinen Schwanz heraus.

Ich fing an, noch heftiger zu weinen. Ich hatte schon einen Penis gesehen. Ich war Jungfrau, aber nicht prüde. Ich hatte an der Highschool einen Freund gehabt. Ich hatte ihm einen geblasen und ihn mit der Hand befriedigt, und er hatte im Gegenzug genug mit mir gemacht, dass ich mir nicht einmal sicher war, ob mein Jungfernhäutchen noch intakt war.

Trotzdem wollte ich mich beim Anblick von Theos Schwanz übergeben. Es musste das hässlichste Ding sein, das ich je gesehen hatte. Alles daran war abstoßend. Ich wollte es nicht in meiner Nähe haben. Und schon gar nicht in mir drinnen.

Ich musste irgendwie wegkommen.

Ich hob die Hände an sein Gesicht und kratzte, so fest ich konnte. Kratzte, bis Blut floss.

Theo fluchte und ließ seinen Schwanz los, damit er stattdessen meine Hände festhalten konnte. Als er sie fest unter meine Brüste quetschen konnte, bedeckte er mit der anderen Hand meine Nase und meinen Mund.

»Ich kann meine Hand so lassen, dann hast du in ein paar Minuten nicht mehr die Kraft, dich zu wehren. Wäre dir das lieber, Sabrina? Willst du es so hinter dich bringen?« Er sah mir direkt in die Augen, kam dicht an mein Gesicht heran, um sicher zu sein, dass ich begriff, was er sagte. Um sicher zu sein, dass er mir die Wahl ließ, ob ich atmen durfte oder nicht.

Ich schüttelte den Kopf.

»Dann ist jetzt gut?«

Was hätte ich tun sollen? Meine Lungen taten mir bereits weh. Mir tanzten schwarze Punkte vor den Augen. Mein Gehirn verfiel bereits in Panik, weil es unbedingt atmen wollte.

Ich nickte.

Er bewegte seine Hand nicht.

Ich nickte fester. Ich weinte verzweifelter. Verängstigt.

Endlich löste er seine Hand ein kleines Stück, nur so weit, dass meine Nasenlöcher frei lagen. Ich atmete die kalte Luft in langen, keuchenden Zügen ein, so viel wie ich durch die Nase bekommen konnte. Meine Brust hob und senkte sich mit jedem angestrengten Atemzug.

Langsam ließ Theo meine Hände los, warf mir noch einen warnenden Blick zu und bearbeitete dann weiter seinen Schwanz.

Ich hatte verstanden. Er hatte die Macht. Ich hatte keine. Lektion gelernt. Scheiß Lektion gelernt.

Ich wehrte mich immer noch. Ich konnte nicht anders. Es war wie ein Reflex. Wie das eine Mal, als ich eine Pediküre bekommen hatte und nicht aufhören konnte, die Podologin zu treten, weil ich so kitzlig war. Ich versuchte, mich zu zwingen, das zu tun, was Theo wollte, aber mein Körper wehrte sich weiter gegen ihn.

»Mach deine Jeans auf«, befahl er, nachdem er ungefähr eine Minute lang masturbiert hatte, die Stimme belegt.

Nein. Bitte, nein, zwing mich nicht. Ich rührte mich nicht. Ich konnte nicht.

Er rückte die Hand auf meinem Gesicht ein Stück in Richtung meiner Nase – drohend –, aber ich war bereits dabei, den Knopf zu öffnen. Den Reißverschluss hinunterzuziehen.

Tränen liefen mir die Wangen hinab, als Theo meine Hände zur Seite schob. Er leckte sich zwei Finger und sagte: »Will ja nicht trocken rein«, dann steckte er sie in meinen Slip und suchte nach der Öffnung, auf die er es abgesehen hatte.

Ein Schluchzen perlte tief in meiner Brust hoch, und ich schloss die Augen und wünschte, ich könnte an einem anderen Ort sein, ergab mich der Lawine aus verwirrten Gedanken, die ohne mein Zutun immer weiter auseinanderdrifteten. Ein panischer Bewusstseinsstrom. Ich bin nicht hier. Ich bin woanders. Ich bin am Strand. Ich bin an der Riviera Maya. Ich kann es meinem Vater nicht erzählen. Er wird so wütend. Ich habe mich nicht rasiert. Kann man im Oktober schon Frostbeulen bekommen? Diese Rothaarige hatte wirklich schöne Brüste. Wie hieß sie noch gleich? Es ist nur meine Jungfräulichkeit. Es ist nur Sex. Soll ich es meiner Schwester erzählen? Das ist so peinlich. Ich hätte drinnen warten sollen. Es ist so kalt. Wer war die Blonde auf dem Bild in Donovans Zimmer? Die letzte Reise, die wir mit Mom an die Riviera Maya gemacht haben, war im Oktober. Im Dezember ist es fünf Jahre her. Was, wenn er mir wehtut? Was, wenn er mich richtig verletzt? Ich hoffe, es kommt niemand raus und sieht uns. Ich kann es meiner Schwester nicht erzählen. Ich kann es niemandem erzählen. Nichelle. Ich vergesse ihren Namen absichtlich immer wieder. Ich vermisse meine Mom. Lieber Gott, bitte lass jemanden kommen, der ihn aufhält!

Ich war mir immer noch meiner Umgebung bewusst. Extrem bewusst sogar. Ich wusste, dass ich den Geruch von Theos Shampoo immer wiedererkennen würde. Auch sein Parfum. Seine Uhr tickte in der Stille, jede Sekunde klang wie eine Ewigkeit, während ich seine Fingernägel kratzend in mir spürte.

Aber ich musste doch nicht so gut aufgepasst haben, wie ich dachte, denn ich hörte nicht, wie die Tür sich öffnete, und auch nicht die Schritte auf der Treppe. Ich sah nicht, wie Theo von Donovan hinten an der Jacke gepackt und von mir gezerrt wurde, aber ich sah, wie er Theo mitten auf die Nase schlug, hörte das Knacken, sah das Blut sprudeln.

»Was soll die Scheiße?«, heulte Theo, eine Hand an seiner Nase, während er sich mit der anderen schnell die Hose hochzog. »Jesus, Kincaid!«

Meine Knie gaben vor Erleichterung fast nach. Ich war befreit von Theo, befreit von seiner verschwitzten Hand und seinem erdrückenden Körper. Ich rutschte aus der Ecke, in der ich gefangen gewesen war, aus Angst, vielleicht wieder dort festzusitzen, und schloss meine Hose, so schnell ich konnte. Schock stillte meine Tränen, aber auch wenn ich mich ruhig fühlte, konnte ich sehen, wie meine Hände zitterten.

Theo, der zu ahnen schien, dass er in Schwierigkeiten steckte, wich einen Schritt zurück, aber Donovan packte ihn am Arm und riss ihn zurück zu sich. »Hatte ich gesagt, wir sind fertig?« Theo war größer als Donovan, aber Donovan schien das überhaupt nichts auszumachen.

Ich biss mir auf die bebende Unterlippe und schlang die Arme um mich. Donovan mochte keine Angst haben, ich aber schon. Zu viel Angst, um Hilfe zu holen.

»Hey, ich weiß nicht, was du meinst, was hier passiert ist …«, fing Theo an, aber Donovan unterbrach ihn.

»Kein Wort von dir.« Donovan zog noch einmal fest an Theos Arm. Fest. »Es liegt an Sabrina, ob sie dich anzeigen will. Sabrina?« Donovan sah mich an, seine grünen Augen brannten sich in meine, suchend, als hätte er Angst, ich wäre verloren.

Vielleicht war ich verloren.

Ich blinzelte. Er hatte mir eine Frage gestellt. »Wie bitte?«, gelang es mir zu entgegnen.

»Willst du Theo anzeigen?«

Die Realität der Situation brach mit voller Kraft über mich herein. Ich war angegriffen worden. Dieses Schwein hatte seine Finger in mir gehabt. Wenn Donovan nicht aufgetaucht wäre, hätte er mich mittlerweile vergewaltigt.

Ich schluckte Galle hinunter.

Natürlich wollte ich ihn anzeigen. Es sei denn …

Ich dachte noch einmal nach. Ging das Szenario schnell im Kopf durch – weißer reicher Junge wird von einem unbedeutenden Mädchen wegen sexueller Belästigung angezeigt. Alkohol spielte eine Rolle. Keine richtige Vergewaltigung. Stipendium stand auf dem Spiel. Die Sache würde auf keinen Fall zu meinen Gunsten ausgehen, sosehr ich mir das auch wünschte. Sosehr die Welt mutige Kriegerinnen brauchte, die sich für vergewaltigte Frauen einsetzen, ich war keine. Es beschämte mich, aber es war die Wahrheit.

»Ist schon gut«, murmelte ich, und eine Träne lief mir dabei die Wange hinab. Ich wollte das alles nur vergessen. Nach Hause gehen, ein Bad nehmen. So tun, als wäre das alles niemals passiert.

»Was?«, fragte Donovan und zwang mich damit, mich zu wiederholen.

»Ich werde ihn nicht anzeigen«, sagte ich lauter. »Es tut mir leid.« Ich wusste nicht einmal, bei wem ich mich entschuldigte. Mir selbst. Jedem Opfer einer Vergewaltigung, das nie die Chance bekommen hatte, seinem Angreifer in Handschellen gegenüberzutreten.

»Na gut.« Donovan ließ Theos Arme los, aber als Theo sich zu ihm umdrehte, trat er ihm in die Eier. »Du hast Schlimmeres verdient, du Scheißkerl. Leider würde das Justizsystem der USA dir wohl nicht viel mehr als das aufbrummen. Die Strafen bei The Keep sehen da strenger aus. Du bist hier nicht mehr willkommen. Du wirst mit unseren Familien keine Geschäfte mehr machen. Deine Investments bei King-Kincaid sind gestrichen. Jetzt verschwinde von meinem Besitz. Du blutest auf meine Ferragamos.«

Theo wischte sich das Blut, das ihm aus der Nase tropfte, mit dem Handrücken ab und straffte die Schultern, als wollte er Donovan herausfordern. Dann schien er es sich anders zu überlegen und trat einen Schritt zurück. »Schon gut. Schon gut, Kincaid. Wusste nicht, dass du die für dich reserviert hast.«

»Verpiss dich endlich.« Donovan hob niemals seine Stimme, aber sein Tonfall und seine Haltung sagten genug. Theo verschwand.

Ich zitterte immer noch, weinte immer noch. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und wollte mich gerade umdrehen, um Donovan zu danken, als ein Auto am Straßenrand hielt. Darauf richtete ich stattdessen meine Aufmerksamkeit. Es war meine Begleitung. Was für ein Timing.

Als ich mich wieder zu Donovan umwandte, stieg er bereits wieder die Treppe zur Eingangstür hinauf, ohne sich zu verabschieden. Ohne auch nur zu fragen »Geht es dir gut?«.

Ich weinte auf der gesamten Fahrt nach Hause. Weinte eine Stunde lang in der Dusche. Erst Stunden später, als ich in der Embryohaltung auf meinem Bett zusammengekrümmt lag, fiel mir auf, dass Donovans Ferragamos Stiefel waren. Und sie waren geschnürt gewesen. Er hatte meine Situation aus seinem Schlafzimmerfenster heraus gesehen und sich dann die Zeit genommen, seine Stiefel zuzubinden, ehe er nach unten gekommen war, um mich zu retten.

3. Kapitel

Montag ging ich nicht in meine Vorlesungen.

Ich sagte, ich hätte die Grippe, und blieb im Bett, das Gesicht zur Wand. Sheri brachte mir Suppe für die Mikrowelle und Cracker von der Shell-Tankstelle, und ich sagte ihr, ich weinte nur, weil ich solche Kopfschmerzen hatte.

Dienstag gelang es mir, mich zusammenzureißen. Eigentlich war nichts passiert. Theo hatte mich nicht wirklich vergewaltigt. Ich war noch dasselbe Mädchen, das ich vorher gewesen war. Und es war auch nicht so, als müsste ich ihn jemals wiedersehen. Ich hatte keine Seminare mit ihm zusammen. Er war im Abschlussjahrgang, und wir bewegten uns nicht in den gleichen Kreisen. Sonst wusste niemand, was passiert war – ich hatte mich entschieden, es keiner Menschenseele zu erzählen –, also musste ich nur lächeln und so tun, als wäre nichts passiert. Kinderleicht.

Und wenn es doch nicht ganz so einfach sein sollte, war es immerhin machbar. So machbar wie damals vor fünf Jahren, als meine Mutter gestorben war und die Kinder in der Schule geflüstert und hinter meinem Rücken auf mich gezeigt hatten. Ich hatte ein fröhliches Gesicht aufgesetzt und so getan, als würde das alles nichts bedeuten. Als würde es nicht wehtun. Diese Erfahrung mit Trauer hatte mich eine wichtige Lektion darin gelehrt, wie man mit schweren Zeiten umging – man lächelt, man nickt, man macht einfach weiter.

Und so hatte ich auch mit dem Einführungsseminar Geschäftsethik vorgehen wollen. Ich wusste, dass es wegen Donovan etwas anderes wäre, weil er davon wusste. Aber schließlich würde er ja nicht vor dem gesamten Seminar davon anfangen. Wir hatten uns vor jener Nacht in The Keep nicht einmal unterhalten. Er war mein Dozent, zumindest so etwas in der Art. Für mich war er nur jemand, von dem ich lernte. Für ihn war ich nur jemand, dessen Arbeiten er benotete. Ich nahm nicht an, dass es Probleme geben würde.

Ich betrat den Hörsaal, früh wie immer, und ging zu einem Platz in der ersten Reihe. Normalerweise kam ich aus der unteren Tür, aber dieses Mal kam ich von oben, weil ich mir vor dem Seminar noch eine Flasche Wasser geholt und einen anderen Weg genommen hatte. Als ich die Treppe hinunterging, sah ich zum Lehrerpult hinab, vielleicht war ich auch etwas nervös, weil ich gleich Donovan sehen würde. Insgeheim hoffte ich, dass Velasquez unterrichten würde.

Tat er nicht.

Donovan saß an seinem Laptop, in grauen Hosen, Hemd und Krawatte unter seinem schwarzen Pullover, und als könnte er mich spüren, sah er in genau dem Moment hoch und begegnete meinem Blick.

Ich erstarrte, unfähig, einen weiteren Schritt zu gehen.

Die Knie drohten unter mir nachzugeben. Schweiß stand mir auf der Stirn. Es war, als wäre er ein Auslöser. Meine ganze Fassade brach zusammen, und ich wurde zurück in jene Nacht katapultiert. Ich schwöre, ich konnte Theos Handfläche über meinem Mund spüren. Das Geräusch seiner brechenden Nase hallte mir in den Ohren. Die Gefühle überwältigten mich.

Aber ich empfand nicht nur Angst und Scham. Da war noch etwas Schlimmeres unter diesen Schichten. Etwas Hässliches, aber ich konnte es auch nicht leugnen.

Sobald ich es erkannte, wurde ich rot vor Panik. Donovan musste es aufgefallen sein, denn er kniff die Augen zusammen und reckte neugierig das Kinn. Ich wollte mich umdrehen und aus dem Hörsaal rennen, aber das hätte nur die Aufmerksamkeit aller auf mich gelenkt. Außerdem fühlten meine Beine sich in dem Augenblick wie Wackelpudding an, also ließ ich mich einfach auf einen Platz gleiten, der sich in der Reihe befand, neben der ich gerade stand, neigte den Kopf und tat so, als wäre alles ganz normal und als würde ich nicht bemerken, dass er mich immer noch beobachtete.

Eigentlich musste ich gar nicht so tun – es war mir wirklich egal, dass er mich beobachtete. Ich sah mich nicht einmal nach Weston um, wie ich es normalerweise tat. Ich musste herausfinden, was zum Teufel mit mir nicht stimmte. Mein Herz schlug wie wild, mir war viel zu warm, ich fühlte mich rastlos und aufgewühlt.

Aber es waren nicht die Erinnerungen an Theo, die mich so aufbrachten. Es war Donovan. Angefangen damit, wie er mich bei sich im Schlafzimmer geneckt hatte, bis zu der Art, wie er die Situation mit Theo in Griff bekommen hatte und seine Kiefer sich anspannten, wenn er mich mit seinem intensiven Blick musterte.

Mein Gott, diese Augen …

Ich wagte es, zu ihm hochzusehen, als er aufstand, um die Vorlesung zu beginnen, und eine weitere aufwühlende, verwirrende Welle tobte durch meinen Körper. Ich rutschte auf meinem Sitz hin und her, aber das half nicht. Als er zu reden anfing, wurde es sogar noch schlimmer. Seine Stimme ließ mir Schauer über den Rücken rieseln. Ich trank jedes Wort von seinen Lippen, und doch zogen seine Sätze an mir vorbei, ohne dass ich eine einzige Phrase verstand.

Ich war echt am Arsch.

Was auch immer da passierte, es musste eine ganz normale Erklärung dafür geben. Zum Beispiel, dass ich einen Nervenzusammenbruch erlitt. Mein Verstand versuchte, das Schreckliche, das mir passiert war, zu verändern, indem er dafür sorgte, dass ich Donovan und etwas Angenehmes mit jener Nacht verband statt Theo und diese schrecklichen Gefühle.

Nur fühlte ich mich überhaupt nicht wohl. Ich fühlte mich krank und die Erinnerungen quälten mich. Ich musste meine Beine wenigstens hundertmal verschränken und wieder öffnen, nur um die Vorlesung zu überstehen, und ich hasste mich die ganze Zeit dafür, dass ich mich nicht beruhigen konnte.

Zuerst wurde ich wütend. Dann schämte ich mich. Dann wurde ich wieder wütend. Aus so vielen Gründen. Ich war ohnehin wütend auf Donovan, weil er so viel wusste. Nicht nur darüber, was Theo getan hatte, auch die anderen Dinge, die er in seinem Zimmer zu mir gesagt hatte. Diese Dinge, die er so leicht aus mir herausgelesen hatte. Mir gefiel nicht, dass er mich so durchschaute. Es fühlte sich aufdringlich an. Wie eine Verletzung.

Und ich war wütend, weil er sich Zeit damit gelassen hatte, mich zu retten.

Und weil es so gewirkt hatte, als wäre er nicht einmal froh darüber gewesen, dass er mich am Ende gerettet hatte.

Am meisten wütend war ich auf die Gedanken, die ich über ihn hatte, auch wenn es eigentlich nicht seine Schuld war. Andererseits, wenn er nicht versaut hätte, wie er mit allem, was in jener Nacht geschehen war, umgegangen war, dann würde ich jetzt auch nicht so versaute Gefühle für ihn haben. Also war es wahrscheinlich in Ordnung, ihm dafür auch die Schuld zu geben.

Aber es war auch egal, wer die Schuld hatte. Ich war diejenige, die damit fertigwerden musste. Ihm war doch vollkommen egal, wie ich aus diesem Albtraum wieder herauskam. Ich musste es irgendwie selbst schaffen.

Es fühlte sich wie die längste Stunde meines Lebens an, aber dann war das Seminar endlich vorbei. Ich verschwand, sobald wir entlassen waren. Donovan ging ich bewusst aus dem Weg, indem ich wieder die Treppe nach oben nahm statt den Ausgang unten. Ich war mit einer Freundin zum Mittagessen verabredet, musste aber erst in meine Wohnung, um mir einen frischen Slip anzuziehen, ehe meine nächste Vorlesung anfing. So übel stand es um mich.

Nachdem ich den Hörsaal verlassen hatte und Donovan außer Sichtweite war, war ich mir sicher, die ganze merkwürdige Geschichte würde sich von selbst auflösen. Ich dachte an Weston, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er war es, den ich wirklich mochte. Er war es, der mir Schmetterlinge im Bauch verursachte. Immer noch. Nach allem, was mir widerfahren war.

Trotzdem wanderten meine Gedanken den ganzen Tag immer wieder zurück zu Donovan, und ich stellte mir verschiedene Ausgänge für jene Nacht vor The Keep vor. Was, wenn er mich hereingebeten hätte, nachdem Theo verschwunden war? Was, wenn ich sein Zimmer gar nicht erst verlassen hätte?

Wieder stieg Scham in mir auf.

Aber so war mir auch die Idee gekommen, wie ich die Albträume verscheuchen konnte, die mich plagten, seit die Sache passiert war. Als ich in jener Nacht schweißgebadet aufgewacht war und noch Theos Berührungen auf meiner Haut zu spüren glaubte, hatte ich die Hand in meinen Slip gleiten lassen und die Erinnerungen mit Gedanken an Donovan ausgelöscht.

»Hat er dir sehr wehgetan?«, fragte er und legte mir die Hand an die Wange, während Theo die Straße hinunterhumpelte. Seine Hand fühlte sich warm an, vorsichtig, ohne sanft zu sein.

»Nicht sehr«, flüsterte ich und sah ihm in die braun-grünen Augen. Meine Begleitung parkte am Straßenrand, wir drehten uns beide nach dem Wagen um, aber statt wegzugehen, zog Donovan mich in die Arme.

»Lass mich heute Nacht für dich sorgen.« Mit nur einem Nicken schickte er den Wagen wieder weg. Dann ging er in die Knie, zog mir die Hose hinunter, dann meine Unterwäsche, fragte dabei nicht um Erlaubnis und entschuldigte sich auch nicht für seinen Eifer.

Aber ich wollte ihn dort, also war es etwas anderes, als von Theo gezwungen zu werden.

Die Luft fühlte sich an meinen nackten Beinen kalt an, aber bald spürte ich nichts anderes mehr als die Hitze seiner Zunge an meinen Lippen. Er leckte einige Male grob meinen Schlitz entlang, spitzte dann die Zunge und drang damit in mich ein.

Ich war fast sofort gekommen und hatte fest bis zum Morgen durchgeschlafen.

Was auch immer es war, das Donovan mit mir machte, es löste sich doch nicht einfach in Luft auf, aber ich wurde besser darin, damit umzugehen. Ich lernte, ihm nicht in die Augen zu sehen. Ich setzte mich bei den Vorlesungen nicht mehr in die erste Reihe. Ich tat, was ich immer tat – ich lächelte, ich nickte, ich machte einfach weiter.

Und nachts tröstete ich mich nach schlechten Träumen mit Fantasien darüber, wie er mich fingerte und vögelte, normalerweise in einer verdrehten Version meines Angriffs. Manchmal geschah es, nachdem er Theo von mir gezerrt hatte. Manchmal war Theo überhaupt nicht da. Manchmal bat ich ihn darum. Manchmal flehte ich ihn an.

Und manchmal – oft sogar – war er ebenso hart und grausam, wie Theo es gewesen war.

4. Kapitel

»Tut mir leid.«

»Schon …« Ich stutzte, als der Mensch, der mich angerempelt hatte, sich auf den Platz neben mir setzte. Weston King. »… gut«, beendete ich den Satz.

Ich setzte mich gerader hin und sah an mir hinab auf das, was ich anhatte. Jeans. Pullover. Pferdeschwanz. Langweilig. Bah. Aber was hatte ich erwartet? Es war irgendwie schwierig, sich vor jemandem wie Donovan zu verstecken und gleichzeitig zu versuchen, von jemandem wie Weston bemerkt zu werden. Beides war unmöglich, das hatte ich in den drei Wochen seit dem Vorfall mit Theo erkannt, denn es schien, als würde ich Donovan immer sehen und Weston mich nie.

Bis heute, als, Wunder über Wunder, Weston sich zufällig neben mich setzte.

Mein Herz schlug tausend Schläge die Minute, meine Knie hörten nicht auf zu hüpfen. Iiiep! Unsere Ellenbogen berührten sich fast. Dann war da die zusätzliche Freude, die ich empfand, als er einen Spiralblock aus seiner Tasche zog. Er war ein Junge, der seine Notizen auf die altmodische Art machte! Hach!

Das war fast Freude genug, um mich von der Vorlesung abzulenken, die Donovan angefangen hatte zu halten, ehe Weston gekommen war. Leider hatte Ersterer immer noch eine anziehende Wirkung auf mich, die ich nicht leugnen konnte. Besonders, wenn es um Themen ging, die mich aufregten, wie an diesem Tag – Deregulierung in der Finanzindustrie.

In meiner kurzen Zeit in Harvard hatte ich zu diesem Thema viel gelernt. Ich verstand die Hürden und Hindernisse, die die Regulation einer Investmentfirma wie King-Kincaid auferlegte, war aber immer noch die Art Mädchen, die auf der anderen Seite stand. Während der großen Finanzkrise hatten nicht die Milliardäre ihre Altersvorsorge verloren. Es waren nicht die Reichen gewesen, denen Häuser und Autos und Leben weggenommen worden waren. Regulation war meiner Meinung nach angewandte Ethik, und diese Meinung hatte ich auch in meiner letzten Arbeit deutlich zum Ausdruck gebracht.

Sosehr ich an Regulation glaubte, ich wusste auch, wie immer, mein Ärger über Donovan hatte weniger mit dem zu tun, was er predigte, und mehr damit, was er mir täglich in meinen Gedanken im Schlafzimmer antat. Was er mir auch in diesem Augenblick antat, so ungern ich es zugab, indem er mich zu sich hinzog. Meine Aufmerksamkeit beanspruchte. Meine Konzentration verlangte.

Verdammt, ich hasste ihn.

»Arschwaffel«, sagte ich leise.

Weston rutschte dichter zu mir heran. »Was hast du gesagt?«

Oh mein Gott. Ich wurde rot. »Was?«

Er beugte sich näher, sodass ich ihn hören konnte, ohne den Rest des Seminars zu stören. »Hat du Kincaid gerade eine Arschwaffel genannt?«

»Das hätte ich nicht sagen sollen.« Aber wenn es dazu führte, dass Weston sich zu mir beugte und mir ins Ohr flüsterte, würde ich es wieder sagen. Vielleicht. Nachdem meine Scham sich gelegt hatte. In ungefähr hundert Jahren.

»Nimm es nicht zurück!«, meinte Weston leise. »Das klingt super! Ich liebe es.«

Ich drehte mich zu ihm um. »Seid ihr beide nicht befreundet oder …?« Mensch, seine Augen waren aus der Nähe sogar noch blauer. Und er hatte Sommersprossen – ganz helle – auf der Nase.

»Eher wie Familie, und ich liebe ihn wie einen Bruder. Aber er ist die totale Arschwaffel.« Er hob eine Augenbraue. »Und ich glaube, so habe ich ihn noch nie genannt. Hast du einen Stift, den ich mir leihen kann?«

»Äh … ja.« Ich suchte in meiner Tasche nach einem.

Weston spähte mir über die Schulter. »Der da. Der Filzstift wäre super.«

Wir griffen gleichzeitig danach, unsere Finger berührten sich, und ich musste mir auf die Unterlippe beißen, um nicht zu keuchen.

»Danke«, sagte er und lächelte dabei gerade genug, um sein verflixtes Grübchen entstehen zu lassen. Jesus, ich hätte mich in dieses Grübchen fallen lassen können, um nie wieder herauszukriechen. Dieses Grübchen würde mich noch umbringen.

Ich sah zu, wie er in seinem Notizblock blätterte. Auf jeder Seite stand im Querformat ein einziges Wort geschrieben. Idiot, Scheißhaufen, Arschloch, Volldepp, Arschgeige, Wichslappen. Er hielt auf einer leeren Seite inne und zog die Kappe des schwarzen Filzstifts mit den Zähnen ab. Mit dem Deckel würde ich später allen Ernstes rummachen müssen. Dann fing er an zu schreiben: Arsch…

»Was machst du da?«, fragte ich, plötzlich nervös und aufgeregt, als wäre ich bei einer Sache dabei, die vielleicht ein bisschen frech war, aber nicht so schlimm, dass Worte wie Rauswurf oder Polizei ins Spiel kommen würden. Die Art von frech, die immer wie eine Menge Spaß aussah, aber auch süchtig machen konnte.

»Ich schreibe Donovan immer Notizen, wenn er arbeitet, um ihn wissen zu lassen, wie er ankommt. Arschwaffel ist eine Bezeichnung, die er bislang noch nicht zu hören bekommen hat.« Als er das Wort zu Ende geschrieben hatte, hielt er den Notizblock hoch wie ein Preisrichter bei einem Wettbewerb.

Ich war geradezu aufgedreht. »Und das machst du in jedem Seminar?«

»Wenn Velasquez nicht hier ist. Na ja, manchmal, wenn er hier ist, versuche ich trotzdem, eine Notiz einzuschmuggeln.« Einige andere Studenten auf der anderen Seite des Ganges bedeuteten Weston, ihnen seine Notiz des Tages zu zeigen.

Wieso war mir das bisher nie aufgefallen?

Weston hielt den Block wieder vor sich und wedelte ihn noch ein paarmal vor Donovan hoch, der aber nicht einmal in unsere Richtung blinzelte. Hätten wir noch weiter oben im Saal gesessen, hätte ich mich gefragt, ob er es überhaupt lesen konnte, aber wir saßen nicht so weit weg von der vordersten Reihe, und der schwarze Filzstift war gut lesbar.

Genial.

»Lässt er sich je etwas anmerken?«, fragte ich, erstaunt darüber, wie stoisch Donovan blieb.

Autor

Laurelin Paige
<p>Laurelin Paige ist New-York-Times-, Wall-Street-Journal und USA-Today-Bestsellerautorin. Sie liebt heiße Romances und hat bei jeder Kussszene ein Kribbeln im Bauch. Wenn sie nicht gerade liest oder sexy Geschichten schreibt, singt sie, guckt »Game of Thrones« und »The Walking Dead« oder träumt von Michael Fassbender.</p>
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