In den Armen des sexy Feindes
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„Das ist unmöglich!“ Wutentbrannt sprang Alissandru Rossetti auf. „Ich glaube das einfach nicht! Warum um alles in der Welt sollte Paulu diesem Flittchen sein ganzes Vermögen hinterlassen!?“
Glücklicherweise wurden nur seine Mutter Constantia und der Familienanwalt Marco Morelli Zeugen dieses Ausbruchs, denn die Haupterbin war nicht zur Testamentsöffnung erschienen. Alle Versuche, mit ihr in Kontakt zu treten, waren fehlgeschlagen. Selbstverständlich hatte Alissandru angenommen, dass sein Zwillingsbruder sein gesamtes Vermögen an eine Wohltätigkeitsorganisation vermachen würde. Das schien naheliegend, denn Paulu war gemeinsam mit seiner Frau Tania bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen, und das Paar hinterließ keine Kinder. Alissandru war nicht auf das Erbe angewiesen. Als der ältere der Brüder war er Eigentümer des Familienanwesens auf Sizilien und als gewiefter Geschäftsmann längst Milliardär.
„Nun atme erst einmal tief durch, Alissandru“, versuchte Constantia ihn zu beschwichtigen. „Paulu hatte das Recht, über sein Hab und Gut zu verfügen, wie er wollte. Vielleicht tust du Tanias Schwester Unrecht. Schließlich kennen wir sie nicht.“
Aufgewühlt lief Alissandru in dem engen Anwaltsbüro auf und ab. Mit seiner beeindruckenden Größe von fast zwei Metern und seiner durchtrainierten Statur füllte er den ganzen Raum. Er trug einen seiner maßgeschneiderten schwarzen Anzüge, die ihm in der Londoner Finanzwelt den Spitznamen „Rabe“ eingebracht hatten, doch auf den Familienanwalt wirkte er an diesem Tag eher wie ein eingesperrter Tiger.
Unrecht? Grimmig erinnerte sich Alissandru an die rothaarige Isla Stewart, der er vor sechs langen Jahren auf der Hochzeit seines Bruders zum ersten und einzigen Mal begegnet war. Mit kaum sechzehn Jahren hatte sie ein viel zu aufreizendes Kleid getragen, das ihre verführerischen Kurven und wohlgeformten Beine schamlos zur Schau stellte. Alissandru schauderte noch heute voll Empörung. Schon auf den ersten Blick war klar, worauf Isla aus war! Gegen Abend hatte Alissandru beobachtet, wie sie zerzaust aus einem der Schlafzimmer kam; einer seiner Cousins folgte ihr auf den Fersen, zog seine Manschetten zurecht und strich sein Haar glatt. Alissandru sah seine Einschätzung zweifelsfrei bestätigt. Isla war ebenso liederlich und verlogen wie ihre Schwester.
„Mir war nicht bekannt, dass Paulu mit Tanias Schwester in Kontakt stand“, erklärte Alissandru knapp. „Aber sie hatte bestimmt ein leichtes Spiel mit ihm. Er war schon immer leichtgläubig.“
Trotz dieser harten Worte übermannte Alissandru plötzlich die Trauer um seinen geliebten Zwillingsbruder. Auch sechs Wochen nach dem tödlichen Helikopterabsturz konnte er nicht fassen, dass er nie wieder mit ihm sprechen sollte. Warum nur hatte er ihn nicht beschützen können? Wenigstens vor dieser intriganten Hexe Tania Stewart? Ihre Ausschweifungen, ihre Wutanfälle und ihre Untreue hatten Paulu tiefer und tiefer ins Unglück gestürzt. Sie hatte sein Leben zerstört! Dennoch vergötterte Paulu sie geradezu und wehrte sich hartnäckig gegen eine Scheidung. Dabei hatte er dieses billige Unterwäschemodel nur geheiratet, weil sie angeblich von ihm schwanger war! Immerhin das war falscher Alarm gewesen.
Ja, im Gegensatz zu Alissandru hatte Paulu wirklich ein zu weiches Herz gehabt. Doch obwohl die Zwillingsbrüder so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht, hatte Alissandru ihm vertraut wie keinem anderen Menschen auf Erden. Nun fühlte er sich hintergangen. Wie konnte Paulu Tanias kleiner Schwester auf den Leim gehen? Wie konnte er vergessen, wie viel Alissandru das Familienanwesen auf Sizilien bedeutete! Wie konnte er sein Haus, ein Nebengebäude, das auf den riesigen Ländereien stand, und sein gesamtes Vermögen an Isla Stewart vermachen? Es war ein Lotteriegewinn für sie, aber ein Tiefschlag für Alissandru. Sicherlich hatte Paulu nicht im Traum daran gedacht, seinen Bruder zu hintergehen. Wie sollte er auch ahnen, dass ein tragischer Unfall sein Leben so plötzlich beenden und seiner Schwägerin dieses unverhoffte und unrechtmäßige Erbe verschaffen würde?
„Paulu hat Isla ein paar Mal in London besucht, als …“, Constantia suchte nach taktvollen Worten, „als er und Tania sich vorübergehend getrennt hatten. Er mochte sie.“
„Das hat er mir nie erzählt!“, rief Alissandru hitzig. Seine dunklen Augen funkelten, und seine markanten Gesichtszüge verhärteten sich, als sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten. Sein armer Bruder war zum zweiten Mal dem verführerischen Gift einer habgierigen Stewart verfallen. Während Paulu sich von jedem Rührstück beeindrucken ließ, war Alissandru nie derart leichtgläubig gewesen. Er mochte Frauen, aber die Frauen liebten ihn. Er war reich und Single, und sie liefen ihm in Scharen nach. Natürlich tischten sie ihm die ein oder andere rührselige Geschichte auf, und ein oder zwei Mal war er darauf hereingefallen. Aber das war lange her. Mittlerweile suchte Alissandru sich seine Geliebten nur noch in seinen eigenen gesellschaftlichen Kreisen. Wohlhabende und beruflich erfolgreiche Frauen teilten seine Vorliebe für zwanglose Affären. Sie wollten sich genauso wenig binden wie er und übten sich in Diskretion.
„Er kannte deine Meinung über Tania. Warum sollte er dir von den Treffen mit ihrer Schwester erzählen?“, entgegnete seine Mutter sanft. „Was hast du nun vor?“
„Paulus Haus zurückkaufen. Was sonst?“ Der Gedanke, Tanias Schwester auch nur einen Cent zu überlassen, steigerte noch Alissandrus Wut. Er erinnerte sich gut, wie unersättlich Tanias Ansprüche gewesen waren. Immer wieder hatte sie Schulden gemacht, und nur um seines Bruders willen hatte Alissandru ihr jedes Mal Geld gegeben. Nun war sie tot, und ihre Schwester sollte Paulus Vermögen erben. Dabei hatte Isla es nicht einmal für nötig gehalten, zur Beerdigung zu kommen! Das sagte doch wirklich alles über die Beziehung der beiden Schwestern.
„Ich werde herausfinden, wo sich Tanias Schwester aufhält“, verkündete Alissandru mit drohendem Unterton.
Islas pustete in ihre eiskalten Hände. Ihr Gesicht, das unter einer dicken Pudelmütze kaum zu erkennen war, war vom auffrischenden Wind wie eingefroren. Isla war auf dem abgeschiedenen Bauernhof in den schottischen Highlands aufgewachsen, der nun ihrer Tante und ihrem Onkel gehörte. Während ihre Verwandten auf Reisen waren, kümmerte sie sich um die Tiere. Hastig fütterte sie die Hühner und sammelte die Eier ein. Daraus werde ich einen schönen Kuchen machen, dachte sie voller Freude. Doch sofort fühlte sie sich schuldig. Wie konnte sie fröhlich sein, wenn ihre einzige Schwester und ihr Schwager gerade gestorben waren?
Das Schlimmste war, dass sie erst vor ein paar Tagen von einem freundlichen Nachbarn von dem Unglück erfahren hatte. Nur zufällig hatten Islas Tante und Onkel im Internet von dem Helikopterabsturz gelesen und den Nachbarn gebeten, Isla die schlimmen Nachrichten persönlich zu überbringen. Zwar hatten sie auch angeboten, ihre Reise abzubrechen, aber wozu wäre das gut gewesen? Die Beerdigungen hatten längst stattgefunden.
Isla seufzte schwer. Obwohl sie ihre einzige Schwester nie wirklich kennengelernt hatte, erfüllte sie tiefe Trauer. Tania war zehn Jahre älter gewesen als sie, und sie waren nicht gemeinsam aufgewachsen. Nach dem frühen Tod ihres Vaters war ihre Mutter kaum über die Runden gekommen. Schließlich wollte sie in London ihr Glück versuchen. Sie nahm Tania mit in die Stadt und ließ die kleine Isla in der Obhut ihrer Großeltern. Leider sollte Morag es nie schaffen, Isla, so wie es eigentlich geplant war, nachzuholen.
Von ihren seltenen Besuchen blieben ihr nichts als vage Erinnerungen: ihre Mutter eine sanfte Frau mit roten Locken und ihre Schwester ein wunderschönes blondes Mädchen mit langen Beinen. Tania war früh von zu Hause ausgezogen, um ihre Modelkarriere voranzutreiben. Als Morag bald darauf an Nierenversagen starb, brach der Kontakt zwischen den Schwestern gänzlich ab. Erst viele Jahre später rief Tania unverhofft an, um Isla zu ihrer Hochzeit nach Sizilien einzuladen.
Isla fand es sehr unhöflich, dass ihre Großeltern keine Einladung erhielten. Aber die beiden Alten bestanden darauf, dass sie zusagte. Immerhin übernahm Tania großzügig die Kosten für Islas Flug, und die Schwestern konnten endlich Zeit miteinander verbringen.
Selbst heute zog sich Islas Magen noch zusammen, wenn sie an Tanias Hochzeit dachte. Unter all den reichen und berühmten Gästen hatte sie sich völlig fehl am Platz gefühlt. Überdies war sie von einem älteren Mann bedrängt worden. Das Schlimmste jedoch war, dass der Besuch die Schwestern einander nicht nähergebracht hatte, wie Isla sich sehnlichst gewünscht hatte. Ganz im Gegenteil. Isla war zutiefst schockiert gewesen von Tanias Lebensweise.
„Für die Einladung kannst du dich bei Paulu bedanken“, zischte Tania zur Begrüßung. „Er hat darauf bestanden, dass wenigstens ein Mitglied meiner Familie anwesend sein sollte, und ein junges Ding wie du ist immer noch besser als diese langweiligen Alten. Diese Heirat ist mein Sprungbrett nach ganz oben! Was sollen die anderen Gäste denken, wenn ich irgendwelche heruntergekommenen Verwandten mit diesem unverständlichen schottischen Akzent anschleppe!“
Tania war nun einmal so, redete Isla sich ein. Sicher lag das an ihrer städtischen Erziehung.
„Dieses Kind war nicht zu bremsen“, betonte später auch ihre Großmutter. „Deine Mutter konnte sie weder bändigen, noch konnte sie ihr geben, was sie wollte.“
„Was wollte Tania denn?“, fragte Isla enttäuscht.
„Ach, ihr größter Traum war es, reich und berühmt zu werden.“ Die Großmutter lächelte traurig. „So, wie du die Hochzeit beschreibst, hat sie mit ihrem hübschen Gesicht alles erreicht.“
Aber das stimmte nicht, wie Isla mittlerweile wusste. Sie hatte ihre Schwester einige Jahre später wiedergesehen, als auch sie selbst nach London gezogen war. Ihre Großeltern waren innerhalb weniger Wochen gestorben, und ihr Onkel hatte den Hof übernommen. Zwar hatte er Isla zum Bleiben gedrängt, doch in ihrer Trauer über den Verlust ihrer Großeltern hatte sie einen Neuanfang wagen wollen.
„Paulu hat mir etwas vorgespielt“, schnaubte Tania verachtungsvoll, als sie Isla erzählte, dass sie ihren Ehemann verlassen hatte und aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen war. „Er kann mir nicht bieten, was er mir versprochen hat. Er kann es sich nicht leisten.“
Kurz darauf hatte Paulu Isla in ihrem bescheidenen Apartment besucht und sie um Rat gefragt. Er war ein so wunderbarer Mann! Und so verliebt in Tania, so verzweifelt bemüht, sie zurückzugewinnen! In Islas Augen brannten Tränen. Isla hatte Paulu gemocht. Vielleicht hatte sie ihn sogar besser kennengelernt als ihre eigene Schwester. Zumindest hatte er seine große Liebe zurückgewonnen, bevor das Schicksal ihn so brutal aus dem Leben gerissen hatte. Ob er Islas wagemutigen Rat gefolgt war? Das würde sie wohl nie erfahren.
In der gemütlichen Bauernküche schürte Isla das Torffeuer und legte erleichtert ihre dicken Winterjacke ab. Sosehr sie den kleinen Hof liebte, sie vermisste auch das Stadtleben mit ihren Freundinnen. Hier draußen erforderte sogar ein Kinobesuch ausgiebige Planung und eine sehr lange Autofahrt. Doch in wenigen Wochen würden ihre Tante und ihr Onkel zurückkommen, und Isla würde wieder nach London gehen.
Da die beiden keine eigenen Kinder hatten, war Isla die einzige Angehörige, die sie um Hilfe bitten konnten, wenn sie verreisen wollten. So war es über zwanzig Jahre her, seit sie die neuseeländische Verwandtschaft ihrer Tante zuletzt besucht hatten. Die Schafe und Hühner konnten nicht allein gelassen werden, schon gar nicht im Winter. Natürlich half Isla ihnen bereitwillig. Es traf sich gut, dass das kleine Café, in dem sie lange Jahre als Kellnerin gearbeitet hatte, schließen musste und sie sich die explodierenden Londoner Mieten kaum noch leisten konnte.
Isla warf einen besorgten Blick in den grauen wolkenverhangenen Himmel vor dem Fenster. Der Wetterbericht sagte heftige Schneefälle voraus. Sie wandte sich um und beobachtete lächelnd, wie sich ihr Hündchen Mopsi mutig an den alten und zunehmend tauben Hofhund Shep kuschelte. Mopsi war Isla kurz nach ihrer Ankunft zugelaufen. Jemand musste ihn irgendwo in der Nähe des Hofs ausgesetzt haben. Eines Tages tauchte er zitternd und hungrig vor ihrer Tür auf, und obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie in London mit ihm anfangen sollte, hatte er ihr Herz im Sturm erobert. Sein freudig wedelnder Schwanz, seine riesigen Augen und seine übergroßen Ohren waren einfach unwiderstehlich. Wahrscheinlich war er eine wilde Mischung mit Anteilen von Chihuahua und Pudel. Sein Fell war kraus und schwarz-weiß gefleckt, seine Beine erstaunlich kurz. Isla hatte die Behörden informiert, doch niemand schien ihn zu vermissen.
Draußen war Helikopterlärm zu hören. Isla runzelte die Stirn. Die Schafe hassten laute Geräusche. Glücklicherweise hatte sie die Herde bereits in den Stall getrieben und sicher eingeschlossen. Sie setzte eine Kanne Tee auf. Da begann Mopsi zu bellen, und Sekunden später klopfte es zwei Mal laut an die hölzerne Eingangstür.
Isla erwartete einen der Nachbarn, der sich erkundigen wollte, ob sie für den angekündigten Schneesturm gerüstet war. Sie rannte zur Tür und riss sie auf. Entsetzt wich sie einen Schritt zurück.
Alissandru … Paulus Bruder … sein umwerfend gut aussehende Zwillingsbruder! Schon bei ihrer ersten Begegnung vor sechs Jahren hatte sein Anblick Isla den Atem verschlagen. Nun stand Alissandru vor ihr, hier, auf diesem kleinen schottischen Hof! Sein pechschwarzes Haar war vom Wind zerzaust, in seinem makellos gebräunten Gesicht funkelten dunkle Augen unter ebenso dunklen zusammengezogenen Brauen. Tania hatte Alissandru gehasst. Sie hatte ihn für alles verantwortlich gemacht, was in ihrer Ehe mit Paulu schiefgelaufen war.
Spöttisch betrachtete Alissandru seine Schwägerin. Isla trug ein verwaschenes Sweatshirt über ausgebeulten Jogginghosen. Außerdem war sie barfuß! Arbeitslos und verarmt, vermutete er sofort. Warum sonst sollte sie so abgeschieden leben? Eine Flut roter Locken ergoss sich auf ihre schmalen Schultern, ihre großen Augen schienen so blau wie Vergissmeinnicht auf ihrer ebenmäßigen weißen Haut, ihre vollen rosa Lippen waren leicht geöffnet. Sie war ebenso schön wie ihre liederliche Schwester! Alissandru wehrte sich gegen die Welle des Verlangens, die ihn unvermittelt überrollte. Er war ein Mann, und als Mann hatte er seine Schwächen. Wenn ihn ein hübsches Gesicht und schöne Haare reizten, war das lediglich der Beweis für seine gesunde Libido. Nichts, wofür er sich schämen müsste.
„Alissandru?“, fragte Isla ungläubig. Fast zweifelte sie an ihren Sinnen, so unerwartet kam sein Besuch. Auf der Hochzeit hatte Alissandru Isla geflissentlich übersehen, und so hatten sie noch nie ein Wort miteinander gewechselt.
„Möchtest du mich nicht hereinbitten?“, forderte er sie nun ungeduldig auf und unterdrückte ein Frösteln.
Isla trat einen Schritt zurück. „Natürlich. Es ist eisig, nicht wahr?“
Alissandru sah sich in dem bescheidenen Raum um, der zugleich als Koch-, Ess- und Wohnbereich diente. Definitiv war sie mittellos, wenn sie in so einer Absteige hauste. Irgendein Mann hatte sie wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig rausgeworfen. Alissandru war ziemlich sicher, dass sie die Nachricht über das Erbe mit Begeisterung aufnehmen würde, und es ärgerte ihn maßlos, dass er der Bote war.
„Ich habe gerade Tee gemacht. Möchtest du eine Tasse?“, fragte Isla zögernd.
Alissandru warf seinen Kopf in den Nacken. Die Bewegung machte Isla unangenehm bewusst, wie groß er war und wie niedrig die Decke hing. Im fahlen Licht der Winterdämmerung glänzten seine Augen in lebhaftem Gold, und ihr Zauber wurde durch einen Rahmen aus dichten, tintenschwarzen Wimpern noch verstärkt. Nur mit Mühe befreite Isla sich aus ihrem Bann, um ihre Aufmerksamkeit dem Tee zuzuwenden. Endlich fiel ihr ein, was sie schon zur Begrüßung hätte sagen sollen.
„Mein aufrichtiges Beileid“, murmelte sie. „Paulu war ein ganz besonderer Mensch, und ich mochte ihn sehr.“
„Wirklich?“, entgegnete Alissandru, und seine Augen blitzten auf. Etwas in seinem Ton und seiner Haltung verunsicherte Isla. „Wann hat eure Affäre begonnen?“
Bei dieser unverfrorenen Unterstellung blieb Isla wie vom Donner gerührt stehen. „Wie bitte?“ Sie musste sich verhört haben.
„Ich fragte, wann deine Affäre mit meinem Bruder begonnen hat. Das interessiert mich sehr, denn es würde so einiges erklären.“ Isla wandte ihm immer noch den Rücken zu, und Alissandru hätte viel darum gegeben, ihr Gesicht zu sehen.
Isla stand stocksteif. War Alissandru so unverhofft hier aufgetaucht, um sie mit solch schrecklichen Anschuldigungen zu beleidigen? Sie wirbelte herum.
„Wovon um alles in der Welt sprichst du? Das ist wirklich ekelhaft! Er war der Ehemann meiner Schwester!“ Wut und Verlegenheit trieben Hitze in Islas herzförmiges Gesicht.
Alissandru zuckte mit den Schultern. Es legte seinen Mantel ab und warf ihn über eine Stuhllehne. „Es war nur eine ehrlich gemeinte Frage. Ich bin neugierig. Und Paulu kann ich nicht mehr fragen.“
An dem leichtem Zittern in Alissandrus Stimme erkannte Isla, wie hart auch er vom Tod seines Zwillingsbruders erschüttert war. Diese Einsicht ließ Islas Ärger etwas abebben.
„Ich weiß nicht, wie du darauf kommst“, gab sie etwas beherrschter zurück. Alissandru wirkte wie ein Feuerwerk mit gezündeter Lunte, kurz vor der Explosion.
Paulu hatte ihr einmal anvertraut, dass Alissandru seine Liebe für Tania nicht verstehen könne, weil er selbst noch nie geliebt hatte. Ihm fehle die emotionale Tiefe, um so ein Gefühl überhaupt zu erlauben. Bei näherer Betrachtung stimmte Isla dieser Beobachtung nicht zu. Alissandru schäumte buchstäblich über vor unterdrückten Emotionen. Jedes noch so kleine Zucken in seinem Gesicht, jeder helle Funke in seinen Augen zeugten von seinen Gefühlen.
Im Licht der Küchenlampe glänzte sein blauschwarzes Haar wie teure Seide, der leichte Schatten von Bartstoppeln um seinen Mund betonte seine sinnlichen Lippen. Isla wurde heiß. Sie fühlte sich unwohl.
Alissandru straffte seine breiten Schultern. Wusste sie wirklich nichts von Paulus Testament? Oder wollte sie ihn für dumm verkaufen?
„Ich komme darauf, weil Paulu in seinem Testament alles, was er besaß, dir vermacht hat.“
Islas blieb der Mund offen stehen. Ungläubig starrte sie ihn an, und es dauerte einige Sekunden, bis sie die Sprache wiederfand.
„Nein … Nein, das kann nicht sein! Warum sollte er das tun? Das ist doch verrückt!“
Unbeeindruckt hob Alissandru eine Augenbraue. „Willst du mir immer noch weismachen, du hättest keine Affäre mit ihm gehabt? Nicht einmal, als er und Tania vorübergehend getrennt waren? Niemand würde dir einen Vorwurf machen, er war ja quasi ein freier Mann …“
Bei diesen erneuten Beleidigungen kehrte das Leben in Isla zurück. Sie stapfte zur Haustür hinüber und riss sie weit auf. Eisige Luft strömte herein, und Alissandru Rossetti schauderte. „Raus!“, schrie sie ihn an. „Raus hier! Und lass dich nie wieder blicken!“
Alissandru schien gänzlich unbeeindruckt von diesem Befehl. „So, zeig nur dein wahres Ich!“, forderte er sie mit dem Anflug eines Lachens heraus.
Mopsi knurrte leise, während er Alissandrus Beine umkreiste.
„Raus!“, schrie Isla mit mehr Nachdruck. Ihre blauen Augen funkelten wütend.
Ohne sich vom Fleck zu rühren, betrachtete Alissandru amüsiert das Spektakel. Seine Ruhe brachte Isla erst recht in Rage. Sie griff nach seinem Kaschmirmantel und schleuderte ihn zur Tür hinaus, wo er auf dem gefrorenen Boden liegenblieb.
„Hau ab!“, wiederholte sie verbissen.
Unbekümmert zuckte Alissandru mit den Schultern. „Der Helikopter holt mich erst in einer Stunde ab. So lange werde ich wohl noch hierbleiben müssen.“
„Dann hättest du höflicher sein sollen. Mir reicht’s“, gab Isla hitzig zurück. „Du bist wirklich ein Ekel, und ich verstehe nun, warum meine Schwester dich so gehasst hat.“
„Musst du jetzt auch noch von dieser Hure anfangen?“ Alissandrus Stimme war so sanft, dass Isla das Schimpfwort beinahe überhört hätte.
Doch dann brannten alle ihre Sicherungen durch. Tania war tot. Sie würde sie niemals wiedersehen! Sie würde niemals die Gelegenheit bekommen, ihre Schwester kennenzulernen! Wie konnte Alissandru einer Toten so wenig Respekt entgegenbringen! Das war zu viel! Isla stürzte auf ihn zu, die Hand erhoben. Doch er fing sie mit seinen starken Armen ein und hielt sie fest.
„Du Mistkerl! Du mieser Mistkerl!“, schrie sie unter Tränen. „Was fällt dir ein, Tania noch im Grab so zu beleidigen?“
„Das habe ich ihr schon ins Gesicht gesagt. Der verheiratete Mann, für den sie Paulu verließ, war weder der erste noch der letzte Liebhaber, den sie während ihrer Ehe hatte“, entgegnete Alissandru ruhig. Er ließ Isla los und schob sie von sich, als wäre zu große Nähe eine Qual für ihn. „Tania schlief öfter mit fremden Männern als mit ihrem eigenen Ehemann.“
Alle Farbe wich aus Islas Gesicht. Hastig wich sie zurück. Stimmte das? Tania hatte schon immer getan, was sie wollte. Moral oder Loyalität waren ihr egal. Das wusste Isla, doch sie hatte nie länger darüber nachgedacht. Sie hatte lieber nach Gemeinsamkeiten gesucht als nach solchen Unterschieden.
„Das hätte Paulu mir gesagt“, murmelte Isla verzweifelt.
„Paulu wusste nicht alles. Ich schon. Aber ich habe ihm nichts erzählt, um ihn nicht noch mehr zu erniedrigen“, gestand Alissandru bitter. „Er litt schon genug.“
Islas unbändige Wut verebbte. Was taten sie hier? Sie stritten über die kaputte Ehe zweier Menschen, die mittlerweile verstorben waren. Das war verrückt. Alissandru war voll Bitterkeit. Sein Bruder war Tania treu gewesen, doch Alissandru hätte Tania bestimmt bei der erstbesten Gelegenheit sitzengelassen. Er war kein verzeihender Mensch, und über die moralischen Schwächen anderer würde er niemals hinwegsehen.
„Nun hol schon deinen Mantel wieder rein“, drängte Isla ungeduldig. „Lass uns Tee trinken. Aber solange du hier bist, wirst du meine tote Schwester nicht mehr beleidigen. Verstanden? Du hast deine Meinung, aber ich werde nicht zulassen, dass du mir meine wenigen Erinnerungen an sie besudelst.“
Alissandru war überrascht. In seinem ganzen Leben hatte ihn noch keine Frau so behandelt. Als hätte sie ganz und gar genug von ihm, als wäre sie diejenige, die diszipliniert und praktisch war, nicht er. Islas klarer Blick forderte ihn heraus. Mit trotzig schief gelegtem Kopf wartete sie auf seine Antwort. Alissandru holte seinen Mantel. Per Dio! Es war sogar im Haus kalt!
Eine merkwürdige Frau, dachte er stirnrunzelnd, während er seinen Mantel vor der Tür ausschüttelte. Kein Glamour, nicht einmal Make-up, keine Flirtversuche oder sonstige Schmeicheleien. Außerdem trank er keinen Tee! Er war Sizilianer! Er trank nur den besten Kaffee und den reinsten Grappa. Möglicherweise hatte er die Beherrschung verloren und war unhöflicher gewesen, als unter den Umständen ratsam war. Er war eben jähzornig. Das wusste nicht nur er selbst, das wussten auch alle, die mit ihm zu tun hatten. Also kamen ihm immer alle entgegen. Nur Isla nicht. Sie hatte mit ihm gesprochen, als wäre er ein wütendes, unerzogenes Kind. Ihre kleine Rede hatte ihn verärgert.
Mit erstarrten Gesichtszügen trat Alissandru zurück ins Haus und ging schnurstracks zum brennenden Kamin. Plötzlich zwickte ihn etwas in die Wade. Mit einem sizilianischen Fluch beugte er sich nach unten und sah ein kleines Tier, das seine scharfen Zähne immer noch in sein Fleisch presste. Als er die Kreatur mit einem Klaps verscheuchen wollte, rief Isla mit donnernder Stimme: „Nein!“
Sie stürmte quer durchs Zimmer auf ihn zu, steckte einen Finger ins Maul des seltsamen kleinen Hundes, um seine Zähne sanft aus Alissandrus Seidensocke und seinem Fleisch zu entfernen und ihn liebevoll auf den Arm zu nehmen.
„Mopsi ist noch klein. Er weiß es nicht besser.“
„Er hat mich gebissen!“, knurrte Alissandru.