Ein sündhaft süßer Liebesdeal
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„Du kannst nicht mit mir Schluss machen. Dafür bin ich viel zu hübsch“, erklärte Fabiana vollkommen ernst. Fassungslosigkeit zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. „Es liegt an meinem schlechten Englisch, nicht wahr? Ich habe dich falsch verstanden …“
„Nein“, widersprach Xan entschieden und wechselte in ihre Muttersprache Spanisch. „In einer Stunde werden die Männer vom Umzugsunternehmen hier sein und dir beim Packen helfen. Wir waren zwei Monate zusammen. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass unser Arrangement auf keinen Fall länger bestehen würde …“
„Aber du kannst mich nicht einfach nicht mehr wollen.“ Betont auffällig musterte Fabiana sich kurz anerkennend im Spiegel und schüttelte ihre dunkle Lockenmähne.
„Ich will dich nicht mehr“, sagte Xan. Allmählich verlor er die Geduld. Wie konnte ich auch nur ein Treffen mit dieser Frau genießen, deren Eitelkeit astronomische Ausmaße hat? fragte er sich.
„Wohin soll ich denn gehen?“, fragte Fabiana abrupt. Offenbar begriff sie in diesem Moment, dass sie wahrscheinlich nie wieder mit einem besser aussehenden Mann ihr Bett teilen würde. Gute eins neunzig groß, ein fantastischer Körper, schwarzes Haar und ein atemberaubendes Gesicht – es würde schwierig werden, einen Nachfolger für den griechischen Finanzguru Xan Ziakis zu finden. Außerdem verlor sie ohne ihn den Zugang zu all den exklusiven Events, die sie so liebte.
„Deine Sachen werden eingelagert. Und ein Hotelzimmer ist für dich reserviert“, informierte Xan sie. Jetzt bewegte er sich wieder auf sicherem Terrain. Hiermit kannte er sich aus, weil er seit Jahren alle paar Monate mit einer Geliebten Schluss machte. Und Fabiana hatte reichlich von ihrer Verbindung profitiert, auch wenn er sie nur selten besucht hatte.
Diese überraschende Erkenntnis ließ ihn unvermittelt seine Libido überdenken. Er war erst dreißig. Anscheinend hatte er sich mit Fabiana gelangweilt. Doch wenn er ehrlich war, hatten die Arbeit und das Jagen nach Profit ihm schon immer mehr bedeutet als ein erotisches Abenteuer. Eines Tages würde er das endlose Flehen seiner Mutter erhören und heiraten. Aber noch lag dieser Tag in weiter Ferne. Sein Vater Helios hatte fünf Mal geheiratet, was Xan eine kostspielige und mitunter auch lästige Schar von Halbgeschwistern beschert hatte. Er hatte nicht die Absicht, den Fehler seines Vaters zu wiederholen. Helios hatte einfach zu früh geheiratet. Xan wollte damit warten, bis er mindestens vierzig war und seine wilden Jahre bis zum letzten Tropfen ausgekostet hatte.
Nicht, dass Fabiana und ihre Vorgängerinnen irgendetwas Wildes an sich gehabt hätten, gestand er sich mit einer gewissen Selbstironie ein. Alle seine Gespielinnen waren Models oder mittelmäßige Schauspielerinnen – Frauen, die wussten, dass er als Gegenleistung für ihren Körper großzügig ihre materiellen Wünsche erfüllte. Wenn man es so ausdrückt, stellte er ganz ohne Unbehagen fest, bekommen meine Arrangements fast einen schalen Beigeschmack. Aber es funktionierte gut für ihn. Und als er ein einziges Mal – jung und idealistisch, wie er damals noch war – etwas anderes ausprobiert hatte, war die Sache entsetzlich schiefgelaufen.
Für Xan bedeutete Liebe ein gefährliches Risiko. Sein Vater hatte sich unzählige Male in denkbar ungeeignete Frauen verliebt. Mit einundzwanzig war Xan das Herz gebrochen worden. Nichts auf der Welt würde ihn dazu bringen, diese schmerzhafte Lektion zu wiederholen.
Xan Ziakis, das Finanzgenie, mit fünfundzwanzig bereits Milliardär, war der gefeierte Kopf hinter milliardenschweren Transaktionen. Es war ihm gelungen, das riesige Loch im Vermögen der Familie Ziakis, das sein unfähiger Vater hinterlassen hatte, rasch zu stopfen. Danach hatte er beschlossen, sein Sexleben genauso zu strukturieren, wie er alles andere um sich herum organisierte. Denn jede Art von Unordnung war ihm zuwider. Er mochte es, wenn alles in seinem Leben glatt lief. Er hatte für sich eine Routine etabliert, von der er praktisch nie abwich. Damit minimierte er das Risiko von emotionalen Fiaskos in Beziehungen – ganz zu schweigen von kostspieligen Scheidungen, die den Reichtum seines Vaters so nachhaltig dezimiert hatten. Die einzigen Risiken, die er einging, betrafen das Finanzwesen – und auf diesem Gebiet vertraute er seinem Bauchgefühl und seinen aggressiven Instinkten.
Sein Handy vibrierte und erlöste ihn von jedem Gedanken an Fabianas Gegenwart. Er fragte sich, weshalb Dimitri, der Chef seines Sicherheitsdienstes, ihn wohl anrief. Einen Moment später wusste er es. Lodernde Wut stieg in ihm auf. Jemand hatte es gewagt, ihn zu bestehlen. Ohne ein weiteres Wort an Fabiana zu verschwenden, marschierte Xan aus dem Apartment, in dem er seine Geliebten stets einquartierte. Das Penthouse, in dem er wohnte, war sein Heiligtum, in das er niemals Frauen einließ. Allein die Vorstellung, dass eine Person trotz aller Sicherheitsmaßnahmen in sein Haus in London eingedrungen war, entfachte weißglühenden Zorn in ihm.
„Die Putzfrau?“, wiederholte er.
„Oder ihr Sohn. Sie hat ihn ins Haus gelassen, obwohl es gegen die Regeln verstößt“, informierte Dimitri ihn steif. „Ich könnte die Angelegenheit diskret behandeln oder die Polizei rufen …“
„Sie rufen die Polizei und übergeben alle Beweise“, unterbrach Xan ihn wütend. „Sie soll die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen!“
Xan sammelte Kunstwerke aus Jade, für die er gern bereit war, Unsummen auszugeben. Das kleine Pinseltöpfchen hatte er zu seinem persönlichen Vergnügen in die Eingangshalle gestellt. Es handelte sich um ein überaus bemerkenswertes und äußerst filigranes Stück, das einst einem chinesischen Kaiser gehört hatte. In diesem Augenblick war er der Meinung, dass Auspeitschen eine noch zu geringe Strafe für den Dieb darstellte.
Am nächsten Tag warf sich Elvis jüngerer Bruder in ihre Arme.
„Es tut mir so leid …“, schluchzte er. „An dem ganzen Albtraum bin ich schuld.“
„Beruhige dich erst einmal“, erwiderte Elvi sanft und umfasste das Gesicht des Teenagers mit beiden Händen. Als sie seine geröteten Augen sah, wurde ihr klar, dass er bereits geraume Zeit geweint haben musste. „Ich koche uns einen Tee …“
„Ich will keinen Tee!“, protestierte Daniel. „Ich will zur Polizei gehen und gestehen, dass ich es war und nicht Mum!“
„Nein, zuerst unterhalten wir uns“, bestimmte sie. „Es gibt einen Grund, weshalb Mum dich beschützt …“
„Das dämliche Medizinstudium! Es spielt keine Rolle.“
Natürlich spielt es eine Rolle, dachte sie, dass Daniel in die Fußstapfen seines Vaters treten und Arzt werden wollte. Seit er ein kleiner Junge war, hatte er nichts anderes gewollt. Eine Verurteilung wegen Diebstahl würde diesen Traum zunichtemachen. Außerdem hatte Daniel bereits einen Studienplatz in Oxford ergattert, weil er die besten Noten seines Jahrgangs hatte. Sie wusste genau, weshalb ihre Mutter gelogen und die Schuld auf sich genommen hatte. Was sie allerdings nicht verstand, war, weshalb Daniel überhaupt etwas gestohlen hatte.
„Ich muss wissen, was passiert ist“, beharrte Elvi ruhig und setzte sich zu dem dunkelhaarigen Jungen aufs Bett. Mit seinen achtzehn Jahren war er so groß und schlaksig geworden, dass er geradezu aus all seinen Kleidern herausgewachsen zu sein schien. Die Jeans reichten schon nicht mehr über die Knöchel seiner riesigen Füße. Daniel und sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Denn sie hatten zwar denselben Vater, aber verschiedene Mütter. Elvis Mutter war gestorben, als sie noch ein Baby war. Die zweite Frau ihres Vaters hatte sie adoptiert und wie ihre eigene Tochter aufgezogen. Ich bin die Kleine, Üppige in der Familie ging es ihr wieder einmal durch den Kopf. Ein bekümmerter Ausdruck trat in ihre hellblauen Augen, während sie sich das weißblonde Haar aus der Stirn strich. Ihr Gesicht war verschwitzt, weil sie den ganzen Weg von der Arbeit nach Hause gelaufen war, sobald Daniel sie angerufen hatte.
„Gestern wollte ich Mum zu ihrem AA-Treffen abholen, aber ich war ein bisschen früh dran“, begann Daniel.
Elvi seufzte tief. Seit Daniel im Sommer die Schule beendet hatte, hatte er den Fahrdienst zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker übernommen. Sally Cartwright verdiente jede Unterstützung, um weiterhin abstinent zu bleiben. Seit drei wundervollen Jahren hatte sie keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt, aber Elvi war sich schmerzhaft bewusst, dass die Sucht jederzeit wieder ausbrechen konnte. Jeden Tag das Verlangen nach dem gefährlichen Rauschmittel zu besiegen, war der Kampf, den Sally führte.
„Und?“
„Sie musste noch etwas saubermachen und sagte mir, ich solle in der Halle warten und ja nichts anfassen“, grummelte Daniel. „Als wäre ich ein kleines Kind oder so. Ich war genervt und habe nicht auf sie gehört …“
„Was hast du angefasst?“
„Da stand so ein kleiner Topf aus Jade auf einer Konsole. Ein Sonnenstrahl fiel direkt darauf. Ehrlich Elvi … so ein Ding sieht man normalerweise nur im Museum … ich wollte es nur für eine Minute in der Hand halten. Also habe ich es genommen und bin damit zum Fenster gegangen, um es gegen das Licht zu halten, weil es so filigran war …“
„Und was ist dann passiert?“, drängte Elvi ängstlich und ungeduldig zugleich.
Daniel warf ihr einen verlegenen Blick zu. „Es klingelte an der Tür, und Mum hat geöffnet. Ich habe das Töpfchen in meiner Hand versteckt, weil ich nicht wollte, dass sie sieht, was ich getan hatte. Leider hat der Mann, der geklingelt hat, auch für Mr. Ziakis gearbeitet. Er hat gesagt, dass ich überhaupt nicht in dem Apartment sein dürfe und gefälligst unten auf meine Mutter warten solle. Er meinte, ich solle sofort gehen … irgendwie war er nett, aber weil er doch dastand, hatte ich keine Chance, das Töpfchen wieder zurückzustellen …“
„Du lieber Himmel, Daniel!“, rief Elvi. „Du hättest es ihm einfach geben sollen! In dem Moment, in dem du mit dem Ding das Apartment verlassen hast, hast du dich zum Dieb gemacht.“
„Glaubst du, ich weiß das nicht?“, rief Daniel. „Ich bin in Panik geraten. Darum habe ich das verdammte Ding nach Hause mitgenommen und in der Kommode versteckt. Ich wollte Mum bitten, es morgen zurückzubringen, aber offenbar hat die Haushälterin den Diebstahl abends gleich bemerkt und gemeldet. Tja, das war’s dann. Der Zug war abgefahren und …“
Dumm, dumm, dumm, hallte es in Elvis Kopf wider, aber sie sprach das Wort nicht laut aus. Sie sah, dass ihr Bruder längst wusste, wie idiotisch er sich verhalten hatte.
„Wann kam die Polizei ins Spiel?“, wollte sie stattdessen wissen.
„Heute Morgen … Sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss dabei, und natürlich haben sie das Töpfchen gefunden. Mum hat mich gebeten, ihre Handtasche aus ihrem Zimmer zu holen. Während ich weg war, hat sie offenbar alles gestanden. Denn als ich zurückkam, war sie verhaftet und bekam ihre Rechte vorgelesen“, berichtete er mit erstickter Stimme. Es gelang ihm nur schwer, einen Schluchzer zurückzuhalten. „Wir brauchen einen Anwalt …“
Elvi dachte intensiv nach, aber ihr fiel nichts ein. Ihr Gehirn schien noch unter Schock zu stehen. Insgeheim wünschte sie, sie würde nicht so viel über den reichen Arbeitgeber ihrer Mutter wissen. Aber sie wusste eine ganze Menge über ihn. Seine Kleiderschränke waren nach Farben sortiert, seine Bücher alphabetisch geordnet. Niemand durfte jemals seinen Schreibtisch berühren, dafür mussten jeden Tag die Bettlaken gewechselt werden. Die Aufgaben, die ihre Mutter in dem Apartment zu erledigen hatte, waren auf einer detaillierten Liste voller Do’s und Don’ts beschrieben. Zu allem Überfluss sah der Mann auch noch wie ein Model aus, das einer Hochglanzannonce für Designerkleidung entsprungen war.
Sie hatte sich im Internet über ihn informiert. Xan Ziakis schien unter einem sehr glücklichen Stern geboren zu sein – gesegnet mit allen erdenklichen positiven Attributen. Und das Einzige, was er aus seinem Glück gemacht zu haben schien, war, sich zu verhalten, als litte er an einer Zwangsstörung. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass er tatsächlich krank war, weil absolut niemand in der realen Welt so perfekt sein konnte. Sie hatte ihn ein paar Mal gesehen, als sie ihre Mutter nach der Arbeit zu den AA-Treffen abgeholt hatte und im Foyer des luxuriösen Wohnblocks auf sie gewartet hatte. Er bot einen atemberaubenden Anblick – absolut und in jeder Hinsicht atemberaubend.
„Ich habe das einzig Mögliche getan“, erklärte Sally Cartwright einige Stunden später ihrer Adoptivtochter. Sie hatten sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen, das die beiden Frauen miteinander teilten, weil Daniel nichts von ihrem Gespräch mitbekommen sollte.
„Wir hätten eine andere Lösung gefunden“, erwiderte Elvi leise. „Du hättest die Wahrheit sagen können. Ihr beide hättet …“
„Glaubst du wirklich, jemand hätte uns geglaubt?“, fragte Sally mit Tränen in den Augen und leicht sarkastischem Unterton. „Wir sind arm und haben immer nur Pech. Und warum? Weil ich uns ruiniert habe! Ich habe unser normales Familienleben zu dem hier gemacht!“
Die Worte ‚dem hier‘ begleitete sie mit einer beschämten Geste, die sich auf die düstere Umgebung ihrer Sozialwohnung in einem Hochhauskomplex bezog. Aber es waren Sallys Schuldgefühle, die Elvi am meisten beunruhigten. Sie hatte Angst, dass ihre Mutter aus lauter Verzweiflung wieder zur Flasche greifen würde. Es war unsinnig, mit Sally zu streiten, weil ihre Mutter im Wesentlichen die traurige Wahrheit gesagt hatte.
Als Elvis Vater so unerwartet starb, war die Familie Cartwright finanziell durchaus abgesichert gewesen. Sie besaßen ein Haus, und Sally arbeitete als angesehene Lehrerin an einer Mädchenschule. Aber der Alkohol und eine Flut von wachsenden Schulden hatte dieses sichere und angenehme Leben fortgespült. Sally hatte ihren Job verloren, und Elvi hatte mit sechzehn die Schule verlassen müssen, um eine Arbeit zu finden. Wie kippende Dominosteine hatten sie alles, was sie bisher für selbstverständlich gehalten hatten, verloren. Am Tiefpunkt waren sie sogar obdachlos geworden.
Von dort aus war es ein sehr mühsamer und langsamer Aufstieg zurück in eine gewisse Sicherheit gewesen. Aber bis zu dem Diebstahl hatte sich ihr Leben immerhin stetig verbessert. Alle drei hatten sich riesig gefreut, als Daniel zum Medizinstudium zugelassen wurde. Seit sehr langer Zeit hatte es endlich wieder etwas gegeben, das sie von Herzen feiern konnten. Sally war so stolz, dass Daniel sich allen Widrigkeiten zum Trotz gegen seine starken Konkurrenten durchgesetzt und einen der begehrten Plätze in Oxford erobert hatte.
„Nein“, erklärte Sally jetzt bestimmt. Auf ihrer immer noch traurigen Miene zeichnete sich Entschlossenheit ab. „Das ist meine Chance, mit meinem Opfer alles wiedergutzumachen, was ich euch beiden genommen habe. Und nichts, was du sagst, wird etwas an meinem Entschluss ändern.“
Das werden wir ja sehen, dachte Elvi trotzig, als sie an diesem Abend im Bett lag und hörte, wie Sally sich unruhig in ihrem herumwälzte. Anscheinend konnte ihre Mutter ebenso wenig einschlafen wie sie. Ihre Mutter, die sie ebenso liebte wie ihren kleinen Bruder. Ihre richtige Mutter, eine finnische Krankenschwester, war wenige Monate nach Elvis Geburt auf tragische Weise bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ihr Vater hatte Sally kennengelernt und geheiratet, als Elvi zwei Jahre alt war. An ihre leibliche Mutter hatte sie keinerlei Erinnerungen. Von ihrer skandinavischen Seite waren ihr nur einige verblasste Fotos und ein kleiner Stapel Briefe einer finnischen Oma geblieben, die mittlerweile längst gestorben war. Für Elvi bedeutete Familie alles. Und sie wünschte aufrichtig, ihre Mutter würde endlich akzeptieren, dass Daniel und sie ihr ihre Fehler längst vergeben hatten.
Sally hatte sich schließlich nicht dafür entschieden, Alkoholikerin zu werden. Der plötzliche Tod ihres geliebten Mannes hatte ihr den Boden unter den Füßen weggerissen. Auf einmal stand sie ganz allein da und musste sich um eine Sechsjährige und ein Kleinkind kümmern. In ihrer Trauer hatte sie den Alkohol anfangs als Unterstützung gebraucht. Es gab keine Verwandten oder nahe Freunde, die sie um Hilfe hätte bitten können, weil sie erst kurz zuvor ans andere Ende des Landes gezogen waren, wo ihr Vater einen neuen Job angenommen hatte. Nein, Elvi hatte genügend Mitgefühl, um ihre Mutter nicht für all ihre Sorgen verantwortlich zu machen. Außerdem war sie nicht bereit, tatenlos mit anzusehen, wie Sally die Fortschritte, die sie in den letzten Jahren gemacht hatte, über den Haufen warf.
Aber was konnte sie tun?
Sollte sie versuchen, mit Xan Ziakis zu sprechen, und darauf hoffen, dass es einen Funken Barmherzigkeit unter seinem Designeranzug gab? Ziemlich viel, worauf ich da hoffe, dachte Elvi und fühlte sich schwach, klein und machtlos. Xan Ziakis war in London gefürchtet, weil er sich weigerte, sich in ein Team einzufügen und niemals Allianzen einging. Er arbeitete immer allein. Und ihre Mutter hatte noch nie irgendwelche Anzeichen bemerkt, dass eine Frau sein Penthouse betreten hatte. Vielleicht war er ja schwul …
Nein, er nicht, entschied sie und drehte sich leise unter der Decke. Wieder musste sie an eine Phase in ihrem Leben denken, als sie fast besessen von dem Wunsch gewesen war, ihn jeden Tag zu sehen. Gern erinnerte sie sich nicht an diese Schwärmerei zurück, aber als sie Xan Ziakis zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie sich auf der Stelle in ihn verknallt. Ihr Leben hätte jede denkbare Wendung nehmen können, trotzdem war sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren noch fast so unschuldig wie ein Kind. Aber sie erinnerte sich noch heute an den glühenden Blick, mit dem Xan Ziakis sie vor Monaten angeschaut hatte – und an das darauffolgende auflodernde Feuer in ihrem Innern, das sie wie flüssige Lava durchströmt hatte. Wie sollte sie diese überraschende Reaktion ihres Körpers je vergessen? Nein, er war definitiv nicht schwul, davon war Elvi überzeugt. Schockierend blieb die Erkenntnis, dass ein Mann, der so aussah wie er, jemanden wie sie so anschauen konnte.
Sie war keine auffällige Schönheit und hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den giraffenbeinigen und super schlanken Models, die sie auf Bildern im Internet an seinem Arm gesehen hatte. Sie war nur knappe eins sechzig groß, hatte blaue Augen und ausgerechnet jene üppigen Kurven, die jeden Kleiderkauf zum Albtraum werden ließen. Ihre weißblonden Haare ließ sie bis zur Taille wachsen, weil sie dank ihrer ungewöhnlichen Farbe das Einzige waren, was sie wirklich an sich mochte. Wenn ich doch wenigstens ein Fitness-Häschen wäre, dachte Elvi, aber sie hasste Sport. Sie hasste Diäten, hasste es, auf die Waage zu steigen. Stattdessen liebte sie das Essen viel zu sehr. Vermutlich hat er nur auf meine großen Brüste gestarrt, ging es ihr durch den Kopf.
Ob sie ihre Brüste jetzt auch nutzen und seine Aufmerksamkeit erregen konnte? Beschämt über ihre eigenen Gedanken zuckte sie zusammen, aber sie war schlicht nicht in der Position, wählerisch zu sein. Jedes Mittel musste ihr recht sein, um ein Treffen mit Xan Ziakis zuwege zu bringen.
In sein Penthouse würde sie nie eingelassen werden, also blieb nur das Büro. Kurz vor Tagesanbruch, als Sally in einen unruhigen Schlaf gefallen war, schlich Elvi sich aus dem Bett. Endlich hatte sie entschieden, was sie als Nächstes tun wollte. Da ein persönliches Treffen höchst unwahrscheinlich war, wollte sie ihm einen Brief schreiben. Den Versuch ist es wert, dachte sie, und es ist immer noch besser, als nichts zu tun.
Zunächst entschuldigte sie sich dafür, Xan Umstände zu bereiten und auch für den Diebstahl. Sie wünschte nichts sehnlicher, als die Wahrheit schreiben zu können, aber es wäre einfach zu gefährlich, Daniel in die Sache hineinzuziehen. Zwar würde Xan dann die Anzeige gegen ihre Mutter zurückziehen, aber stattdessen würde ihr Bruder verhaftet. Vielleicht ist es zu gefährlich, überhaupt etwas zu Papier zu bringen, überlegte sie ängstlich und hielt mehrmals beim Schreiben inne.
Aber welche Alternative gab es noch? Einen Mann anzuflehen, der vielleicht gar kein Herz besaß, war die einzige Möglichkeit, die ihr blieb. Nur wenn er bereit war, sie anzuhören, konnte sie ihre Familie nach besten Kräften verteidigen. Dass sie dabei lügen und behaupten musste, ihre Mutter wäre in einem unentschuldbaren Moment der Versuchung erlegen, bereitete ihr großes Unbehagen. Aber da Sally der Polizei den Diebstahl bereits gestanden hatte, hatte sie gar keine andere Wahl. Sie würde ihn bitten, die Anzeige zurückzunehmen – immerhin hatte er sein wertvolles Kunstwerk ja wiederbekommen.
Um acht Uhr am selben Morgen wartete Elvi auf dem Bürgersteig vor Xan Ziakis’ Hauptsitz. In ihrer Tasche steckte der Brief in einem Umschlag, in dessen Ecke sie ‚privat und vertraulich‘ geschrieben hatte. Ihre Arbeit als Aushilfe in einem Handarbeitsgeschäft begann erst um neun. Xan Ziakis hingegen lebte nach einem strikten Zeitplan, den er mit der Präzision eines Uhrwerks abspulte. Um acht verließ er sein Penthouse und ließ sich mit einer Limousine an sieben Tagen in der Woche in sein Büro fahren. Sieben, dachte sie. Ein Mann, der jeden Tag in der Woche arbeitete. An Arbeitsmoral mangelte es ihm offenbar nicht.
Die große schwarze Limousine tauchte auf. Der Fahrer öffnete die Tür erst, nachdem ein weiteres Auto hinter ihm angehalten hatte und vier Männer in dunklen Anzügen herausgesprungen waren. Bestürzt sah Elvi dem Schauspiel zu. Xan Ziakis wurde von einem Ring aus Leibwächtern beschützt, noch bevor auch nur ein auf Hochglanz polierter Schuh die Limousine verlassen hatte. Trotzdem setzte sie sich in Bewegung. Plötzlich jedoch fühlten sich ihre Beine seltsam weich und wackelig an – als nämlich Xan endlich aus dem Wagen stieg. Schwarzblaues Haar glänzte wie Seide im Sonnenlicht. Makellos gebräunte Haut, dunkle Augen, ein schlanker muskulöser Körper, gehüllt in einen eleganten Maßanzug. Elvi erstarrte.
„Zurück!“, sagte jemand zu ihr. Völlig perplex wich sie tatsächlich mehrere Schritte zurück, den Umschlag fest in der Hand.
Ihr Ziel marschierte in das Bürogebäude … außer Sichtweite, außer Reichweite. Sie fühlte sich hundeelend.
Plötzlich trat ein Mann vor sie – ein älterer Mann, in dessen zerklüftetem Gesicht sie etwas vages Vertrautes erkannte.
„Geht es in dem Brief in Ihrer Hand um Ihre Mutter?“, fragte er unverblümt. „Ich arbeite auch für Mr. Ziakis …“
„Oh“, erwiderte Elvi verwundert über seine Offenheit. „Ja, es geht um Mum …“
„Dann geben Sie ihn mir“, drängte er. „Ich kümmere mich darum, dass er auf dem Schreibtisch vom Chef landet.“
Wie benommen schaute Elvi auf und sah die Güte im Blick des Fremden. „Sie sind …“
„Dimitri“, erwiderte er und entwand den Brief sanft ihrem Griff. „Ich kenne Ihre Mutter. Ich kann nicht versprechen, dass der Chef ihn lesen wird, aber ich kann ihn auf seinen Schreibtisch legen.“
Elvi blinzelte. „Vielen Dank“, murmelte sie voller Wärme.
„Kein Problem. Sally ist eine wunderbare Frau“, erwiderte Dimitri, während er den Brief in seine Tasche schob. Dann wandte er sich um und eilte ebenfalls in das Gebäude.
Dimitri – wer auch immer er war – hielt ihre Mutter offenbar nicht für eine Diebin. Der Brief mochte auf Xans Schreibtisch landen. Ob er ihn las, blieb fraglich … und selbst wenn, blieb immer noch die Frage offen, ob er sich die Mühe machte zu antworten.
Doch Elvis Einschätzung erwies sich als falsch. Der unerwartete Anblick seines Sicherheitschefs, der sich offenbar allein und unbeobachtet wähnte, als er den Umschlag heimlich auf seinen Schreibtisch legte, verwirrte Xan so sehr, dass nichts auf der Welt ihn davon abgehalten hätte, den Brief aus reiner Neugier zu öffnen. Zuerst musterte er die Unterschrift: Elvi Cartwright. Er kannte diesen Namen nur zu gut und wusste, dass er auf diese Taktik hätte vorbereitet sein müssen. Am liebsten hätte er den Brief zerknüllt und ihn ungelesen in den nächsten Papierkorb geworfen. Das wäre der umsichtige Weg gewesen.
Doch obwohl Xan gerade mit Frauen sehr große Vorsicht walten ließ, konnte er sich nicht dazu durchringen, den Brief nicht zu lesen. Vor ein paar Monaten war sie ihm aufgefallen – wirklich, wirklich aufgefallen, wie er sich finster eingestand. Er hatte sogar Dimitri angewiesen herauszufinden, wer sie war, weil er angenommen hatte, dass sie im selben Apartmentblock lebte. Dann allerdings musste er erfahren, dass sie die Tochter der Putzfrau war, was sein Interesse abrupt beendete. Milliardäre verkehrten nicht mit den Töchtern ihrer Angestellten. Die Unterschiede waren zu groß, das Risiko eines schmutzigen Skandals zu hoch.
Und dennoch … den ungelesenen Brief in der Hand überließ Xan sich für einen Moment seinen Erinnerungen. Vor seinem geistigen Auge stieg sehr eindringlich das Bild von Elvi Cartwright auf. Er sah ihre leuchtenden, milchweißen Haare vor sich, die wunderbaren blauen Augen und das atemberaubende innere Leuchten, das von ihr ausging. Und er erinnerte sich an die faszinierende Tatsache, dass sie ganz anders als die Frauen aussah, mit denen er normalerweise schlief. Trotzdem hatte ein Blick auf sie gereicht, um ihn in eine schnellere und vor allem intensivere Erregung zu versetzen, als er sie jemals erlebt hatte.
Vielleicht hat sie ein bisschen zu viel auf den Hüften, sinnierte er. Doch das war schwer einzuschätzen, weil er sie immer nur in einer weiten schwarzen Jacke gesehen hatte. Sie ist klein und entspricht überhaupt nicht meinem Typ, rief er sich ins Gedächtnis, während er den Brief glatt strich. Was ihn mehr beunruhigte als sein möglicher Inhalt war das bizarre Verhalten, das Dimitri an den Tag gelegt hatte. Wenn er seinem Sicherheitschef nicht mehr vertrauen konnte, wem dann? Warum beteiligte Dimitri sich an so einem Komplott?