Hochzeit im Herbst

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Drei Traummänner aus dem MacKade-Clan haben bereits die Liebe gefunden! Nur der attraktive Shane MacKade, jüngster der vier Brüder, hält beharrlich an seinem Single-Leben fest. Die Frauen machen es ihm leicht - wozu also heiraten? Bis die junge Wissenschaftlerin Rebecca Knight in sein Leben tritt. Mit ihr wird jeder Tag zu einer neuen Herausforderung. Denn Shane findet sie ausgesprochen reizvoll, aber wenn er ihr das zu verstehen gibt oder sogar mit ihr flirten will, nimmt sie ihn nicht ernst. Stattdessen sagt Rebecca ihm auf den Kopf zu, dass sie nicht die Absicht hat, eine seiner vielen Exfreundinnen zu werden. Selbst ein erster leidenschaftlicher Kuss kann sie nicht umstimmen ...

"Was bekommt man, wenn man einen Frauenschwarm mit einer jungen Wissenschaftlerin zusammenbringt, die leider keine Zeit für die Liebe hat? Eine hinreißende Romanze mit herrlich schnippischen Dialogen und sinnlichen Szenen."

romantictimes


  • Erscheinungstag 09.01.2019
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783955769772
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Eine dicke Eisschicht hatte sich über den von Schnee frei geschaufelten Pfad gelegt und machte das Laufen zu einem gefährlichen Balance-Akt. Ganz weit hinten am östlichen Horizont ließ sich das erste Morgengrauen erahnen, doch noch war der Himmel dieses eiskalten Wintermorgens schwarz wie Tinte, nur vereinzelt blitzten silberne Sterne auf. Jeder Atemzug, den man einsog, schnitt scharf wie Rasierklingen in Kehle und Lungen, bevor man ihn in einer weißen Dampfwolke wieder ausstieß.

Eingepackt in mehrere Lagen dicker Pullover sowie zwei Hosen zuzüglich langer Unterhosen, mit dicken Fäustlingen, Schal und Mütze, stapfte Shane MacKade in Richtung Melkschober, auf dem Weg zu den ersten Pflichten des Tages. Im Gegensatz zu seinen drei älteren Brüdern pfiff er leise vor sich hin.

Er liebte diese frühe Stunde vor dem winterlichen Sonnenaufgang, wenn der Frost noch knackte und der unberührte Schnee unter den Stiefeln knirschte.

Jared, der älteste der vier MacKades, war jetzt fast siebzehn, und als Ältester führte er die Farm. Allerdings führte er sie, wie ein Buchhalter sich wohl an seine Abrechnungen machen würde. Für ihn waren das alles nur Zahlenkolonnen auf einem Blatt Papier. Nun, vielleicht war das sogar ganz gut so. Vor zwei Monaten hatten sie ihren Vater verloren, und die Zeiten sahen im Moment alles andere als rosig aus.

Und was Rafe anbelangte … Die Zukunftsvisionen des Fünfzehnjährigen gingen bereits weit über die Hügel und Felder des MacKade-Landes hinaus. Das Melken, Füttern und Versorgen der Tiere waren für ihn eine leidige Pflicht, die es einfach zu erledigen galt. Und obwohl sie nie wirklich darüber gesprochen hatten, so wusste Shane doch, dass der Tod des Vaters Rafe am härtesten getroffen hatte.

Sie alle hatten ihren Vater geliebt. Wie hätte man Buck MacKade auch nicht lieben können? Einen Mann mit einer Stimme wie Donnerhall, mit Händen wie Schaufeln und einem Herzen, genauso weit wie das MacKade-Land. Alles, was Shane über das Land und die Farm wusste, über die Tiere, über all das, was er so liebte, wusste er von Buck MacKade. Der Vater hatte die Liebe für das Land an seinen jüngsten Sohn weitergegeben.

Vielleicht war das der Grund, warum Shane nicht vor Kummer umkam. Das Land war immer noch da, also war sein Vater auch irgendwie da. Und würde immer da sein.

Mit Devin hätte er vielleicht darüber reden können. Mit vierzehn war Devin bereits ein ausgezeichneter Zuhörer, außerdem standen sie sich altersmäßig am nächsten. Immerhin wurde Shane am Dienstag dreizehn. Das war ein Riesenschritt in Richtung Erwachsenwerden.

Trotzdem behielt er den Gedanken lieber für sich.

Im Kuhstall regten sich die ersten Tiere, vereinzeltes Muhen ertönte, Quasten schweiften durch die Luft, als alles für das morgendliche Melken vorbereitet wurde. Es war eine ziemlich einfache Aufgabe, eigentlich sogar ein wenig monoton. Aber Shane machte diese Arbeit Spaß, er genoss die Gerüche, die Laute und Geräusche, die immer wiederkehrende Routine. Während er und Devin sich daranmachten, die zweite Gruppe Kühe anzuschließen, führten Rafe und Jared die von ihrer Milch erleichterten Tiere bereits nach draußen.

Sie waren ein gut eingespieltes Team, schnell und effizient, trotz der unchristlich frühen Stunde und der ebenso ungnädigen Temperaturen. Im Grunde genommen hätte einer von ihnen gereicht, um diese Arbeit zu übernehmen, im Höchstfalle vielleicht zwei, aber die MacKade-Brüder hatten schon immer alles zusammen gemacht. Und besonders in diesen Tagen.

Aber da waren auch noch die Hühner und die Schweine, die es zu versorgen galt. Eier mussten eingesammelt, Ställe ausgemistet, neues Stroh verteilt werden. Und das alles noch, bevor sie endlich ihr Frühstück hinunterschlingen und sich dann zu viert in Jareds altes Auto quetschen konnten, um zur Schule zu fahren.

Wenn es nach ihm ginge, hätte Shane gut auf diesen Teil mit der Schule verzichten können. In der Schule lernte man nicht, wie gepflügt und wann gepflanzt wurde. Diese Bücher in der Schule verrieten einem nichts darüber, wann man am besten mit der Saat begann oder wann die Zeit günstig war, um zu ernten. Und schon gar nicht darüber, wie man am Geruch der Luft das Wetter voraussagen konnte oder wie man an den Augen einer Kuh erkannte, ob sie krank war oder gesund.

Aber seine Mutter hielt sehr viel von diesen Büchern, und in der Beziehung ließ sie absolut nicht mit sich reden.

„Was zum Teufel macht dich eigentlich so widerlich glücklich?“ brummte Rafe und schlug zwei leere Stahleimer aneinander. „Dieses Gepfeife treibt mich noch irgendwann in den Wahnsinn.“

Shane grinste nur und pfiff weiter. Er unterbrach sich nur, um den Kühen ein paar aufmunternde Worte zukommen zu lassen. „So ist es richtig, Mädels, macht nur alle Container schön voll.“ Shane ging an der Reihe der Tiere entlang, tätschelte den Kühen den Hals und kontrollierte noch einmal alle Saugdüsen.

Rafe folgte seinem Bruder mit den Augen, ohne ihn richtig zu sehen. „Irgendwann schlage ich ihm noch mal alle Zähne ein“, murmelte er vor sich hin.

„Lass ihn doch“, feixte Devin. „Bei ihm ist der Hirntod doch schon längst eingetreten.“

Rafe grinste breit. „Du hast Recht. Und außerdem – es ist so verdammt kalt, dass meine Finger wahrscheinlich wie Glas zerbersten würden, wenn ich ihm meine Faust ins Gesicht pflanze.“

„Heute wird’s aber noch warm.“ Shane stützte sich auf einen breiten Kuhrücken. „Na ja, mindestens so um den Gefrierpunkt, wahrscheinlich sogar über null.“

Rafe machte sich gar nicht erst die Mühe zu fragen, woher Shane dieses Wissen hatte. Shane wusste es einfach. Er wusste es immer. „Na und?“ Mit lässigen Schritten verließ er den Kuhstall und ging zur Scheune hinüber.

„Was ist denn mit dem los?“ murmelte Shane verdutzt. „Hat er sich vielleicht einen Korb von irgendeinem Mädchen geholt?“

„Nein, er hasst nur einfach Kühe.“ Jared kam zurück, er roch nach Getreide und Mais.

„So was Blödes. Dabei sind Kühe doch so nette Tiere. Nicht wahr, Mädel, du bist eine ganz Süße, was?“ Er schlug der Kuh liebevoll mit der flachen Hand auf das Hinterteil.

„Shane liebt Kühe.“ Devin grinste das typische MacKade-Grinsen, bei dem sich Grübchen an jeder Seite der Mundwinkel bildeten. „Da hat er auch mehr Glück beim Küssen, als wenn er es bei einem Mädchen versuchen würde.“

Shanes Kopf schoss hoch, und seine Augen verengten sich. „Ich kann jedes Mädchen küssen, das ich küssen will – wenn ich es denn küssen wollte.“ Sein Körper unter den Lagen Winterkleidung spannte sich an. Er war zum Sprung bereit.

Jared erkannte die typischen Vorzeichen und schüttelte den Kopf. Er hatte jetzt wirklich keine Lust auf eine Rangelei. Es gab noch viel Arbeit zu erledigen, und außerdem stand ihm eine Klassenarbeit in englischer Literatur bevor. Devin und Shane waren ungefähr gleich stark und gleich wendig, eine Rauferei zwischen ihnen konnte ewig dauern.

„Sicher, du bist ein wahrer Don Juan.“ Er sagte das nur, damit Shane seine Wut auf ihn lenken würde. „All die kleinen Mädchen ziehen sich ihre Sonntagskleidchen an und warten geduldig in der Schlange, um sich bei dir einen Kuss abzuholen.“

Devin spitzte die Lippen und machte schmatzende Laute in die Luft, die wohl Küsse nachahmen sollten. Jared hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht. Als Shane herumschwang, um genau das zu tun, ging er allerdings dazwischen. „Aber bevor du sie reihenweise in Ohnmacht fallen lässt, du Herzensbrecher … Das Wasser in den Trögen ist eingefroren. Und diese Kühe hier haben Durst.“

Shane stampfte wütend nach draußen, nicht ohne Devin vorher noch einen Blick zugeworfen zu haben, der diesem sagte, dass die Angelegenheit noch lange nicht ausgestanden war.

Natürlich konnte er ein Mädchen küssen. Jedes Mädchen. Shane hackte wütend auf die dicke Eisschicht im Trog ein. Wenn er wollte. Aber er wollte eben nicht.

Nun, vielleicht regte sich da doch ein wenig Interesse, gestand er sich eher unwillig ein und hauchte sich wärmend auf die steifen Finger. Einige der Mädchen, die er kannte, begannen langsam ziemlich interessante Formen zu entwickeln. Und als Sharilyn, Jareds Freundin, letztens neben ihm in Jareds Auto gesessen hatte, eng an ihn gepresst, aus dem einfachen Grund, weil vorn im Wagen nicht so viel Platz war, da hatte er dieses seltsame Kribbeln gespürt …

Wahrscheinlich konnte er sogar Sharilyn küssen. Wenn er wollte.

Er legte das schwere Stemmeisen beiseite und sah über das Dach des Milchschobers, über dem die Sterne auffunkelten. Da würde Jared mit Sicherheit ziemlich dumm aus der Wäsche gucken. Sie alle glaubten ja, er hätte keine Ahnung, nur weil er der Jüngste war. Aber er wusste ganz genau, wie das ablief. Zumindest konnte er sich sehr genau vorstellen, wie so was ablief.

Er warf sich das Stemmeisen über die Schulter und machte sich vorsichtig rutschend und schlingernd auf den Weg zum Schweinestall.

Natürlich wusste er, was Sex war und wie es funktionierte. Schließlich war er auf einer Farm aufgewachsen. Er hatte oft genug gesehen, wie verrückt ein Bulle wurde und wie ihm die Augen aus dem mächtigen Schädel zu fallen drohten, wenn man ihn zur Kuh führte. Allerdings hatte ihm das nie nach sehr viel Spaß ausgesehen. Bisher. Doch jetzt bemerkte er langsam, mit welch interessanten Dingen die Mädchen ihre Blusen auszufüllen begannen …

Er wünschte, er wäre endlich erwachsen. Er wünschte, er könnte es irgendwie beweisen, dass er erwachsen war – und nicht nur damit, dass er bei jeder Rauferei mithielt. Aber im Moment schien ihm nichts anderes übrig zu bleiben, als abzuwarten, bis es so weit war. Das Wissen, dass er dann endlich sein Leben in die eigene Hand würde nehmen können, war immerhin beruhigend.

Das Land gehörte ihm. War ein Teil von ihm, mit ihm verwachsen, solange er denken konnte. Als hätte jemand neben seiner Wiege gestanden und ihm unablässig diese Worte ins Ohr geflüstert: die Farm. Das Land. Nur das zählte. Und falls er ein Mädchen haben wollte oder vielleicht sogar einen ganzen Harem – nun, dann würde er auch das bekommen.

Aber die Farm war das Wichtigste.

Er sah zu der schneebedeckten Bergkette im Osten hinüber, die jetzt in der aufgehenden Sonne aufflammte. Das Land und die Farm, die sein Vater bewirtschaftet hatte. Und vor ihm dessen Vater. Sie hatten Überschwemmungen und Dürren überlebt. Und den Krieg.

Shane verlor sich in seinen Gedanken, als er über das weiße Feld wanderte. Sie hatten auf diesen Feldern gesät und geerntet, selbst als sich Männer im Grau der Konföderierten und im Blau der Unierten hier auf den Feldern und in den dichten Wäldern schreiend ins Kampfgetümmel geworfen hatten.

Und auf der anderen Seite der Wälder war die Farm heil geblieben.

Er konnte es sich genau vorstellen, wie es gewesen war. Die steinige Erde mit einem Pferdepflug zu wenden, mit schmerzendem Rücken, mit von der Arbeit rauen Händen. Aber die Saat wurde ausgebracht, und als Belohnung konnte man dann alles wachsen sehen. Die Maisfelder, saftig grün, die Weiden, mit hoch stehendem, sich im Wind wie Wellen wiegendem Gras, der Weizen, der im Sommer reifte und dann aussah wie flüssiges Gold.

Selbst als die Soldaten kamen, als das Schwarzpulver das Korn versengte, konnten sie dem Land nichts anhaben. Hier waren Menschen gefallen, dachte Shane, und ein Schauer kroch über seinen Rücken. Männer hatten hier im Todeskampf gelegen und gequält geschrien, hatten sich in ihrem eigenen Blut gewälzt, das die Erde tränkte.

Aber das Land, für das und um das sie gekämpft hatten, hatte das nicht verändert. Das Land hatte es erduldet. Es hatte überdauert.

Er merkte, wie er bei dem Gedanken verlegen wurde. Das Gefühl, das dieser Gedanke barg, war so stark, dass ihm fast schwindlig davon wurde. Er war froh, dass er allein war, dass seine Brüder ihn nicht sehen konnten. Er hätte ihnen nie erklären können, woher dieses sichere Wissen stammte, dass es schon immer sein Land gewesen war und dass es auch wieder sein Land werden würde.

Er wusste es einfach.

Als er das Geräusch hinter sich hörte, schulterte er wieder das Eisen und drehte sich ganz langsam um, achtsam darauf bedacht, sein Gesicht völlig ausdruckslos zu halten.

Aber da war niemand.

Er schluckte. Er war sicher, etwas gehört zu haben. Ein Geräusch, so als ob sich jemand bewegt hätte, dann ein leiser schwacher Schrei. Es war nicht das erste Mal, dass er die Geister gehört hatte. Sie lebten hier, so wie er es tat. Auf den Feldern, in den Wäldern, in den Hügeln. Trotzdem jagten sie ihm Angst ein.

Er nahm all seinen jungen Mut zusammen und ging um den Schober herum, auf das alte Räucherhaus zu. Wahrscheinlich ist es wieder nur mal Devin, beruhigte er sich, oder auch Rafe oder vielleicht sogar Jared, die ihn hochnehmen und ihm einen anständigen Schrecken einjagen wollten. Das hatten sie schon einmal mit ihm gemacht, damals, als sie die Nacht in dem alten Barlow-Haus auf der anderen Seite des Waldes verbracht hatten. Eine Mutprobe. Denn in dem alten Haus gab es so viele Geister, wie es Spinnweben gab.

„Komm schon, Dev, lass den Blödsinn“, sagte er laut in die Stille hinein. Laut genug, um sich selbst Mut zu machen.

Doch als er um das Haus herumging, war keine Spur von seinen Brüdern zu sehen, auch keine Fußabdrücke im Schnee. Für einen Sekundenbruchteil glaubte er, eine Gestalt erkennen zu können. Zusammengekrümmt auf dem Boden liegend, mit totenblassem Gesicht, Blut sickerte aus einer großen klaffenden Wunde.

Hilf mir. Bitte hilf mir. Ich sterbe.

Doch als Shane einen Schritt vor machte, war da nichts. Absolut nichts. Nur diese Worte hallten in seinen Ohren nach.

Shane stand regungslos da, ein Junge, auf den alle Wunder des Lebens noch warteten, und starrte auf den jungfräulichen Schnee. Schaudernd stand er da, während die Kälte durch seine Sachen kroch, in seine Knochen, bis ins Mark.

Dann hörte er plötzlich das Lachen seiner Brüder und die Stimme seiner Mutter, die ihre Söhne zum Frühstück rief, damit sie sich beeilen sollten, um nicht zu spät zur Schule zu kommen.

Abrupt schwang er herum, verdrängte das gespenstische Erlebnis und weigerte sich, an das zu denken, was er gehört und gesehen hatte.

Er ging zurück zum Haus und verlor kein Wort über diesen einen kurzen, beklemmenden Moment.

1. KAPITEL

Shane MacKade liebte die Frauen. Er liebte ihr Aussehen, ihren Duft, den Klang ihrer Stimme. Er liebte sie, ohne Vorbehalt und vorurteilsfrei. Ob groß oder klein, üppig oder mager, alt oder jung, für ihn hatte jede Frau etwas ganz Besonderes, das sie von anderen unterschied und von dem er sich magisch angezogen fühlte.

Er hatte in seinen zweiunddreißig Lebensjahren sein Möglichstes getan, um die Frauen die grenzenlose Verehrung, die er für ihr Geschlecht empfand, spüren zu lassen. Und er betrachtete sich als einen glücklichen Mann, weil er nicht nur liebte, sondern auch wiedergeliebt wurde.

Doch seine Liebe zu Frauen war nicht seine einzige Liebe. Seine Familie, seine Farm, der Duft von frisch gebackenem Brot, der erste Schluck kühlen Bieres nach einem langen Arbeitstag.

Aber Frauen in ihrer Vielfalt, in ihrer Verschiedenheit, gehörten doch zu dem Schönsten, was es gab auf der Welt.

Eine dieser Frauen lächelte er gerade an. Auch wenn Regan die Frau seines Bruders war und Shane ihr nichts als harmlose brüderliche Gefühle entgegenbrachte, wusste er ihre weiblichen Reize durchaus zu schätzen. Er mochte es, wie sich ihr honigbraunes Haar an ihre Wangen schmiegte. Den winzigen Leberfleck neben ihrem rechten Mundwinkel bewunderte er ebenso wie die Tatsache, dass sie es schaffte, immer sexy und wie aus dem Ei gepellt zugleich auszusehen.

Shane war der Meinung, dass ein Mann, wenn er sich schon unbedingt binden zu müssen glaubte, es nicht besser treffen könnte als mit Regan. Rafe hatte das große Los gezogen.

„Macht es dir wirklich nichts aus, Shane?“

„Was?“ Er sah, wie sie fragend eine Augenbraue hochzog, während sie den jüngsten MacKade-Spross an ihre Schulter legte. „Oh, du meinst das mit dem Flughafen. Richtig. Entschuldige, ich war eben etwas weggetreten, weil ich wieder mal gedacht habe, wie toll du aussiehst.“

Regan musste lachen. Sie war todmüde. Jason MacKade, ihr jüngster Sohn, schrie, ihre Frisur war eine einzige Katastrophe, und sie befürchtete, mehr nach Jasons vollen Windeln zu riechen als nach dem Parfüm, das sie sich am Morgen hinter die Ohren getupft hatte.

„Du Schmeichler. In Wirklichkeit sehe ich bestimmt grauenhaft aus.“

„Völliger Unsinn.“ Um ihr eine Verschnaufpause zu gönnen, nahm Shane ihr das drei Wochen alte Baby ab. „Du siehst genauso hübsch aus wie immer.“

Sie warf einen Blick hinüber zu dem Laufgitter, das sie im Hinterzimmer ihres Antiquitätenladens aufgestellt hatte und wo ihr ältester Sohn Nate eben dabei war, sich auf Knien durch ein Chaos aus Stofftieren und anderem Spielzeug hindurchzukämpfen.

„Vielen Dank für das Kompliment. Ich kann es im Moment gut gebrauchen. Aber ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen, dass ich deine kostbare Zeit in Anspruch nehme.“

Shane sah ihr zu, wie sie Tee aufgoss. „Mach dir keine Gedanken, Honey. Es macht mir wirklich nichts aus. Ich hole deine Freundin ab und bringe sie dir wohlbehalten hierher. Eine Wissenschaftlerin ist sie, sagst du?“

„Hm …“ Regan reichte ihm eine Tasse Tee. „Rebecca war ein so genanntes Wunderkind. Ich habe während meiner College-Zeit ein Jahr mit ihr zusammengewohnt. Sie war uns allen immer weit voraus und heimste eine Auszeichnung nach der anderen ein. Mittlerweile hat sie bereits zwei Doktortitel. Man könnte richtige Minderwertigkeitskomplexe bekommen.“ Regan trank einen Schluck Tee und genoss einen Moment die relative Stille, da es Shane mittlerweile gelungen war, Jason bis auf ein paar glucksende Laute zum Schweigen zu bringen. „Damals schien sie sich wirklich entweder nur im Labor oder in der Bibliothek aufzuhalten.“

„Na, ich weiß ja nicht.“

„Sie war – ist – ein sehr ernsthafter Mensch und fast ein bisschen schüchtern. Wir sind heute noch eng befreundet, auch wenn wir uns nur sehr selten sehen. Sie ist ständig unterwegs. Eigentlich wollte sie zu meiner Hochzeit kommen, aber leider war sie zu dieser Zeit gerade in Europa. Oder in Afrika.“ Regan machte eine vage Handbewegung. „Irgendwo, was weiß ich. Sie gondelt ständig in der Weltgeschichte herum.“

„Nett von ihr, dass sie dich besucht.“

„Nun, es ist wohl so eine Art Studienaufenthalt für sie.“ Regan nagte gedankenverloren an ihrer Unterlippe. Bisher hatte sie nur Rafe gegenüber erwähnt, was die viel beschäftigte Rebecca bewogen hatte, sich zu dieser Reise zu entschließen.

Sie musterte ihren Schwager, der liebevoll mit dem Baby herumschäkerte, nachdenklich. Die MacKade-Brüder waren alle ein Gottesgeschenk an die Frauenwelt, aber mit Shane hatte es noch etwas Besonderes auf sich. Sein Charme war einfach umwerfend.

Die Familienähnlichkeit war unverkennbar. Er hatte ebenso wie seine Brüder rabenschwarzes Haar, das er vor einiger Zeit hatte wachsen lassen und jetzt zu einem kurzen Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden trug, ein schmales, markant geschnittenes Gesicht und einen Mund, bei dessen Anblick jeder Frau der Atem stockte. Seine lang und dicht bewimperten Augen waren grün wie das Meer bei Zwielicht.

Auch sein Körperbau ließ, ebenso wie der seiner Brüder, nichts zu wünschen übrig. Muskulöse, breite Schultern, schmale Hüften, lange Beine. Und die knapp sitzenden Jeans, die lässigen Cowboystiefel sowie das karierte Flanellhemd, unter dem seine Muskeln spielten, brachten all seine körperlichen Vorzüge ausgezeichnet zur Geltung.

Hinzu kam ebenjener umwerfende Charme. Es musste wohl an der Art liegen, wie er einen anschaute, an dem winzigen beifälligen Lächeln, das unablässig seine Mundwinkel umspielte, wenn er mit einer Frau sprach, sei sie nun acht oder achtzig.

Hoffentlich fühlte sich die scheue Rebecca von ihm nicht allzu sehr eingeschüchtert.

„Du gehst wirklich schrecklich lieb mit ihm um“, sagte sie.

„Die einen machen Babys, und mir macht es eben Spaß, sie zu verwöhnen.“

Amüsiert legte sie den Kopf schräg. „Hast du noch keine Lust, sesshaft zu werden?“

„Warum sollte ich?“ Er hob den Kopf, seine Augen blitzten belustigt. „Als der letzte Junggeselle der Familie bin ich verpflichtet, die Stellung zu halten, bis meine Neffen so weit sind, in meine Fußstapfen zu treten.“

„Und diese Pflicht nimmst du sehr ernst, wie man sieht.“

„Darauf kannst du Gift nehmen. Er ist eingeschlafen.“ Shane beugte sich über Jason und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. „Soll ich ihn hinlegen?“

„Danke.“ Sie wartete, bis Shane Jason in die Wiege gelegt hatte. „Rebecca rechnet damit, dass ich sie abhole. Ich habe zwar versucht, sie vor ihrem Abflug zu erreichen, aber es war zu spät.“ Erschöpft fuhr sich Regan mit der Hand durchs Haar. „Der Babysitter hat abgesagt, Rafe ist in Hagerstown, um Baumaterial zu besorgen, und Cassie hat ein volles Haus. Emma hat Schnupfen, und Savannah konnte ich ja auch schlecht fragen.“

„Savannah.“ Shane lächelte. „Wenn sie nicht aufpasst, wird sie noch platzen.“ Um den Leibesumfang von Jareds Frau zu demonstrieren, beschrieb Shane einen weiten Kreis um seinen Bauch.

„Das stimmt. Sie kann in ihrem hochschwangeren Zustand beim besten Willen keine Drei-Stunden-Fahrt mehr auf sich nehmen. Und ich muss hier bleiben, weil ich heute eine Möbellieferung erwarte. Ich wusste wirklich nicht, wen außer dir ich sonst noch hätte anrufen können.“

„Kein Problem.“ Er unterstrich seine Worte mit einem Kuss auf ihre Nasenspitze. „Aber ich nehme an, sie ist nicht so hübsch wie du, oder?“

Regan kicherte. „Was soll ich darauf antworten? Ich habe sie zum letzten Mal vor vier … nein, fünf Jahren in New York getroffen, und da war sie schrecklich in Eile, weil sie noch rechtzeitig einen Artikel zu Ende bekommen musste.“

Shane verzog keine Miene. Er liebte Frauen mit Verstand ebenso wie weniger intelligente. Allerdings erwartete er nicht, eine Schönheitskönigin am Flughafen vorzufinden.

„Auf jeden Fall hat sie einen Doktortitel in Psychologie und einen in amerikanischer Geschichte“, fuhr Regan fort. „Was zugegebenermaßen eine recht seltsame Mischung ist, aber so ist Rebecca eben. Sie hat ihren ganz eigenen Stil. Sie hatte noch andere Leidenschaften, Physik, Chemie … Ich glaube, sie arbeitet auf allen Gebieten.“

„Warum macht sie so viel?“

„Bei Rebecca ist es eher angebracht zu fragen, warum nicht. Sie hat das, was man ein fotografisches Gedächtnis nennt. Sie sieht oder liest etwas und speichert es dann umgehend hier.“ Regan tippte sich an die Schläfe.

„Ist sie nur Wissenschaftlerin, oder arbeitet sie auch praktisch? Als Psychologin oder Psychiaterin, meine ich.“

„Soweit ich weiß, arbeitet sie nur wissenschaftlich und hält Vorlesungen. Ab und zu hospitiert sie eine Woche oder so an einer Klinik, aber meistens schreibt sie irgendwelche Artikel über Psychosen … oder Phobien … vielleicht auch beides, was weiß ich. Ich bin Geschäftsfrau. Nun, egal, auf jeden Fall ist sie in Parapsychologie außerordentlich beschlagen. Es ist ein Hobby von ihr.“

„In was? Parapsychologie? Ist das so was wie Geisterjagd?“

„Parapsychologie ist die Wissenschaft des Übersinnlichen. Sie erforscht solche Phänomene.“

Diesmal zuckte Shane zusammen. „Geister, soso. Haben wir davon hier nicht auch ohne sie schon genug?“

„Aber das ist doch genau der Grund, weshalb sie herkommt. Für sie stellt sich die Sache ganz anders dar als für dich, Shane. Du bist praktisch mit Geistern aufgewachsen. Mit dem Barlow-Haus, der Geschichte von den beiden Soldaten, den Wäldern, in denen es spukt. Die Tatsache, dass es hier Geister gibt, ist der Grund dafür, dass das Inn so ein Bombengeschäft geworden ist. Die Leute lieben die Vorstellung, in einem Geisterhaus zu übernachten.“

Shane zuckte die Schultern. Himmel, er lebte sogar in einem. „Ich will nichts damit zu tun haben. Es nervt schon, wenn allzu viele Touristen in die Nähe der Farm kommen …“ Der Blick, den sie ihm zuwarf, brachte ihn zum Schweigen. Er kniff die Augen zusammen. „Sie interessiert sich auch für die Farm“, schloss er einen Augenblick später messerscharf.

„Sie will natürlich so viel wie möglich mitkriegen, deshalb ist sie ja hier. Aber wie viel du ihr erzählst, hängt selbstverständlich ganz allein von dir ab“, sagte Regan schnell. „Nun, vielleicht wirst du ja mit ihr warm, ich hoffe es jedenfalls. Sie ist wirklich eine faszinierende Frau. Aber das wirst du ja selbst sehen. Hier“, sie hielt ihm ein Blatt Papier unter die Nase, „habe ich dir die Flugnummer und alles aufgeschrieben.“

„Du hast mir noch nicht mal gesagt, wie sie aussieht. Ich bezweifle, dass sie die einzige Frau ist, die aus dem Flugzeug steigt.“

„Oh, das hätte ich fast vergessen. Okay. Also, sie hat braune Augen und braunes Haar. Meist trägt sie es irgendwie im Nacken zusammengebunden. Sie hat etwa meine Größe, ist dünn …“

„Mager oder schlank? Das ist ein Unterschied.“

„Ich würde sagen, eher mager. Kann sein, dass sie eine Brille trägt. Eigentlich braucht sie sie nur zum Lesen, aber sie vergisst oft, sie abzunehmen.“

„Eine magere, zerstreute Brünette mit einer Brille also. Alles klar.“

„Sie ist sehr attraktiv“, fügte Regan loyal hinzu. „Auf eine einzigartige Weise. Aber sei nett zu ihr, Shane, sie ist ziemlich schüchtern.“

„Ich bin immer nett zu Frauen.“

„Ja, das stimmt. Also behandle sie auch gut. Und wenn du sie nicht erkennst, lass sie ausrufen. Dr. Rebecca Knight.“

Flughäfen belustigten Shane immer wieder von neuem. Er wurde das Gefühl nicht los, dass die Leute sich abstrampelten wie die Wilden, von hier nach da flogen und doch nie ans Ziel gelangten. Alle rasten durch die Gegend, schleppten mit heraushängender Zunge Koffer oder schoben bis obenhin voll gestopfte Gepäckkarren vor sich her. Er fragte sich, was die Menschen dazu trieb, die Orte, an denen sie lebten, zu verlassen. Offensichtlich gab es nicht viel, was sie zu Hause hielt.

Nicht dass er etwas gegen das Reisen gehabt hätte. Er war nur der Meinung, dass er sich lediglich hinter das Steuer seines Pick-ups zu setzen brauchte, um überall dort hinzukommen, wohin er wollte.

Er lehnte sich an das Flugsteiggitter und hielt Ausschau nach einer hoch gewachsenen, mageren Brünetten mit Brille. Nach Regans ungenauer Beschreibung war anzunehmen, dass sie praktische Kleidung trug und flache Schuhe, und wahrscheinlich hatte sie eine Aktentasche bei sich.

Nach und nach strömten die Passagiere auf den Flugsteig. Geschäftsleute mit gehetzten Blicken, denen wie mit Leuchtschrift auf die Stirn geschrieben stand, dass die Zeit drängte. Die Schlips-und-Kragen-Truppe, dachte Shane. Nicht für alles Geld der Welt würde er sich acht Stunden am Tag in einen Anzug zwängen. Eine attraktive Blondine in einer engen roten Hose ging an ihm vorbei. Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, und Shane atmete mit Vergnügen die Duftwolke ein, von der sie eingehüllt war.

Eine hübsche Brünette mit einem elastischen Gang und bernsteinfarbenen Augen kam an ihm vorüber. Und hier folgte Grandma mit einer riesigen Einkaufstasche und einem Lächeln von Ohr zu Ohr, das den drei Kindern galt, die auf sie zurannten und umgehend begannen, ihre Tasche zu plündern.

Ah, da ist sie ja, dachte Shane, als ihm eine junge Frau mit hängenden Schultern und braunem Haar, das sie im Nacken zu einem kümmerlichen Knoten verschlungen hatte, entgegenkam. Wie erwartet hatte sie eine Aktenmappe bei sich, trug flache Schuhe mit dicken Sohlen und eine Brille, hinter der sie blinzelte wie eine Eule. Sie wirkte etwas verloren. Das musste sie sein.

„Hey.“ Shane setzte sein charmantestes Lächeln auf und winkte, was sie dazu veranlasste, so unvermittelt stehen zu bleiben, dass der hinter ihr laufende Mann mit aller Wucht gegen sie prallte. „Wie geht’s?“ Da Shane ein zuvorkommender Mensch war, streckte er die Hand nach ihrer Aktenmappe aus. Sie sah ihn erschrocken an. „Ich bin Shane. Regan hat mich gebeten, Sie abzuholen. Sie ist nämlich im Moment ein bisschen im Stress. Wie war der Flug?“

„Ich … ich …“ Die Frau umklammerte ihre Aktenmappe mit beiden Händen und zog sie schützend an die flache Brust. „Lassen Sie mich in Ruhe, sonst rufe ich den Sicherheitsdienst.“

„Keine Aufregung, Becky. Ich will Sie nur abholen und nach Antietam zu Regan bringen.“

Sie riss den Mund auf und begann laut zu kreischen. Als Shane den Arm nach ihr ausstreckte, um ihr beruhigend die Hand auf die Schulter zu legen, schlug sie ihm mit einem Ausdruck wilder Entschlossenheit den Aktenkoffer auf den Kopf. Noch bevor er sich entschieden hatte, ob er lachen oder weinen sollte, spürte er, wie ihn jemand leicht am Ärmel zupfte.

„Entschuldigen Sie.“ Die hübsche Brünette von vorhin zog eine Braue hoch und musterte ihn eingehend. „Ich glaube, Sie warten auf mich.“ Ihr Mund, weich und voll, wie Shane sogleich registrierte, verzog sich zu einem Lächeln. „Shane, sagten Sie eben, nicht wahr? Shane MacKade, nehme ich an, oder?“

„Ja. Oh!“ Er drehte sich um und schaute die Frau, die er irrtümlich für Rebecca gehalten hatte, um Verzeihung heischend an. „Entschuldigen Sie“, begann er, doch sie ergriff bereits die Flucht.

„Wahrscheinlich war das das Aufregendste, was sie seit langer Zeit erlebt hat“, bemerkte Rebecca lächelnd. „Ich bin Rebecca Knight“, fügte sie hinzu und streckte ihm die Hand zur Begrüßung hin.

Rebecca Knight entsprach zwar nicht ganz seinen Erwartungen, doch bei näherem Hinsehen erwies sich, dass er mit seinen Vorstellungen auch nicht völlig danebengelegen hatte. Abgesehen von den bernsteinfarbenen Augen wirkte sie tatsächlich wie eine Intellektuelle, angefangen von den praktischen Schuhen bis hin zu der Tatsache, dass sie das Haar so kurz geschnitten trug wie ein Junge. Obwohl er langhaarige Frauen bevorzugte, musste er zugeben, dass ihr die Frisur ausgezeichnet stand, weil sie ihre ausgeprägten Gesichtszüge vorteilhaft betonte.

Und mager war sie wahrscheinlich auch, was sich allerdings in Anbetracht des hüftlangen Sakkos und der Hose, beides in einheitlichem Schwarz, nicht ganz leicht beurteilen ließ.

Lächelnd nahm er die feingliedrige Hand, die sie ihm hinhielt. „Regan hat behauptet, Sie hätten braune Augen, aber das stimmt nicht.“

„So steht es zumindest in meinem Pass. Geht es Regan gut?“

„Ja, sicher. Sie hat nur im Moment ein bisschen viel um die Ohren. Kommen Sie, ich nehme Ihnen das ab.“ Er griff nach der Reisetasche, die sie sich über die Schulter gehängt hatte.

„Nein danke, lassen Sie nur. Und Sie sind also ihr Schwager.“

„Ja.“ Er nahm sie am Arm und geleitete sie zum Terminal.

Er hat einen festen Griff, registrierte sie. Und keine Scheu vor körperlicher Berührung. Nun, das war in Ordnung. Sie würde nicht anfangen zu kreischen wie die Frau vorhin … und wie sie es vielleicht vor ein paar Monaten noch getan hätte, wenn ein so männlicher Mann wie er sie angefasst hätte. „Sie sind der Schwager mit der Farm, nicht wahr?“

„Richtig. Sie haben es erraten, Rebecca. Aber Sie sehen nicht aus wie eine Frau Doktor, zumindest nicht auf den ersten Blick.“

„Finden Sie?“ Sie warf ihm einen kühlen Seitenblick zu. Einen Blick, den sie vor dem Spiegel lange eingeübt hatte. „Im Gegensatz zu der Frau, die wahrscheinlich in die nächste Damentoilette verschwunden ist, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen?“

„Es lag an den Schuhen“, erklärte Shane lächelnd und warf einen viel sagenden Blick auf Rebeccas flache schwarze Schuhe aus Segeltuch.

„Ich verstehe.“ Während sie im Aufzug nach unten zur Gepäckausgabe fuhren, musterte sie ihn verstohlen aus den Augenwinkeln: Flanellhemd mit offenem Kragen, ausgewaschene Jeans, ramponierte Stiefel, große, kräftige Hände. Unter der Baseballkappe schaute dichtes schwarzes Haar hervor, und das sonnengebräunte Gesicht hätte sich auf jedem Poster bestens gemacht.

„Dafür sehen Sie aus wie ein Farmer“, entschied sie. „Wie lange fahren wir bis Antietam?“

Noch im Zweifel, ob er ihre Bemerkung als Kompliment oder als Beleidigung auffassen sollte, antwortete er: „Knapp anderthalb Stunden. Wir holen nur noch rasch Ihre Koffer.“

„Nicht nötig. Ich lasse sie mir nachschicken.“ Stolz auf ihr praktisches Denken, klopfte sie auf ihre Reisetasche. „Das ist das Einzige, was ich im Moment bei mir habe.“

Shane wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass sie ihn nicht aus den Augen ließ und aus jeder seiner Bewegungen einen Rückschluss zog. Plötzlich kam er sich vor wie ein Insekt unter einem Mikroskop. „Großartig.“ Er fühlte sich erleichtert, als sie eine Sonnenbrille aus ihrer Jackentasche zog und sie aufsetzte.

Nachdem sie seinen Truck erreicht hatten, warf sie erst einen kurzen Blick auf den Wagen, dann auf ihn. Sie lächelte kühl, schob ihre Sonnenbrille ein Stückchen nach unten und musterte ihn eingehend über die Ränder der Gläser hinweg. „Ach, übrigens, Shane, eins noch …“

Da sie nicht gleich weiter sprach, zog er fragend die Augenbrauen hoch. „Ja?“

„Niemand nennt mich Becky.“

Damit rutschte sie auf ihren Sitz und stellte ihre Reisetasche ordentlich zu ihren Füßen auf den Boden.

Rebecca genoss die Fahrt. Shane MacKade hatte einen sicheren Fahrstil. Dass sie ihn ein klein wenig beschämt hatte, verschaffte ihr ein leises Triumphgefühl. Nur ein ganz leises, aber immerhin. Männern wie ihm musste man rechtzeitig die Grenzen aufzeigen.

Autor

Nora Roberts
<p>Die preisgekrönte Schriftstellerin sitzt jeden Tag acht Stunden am Schreibtisch. Inzwischen sind fast 250 Romane geschrieben, die weltweit regelmäßig auf den Bestsellerlisten landen. Vom <em>New Yorker</em> wurde sie zu »Amerikas Lieblingsautorin« ernannt. Auch in Deutschland erfreut sich Nora Roberts einer großen Fangemeinde. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.</p>
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