Feurige Rache, hauchzarte Küsse
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„Lass uns heiraten, Prinzessin!“ Vincenzo Cavalli setzte eine ungerührte Miene auf, doch es fiel ihm nicht leicht, so zu tun, als hätte er vorgehabt, diese Worte zu sagen. Als wären sie nicht aus den unergründlichen Tiefen seines Inneren gekommen.
Alessandra Giovanni – Supermodel und die schönste Frau, der er je begegnet war – wollte gerade ihr Haar aus dem Gesicht streichen, erstarrte jedoch mitten in der Bewegung.
Es war, als hätte ein Kurzschluss in seinem Gehirn all die ungeschriebenen Regeln außer Kraft gesetzt, nach denen er sonst handelte. In den letzten zwanzig Jahren war jeder Schritt in seinem Leben sorgfältig geplant gewesen, ausgerichtet auf eine Zukunft, die er sich schon als kleiner Junge ausgemalt hatte.
Jeder Schritt war allein von dem Ziel diktiert worden, irgendwann Brunetti Finances International zu übernehmen. Jede Stunde eines jeden Tages hatte er Blut und Schweiß darauf verwendet, sich aus der Armut zu befreien, um eines Tages sein Geburtsrecht zu beanspruchen.
Sich an Alessandra Giovanni heranzumachen, war ursprünglich Teil dieses raffinierten Plans gewesen, denn er hatte herausgefunden, dass sie der Familie Brunetti tief verbunden war, vor allem dem Familienoberhaupt Greta Brunetti, die seine Mutter und ihn damals ohne einen Cent vor die Tür gesetzt hatte.
Dass er Alessandra einen Heiratsantrag machte, kam für ihn selbst ebenso überraschend wie für sie.
Doch jetzt, da die Worte ausgesprochen waren, wurde ihm bewusst, dass er es ernst meinte. Und nicht etwa, weil er ein Ehrenmann war, der Wort hielt.
Ehre war immer ein Luxus gewesen, den er sich nicht leisten konnte – wie Schuhe oder drei Mahlzeiten am Tag in seiner Kindheit.
Ehre hatte keinen Platz in seinem Leben.
Nein, sein Antrag war ganz eigennützig. Vielleicht war es sogar das erste Mal, dass er etwas nicht aus strategischen, sondern aus eigennützigen Gründen tat.
Es war irrational und unvernünftig, doch als er Alessandras verblüfftes Gesicht sah, die kurz aufblitzende Freude in ihren Augen, die sie sogleich verbarg, als er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte bei dem Gedanken, den berühmten Brunettis mit Alessandra als der Frau an seiner Seite gegenüberzutreten, wusste er, dass er das Richtige tat.
Es wünschte sich nichts mehr, als sein Leben mit Alex zu verbringen.
Die unmittelbare Chemie zwischen ihnen, als er sie in diesem traumhaft schönen Winkel Balis ausfindig machte, hatte ihn überrascht. Die gegenseitige Anziehung war ein Bonus, mit dem er nicht gerechnet hatte. Und er hatte nicht vor, Alex aufzugeben.
Er war sicher, dass sie seinen Standpunkt verstehen würde, wenn sie erfuhr, dass sie ausgerechnet zu der Familie Verbindungen hatte, die er schon so lange zerstören wollte. Sobald er ihr seine Gründe erklärt hatte, würde Alessandra sich auf seine Seite schlagen. Sie war schließlich keine Blutsverwandte. Sie würde Verständnis dafür haben, dass er die Brunettis vernichten musste. Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und ihr Engagement für wohltätige Zwecke in aller Welt fügten ihrer magnetischen Anziehungskraft eine weitere Dimension hinzu.
Er erhob das Champagnerglas in seiner Hand, ohne den Blickkontakt mit ihr zu unterbrechen.
In ihrem himmelblauen Bikini, der ihre festen Brüste perfekt zur Geltung brachte, sah sie aufreizend schön aus. Da sie ein Supermodel war, das schon für die meisten internationalen Designer gearbeitet hatte, überraschte ihn ihr hartes Fitnessprogramm nicht. Aber die natürliche Energie dieser Frau, die bereit war, es mit der ganzen Welt und ihren unzähligen Ungerechtigkeiten aufzunehmen, verblüffte ihn immer wieder.
Nicht einmal das Blau des Infinity-Pools vor der Kulisse der sanften Hügel und Täler Balis konnte mit Alessandras atemberaubender Schönheit mithalten. Es waren nicht nur ihre makellose Haut, die Perfektion ihrer symmetrischen Gesichtszüge oder Kurven, für die die meisten Frauen getötet hätten.
Es waren ihre Unvollkommenheiten, die er so bezaubernd fand, ihre Eigenarten, die Alessandra Giovanni zu einer der schönsten Frauen der Welt machten.
Die Lücke zwischen ihren Vorderzähnen, die unverbrauchte Art des Mädchens von nebenan, ihr schräger, selbstironischer Humor, ihre seltsame Leidenschaft fürs Boxen, ihre unglaubliche Lebenslust, das Bedürfnis, sämtliches Unrecht der Welt wiedergutzumachen …
Schon bevor er ihr begegnet war, hatte Vincenzo eine gewisse Neugier verspürt. Doch die Realität übertraf all seine Vorstellungen, und es war vom ersten Moment an um ihn geschehen gewesen.
Und dann war da diese verhaltene Verletzlichkeit, die sie ausstrahlte und die keines der unzähligen Fotoshootings je so richtig hatte einfangen können.
Genau diese Verletzlichkeit blickte ihm jetzt aus ihren großen braunen Augen entgegen und hatte ihm in den vergangenen Nächten den Schlaf geraubt.
Sie ist unschuldig, meldete sich der kleine Teil seines Gewissens, den er nicht zum Schweigen bringen konnte. Sie könnte verletzt werden.
Nicht, wenn er sie zu einem Teil seines Lebens machte, redete er sich ein. Nicht, wenn ihr etwas bot, das er bisher nie in Betracht gezogen hatte. Nicht, wenn er ihr behutsam seine Gründe erklärte. Nicht bei ihrem Gerechtigkeitssinn.
„Heiraten?“, wiederholte sie und fuhr mit der Zunge über die volle Unterlippe, die Millionen von Frauen mithilfe von Kollagen nachzuahmen versuchten. Ihre Augen weiteten sich. „Mach dich nicht über mich lustig, V“, sagte sie mit einem kleinen Lacher am Ende. Ein rauer, kratziger Laut, der seine Wirkung auf ihn nie verfehlte.
Ein tapferer kleiner Versuch, ihre Gefühle zu überspielen. Doch der flatternde Puls an ihrem Hals verriet sie. Sie verwendete den Spitznamen, den sie ihm bei ihrer ersten Begegnung verpasst hatte, wie eine Art Schutzschild. Gegen ihn. Gegen ihre Gefühle.
Das mochte er so an Alessandra – sie war ein offenes Buch.
Er leerte sein Glas und tauchte mit dem Kopf voran in den Pool. Das Herz schlug laut in seiner Brust. Als er auf ihrer Höhe war, zog er sich aus dem Wasser. Tropfend stand er neben ihr und spürte ihren warmen Atem an seinen Wangen.
Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn, und es juckte ihn wie immer in den Fingern, sie zu berühren. Sie zu halten. Sie zu besitzen. „Du solltest inzwischen wissen, dass ich nichts sage, was ich nicht meine, Prinzessin“, sagte er.
„Ach ja?“
„Si, cara mia. Die letzten Wochen waren …“ Stirnrunzelnd suchte er nach dem richtigen Wort. Er hatte sich noch nie so sehr in der Sinnlichkeit einer Frau verloren wie bei ihr. Noch nie wegen einer Frau so den Verstand verloren.
„Wundervoll. Fantastisch. Unglaublich“, hauchte sie atemlos, und da war wieder diese Ehrlichkeit in ihrer Stimme, auf die er mehr und mehr vertraute.
Er lachte, und es klang seltsam in seinen Ohren. „All das. Und mir ist bewusst geworden …“ Er zog sie näher an sich, bis ihrer beider Atem sich vermischte. Bis sie die Arme um seinen Hals schlang. Bis sie mit ihren langen Finger in sein Haar fuhr und seinen Kopf zu sich hinunterzog. Bis ihre Herzen im selben Takt des Verlangens schlugen. „Dass ich nicht bereit bin, dich gehen zu lassen, cara. Ich will dich niemals wieder gehen lassen. Also, warum sollen wir es nicht offiziell machen?“
Ihr stockte der Atem, und er spürte, wie sie zitterte. „Das ist verrückt. Die ganzen letzten Wochen waren total verrückt.“
„Auf schlechte Art verrückt?“, fragte er und spürte einen Kloß in der Kehle. Noch nie hatte er so ungeduldig auf eine Antwort gewartet. Seit er erwachsen war, sorgte er dafür, dass immer alles nach seinen Vorstellungen lief. Wenn er etwas wollte, nahm er es sich einfach, statt darum zu bitten. Denn er hatte früh gelernt, dass man nur so etwas erreichte.
„Nein“, erwiderte sie sofort. „Auf gute Art verrückt. Fast auf märchenhafte Art verrückt. Wenn ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich fast wie eine Prinzessin. Ich …“
Er wartete. Seine Nerven zum Zerreißen gespannt.
„Ich war noch nie so hingerissen von einem Mann. Eigentlich hatte ich Männer schon verloren gegeben. Die Welt verloren gegeben sogar. Als ich klein war, gab es diese Geschichten, in denen Mädchen von Prinzen gerettet werden. Und du …“
„Ich bin kein Prinz, Alessandra.“
Seufzend verbarg sie das Gesicht an seiner Schulter. Sie grub die Zähne in die Haut an seinem Hals, und sein Körper reagierte sofort. „Es ist magisch. Und nein. Ich will nicht, dass es vorbei ist.“ Sie sah ihn mit ihren großen Augen durchdringend an. „Aber wir wissen noch nicht alles voneinander.“
„Reicht es nicht, dass ich noch nie auch nur daran gedacht habe, mein Leben mit einer Frau zu teilen, bevor ich dir begegnet bin? Reicht es nicht, dass die letzten Wochen meinem Leben eine neue Richtung gegeben haben? Reicht es nicht, dass wir dieselbe Vorstellung von der Zukunft haben?“
Sie sah ihn an, und alle Hoffnungen und Träume der Welt lagen in diesem Blick. Für den Bruchteil einer Sekunde machte diese Intensität Vincenzo Angst.
Ein breites Lächeln verwandelte ihr Gesicht in atemberaubende Schönheit. „Das reicht. Ja, V. Lass es uns tun. Lass uns heiraten.“
Alle unterschwelligen Zweifel darüber, ob er das Richtige tat, wurden von Alessandras Kuss verschluckt. Von dem süßen Geschmack ihrer Lippen. Von der Unverfälschtheit ihres Verlangens, als sie sich an ihn presste und ihm ins Ohr flüsterte, dass sie ihn wollte, hier und jetzt.
Vincenzo ertrank in ihrem Kuss, packte ihre Hüften, ihre Pobacken. Innerhalb weniger Sekunden hatte er ihr Bikinihöschen zur Seite geschoben und war in ihr, und das Gefühl, komplett zu sein, erfüllte jede Faser seines Seins. Ein Gefühl ungeahnten Friedens erfasste ihn, als sie seinen Mund mit einem Kuss verschloss.
Das laute, penetrante Klingeln eines Handys weckte Alex aus einem traumlosen Schlaf. Sie streckte sich und spürte die Nachwehen der leidenschaftlichen Nacht in ihren Knochen. Lächelnd vergrub sie das Gesicht in dem Kissen neben ihrem. Dem leeren Kissen.
Natürlich, der Mann, den sie geheiratet hatte, war ein Workaholic.
Das Handy klingelte erneut. Seufzend stieg Alex aus dem Bett und sah sich um. Nach mehreren Versuchen fand sie das Handy in einer Schublade unter einem Laptop.
Und runzelte die Stirn. Dies war nicht das Handy, das V sonst benutzte.
Die Nummer auf dem Display verwirrte sie noch mehr.
Sie kannte die Nummer. Sie gehörte Massimo.
Warum rief Massimo Brunetti ihn an? Woher kannte er ihn überhaupt?
Seit Greta Brunetti, das Familienoberhaupt der Brunettis, sie vor dreizehn Jahren mit offenen Armen aufgenommen hatte – nachdem sie entdeckt hatte, dass ihr wesentlich jüngerer zweiter Ehemann aus einer früheren Affäre eine uneheliche Tochter hatte –, waren die Brunettis ihre Adoptivfamilie. Dazu gehörten auch Gretas Enkel Leonardo und Massimo, gezeugt von ihrem Sohn erster Ehe, die Alex wie eine kleine Schwester behandelten.
Natürlich machte Massimo sich Sorgen um sie. Alle machten sich Sorgen um sie. Bei dem Gedanken an die letzten Wochen bekam Alex ein schlechtes Gewissen. Sie hatte nicht vorgehabt, so lange aus Mailand fortzubleiben. Eigentlich hatte sie nach ihrem letzten Shooting nur den Kopf freibekommen und darüber nachdenken wollen, wie es mit ihrer Karriere, ihrem Leben weitergehen sollte. Sie hatte sogar ihr Handy ausgestellt, weil sie eine Pause von den sozialen Medien und den ständigen Telefonaten brauchte.
Doch statt sich auf ihre Zukunft zu konzentrieren, hatte sie Vincenzo kennengelernt und ihn heimlich geheiratet. Und es vor sich hergeschoben, den Brunettis davon zu erzählen.
Wie hatte Massimo herausgefunden, dass sie mit Vincenzo zusammen war? Warum hatte Vincenzo nicht erwähnt, dass er die Brunettis kannte?
Alex atmete tief durch und nahm das Gespräch an. „Hey, Massimo.“
„Alex, cara, bist du’s? Was machst du mit Vincenzo Cavallis Telefon?“
Sie biss sich auf die Lippe. Massimo klang anders als sonst. Irgendetwas stimmte nicht. „Wieso rufst du diese Nummer an, Massimo? Woher kennst du ihn?“
„Cara, hör mir gut zu. Vincenzo ist … Er ist verantwortlich für die ganzen Probleme, die wir bei Brunetti Finances hatten. Er ist es, der die Hacker-Angriffe veranlasst hat. Er ist es, der Vorstandsmitglieder dazu angestachelt hat, Leo abzuservieren. Er ist ein sehr gefährlicher Mann, bella. Er attackiert uns jetzt seit fast einem Jahr von allen Seiten. Uns alle. Mich, Leo, Greta. Er hat es sogar irgendwie geschafft, Vaters Aktienanteile an sich zu bringen.“
Uns alle … Massimo, Leo, Greta.
Auch sie? War sie auch eine Art Zielscheibe?
Alex hatte das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen. Sie ließ sich aufs Bett sinken, ihre Knie zitterten, ihr Magen schlug Purzelbäume. „Massimo, ich verstehe nicht. Warum … wie …?“
„Leo versucht schon eine ganze Weile, dich zu erreichen, bella. Wir haben erfahren, dass Vincenzo ebenfalls auf Bali ist, und wir wollten sichergehen, dass du dich von ihm fernhältst. Schließlich ist Natalie, die mal für ihn gearbeitet hat, auf die Idee gekommen, seine alte Nummer anzurufen, um mit ihm zu reden. Uns fiel nichts anderes mehr ein.“
Alex war wie betäubt.
„Cristo, Alex! Was hast du da zu suchen? Wieso …?“
„Ich … Wenn ich ein Taxi zum Flughafen nehme, kannst du mich dann hier rausholen, Massimo?“, unterbrach Alex ihn. Gott, sie musste hier weg. Sofort. Bevor Vincenzo zurückkam. Bevor er sie wieder mit zärtlichen Worten und phänomenalem Sex einlullte.
„Natürlich. Ich … Alex, ist alles in Ordnung?“
„Nur … Bitte hol mich hier raus. Jetzt.“
„Okay, bella. Rühr dich nicht von der Stelle. Gib mir ein paar Minuten, um die einen Flug zu organisieren. Alex, was es auch ist, Leo und ich schaffen es aus der Welt. Wir sind für dich da.“
Alex beendete das Gespräch, bevor sie noch anfing, am Telefon zu weinen. Bevor sie …
Was hatte sie getan?
Der Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, der Mann, den sie so überstürzt geheiratet hatte, war alles andere als der romantische Prinz, für den sie ihn gehalten hatte. Er war in Wahrheit der Feind.
Doch auch Stunden später, als sie längst auf dem Weg nach Mailand war, hoffte sie noch immer, es wäre alles nur ein Missverständnis.
Vincenzo betrachtete die Villa am Ufer des Comer Sees. Seit fast zwei Jahrhunderten war hier der Familiensitz der Brunettis.
Dann ging er dieselben Marmorstufen hoch, auf denen seine Mutter gestanden und Greta Brunetti angefleht hatte, ihr zu glauben, dass er ihr von Silvio Brunetti gezeugter Enkel war.
Gretas eigen Fleisch und Blut.
Doch als Vincenzo jetzt, zwanzig Jahre später, wieder auf diesen Stufen stand, fühlte er sich berauscht von einem Gefühl der Macht, denn bald würde all das ihm gehören.
Er genoss den Moment, als er den Salon betrat und sie alle vor sich versammelt sah – das Familienoberhaupt Greta Brunetti, ihre Enkel Leonardo und Massimo Brunetti, deren Ehefrauen Neha und Natalie – und mittendrin auf der Chaiselongue Alessandra.
Sie schaute auf, als er eintrat, und sein Puls beschleunigte sich wie bei einem Schuljungen. Statt der Wut, in die er sich hineingesteigert hatte, seit er ihr Verschwinden bemerkt hatte, empfand er plötzlich Sorge.
Ihre Augen waren verweint. Die hellbraunen Haare zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt, der ihre hervortretenden Wangenknochen betonte. Ein weites, ärmelloses T-Shirt, kurze Jeans und rosa Flipflops vervollständigten ihren Look.
Auch ohne Schminke und Designerklamotten sah sie umwerfend aus.
Schmerz lag in ihren Augen, als sie ihn unverwandt anschaute. Als wollte sie in sein Herz schauen. Als suchte sie nach einem Funken Ehre.
Doch sie würde vergeblich suchen. Er kannte keine Ehre.
Er musterte sie von Kopf bis Fuß und sah zu seiner Genugtuung, dass der Diamant noch an ihrer linken Hand funkelte.
Sie gehört mir, hätte er am liebsten gebrüllt wie ein wildes Tier.
„Du läufst einfach ohne ein Wort davon, Prinzessin? Die Ehe ist für uns beide neu, aber wir müssen eindeutig ein paar Grundregeln aufstellen“, scherzte er, ohne die beiden Männer zur Kenntnis zu nehmen, die wie Leibwächter hinter ihr standen.
Leonardo Brunetti, CEO von Brunetti Finances International und der Mann, den er an der Spitze des Finanzkonzerns ersetzen wollte. Und Massimo Brunetti, der brillante Kopf hinter dem erfolgreichen Subunternehmen Brunetti Cyber Services, und der Mann, der das Herz seiner ehemaligen Mitarbeiterin gewonnen hatte.
Männer, die alles besaßen, was eigentlich ihm zustand.
Männer, denen er alles nehmen würde.
„Glaubst du, wir haben noch eine gemeinsame Grundlage, nach allem, was du getan hast?“
Wenn sie ihn angeschrien hätte, hätte er eher das Gefühlt gehabt, die Situation unter Kontrolle zu haben. Aber diese bebende Stimme … Er wusste nicht recht, wie er damit umgehen sollte. „Komm mit, cara. Egal, welche Fragen du hast, ich werde sie dir in Ruhe beantworten.“
„Du hattest lange genug Zeit, mir alles zu erklären. Du hast deine Chance vertan. Du hast …“ Sie biss sich auf die Lippe und atmete schwer. Ihr Augen glänzten feucht. „Erklär uns nur … warum?“
„Warum was?“ Maledizione, er hätte nicht so lange damit warten dürfen, sie einzuweihen.
„Warum hast du es auf meine Familie abgesehen?“ Ihre Stimme wurde ungehalten. „Warum hast du Natalie damit beauftragt, BCS zu sabotieren, bevor sie sich in Massimo verliebt hat? Warum hast du Nehas Stiefvater benutzt, um für dich zu spionieren? Warum hast du genug BFI-Aktien gekauft, um Leo seine Stellung als CEO streitig zu machen?“
„Ich dachte, das erklärt sich von selbst“, sagte er mit sanfter Stimme.
Alessandra stand auf und machte einen Schritt auf ihn zu. Ihr zarter Duft weckte Erinnerungen an verschwitzte Haut und ineinander verschlungene Gliedmaßen. An lange, leidenschaftliche Nächte. An das Netz der Einsamkeit, das er um sich gesponnen hatte, ohne es zu merken, und das sie einfach weggelächelt hatte.
Er sah den Puls an ihrem Hals flattern, doch als er ihr in die Augen schaute, versetzte ihm die Betroffenheit in ihrem Blick einen Stich. Dieselben Augen, die ihn noch vor Kurzem so liebevoll, so sehnsüchtig angeschaut hatten …
„Hältst du das alles für einen Witz?“
Er schob die Hände in die Taschen, um sie nicht nach ihr auszustrecken. „Das ist kein Witz, Alessandra, am wenigsten für mich. Ich habe mein ganzes Leben auf diesen Moment hingearbeitet. Habe Menschen wie Schachfiguren bewegt, nur um an diesen Punkt zu kommen. Ich habe vor, die Führung von BFI zu übernehmen. Ich habe vor, jeden Brunetti aus der Firma zu drängen, bis alles mir gehört. Mir allein.“
Eine einsame Träne zog eine Spur über den perfekt definierten Wangenknochen. „Warum?“
„Ich nehme mir nur, was mir zusteht. Vor allem, weil es mir viel zu lange vorenthalten worden ist. Vor allem …“ Er verlor den inneren Kampf gegen sich selbst und streckte eine Hand aus, um die Träne fortzuwischen. Verdammt, er hatte nie vorgehabt, ihr wehzutun. Er sehnte sich danach, dass sie ihn wieder so anschaute, als wäre er ihr Held. Doch er hatte nie danach gestrebt, ein Held zu sein. Tatsächlich war er alles andere als ein Held. Er glaubte nicht an Selbstaufopferung, an Selbstlosigkeit. „Vor allem, weil ich es mir geschworen habe“, beendete er den Satz bedächtig.
Sie sog scharf die Luft ein. Öffnete die sinnlichen Lippen. Errötete leicht. Dann schluckte sie und schaute auf. Und für den Bruchteil einer Sekunde sah er, dass sie sich genauso in ihm verlor wie er in ihr. In der Magie zwischen ihnen. In dieser unbeschreiblichen, unerklärlichen Sache zwischen ihnen, die ihn dazu gebracht hatte, so einen großen Schritt zu wagen.
Die ihn dazu brachte, hier zu stehen und sich ihr zu erklären, obwohl sie einfach ohne ein Wort davongelaufen war.
„Alessandra?“ Greta mischte sich ein und zerstörte die Magie.
Alessandra sah ihn mit ihren Rehaugen an. „Du denkst, BFI sollte dir gehören?“
„Si. Weil es Silvio Brunetti war, der meine Mutter verführt hat, mit Hunderten von Lügen, der sie geschwängert und dann wie ein Stück Dreck weggeworfen hat. Weil die Frau, die du als Stiefmutter betrachtest, meine Mutter eine Hure geschimpft und sie auf die Straße gesetzt hat. Weil mir als Kind alle Privilegien verwehrt wurden, habe ich beschlossen, mich nicht mit einem kleinen Stück vom Kuchen zufriedenzugeben. Ich will jeden einzelnen Brunetti mit hängendem Kopf aus diesem Haus gehen sehen. Bis alles mir gehört.“
„Das ist …“ Alessandra sah ihn mit großen Augen fassungslos an und schwankte. Als er einen Schritt auf sie zu machte, wich sie zurück, ihr schönes Gesicht verzerrt. „Greta würde so etwas nie tun. Sie hat mich mit offenen Armen aufgenommen, als ich herkam, um bei meinem Vater, ihrem zweiten Ehemann, zu wohnen. Sie ist mehr als eine Stiefmutter für mich. Sie hat mich mehr geliebt als …“
Was auch immer Alessandra zu Gretas Verteidigung hatte sagen wollen, blieb ihr in der Kehle stecken, als sie sich zu der älteren Frau umdrehte. Ein leiser Schrei entwich ihren Lippen, und ihr Körper bog sich, als schlüge ihr plötzlich ein starker Wind entgegen.
Die Augen der älteren Frau verrieten die Wahrheit über jene Begegnung, an die sie wahrscheinlich nie wieder einen Gedanken verschwendet hatte. Wogegen sie für Vincenzo das Fundament seiner Existenz war.
Die schmutzigen Anschuldigungen. Die vermeintliche Überlegenheit der Privilegierten. Das mangelnde Mitgefühl.
Der Raum füllte sich mit einer Atmosphäre des Entsetzens, und alle drehten sich vorwurfsvoll zu Greta um. Selbst die legendären Gebrüder Brunetti wirkten betroffen. Sie schauten abwechselnd zu ihrer Großmutter und Vincenzo wie in einer Parodie, über die er unter anderen Umständen gelacht hätte. Eine Reihe exotischer Flüche kam über Massimos Lippen, während Leo nur stumm vor sich hin starrte.
„Wir können einen DNA-Test machen, wenn ihr einen Beweis dafür wollt, dass ich mir nur nehme, was mir zusteht“, fügte Vincenzo herablassend hinzu.
„Wir glauben dir, Cavalli, auch wenn du trotzdem ein Mistkerl bist“, erklärte Massimo mit ruhiger Stimme.
„Das ist wahnsinnig großzügig von dir“, erwiderte er bitter.
„Und ich, V?“, beschwor Alessandra ihn leise. „Welche Rolle spiele ich in dieser schmutzigen Geschichte?“ Ihre Stimme bebte.
Ein kaltes, klammes Gefühl breitete sich auf seiner Haut aus, denn er hatte keine Antwort darauf.
Jedenfalls keine, die nicht die zarte Hoffnung in ihren Augen zerstören würde.
Keine, die er in Worte fassen konnte.
Nicht vor all den anderen.
Sie nickte, als hätte er ihr eine eindeutige Antwort gegeben. Und dann floh sie.
Alex unterdrückte die Tränen mit einem tiefen Atemzug und einem großen Schluck Wasser. Gott, sie hatte seinetwegen in der vergangenen Woche genug geweint.
Sie blickte durch die Balkontür in den gepflegten Garten der Villa. Das Gewächshaus, das Leo restauriert hatte. Den alten Weinkeller, der zu Massimos hochmodernem Computerlabor umfunktioniert worden war.
Der Stolz und die Geschichte des Anwesens lagen ihnen im Blut. Es war ihr Erbe. Ihr Zuhause.
Dieses Privileg war Vincenzo auf grausame Weise verwehrt worden. Ebenso wie sein Anteil des Erbes. Sie würde nie vergessen, wie unzulänglich, wie machtlos sie selbst sich gefühlt hatte, als sie als Jugendliche entdecken musste, dass Steve, der Mann ihrer Mutter, den sie immer für ihren Vater gehalten hatte, gar nicht ihr Vater war. Sie erinnerte sich an den verzweifelten Wunsch, irgendwo ganz dazuzugehören.
Sie konnte sich vorstellen, wie es sich für einen kleinen Jungen anfühlte, von seiner Familie verstoßen zu werden, welche Narben er bis ins Erwachsenenalter davontrug. Aber dass er Leonardo und Massimo nach all den Jahren zerstören wollte … Nein, das konnte sie einfach nicht hinnehmen.
„Du musst aufhören, immer vor mir davonzulaufen, cara mia.“
Die sanfte Brise trug die tiefe Stimme von der offenen Tür zu ihr herüber und jagte ihr einen Schauer über den Rücken, als wäre ihre Wirbelsäule eine Klaviatur und er der Dirigent.
Sie hielt das Gesicht von ihm abgewandt. Wie ein Feigling. Nein, wie eine Frau, die um ihre Schwäche wusste und sich wappnete. Aber es war an der Zeit, sich zu entscheiden.
Dem Mann in die Augen zu sehen, der sie so betört hatte, dass sie ihren gesunden Menschenverstand vergessen hatte und mit ihm vor den Altar geeilt war.
„Du hast mir keine Wahl gelassen“, sagte sie.
Ihre Blicke trafen sich. Wieder senkte sich diese Reglosigkeit über ihn, die sie so faszinierte. Mit seiner rastlosen Energie und unterdrückten Aggression, jederzeit zum Angriff bereit, erinnerte er sie an eine Raubkatze.
Das aufgeknöpfte weiße Hemd entblößte ein gebräuntes V und den Ansatz seiner Brusthaare. Er wirkte nach dem langen Flug ein wenig zerknittert, was vielleicht auch daran lag, dass er gerade sechsunddreißig Stunden durchgearbeitet hatte, bevor sie davongelaufen war. Das Grau seiner Augen verdunkelte sich, der einzige Anhaltspunkt in seiner äußeren Reglosigkeit, der ihn verriet. Der verriet, dass er genauso viel für sie empfand, wie sie für ihn.
Sie räusperte sich, beschämt darüber, wie wenig sie sich in seiner Gegenwart unter Kontrolle hatte. „Natalie hat versucht, mich davon zu überzeugen, dass du kein Monster bist. Dass du vor langer Zeit der einzige Mensch warst, der sie vor dieser grausamen Welt beschützt hat. Dass sie dir viel verdankt.“
Sein Blick war undurchdringlich, doch Alex bemerkte die Steifheit in seinen Schultern. „Hat sie dir nicht erzählt, dass ich eine Gegenleistung dafür verlangt habe?“
„Du bist überrascht, dass sie für dich eingetreten ist? Bist du so ein Schurke?“
„Ich weiß nicht, ob ich ein Schurke bin, Prinzessin. Aber ich bin definitiv kein Held“, sagte er und betrat das Zimmer, das er innerhalb von Sekunden ganz einnahm.
Greta hatte sich damals große Mühe gegeben, dem verlorenen Teenager, der Alessandra war, ein einladendes Zimmer einzurichten. Jeder Zentimeter war Zufluchtsort für ein Mädchen, dessen leibliche Mutter ihm wiederholt das Herz gebrochen hatte.