Flitterwochen wie im Traum

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Nie hat eine Frau den Unternehmer Alex Veranchetti tiefer verletzt als die bezaubernde Kerry. Trotzdem kann er sie selbst nach der Scheidung nicht vergessen - und will Kerry wieder heiraten! Besteht vielleicht doch noch die Chance auf traumhafte zweite Flitterwochen?


  • Erscheinungstag 24.04.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774059
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

An der Spitze seiner Eskorte fegte Nicky wie ein kleiner Wirbelwind auf seine Mutter zu und warf sich ihr in die Arme.

„Ich habe dich vermisst“, murmelte er erstickt und barg seinen dunklen Lockenkopf unter ihrem Kinn, um seine aufsteigenden Tränen zu verbergen. Kerry legte die Arme um ihren Sohn und drückte ihn zärtlich an sich. Vier endlos scheinende Wochen hatte er bei seinem Vater verbracht. Jeden Tag während seiner Abwesenheit hatte Kerry sehnsüchtig in ihren Kalender geschaut, der ungewohnten Stille in ihrem kleinen Cottage nachgehorcht und sich durch die langweiligen Wochenenden gequält. Erst als sie den vierjährigen Jungen behutsam auf dem Boden absetzte, registrierte sie die beiden dunkel gekleideten Männer, die sie unverwandt anstarrten.

Als sich ihre Blicke begegneten, trat einer der beiden auf sie zu und sprach sie in hartem Englisch an. „Sie hätten nicht zum Flughafen kommen müssen, Signora. Wir hätten Nicky zu Ihnen nach Hause gebracht, wie wir es immer tun.“ Er maß sie von Kopf bis Fuß, und in seinen nachtdunklen Augen lag ein dreister, abschätzender Blick, der heiße Röte in Kerrys Wangen trieb. Sie wusste, dass sie sich von Alex’ Sicherheitsleuten nicht einschüchtern lassen sollte, und doch passierte es ihr immer wieder. Für diese Männer war sie ein Niemand. Die verstoßene Exfrau, die in ihren Augen nicht einmal den Vorzug einer einigermaßen zivilisierten Behandlung verdiente. Zumal sie sich sicher sein konnten, dass Kerry niemals nach dem Hörer greifen würde, um sich bei Alex über ihr herabwürdigendes Benehmen zu beschweren.

Mit einiger Anstrengung hob sie das Kinn und blickte dem hünenhaften Mann fest in die Augen. „Ich wollte aber kommen.“

„Mr Veranchetti sieht es lieber, wenn wir seinen Sohn sicher vor Ihrer Haustür abliefern, Signora.“

„Ich bin durchaus selbst dazu in der Lage, mein Kind nach Hause zu fahren“, entgegnete sie kalt und wandte sich ab, um die unangenehme Diskussion zu beenden. Doch plötzlich spürte sie eine schwere Hand auf ihrer Schulter.

„Unsere Zuständigkeit endet erst, wenn der Junge zu Hause ist“, wurde ihr mitgeteilt. Kerry konnte nicht glauben, was ihr da passierte. Wie kam dieser bullige Kerl, der ihr Kind wie den kleinen Lord Fauntleroy behandelte, eigentlich dazu, sie anzufassen? Nicky war ihr Sohn! Sicher, Alex war sein Vater, aber musste sie sich deswegen diese Unverschämtheiten gefallen lassen? Die unerfreuliche Auseinandersetzung mitten auf dem Flughafen Heathrow drohte bereits die Wiedersehensfreude zwischen Mutter und Sohn zu zerstören. Der Kleine schaute ängstlich zwischen den Erwachsenen hin und her. Um ihn nicht weiter zu beunruhigen, zwang Kerry sich zur Ruhe.

„Das ist doch lächerlich. Da ich nun schon mal hier bin, übernehme ich ab sofort die Verantwortung für meinen Sohn.“

Jetzt trat auch der zweite Mann, der Nickys Koffer trug, einen Schritt näher, und über Kerrys gebeugten Kopf hinweg entspann sich ein schneller Wortwechsel auf Italienisch. Sie biss sich auf die Lippe und ballte die Hände in hilfloser Wut zu Fäusten. Die letzten vier Jahre waren schon hart genug für sie gewesen, und sie war nicht bereit zu akzeptieren, dass die Demütigungen noch weiter zunahmen. Seit einiger Zeit versuchte Alex, die Zeiten, die Nicky bei ihm verbrachte, immer weiter auszudehnen. Doch Kerrys Anwalt, der nicht gerade zur ersten Kategorie seiner Zunft gehörte, war es bisher immer wieder gelungen, sie davon zu überzeugen, dass es besser sei, sich ihren Exmann nicht zum Feind zu machen.

Diesmal war es der Ältere, der sprach. „Mr Veranchetti würde diese Sache gar nicht gefallen“, sagte er langsam. Er sprach in dem gleichen ehrfürchtigen, fast ängstlichen Ton, der Kerry schon immer bei Alex’ Angestellten aufgefallen war. Die Erkenntnis, dass er es in den letzten Jahren sogar geschafft hatte, selbst sie in Angst vor ihm förmlich erstarren zu lassen, war ausgesprochen demütigend.

Doch heute hatte sie plötzlich genug davon. Nicky gehörte zu ihr, und sie waren nicht in Alex’ Einflussbereich, sondern auf britischem Boden. Hier brauchte sie sich nicht von seinen Leuten einschüchtern zu lassen. In ihren grünen Augen blitzte es ärgerlich auf, als sie die beiden dunklen Gesichter vor ihr fixierte. „Unglücklicherweise haben Mr Veranchettis Wünsche für mich absolut nicht das gleiche Gewicht wie offenbar für Sie“, sagte sie betont und streckte die Hand nach dem Koffer ihres Sohnes aus.

Nach einem unmerklichen Zögern wurde er ihr ausgehändigt. Das unerwartete Gewicht hätte ihr fast das Handgelenk ausgerenkt. Kerry war eine kleine, zierliche Frau, aber der unverhoffte Sieg verlieh ihr neue Kraft und zauberte ein selbstbewusstes Lächeln auf ihre Lippen. „Vielen Dank“, sagte sie gelassen und wandte sich zum Gehen.

„Warum sind Enzio und Marco denn so schlecht gelaunt?“, fragte Nicky im Flüsterton.

„Oh, das sieht nur so aus“, beruhigte seine Mutter ihn. „Wink ihnen noch einmal zum Abschied zu.“

„Sie kommen hinter uns her“, verkündete ihr Sohn nach einem Blick über die Schulter.

Nun, wenn sie ihre Zeit damit verschwenden wollten, ihnen bis zum Parkplatz zu folgen, war das ihre Sache. Ich hätte schon viel früher energischer auftreten sollen, dachte Kerry beschwingt. Ich sollte überhaupt viel weniger auf die Meinung anderer Leute geben.

Die Furcht, Alex’ engere Vertraute könnten den Grund wissen, warum ihr Mann sie quasi weggejagt hatte, hatte sie immer verunsichert. Und selbst nach vier langen Jahren wurde sie ihre Scham- und Schuldgefühle einfach nicht los. Da sie selbst den Respekt vor sich verloren hatte, war es ihr nur natürlich erschienen, dass andere ihn ihr auch nicht zollten.

„Jetzt sind sie weg“, sagte Nicky irgendwann auf dem langen Weg zu ihrem Wagen, und Kerry meinte, einen Anflug von Enttäuschung in seiner Stimme zu hören. Seufzend stellte sie den Koffer ab, lockerte die Schultern und nahm ihn dann mit der anderen Hand wieder auf. Es war ein kalter, frostiger Morgen, und sie musste aufpassen, nicht auf dem festgefahrenen Schnee auszugleiten. Kerry kuschelte sich noch tiefer in ihre dicke Daunenjacke und beeilte sich, zu ihrem blauen Kombi zu gelangen. Nachdem sie den schweren Koffer in den Laderaum gehievt und sich hinters Steuer gesetzt hatte, fiel ihr plötzlich auf, wie unnatürlich schweigsam ihr kleiner Sohn war.

Normalerweise sprudelte er förmlich davon über, was er mit seinem Vater erlebt hatte, wer mit ihnen zusammen gewesen war und was für tolle Dinge sie unternommen hatten.

„Habt ihr eine schöne Zeit gehabt?“, versuchte sie ihn zu ermuntern.

„Oh ja.“ Er warf ihr ein fast entschuldigendes Lächeln zu.

„Und, was habt ihr gemacht?“

„Wir waren angeln, schwimmen … und wir sind mit einem Düsenflugzeug geflogen. Eigentlich nichts Besonderes“, meinte er und wandte sein schmales, ernstes Gesichtchen ab.

Wahrscheinlich ist es für ihn wirklich nichts Besonderes, dachte Kerry mit wehmütigem Lächeln. Quasi seit seiner Geburt war Nicky rund um den halben Globus geflogen, um seinen mächtigen und einflussreichen Vater zu treffen. Als er noch ein winziger Säugling gewesen war, war Alex häufiger für einen einzigen Tag nach London geflogen, mit einer Nanny im Schlepptau in einer riesigen Limousine vorgefahren und hatte seinen Sohn mit sich genommen. Nachdem er etwas älter und von seiner Mutter unabhängiger geworden war, hatte Alex diese Ausflüge immer weiter ausgedehnt. Er hatte uneingeschränktes Umgangsrecht mit seinem Sohn vor Gericht erstritten. Was Kerry immer wieder verwunderte, war der Umstand, dass Nicky seinen Vater geradezu anbetete. Einen Mann, der so kalt und beherrscht war und der Mutter seines Sohnes nach wie vor mit unversöhnlichem Hass begegnete … Wie war es ihm nur gelungen, Nickys Vertrauen und seine Zuneigung zu gewinnen?

„Mummy …? Daddy möchte, dass ich bei ihm lebe.“

Kerry schaute in den Rückspiegel und starrte wie betäubt auf eine silbergraue Limousine, die fast an der Stoßstange ihres Kombis klebte. „Was hast du da gesagt, mein Schatz?“, fragte sie.

„Er hat mich gefragt, ob ich nicht bei ihm wohnen möchte.“

Was für ein berechnender Schuft Alex doch war, einen kleinen Jungen in Nickys Alter so etwas zu fragen! Und natürlich alles im Rahmen einer ganz unbefangenen Unterhaltung. Aber war es auch ein Grund, gleich in Panik zu geraten? Immerhin hatte Alex bei Nickys Geburt darauf verzichtet, das Sorgerecht für sich zu beanspruchen. Warum sollte er plötzlich seine Meinung geändert haben?

„Und, was hast du ihm geantwortet?“, fragte sie betont gelassen.

„Nur wenn du mitkommst. Weißt du, Mummy, ich habe darüber nachgedacht und nachgedacht“, versicherte ihr Sohn mit einem Anflug des südländischen Pathos’, das ihr noch aus der Zeit ihrer Ehe von seinem Vater her vertraut war. „Das würde mir wirklich am besten gefallen. Dann brauche ich weder auf Daddy noch auf dich zu verzichten.“

Kerry lächelte schmerzlich. Nickys Vorschlag war ebenso rührend unschuldig wie praktisch undurchführbar. Wie sollte er auch den Sinn einer Scheidung verstehen können? Oder den einer Ehe? Er hatte seine Eltern in seinem ganzen Leben ja noch nicht einmal zusammen gesehen. Aufsteigende Tränen verschleierten Kerrys Blick, und die grellen Scheinwerfer ihres Hintermanns blendeten sie. Warum mussten Enzio und Mario auch so dicht auffahren?

„Und was hat Daddy dazu gesagt?“, konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen.

„Nichts. Er hat nur ziemlich ärgerlich dreingeschaut“, sagte der Kleine unglücklich.

Und das ist ganz sicher die Untertreibung des Jahrhunderts, dachte Kerry mit einem Anflug von Galgenhumor. Versuchte Alex tatsächlich, ihr Nicky wegzunehmen, oder sah sie schon Gespenster? „Du hast mir noch gar nicht erzählt, was ihr in Rom gemacht habt“, sagte sie in dem Versuch, einen leichteren Ton anzuschlagen. „Seid ihr segeln gegangen?“

„Ja, Helena ist auch mitgekommen. Sie hat ganz viele gelbe Locken und ist sehr nett.“

„Oh“, machte Kerry und bemühte sich, den erneuten Schlag erst einmal zu verdauen. „Ist … ist sie auch hübsch?“

Spektakulär. Das hat Giuseppe gesagt. Bedeutet das hübsch?“

Kerry verzichtete darauf, zu fragen, wer dieser Giuseppe sei. Alex hatte eine unüberschaubare Zahl von Brüdern, Schwestern, Cousinen, Cousins, Nichten und Neffen, mit denen Nicky Kontakt hatte, wenn er bei seinem Vater war. Auf der ganzen Welt schien es Ableger des Veranchetti-Clans zu geben. Mailand, Rom, Athen, New York …

Also hatte Alex eine neue Freundin! Na und? Was ging sie das an?

Seitdem sie geschieden waren, hatte er eine Affäre nach der anderen gehabt. Vickie hatte es sich bisher nicht nehmen lassen, ihre Schwester über alle pikanten Details auf dem Laufenden zu halten. Als ehemaliges internationales Model hatte sie Zugang zu den höchsten, illustren Kreisen. Inzwischen leitete sie selbst eine Modelagentur, die ihr weiterhin als Entree zur High Society diente. Und in Europa waren Alex und seine Affären ein immer gern gesehenes Thema in der Klatschpresse.

Helena …? Der Name sagte ihr nichts. Kerry versuchte, den schneidenden Schmerz zu ignorieren, der sich in ihrem Inneren breitmachte. Das war nichts weiter als Bitterkeit und Widerwillen! Eifersucht konnte man schließlich nur empfinden, wenn man jemand liebte. Und Kerry hatte schon vor langer Zeit damit aufgehört, Alex zu lieben …

Jetzt hatte sie nur noch Angst vor ihm, und manchmal glaubte sie sogar, ihn zu hassen. Fast hätte er es geschafft, sie zu zerstören. Alex besaß nicht einen Funken von Nachsicht oder Mitleid. Genauso gut hätte sie einen Granitblock um Vergebung bitten können! Das einzig Gute, was aus ihrer Ehe hervorgegangen war, war Nicky.

Kerry verdrängte die quälenden Erinnerungen und versuchte sich auf Nickys Geplapper zu konzentrieren. Nachdem er losgeworden war, was ihn gequält hatte, stand seine Zunge wie gewohnt nicht eine Sekunde still.

„Daddy hat mich mit in sein Büro genommen und mir Nonnos Bild gezeigt“, verkündete er stolz.

Seine Mutter schnitt ein Gesicht. Lieber Himmel! Gegen Alex war J. R. Ewing direkt ein Waisenknabe – der Tycoon weist den winzigen Erben bereits in sein zukünftiges Imperium ein und lässt ihn wahrscheinlich sogar an seinem Schreibtisch Probe sitzen! „Das war ja sehr nett von ihm“, sagte sie diplomatisch.

„Wenn ich groß bin, werde ich Fischer, wie Giuseppe“, erklärte Nicky im Brustton der Überzeugung.

Nicht, solange dein Vater was zu sagen hat, mein Schatz, dachte Kerry im Stillen. Alex war eine brisante Mixtur aus italienischen und griechischen Genen, die eines gemeinsam hatten – sie entsprangen einem langen, gewichtigen Stammbaum. Seine Mutter war die Erbin einer griechischen Reedereilinie, sein Vater der Sohn eines mächtigen italienischen Industriemagnaten. Eine gefährliche Mischung – wenn auch nicht auf den ersten Blick. Nach außen wirkte Alex so klar und kühl wie ein lupenreiner Diamant. Ruhig, beherrscht, überlegen. Manchmal begriff Kerry einfach nicht, wie sie sich von dieser Fassade hatte täuschen lassen können, aber sie war gerade erst achtzehn Jahre alt gewesen, als sie Alex getroffen hatte – und in dem Alter denkt man noch mit dem Herzen statt mit dem Verstand. Seine überschäumende Liebe und Ergebenheit hatten sie blind für alles andere gemacht.

Es hatte wieder zu schneien begonnen, und Kerry beäugte im Rückspiegel gereizt die schwere Limousine, die ihnen immer noch unverdrossen folgte. So ein Schwachsinn! Aber sie hatten ihre Anweisungen, die sie wie programmierte Roboter ausführten. Kerrys Schultern schmerzten durch das angestrengte Fahren auf der rutschigen Straße. Es war ein ziemlich langer Weg nach Hampshire, wo sie seit einiger Zeit wohnte. Dort gehörte ihr auch die Hälfte eines kleinen Antiquitätenladens, der mehr schlecht als recht lief. Aber sie lebte in der Nähe ihrer Eltern, an denen Nicky sehr hing. Ja, er hatte seine festen Wurzeln hier in England. Das würde Alex auch erkennen, wenn er versuchte, ihr den Sohn zu nehmen.

Kerry presste die Lippen zusammen, lenkte den Wagen in eine enge Kurve, und dann passierte es … Direkt vor ihr auf der Straße stand, aufrecht wie ein Standbild, eine schwarz-weiß gefleckte Kuh. In dem hoffnungslosen Versuch, dem Hindernis auszuweichen, riss Kerry instinktiv das Steuer herum, die Räder blockierten auf der eisglatten Straße, der Wagen geriet ins Schleudern, irgendetwas schlug gegen Kerrys Kopf, und dann war alles um sie herum in Dunkel gehüllt.

„Nicky!“ Qualvoll entrang sich ihr der Schrei, der bisher nur in ihrem Kopf gehallt hatte. Sie versuchte sich aufzurichten, wurde aber von kräftigen Händen aufs Bett zurückgedrückt. Üppige tizianrote Locken breiteten sich auf dem weißen Kissen aus und ließen ihre zarten Züge noch durchscheinender wirken. „Nicky?“, krächzte sie verzweifelt.

„Ihr Sohn ist in Sicherheit, Mrs Veranchetti.“ Die Stimme, die zu dem glatten Gesicht unter der Schwesternhaube gehörte, klang kompetent und überzeugend.

Kerry schloss die Augen, ihr Atem ging schwer und rasselnd. Mühsam hob sie eine Hand und befingerte die Verbände an ihrem schmerzenden Kopf. „Es geht ihm wirklich gut?“, vergewisserte sie sich flüsternd.

Die Schwester strich routiniert die Bettdecke glatt. „Er hat nur ein paar kleine Kratzer und einen Schock.“

„Oh nein!“ Flehend schaute Kerry in das ruhige Gesicht über sich, während heiße Tränen über ihre Wangen liefen. „Ich muss zu ihm. Wo ist er?“

„Sie müssen im Bett bleiben, Mrs Veranchetti.“

„Mein Name ist Taylor, nicht Veranchetti“, wehrte sie sich mit schwacher, aber fester Stimme. „Und ich möchte augenblicklich meinen Sohn sehen.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Ein großer, hagerer Mann in weißem Kittel betrat das Zimmer. „Ah, ich sehe, Sie sind wieder bei uns, Mrs Veranchetti“, begrüßte er sie mit einem jovialen Lächeln. „Sie waren einige Stunden bewusstlos, aber Sie haben wirklich Glück gehabt.“

Mrs Taylor möchte ihren Sohn sehen“, sagte die Schwester betont.

„Keine Sorge, der ist bei seinem Vater gut aufgehoben“, erwiderte der Arzt lächelnd.

„V…ater? Alex …?“, brachte Kerry mit erstickter Stimme hervor. „Er ist hier?“

„Er ist vor zwei Stunden angekommen. Ihr kleiner Sohn hat sich sehr darüber gefreut, Mrs … Taylor“, versicherte er, wechselte einen verständnisinnigen Blick mit der Schwester und griff nach Kerrys Handgelenk, um den Puls zu fühlen.

Alex war hier! Wie, zur Hölle, hatte er so schnell herkommen können? Natürlich! Seine Leute waren ja direkt am Schauplatz des Geschehens gewesen und hatten ihn selbstverständlich umgehend informiert.

„Beruhigen Sie sich, Mrs Taylor. Ich versichere Ihnen, dass es nichts gibt, worüber Sie sich Gedanken machen müssten. Wir werden Sie nur zur Kontrolle über Nacht im Krankenhaus behalten.“

„Ich kann nicht hier bleiben!“, rief sie entsetzt aus. „Nicky …“

„Sein Vater hat versprochen, sich um ihn zu kümmern.“

Panik erfasste Kerry. Würde Alex versuchen, sie für den Unfall verantwortlich zu machen? Aber wie könnte er das? Es war nicht ihr Fehler, dass diese Kuh auf der Straße gestanden hatte. Plötzlich begann sie zu frösteln. Alex … im gleichen Gebäude mit ihr …

„Ich denke, wir sollten ihr ein Beruhigungsmittel geben“, meinte der Arzt, so als wäre sie persönlich gar nicht anwesend.

„Ich will kein Beruhigungsmittel!“, protestierte sie vehement. „Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber ich bin nicht krank und noch sehr wohl Herrin meiner Sinne.“

„Sie haben einen Schock erlitten, Mrs Taylor.“

Kerry ignorierte seinen Einwand, warf die Bettdecke zurück und setzte sich auf. Vor ihren Augen begann sich alles zu drehen. Sie wollte zu ihrem Sohn – allerdings nicht, wenn auch Alex dort war. Kerry zögerte. Nach vier Jahren würde sie lieber einem reißenden Tiger begegnen als ihrem Exmann. Schlimm genug, dass ihr letztes Zusammentreffen ebenfalls in einem Krankenhaus stattgefunden hatte. Das war wenige Stunden nach Nickys Geburt gewesen. Gedankenverloren zog sie die Bettdecke wieder hoch.

„Legen Sie sich doch bitte hin, Mrs Taylor“, drängte die Schwester sanft, so als hätte sie es mit einer Hysterikerin zu tun.

Aber ich bin nicht hysterisch, dachte Kerry trotzig. „Sie lassen ihn doch nicht zu mir?“

„Wen?“

Kerry schloss die Augen. „Meinen Exmann.“

„Wenn das Ihr Wunsch ist“, sagte der Arzt und wechselte wieder einen bedeutsamen Blick mit der Schwester. Stillschweigend kamen sie überein, der Patientin gegenüber nicht zu erwähnen, dass Alex Veranchetti eine ganze Zeit lang an ihrem Bett gesessen hatte, bevor sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war. Kerry nahm kaum noch wahr, dass sie eine Spritze in den Arm bekam, ehe sie in einen erlösenden Schlaf fiel.

„Sie scheint panische Angst vor ihm zu haben“, raunte die Schwester in wichtigem Ton. „Haben Sie das auch bemerkt? Ich frage mich nur …?“

„Ich glaube kaum, dass uns das etwas angeht“, erklärte der hagere Arzt trocken. „Mrs Veranchetti scheint in jedem Fall eine sehr emotionale Person zu sein.“

Neugierig betrachtete die blonde Schwester ihre schlafende Patientin. Sie wirkte eigentlich viel zu jung, um schon geschieden zu sein. Die üppigen roten Locken und fein gezeichneten Gesichtszüge ließen ahnen, dass sie unter normalen Umständen einfach umwerfend attraktiv sein musste. Das galt allerdings auch für ihren Exmann …

Die Schwester lächelte verträumt, während sie hinter dem Arzt das Krankenzimmer verließ. Sie glaubte nicht, je zuvor einen so gut aussehenden Mann getroffen zu haben. Diese Augen und dieser charmante, rollende Akzent! Leider hatte sie meist nur seinen dunklen Hinterkopf zu sehen bekommen, als er selbstvergessen am Bett seiner geschiedenen Frau gesessen hatte. Kein Muskel hatte sich in seinem dunklen Gesicht bewegt, während er sie auf eine seltsam teilnahmslose Weise betrachtet hatte.

Es dämmerte bereits, als Kerry wieder erwachte. Schlagartig kam die Erinnerung zurück. Nicky! Alex! Sie wollte auf ihre Armbanduhr schauen, stattdessen fiel ihr irritierter Blick auf ein Identifikationsband an ihrem Handgelenk. Während sie um sich sah, registrierte sie langsam, dass sie hier in einem privaten Krankenzimmer lag. Wie sollte sie bloß die Rechnung dafür bezahlen?

Steven würde sie inzwischen sicher auch schon vermissen. Ihr Partner in dem kleinen Antikladen war Möbelrestaurator. Er hatte seine Werkstatt in dem hinteren Teil ihres Ladens, und obwohl er während seiner Arbeit meist Zeit und Raum vergaß, musste es inzwischen so spät sein, dass selbst er anfangen würde, sich Gedanken über ihr Ausbleiben zu machen. Immerhin hatte sie versprochen, auf der Heimfahrt noch bei ihm vorbeizuschauen.

Vor der Tür erklang Stimmengemurmel. Wer immer es war, sie würde ihn bitten, ihr ihre Sachen zu bringen. Sie musste nach Hause … musste herausfinden, was mit Nicky war … und ein Dutzend andere Dinge. Hastig kam sie hoch und stöhnte, als es hinter ihren Schläfen sofort wieder zu hämmern begann. Helles Licht flammte auf, und nach kurzem Blinzeln weiteten sich ihre Augen. „Du …?“

„Wie ich sehe, bist du aufgewacht“, stellte Alex gelassen fest und überging ihren entsetzten Ausruf. Er schloss die Tür hinter sich, trat an das Fußende des Krankenbettes und musterte seine Exfrau sekundenlang stumm und ohne eine Miene zu verziehen. Benommen und zitternd lehnte sie sich in die Kissen zurück. Warum muss dieser Mann so verdammt attraktiv aussehen? dachte sie mit aufwallender Empörung. In Alex’ Fall gab es keine zutreffendere Bezeichnung. Er hatte wirklich die dunklen, perfekt gemeißelten Züge eines gefallenen Engels und die geschmeidige Eleganz eines Leoparden. Und er hatte sich kein bisschen verändert. Selbst der unerbittliche, kalt funkelnde Blick, mit dem er durch sie hindurchzuschauen schien, war noch da.

Unwillkürlich stand das letzte Zusammentreffen mit Alex vor ihrem inneren Auge.

„Ich habe alle Vorkehrungen für deine und die Rückkehr unseres Sohnes nach England getroffen“, hatte er ihr unbarmherzig entgegengeschleudert – blind für ihre Tränen und den Schmerz, nachdem er jede Hoffnung auf eine Aussöhnung gnadenlos zerstört hatte.

Autor

Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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