Golden Hill Touches

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»Einfühlsam, humorvoll und wortgewandt entführt Nicole Böhm ihre Leser:innen in die Idylle der Golden Hill Ranch.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Laura Kneidl


Parker erfüllt sich seinen größten Wunsch und kauft die Golden Hill Ranch zurück, die einst seinen Großeltern gehörte. Hier in Montana, im verschlafenen Städtchen Boulder Creek, möchte er eine Pferdetherapiestätte aufbauen. Doch seine Pläne stoßen bei der Dorfgemeinschaft auf Widerstand.Und auch Parkers Jugendliebe Clay ist zunächst nicht erfreut, ihn wiederzusehen. Dennoch entschließt sie sich, Parker und seine Idee zu unterstützen. Wenn da nur nicht dieses altbekannte Kribbeln wäre, das mit jeder Begegnung stärker wird …


  • Erscheinungstag 22.02.2022
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783745702989
  • Seitenanzahl 416
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Bashir.
Meinen besten, geduldigsten und stillsten Lehrmeister

1.

Vor elf Jahren

Parker

Ich hasste alles hier. Das wurde mir in dem Moment klar, als ich aus dem Leihwagen stieg und die Vögel zwitschern hörte. Die Luft roch nach Sommer und einem Rest Regen, die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, rund um mich herum gab es nur Natur, Berge, Wälder, einen Bach und die Golden Hill Ranch, an die ich mich nur noch vage erinnerte. Das letzte Mal war ich mit fünf Jahren hier gewesen.

»Es wird dir bestimmt gefallen«, sagte Mark und umrundete den Wagen, um an den Kofferraum zu gelangen. Er war der Fahrer von Dads Firma und arbeitete schon seit fünfzehn Jahren für ihn. Dad hatte darauf bestanden, dass Mark mich begleitete. Wir waren von Denver nach Bozeman geflogen und hatten uns dort ein Auto geliehen. Als wäre ich ein verdammtes Kind, das nicht in der Lage war, selbstständig eine Reise anzutreten.

Ich stöpselte meine Kopfhörer ein, stellte mir Asylum von Disturbed an und trank den letzten Schluck aus meiner Red-Bull-Dose.

»Deine Großeltern freuen sich sehr auf dich«, sagte Mark etwas lauter.

Ich rülpste, drehte die Musik stärker auf und warf die Dose weg. Sie landete in einer Pfütze am Wegesrand. Der Boden war noch feucht und schlammig, aber es war bereits so warm, dass vermutlich bald alles austrocknen würde. Ab jetzt wären meine einzigen Beschäftigungen Steine werfen, dem Gras beim Wachsen zusehen und früh aufstehen. Mir wurde schon übel, wenn ich nur daran dachte.

Mark sagte noch irgendetwas, aber ich verstand ihn nicht richtig, also nickte ich nur. Er schüttelte den Kopf, rollte mit den Augen und hob meine Dose wieder auf. Demonstrativ genervt warf er sie in den Kofferraum und reichte mir meinen Rucksack. Viel hatte ich nicht eingepackt, auch wenn ich für die nächsten elenden zwölf Wochen auf der Golden Hill Ranch bleiben musste. Zwölf verdammte Wochen! Ich würde hier vor Langeweile eingehen.

Mein Handy vibrierte. Bestimmt hatte Ajden mir eine Nachricht geschickt. Wir schrieben uns schon den ganzen Morgen.

Eben angekommen. Is’ genauso bescheuert, wie ich gedacht hab.

Bist du schon im Bus?

Du bist so durchgeknallt, ey.

Ajden und ich waren seit der dritten Klasse beste Freunde. Er hatte sich für diesen Sommer in den Kopf gesetzt, seinem Vater hinterherzureisen. Der arbeitete gerade in Mexiko, wo er sich um Flüchtlinge kümmerte. Ajdens Dad wusste nichts von seinem Besuch und war vermutlich auch nicht einverstanden, dass sein Sohn ihm in ein Krisengebiet folgte, aber das konnten sie unter sich ausmachen.

Ich hätte ihn vielleicht begleiten sollen, das wäre spannender gewesen, als in diesem Loch festzusitzen, aber Mom und Dad hatten darauf bestanden, dass ich diesen Sommer bei meinen Großeltern verbrachte.

»Da kannst du mal in Ruhe nachdenken«, hatte Dad mir gesagt, was übersetzt so viel hieß wie: »Wir wissen nicht, wie wir mit einem Siebzehnjährigen umgehen sollen, also schieben wir dich zu deinen Großeltern ab, damit die sich rumplagen können.«

Ich war selbst schuld. Im letzten Jahr hatte ich ziemlich viel Unsinn angestellt. Ich hatte die Schule geschwänzt, mir illegal Alkohol besorgt und meinen ersten Vollrausch erlebt. Außerdem hatte ich das erste Mal gekifft und war auch noch beim Ladendiebstahl erwischt worden.

»Unser Sohn teilt uns mit, dass ihn unsere Beziehungsprobleme belasten«, hatte Mom meinem Dad mein Verhalten erklärt. »Er muss zum Psychologen!«

»So ein Quatsch«, meinte mein Dad daraufhin. »Parker muss nur mal den Kopf freibekommen. Körperlich arbeiten, zu sich finden, und ich weiß genau, wo er das machen kann.«

Daraufhin entfachte ein weiterer Streit zwischen den beiden, was dazu führte, dass meine Schwester Sadie rumheulte und mich beschuldigte, ich würde die Familie zerstören. Die konnten mich alle mal kreuzweise! Während meine Schwester zu unseren anderen Großeltern nach L. A. geschickt worden war, musste ich in dieses Kaff. Wenn ich nur darüber nachdachte, wurde ich schon wütend.

Eine Hand wedelte vor meinem Gesicht herum, und ich blickte genervt auf. Mark stand vor mir und zeigte auf seine Ohren und dann auf meine, als Aufforderung, dass ich die Kopfhörer abnehmen sollte.

»Was is’?«, fragte ich.

»Kann ich noch irgendetwas für dich tun?«

»Mich woanders hinfahren.«

»Außer das.«

»Mir den Wagen dalassen, damit ich abhauen kann.« Ich hatte vor zwei Monaten meinen Führerschein gemacht, für irgendwas musste der ja gut sein.

»Ich formuliere meine Frage um: Kann ich etwas für dich tun, was nicht mit einer möglichen Flucht aus Boulder Creek zusammenhängt?«

Ich holte tief Luft und stieß sie mit einem Seufzen wieder aus. »Eher nicht.«

Mark blickte zum Haus meiner Großeltern. Es war kleiner als in meiner Erinnerung. Ein typisches Ranchhouse, mit einer Steinfassade, die von dunklen Holzbrettern durchbrochen wurde. Es hatte zwei Stockwerke. Oben waren alle Wände von Dachschrägen durchzogen. Ich wusste noch, dass die Zimmer recht klein waren, was eine Umstellung für mich bedeutete. In unserem Haus in Denver hatte ich fast ein Stockwerk ganz für mich allein.

»Dein Dad hat mir gesagt, dass in Boulder Creek ein neues Café aufgemacht hat. Es soll sehr modern sein«, versuchte Mark mich aufzumuntern.

»Oh, wow. Bestimmt haben die auch so was wie das Internet. Muss ich ein Kabel mitbringen, oder gibt es WLAN

Mark lachte leise. »Versuch, das Beste daraus zu machen.«

»Klar doch.« Noch so ein Spruch, und ich musste gleich würgen. »Hat Dad dich dafür bezahlt, das zu sagen?«

»Nein. Ich habe nur gelernt, dass nicht immer alles so schlimm sein muss, wie man erwartet. Gib dem Ganzen eine Chance. Am Ende überrascht es dich vielleicht.«

Ich brummte und kickte einen Stein weg, der irgendwo am Wegrand im Gras verschwand. Mein Großvater pflegte das Gelände akribisch. Der Rasen war gemäht, die Bäume getrimmt, die Veranda des Hauses aufgeräumt. Es war so ekelhaft idyllisch, dass ich am liebsten brechen wollte.

Die Haustür ging auf, und ein älterer Mann trat ins Freie.

»Parker! Es ist so schön, dass du da bist.« Großvater hatte ziemlich viele graue Haare bekommen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, und ging etwas gebeugt, aber er wirkte dennoch recht fit und energiegeladen. Er kam uns freudestrahlend entgegen, trug ein kariertes dunkelblaues Hemd, helle Jeans und Boots. Sein Lächeln strahlte noch mehr als dieses Kackwetter. Fuck, das wurde immer schlimmer.

Ich schob die Hände in die Hosentaschen und wartete, bis Mark und er sich begrüßt und das übliche Blabla ausgetauscht hatten.

Seufzend blickte ich mich um und überlegte, ob ich nicht einfach auf die Straße laufen und per Anhalter abhauen sollte.

»Parker«, sprach mich Großvater nun erneut an.

Musste ich ihn jetzt auch noch drücken, oder was? Zum Glück machte er keine Anstalten dazu, sondern musterte mich nur intensiv. Als könnte er bis in meine letzten Hirnwindungen blicken. Ich verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und zog die Nase hoch.

»Deine Großmutter wird sich so freuen, dich zu sehen, sie ist gerade in der Küche. Komm rein, ich zeig dir dein Zimmer.«

»Ich fahr mal wieder«, sagte Mark.

»Du kannst auch sehr gerne zum Abendessen bleiben«, sagte Großvater.

»Das ist nett, aber mein Rückflug ist bereits gebucht. Parker, wir sehen uns in zwölf Wochen wieder, wenn ich dich abhole.«

Ich wimmerte leise.

»Guten Flug«, sagte mein Großvater und winkte Mark zu, der zurück zum Wagen ging und einstieg.

Grandpa klopfte mir kurz auf die Schulter. Seine Berührung fühlte sich warm und irgendwie auch gut an, aber ich schüttelte das sofort wieder ab, zog noch mal die Nase hoch und spuckte dabei aus. Grandpa lächelte nur und deutete aufs Haus.

Ich trat als Erster ein. Es duftete schon an der Türschwelle nach Apfelkuchen, Kaffee und viel zu viel Geborgenheit. Mit jedem Schritt, den ich machte, fühlte ich mich beschissener. Ich spähte nach rechts ins Wohnzimmer, fand aber auf die Schnelle keinen Fernseher. Bestimmt hatten sie keinen, sondern saßen jeden Abend zusammen und spielten Scrabble oder Bingo oder so ’nen Scheiß. Hoffentlich wollten sie mich da nicht mit reinziehen, denn dann würde ich definitiv sterben!

Wir gelangten in die Küche, wo meine Großmutter stand und genauso breit lächelte wie mein Großvater. Sie trug ein Kleid mit einem großen Blumenmuster und darüber eine dunkle Schürze mit Mehlflecken. Ihre grauen gewellten Haare fielen locker auf die Schultern. Sie lächelte mich an und musterte mich mit dem gleichen durchdringenden Blick wie Grandpa. Vielleicht waren die beiden irre geworden und würden mich bei der nächsten Gelegenheit in den Keller zerren und mich dort festketten, um aus mir mit allen Mitteln einen braven Jungen vom Land zu machen.

»Es ist so schön, dass du da bist«, sagte Grandma.

Ich nickte nur, schob meine Hände tiefer in die Taschen und blickte zum hinteren Küchenfenster hinaus auf das Ranchgelände.

Auf einmal kam Grandma auf mich zu und breitete die Arme aus.

Nein, nein, bitte nicht umarmen! Ich wich einen Schritt zurück, war aber nicht schnell genug. Die Alte hatte mich schon erreicht und quetschte mich an sich. Ich unterdrückte einen Würgelaut, als sich ihre dünnen Arme um mich schlossen. Sie roch nach Rosen und Äpfeln. Der Duft stieg mir tief in die Nase und löste irgendetwas in meinem Bauch aus, was ich nicht deuten konnte. Ich versteifte mich mehr, während ich die Umarmung über mich ergehen ließ und mich fragte, ob ich das jetzt jeden Tag ertragen musste.

Willkommen auf Golden Hill. Willkommen in der Provinz-Hölle.

Heute

Willkommen auf Golden Hill …

Ich stieg aus dem Range Rover und nahm einen tiefen Atemzug. Sofort füllte sich mein Körper mit einem Prickeln, das nicht nur durch die kalte, durchdringende Luft ausgelöst wurde, sondern vor allem durch den Geruch nach meiner Vergangenheit. Es war diese ganz spezielle Nuance, die tiefe Erinnerungen in sich trug und von jedem Menschen anders wahrgenommen wurde. Der Duft der Kiefern erschien mir nicht nur würzig und frisch, er war auch mit einem Gefühl der Freiheit verbunden. Der Wind auf meiner Haut war nicht nur eisig, sondern schenkte mir auf seine eigene Art Geborgenheit. Hier zu stehen brachte so viel in mir zum Schwingen. Gefühle, die ich lange Zeit begraben und in den letzten Jahren mit allerlei Müll zugeschüttet hatte, um sie nie wieder spüren zu müssen.

Mich fröstelte leicht, als mich der kalte Wind streifte. Es war bereits Ende März, aber überall lag noch Schnee, und die Temperaturen hatten gerade so den Gefrierpunkt gekratzt. Aufgewärmt von der Sitzheizung war mir zwar nicht kalt, aber ich sollte mir dennoch Handschuhe und einen Schal mitnehmen. Ich holte beides aus dem Auto, packte auch mein Handy ein und wandte mich wieder meinem neuen Leben zu.

Meinem neuen Leben in der Wildnis. Oder so ähnlich. Wildnis traf es nicht ganz, ich war nicht fernab jeglicher Zivilisation, aber es war definitiv abenteuerlich und unvorhersehbar hier in Boulder Creek, mitten in den Bergen Montanas.

Das, was jedes Genie antreibt, ist Wahnsinn. Ohne Wahnsinn keine Kreativität. Ohne Kreativität keine Vielfalt, ohne Vielfalt kein lustiges Leben. Und wenn der Spaß erst mal fort ist, ist sowieso alles verloren, rauschten die Worte meines verstorbenen Großvaters durch meinen Kopf.

»Ich hör dich, Grandpa, ich hör dich.« Ich blickte hoch in den grau verhangenen Himmel, der den nächsten Schneefall ankündigte. Heute würde es früh dunkel werden, ich sollte mich beeilen, wenn ich alles im Tageslicht begutachten wollte, aber ich brauchte diesen Moment, um das in mich aufzunehmen. Was vor elf Jahren noch mein Albtraum gewesen war, hatte sich mittlerweile für mich von Grund auf verändert.

Mein Handy klingelte, und ich fischte es aus der Tasche. Sadies Name stand auf dem Display. Meine Schwester rief seit heute Morgen ständig an, weil sie genauso aufgeregt war wie ich.

Ich schüttelte mich, um die Enge aus meinem Herzen und die Erinnerungen zu vertreiben, und nahm ab. »Hey, Sadie.«

»Bist du endlich da?«

»Ja.«

»Und?«

Ich sah sie vor mir, wie sie nervös in ihrem Apartment in Bozeman hin und her tigerte und dabei auf einem Fingernagel herumkaute.

»Es sieht nicht viel anders aus als vor zwölf Wochen. Nur mit noch mehr Schnee.«

»Du weißt genau, was ich meine, und das vor zwölf Wochen zählt nicht.«

»Das stimmt.« Da war ich mit dem Makler hier gewesen. Wir waren über das Gelände gerauscht, als hätte er es kaum erwarten können, wieder wegzukommen. Gut, der Schneesturm an jenem Tag war wirklich ungemütlich gewesen, aber ich hätte dennoch gerne mehr Zeit gehabt, mir alles in Ruhe anzusehen. Nicht, dass es etwas an meiner Entscheidung geändert hätte.

»Ich will alles wissen«, sagte Sadie. »Wie fühlt es sich an? Wo genau stehst du? Siehst du schon das Haus?«

»Ja, aber es ist heute neblig und trüb. Ich bin auf der anderen Seite des Baches am großen Weg, wobei man auch davon nichts sieht.«

»Mh«, machte sie, und ich wusste, dass sie jetzt mit geschlossenen Augen in ihrem Zimmer stand und es sich vorstellte. Sadie war zuletzt als Zwölfjährige auf Golden Hill gewesen. Damals hatte sie einen Sommer allein bei unseren Großeltern verbracht.

»Ich gehe jetzt weiter, aber es wird etwas dauern, bis ich das Gelände abgelaufen bin, hier liegt viel Schnee.«

»Ich hoffe, du hast passende Kleidung an.«

Ich blickte an mir hinab. Meine Schuhe und die Hosenbeine meiner Jeans weichten bereits durch. Mir würde bald eiskalt werden. »Wird schon.«

Langsam stapfte ich durch den Schnee, der völlig unberührt vor mir lag. Ab und an sah ich die Spur eines Tiers, das hier hindurchgejagt war, aber ansonsten betrat ich Neuland. Wie seltsam es sich anfühlte. Als würde ich einen Ort erforschen, den seit Jahren kein Mensch mehr gesehen hatte. Wie ein Archäologe, der eine Grabstätte offenlegte.

»Erzähl mir mehr«, sagte Sadie.

»Warte kurz.« Ich nahm das Handy vom Ohr und schaltete die Kamera an. Sofort erschien Sadies Gesicht im Display. Sie grinste mich an und klatschte leise in die Hände. Ihre Haare waren recht zerzaust, vermutlich hatte sie wieder die ganze Nacht im Internet verbracht, um zu recherchieren, und war erst vor Kurzem aufgestanden. Sadie sah ein wenig blass aus, aber solche Phasen hatte sie öfter mal. Hinter ihr an der Wand klebten Naturfotos und eine Karte von Boulder Creek. Außerdem erkannte ich den Flyer einer Pferderanch.

»Bereit?«, fragte ich, und sie nickte. Ich tippte die Frontkamera meines Handys an, damit Sadie sehen konnte, was ich sah. »So ist es einfacher.«

»Oh mein Gott, Parker!«, quiekte sie. »Da drüben sind die Koppelzäune!«

»Ja, zumindest das, was davon noch übrig ist.« Ich erkannte nicht viel, aber an einer Stelle war der Zaun durchgebrochen, und viele der Pfosten waren umgekippt oder verrottet.

»Ah! Und da vorne ist der Apfelbaum!«

»Stimmt.« Er sah ebenfalls verwuchert aus, und ich fragte mich, ob er überhaupt Früchte trug. Die Natur hatte sich das Land zurückerobert, ich war gespannt, was mich erwartete, wenn der Schnee erst mal geschmolzen war. Vermutlich Unkraut in rauen Massen.

»Das ist so aufregend!«, sagte Sadie. »Du solltest das filmen und es Granny zeigen.«

»Das mach ich vielleicht die Tage irgendwann.« Unsere Großmutter lebte zurzeit in einem Altersheim in Denver und baute von Tag zu Tag mehr ab. Aber das würde sich hoffentlich ändern, sobald ich sie wieder herbrachte. Sie sollte wieder wie früher auf ihrer Terrasse sitzen können, in den Sonnenuntergang blicken, ihren geliebten Earl Grey trinken und die Zeit genießen, die sie noch hatte.

Hier. Auf dem Land, das sie mit Grandpa bebaut hatte. Auf der Ranch, die ihr ganzes Leben bestimmt hatte.

»Weiß sie, dass du heute auf Golden Hill bist?«

»Nein, ich habe ihr nur gesagt, dass ich die Tage mal rausfahre, aber nicht konkret, wann. Sie ist jetzt schon ganz aufgeregt, ich wollte nicht, dass sie nur an diesen Moment denkt.«

»Versteh ich. Soll ich sie nachher anrufen?«

»Das mach ich schon, danke.«

»Oh, warte. Ist das da vorne der Bach?«

»Ja, aber er ist zugefroren. Die alte Brücke ist sogar noch da, ich weiß aber nicht, ob sie hält.« Ich lief auf den zwei Meter breiten, seichten Bachlauf zu. Er floss vom Berg herunter und beschrieb einen kleinen Bogen um Golden Hill herum. Als wollte er hier kurz Hallo sagen und dann seinen Weg fortsetzen. Anstatt die marode Brücke zu nehmen, überquerte ich die gefrorene Fläche. Das Eis knirschte unter meinen Schuhen.

»Feigling«, sagte Sadie und lachte.

»Du kannst gerne die Brücke ausgiebig testen, wenn du da bist. Aber bitte erst, sobald das Wasser aufgetaut ist.«

»Ich werde überall herumspringen, wo du dich nicht hintraust. Grandpa hat immer gesagt, dass alles auf der Ranch für die Ewigkeit gebaut ist.«

»Golden Hill hat Biss«, wiederholte ich Grandpas Worte. »Es wird jedem Sturm trotzen. Dieser Ort ist etwas Besonderes.«

Ich hielt inne, denn mich überkamen eine tiefe Sehnsucht und Nostalgie. Dieses Stück Land hatte nicht nur Biss, es hatte auch mein Herz geöffnet und mir Frieden gebracht, wo vorher noch ein Sturm in mir getobt hatte. Ich wünschte, ich hätte es damals mehr zu schätzen gewusst.

»Parker, alles klar?«, fragte Sadie, weil ich nicht weiterging.

»Ja. Natürlich.« Ich schüttelte mich und schob die Gedanken an damals mit aller Kraft zurück.

»Das wird so cool«, fuhr Sadie fort. »Ich sehe es ganz genau vor mir. Da drüben bauen wir die Reithalle hin, daneben den Offenstall mit direktem Zugang zu den Koppeln. Weiter hinten am Waldesrand errichten wir die Häuser für unsere Gäste.«

»Vorausgesetzt, wir bekommen die Genehmigung der Stadt.« An den Formalitäten hing gerade alles fest, aber das war eine Sache, um die wir uns morgen kümmern würden. Der Termin im Rathaus stand, wir waren vorbereitet und hatten unsere Vision für Golden Hill bis ins letzte Detail ausgearbeitet.

Ich stapfte den Weg hinunter, zeigte Sadie alles und war ein wenig erstaunt darüber, wie genau meine Füße noch immer wussten, wohin sie treten mussten.

»Fuck«, sagte ich, als ich ans Haupthaus gelangte.

»Was ist?«

Ich richtete die Kamera aus, sodass Sadie es auch sehen konnte.

Die Eiche neben dem Haus war an der Krone gebrochen, und ein dicker Ast war mitten aufs Dach gefallen. Das wiederum hatte unter der Last und dem Schnee nachgegeben, und nun klaffte ein riesiges Loch an der Stelle, ein paar Fensterläden waren abgerissen. Es sah aus, als hätte hier vor Kurzem ein heftiger Orkan getobt.

»Das war noch nicht, als ich alles mit dem Makler begutachtet habe.« Ich kratzte mich am stoppeligen Kinn und trat vorsichtig auf die alte Veranda. Grandpa hatte die Dielen eigenhändig verlegt und abgeschliffen. Er hatte das gesamte Haus selbst errichtet. Darin steckte mehr Seele von ihm als in irgendetwas anderem. Mir schnürte es das Herz zusammen, als ich erkannte, dass auch die unteren Fensterscheiben zerbrochen waren.

»Dieser verdammte Makler hätte wenigstens anrufen und mich hierauf vorbereiten können.«

»Für das viele Geld, das er dafür genommen hat, auf alle Fälle.«

Ich hatte Golden Hill völlig überteuert gekauft. Die Vorbesitzer waren die Rylands, die es damals für einen Spottpreis von Grandpa erworben, aber nie etwas aus dem Land gemacht hatten. All die Jahre hatte es brach gelegen und war zerfallen, bis Sadie und ich gekommen waren und es zum fünffachen Preis von damals zurückgekauft hatten. Den Großteil hatte ich übernommen und dafür nicht nur meine Anteile an Dads Firma verkauft, sondern auch einen saftigen Kredit bei der Bank aufgenommen. Sadie hatte mir zwar all ihr Erspartes gegeben, aber die paar Dollar hatten nicht mal die Maklergebühren gedeckt.

Ich betrachtete das marode Haupthaus und atmete tief ein und aus.

»Immerhin hat es ein gutes Fundament«, sagte Sadie.

»Das werden wir auch brauchen.«

Mit dem Makler hatte ich das Haus nur von außen begutachtet, weil er angeblich den Schlüssel nicht gehabt hatte. Der Typ hatte ab der ersten Sekunde gewusst, dass ich jeden Preis zahlen würde, um Golden Hill zurückzukaufen, und genau das hatte er schamlos ausgenutzt. Ich fischte den Schlüssel, der urplötzlich wiederaufgetaucht war, nachdem ich den Vertrag unterschrieben hatte, aus meiner Hosentasche und öffnete die Haupttür. Die Dielen knarzten, und mir wehte der Geruch nach altem Moder und abgestandener Luft entgegen. Im Inneren war es fast genauso kalt wie draußen, und ein Luftzug streifte durch die gebrochenen Fenster.

»Das sieht echt schlimm aus«, sagte Sadie.

»Ja.«

Das Haus war komplett leer, aber im Wohnzimmer rechts stand noch ein alter Plastikstuhl. So etwas hätte Grandpa nie gekauft, also vermutete ich, dass er vom Makler oder dem Vorbesitzer stammte. Ich ging weiter ins Haus hinein, blickte links zur Treppe hoch und wurde von den Bildern meines letzten Besuches vor elf Jahren geradezu überschwemmt. Nach der Umarmungsorgie meiner Großmutter damals bin ich sofort in das Zimmer gestürmt, das Grandpa mir zugewiesen hatte, und hatte die Tür zugeknallt. Ich hatte mir fest vorgenommen, für die zwölf Wochen, die ich bleiben sollte, weder mit jemandem zu reden noch das Haus zu verlassen.

»Es ist so schön«, sagte Sadie und holte mich zurück ins Hier und Jetzt. »Auch wenn es zerfallen ist.«

Ich ging ins Wohnzimmer und drehte mich um die eigene Achse. Der alte Kamin war noch erhalten, aber wir mussten erst sehen, ob er funktionierte. Direkt an diesen Raum schlossen der Essbereich und die Küche an, die nach hinten hinausführte. Weiter links waren das Bad und zwei kleine Zimmer, und oben befanden sich noch mal vier Räume und ein weiteres kleines Bad. Wenn wir renovierten, würden wir einige Wände rausreißen und die Räume anders aufteilen.

Ich nahm die Tür auf der Rückseite, die in den Garten führte, den Granny früher angelegt hatte. Natürlich war auch hier alles verschneit und die Tomaten schon lange verwildert. Ein paar trockene Äste stachen durch den Schnee, wo Granny einst ihr Gemüsebeet hatte. An einem klebte sogar noch ein altes Etikett mit einer Paprika als Symbol drauf. Mich schüttelte es, aber ich bemühte mich weiter um Fassung, auch wenn es mir mit jedem Schritt schwerer fiel. Das hier war so viel und gleichzeitig so wenig. Die Blüte und Frische von früher waren weg, aber der Kern war noch vorhanden.

»Sind wir total irre, Parker?«, sprach Sadie aus, was mir durch den Kopf ging.

»Ein wenig vielleicht.« Oder ein wenig viel. Das Gelände war eine einzige Baustelle.

Uns war von Anfang an klar gewesen, dass es einiges zu tun gab, aber es mit eigenen Augen zu sehen traf mich viel direkter. Ich überquerte den Platz zwischen Stall, Scheune und Haupthaus. Mir wurde schwerer ums Herz, als ich daran dachte, wie Grandpa mich damals zum ersten Mal hierhergeschleift hatte.

Ich drehte mich um und blickte hoch zum Haus. Im ersten Stock das letzte Fenster links. Das war mein Raum gewesen. Ich schloss die Augen, dachte an jenen ersten grauenhaften Tag zurück, an dem ich auf der Golden Hill Ranch aufgewacht war und mich gefühlt hatte, als wäre ich in der Hölle gelandet. Großvater hatte mich einfach aus dem Bett geworfen, meine miese Laune ignoriert und mich in den Stall getrieben. Hier, wo ich jetzt stand, waren wir vorbeigekommen. Er mit seinem Cowboyhut, den Boots, den ausgeleierten Jeans und dem Karohemd und ich mit grimmigem Gesicht und knurrendem Magen, weil ich erst Frühstück bekam, nachdem die Arbeit erledigt war. Ich hatte die Welt wirklich sehr gehasst in jenen Tagen.

Ich schmunzelte und drehte mich wieder zurück zum Stall. Langsam ging ich den Weg ab, den Grandpa und ich damals gelaufen waren.

»Da vorne ist der Stall, das Gebäude rechts davon ist der Heuschuppen. Da findest du auch Werkzeug«, hatte er gesagt.

»Was’n für’n Werkzeug?«

»Schaufeln, Mistgabel, Schubkarren. Den Dreck kannst du rüber auf den Haufen da fahren.«

»Bitte was?«

»Die Pferde tun dir nichts, also keine Angst.«

Ich blieb vor dem Stall stehen, der heute völlig zerfallen war. Grandpa hatte ihn damals selbst zusammengezimmert. Es war ein einfacher Verschlag aus Holzbrettern und einem Wellblechdach. Das Dach war mittlerweile eingekracht, und ein gigantischer Schneeberg lag dort, wo mal die Heuraufe gestanden hatte. Eine Holzwand war geborsten, die andere stand noch aufrecht.

Direkt vor mir war ein kleines Tor gewesen, durch das Grandpa mich geführt hatte. Damals hatten uns die Pferde mit einem lauten Wiehern empfangen, und mir war der Arsch ziemlich auf Grundeis gegangen, aber das hätte ich niemals zugegeben. Dann waren wir in den Stall getreten, und ich hatte mich den beiden Monstern gestellt. Gin und Ginger, zwei alte große Kaltblutstuten, mit denen Grandpa früher das Feld bestellt hatte.

»Sie sind groß, aber sehr lieb«, hatte er gesagt. »Der kleine Braune da hinten ist Charlie. Ginger ist vor zehn Jahren ausgebüxt und zum Nachbarn rüber auf die Eastwood Ranch gerannt. Elf Monate später kam Charlie auf die Welt.«

»Toll für sie.«

»Dann leg mal los.«

»Mit was genau?«

»Du wirst den Stall misten, den Auslauf abäppeln, Wasser und Heu auffüllen. Wenn du fertig bist, kommst du rein und holst dir dein Frühstück.«

In diesem Moment dachte ich, dass mein bisheriges Leben in Denver vielleicht doch nicht so unerträglich gewesen war.

»Ich hab keine Ahnung, wie so was geht. Ich kann das nicht.«

»Oh, ich glaube, du wirst das ganz großartig hinbekommen, so sportlich, wie du aussiehst, außerdem wirst du nicht alleine bei der Arbeit sein …«

Auf einmal hörte ich Sadie keuchen und wurde aus meinen Erinnerungen gerissen. Ich zuckte zusammen und sah aufs Display. Sie war blasser geworden. Sadie verzog das Gesicht und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.

»Hey, alles klar?«

»Ja, ich hab nur zu lange gesessen, muss mich bewegen.«

»Okay, ich gehe hier weiter alles in Ruhe ab. Ruh dich aus.«

Sie rollte mit den Augen.

»Na gut. Mach, was du für richtig hältst«, schob ich nach. »Aber mir fällt eh gleich der Arm ab, weil ich ständig die Kamera hochhalte.«

»Klar, du gehst auch nicht viermal die Woche ins Fitnessstudio und stemmst Gewichte, die bedeutend schwerer als ein Handy sind.«

Ich grinste und zuckte mit den Achseln. »Ich leg jetzt auf, mein Akku ist bald leer.«

»Das glaub ich dir zwar auch nicht, aber es ist okay. Ich muss sowieso noch ein paar Sachen erledigen und dann losfahren, damit ich rechtzeitig zu dir nach Boulder Creek komme.«

»Sehr schön. Wir treffen uns nachher bei Cybil und können gemeinsam zu Abend essen.«

»Ja, ich freu mich.«

»Ich dreh noch ein paar Videos für dich.«

»Ich dachte, dein Akku ist leer.«

»Stimmt.« Ich zwinkerte und grinste sie an.

»Ich hab dich trotzdem lieb.«

»Ich dich auch. Fahr vorsichtig, das Wetter ist echt fies zurzeit.«

»Ja, Dad.« Sadie legte auf, und ich steckte das Handy zurück in die Tasche. Die Videos könnte ich an einem schöneren Tag machen und sie auch Granny schicken. Sie hatte sich extra von einem Pfleger im Heim erklären lassen, wie diese Smartphones funktionierten, damit sie Bilder von ihrem Enkel empfangen konnte. Vermutlich saß sie bereits vor ihrem Handy und hoffte auf eine Nachricht von mir. Heute Abend würde ich sie erst mal anrufen und auf den neuesten Stand bringen. Ich musste mir nur überlegen, ob ich die Realität etwas verschleiern sollte, bis wir wenigstens den gröbsten Schaden beseitigt hatten.

Ich ging zur alten Scheune hinüber, dem einzigen Gebäude, das bereits auf dem Gelände gestanden hatte, bevor Grandpa es bewirtschaftet hatte. Sie war über zweihundert Jahre alt.

Der Schnee war hier sogar noch tiefer und reichte mir an einigen Stellen bis fast an die Knie. Es war recht mühevoll voranzukommen. Ich musste mir so schnell wie möglich vernünftige Kleidung holen. Meine Schuhe waren mittlerweile komplett durchweicht und meine Füße eiskalt und klamm. Bedauerlicherweise hatte ich nicht daran gedacht, mir Ersatzsocken mitzunehmen.

Als ich die Scheune erreichte, wurde mir das Ausmaß des Zerfalls klar. Das große Tor hing an einer Seite aus den Angeln, ein Teil davon war sogar herausgebrochen. Das Dach wirkte morsch, was mir bereits aufgefallen war, als ich mit dem Makler hier gewesen war.

Ich versuchte, das kaputte Tor aufzudrücken. Es quietschte und klemmte, und ich brauchte einiges an Kraft, bis ich es geöffnet hatte. In der Scheune wehte mir der Geruch nach altem Benzin und Metall entgegen. Es raschelte in den Ecken. Ich tastete nach dem Lichtschalter, aber es gab keinen Strom. Also nahm ich mein Handy heraus, schaltete die Taschenlampe an und blickte mich um. Überall lag vermodertes Heu und alter Dreck herum. Ich blickte nach oben, wo sich unzählige Spinnweben von Balken zu Balken zogen. An der Wand hingen verrostete Mistgabeln, Schaufeln und Rechen. Weiter hinten stand sogar noch Grandpas Traktor. Ich lief auf das alte Gefährt zu und strich über die Motorhaube. Eine dicke Staubschicht hatte sich daraufgelegt, und ich fragte mich, ob das Ding noch lief. Keine Ahnung, ob es überhaupt einen Schlüssel dafür gab und …

»Keine Bewegung«, hörte ich auf einmal eine Frauenstimme hinter mir. Kurz darauf erklang das metallische Klicken einer Waffe, die entsichert wurde.

»Was zum …« Ich drehte mich um und starrte in den Lauf einer Schrotflinte.

In mir stand alles still, und ich hielt die Luft an. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück und hob sofort die Hände, um zu zeigen, dass ich unbewaffnet war. Ein Zittern ging durch meinen Körper. Am Ende der Schrotflinte erkannte ich nur eine Silhouette, weil mich das grelle Licht blendete, das durchs Tor hereinfiel, und das Gesicht der Frau im Schatten blieb. Ich drehte das Handy ein wenig, um sie anzuleuchten.

»Na, na«, sagte sie und zuckte einmal mit der Waffe, also hielt ich wieder still. »Was hast du hier zu suchen?«

»Ich bin … Mir gehört das Land. Ich bin Parker Huntington. Cynthia ist meine Großmutter. Ich habe Golden Hill vor ein paar Wochen gekauft.«

»Kann jeder sagen.«

»Ich zeige dir gerne meinen Ausweis.«

»Mh.«

»Und ich möchte festhalten, dass du mich auf meinem eigenen Grundstück bedrohst.«

»Das ist okay, ich hab einen guten Draht zur Polizei.«

Moment mal. Diese Stimme kam mir so bekannt vor. Irgendwas an ihr hatte ich doch schon mal … War das etwa … »Clayanne?«

»Immer noch Clay, daran hat sich nichts geändert.«

»Clay, verdammt!« Mein Herz machte einen Satz, und mir lief ein Schauer der ganz anderen Art den Rücken hinunter. Ich trat einen Schritt vor, aber sie hob sofort die Waffe an.

»Nimmst du mal das Ding aus meinem Gesicht?«, sagte ich.

»Eigentlich finde ich es ganz lustig so.«

»Scheiße, Clay.« Ich griff an den Lauf der Waffe und drückte ihn hinunter. Clay ließ es mit einem Murren zu.

»Spielverderber.«

»Warum zielst du mit dem Teil auf mich?«

»Weil ich es kann und weil du hier herumlungerst.«

»Wie ich schon sagte, ich … ich hab das Grundstück gekauft. Golden Hill gehört jetzt mir.«

»Hab ich schon gehört.«

Ich schüttelte den Kopf und hob das Handy an, damit ich ihr Gesicht besser sehen konnte. Sie kniff die Augen zusammen. Als der Strahl meiner Taschenlampe sie streifte, gab sie ein missmutiges Brummen von sich, drehte sich um und lief hinaus. Ich folgte ihr.

»Warte!«, sagte ich und wollte nach ihrer Hand greifen, aber sie entzog sich mir, ehe ich sie erwischen konnte. »Du wusstest, dass ich es bin und ich das Land gekauft habe, und hältst mir dennoch ’ne Schrotflinte ins Gesicht?«

»Ja. Und Maggie war nicht geladen, also keine Sorge.«

»Maggie?« Ach, stimmte. Clay hatte früher auch schon diesen verrückten Tick gehabt, all ihren Besitztümern Namen zu geben.

Als wir beide draußen im nebligen Tageslicht standen, konnte ich das erste Mal einen richtigen Blick auf sie werfen. Verflucht, sie war ganz schön erwachsen geworden.

Und noch tausendmal hübscher als damals.

Clay war einen Kopf kleiner als ich und trug eine dicke Wollmütze, unter der ein paar Strähnen ihrer schwarzen Haare hervorlugten. Ihre vollen Lippen hatte sie zu einem dünnen Strich zusammengepresst, und ihre braunen Augen brannten genauso tiefgründig und feurig wie schon zu unseren Teenagertagen. Clay war früher recht mager gewesen, doch jetzt hatte sie mehr Kurven bekommen, zumindest soweit ich das unter ihrem dicken Wintermantel beurteilen konnte. Sie hatte einen Schal um den Hals gewickelt, und ihre Hände steckten in braunen Lederhandschuhen. Die Schrotflinte hängte sie sich gerade über die Schulter.

Mir wurde warm, auch wenn es nach wie vor eisig hier draußen war. »Was sollte das eben?«

»In der letzten Zeit lungern immer wieder ein paar Leute auf dem Gelände rum, die hier nichts verloren haben. Ich komme regelmäßig her und sehe nach dem Rechten.«

»Aber wenn du mich erkannt hast, warum hast du mit der Waffe auf mich gezielt? Das wäre nicht nötig gewesen.«

Sie fuhr herum und funkelte mich wütend an. Ich zuckte zusammen und wich automatisch zurück.

»Eigentlich wäre viel mehr nötig gewesen als das! Ich sollte dir in den Fuß schießen, du elender Mistkerl!«

»Ich …«

Sie warf die Hände in die Luft, knurrte und setzte ihren Weg fort.

»Hey, warte.« Clay hatte einen ganz schönen Schritt drauf, ich musste mich anstrengen, mit ihr mitzuhalten. »Clay. Stopp.« Ich überholte sie, stellte mich vor sie und bremste sie so aus.

Sie kniff die Augen zusammen und sah übers Land, um meinem Blick auszuweichen. Seit knapp elf Jahren hatte ich sie weder gesehen noch ein Wort mit ihr gesprochen.

»Was willst du hier?«, fragte sie. »Warum hast du Golden Hill gekauft?«

»Weil ich es tun musste und weil ich … weil ich wieder hier sein möchte.«

»Ach, hast du dich auf einmal wieder daran erinnert, wo Boulder Creek auf der Landkarte liegt, oder was?«

»Ich …« Mir stockte der Atem, und ein tiefer Schmerz schoss mir durchs Herz. »Es tut mir leid.«

»Deine Entschuldigung kannst du dir dorthin stecken, wo keine Sonne scheint.«

»Ich habe damals nicht viel nachgedacht, aber ich bin erwachsen geworden, und ich …«

»Wo bist du gewesen?«, fragte sie und stach mir mit dem Zeigefinger in die Brust. »Wo, Parker?«

»In … in Denver. Ich hab in der Firma meines Vaters gearbeitet und …«

»Das mein ich nicht!« Sie funkelte mich an, und mir wurde schwindelig. Es war so viel auf einmal. Dieses Land zu betreten, die Erinnerungen, Clay …

»Er hat nach dir gefragt, immer und immer wieder, aber du bist nicht mal für ihn zurückgekommen.«

Mir war sofort klar, von wem Clay sprach. Schlagartig wurde mir heiß, und der Schmerz in meiner Brust verstärkte sich. Alles zog sich in mir zusammen. Ich wäre am liebsten davongerannt, genau wie damals. »Grandpa.«

»Er wollte dich nur noch ein einziges Mal sehen.«

Ich verzog das Gesicht und schluckte den Kloß in meiner Kehle hinunter. Es kostete mich alle Mühe, mich nicht von der Trauer einholen zu lassen. Sie lag genauso lange hinter mir wie die Tage auf dieser Ranch, und dennoch trat der Schmerz in diesem Augenblick hervor und schrie mich genauso wütend an wie Clay.

»Ich … ich konnte nicht. Ich habe mich verraten gefühlt … Es war so viel auf einmal.«

»Zu viel? Verraten? Wirklich?« Clay kam näher und sah mich an. Was keine gute Idee war, denn in ihren Augen funkelte ebenfalls der Schmerz, gepaart mit dem Feuer und der Leidenschaft von früher. Clay war so wild wie dieses Land, sie war ein Wirbelwind, der alles mit sich riss. Ein sanfter Duft nach Schnee und Sandelholz stieg mir in die Nase, und ich musste unweigerlich an all die schönen Momente mit ihr denken.

Gott, ich bin damals so durcheinander gewesen.

Clay sah kurz auf meine Lippen, dann schloss sie die Augen, schluckte den Schmerz hinunter, der eben noch in ihrem Gesicht getanzt hatte, und wandte sich ab.

»Ich würde dir so gerne eine reinhauen«, sagte sie.

»Das solltest du vielleicht tun.« Ich hatte weiß Gott all ihre Wut und ihren Frust verdient.

Sie ballte eine Hand zur Faust, und ich machte mich darauf gefasst, gleich eine abzubekommen. Sie zischte und schüttelte den Kopf. »Du bist so ein Volltrottel.« Statt mich zu schlagen, wandte sie sich ab und lief zu ihrem Auto, das sie neben meinem geparkt hatte. Es war derselbe hellblaue Pick-up wie damals, nur viel rostiger.

»Du fährst den immer noch«, stellte ich fest.

»Natürlich. Jackson ist mir treu geblieben.«

Im Gegensatz zu mir.

Clay öffnete die Beifahrertür und verstaute die Schrotflinte in einem Waffenkoffer. Als sie das Auto umrunden wollte, um sich ans Steuer zu setzen, stellte ich mich ihr in den Weg.

Sie hob nur eine Augenbraue. Ein Blick, der früher schon Wirkung gezeigt hatte. Clay konnte einen gestandenen Mann niederstarren, wenn sie es darauf anlegte.

»Es tut mir leid, Clay, ich weiß, dass ich damals Mist gebaut habe.«

Sie schnaubte.

»Ich werde alles tun, um dir zu zeigen, dass ich es ernst hiermit meine.« Ich deutete auf die Ranch hinter uns. Sie presste die vollen Lippen zusammen und sah mir fest in die Augen.

»Gehst du mir endlich aus dem Weg, oder willst du mich weiter anglotzen?«, fragte sie und fuchtelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum. Ich zuckte zusammen und trat auf die Seite. Clay brummte genervt und öffnete die Fahrertür ihres Wagens.

»Ich will nicht so einen Start mit dir hinlegen«, sagte ich. »Ich bin nicht nach Boulder Creek gekommen, um zu streiten. Ich will das Land wiederbeleben und Granny zurückholen, damit sie hier ihre letzten Jahre genießen kann.«

»Viel Glück dabei, ich hoffe, du hast genügend Geld zurückgelegt.«

»Clayanne, bitte.«

»Nenn mich nicht so.«

»Clay. Sorry. Gib mir eine Chance.«

Sie zischte und startete den Motor, der ziemlich ungesunde Geräusche von sich gab. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe der Wagen richtig lief. »Ich wünsch dir viel Spaß in deinem neuen Leben und auf deinem Land. Pass auf die Eindringlinge auf, hab auch ein paar Wildschweine gesehen, die sich gerne hier rumtreiben.«

Ich wollte noch etwas erwidern, aber Clay funkelte mich ein letztes Mal an, dann gab sie Gas und fuhr davon. Ich blickte ihr nach und spürte einen heftigen Stich in meinem Herzen. Clayanne. Keine andere Frau hatte mich schon ab Minute eins derart aus der Fassung gebracht. Keine hatte mich je wieder so herausgefordert wie sie. Das hatte sich bis heute nicht geändert.

2.

Heute

Clayanne

»So ein Arschloch!«, rief ich, während ich Jackson auf die Straße lenkte. Der Motor stotterte schon wieder, obwohl ich letzte Woche erst den Vergaser ausgetauscht hatte. Ich tätschelte sachte das Armaturenbrett und drosselte etwas die Geschwindigkeit. »Lass mich nicht hängen, alter Junge.«

Es ruckelte erneut, aber der Motor ging nicht aus, wie vor Kurzem, als ich oben am Pass gestrandet war und geschlagene drei Stunden auf Hilfe hatte warten müssen. Winter taten Jackson einfach nicht mehr gut, und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer. Trotzdem war ich nicht bereit, ihn auf den Schrottplatz zu bringen. Er begleitete mich, seit ich sechzehn war. Jackson war mein erster Wagen, den ich mir von meinem eigenen Geld finanziert hatte. Er und ich gehörten zusammen. Das hatte ich zwar auch mal von Parker gedacht, aber da hatte ich mich gehörig getäuscht.

Jackson ruckelte erneut und lenkte zum Glück meine Aufmerksamkeit auf sich.

»Nachher kümmere ich mich um dich, bring mich einfach nur zum alten Neil, dann kannst du dich ausruhen, okay?«

Irgendwas brummte auf, und natürlich redete ich mir ein, dass er mir Antwort gab. Mein Bruder Ryan würde jetzt die Augen verdrehen, aber das war mir egal. Autos hatten eine Seele, genau wie das Land, die Berge, die Flüsse, die Pflanzen. Man musste nur zuhören.

Vielleicht hätte ich Parker auch mehr zuhören sollen, aber ich war so unglaublich wütend auf ihn. Es hatte bereits vor ein paar Wochen angefangen, als ich vom Makler erfahren hatte, dass Parker Golden Hill gekauft hatte. Ab dem Moment waren der alte Schmerz und der Zorn wieder hochgekocht, obwohl ich längst darüber hinweg sein sollte. Den Teufel war ich.

Parker traf mich noch immer genau da, wo ich nicht getroffen werden wollte. Wenn ich ihm das nächste Mal gegenüberstand, musste ich ihm vielleicht wirklich eine reinhauen. Nicht, dass es viel ändern würde, aber ich hätte mir wenigstens Luft verschafft. Wobei dieses viel zu schöne Gesicht eigentlich zu schade dafür war. Parker war damals schon attraktiv gewesen, aber eher auf eine jugendliche, schlaksige Art. Heute war er dieser Jugend entwachsen und sehr maskulin geworden. Er trug die dunkelblonden Haare etwas länger als früher, hatte sie aber an den Seiten getrimmt. Dazu seine helle Haut und der Dreitagebart, der ihm diesen gewissen Hauch von Verwegenheit gab. Außerdem hatte er ordentlich Muckis zugelegt. Ich hatte zwar nicht viel von ihm unter der dicken Jacke erkennen können, aber der Breite seiner Schultern nach zu urteilen trainierte er regelmäßig. Aus dem dünnen Etwas mit viel zu langen Armen war ein ziemlich heißer Kerl geworden, der …

»Gott, Schluss damit, Clay!« Ich presste die Lippen zusammen und bog auf die 191 ab. Bis zu Neils Stall waren es nur sechzig Minuten, aber ich war jetzt schon zehn zu spät. Neil wohnte etwas außerhalb von Boulder Creek auf einem alten Bauernhof, den er mit viel Mühe instand hielt. Seit seine Frau vor drei Jahren gestorben war, führte er den Hof allein und hielt neben seinen zehn Hühnern auch ein paar Schafe, zwei Pferde, drei Katzen und einen Hund. Neil müsste seinen Hof eigentlich verkaufen, aber er brachte es nicht übers Herz, die Tiere abzuschieben, und so quälte er sich Morgen für Morgen trotz seiner Arthrose raus, um alle zu versorgen.

Als ich auf dem Hof ankam, sah ich bereits Javiers dunkelblauen Pick-up in der Einfahrt stehen, aber von ihm war nichts zu sehen.

Verdammt, ich bin viel zu spät.

Ich parkte neben Javiers Auto, stieg aus und nahm mir meinen Arztkoffer von der Rückbank. Neils Hof war nicht sonderlich groß, er bestand nur aus dem Bungalow, den er bewohnte, und dem Stall dahinter. Die Pferde besaßen einen kleinen Auslauf, den sie sich mit den Schafen teilten, und die Hühner rannten frei herum.

Ich lief zum Stall und blickte durch die offene Tür, wo Javier bereits vor Neils alter Fuchsstute stand und das linke Vorderbein abtastete.

Javier trug einen dicken Parka, die langen schwarzen Haare hatte er zu einem Zopf geflochten, und er hatte eine Mütze aufgesetzt. Früher war er sogar bei diesen Temperaturen im Shirt herumgelaufen, aber mittlerweile zog er sich dem Wetter entsprechend an.

Neil hielt die Stute am Strick fest, seine Hände zitterten stark, aber das lag vermutlich eher am Alter als an der Kälte. Er hatte die Haltung eines Mannes, der sein Leben lang hart gearbeitet hatte und eigentlich in den Ruhestand gehen sollte, statt weiterzuackern.

»Sorry«, sagte ich und trat neben Javier. »Ich wurde aufgehalten.«

»Von Parker Huntington?«, fragte er, ohne von der Stute abzulassen. Das Bein war ziemlich geschwollen.

»Hab ihn nur kurz gesehen«, sagte ich und grüßte Neil mit einem Kopfnicken.

»Hast du ihn am Leben gelassen, oder müssen wir seine Leiche verscharren, ehe die Wildschweine sie holen?«, fragte Javier.

»Es geht ihm gut. Denk ich zumindest.« Ich stellte meinen Koffer ab und deutete auf die Stute. »Wie sieht es denn aus?«

»Ihr geht es nicht so gut«, sagte Javier und strich ein letztes Mal über das Bein. »Sehnenentzündung.«

Neil gab ein leises Stöhnen von sich. Ich sah ihn mitleidig an und tastete ebenfalls das Bein ab, das sich sehr warm anfühlte. Javier machte mir Platz, damit ich es in Ruhe untersuchen konnte. Eigentlich wäre das heute mein Termin gewesen, aber Neil hatte darauf bestanden, dass Javier mit dabei war, weil er schließlich der Tierarzt und außerdem ein Mann war.

Seit ich achtzehn war, arbeitete ich nun schon für Javier, und er hatte mir alles beigebracht, was er wusste. Für die meisten Bewohner von Boulder Creek zählte das genauso viel, aber es gab auch solche wie Neil, die darauf bestanden, dass ihre Tiere nur von einem richtigen Arzt mit Abschluss behandelt wurden.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Neil. »Muss sie eingeschläfert werden?«

»Nein«, sagte Javier. »Wir haben einige Optionen. Eine mögliche Therapie ist, sie mit Stammzellen zu behandeln. Dazu muss sie aber in die Klinik.«

»Das klingt teuer«, stellte Neil fest.

»Ist es bedauerlicherweise auch.«

»Wir können auch eine Alternative versuchen«, sagte ich und richtete mich auf. »Wir könnten zum Beispiel Blutegel setzen, spezielle Kühlverbände anlegen, sie sogar tapen. Ich habe neulich erst einen Artikel gelesen, dass das auch bei Pferden gut funktioniert.«

Neil sah mich fragend an, weil er wohl mit dem Begriff Tapen nichts anfangen konnte.

»Das macht man bei Menschen unter anderem bei Muskel- oder Bänderverletzungen. Durch das Tape wird das Bindegewebe und die Muskulatur stimuliert, was die Mikrozirkulation und das analgetische System im Körper anregt.«

Jetzt sah er mich noch perplexer an.

»Es ist wie eine Massage durch ein Band, was auf die Haut geklebt wird.«

»Aha.«

Javier nickte und lächelte mich an. Er kannte diese Methoden natürlich auch, aber bei skeptischen Klienten wie Neil überließ er es gerne mir, die Behandlungsmöglichkeiten zu erläutern. Er wollte damit erreichen, dass ich besser dastand und sie erkannten, was ich draufhatte.

»Und das funktioniert?«, fragte Neil und runzelte die zerfurchte Stirn.

»Ja, sehr gut sogar«, stand mir Javier bei.

»Ich habe auch ein altes Rezept der Cheyenne für eine sehr wirksame Kräutertinktur«, sagte ich. Die Unterlagen stammten von Javiers Urgroßmutter, die eine Heilerin gewesen war. Meine Familie hatte zwar auch Wurzeln zum Volk der Cheyenne, aber meine Großmutter hatte irgendwann alle alten Schriften weggeworfen. »Die könnte ich dir anmischen. Du musst nur zweimal am Tag das Bein damit einreiben.«

Neil blickte zu Javier, der nur nickte. »Probiere es einfach. Sollte keine Besserung eintreten, kannst du sie immer noch in die Klinik bringen. Du willst sie ja sowieso nicht mehr reiten.«

»Nein, aus dem Alter bin ich raus.«

Ich legte eine Hand auf den Rücken der Stute und streichelte sie ein wenig. Sie war ein ruhiges Tier und wurde früher von Neil zum Rindertreiben eingesetzt, als er noch mehr Land besessen hatte. Jetzt zehrte das Alter genauso an ihr wie an ihm, aber es freute mich, dass er sie nicht abschob, wie es viele der Cowboys taten, sobald die Tiere keine Funktion mehr erfüllten.

»Na gut. Wir machen das«, sagte Neil und nickte Javier zu.

»Schön. Clay mischt dir die Kräuter zusammen und kann dann diese Woche auch die Blutegel setzen.«

»Kein Problem«, sagte ich.

Neil öffnete den Mund und blickte zu Javier, doch der hob die Hand. »Ich bin diese Woche leider ausgebucht. Lass es Clay machen, das geht schneller, und deine alte Sally hier hat schon bald weniger Schmerzen.«

»Wenn es sein muss«, stimmte Neil widerstrebend zu.

Ich verkniff es mir, mit den Augen zu rollen.

»Stell sie erst mal separat von den anderen«, sagte Javier.

Ich wandte mich bereits ab, während er Neil noch instruierte, was er außerdem zu tun hatte. Als ich den Stall verließ, kam mir Neils Hund entgegen und wedelte mit dem Schwanz.

»Hey, Rover«, sagte ich und wuschelte ihm über den Kopf. Er reichte mir bis knapp übers Knie, hatte schwarzes Fell mit weißen Flecken darin und wundervolle braune Knopfaugen, die jedem das Herz erweichten. Rover hinkte seit seiner Kindheit, weil er als Welpe von einem Range Rover angefahren worden war und nur durch ein Wunder überlebt hatte. Daher sein Name.

Rover setzte sich vor mich und legte eine Pfote auf meinen Unterarm, damit ich ihn weiterstreichelte.

»Schön, dass du keine Vorurteile mir gegenüber hast«, sagte ich und kraulte ihn ausgiebig hinter den Ohren.

»Rover, komm«, rief Neil schließlich.

Der Hund sprang auf und flitzte trotz seiner Behinderung erstaunlich schnell davon. Ich richtete mich auf und ging weiter zum Auto, wo ich meinen Koffer wieder auf der Rückbank verstaute. Es dauerte nicht lange, bis auch Javier kam.

»Schieß los: Wie war es mit Parker?«, fragte er ohne Umschweife.

Ich schmunzelte und lehnte mich an Jackson. »Eigentlich nicht sehr spektakulär. Er will die Ranch renovieren.«

Javier pfiff durch die Zähne, nahm sich eine Mappe, die wir für all unsere Patienten anlegten, und notierte sich die heutigen Ergebnisse. »Hoffe, er hat einen guten Finanzplan.«

»Keine Ahnung, ob er überhaupt irgendeinen Plan hat.«

Javier lachte leise, schrieb seine Notizen nieder, klappte die Mappe zu und reichte sie mir. »Für die nächste Behandlung.«

»Danke.« Ich nahm sie an und klemmte sie unter den Arm. Eigentlich störte es mich nicht, von Leuten wie Neil unterschätzt zu werden, aber heute nagte es an mir. Ich blickte zurück zum Stall, wo der alte Mann noch mit seiner Stute beschäftigt war, und seufzte leise.

»Noch kannst du etwas daran ändern«, sagte Javier und ging zu seinem Wagen.

Mir war klar, was er damit meinte, auch wenn wir nicht oft über dieses Thema redeten. Ich sah ihn an und erkannte in seinen Augen die stumme Aufforderung: Mach dein Studium, dann kann ich dich voll einsetzen.

Ich biss mir auf die Lippe und sah zu Boden. Das Abenteuer Veterinärmedizinstudium saß mir nach sieben Jahren noch immer im Nacken. Vielleicht war ich damals einfach nicht bereit gewesen, diesen Weg zu gehen, und hätte ein oder zwei Jahre warten sollen, aber der Zug war irgendwie abgefahren. Mittlerweile war dieses Thema genauso negativ für mich besetzt wie diese Sache mit Parker.

Ich stieß mich von Jackson ab und lief zur Fahrerseite. Die Mappe warf ich auf den Sitz neben mir. Javier stieg ebenfalls in seinen Wagen und ließ den Motor an. Er wusste, dass ich mich vor dem Thema drückte, und gewährte mir mal wieder eine Schonfrist, bis ich so weit war, darüber zu sprechen. Im Moment war es leichter, es einfach von mir zu schieben. Klar, Situationen wie eben ärgerten mich mal kurz, doch damit kam ich klar.

Ob das auch für den Mann galt, der nun auf Golden Hill einzog, musste sich erst noch zeigen. Ich schüttelte mich, stieg in meinen Wagen und warf meinem Waffenkoffer einen Blick zu.

Sofort erinnerte mich das wieder an Parker und wie ich ihn vorhin mit Maggie bedroht hatte. Sein dummes Gesicht, als er in den Lauf meiner Schrotflinte geblickt hatte, würde mich noch eine Weile begleiten. Genau wie seine schönen dunkelblauen Augen, die mich sofort zurück in unsere Freundschaft gezogen hatten. Eine Freundschaft, die mehr als holprig angefangen hatte und sich zu etwas entwickelte, das ich so nicht erwartet hätte.

3.

Vor elf Jahren

Parker

»Parker, da kommt deine Hilfe. Das ist Clay. Sie ist die Enkeltochter der Davenports, das sind gute Freunde von mir«, sagte mein Großvater und deutete auf das Mädchen, das eben den Stall betreten hatte.

Sie hatte schulterlange, sehr zerzauste Haare, die sie versucht hatte, in einem Pferdeschwanz zu bändigen, aber es war ihr nicht wirklich gelungen. Dazu trug sie ein schlabbriges Shirt, enge Jeans und Wanderschuhe. Um ihr rechtes Handgelenk hatte sie Lederbänder geflochten. Ich rollte mit den Augen, weil sie aussah, als würde sie draußen im Wald leben. Ihr Gesicht gefror zu Eis, und zwei fast schwarze Augen hefteten sich auf mich. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie an.

»Was ist mit deinen Haaren? Brütest du darin Eier oder so?«

Clay kniff die Augen zusammen, und pures Feuer sprühte aus ihnen heraus. Sie ballte die Hände zu Fäusten und zischte leise.

»Okay, ganz ruhig, Hitzeblitz«, sagte mein Großvater zu ihr. »Clay, du wirst Parker alles zeigen, er kennt sich noch nicht so gut aus.«

Clay brummte leise und verzog das Gesicht.

»Ich lass dich liebend gerne allein«, sagte ich. »Dann hast du deine Ruhe, und ich …«

»Das würde dir so passen«, sagte mein Großvater und klopfte mir auf die Schulter. »Sei nett, Parker, und lass sie nicht alles allein machen, verstanden?«

»Jaja.«

Grandpa lächelte, sah noch einmal zwischen uns hin und her und verabschiedete sich.

Wir blieben etwas unschlüssig zurück. Ich schob den Dreck mit einem Fuß vor mir her und überlegte, wie ich am besten aus der Nummer rauskäme, aber noch sah ich keine Möglichkeit.

Clay stöhnte, trat an die Seitenwand und zog eine Mistgabel von der Halterung. »Du weißt schon, dass ›Jaja‹ leck mich am Arsch heißt?«

»Und wenn schon? Mein Grandpa sah nicht so aus, als wüsste er es, oder?«

»Wow, du bist ja ein ganz Schlauer.« Sie kehrte zurück zu mir und hielt mir die Gabel hin. »Lass es uns hinter uns bringen, du Möchtegern-Bad-Boy.«

»Wie hast du mich genannt?«

»Na, schau dich doch an. Diese Hier-ist-alles-so-langweilig-Miene.« Sie äffte mich nach und verzog gekünstelt das Gesicht. »Dann der Spruch mit meinen Haaren. Wie alt bist du? Zwölf?«

»Was?! Ich bin nicht … ich bin …«

Sie schüttelte den Kopf und lief zu Gin und Ginger. »Hältst dich für ultracool, jammerst aber rum, sobald man von dir verlangt zu arbeiten. Vermutlich kriegst du gleich Blasen an den Händen.«

Ich ballte besagte Hände zu Fäusten und zischte leise. »Besser, als rumzulaufen, als wäre ich dem Wald entsprungen. Ihr Dörfler wisst vermutlich nicht mal, wie man ein Handy benutzt.«

»Ja, ganz bestimmt nicht.« Clay schüttelte den Kopf und tätschelte den beiden Pferden die Nasen. »Hallo, ihr zwei Hübschen.«

Ich tat so, als müsste ich würgen, weil die Viecher alles andere als hübsch waren.

Clay hielt inne, lächelte mich an und rammte die Mistgabel neben meinem Fuß in die Erde. Ich zuckte zusammen. Die Zacken hatten mich nur haarscharf verfehlt.

»Bist du irre? Ein paar Millimeter weiter links, und ich hätte das Teil im Fuß gehabt!«

»Hast du aber nicht. Jetzt ran an die Arbeit, wir wollen irgendwann auch mal fertig werden.«

»Gott, bist du anstrengend.«

»Du hast ja keine Ahnung.«

Heute

Die Begegnung mit Clay hing mir noch nach, als ich längst auf dem Weg zurück nach Boulder Creek war, wo ich in der nächsten Zeit wohnen würde. Clays Gesichtsausdruck und der Zorn in ihrer Stimme hatten mich die ganze Zeit über begleitet, während ich Golden Hill weiter abgelaufen war und mir notiert hatte, wo und wie wir am besten anfangen sollten. Unser Zeitplan war sehr eng gesetzt, weil wir schnellstmöglich Gäste empfangen wollten, damit Geld in die Kasse floss. Das war auch bitter nötig, denn leider war die Ranch in einem schlechteren Zustand, als ich erwartet hatte. Das Loch im Dach würde uns gleich zu Beginn aufhalten. Dann hatte ich gesehen, dass es im Keller ein paar feuchte Wände gab, und im Kamin war ein altes Vogelnest, das entfernt werden musste. Sobald ich mich nachher bei Cybil im Gästezimmer eingerichtet hatte, würde ich erst mal ein Resümee des heutigen Tages ziehen und alles entsprechend planen. Vielleicht sollte ich mir auch überlegen, wie ich das mit Clay wieder geradebiegen konnte, aber ich verstand sehr gut, warum sie zornig auf mich war. Ich an ihrer Stelle hätte mir wohl in den Fuß geschossen.

Ich passierte das Stadtschild von Boulder Creek, und wieder erfüllte diese angespannte Nostalgie mein Herz. Als ich gestern angereist war, war es schon dunkel gewesen, und ich hatte nicht viel von der Stadt sehen können. Heute war es zwar trüb und verhangen, aber ich erkannte genug. Ich befand mich auf der langen Hauptstraße, die irgendwann am Rathaus endete. Vorher kamen Cybils Diner, wo ich ein Gästezimmer bezogen hatte, Stews Lebensmittelgeschäft, ein Friseur, ein Tabakladen, das kleine Café, das Mark mir damals ans Herz gelegt hatte, und ein Touristenbüro. Aus dem Internet wusste ich, dass Boulder Creek mittlerweile gewachsen war. Es gab rund zweitausend Einwohner, zwei Ärzte eine Tierklinik, die Feuerwehr, Polizei, drei große Campingplätze mit Ferienhütten und einige lokale Bauunternehmen, die den Wald rodeten und das Holz weiterverarbeiteten. Im Winter war hier nicht viel los, aber im Frühjahr kamen die Touristen und Wanderer. Zudem war etwa zwei Stunden nördlich von hier der berühmte Yellowstone Park, der jedes Jahr Tausende von Menschen anlockte. Ich selbst hatte ihn nie besucht, aber irgendwann wollte ich unbedingt einen Ausflug dorthin machen.

Ich kam an Stews Laden vorbei, der sich ebenfalls nicht viel verändert hatte. Es war ein großes Gebäude mit bodentiefen Glasfenstern. Auf dem Dach prangte ein Logo mit Stews Namen und den Worten: Beste Waren seit 1935. Vor der Tür stand noch immer das hölzerne Pferd in Lebensgröße, allerdings fehlte ihm nach wie vor ein Ohr. Ich zog die Augenbrauen zusammen, als ich an jene Nacht dachte, an der ich dem Tier das zugefügt hatte. Zusammen mit noch vielen anderen dummen Dingen, die … Mein Handy klingelte, und ich zuckte zusammen. Das Display im Armaturenbrett verriet mir, dass es wieder Sadie war.

»Hey, ich habe schlechte Neuigkeiten«, sagte sie statt einer Begrüßung.

»Was ist passiert?«

»Ich stecke auf der 89 fest, irgendwo zwischen Bradley Mountain und Deadhorse Peak. Hier hat es auf einmal angefangen zu schneien, und ein Lkw hat sich auf der glatten Straße quergelegt.«

Ich blickte durch die Frontscheibe hinaus. Auch hier war der Himmel sehr verhangen, und die ersten Schneeflocken rieselten herab.

»Ich komm heute nicht mehr weg«, sagte Sadie.

»Hast du denn eine Möglichkeit, wo du übernachten kannst?«

»Ja, der Verkehr wurde in die nächste Ortschaft umgeleitet. Ich hab mich jetzt für die Nacht eingemietet und hoffe, dass bis morgen die Straße frei ist.«

»Wird schon.«

»Ich muss es unbedingt zu dem Termin schaffen.«

Wir waren morgen um zehn mit Tara McArthur, der Bürgermeisterin von Boulder Creek, verabredet, um die finale Baugenehmigung und die Einverständniserklärung für unser Projekt abzuholen. Eigentlich hatte Sadie sich bereits im letzten Jahr darum gekümmert und intensiven Kontakt zu einer Sachbearbeiterin im Rathaus gehabt, aber die hatte leider von heute auf morgen ihren Job geschmissen. Seitdem lag unser Projekt auf irgendeinem Schreibtisch und verstaubte. Es war zwar schön, dass sich die Bürgermeisterin nun persönlich unserer Sache annehmen wollte, aber das schüchterte mich auch ganz schön ein.

»Wir schaffen das, mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Deine Sicherheit geht vor.«

Sadie seufzte leise, aber ich wusste, dass sie kein unnötiges Risiko eingehen würde, sollten die Straßen auch morgen nicht frei sein. »Ich bete zum Wettergott«, sagte sie.

»Ruf mich morgen früh an, ich biege gerade bei Cybil auf dem Parkplatz ein.«

»Okay, ich hoffe, dass alles klappt. War noch irgendwas heute auf Golden Hill? Weitere Überraschungen?«

Nur eine feurige Frau mit einer Schrotflinte. »Nichts, womit wir nicht klarkommen, aber ich bin Clay begegnet.«

»Oha. Wie war es denn?«

»Interessant.«

»Gut interessant oder schlecht interessant?«

»Das weiß ich noch nicht.« Im Gegensatz zu mir hatte Sadie bei ihrem Besuch auf Golden Hill nie etwas mit Clay zu tun gehabt, aber sie wusste natürlich vieles über sie aus meinen Erzählungen.

»Hat sie denn irgendwas Besonderes gesagt?«

»Nicht wirklich.«

Sadie stöhnte, weil ich mir alles aus der Nase ziehen ließ, aber ich wusste auch nicht so recht, was ich sagen sollte. »Wir reden später darüber. Ich parke gerade und möchte reingehen.«

»Na gut, ich lass dich vom Haken.«

»Wie nett von dir. Pass auf dich auf, ja?«

»Immer.«

Ich legte auf, stellte das Auto ab und sammelte meine Sachen zusammen. Als ich ausstieg, empfing mich sofort die Eiseskälte, und meine Wangen glühten von dem stetigen Wechsel aus warm und kalt. Ich überquerte rasch den Parkplatz und steuerte den Eingang zu Cybils Diner an. Es war ein uriges Restaurant mit einer großen Fensterscheibe zur Straße hin. Ich erkannte, dass es recht voll war.

Das Diner gab es schon ewig und hatte sich seit meinem letzten Besuch kaum verändert. Bis auf den neuen Anstrich und die roten Fensterläden, die früher nicht da gewesen waren.

Cybil führte mittlerweile nicht nur das Restaurant, sie vermietete auch einige Ferienwohnungen. Drei befanden sich im Nachbargebäude, zwei lagen direkt über dem Diner und bestanden aus je einem einfachen Zimmer.

Ich betrat das Diner und schüttelte den Schnee von den Stiefeln. Einige Blicke richteten sich auf mich, als ich auf die Bar zusteuerte. Unweigerlich sah ich zum Tisch drüben am Fenster, an dem ein junges Pärchen saß.

Das war der Tisch, an dem damals meine Welt zerbrochen war, nachdem ich gedacht hatte, sie endlich im Griff zu haben. Da drüben hatte ich das letzte Mal mit Grandpa gesprochen. Ich schüttelte mich, zog die Jacke aus, hängte sie aber nicht an der Garderobe auf, sondern nahm sie mit zu den Hockern an der Theke und legte sie neben mich.

Eine junge Frau mit einer Schürze und einem Tablett in der Hand lief an mir vorbei und nickte mir zu, als Zeichen, dass sie mich registriert hatte. Sie verschwand in der Küche, und ich wickelte den Schal ab, zog die Handschuhe aus und nahm die Speisekarte in die Hand. Mein Magen rumorte leise, als ich die Seite mit den Burgern studierte. Seit heute Morgen hatte ich nichts mehr gegessen, und nach dem langen Tag draußen fühlte ich mich recht ausgehungert.

Auf einmal bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie jemand rechts von mir tuschelte. Ich blickte über die Schulter und entdeckte zwei ältere Männer, die die Köpfe zusammensteckten. Die beiden waren vermutlich Anfang sechzig und kamen mir bekannt vor, aber ich konnte sie auf die Schnelle nicht zuordnen.

Der eine Mann rümpfte die Nase, als er mich anblickte, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seiner Pizza zu.

»Taucht hier einfach wieder auf«, hörte ich auf einmal einen anderen sagen. Der Typ saß schräg vor mir an einem der Tische und funkelte mich genauso missmutig an wie die beiden eben. Ich zuckte zusammen, als sich unsere Blicke trafen, denn den erkannte ich sofort. Es war Stew. Der Betreiber des Lebensmittelladens. Dieses Gesicht würde ich wohl nie mehr vergessen, nach allem, was ich angestellt hatte. Er hatte deutlich mehr graue Haare und auch mehr Falten als früher. Stew trug ein dunkelgraues Sakko, darunter ein helles kariertes Hemd. Seine Schultern wirkten noch gebeugter als damals, aber in seinem Blick loderte das Feuer.

Ich lächelte verlegen und bemühte mich, freundlich zu wirken, doch er schnaubte nur.

»Hi«, hörte ich eine weibliche Stimme. Ich blickte auf und sah der Frau vor mir ins Gesicht. Sie war schätzungsweise Mitte zwanzig, hatte dunkelbraune Haare, die sie zu einem strengen Zopf geflochten hatte, und trug eine schwarze Bluse mit dem Aufnäher von Cybils Logo. Um ihre Hüfte hatte sie eine weiße Schürze gebunden, und ihre blauen Augen wirkten wachsam. Ich sah auf ihr Namensschild über ihrer Brust.

»Katherine«, las ich ab und grüßte sie mit einem Kopfnicken.

»Kit, bitte. So nennen mich eigentlich alle, bin nur noch nicht dazugekommen, das Schild zu ändern. Und du musst Parker sein, hab ich recht? Der, der Golden Hill gekauft hat.«

»Genau der bin ich.«

Sie zückte einen Block und einen Stift. »Was darf ich dir denn bringen?«

»Den Grilled Cheeseburger mit Pommes und eine Pepsi dazu, bitte.«

»Gerne. Kaffee vorab?«

»Klar.«

Sie notierte alles, und ich hörte Stew ein weiteres Mal schnauben.

»Wirst es wohl nicht leicht hier haben«, sagte Kit. »Du bist seit gestern Stadtgespräch.«

»Ich merke es.«

»Was hast du denn angestellt?«

Ich sah sie verblüfft an. Warum wusste sie das denn nicht?

»Bin erst vor einiger Zeit zugezogen«, sagte sie nur. »Bisher konnte ich nur ein paar Puzzleteile aufschnappen, aber ich hab noch kein genaues Bild von dir.« Kit legte den Kopf schräg und schien sich zurechtzulegen, was sie alles von mir wusste. »Du bist der Enkel von Darren und Cynthia Huntington, hast mal hier drei Sommer verbracht …«

»Einen«, korrigierte ich sie. »Wobei ich als Fünfjähriger auch schon mal für zwei Wochen hier war, aber ich weiß nicht, ob man das zählen kann.«

»Also gut. Du warst einen Sommer und ein paar Wochen hier und hast die ganze Stadt beleidigt, als du damals gegangen bist. Hast du auch ’ne Scheibe hier eingeschlagen?«

»Fast. Sie ging nicht zu Bruch. Ich hab aber einen Kaffeebecher an die Wand geschmissen, und ich denke, ich habe nur die halbe Stadt beleidigt, aber das ist wohl Haarspalterei.«

»Spannend.«

»Kit, wir würden gerne zahlen«, rief einer der beiden Männer, die mich eben noch angestarrt hatten.

Autor

Nicole Böhm
<p>Nicole Böhm wurde 1974 in Germersheim geboren und lebt heute in Speyer. Mit zwanzig reiste sie nach Phoenix, Arizona, um Zeichen- und Schauspielunterricht am Glendale Community College zu nehmen. Es folgte eine Schauspielausbildung an der American Musical and Dramatic Academy in New York. Sie lebte insgesamt drei Jahre in Amerika...
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