Julia Ärzte zum Verlieben Band 194

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ZWEITE CHANCE FÜR DORFSCHWESTER HANNAH von LOUISA HEATON

Im kleinen Dorf Greenbeck will Schwester Hannah einen Neuanfang wagen. Hat dort der praktizierende Arzt, der attraktive Dr. Fletcher, eine ähnliche Enttäuschung wie sie erlebt? Denn er macht ihr einen seltsamen Vorschlag: ein Date – damit sie beide wieder lernen zu vertrauen …

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  • Erscheinungstag 24.08.2024
  • Bandnummer 194
  • ISBN / Artikelnummer 8031240194
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Louisa Heaton, Charlotte Hawkes, Janice Lynn

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 194

1. KAPITEL

Vor drei Monaten

„Wow. In manchen Leuten kann man sich echt täuschen, was?“, sagte Dr. Zachary Fletcher, nachdem die Bewerberin das Zimmer verlassen hatte. Er stand auf, streckte die verspannten Rückenmuskeln, seufzte und sah seine Praxismanagerin Lucy an. „Tee?“

Ein langer, anstrengender Tag lag hinter ihnen. Sie hatten nicht nur potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten für die Allgemeinarztpraxis interviewt, sondern auch Ersatz für ihre Fachkrankenpflegerin gesucht, die gekündigt hatte, um in die Nähe ihrer Familie zu ziehen.

Bei der neuen Ärztin waren Lucy und er sich sofort einig gewesen – Dr. Stacey Emery, mit der sie das Vorstellungsgespräch per Videocall geführt hatten, war die perfekte Ergänzung ihres Teams. Doch sie hatten Mühe, die richtige Krankenschwester zu finden.

Ihre kleine Praxis lag im Herzen von Greenbeck, und Zach hatte sich sehr ins Zeug gelegt, um passendes Personal heranzuholen. Warmherzige, zuwendende Teamplayer sollten es sein. Heute hatte er einige fachlich versierte Krankenschwestern gesehen. Aber passten sie auch nach Greenbeck?

Die Letzte konnte einen hervorragenden Lebenslauf vorweisen, aber von ihrer Persönlichkeit her war sie nicht das, was er sich vorstellte. Sie hatte eine zuweilen harsche Art und reagierte auf Fragen gereizt, so als hielte sie Lucy und ihn für neugierig. Doch bei einem Vorstellungsgespräch hatte ein Arbeitgeber das Recht, Fragen zu stellen. Es ging nicht nur um die Qualifikation, sondern darum, den richtigen Menschen zu finden.

„Gern. Eine Tasse Tee wird uns munter machen, damit wir auch noch das letzte Gespräch überstehen.“ Seufzend griff sie nach der Bewerbungsmappe. „Hannah Gladstone. Zieht mit Freuden nach Greenbeck, wenn sie den Job bekommt.“

Zach stellte den Wasserkocher an. „Wo wohnt sie jetzt?“

Lucy blätterte in den Unterlagen. „Epsom.“

„Okay. Hoffen wir, dass sie wundervoll ist – uns gehen die Bewerberinnen aus.“

Er machte Tee und bot Lucy Kekse aus der Blechdose an, bevor er sich setzte und an seinem Tee nippte, während er die Bewerbung überflog. Es sah alles gut aus, aber das war bei der letzten auch der Fall gewesen, also …

„Bereit?“, fragte er schließlich.

Lucy lächelte. „Besser wird’s nicht.“

„Okay, dann wollen wir mal.“

Der Wartebereich gefiel ihr. Modern. Hell eingerichtet. In einer Ecke stand ein großes Regal mit Kinderbüchern, über dem ein Schild die Eltern informierte, dass Kinder sich Bücher ausleihen und mit nach Hause nehmen durften.

Wie eine Kinderbücherei, dachte Hannah lächelnd.

An den Wänden hingen die üblichen Anschlagtafeln mit Info-Postern zur Krebsvorsorge und anderen Prophylaxe-Ratschlägen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass Mütter gern im Wartezimmer ihre Babys stillen oder aber, wenn gewünscht, einen separaten Raum nutzen konnten. Eine nette Idee. Hinter dem Empfangstresen hingen Fotos des Praxisteams. Alle lächelten sympathisch, sodass man sich sofort willkommen fühlte.

Ob mein Foto auch bald dort hängen wird? Sie bezweifelte es. Wie es aussah, war sie heute die letzte Bewerberin. Ihre Gegenüber würden müde sein und sich nach dem Feierabend sehnen. Bestimmt hatten sie längst kluge Antworten auf ihre Fragen gehört.

Was sind Ihre Stärken?

Welche Ihre Schwächen?

Warum sollten wir Sie einstellen und nicht eine andere Bewerberin?

Am Empfang war weniger zu tun als vorhin, als sie hier angekommen war. Außer ihr wartete nur noch eine junge Mutter. Sie tippte am Handy, während ihr Kind im Buggy saß und an einem Zwieback knabberte. Die junge Frau blickte auf und zu Hannah hinüber.

Hannah lächelte höflich. Vor Nervosität hatte sie Magendrücken. Sie war nicht gut bei Bewerbungsgesprächen. Nicht mehr. Früher hatte es ihr nichts ausgemacht, aber seit dem Unfall und allem, was mit Edward, ihrem Ex-Verlobten passiert war, hatte ihr Selbstvertrauen massiv gelitten. Vor Fremden zu sitzen, sich einschätzen und beurteilen zu lassen, erinnerte sie zu sehr an die Vergangenheit. Unter Druck fing sie an zu stottern oder sagte das Falsche, während sie nur darauf wartete, dass den anderen klar wurde, dass sie die Mühe nicht wert war. Oder noch schlimmer … sie bemitleideten sie.

Aber ich brauche diesen Job! Ich muss weg aus Epsom!

In ihrer dunklen Hose hatte sich ein Faden gezogen und kräuselte den Stoff mitten auf dem rechten Oberschenkel. Was ihr bisher nicht aufgefallen war. Stirnrunzelnd versuchte sie, ihn zu glätten, doch sie blieb mit dem Fingernagel hängen und zog ihn noch weiter heraus. Jetzt sah es schlimm aus – ein kleines Loch so groß wie ein Stecknadelkopf, durch das man ihre Haut sehen konnte. Die Leute würden denken, dass sie sich keine anständige Hose leisten konnte!

„Shannon Glossop?“

Die junge Mutter stand auf und schob ihr Kind den Flur hinunter zu einer Frau in Praxiskleidung.

Hannah saß allein im Wartezimmer, spürte, wie sich Feuchtigkeit unter ihren Achseln bildete. Fühlte Schweiß den Rücken hinunterrinnen. Ihr Mund war trocken. Gab es hier einen Wasserspender? Ja, dort hinten in der Ecke. Sie stellte ihre Tasche ab und ging hin, um sich einen Becher kaltes Wasser zu holen.

Sie wollte gerade trinken, als eine tiefe Männerstimme sagte: „Miss Gladstone?“ Hannah fuhr zusammen und kippte sich das Wasser auf ihre weiße Seidenbluse.

Bestürzt blickte sie an sich hinunter.

Feuchte Bluse. Loch in der Hose. Perfekt.

„Alles in Ordnung?“

Ihre Wangen brannten, als sie sich umdrehte.

Der Mann, der vor ihr stand, war groß. Dunkles, leicht zerzaustes Haar. Blaue Augen. Umwerfendes Lächeln. Doch ihr entging nicht der seltsame Blick, mit dem er sie bedachte.

Wahrscheinlich hofft er, dass ich nicht die Bewerberin bin.

Hannah strich sich die Bluse glatt. „J-ja. Tut mir leid, dass ich das verschüttet habe … wenn Sie mir sagen, wo ich einen Lappen finde, könnte ich …? Tschuldigung. Hannah Gladstone.“

Sie streckte die Hand aus, stellte fest, dass sie damit den Becher hielt, nahm ihn hastig in die andere, verschüttete noch mehr Wasser, zwang sich zu einem Lächeln und hoffte inständig, dass er nicht merkte, wie ihre Finger zitterten, als er ihr die Hand schüttelte.

Er war der attraktivste Mann, den sie je in ihrem Leben gesehen hatte. War er echt? Hannah juckte es in den Fingern, ihn zu berühren, um sicherzugehen, dass er nicht eine Art Maske trug!

„Keine Sorge, wir kümmern uns darum. Stellen ein Warnschild auf …“

Er lächelte, was sie beinahe nicht mitbekommen hätte, so fasziniert war sie von seinem weichen schottischen Akzent. Aus welcher Gegend in Schottland mochte er sein? Glasgow? Edinburgh? Hannah wünschte sich plötzlich, sie wüsste alles über Schottland, damit sie sich mit ihm unterhalten – und ihn reden hören konnte. Seine tiefe Stimme ging ihr unter die Haut, und fast hätte sie vergessen, warum sie hier war.

Vorstellungsgespräch. Na, komm schon. Nimm dich zusammen!

„Oh, k-klar, danke. Wirklich?“

Er nickte und lächelte wieder. Sein Lächeln zeigte ebenmäßige weiße Zähne, und in seinen Augen funkelte Belustigung.

Etwas, das sie gewohnt war, hatte sie doch im letzten Jahr oft amüsierte Blicke eingefangen. Der Lächerlichkeit preisgegeben. Zu Hause, wo alle sie kannten. Jedenfalls fühlte es sich so an. Natürlich sollte sie nichts darauf geben, was andere über sie dachten, aber das war leichter gesagt als getan.

„Bitte, nach Ihnen.“ Er trat beiseite und bedeutete ihr, ihm voran in das nächstgelegene Zimmer zu gehen.

Hinter einem Schreibtisch, auf dem sich Unterlagen stapelten, saß eine Frau. Neben ihr standen eine Tasse Tee und ein Teller mit Gebäck.

Die Frau stand auf. „Miss Gladstone?“, fragte sie lächelnd.

„Ja. Hannah Gladstone.“ Sie schüttelte ihr die Hand. „Guten Tag.“

„Bitte nehmen Sie Platz. Mein Name ist Lucy Dent, und ich bin die Praxismanagerin. Dies ist Dr. Zachary Fletcher, unserer Seniorpartner.“

Zachary … Zach … Passt zu ihm, dachte sie, drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an. Er schloss die Tür hinter ihr und wies auf einen der Stühle, bevor er sich ihr gegenübersetzte.

„Ich hoffe, Sie haben uns ohne Mühe gefunden?“, fragte Dr. Fletcher.

„Letztendlich ja. Ich habe mich an Ihre Beschreibung gehalten, mich aber doch irgendwie verfahren.“ Sie lachte, dachte, sie würden mitlachen, bis ihr einfiel, dass dies ein Vorstellungsgespräch war und sie kompetent erscheinen sollte. „Ich meine, natürlich kann ich Instruktionen befolgen … Ich bin nur nicht sehr … Es fällt mir schwer …“ Sie lachte nervös. „Ich bin nur nicht gut mit Karten.“ Sie wurde rot und beugte sich vor. „Gut, dass ich keine Piratin bin! Nicht, dass Piraten …“

Hannah biss sich auf die Lippe. Du plapperst! Sie warf einen Blick zu Zach, sah, dass er sie mit einem verwirrten Lächeln anstarrte. Sie holte tief Luft. Riss sich zusammen, versuchte, die aufkeimende Panik zu unterdrücken. „Ich bin gut angekommen – danke.“

„Das freut mich.“

Er schaute zu Lucy hinüber.

Hannah rutschte das Herz in die Zehenspitzen, als sie den Blick sah, den die beiden tauschten.

Ich vermassele alles!

„Erzählen Sie uns doch etwas von sich, Miss Gladstone“, schlug die Praxismanagerin vor.

Sie nickte. Das würde sie schaffen, oder?

„Also, ich … ich arbeite seit zehn Jahren als Fachkrankenpflegerin. Ich war die ganze Zeit in derselben Hausarztpraxis – es ist meine erste Stelle –, und jetzt möchte ich wechseln.“

„In Vollzeit?“ Dr. Fletcher blickte auf ihre Bewerbungsunterlagen.

„Ja. Vollzeit. Nun, die meiste Zeit … Ich … äh … hatte einen Unfall und konnte eine Weile nicht arbeiten. Dann habe ich stufenweise wieder angefangen, bin aber schon längst wieder voll dabei.“

Er nickte. „Es tut mir leid, das zu hören. Wann war der Unfall?“

„Vor zwei Jahren.“

„Und Sie sind jetzt fit und gesund?“

„Absolut! Zu hundert Prozent. Tipptopp.“

Warum zum Teufel habe ich tipptopp gesagt? Ich habe noch nie tipptopp gesagt!

Lucy lächelte sie an. „Was halten Sie für Ihre Stärken?“

„Oje … Nun, Vorstellungsgespräche ganz bestimmt nicht!“

Sie lachte abfällig, erwartete, dass sie mitlachen würden. Taten sie nicht. Sie blickten sie amüsiert an, lachten jedoch nicht.

Das läuft nicht gut.

„Ich bin eine gute Fachkrankenschwester. Wirklich. Auch wenn es nicht so aussieht. Ich glaube, ich mache nicht den besten Eindruck. Aber sehen Sie, das ist meine Schwäche. Wenn ich nervös bin, plappere ich wie ein Wasserfall, oder ich verstumme völlig – was Sie sich heute wahrscheinlich eher gewünscht hätten. Aber … ich koche einen guten Tee, und ich bin freundlich und umsichtig. Ich liebe es, mit meinen Patienten zu reden und eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und …“

Mit einem Mal war ihr Gehirn komplett leer, ihr Mund immer noch offen, während sie verzweifelt nach etwas Positivem suchte, womit sie die sicher katastrophale Meinung der beiden von ihr ändern konnte.

„Ich … äh …“

Sie schloss den Mund, senkte den Blick. Sah das Loch in ihrer Hose, spürte, dass alles aus dem Ruder zu laufen drohte. Hätte sich am liebsten verkrochen.

„Ich bin eine gute Krankenschwester …“, war alles, was sie herausbrachte.

Der Rest des Gesprächs verlief nicht besser.

Jegliche Energie schien sie verlassen zu haben, zusammen mit ihrer Zuversicht, diesen Job zu bekommen. Hannah schwafelte sich durch die Antworten, als man ihr Fragen stellte. Nichts klang in ihren Ohren überzeugend, und ihr schien nichts einzufallen, um ihre Gegenüber davon zu überzeugen, sie einzustellen.

„Haben Sie Fragen an uns?“, fragte Lucy zum Schluss.

Besteht die Möglichkeiten, dass ich regelmäßige Schulungen veranstalten kann, um Patientinnen und Patienten zu unterstützen? Das war eine der Fragen, die sie noch im Auto geübt hatte. Doch sie sah keinen Sinn mehr darin, sie noch anzubringen. Jetzt war sowieso alles egal.

„Wann kann ich anfangen?“, scherzte sie stattdessen lachend.

Ihr Lächeln erstarb, als sie sah, wie sich die beiden wieder anblickten, bevor sie die Augen fragend auf sie richteten.

„Ich möchte mich bedanken, dass Sie mich eingeladen haben. Danke für Ihre Zeit. Aber ich hätte einen besseren Eindruck machen können.“

Hannah stand auf und schüttelte ihnen die Hand. Dann warf sie einen letzten Blick auf Dr. Zachary Fletcher, um sich seine Gesichtszüge einzuprägen. Zu Hause würde sie ihn ihrer besten Freundin Melody genau beschreiben. Nicht, dass sie sein Gesicht je vergessen würde … Er sah wahnsinnig gut aus! Wenn sie die Stelle bekommen hätte, hätte sie ihn ständig anschauen können …

„Gern geschehen. Wir melden uns bei Ihnen“, antwortete er, und seine warme, tiefe Stimme beruhigte ihre angespannten Nerven.

Sie ging zum Empfang, bedankte sich auch dort und stellte ihre Tasche auf einem Besucherstuhl ab, um nach dem Autoschlüssel zu suchen. Als sie ihn gefunden hatte, verließ sie das Gebäude und stieß mit der jungen Mutter zusammen, die mit ihr im Wartebereich gesessen hatte.

„Mein Baby! Sie kriegt keine Luft!“

Was? Sie ließ die Tasche fallen und rannte zum Wagen der Frau – und ja, sie hatte recht. Die Kleine war im Kindersitz angeschnallt und schien an etwas zu ersticken.

Hannah wandte sich zur Mutter um. „Laufen Sie in die Praxis – holen Sie Hilfe!“

Sie schaffte es, den Sicherheitsgurt zu öffnen, und holte das Kind heraus. Was in seinem Hals steckte, konnte sie nicht sehen, und sie wagte es nicht, einen Finger hineinzuschieben. Die Blockade könnte tiefer rutschen. Hannah legte sich das Mädchen mit dem Gesicht nach unten längs auf ihren Arm und begann mit kurzen, kräftigen Schlägen zwischen die Schulterblätter.

Das Kleinkind hustete und würgte immer noch, und gerade als Hannah dachte, es würde gleich bewusstlos werden, flog etwas aus seinem Mund und landete auf dem Asphalt des Parkplatzes. Eine halbe Weintraube.

Die junge Mutter kam aus der Praxis gerannt, gefolgt von Dr. Fletcher, Lucy und einem weiteren Mann im Arztkittel, der eine Rettungstasche trug. Ihre Gesichter entspannten sich, als sie hörten, wie die Kleine nach dem beängstigenden Schrecken anfing zu brüllen.

„Es geht ihr gut, es geht ihr gut“, sagte Hannah und reichte sie ihrer Mutter. „Aber vielleicht sollten Sie sie von einem der Ärzte hier untersuchen lassen, nur um sicherzugehen.“

Die junge Frau nickte und ging zu dem zweiten Arzt, auch ein gut aussehender Mann mit gepflegtem Bart.

Sie machten sich auf den Weg in die Praxis, und Dr. Fletcher sah ihnen nach, bevor er sich lächelnd zu ihr umwandte. „Gut gemacht. Sie haben dem Kind das Leben gerettet.“

„Oh, das hätte jeder an meiner Stelle getan.“

„Die meisten würden in Panik geraten, wenn sie mitansehen müssten, wie ein kleines Kind fast erstickt. Sie wussten genau, was Sie tun mussten, und sind vor allem bemerkenswert ruhig geblieben.“ Er schien kurz nachzudenken, lächelte dann. „Wie schnell können Sie anfangen?“

„Verzeihung?“ Hannah starrte ihn an, nicht sicher, ob sie richtig verstanden hatte.

„Möchten Sie den Job?“

Sein umwerfendes Lächeln ließ sie fast vergessen, wo sie war.

„Diesen? Hier?“ Sie zeigte auf die Praxis, immer noch völlig perplex.

„Ja, den, auf den Sie sich beworben haben.“

„Sind Sie sicher?“

„Hundertprozentig.“

Hannah lachte auf. Wie verrückt war das denn?

„Aber vorhin habe ich einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen!“

„Sie waren nervös“, meinte er schulterzuckend.

„Ich war schrecklich!“

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf, lachte, während er sich zum Gehen wandte, und fügte hinzu: „Sie waren tipptopp.“

2. KAPITEL

Heute

Zach hatte viel dafür getan, um ein Team zusammenzustellen, das nicht nur fachlich kompetent war, sondern auch für eine familiäre Atmosphäre in seiner Hausarztpraxis sorgte. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten nicht morgens zur Tür hereinkommen, ihre Stunden abreißen und wieder verschwinden. Ihm lag viel daran, dass sie gern zur Arbeit kamen. Er stellte sich vor, dass sie alle wie eine Familie waren – nur ohne Streitereien, Geheimnisse oder Eifersüchteleien.

Hannah war während des Vorstellungsgesprächs ein seltsames, plapperndes, nervöses Energiebündel gewesen, doch sie hatte ihn zum Lächeln gebracht. Auf eine Weise, wie er lange nicht gelächelt hatte. Nachdem er ihre Bewerbung gelesen hatte, wusste er, dass sie von ihrer Qualifikation und ihren Erfahrungen her genau das war, was er für seine Praxis suchte. Er wollte nur noch ihr Wesen beurteilen und ob sie hierher nach Greenbeck passte.

Das Gespräch war … nun ja, miserabel verlaufen. Er hatte in ihren Augen den Moment wahrgenommen, als sie glaubte, es vermasselt zu haben. Obwohl er ihr mit seinen Fragen signalisierte, dass er dennoch interessiert war, drang er nicht mehr zu ihr durch. Es war, als hätte die schöne junge Frau jedes Selbstvertrauen verloren und wäre am liebsten aus dem Zimmer geflüchtet. Zach wollte ihr helfen, aber letztendlich musste er sich fragen, ob er nicht falsch lag. Vielleicht brauchte sie noch ein, zwei Jahre, um das nötige Vertrauen in sich zu entwickeln? Dann verblüffte sie ihn damit, dass sie auf ihrem Weg zum Parkplatz einem Kleinkind das Leben rettete. Mehr noch, als sie das Kind der Mutter reichte, las er in ihren Augen, dass sie sehr wohl Vertrauen in ihre Fähigkeiten und genau gewusst hatte, wie sie handeln musste.

Sie konnte mit der panischen Mutter umgehen. Sie hatte sie dazu gebracht, Hilfe zu holen. Und hinterher erwartete sie kein Lob für ihr Verhalten, zeigte sich bescheiden, als wäre es keine große Sache. In dem Moment wusste er, dass sie genau die Fachkrankenschwester war, die er in seiner Praxis brauchte.

Nun wartete er auf sie und die neue Ärztin Dr. Stacey Emery, die beide heute offiziell ihren ersten Tag hatten. Zugegeben, er war nervös, aber das lag bestimmt daran, dass er sich wünschte, der Tag möge gut verlaufen.

Und dann kam die neue Fachkrankenpflegerin Hannah Gladstone, eine Plastikdose mit Keksen in der Hand und ein Lächeln auf den vollen Lippen, in die Praxis. Während er beobachtete, wie sie sich mit allen bekannt machte, schlug sein Herz schneller und schneller, je näher sie ihm kam.

Du bist nur aufgeregt, weil sie genau hierherpasst. In dein Team, das wie eine Familie füreinander sein soll. Froh, dass dein Bauchgefühl dich nicht getäuscht hat. Das ist alles.

Ihm fiel auf, dass sie kaum merklich hinkte. Mit dem linken Bein. Durch den Unfall, den sie erwähnt hatte?

„Guten Morgen, Dr. Fletcher.“ Sie stand vor ihm, ihre Augen blitzten. Er las erwartungsvolle Freude und Nervosität zugleich. „Cookie?“

Er hob ablehnend die Hand. Zach versuchte, auf seine Ernährung zu achten, und für Zucker war es definitiv noch zu früh. „Zach, bitte. Hat der Umzug geklappt?“

„Ja, danke! Es war ein bisschen seltsam, beim Aufwachen vor dem Fenster Vögel zwitschern und Kühe muhen zu hören statt Autohupen oder Notarztsirenen, aber ich werde mich bestimmt schnell daran gewöhnen.“

„Mrs. Mickletwaithe wird sich gut um Sie kümmern.“

„Nun, ich hatte einfach Glück, dass sie das Zimmer vermietet. In Greenbeck eine Unterkunft zu finden, ist extrem schwierig.“

Zach nickte zustimmend. Dr. Emery, die zweite neue Kollegin, würde im Anbau auf Dr. Priors Grundstück wohnen. Wohnungen mit erschwinglichen Mieten waren in Greenbeck rar gesät. Seit der Ort auf der Liste der zehn schönsten Dörfer Englands aufgeführt war, waren die Preise explodiert und fast nur noch teure Ferienwohnungen zu bekommen.

Unwillkürlich fielen ihm ihr schimmerndes dunkelbraunes Haar und – noch faszinierender – die zweifarbige Iris auf. Außen war sie graublau, der Ring um die Pupille jedoch von einem dunklen Haselnussbraun.

Was zum Teufel tust du? Konzentrier dich, Mann! Das kann sie auch gerade gebrauchen, dass du sie wie ein verknallter Teenager anstarrst!

Er gab sich einen Ruck und stellte sie dem Verwaltungsteam vor. Hannah bezauberte alle. Lächelte, schüttelte Hände. Lachte mit ihnen. Scherzte. Bot Kekse an. Entschuldigte sich, dass sie nervös war. Wieder fiel ihm ihr Hinken auf. Ja, sie belastete das rechte Bein stärker als das linke. Zach wünschte, er hätte während des Vorstellungsgesprächs weitere Fragen gestellt, aber zu dem Zeitpunkt hatte es nicht gepasst. Vielleicht ergab sich eine Gelegenheit, mehr herauszufinden.

„Möchten Sie etwas trinken, Hannah? Tee oder Kaffee?“

„Oh, lassen Sie mich das machen! Möchte noch jemand etwas?“

Sie stürmte in die kleine Küche, holte Becher aus dem Schrank und füllte den Wasserkocher. Er merkte, wie sie einmal zusammenzuckte, es mit einem Lächeln kaschierte und lachend meinte, sie wüsste nicht, wo die Löffel seien.

Als er Schritte hörte, trat er in den Flur hinaus und sah die neue Ärztin. „Dr. Emery! Ich freue mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen! Kommen Sie mit durch, ich stelle Ihnen unser Team vor.“ Zach führte sie in den Personalraum. „Daniel kennen Sie ja bereits. Rachel ist unsere Krankenpflegehelferin, Shelby unser fest angestellter Vampir und Hannah unsere neue Fachkrankenschwester – sie hat heute auch ihren ersten Tag bei uns.“

Er trat zurück, damit sich alle miteinander bekannt machen konnten. Danach zeigte er Dr. Emery ihr Zimmer und kehrte zurück, um sich den Kaffee zu holen, den Hannah ihm freundlicherweise zubereitet hatte.

„Soll ich Ihnen Ihren Raum zeigen?“, fragte er.

„Ja, bitte!“

Zusammen gingen sie zum Ende des Flurs. Hannahs Zimmer lag zwischen seinem und dem Notausgang mit der Feuertreppe, die zum Parkplatz führte. Es war hell und einladend und etwas größer als die übrigen Behandlungsräume. Auf der einen Seite stand der Schreibtisch mit Computer und Drucker, auf der anderen befanden sich eine Untersuchungsliege und die nötige medizinische Ausstattung. So waren administrativer und medizinischer Bereich getrennt.

„Hier also werden die Wunder vollbracht“, sagte sie, hängte ihre Handtasche über die Stuhllehne und strich mit dem Finger über die Schreibtischfläche, bevor sie Schränke öffnete und ihren Inhalt inspizierte.

Alles da für Blutproben, dazu Tupfer, Verbandsmaterial, Sauerstoffmasken und vieles mehr, das sie während ihrer täglichen Arbeit brauchte.

„Ich bin nur eine Tür weiter, falls Sie Fragen haben. Sollte ich nicht da sein, sitzt Daniel zwei Türen weiter. Oder Sie fragen einfach jeden, der Ihnen über den Weg läuft. Irgendjemand wird Ihnen weiterhelfen.“

„Das mache ich. Danke.“

„Dann lasse ich Sie allein, damit Sie sich einrichten können.“

Trotzdem mochte er noch nicht gehen.

„Haben Sie … Schmerzen?“, wagte er schließlich die Frage, die ihm die ganze Zeit durch den Kopf ging.

Ihre Wangen röteten sich. „Schmerzen?“

„Am Bein.“

„Ach, das! Nein, das ist nichts. Das bin ich gewohnt. Machen Sie sich keine Gedanken, es wird meine Arbeit nicht beeinträchtigen.“

„Nein, natürlich nicht. Aber wenn ich irgendwie helfen kann, kommen Sie zu mir, ja?“

Sie nickte. „Sicher.“

Zach zögerte wieder. Was ist los mit dir? „Gut, dann … gehe ich besser.“

„Darf ich Ihnen …?“ Hannah biss sich auf die Lippe und machte einen Schritt auf ihn zu. „Darf ich Ihnen einfach danken, dass Sie mir diesen Job angeboten haben, Zach? Ich hatte noch keine Gelegenheit dazu, und ich wollte, dass Sie wissen, wie dankbar ich für die Chance bin. Ich verspreche, dass ich Sie nicht hängen lasse.“

Sie sah ihm so intensiv, so ernst in die Augen, dass er sich einen Moment lang in ihrem Blick, in den faszinierend blau-braunen Tiefen verlor … bis er merkte, dass er das nicht tun sollte.

„Das weiß ich. Deswegen habe ich Sie eingestellt.“ Er suchte nach Worten, hatte keine Ahnung, warum sein Gehirn auf einmal nicht lieferte. „Einen guten Morgen für Sie, Hannah.“

„Für Sie auch.“

Er nickte und schloss die Tür hinter sich. Draußen im Flur blieb er stehen, fragte sich, was in ihn gefahren war. Warum fühlte er sich so … aus dem Gleichgewicht gekickt?

War es ihr Lächeln?

Waren es ihre Augen?

Sei kein Idiot!

Sobald die Tür sich hinter Zach geschlossen hatte, atmete Hannah tief aus und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen.

Seit drei Monaten sagte sie sich, dass Dr. Zachary Fletcher nicht der gut aussehende Kerl sein konnte und würde, an den sie sich vom Vorstellungsgespräch her erinnerte. Weil sie damals nervös und völlig neben der Spur gewesen war und keinen klaren Gedanken hatte fassen können. Sie hatte sich nur eingebildet, dass er umwerfend und atemberaubend attraktiv war. Solche Männer gab es nur im Film, und sie waren Hollywoodstars …

Sie lag falsch. Zach war genauso, wie sie sich an ihn erinnerte! Sie hatte ihn sich nicht ausgedacht oder eingebildet oder sich sein Aussehen in glühenden Farben ausgemalt. Er war …

„Wundervoll, ein Fest für die Sinne“, murmelte sie und kniff fest die Augen zusammen.

Dr. Zachary Fletcher war bestimmt verheiratet und zweifellos ein treuer Ehemann und großartiger Vater. Wahrscheinlich besaßen sie einen Hund und eine Katze, vielleicht auch Hühner oder Enten hinten im Garten. Seine Kinder waren engelsgleiche, von allen bewunderte Geschöpfe, und an der Schule beneideten ihn die anderen Eltern. Eine Augenweide, wenn er am Sporttag an Wettkämpfen teilnahm, zog er alle Blicke auf sich. Sogar am Kuchenstand, wo er aushalf, galten ihm mehr verlangende Blicke als den Köstlichkeiten, die er für einen guten Zweck verkaufte. Und alle waren neidisch auf seine schöne Frau, die jedes Model in den Schatten stellte …

Hannah sank auf ihren Schreibtischstuhl, schüttelte den Kopf, um ihn klarzukriegen, wusste, dass sie in ihren Arbeitsmodus schalten musste. Wer stand heute auf ihrer Liste, womit hatte sie es heute zu tun?

Von Zach träumen … das musste warten. Obwohl ihr klar war, dass sie ihn nicht lange würde ignorieren können.

Konnte man einen Mann wie ihn überhaupt ignorieren?

Wohl nicht.

Und ihm war aufgefallen, dass sie hinkte. So viel zu ihrem Versuch, es zu verbergen. Er war ein aufmerksamer Arzt und sie dumm genug, anzunehmen, dass sie ihre Verletzung vor allen hier verheimlichen konnte. Schlussstrich und Neuanfang? Von wegen!

Acht Leute standen heute Vormittag auf ihrer Terminliste. Die erste Patientin sollte in einer Viertelstunde hier sein. Hannah zog ihren Cardigan aus, hängte ihn an die Tür und richtete ihren Behandlungsbereich so her, wie sie es gewohnt war. Dann rief sie ihren allerersten Patienten des Tages auf.

Miss Petra Kovalenko kam herein, und Hannah sah sofort, worum es ging. Aber sie wollte nicht vorgreifen.

„Guten Morgen. Ich bin Hannah. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich komme wegen meiner Augen. Seit Freitagabend sind sie gereizt und jucken, und als ich heute Morgen aufwachte, waren sie verklebt, sodass ich sie mit warmem Wasser säubern musste, um sie zu öffnen.“

„Sie sind stark gerötet, das sehe ich. Geht es Ihnen ansonsten gut?“

Petra nickte.

„Hatten Sie in letzter Zeit Kontakt zu Kindern mit Augenentzündungen?“

Sie lachte ironisch. „Ich unterrichte in einer Vorschule.“

„Das erklärt einiges! Ich sehe in Ihren Wimpern grünes Sekret, was auf eine bakterielle Bindehautentzündung schließen lässt. Waren Sie kürzlich erkältet? Hatten Sie Ohrenschmerzen?“

„Leichte Ohrenschmerzen, ja … aber ich habe es auf den Lärmpegel bei der Arbeit geschoben. Kinder können ziemlich laut kreischen.“

Hannah lächelte. „Ich werde Ihre Ohren untersuchen und einmal in den Hals schauen, okay?“ Mit dem Otoskop stellte sie am rechten Trommelfell eine leichte Rötung fest, aber die Kehle war unauffällig, die Mandeln in Ordnung. Genau wie Petras Körpertemperatur und Blutdruck.

„Gut, ich verschreibe Ihnen ein lokales Antibiotikum. Sind Sie gegen bestimmte Medikamente allergisch?“

„Nein.“

„Da die Bindehautentzündung ansteckend ist, sollten Sie darauf achten, regelmäßig die Hände zu waschen.“

„Aber ich kann trotzdem zur Arbeit gehen, oder?“

„Ja, solange Sie sorgfältig auf Handhygiene achten. Und teilen Sie sich zu Hause nicht die Handtücher oder Kopfkissen mit anderen. Wenn Sie husten oder niesen müssen, bedecken Sie Mund und Nase mit einem Papiertuch, das Sie sofort danach entsorgen.“

„Das mache ich. Wann klingt das wieder ab?“

„Antibiotika wirken innerhalb weniger Tage. Sollten Ihre Augen nach vier, fünf Tagen immer noch Sekret absondern, kommen Sie bitte wieder her. Aber ich bin überzeugt, dass es sich um eine bakterielle Entzündung handelt, die Sie mit dem Medikament schnell in den Griff bekommen werden.“ Sie reichte Petra das Rezept.

„Vielen Dank.“

„Bitte. Und gute Besserung.“

„Danke.“

Als Petra gegangen war, seufzte Hannah erleichtert auf. Ein guter Anfang! Sie war zufrieden mit sich. Viele Leute mochten es langweilig finden, Husten, Schnupfen oder Halsentzündungen zu behandeln, aber ihr gefiel es, Patientinnen und Patienten zu helfen. Und sei es nur, sie zu beruhigen.

Sie arbeitete ihre Liste ab, behandelte eine Blasenentzündung, Migräne, Fußpilz und eine schmerzende Warze, bevor sie eine erste Pause machen konnte. Hannah eilte in den kleinen Personalraum, um Teewasser aufzusetzen. Während Sie darauf wartete, dass es kochte, verlagerte sie das Gewicht, um ihr linkes Bein zu entlasten. Da kam Zach herein.

„Hey, wie läuft es? Alles in Ordnung?“

Sein Lächeln … so offen, so gewinnend. Und seine Augen … Ihn nur zu sehen, machte etwas mit ihr, weckte ein seltsames Zittern in ihrem Bauch.

Das sind die Nerven. Du willst, dass sie dich hier mögen.

„Ja, danke. Alles okay.“

„Das freut mich. Ich wollte mir nur schnell eine Tasse gönnen, und da Sie Wasser aufgesetzt haben …“ Er ließ sich in einen Sessel fallen.

Hannah lächelte. Wie schon beim Vorstellungsgespräch fiel ihr seine Ausdrucksweise auf, aber diesmal traute sie sich, nachzufragen. „Höre ich da … einen Akzent heraus?“

„Richtig erkannt. Ich bin in Bathgate aufgewachsen, westlich von Edinburgh.“

„Oh, wirklich? Wie lange haben Sie dort gelebt?“

Zach zuckte mit den Schultern. „Fast die gesamte Kindheit und Jugend, bis ich zum Medizinstudium nach Edinburgh gezogen bin. Danach kam ich nach England.“

„Ein großer Wechsel.“

„Vermutlich … Und Sie?“

„Oh, längst nicht so interessant, fürchte ich. Geboren in Surrey, aufgewachsen in Surrey, gearbeitet in Surrey.“ Sie verdrehte die Augen, weil ihr Leben so langweilig klang. „Es war Zeit für eine Veränderung“, fügte sie hinzu und hoffte, dass er nicht weiter nachfragte. Es war mehr als das gewesen. Sie musste weg. Weg von allen, die sie kannten. Die Demütigung wog zu schwer. Anfangs hatte sie gedacht, dass die Zeit nach ihrer geplatzten Hochzeit am schlimmsten war, doch das stimmte nicht. Unerträglich war es erst geworden, als der Tratsch begann und sie nach Wochen und Monaten die mitleidigen Blicke der Leute ertragen musste.

Ihre Eltern und ihre beste Freundin Melody versuchten, sie zu stärken, sagten ihr immer wieder, dass sie es schaffen konnte, alles an sich abprallen zu lassen. Aber das war unmöglich. Sie hatte das Gefühl, dass alle sie anstarrten. Dass alle ihr Urteil gefällt hatten. Weil sie intimste Details ihres Lebens kannten. Hannah fühlte sich entblößt, sehnte sich nach Privatsphäre. Wollte ihre Würde zurück. Die Aussicht auf einen unbelasteten Neuanfang in Greenbeck hatte ihr die Kraft gegeben, umzuziehen und ihr altes Leben hinter sich zu lassen.

Mum hatte sie angefleht, nicht zu gehen. Sagte, dass sie nichts falsch gemacht hätte. Dass sie erhobenen Hauptes durch die Gegend gehen könne. Aber Mum hatte gut reden. Sie musste nicht diese Blicke aushalten, die Neugier in den Augen der anderen. Für Hannah fühlte es sich schrecklich an.

„Veränderung ist so gut wie eine Pause, sagt man nicht so?“, meinte Zach.

„Ja …“ Unauffällig rieb sie sich das linke Bein und hoffte, dass er es nicht merkte.

„Alles okay?“ Sichtlich besorgt blickte er auf ihr Bein.

„Klar. Ich glaube, am Wochenende habe ich es mit dem Joggen übertrieben.“

Joggen? Ha, ich jogge nicht! Warum habe ich Joggen gesagt?

„Also, ich wollte sagen … es war eher ein strammer Spaziergang. Und wenn ich strammer Spaziergang sage … meine ich eigentlich …“

Sie biss sich auf die Lippe. Vor Nervosität hatte sie angefangen zu plappern, suchte nach den richtigen Worten, der richtigen Erklärung, um ihn von der Fährte wegzulocken. Wollte nicht, dass er die Wahrheit herausfand.

Hannah sprach den Satz nicht zu Ende, lachte leise. „Mir tut nur manchmal das Bein weh.“

„Vom Unfall?“

Er erinnerte sich. Sie war beeindruckt, dass er das von ihrem chaotischen Vorstellungsgespräch behalten hatte. Und es gefiel ihr gar nicht.

„Ja …“

„Was ist passiert? Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich frage?“

Was passiert ist, hat mein Leben ruiniert. Und es macht mir etwas aus. Sehr viel sogar.

„Ich hatte einen Unfall in einem Freizeitpark.“

Seine Miene umwölkte sich. „Hoffentlich nichts Ernstes?“

Plötzlich wollte sie nichts mehr, als ihm davon zu erzählen. Einfach, um es loszuwerden, es nicht mehr verbergen zu müssen. Sie war das Versteckspiel so leid. Aber dies sollte ihr Neuanfang sein! Wollte sie wirklich, dass er schon am ersten Tag über alles Bescheid wusste?

Sie rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. „Nein. Nur ein kleiner Zusammenstoß.“

Hinter ihnen ging der Wasserkocher aus.

„Wollten Sie Tee oder Kaffee?“, fragte Hannah fröhlich und sprintete förmlich hin.

„Gern einen Kaffee, danke.“

„Milch? Zucker?“

„Nur Milch, bitte.“

„Selbst süß genug?“, witzelte sie, während sie sich umdrehte, und merkte zu spät, dass er ebenfalls aufgestanden und ihr gefolgt war.

Seine blauen Augen leuchteten wie Tansanit. Dichte dunkle Wimpern betonten ihr Strahlen. Und er war ein Prachtexemplar von Mann. Groß. Breitschultrig. Athletisch. Sein blaues Hemd unterstrich kraftvolle Muskeln. Er war … umwerfend.

Verwirrt, wie stark sie auf ihn reagierte, wandte sie sich ab und atmete unhörbar langsam aus. Konzentrierte sich auf die Getränke. Du meine Güte, er ist dein Chef! Mehr noch, sie war nach Greenbeck gekommen, um Männer und Romantik und sämtliche Komplikationen, die damit einhergingen, hinter sich zu lassen.

„Das kann ich nicht beurteilen“, antwortete er lächelnd und trat neben sie.

Sie bereitete den Kaffee zu, rührte die Milch um und reichte Zach den Becher. Versuchte dabei, nicht seine Finger zu streifen. Hoffentlich merkte er ihr nicht an, wie atemlos sie auf einmal war. Und bestimmt hatte sie rote Wangen, so heiß wie ihr war!

„Danke.“ Er trank einen Schluck. „Perfekt. Nun denn … zurück an die Arbeit. Und nicht vergessen, wenn es Probleme gibt, können Sie jederzeit an meine Tür klopfen.“

„Natürlich.“

Ganz bestimmt nicht.

Sie sah ihm nach und seufzte tief auf, sobald er außer Hörweite war.

Zach nahm den Kaffee mit in sein Sprechzimmer, schloss die Tür hinter sich und sank auf seinen Schreibtischsessel. Er stellte den Becher ab und fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und durchs Haar.

Hannah war fachlich hochkompetent, und er hatte auch das Gefühl, dass sie perfekt in sein Team passte, aber …

Was hatte sie an sich, dass er einfach dasitzen, sie anschauen wollte, ihr stundenlang zuhören könnte? Sie war witzig. Und sehr nervös. Doch das lag bestimmt daran, dass heute ihr erster Tag war.

Wenn sie nervös war, sprach sie schnell und redete viel. Was ihn irgendwie faszinierte. Aber …

Er war nicht bereit, sich auf jemanden einzulassen. Nicht nach dem Desaster mit Milly, der Tierärztin von Greenbeck. Zach hatte sich davon gerade erst einigermaßen erholt.

Mittlerweile konnte er gelassen vorbeifahren, wenn er Milly im Ort sah, lächelnd und händchenhaltend mit Hugh. Er biss nicht mehr die Zähne zusammen und fragte sich, warum er ihr nicht genügt hatte. Es half, dass die Leute zur Tagesordnung übergegangen waren und ihn nicht mehr nach ihr fragten. Auch seine Patientinnen und Patienten hatten aufgehört, sich Sorgen um ihn zu machen. Das Leben ging wieder seinen normalen Gang, und genauso gefiel es ihm. Unbeachtet. Allein mit sich. Einfach leben.

Doch Hannah …

Gefährdete sie die Normalität, nach der er sich so lange gesehnt hatte? Würde sie sein Leben auf den Kopf stellen?

Hätte er jemand anders die Stelle geben sollen? Der Pflegeexpertin, die in fünf Jahren in Rente gehen würde? Oder dem Typen, der exzellente Referenzen vorwies, aber ein massives Kopfschuppenproblem hatte? Wäre das einfacher gewesen?

Nein, Hannah hatte ihn am stärksten beeindruckt. Sowohl beim Vorstellungsgespräch als auch damit, wie sie dem Kleinkind das Leben rettete. Ihre sprudelnde Art, zu reden, ihr Lächeln, ihr strahlendes Wesen und ihre wundervollen exotischen Augen hatten einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn ausgeübt und ihn gedrängt: Nimm mich! Nimm mich! Nimm mich!

Was er auch getan hatte.

„Du steckst in Schwierigkeiten“, murmelte er und tippte den Namen seines nächsten Patienten an, was diesem auf dem Monitor im Wartezimmer anzeigte, dass er sich auf den Weg in Zachs Sprechzimmer machen konnte.

Während er auf Mr. Mackenzie Parsons und sein schmerzendes Knie wartete, hörte er Hannah nebenan lachen. Zach musste sich beherrschen, nicht aufzustehen und nachzusehen, was sie zum Lachen brachte. Er wollte dabei sein, wollte ihr Gesicht sehen, aber aus Selbstschutz musste er bleiben, wo er war.

Wie auf Stichwort, klopfte es kurz, die Tür ging auf, und Mr. Parsons erschien. Humpelte näher, gestützt auf seinen Spazierstock. „Morgen, Doc!“

„Mr. Parsons! Wie geht es Ihnen? Nehmen Sie Platz, junger Mann.“

„Von wegen jung!“ Stöhnend ließ sich der Patient auf den Besucherstuhl fallen.

„Was kann ich heute für Sie tun?“

„Ich möchte, dass Sie sich das ansehen. Da stimmt etwas nicht.“ Mr. Parsons beugte sich vor, zog das Hosenbein hoch, und zum Vorschein kam ein geschwollenes, gerötetes und entzündetes Knie, wie Zach lange keins gesehen hatte.

„Okay … Seit wann ist das schon so?“ Er rollte mit seinem Stuhl zum Patienten und untersuchte das Gelenk behutsam.

„Samstagabend fing es an.“

„So schlimm wie jetzt?“

„Nein, nein. Nur ein leichter Schmerz. Aber Sonntagmorgen … oh, da hat es richtig wehgetan. Seitdem ernähre ich mich praktisch von Paracetamol. Meine Tochter wollte mich in die Notaufnahme schleppen, aber ich wollte die Leute nicht damit belästigen.“

„Ich glaube nicht, dass sie sich belästigt gefühlt hätten, Mack. Haben Sie sich das Knie irgendwo gestoßen?“

„Samstagvormittag habe ich im Garten gearbeitet. Kletterrosen zurückgeschnitten. Meine Mathilda hat sie jahrelang wild wuchern lassen. Dornröschen hätte seine Freude gehabt. Jetzt durfte ich endlich mit der Schere ran.“

„Haben Sie sich an den Dornen verletzt?“

„Minimal. Nur hier … sehen Sie?“ Er zeigte auf eine kleine Einstichstelle rechts von der Kniescheibe, die dunkel verfärbt war.

„Ja.“ Mr. Parsons Knie fühlte sich heiß an. Ein eindeutiges Zeichen für eine akute Infektion.

„Ich muss Ihnen ein Antibiotikum verschreiben. Können Sie das Bein uneingeschränkt bewegen?“

„Oh ja. Fühlt sich ein bisschen steif an, aber es lässt sich bewegen.“

„Lassen Sie mich noch Fieber messen … Wie sieht es mit Schüttelfrost aus? Schweißausbrüchen?“

„Jetzt, wo Sie es sagen …“

„Übelkeit?“ Zach griff nach seinem Digitalthermometer und legte einen Einwegschutz über die Spitze, bevor er sie in Macks Ohr schob.

„Nein, das nicht.“

Das Thermometer piepte. Erhöhte Temperatur, was Zach gar nicht gefiel. Er befürchtete eine septische Arthritis.

„Das sieht nicht gut aus, Mack. Vor allem mit Ihrem künstlichen Kniegelenk. Tut mir leid, aber Sie müssen ins Krankenhaus und an den Tropf. Sie bekommen das Antibiotikum über die Vene zugeführt. Haben Sie jemanden, der Sie in die Notaufnahme bringen kann? Ihre Tochter Mathilda?“

„Sie musste heute nach Southampton.“

„Gut, dann werden wir für Sie einen Krankenwagen rufen. Wir sollten keine Zeit verlieren, und Sie müssen sicher eine Weile dort bleiben.“

Mr. Parsons nickte. „Das habe ich mir schon gedacht. Nun, Sie wissen, was am besten ist, Doc. Kann ich vorher noch nach Hause, meine Sachen packen und abschließen?“

„Ich kläre das mit der Rezeption. Sie sollen vereinbaren, dass der Wagen Sie in einer Stunde zu Hause abholt.“

„Okay.“

„Warten Sie hier einen Moment.“

„Klar.“

Zach ging zum Empfang, gab den Auftrag und die medizinischen Details, um die Notaufnahme vorab zu unterrichten.

„Alles erledigt“, verkündete er, als er wieder in seinem Sprechzimmer war. „Wenn Sie zu Hause sind, legen Sie bitte das Bein hoch, ja?“

„Mache ich, Doc. Und danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.“

„Keine Ursache. Falls so etwas wieder passiert, warten Sie nicht lange, fahren Sie gleich ins Krankenhaus.“

Mr. Parsons nickte wieder.

„Wann haben Sie die letzten Schmerzmittel genommen?“

„Vor drei Stunden ungefähr.“

„Gut.“ Er verabschiedete seinen Patienten und tippte seine Notizen ein. Möglicherweise musste Mack operiert werden, um das künstliche Kniegelenk zu ersetzen. Es hing davon ab, wie schwerwiegend die Entzündung war, was er zum jetzigen Zeitpunkt nicht einschätzen konnte. Zach fürchtete, dass Mr. Parsons noch einen langen Weg vor sich haben könnte, nur weil er beschlossen hatte, ein paar wuchernde Rosen zu stutzen.

Aber so war das Leben. Plötzlich und unerwartet konnte von einem Moment auf den anderen etwas passieren, das alles Vertraute und Gewohnte über den Haufen warf. Selbst wenn man seit über einem Jahr in einer festen Beziehung lebte und sich sicher fühlte, konnte einem das Schicksal alles verderben …

In der Hoffnung, dass der Rest des Tages ohne besondere Vorkommnisse verlief, wollte Zach den nächsten Patienten aufrufen. Doch in dem Moment blinkte eine Meldung auf seinem Bildschirm auf. Dr. Emery, die neue Kollegin, meldete einen Notfall.

Zach ließ alles stehen und liegen und eilte zu ihrem Sprechzimmer. Wie es aussah, hatten bei der Patientin unerwartet Wehen eingesetzt.

„Was kann ich tun?“, fragte er Stacey.

„Rufen Sie bitte einen Krankenwagen.“

„Ich gebe das an den Empfang weiter.“ Er verließ das Zimmer. „Charlotte? Wir brauchen noch einen Krankenwagen.“

„Zwei an einem Vormittag? Wollen wir einen Rekord aufstellen?“

„Sieht fast so aus! Er ist für Sarah Glazer – auf Dr. Emerys Liste. Sagen Sie ihnen, dass die Entbindung bevorsteht und wir so schnell wie möglich einen Rettungswagen benötigen.“

Zach kehrte ins Staceys Zimmer zurück und sah, dass Daniel sie bereits unterstützte.

„Daniel? Ich übernehme deinen letzten Patienten, damit die Sprechstunde weitergeht.“

Er ging in Daniels Sprechzimmer und erklärte Mrs. Robotham, warum er ihn vertrat. Es schien ihr nichts auszumachen, und so führte er das Kontrollgespräch, das Daniel zu ihrer Lungenerkrankung begonnen hatte, fort. Schließlich ließ er sie versprechen, in einem Jahr wiederzukommen.

„Wir rufen Sie an und verabreden einen Termin.“

„Danke, Dr. Fletcher.“

Auf dem Flur begegnete er kurz darauf Hannah, die zusah, wie Sarah Glazer auf einer Fahrtrage aus Dr. Emerys Zimmer gerollt wurde.

„Hier ist ja was los! Von wegen ruhige kleine Dorfpraxis.“ Sie lächelte.

„Stimmt. Wir mögen klein sein, aber wir bewirken viel!“

Ihr Lächeln zauberte ein Leuchten in ihre Augen, und er ertappte sich dabei, dass er sie anstarrte. Rasch folgte er den Sanitätern nach draußen, um etwas Abstand zu seiner neuen, hinreißenden Fachkrankenschwester zu schaffen.

Als er in die Praxis zurückkam, war Hannah damit beschäftigt, Kaffee und Tee für alle zu machen. „Das haben wir uns verdient“, sagte sie, während alle anderen zur Mittagspause in den kleinen Personalraum kamen, nachdem die Praxistüren geschlossen worden waren.

Zach ging zu ihr, um zu helfen. Ihr zu zeigen, wo die Tabletts lagen. Doch als er sich bückte, um sie aus dem Schrank zu holen, beugte sie sich ebenfalls vor, und sie stießen mit den Köpfen zusammen.

„Au! Sind Sie okay?“

Sie rieb sich den Kopf. „Ich … denke schon.“

Er hingegen … war alles andere als okay!

Zach zeigte auf den Unterschrank. „Die Tabletts sind da drin, an der Seite.“

„Danke.“

„Dann überlasse ich Ihnen das Feld … es sei denn, Sie brauchen Hilfe?“

„Nein, nein, setzen Sie sich ruhig. Ihr Ärzte hattet heute Morgen alle Hände voll zu tun.“

Er lächelte sie an und suchte sich dann einen Stuhl, wo er mit dem Rücken zu ihr sitzen konnte. Diese verwirrenden Gefühle wegen Hannah, das musste aufhören. Er wollte das nicht. Konnte die Ablenkung nicht gebrauchen, wenn er einen klaren Kopf brauchte, um seinen neuen Teammitgliedern an ihren ersten Tagen zur Seite zu stehen.

Hannah folgte ihm und stellte das Tablett mit dampfenden Tee- und Kaffeebechern, Milch, Zucker und einem Teller mit ihren Keksen auf den Tisch. Von den Keksen waren nicht mehr viele übrig geblieben. Wollte er einen probieren und riskieren, auch von ihren Backkünsten verzaubert zu werden?

Ihm fiel auf, wie sie zusammenzuckte und sich wieder das linke Bein rieb, beschloss jedoch, sie nicht darauf anzusprechen. Sie würde es sagen, wenn es ein Problem gab.

Hannah setzte sich auf einen Stuhl gegenüber und nahm sich eine Tasse. Nach dem ersten Schluck seufzte sie wohlig. „Das tut gut.“

„Wie läuft Ihr erster Tag, Hannah?“, fragte Charlotte.

„Gut, danke. Wie ist es am Empfang?“

„Viel zu tun. Aber jetzt, da Sie und Dr. Emery hier sind, können wir mehr Termine anbieten. Wir mussten Patienten abweisen oder sie lange warten lassen, und nicht jeder ist damit einverstanden.“

„Hoffentlich bekommen Sie den Ärger nicht ab!“

„Es gibt immer ein, zwei Unzufriedene, die sich nicht beherrschen können, doch im Grunde sind die Greenbecker verständnisvoll. Außerdem kennen sich hier alle, da macht es schnell die Runde, wenn jemand grob unhöflich ist.“

Hannah nickte lächelnd und nippte an ihrem Tee.

Zach nutzte die Gelegenheit, dass sie nicht an der Küchenzeile beschäftigt war, um seine Lunchbox aus dem Kühlschrank zu holen. Box in der einen, Kaffee in der anderen Hand ging er zurück in sein Sprechzimmer, um dort zu essen.

Er konnte nicht mit ihr in einem Raum sitzen. Er würde sie immerzu ansehen, ihr einen Haufen Fragen stellen wollen. Die arme Frau käme gar nicht zum Essen. Es war ihr erster Tag, natürlich versuchte sie, bei allen einen guten Eindruck zu machen. Da musste er nicht auch noch neugierig sein.

Nein, es war besser, wenn er allein aß. Die anderen kannten das schon. Vor allem, nachdem seine Beziehung mit Milly in die Brüche gegangen war, hatte er sich in den Pausen oft zurückgezogen, um all den Fragen aus dem Weg zu gehen. Zu frisch waren die Wunden, als dass er schon darüber hätte reden können.

Seufzend legte er sein Sandwich hin und griff nach dem Telefon. Die Nummer kannte er auswendig.

„Hallo?“

„Evelyn? Ich bin’s.“

Evelyn McDonald war nicht seine leibliche Mutter, hatte für ihn jedoch den Namen Mum am meisten verdient. Sie war eine der vielen Pflegemütter, bei denen er in Bathgate aufgewachsen war, und die Einzige, zu der er heute noch Kontakt hielt. Mit ihrer freundlichen, beharrlichen Art hatte sie ihn, der als Fünfzehnjähriger unter ihre Fittiche geschoben wurde, ermuntert, zuerst die Schule abzuschließen, bevor er irgendetwas anderes machte.

„Zachary! Wir haben lange nichts voneinander gehört. Wie geht es dir?“

„Nicht schlecht. Ich dachte, ich melde mich mal.“

„Okay. Normalerweise ist etwas los, wenn du anrufst, um dich mal zu melden. Möchtest du darüber reden?“

„Nein. Das heißt …“ Er lehnte sich zurück, fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Heute ist einer dieser Tage, du weißt schon.“

„Wegen Milly?“

Evelyn hatte nie viel von Milly gehalten. Als hätte sie als seine Pflegemum einen sechsten Sinn dafür, dass sie für ihn nicht die Richtige war.

„Nein, nicht wegen Milly.“

„Es gibt jemand anders?“, fragte sie überrascht.

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf, dachte an Hannah.

„Ach, ich dachte schon.“

„Nein. Heute haben zwei neue Mitarbeiterinnen angefangen, und es war ein anstrengender Vormittag, das ist alles.“

„Sind sie nett?“

„Die Neuen? Ja. Eine Ärztin aus Schottland und eine Krankenschwester aus Surrey.“

„Mm-hmm. Beide Single?“

Zach lachte. „Ja, aber du denkst in die falsche Richtung. Die eine ist alleinerziehende Mum und die andere …“ Er konnte sie nicht beschreiben, ohne etwas preiszugeben.

„Verstehe. Hör mal, Zach, du warst eine ganze Weile allein. Niemand würde es dir verdenken, wenn du … wenn dir jemand auffällt.“

„Mir ist niemand aufgefallen!“

„Okay, ich glaube dir. Vielleicht.“ Sie lachte leise. „Aber wenn dir die Krankenschwester gefällt, dann … warum nicht?“

„Wer redet von der Krankenschwester?“

„Du … mit einer beredten Pause.“

„Evelyn, du siehst und hörst mehr, als an der Sache dran ist.“

„Oh, bestimmt nicht. Du kannst es nur noch nicht zugeben.“

Kopfschüttelnd wechselte er das Thema. „Wie geht’s bei euch?“ Er schwieg kurz. „Waren Lachies Blutwerte in Ordnung?“

Ein Seufzer drang durch die Leitung. „Sie lassen ihn bald mit der Chemo weitermachen, also immerhin.“

Bei Zachs Pflegevater Lachie war ein Gehirntumor festgestellt worden, nachdem er über starke Kopfschmerzen und Schwindel geklagt hatte. Die Chemotherapie musste unterbrochen werden, da er wegen einer Infektion im Krankenhaus behandelt werden musste. Zu allem Übel steckte er sich dort mit Clostridium difficile an, einer Darm-Entzündung, die mit Bauchkrämpfen und starkem Durchfall einherging.

„Gut. Und ihr seid okay?“

„Von seinem Zustand abgesehen, ja. Neulich traf ich Mrs. Fincham, und sie lässt dich herzlich grüßen.“

Mrs. Fincham hatte ihn am Gymnasium in den naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtet. „Sie war eine gute Lehrerin.“

„Ja, das war sie.“

„Nun, ich muss Schluss machen. Meine Mittagspause ist gleich zu Ende.“

„Schön, Zach. Pass auf dich auf. Und denk dran – du kannst jederzeit anrufen. Du brauchst nicht auf einen Anlass zu warten.“

„In Ordnung.“

„Und noch etwas … Sei gut zu dir. Du bist es wert.“

Lächelnd gestand er sich wieder einmal ein, wie gut Evelyn ihn kannte. Er selbst war sein größter Kritiker.

Nachdem sie aufgelegt hatten, aß er sein Sandwich auf. Der Kaffee war inzwischen nur noch lauwarm. Er brauchte einen frischen, bevor er in die Nachmittagssprechstunde startete. Also ging er zurück in den Personalraum, der inzwischen wieder leer sein müsste, da alle sich auf den Nachmittag vorbereiteten.

Daher erwartete er nicht, Hannah dort vorzufinden, die sich sichtlich unbeobachtet fühlte. Mit gesenktem Kopf saß sie da, als hätte sie Schmerzen, und rieb sich das linke Bein.

„Hannah?“

Sie riss den Kopf hoch, ihre Wangen röteten sich. Wie um zu verbergen, dass sie sich das Bein rieb, tat sie, als streiche sie sich die Hose glatt. „Oh, ich war in Gedanken.“

„Sie haben Schmerzen.“

„Was? Nein!“ Ihre Miene signalisierte, dass schon der Gedanke lächerlich sei.

Hannah erhob sich, aber als sie ihr linkes Bein belastete, zuckte sie zusammen und atmete scharf ein.

Sofort war er bei ihr. „Was ist?“

„Nichts!“

„Doch. Entweder Sie sagen es mir oder ich muss darauf bestehen, dass Sie sich untersuchen lassen.“

Sie biss sich auf die Lippe. „Von Ihnen?“ Ihre Stimme bebte.

„Das ist eine Möglichkeit. Falls Sie lieber eine Ärztin möchten, wird Dr. Emery bestimmt gern einen Blick darauf werfen.“

Hannah seufzte, schloss kurz die Augen, bevor sie ihn wieder ansah. „Nein. Es ist schlimm genug, dass Sie es wissen müssen. Wie peinlich … und das an meinem ersten Tag.“

„Schmerzen sind nie peinlich. Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.“

„Okay, aber ich möchte nicht, dass sonst noch jemand davon erfährt. Am besten zeige ich es Ihnen …“ Verlegen wandte sie den Blick ab.

„Nur, wenn Sie sicher sind.“

„Bin ich. Aber … nicht hier? Können wir in Ihr Zimmer gehen?“

Verwundert nickte er.

Zach bot ihr seinen Arm an, doch sie lehnte die Hilfe ab. Sie hinkte deutlich. Sobald sie in seinem Sprechzimmer waren, ging sie zur Untersuchungsliege und zog den Vorhang vor.

„Wissen Sie noch, dass ich von einem Unfall gesprochen habe?“, erklang ihre Stimme hinter dem blauen Stoff hervor.

„Ja, Sie hatten einen Zusammenstoß erwähnt.“ Er begann, sich die Hände zu waschen.

„Stimmt. Nun, es war mehr als das.“

„Habe ich mir gedacht.“

Unruhig ging Zach auf und ab. Hatte sie eine Bein-OP gehabt? Mussten Knochen verschraubt werden? Trümmerfrakturen konnten langwierige Heilungsprozesse nach sich ziehen. Vielleicht fehlte ihr ein Muskel? Oder waren Hauttransplantationen nötig gewesen?

Er hörte, wie sie sich hinlegte.

„Ich bin so weit.“

Zach starrte auf den Vorhang, fürchtete fast, ihn beiseitezuziehen. „Okay …“ Er trat vor, schob ihn zur Seite – und versuchte, seine Reaktion auf das, was er nicht erwartet hatte, nicht zu zeigen.

Hannah trug von der Oberschenkelmitte abwärts eine Prothese.

Sie war beinamputiert.

3. KAPITEL

„Ich war in einer Achterbahn, ein neues Fahrgeschäft. Es war erst seit ein paar Monaten geöffnet, und ich wollte es unbedingt ausprobieren. Aber das Bremssystem versagte, und wir krachten in den Wagen vor uns. Meine Beine wurden eingeklemmt.“

Was hätte sie dafür gegeben, diese Geschichte nicht erzählen zu müssen! Manche Menschen änderten ihr Verhalten, wenn sie erfuhren, dass man ihr das Bein amputiert hatte. Sie sahen sie anders an. Oder, wie in einem speziellen Fall, ließen sie fallen wie eine heiße Kartoffel, weil sie nicht länger ins Bild der heißen Verlobten passte, mit der er angegeben hatte.

Zach hingegen wirkte nicht im Mindesten schockiert, was ihr guttat. Er nickte nur. „Haben Sie Phantomschmerzen?“

„Nein, es fühlt sich nur wund an.“ Sie nahm die Prothese ab und stellte fest, dass der Liner, die strumpfähnliche Verbindung zwischen Stumpf und Prothese, umgeknickt war. „Verflixt!“

„Lassen Sie mich mal sehen.“ Zach legte die Prothese auf den Boden und untersuchte die Haut.

Sie versuchte, nicht rot zu werden, weil er ihren Oberschenkel mit den Fingerspitzen berührte. Oder weil er so freundlich und behutsam war. Oder, so nahe bei ihr, wundervoll roch. Wie eine Sommerbrise.

Zach betastete die gerötete Haut. „Keine wunden Stellen, aber die Haut ist gereizt. Ich werde einen Verband auflegen, um sie zu schützen.“

„Das kann ich auch machen.“ Sie wollte nicht hilflos wirken.

„Bleiben Sie, wo Sie sind. Lehnen Sie sich zurück. Ich bekomme nicht oft Gelegenheit, mit Bandagen zu spielen. Warum sollt ihr Krankenschwestern den ganzen Spaß allein haben?“

Er zwinkerte ihr zu und zog Schubladen auf, sah in Schränken nach, kehrte jedoch mit leeren Händen zurück.

„Verbandsmaterial ist in meinem Zimmer“, erklärte sie. „Im Schrank unter dem Waschbecken.“

„Hmm … richtig. Rühren Sie sich nicht vom Fleck, bin gleich wieder da.“

Als er einen Blick zur Uhr warf, tat sie es ihm nach. Sie hatten noch fünf Minuten, bis die Nachmittagssprechstunde begann. Wenn sie ihm zwei Minuten Zeit gab, die richtige Bandage zu finden, eine Minute, um sie anzulegen, und die letzten zwei nutzte, um die Prothese anzuziehen, könnte sie rechtzeitig anfangen. Hannah legte großen Wert auf Pünktlichkeit.

Während sie wartete, schaute sie sich im Zimmer um, entdeckte aber nichts Persönliches. Keine Familienfotos. Nicht von einer Model-Ehefrau, nicht von engelhaften Kindern. Nicht einmal eins vom geliebten Haustier. An den Wänden hingen auch keine gefälligen Kunstdrucke, sondern lediglich Poster mit Hinweisen, wie man auf gute Gesundheit achtete, sowie Infos zu Grippe, Gürtelrose oder Covid-Impfungen.

Zach Fletcher war ein rätselhafter Mann. Oder einer, der sein Privatleben akribisch abschirmte.

Und wenn schon. Er ist nur ein Kollege.

Die Tür ging auf, und da war er wieder, das sympathische breite Lächeln im Gesicht und die Arme voller Verbandsmaterial. „Ich wusste nicht, was am besten ist …“

„Das da.“ Sie zeigte auf eine Packung, erpicht darauf, schnell fertig zu werden. Fühlte sich schutzlos, so wie sie hier saß. Wenn nun jemand hereinkam …?

„Ah ja, danke.“

Der Verband nahm den Druck von der gereizten Haut. „Na, wie ist das?“, fragte Zach, nachdem er ihn angelegt hatte.

„Nicht schlecht. Wir machen noch eine Krankenschwester aus Ihnen.“

Er griff zur Prothese, vergewisserte sich, dass der Liner diesmal keine Falte schlug, und half Hannah, sie zu befestigen.

„Ziehen Sie sich in Ruhe an“, sagte er, bevor er ging und den Vorhang vorzog, um ihr Privatsphäre zu ermöglichen. Dabei hatte er sie ohne Hose gesehen und bestimmt auch ihre Unterwäsche wahrgenommen. Ein schwarzer Slip. Schlicht. Bequem. Nach dem Unfall hatte sie damit aufgehört, sexy Höschen zu tragen. Sie fühlte sich nicht mehr sexy.

Als sie fertig war und vom Bett glitt, prüfte sie, ob das Bein ihr Gewicht trug.

Ja, so war es besser.

Hannah zog den Vorhang beiseite und sah Zach an seinem Schreibtisch sitzen, mit dem Rücken zu ihr.

„Danke, Dr. Fletcher.“

„Gern geschehen. Und nennen Sie mich Zach.“

Nein, sie konnte ihn nicht mit Vornamen ansprechen. Nicht, nachdem er sie so gesehen hatte. Mit und ohne Beinprothese. In vernünftiger Unterhose, wie ihre Mutter sie tragen würde. Er musste Dr. Fletcher bleiben.

„Danke noch mal für Ihre Hilfe. Ich flitze lieber los, die Nachmittagssprechstunde fängt an.“

„Okay.“

„Und Sie versprechen, nichts den anderen zu sagen?“

Er zog einen imaginären Reißverschluss vor seinem Mund zu. „Ärztliche Schweigepflicht.“

Aber sie war nicht seine Patientin. Nicht wirklich. Er hatte einer Kollegin geholfen.

Hannah verließ das Zimmer.

Obwohl er am Nachmittag gut beschäftigt war, musste Zach immer wieder an Hannah denken und daran, was sie hatte durchmachen müssen.

Der Unfall hatte schreckliche Folgen für sie. Lebensverändernde Folgen. Und trotz allem...

Autor

Louisa Heaton
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Charlotte Hawkes
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Janice Lynn
Janice Lynn hat einen Master in Krankenpflege von der Vanderbilt Universität und arbeitet in einer Familienpraxis. Sie lebt mit ihrem Ehemann, ihren 4 Kindern, einem Jack-Russell-Terrier und jeder Menge namenloser Wollmäuse zusammen, die von Anbeginn ihrer Autorenkarriere bei ihr eingezogen sind.
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