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Das Städtchen Gilbert Corners mag zwar verschlafen wirken, doch eigentlich ist es das Paradies auf Erden. Davon ist die hübsche Indy überzeugt und will, dass es die ganze Welt erfährt. Um Touristen in den Ort zu locken, fordert sie den berühmtesten Sohn der Stadt, Starkoch Conrad Gilbert, zu einem Kochwettbewerb heraus. Wenn das kein PR-Coup ist! Doch Conrad hat keine Lust, je in seinen Heimatort zurückzukehren. Nichts und niemand wird ihn dorthin zurückbringen. Also greift Indy zum Äußersten: Sie setzt sich als Preis aus …


  • Erscheinungstag 29.08.2023
  • Bandnummer 2305
  • ISBN / Artikelnummer 0803232305
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Man nannte ihn „die Bestie“. Doch auf Indy Belmont wirkte Conrad Gilbert überhaupt nicht bestialisch. Er hatte die Ärmel seiner weißen Kochjacke hochgerollt, sodass man seine muskulösen Unterarme sah, die von einem Tattoo bedeckt waren, bei dem es sich um dornige Ranken zu handeln schien. Er bewegte die Hände schnell und exakt. Wenn er direkt in die Kamera blickte, spürte Indy, wie sie ein Schauer überlief – eine unmissverständliche Warnung ihres Körpers, dass es zu lange her war, seit sie ein Date gehabt hatte.

Sie sehnte sich danach, ihn zu küssen. Sehnte sich danach, seine starken Arme um sich zu spüren und zu hören, wie er mit dieser tiefe Stimme, die sie an lange, heiße Sommernächte denken ließ, ihren Namen aussprach.

„Was meinst du?“ Lilith Montgomery, Vorsitzende der Main Street-Werbegemeinschaft und verantwortlich für das Projekt, das sie gerade besprachen, drückte die Pausentaste des Videos. Conrads Gesicht verharrte als Standbild. Er schien Indy durchdringend anzuschauen.

„Hm?“ Noch während Indy den gedehnten Laut ausstieß, musste sie daran denken, dass ihr Vater bei dieser unprofessionellen Reaktion die Augen verdreht hätte. Sie war auf Einladung der Stadtverwaltung nach Gilbert Corners gekommen. Ihre TV-Show Hometown, Home Again – Rückkehr in die Heimatstadt – hatte in der vergangenen Saison viel Zuspruch gefunden, und nachdem Lansdowne nun erfolgreich mit neuem Leben erfüllt war, hatten ihre Produzenten Ausschau nach einer weiteren Stadt gehalten, die ihr Talent und die Publicity gebrauchen konnte. „Tut mir leid, aber er ist sehr intensiv.“

„Das stimmt. So war er schon als Jugendlicher. Schaffst du es, ihn in die Stadt zu holen, damit er den Fluch von uns nimmt?“ Jeff Hamilton sah sie fragend an.

Indy nickte. Ihre und Conrads Show liefen im selben Sender, es sollte also kein Problem sein, den TV-Koch dazu zu bewegen, nach Gilbert Corners zu kommen.

„Ich kann ihn fragen. Was hat es mit diesem Fluch auf sich?“

Lilith schüttelte den Kopf. „Es ist einfach nur traurig. Gilbert International hat hier eine Fabrik geschlossen, und ein Wochenende später wurden alle drei Gilbert-Erben in einen schrecklichen Autounfall verwickelt.“

„Ein junger Mann – Declan Owen – war sofort tot, und zwei der Gilberts wurden schwer verletzt. Danach ging es mit der Stadt stetig bergab.“

„Wann war das?“ Indy war nicht sicher, ob sie die Sache mit dem Fluch glauben sollte.

„Vor zehn Jahren.“

Das war die Zeit, als die steigende Inflation kombiniert mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Abschwung es kleinen Unternehmen schwer gemacht hatte, sich zu halten, zumal in einer Stadt wie dieser, in der die jungen Leute zum Studium fortgingen und nicht zurückkehrten. Das Ganze hatte wohl mehr mit den Leerständen an der Main Street zu tun als mit einem Fluch, aber etwas Dramatik machte sich in einer Fernsehshow natürlich besser als sachliche Analyse.

„Ich würde sagen, der Fluch hat jetzt lange genug gewirkt. Ich schaffe das“, erklärte sie zuversichtlich, obwohl sie noch keinen genauen Plan hatte. Ihrer Erfahrung nach konnte man nur etwas bewirken, wenn man an den Erfolg glaubte. „Wobei sich die Frage stellt, ob es der Stadt wirklich etwas bringt, wenn er mit seiner Koch-Show hierher kommt.“

Sie selbst war vor achtzehn Monaten nach Gilbert Corners gezogen und hatte einen vor sich hin dümpelnden Buchladen gekauft und ein viktorianisches Haus in der Maple Street, das grundsaniert werden musste. In ihrer Heimatstadt hatte sie nach dem College etwas Ähnliches gemacht. Damals hatten ihre Eltern sie dazu animiert, den Buchladen zu übernehmen, den sie schon als Kind geliebt hatte und der gerade einen neuen Besitzer suchte und dringend wieder in Schwung gebracht werden musste. Indy hatte die Idee aufgegriffen. Es war ihre Art, Frieden mit der Frau zu schließen, zu der sie geworden war.

Eher für sich selbst begann sie, Videos über die Baufortschritte online zu stellen. Die Menschen reagierten begeistert, und bald hatte sie eine große Zahl von Followern. Prompt erhielt sie das Angebot, im lokalen Fernsehen eine Show über ihr Projekt und die Stadt zu machen. Das war vor zwei Jahren gewesen. Als die örtlichen Geschäfte wieder liefen und Lansdowne sich allmählich erholte, brauchte sie ein neues Vorhaben, das sich für die Show eignete. Ausschlaggebend für ihre Entscheidung, mit dem Konzept an einem anderen Ort weiterzumachen, war nicht zuletzt die Tatsache gewesen, dass ihre Highschoolliebe sich in eine andere verliebt und sie geheiratet hatte.

Gleichzeitig die Main Street von Gilbert Corners wiederzubeleben, einen Fluch zu brechen und über ihre Vergangenheit hinwegzukommen – das schien eine immense Aufgabe, die mit Sicherheit einiges an Anstrengungen verlangte.

Eigentlich müsste Gilbert Corners eine blühende Kleinstadt sein, die Lage in der Nähe von Boston war ideal für Pendler. Doch der Ort hatte eindeutig schon bessere Zeiten gesehen.

„Es wäre ein Anfang“, erwiderte Lilith. „Glaubst du, du schaffst das?“

Indy nickte. „Kein Problem.“ Nicht umsonst hatte sie den Ruf, niemals aufzugeben.

Sie verließ das Rathaus und ging zurück durch den Park. Die einst schönen Blumenbeete waren von Unkraut überwuchert. Der Sockel des Denkmals, das die vier Gründerväter der Stadt ehren sollte, war durch Graffiti verschandelt. Sie öffnete die Tür zu ihrem Buchladen Indy’s Treasures, steuerte zielsicher das Büro an und winkte auf dem Weg dorthin Kym zu, der Studentin, die oft nachmittags bei ihr aushalf.

Conrad Gilbert. Promi-Koch. Bekannt als Die Bestie. Sie rief ihn im Internet auf.

Er hatte dunkles, gewelltes Haar. Seine Brauen waren kräftig, die Augen eisblau. Über die linke Wange zog sich eine lange, gezackte Narbe, die an der Lippe endete. Er trug eine weiße Kochjacke. Über dem Kragen war ein Tattoo zu sehen, das um seinen Hals zu laufen schien. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt, darunter war zu lesen:

Wer wagt es, die Bestie in ihrer Höhle herauszufordern?

Wie ihre weiteren Recherchen ergaben, nahm Conrad Koch-Duelle in ganz Nordamerika an, um sie anschließend in seiner Show zu zeigen. Hinterlegt war das Ganze natürlich auch mit einigen Informationen über die jeweilige Stadt. Das wäre mit Sicherheit eine gute Publicity für Gilbert Corners. Jeder, der wollte, konnte ihn zum Wettbewerb herausfordern, um dann gegen ihn ein für die Gegend typisches Gericht zu kochen.

„Ja!“

„Ja, was?“, ertönte eine Stimme hinter ihr. „Ich habe gehört, du willst die Bestie dazu bewegen, zu uns in die Stadt zu kommen.“

Indy schaute vom Monitor auf. Nola Weston, ihre beste Freundin und der Grund dafür, dass sie hierher gezogen war, hatte unbemerkt das Büro betreten. Nola war im Studentenwohnheim ihre Mitbewohnerin gewesen. Sie hatte sich selbst das Arbeiten mit Holz beigebracht und war, nachdem Indy mit den YouTube-Filmen über ihre Renovierungsarbeiten begonnen hatte, zum Team gestoßen. Jetzt stellte sie ihren Kaffeebecher ab und lehnte sich gegen den Schreibtisch.

„Das stimmt. Ich meine, er ist nicht wirklich eine Bestie, und ich fände es gut, wenn ein Gilbert in die Stadt zurückkehrt.“

„Wieso dann nicht Dash Gilbert? Der kommt oft hierher, um seine Schwester im Pflegeheim zu besuchen.“

„Conrad hat eine Koch-Show im Fernsehen, die uns weite Aufmerksamkeit bringen könnte. Außerdem dachte Lilith, er wäre der Zugänglichere der beiden.“

„Die Bestie und zugänglich? Natürlich jubeln sie seinen Ruf im Fernsehen hoch, aber er ist sehr arrogant und macht grundsätzlich nur, was er will. Ich bin nicht sicher, dass er dir helfen wird.“

„Oh, er wird zusagen.“ Indy war zuversichtlich, aber Nola blieb skeptisch. Die Höhle der Bestie – so hieß die Show, in der er sich der Herausforderung ehrgeiziger Hobby-Köche stellte. Falls sie als Sieger aus dem Duell hervorgingen, gewannen sie dreihundertfünfzigtausend Dollar Preisgeld – die Gilbert Corners extrem guttun würden.

Indy füllte das Bewerbungsformular aus und gab als Referenz ein altes Rezept ihrer Großmutter an, das sie schon ein paarmal für ihr Team gekocht und für das sie stets höchstes Lob eingeheimst hatte.

Zwei Tage später erhielt sie die Zusage vom Sender. Die Bestie hatte ihre Herausforderung akzeptiert.

Nachdem Indy die Mail gelesen hatte, lehnte sie sich in dem Ledersessel zurück, der schon ihrem Großvater gehört hatte, und begann, Pläne zu schmieden. Konkrete Pläne. Sie war richtig aufgeregt – was natürlich absolut überhaupt nichts damit zu tun, dass sie die Bestie nun persönlich kennenlernen sollte …

„Nein.“

Conrad Gilbert hasste es, sich zu wiederholen. Er stellte die Flasche mit dem Olivenöl beiseite, mit der er gerade hantiert hatte, und drehte sich zu Ophelia Burnetti herum, der Producerin seiner Koch-Show.

„Du kannst nicht mehr zurück. Ich habe ihnen schon gesagt, dass du kommst.“

„Dann sag ihnen, dass du dich geirrt hast.“ Conrad konzentrierte sich wieder auf die Aufgabe, seine aktuelle Kreation kameragerecht herzurichten. Die neue Assistentin konnte sich gleich wieder einen anderen Job suchen. Er hasste es, gestört zu werden, wenn er in seiner Testküche war, und alle wussten das – nur sie offenbar nicht.

„Con, es muss sein. Gilbert Corners ist von New York aus in gerade mal vier Stunden mit dem Wagen zu erreichen, und wir müssen die Lücke füllen, die durch das unbrauchbare Video vom Kentucky Derby entstanden ist.“

„Es ist nicht unbrauchbar.“

„Der andere Koch hatte einen Nervenzusammenbruch und hat eine Flasche Bourbon nach dir geworfen. Das können wir nicht zeigen. Gilbert Corners möchte die Show in weniger als drei Wochen haben. Das ist ideal.“

Er richtete sich zur vollen Größe seiner gut einen Meter achtzig auf und bedachte Ophelia mit einem vernichtenden Blick. Sie ließ sich davon nicht beeindrucken.

Verdammt!

Er hatte sich geschworen, nie wieder nach Gilbert Corners zurückzukehren, es sei denn, um seine Cousine Rory zu besuchen. Und er beabsichtigte nicht, diesen Schwur jetzt zu brechen. Er hasste die Stadt.

„Falls ich hinfahren sollte, dann nur so, dass ich zum Beginn der Show eintreffe und gleich wieder verschwinde, sobald der Dreh im Kasten ist.“

„Einverstanden. Ich brauche nur vierzig Minuten sendefähiges Material. Die Aufnahmen von der Stadt können wir später ohne dich machen. Ich maile alle Details deiner Assistentin.“

Ophelia wandte sich zum Gehen. Conrad begleitete sie in sein Vorzimmer.

„Schick mir die Infos direkt zu“, wies er sie an. Dann drehte er sich zu seiner Assistentin um. „Sie sind gefeuert.“

Er kehrte in die Testküche zurück, aber er war nicht mehr bei der Sache. Seine Gedanken kreisten um Gilbert Corners. Die Stadt trug den Namen seiner Familie, aber er verband keine glücklichen Erinnerungen damit. Sein Großvater war ein kalter, fordernder Vormund gewesen, der Conrad, seinen Cousin und seine Cousine aufgezogen hatte, nachdem ihre Eltern bei der Rückkehr aus einem gemeinsamen Skiurlaub mit dem Flugzeug tödlich verunglückt waren. Conrad war damals zehn Jahre alt.

Gilbert Manor war ihm nie ein Zuhause gewesen. Er vermisste das Haus aus braunem Backstein, in dem er mit seinen Eltern gelebt hatte. Sie hatten ihn geliebt und ihn wie ihren kleinen Prinzen behandelt. Ihr Tod hatte ihn schwer getroffen. Sein Großvater hatte nur einen Blick auf die drei hinterbliebenen Waisen geworfen und sie dann sofort auf ein Internat geschickt. Er und Dash waren auf derselben Schule gewesen, sie waren wie Brüder.

Er griff nach dem Telefon und rief Dash an.

„Gilbert“, meldete der sich.

„Hier auch.“

„Wie geht’s, Con?“

„Ich muss nach GC.“

„Du musst? Ich dachte, du lässt dir von niemandem Vorschriften machen?“

„Dachte ich ebenfalls, aber Ophelia lässt sich leider von mir nicht einschüchtern. Wir brauchen Material, um eine Sendung zu füllen. Wieso sollte mich irgendjemand in diese Stadt einladen, um gegen mich zu kochen?“

„Das ist mir auch ein Rätsel. Sie halten uns dort alle für ein schlechtes Omen.“

„Ich werde diese Herausforderin in Grund und Boden kochen und dann sofort verschwinden. Kommst du mit?“

„Nein, bestimmt nicht. Ich fahre dort einmal pro Woche hin, um das Pflegeheim zu besuchen, das reicht.“

„Wie geht es Rory?“

Unwillkürlich fuhr Conrad sich mit der freien Hand übers Gesicht. Die Narbe war eine ständige Erinnerung an die Vergangenheit, aber er hatte gelernt, damit zu leben. Durch den Unfall war damals ein großer Teil seines alten Ichs verschwunden. Dabei war er noch wesentlich besser davongekommen als Rory, das war ihm nur allzu klar.

Er dachte oft, dass dieses Unglück seine wahre Natur zum Vorschein gebracht hatte. Sein Großvater hatte die Narbe beseitigen lassen wollen, aber Conrad hatte sich geweigert. Er war es leid, nach der Pfeife des alten Mannes zu tanzen. Die Narbe hatte ihn verändert, und er bedauerte es nicht.

„Unverändert. Ihr Arzt geht in den Ruhestand. Ich muss nach GC, um mit seinem Nachfolger zu sprechen. Wann fährst du?“

„Ich schicke dir den Termin, sobald er steht.“ Sie beendeten das Gespräch, und Conrad kehrte an seinen Arbeitstisch zurück.

Beim Gedanken, nach Gilbert Corners zurückkehren zu müssen, hätte er am liebsten etwas gegen die Wand geknallt. Es spielte keine Rolle, dass sein Großvater schon vor fast acht Jahren gestorben war. Er würde diese Stadt immer mit dem alten Mann verbinden.

Ophelia schickte ihm den Namen seiner Herausforderin. Rosalinda Belmont. Eine kurze Internet-Recherche ergab, dass sie erst seit relativ kurzer Zeit in der Stadt lebte und eine eigene TV-Show namens Hometown, Home Again hatte, die auf demselben Sender lief wie seine.

Er klickte das Promo-Video für ihr neues Projekt in Gilbert Corners an. Rosalinda hatte dunkles Haar und ein herzförmiges Gesicht. Auf dem Foto trug sie eine Brille und hielt ein Buch in den Händen. Sie posierte vor einem Laden an der Main Street. Unter dem Namen des Geschäfts – Indy’s Treasures – stand ein Slogan: Das Abenteuer ist nur ein Buch entfernt.

Conrad wollte immer auf alles vorbereitet sein, deswegen schickte er ihre Daten an einen Privatdetektiv.

Während er in die braunen Augen der jungen Frau starrte, spürte er, dass sich etwas in ihm regte. Eine Mischung aus sexuellem Interesse, reiner Neugier und noch etwas anderem, das er nicht zu benennen vermochte. Er hätte zu gern gewusst, was diese Rosalinda Belmont vorhatte.

„Also … gestern war jemand in der Stadt und hat nach dir gefragt“, sagte Nola, als Indy am nächsten Morgen zu ihr in den Coffee-Shop kam. „Irgendwie gefällt mir das nicht.“

„Ach, das hat sicher nichts weiter zu bedeuten. Vielleicht haben der König und die Königin aus dem Märchenland endlich kapiert, wo sie mich finden können.“ Unbekümmert reichte Indy ihren Becher zum Nachfüllen über den Tresen.

„Deine netten Eltern wären am Boden zerstört, wenn sie dich so reden hören würden.“

„Bestimmt nicht, ich habe versprochen, sie an meinem Reichtum zu beteiligen, sobald man mich gefunden hat.“ Indy zwinkerte ihr zu, unwillig, sich den Kopf zu zerbrechen, weil jemand Erkundigungen über sie einzog. Sie hatte nichts zu verbergen.

Der erste Rush am Morgen war vorüber, und an den Tischen von Nolas Coffeeshop saßen die üblichen Verdächtigen. Eine Studentin, die mit ihrer Examensarbeit beschäftigt war. Pete, der über den nächsten Fragen für seine Dungeons & Dragons-Gruppe brütete. Und dann die jungen Mütter hinten in der Ecke, die ein Gespräch unter Erwachsenen genossen, während ihre Babys neben ihnen spielten.

Nola bereitete Indys üblichen Milchkaffee zu.

„Hättest du etwas dagegen, wenn ich einen Aufruf an deiner Pinnwand hinterlasse?“, fragte Indy. „Ich suche noch Unterstützung für unsere Frühjahrsaktion, um den Park in Ordnung zu bringen. Ich meine, eigentlich sollte die Stadt sich darum kümmern, aber …“

„Die hat schon genug mit der Reparatur der Straßen und anderen Dingen zu tun“, bemerkte jemand hinter ihr.

Indy drehte sich um. Jeff Hamilton stand hinter ihr und grinste.

„Ich weiß“, erwiderte sie, „aber wir sollten dafür sorgen, dass die Stadt endlich wieder vorzeigbar ist.“

„Der Park steht auf unserer Liste, aber die ist sehr lang.“ Er seufzte. „Meiner Frau gehört die Gärtnerei am Stadtrand. Ich könnte sie bitten, Pflanzen für die Beete vorbeizubringen. Hast du schon einen Geldgeber gefunden?“

„Noch nicht. Ich bin noch im Gespräch mit einem der Sponsoren meiner Show.“

„Ich bin schwer beeindruckt, dass es dir gelungen ist, Conrad Gilbert dazu zu bringen, herzukommen. Wie hast du das geschafft?“, erkundigte sich Jeff.

„Ich habe ihn per Internet zu einem Koch-Duell herausgefordert.“

„Tatsächlich?“

„Ja, ich glaube, das könnte eine gute Sache werden. Das Duell soll am ersten Mai stattfinden. Wenn ich gewinne, haben wir genug Geld für solche Verschönerungsaktionen beisammen. Dieses Argument will ich nutzen, um noch mehr Menschen zum Mitmachen zu motivieren. Es ist ein langer Weg, aber wir schaffen das.“

Sie wollte, dass alle die Schönheit erkannten, die sie selbst in Gilbert Corners sah. Sie liebte die alte viktorianische Architektur an der Main Street, auch wenn viele der Läden im Moment leer standen.

Nachdem sie noch eine Weile mit Nola und Jeff über potenzielle neue Projekte geplaudert hatte, nahm sie ihren Kaffee und ging, um ihren Laden zu öffnen. Bald kamen die ersten Kunden. Beiläufig erwähnte Indy im Gespräch Conrad Gilbert und erfuhr, dass er vor dem Unfall als unglaublich gut aussehend gegolten hatte, gleichzeitig aber auch als verwöhnt und arrogant. Einer ihrer Kunden meinte, er habe sich immer so aufgeführt, als sei die Stadt Gilbert Corners irgendwie unter seiner Würde.

Interessant.

Ehe Indy sichs versah, war der erste Mai gekommen. Sie nahm ihre Utensilien und all ihren Mut zusammen und fuhr nach Gilbert Manor, dem alten Herrenhaus der Gilberts, das etwas von einem Schloss hatte. Die Straße führte über eine malerische alte Brücke, die den Fluss querte, der durch Gilbert Corners floss.

Für das Duell war im Hof von Gilbert Manor ein Zelt aufgestellt worden. Indy war nervös. Irgendwie hatte sie den Eindruck, beobachtet zu werden. Der Mann im Eingang stand direkt in der Sonne. Er trug eine Lederjacke. Als er aus dem Zelt heraustrat, erkannte sie ihn. Die Bestie!

Sie schob sich das Haar zurecht und strich ihr Top glatt, bis ihr bewusst wurde, dass sie damit ihre Nervosität verriet. Abrupt hielt sie inne.

„Hallo, Mr. Gilbert. Es freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte sie.

„Hallo, Rosalinda.“

Einen Momant lang starrte sie ihn verblüfft an, dann musste sie lachen. „Niemand nennt mich Rosalinda. Ich bin Indy. Indy Belmont.“ Sie plapperte, weil er einfach dastand und sie durchdringend anschaute. Es machte sie noch nervöser.

„Was ist?“, fragte sie schließlich.

„Wieso haben Sie mich herausgefordert?“

„Die Menschen in dieser Stadt glauben, dass es einen Fluch gibt, der mit Ihrer Familie verbunden ist. Er lähmt das Geschäftsleben und führt dazu, dass die Stadt langsam ausstirbt. Ich habe eine Show, in der …“

„Ich weiß“, unterbrach er sie.

„Ach. Haben Sie sie sich angesehen?“

Ihre Nervosität war verflogen. Live sah er noch besser aus als in dem Video. Die Narbe auf seiner Wange verlieh ihm eine gefährliche Ausstrahlung, aber nicht im negativen Sinne – sie verstärkte seinen Sex-Appeal. Er war fast einen Kopf größer als sie und strahlte eine unterdrückte Kraft aus, die die Luft um ihn förmlich knistern ließ.

Wieder spürte Indy, wie dieser Schauer über ihren Körper lief. Conrad wirkte wie ein Mann, der sich nahm, was er wollte. Nicht, dass jemand es wagen würde, ihm etwas abzuschlagen. Unter seinem durchdringenden Blick war sie sich ihrer Weiblichkeit bewusster denn je. Dabei fühlte sie sich keineswegs bedroht oder unsicher, sondern einfach nur … wahrgenommen. So wahrgenommen, wie schon seit Langem nicht mehr.

Sie schob die Brille höher auf ihre Nase und lächelte ihm zu.

„Möchten Sie vielleicht einen Kaffee, bevor wir mit dem Dreh beginnen?“

„Nein“, erwiderte er schroff.

„Gefällt es Ihnen, so unhöflich zu sein?“ Sie provozierte ihn absichtlich, weil ihr klar geworden war, dass er immer so weitermachen würde, wenn sie ihn nicht stoppte.

„Ich sehe mich eher als fokussiert.“

„Das dürfte dann wohl im Auge des Betrachters liegen.“ Sie wandte sich ab und ging.

2. KAPITEL

Rosalinda Belmont war noch lebhafter als erwartet. Das Video hatte ihre Persönlichkeit absolut nicht eingefangen. Im direkten Kontakt erblühte sie förmlich. Sie hatte langes, gelocktes Haar, das sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden trug. Die Jeans und das Top betonten ihre weiblichen Kurven.

Es ärgerte ihn, wie sie ihn hatte auflaufen lassen.

„Sie ist nett. Wie eigentlich alle hier. Erzähl mir doch noch mal, wieso du diese Stadt so hasst.“ Seine Souschefin und Stellvertreterin Rita war zu ihm an den Arbeitstisch getreten und unterbrach seinen Gedankengang.

Ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, wies er sie an, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Dann marschierte er los, um sich am Set umzuschauen.

Er hasste diese Stadt, weil sie ihn daran erinnerte, wie er einmal gewesen war. Er hatte auf die anderen Menschen hier herabgesehen, weil sie ihm nicht gut genug erschienen – eine Haltung, die von seinem Großvater nur noch verstärkt wurde.

Der Unfall hatte das alles geändert. Zurück zu sein, brachte sein altes Ich wieder an die Oberfläche. Es gefiel ihm nicht.

Das Kochzelt war wie immer nach seinen Wünschen aufgebaut worden. Ophelia sorgte dafür, dass er einen Arbeitstisch hatte, an dem er nicht gestört wurde. Rita hielt sich stets zu seiner Linken, damit sie ihm Dinge reichen und dabei gefilmt werden konnte.

Er bemerkte, dass Ms. Belmont sich mit einer Frau unterhielt, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Sie hatte kurzes rotes Haar und ein rundes Gesicht. Doch er war nicht daran interessiert, irgendwelche alten Bekanntschaften zu erneuern. Er wollte dieses Kochen hinter sich bringen und wieder verschwinden.

Indy schaute zu ihm hin, winkte und kam dann zu ihm. Er blieb stehen, wo er war, und schärfte die Messer, die er während der Show benutzen wollte. Er wusste, dass viele Hobbyköche das beeindruckend fanden.

„Tut mir leid, dass ich Sie vorhin angefahren habe“, sagte sie. „Ich bin den Umgang mit Bestien nicht gewohnt.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln, bei dem ihm prompt heiß wurde.

„Kein Problem. Sie hatten ja recht. Normalerweise nennen die Herausforderer mich Chef Gilbert, nicht Die Bestie.“

Sie lachte. Es war ein leichtes, warmes Lachen, das einige Leute aus dem Produktionsteam herübersehen ließ.

„Brauchen Sie noch etwas?“ Er ärgerte sich darüber, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Sind Sie immer so schroff?“

Er zog eine Braue hoch. Ihre direkte Art setzte ihm zu. Bedauerlicherweise änderte das nichts daran, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.

„Das wäre dann also ein Ja.“ Sie seufzte.

„GC fördert immer das Schlimmste in mir zutage. Offen gestanden, war ich überrascht, dass Sie das Duell hier machen wollen. Wieso?“

„Es geht um den Fluch.“

Er verdrehte die Augen. „Natürlich, der Fluch. Sie glauben doch hoffentlich nicht im Ernst an das Gerede, dass es der Stadt wieder besser gehen wird, sobald ein Gilbert zurückkehrt?“

„Ach … nun ja. Ich meine, die Publicity, die wir durch Ihre Show bekommen, kann ja nicht schaden. Ich war mir nicht sicher, ob Sie von dem Fluch wussten“, erklärte sie. „Ich hoffte, wir könnten hinterher zusammen essen und darüber reden …“

„Ich unterbreche Sie ja nur ungern, aber ich bin hier für die paar Stunden, die wir brauchen, um die Aufnahmen zu machen, und dann war’s das. Es gibt absolut nichts in Gilbert Corners, das mich interessieren könnte.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Nicht einmal Ihre Cousine im Pflegeheim?“

Er legte das große Messer beiseite und beugte sich vor. Ungeniert setzte er seine Größe und den Anblick seiner gezackten Narbe ein, um furchteinflößend zu wirken. „War’s das jetzt?“

Sie schluckte. Er sah, wie es in ihr arbeitete. Schließlich stemmte sie die Hände in die Seiten. „Sie sind wirklich kein netter Mensch, oder?“

„Das muss ich nicht sein, ich bin Die Bestie.“

„Ich sage Ihnen jetzt was, Sie Bestie! Ich wette mit Ihnen, dass ich Sie in diesem Duell schlagen kann. Wenn Sie verlieren, helfen Sie ein Wochenende bei der Frühjahrsputzaktion der Stadt.“

„Und was habe ich davon?“

„Die Dankbarkeit der Bewohner von Gilbert Corners.“

„Ich meine, was bekomme ich, wenn ich gewinne?“

Sie ließ die Arme sinken und überlegte einen Moment. „Was wollen Sie?“

Vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild von ihr nackt auf seinem Bett auf, aber das konnte er natürlich nicht laut sagen. „Sie. Für ein romantisches Wochenende.“

Er beobachtete, wie sie rot wurde.

„Ein Wochenende? Mit mir?“ Sie japste es fast.

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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