Julia Best of Band 273

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GLUT IN SAMTBRAUNEN AUGEN

Ein gut aussehender Bräutigam, eine herrlich gelegene Luxusvilla in der Toskana und ein Vermögen, das sie nach ihrer Hochzeit mit Cesare erhält: Das klingt wie ein Traum – trotzdem ist Vanessa todunglücklich. Sobald Cesare ihr Geheimnis kennt, wird die Glut in seinen samtbraunen Augen endgültig erlöschen …

SO WEIT WIE DER OZEAN

Beim Schnorchelurlaub in Brasilien will Amelia sich ihrer Angst vor dem Ozean stellen – und begegnet dem geheimnisvollen Ethan. Sie spürt, dass auch sie den verwegenen Tauchlehrer fasziniert. Doch nach einer wundervollen Nacht unter Palmen weist er sie kühl zurück …

DER SCHÖNE FREMDE SPANIER

Auf der malerischen Insel Ibiza steht Allison eine aufregende Begegnung bevor: mit ihrem Vater, einem berühmten Schauspieler, den sie noch nie gesehen hat. Aber wieso erscheint überraschend der geheimnisvolle Sebastián López zu ihrem Treffen? Ist er wirklich der Manager ihres Vaters?


  • Erscheinungstag 23.12.2023
  • Bandnummer 273
  • ISBN / Artikelnummer 0812230273
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

PENNY ROBERTS

JULIA BEST OF BAND 273

PROLOG

Rache war alles, woran er denken konnte.

Obwohl Cesare Sanguetti gerade erst seinen siebzehnten Geburtstag erlebt hatte, wirkte er wie ein Mann Mitte zwanzig. Das lag vor allem an seiner Größe und der muskulösen Statur, aber auch an seinen dunklen Augen, die eine tiefe Ernsthaftigkeit sowie die Lebenserfahrung eines längst erwachsenen Mannes ausstrahlten.

Heute jedoch funkelten sie vor Zorn.

Ohne auf den überraschten Protest der Sekretärin zu achten, stürmte er durch das gediegen eingerichtete Vorzimmer der Firmenleitung von Fatto in CaSa und stieß die große zweiflügelige Tür auf, die sich am Ende des schlauchförmigen Raumes befand.

Hinter dem wuchtigen Schreibtisch aus edlem Mahagoniholz sitzend, wirkte Charles Carlisle klein, ja fast ein wenig verloren. Doch Cesare wusste, wie sehr dieser Eindruck täuschte. Carlisle war ein verschlagener, mit allen Wassern gewaschener Mann, und man tat besser daran, ihn nicht zu unterschätzen.

Jetzt blickte er seinen unangemeldeten Besucher mit einem Ausdruck milden Erstaunens an. „Sí?“

In diesem Moment folgte ihm die Sekretärin aufgeregt in das Zimmer. Mit einem angstvollen Blick auf ihren Chef hob sie die Hände. „Es tut mir leid, Signore, aber ich konnte ihn nicht aufhalten. Ich …“

Carlisle winkte ab. „Schon gut, Lauredana. Lassen Sie mich mit meinem Gast allein.“

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, erhob sich Cesares Widersacher von seinem Platz und trat um den Schreibtisch herum.

Er war allenfalls durchschnittlich groß, seine Statur hager und das mit Grau durchsetzte Haar schütter und dünn, doch ihn umgab eine Aura der Bedrohlichkeit, die schon ganz andere Männer davon abgehalten hatte, sich auf eine Konfrontation mit ihm einzulassen.

Herablassend blickte er Cesare an. „Nun, was kann ich für Sie tun?“

Cesare beschloss, direkt zur Sache zu kommen. Er straffte die Schultern. „Geben Sie meinem Vater das zurück, was ihm rechtmäßig zusteht!“, verlangte er.

„Ihrem Vater?“ Ein dünnes Lächeln umspielte Charles Carlisles schmale Lippen. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“

„Jetzt tun Sie doch nicht so! Mein Vater hat im Schweiße seines Angesichts zusammen mit Ihnen diese Firma aufgebaut. Er hat die ganze Arbeit gemacht, während Sie hier oben in Ihrem eleganten Büro thronten. Ohne ihn wären Sie gar nichts! Und als Dank haben Sie ihm alles genommen, was er besaß. Sie sind ein Betrüger!“

„So? Ich bin also ein Betrüger?“ Carlisle lachte. Dann wurde er schlagartig ernst, und seine eisblauen Augen glitzerten kalt. „Sie sollten sich hüten, Behauptungen in die Welt zu setzen, für die Sie keinerlei Beweise besitzen, junger Mann. So etwas könnte Sie teuer zu stehen kommen. Im Übrigen ist das eine Sache zwischen mir und Ihrem Vater. Wenn er also etwas von mir will, soll er selbst zu mir kommen und nicht seinen Sohn vorschicken! Allerdings wird er sich dazu nach London bemühen müssen. Ich gedenke nämlich, die Geschäfte der Firma in Zukunft von dort aus zu leiten.“

„Aber das kann er nicht.“

„Ach, und warum?“

Cesare atmete tief durch. Es kostete ihn Mühe, sein Temperament im Zaum zu halten. Die kühle Herablassung seines Gegenübers brachte ihn fast um den Verstand. „Mein Vater liegt im Krankenhaus. Er hatte einen Herzanfall. Die Ärzte können nicht sagen, ob er durchkommt.“

Carlisles Miene blieb vollkommen ausdruckslos. „Nun, der gute Paolo war schon immer ein schwacher Mann. Er hätte sich nicht so viel zumuten sollen. Es tut mir leid, aber das Geschäftsleben lässt nun mal keinen Platz für Gefühle, mein Junge.“

Mit einem wütenden Aufschrei wollte Cesare sich auf sein Gegenüber stürzen, doch im letzten Moment besann er sich. Schlagartig wurde ihm klar, dass es nichts bringen würde, die Hände, die er zu Fäusten geballt hatte, gegen Carlisle einzusetzen. Mit körperlicher Kraft war diesem Mann nicht beizukommen. Aber das bedeutete nicht, dass er nicht kämpfen würde. „Ich bin nicht Ihr Junge!“

Er wirbelte herum und wollte schon aus dem Raum stürmen. Doch an der Tür drehte er sich noch einmal zu Charles Carlisle um.

„Eines Tages wird mein Vater sich diese Firma zurückholen und Ihnen das, was Sie ihm angetan haben, heimzahlen, das schwöre ich.“ Und wenn er es nicht mehr kann, werde ich es für ihn tun!

1. KAPITEL

Achtzehn Jahre später …

Ihr sollt euch lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet.

Dieser Satz klang höhnisch in Vanessa Carlisles Ohren, als sie in den Kirchgang trat. Ihr Herz klopfte heftig, und sie schluckte. Die meisten der anwesenden Gäste, die sie jetzt voller Neugier musterten, kannte sie nicht. Sie umklammerte den Blumenstrauß in ihren Händen so fest, als wäre er ein Rettungsring, der sie aus diesem Wahnsinn befreien könnte.

Doch es gab kein Zurück mehr.

Nicht für sie.

Wie von selbst setzte sie einen Fuß vor den anderen und trat vor den Pfarrer, der sofort mit der Zeremonie begann. Alles zog wie ein Nebel an ihr vorüber. Sie sah, dass die Lippen des Geistlichen sich bewegten, doch sie konnte seine Worte nicht hören, obwohl er direkt vor ihr stand. Erst als er sie erwartungsvoll anblickte, wusste sie, dass der Moment der Wahrheit gekommen war.

„Willst du, Vanessa Carlisle, mit diesem Mann in den heiligen Stand der Ehe treten?“, wiederholte er geduldig. „Versprichst du ihm die Treue in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, heute und für alle Zeit? Dann antworte mit Ja.“

Nein! Nein! Niemals! schrie alles in ihr. Sie wollte herumwirbeln, davonlaufen und der düsteren Zukunft, die ihr bevorstand, entfliehen – doch sie tat nichts dergleichen.

„Ja“, erwiderte sie stattdessen laut und vernehmlich, und im nächsten Moment …

Leise keuchend schlug Vanessa die Augen auf und strich sich die rotblonden Locken aus dem Gesicht.

Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, doch dann erinnerte sie sich, dass sie sich nicht mehr zu Hause in England, sondern in Italien befand. Und die schwarze Limousine, die sie vor etwas mehr als einer Stunde vom Bahnhof in Pisa abgeholt hatte, brachte sie auf direktem Weg in das kleine toskanische Dorf Fornaci – zum Anwesen des Mannes, der zugleich ihre einzige Hoffnung und ihr schwärzestes Verderben bedeutete.

Cesare Sanguetti.

Tief atmete sie durch. Wie hatte sie bloß einschlafen können? Wo sie doch schon seit geraumer Zeit kaum mehr ein Auge zubekam. Genauer gesagt seit dem Tag, an dem ihr Onkel sie gezwungen hatte, bei diesem Wahnsinn mitzumachen.

Sie schüttelte den Kopf. Hinter ihr lag eine anstrengende Reise, sodass es kaum verwunderte, dass sie kurz eingenickt war. Eines stand jedenfalls fest: Sie wäre jetzt gern überall auf der Welt. Egal wo. Nur nicht hier.

„Wir sind gleich da“, riss der Fahrer der Limousine, ein freundlicher älterer Italiener namens Luigi, sie aus ihren Gedanken. „Sehen Sie das große Gebäude dort oben auf dem Hügel?“

Angestrengt blickte sie nach draußen. Sie hatte das Fenster im Heck des Wagens ganz heruntergelassen, doch trotz des Fahrtwindes, der ihr ins Gesicht wehte, spürte sie, wie sich Schweißperlen auf ihrer Stirn sammelten. So war es seit sieben Jahren immer bei ihr, wenn sie sich in engen Räumen oder in der Nähe von freien Gewässern aufhielt. Es war schon etwas besser geworden im Laufe der Zeit, doch das latente Gefühl von Unbehagen war sie nicht mehr losgeworden seit jenem verhängnisvollen Ereignis.

Sie atmete tief durch. Das gehörte jetzt nicht hierher.

Es war nicht weiter schwer, das Anwesen auszumachen, von dem Cesares Fahrer gesprochen hatte. Es war groß, sehr viel größer als alle anderen Gebäude, an denen sie während der Fahrt vorbeigekommen waren, und die Fassade schimmerte weiß wie eine Perle im Sonnenschein.

Seufzend lehnte Vanessa sich zurück. Ihr Herz klopfte wie verrückt, wenn sie daran dachte, dass es jetzt jeden Moment so weit sein würde.

Um sich abzulenken beobachtete sie die Landschaft, die an ihrem Fenster vorüberzog. Leuchtend rote Mohnfelder wechselten sich ab mit sanften Hängen, an denen wilder Wein und Oliven wuchsen. Hohe Zypressen säumten die Straße zu beiden Seiten. Ein würziger Duft erfüllte die Luft.

Dieser Duft … Vanessa war in ihrem Leben nur ein einziges Mal in Italien gewesen, aber diesen Duft hatte sie nie vergessen können. Er löste ein Gefühl der Wärme in ihr aus, das sie kaum beschreiben konnte. Auch jetzt wieder – trotz der dunklen Schatten, die über ihrer Reise lagen. Nun, von jetzt an würde sie ihn jeden Tag wahrnehmen können. Aber um welchen Preis!

Sie konnte immer noch nicht glauben, dass ihr Onkel es wirklich ernst meinte. Was er von ihr verlangte, war geradezu unmenschlich. Sie sollte Cesare Sanguetti heiraten. Einen Mann, den sie kaum kannte und trotzdem mehr hasste als jeden anderen Menschen auf der Welt.

Wie immer, wenn sie daran dachte, traten ihr Tränen der Verzweiflung in die Augen, doch sie kämpfte sie tapfer nieder.

Auch Onkel Charles hasste Sanguetti, aber das hielt ihn nicht davon ab, sie diesem schrecklichen Menschen zu überlassen. Für ihn war es die Gelegenheit, ultimativ Rache zu üben für das, was in der Vergangenheit geschehen war. Dass er sie damit zum Werkzeug seiner infamen Pläne machte, interessierte ihn dabei nicht.

Und was sie selbst betraf, so blieb ihr kaum eine andere Wahl, als sich auf den Handel mit Charles einzulassen.

Wieder spürte sie, wie die kalte Wut in ihr aufstieg. Sie konnte einfach nicht begreifen, wie ihr Onkel es über sich bringen konnte, der Tochter seines eigenen Bruders etwas derart Abscheuliches anzutun. Besaß dieser Mann denn überhaupt kein Schamgefühl?

Aber wieso stellte sie sich diese Frage überhaupt noch? Sie brauchte doch nur daran zu denken, wie er sich seit dem verhängnisvollen Unfall vor sieben Jahren verhalten hatte. Ihr Schicksal war ihm vollkommen gleichgültig gewesen.

Vanessa atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Es brachte nichts, immer und immer wieder über alles nachzudenken. Sie hatte zugesagt, bei dieser Sache mitzumachen, und nun gab es kein Zurück mehr.

In zwei Tagen schon würde sie eine verheiratete Frau sein – und es für den Rest ihres Lebens bleiben.

In diesem Augenblick bog die Limousine von der staubigen Landstraße ab und fuhr einen gewundenen Privatweg entlang, der die Anhöhe hinauf bis zum Haus hinaufführte. Leuchtend gelber Ginster, roter Oleander und wilder Rosmarin blühten am Wegesrand. Farbenfrohe Schmetterlinge flatterten von Blüte zu Blüte.

Es war ein Bild voller Frieden und Schönheit, doch genießen konnte Vanessa es nicht.

Als der Wagen auf der mit Kies bestreuten Auffahrt vor dem Gebäude hielt, hatte sie für einen Moment das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, so sehr fürchtete sie sich vor dem, was nun unweigerlich folgen musste.

Noch einmal atmete sie tief durch, dann nahm sie ihre Handtasche und streckte die Hand zum Türgriff aus.

Zu ihrem Entsetzen ließ sich die Wagentür nicht öffnen.

Vanessa hielt den Atem an. Schon spürte sie, wie Panik sie erfasste. Ihr Herz fing an wie verrückt zu hämmern, und ihre Kehle wurde so eng, dass sie kaum noch Luft bekam.

Verzweifelt rutschte sie über den glatten Lederbezug der Rückbank und versuchte es auf der anderen Seite, doch auch hier rührte sich die Tür keinen Millimeter, so sehr sie auch rüttelte und zerrte.

Das Fenster!

Halb blind vor Tränen spielte sie in ihrer Verzweiflung schon mit dem Gedanken, durch das offene Wagenfenster zu klettern, als die Tür sich schließlich doch noch öffnen ließ und nach außen aufschwang.

Erleichtert atmete Vanessa auf. Einen Moment lang fühlte sie sich unfähig, auch nur den kleinen Finger zu rühren. Nur langsam beruhigte sich ihr Atem wieder.

„Darf ich bitten, Signorina?“ Luigi erschien vor der offenen Limousinentür und lächelte ihr zu, doch dann bemerkte er, in welch aufgelöstem Zustand sie sich befand, und runzelte besorgt die Stirn. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Stimmt etwas nicht?“

„Die Türen!“, stieß sie, noch immer ein wenig atemlos, aus. „Sie gingen nicht sofort auf!“

„Ganz recht.“ Der Italiener nickte. „Die hinteren Türen lassen sich aus Sicherheitsgründen erst öffnen, wenn ich sie von der Fahrerkabine aus freigebe. Signor Sanguetti ist ein sehr vermögender und erfolgreicher Mann, Sie verstehen? Hätte ich gewusst, dass Sie sich deshalb Sorgen machen würden …“

Vanessa schüttelte den Kopf. Plötzlich kam sie sich mehr als dumm vor. Aber Luigi kannte ja den Grund für ihr Verhalten nicht. Woher sollte er wissen, unter welchen Ängsten sie seit jenem Abend vor sieben Jahren litt? Ängsten, die den schon Flug hierher zu einer reinen Tortur für sie gemacht hatten. Doch da die Alternative in einer Fahrt über den Ärmelkanal mit der Fähre sowie einer darauffolgenden nahezu vierundzwanzig Stunden dauernden Zugfahrt bestanden hätte, war ihr keine andere Wahl geblieben.

„Sie brauchen sich wirklich nicht zu entschuldigen“, sagte sie rasch. „Es ist nicht Ihre Schuld.“ Sie lächelte ihm zu und stieg aus dem Wagen. Als ihr Blick auf den Eingang der prachtvollen Villa fiel, zuckte sie unwillkürlich zusammen.

Hier wohnte er also. Cesare Sanguetti. Der Mann, den sie in zwei Tagen heiraten würde.

Der Mann, der ihre Eltern auf dem Gewissen hatte.

Wenn Blicke töten könnten, hätte Cesare Sanguetti in diesem Moment einen Mord begangen.

Ihm gegenüber, auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer, saß der Mann, dem er vor achtzehn Jahren zum letzten Mal persönlich begegnet war.

Charles Carlisle.

Cesare hielt den Atem an. Es kam ihm vor wie gestern, als er wutentbrannt aus Carlisles Büro gestürmt war und ihm geschworen hatte, ihn eines Tages für seine Taten bezahlen zu lassen. Nun war der Tag der Abrechnung endlich gekommen – jedoch vollkommen anders, als er es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

Unwillkürlich dachte er an den Tag vor zwei Monaten, an dem Carlisle ihm ein Angebot gemacht hatte, das er einfach nicht ablehnen konnte. Ein Angebot, das im höchsten Maße unmoralisch war – ihm gleichzeitig jedoch endlich das zurückgeben würde, das rechtmäßig seiner Familie gehörte: Fatto in CaSa, die Firma, die sein Vater einst zusammen mit Charles Carlisle aufgebaut hatte.

Paolo Sanguetti hatte seine besten Jahre investiert, um die Firma zu einem Erfolg zu machen. Doch als es dann endlich geschafft war und sich das ehemals kleine Unternehmen ganz oben befand, war er von seinem Partner durch Lug und Betrug ausgebootet worden. Durch eine versteckte Klausel im Vertrag, der die Besitzverhältnisse regelte, hatte er von einem Tag auf den anderen alles verloren. Nie würde Cesare jenen schrecklichen Abend vergessen, an dem sein Vater als gebrochener Mann heimgekommen war. Dass er trotzdem einige Jahre später versuchte, sich mit der Familie seines ehemaligen Geschäftspartners auszusöhnen, hatte Cesare nicht verstehen können. Es war zu einem schlimmen Streit gekommen, der …

Cesare schüttelte den Kopf. Er durfte jetzt nicht zu sehr in die Vergangenheit eintauchen. Die Gegenwart war alles, was im Augenblick zählte. Nachdem er vor acht Wochen Carlisles Angebot bekommen hatte, war die gesamte Kommunikation über die Anwälte der Männer abgelaufen, bis Carlisle vor gut einer halben Stunde schließlich hier in der Villa eingetroffen war.

„Und was, wenn sie gar nicht kommt?“ Cesare gab sich keine Mühe, die Skepsis, die in seiner Stimme lag, zu unterdrücken. „Jede halbwegs vernünftige Frau würde es sich mehr als ein Mal überlegen, einen Mann zu heiraten, den sie nicht kennt – und dann wahrscheinlich im entscheidenden Augenblick einen Rückzieher machen.“

„Vanessa wird keinen Rückzieher machen“, erwiderte Carlisle ungerührt. Seine Miene war ebenso ausdruckslos wie seine Augen. „Meine Nichte wird Sie heiraten, und dann erhalten Sie endlich das zurück, was Sie sich schon so lange wünschen.“

„Ich wünsche nicht, ich fordere!“ Cesare schlug mit der zur Faust geballten Rechten so fest auf den Tisch, dass das Wasser in der Kristallkaraffe vor ihm Wellen schlug. „Diese Firma hat mein Vater im Schweiße seines Angesichts mit aufgebaut, und Sie haben ihm alles genommen, was er besaß, Carlisle! Ihretwegen erlitt er einen Herzanfall, und Ihretwegen …“ Er schluckte. „Ich fordere nur das zurück, was meiner Familie rechtmäßig zusteht.“

„Und genau das bekommen Sie jetzt. Damit sollte doch alles in bester Ordnung sein. Sie haben gesiegt, Sanguetti. Zufrieden?“

Cesare musterte sein Gegenüber mit durchdringendem Blick. „Zufrieden?“ Er schüttelte den Kopf. „Wie sollte ich zufrieden sein? Schließlich weiß jeder, in welch desolatem Zustand Fatto in CaSa sich befindet. Sie haben das Unternehmen meines Vaters in den Ruin gewirtschaftet. Und jetzt, da Sie keinen anderen Ausweg wissen, wollen Sie verkaufen. Aber wieso ausgerechnet an mich?“

„Weil Sie keineswegs mein Feind sind, Sanguetti. Sie sind es, der mir einst Rache geschworen hat, nicht umgekehrt. Ich will die Firma also nicht nur für zugegebenermaßen mehr Geld, als sie augenblicklich wert ist, verkaufen, ich will auch diese unsägliche Fehde, die schon seit so vielen Jahren zwischen unseren Familien herrscht, endlich beenden. Mussten denn nicht schon genug Menschen deswegen sterben?“

Kurz schloss Cesare die Augen. Er wusste genau, was Carlisle meinte. Sieben Jahre waren nun seit der Katastrophe vergangen. Einer Katastrophe, die letztendlich auch seinen Vater das Leben gekostet hatte, wenn auch indirekt.

Kalte Wut stieg in ihm auf, als er daran dachte. Aber jetzt war weder der passende Ort noch der rechte Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.

„Und warum verlangen Sie für die Rückgabe der Firma im Gegenzug von mir, dass ich Ihre Nichte heirate?“, wollte er wissen. „Hat sie es wirklich nötig, sich auf eine arrangierte Hochzeit einzulassen? Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter!“

„Mir ist sehr wohl bewusst, in welchem Jahrhundert wir leben.“ Carlisle hob die Schultern. „Aber was soll ich sagen? Ich bin ein praktisch veranlagter Mensch. Und durch diese Hochzeit sorge ich dafür, dass auch die Zukunft meiner Nichte abgesichert ist, nichts weiter. Vanessa hat außer mir niemanden mehr, der sich um sie kümmert. Ihre Eltern und ihre Schwester sind tot. Und ich bin ein alter Mann, der die besten Jahre seines Lebens längst hinter sich hat. Wer weiß schon, wie lange ich noch für meine Nichte sorgen kann? Nebenbei bemerkt wird es ihr nicht schaden, an Ihrer Seite zu leben. Ich will nichts beschönigen, Sanguetti: Vanessa ist ein verwöhntes Mädchen. Sie ist ein Jetsetgirl, lebt in den Tag hinein, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wo das Geld für ihren ausschweifenden Lebensstil eigentlich herkommt. Aber das werden Sie ihr sicher über kurz oder lang austreiben, nicht wahr? Alles andere würde schließlich dem Ansehen des mächtigen Cesare Sanguetti schaden …“ Er machte eine alles umfassende Handbewegung. „Im Grunde ist es also ganz einfach: Sie bezahlen mir die vereinbarte Summe und heiraten meine Nichte, die wiederum ebenfalls eine gewisse Entlohnung dafür von Ihnen erhält, und die Firma, die Ihr Vater zusammen mit mir aufgebaut hat, gehört wieder Ihrer Familie. Damit Sie sich nicht einfach aus Ihrer Verantwortung stehlen, ist eine Trennung erst möglich, wenn Vanessa und Sie ein gemeinsames Kind gezeugt haben, einen Erben, der unsere Familien für alle Zeiten miteinander verbindet. Sollten Sie sich daran nicht halten, fällt die Firma automatisch wieder in meinen Besitz zurück. Dass sich Fatto in CaSa in keinem guten Zustand mehr befindet, habe ich nie verschwiegen. In gewisser Weise sind Sie sogar selbst schuld daran: Immerhin haben Sie all die Jahre über keinen Versuch ausgelassen, mir das Leben zur Hölle zu machen. Jede noch so kleine Gelegenheit haben Sie wahrgenommen, mich zu bekämpfen.“

„Und das aus gutem Grund!“, erwiderte Cesare zornig. Er dachte zurück an jenen Tag, als er im Alter von gerade einmal siebzehn Jahren in Carlisles Büro gestürmt war und ihm geschworen hatte, die Firma wieder in den Besitz seiner Familie zu bringen. Von da an hatte er nichts unversucht gelassen, seinen Schwur einzulösen. Doch das war gar nicht so einfach gewesen: Nachdem sein Vater alles verloren hatte, stand die Familie vor dem Nichts. Aus gesundheitlichen Gründen zog Paolo Sanguetti sich vollkommen aus dem Geschäftsleben zurück, und es war an Cesare gewesen, sich nach oben zu kämpfen. Denn eines hatte er von Anfang an gewusst: Als kleiner Mann würde er Carlisle nie die Stirn bieten können.

Inzwischen hatte er sich ein Imperium aufgebaut und gehörte zu den mächtigsten Männern Italiens – und bald schon würde auch endlich die Firma in seinen Besitz übergehen, die sein Vater einst erfolgreich gemacht hatte.

Carlisle winkte ab. „Lassen wir das, Sanguetti. Wir sind uns doch noch einig?“

, das sind wir!“ Cesare stand auf und ging zum Fenster hinüber. Schweigend blickte er einen Moment nach draußen. Als Carlisle zum ersten Mal mit seinem Vorschlag an ihn herangetreten war, hatte er zunächst an einen schlechten Scherz geglaubt. Doch dann war ihm klar geworden, dass der Mann es ernst meinte, und hatte zugesagt. Inzwischen waren sämtliche Vorbereitungen erledigt, und die Hochzeit würde bereits in zwei Tagen stattfinden.

Natürlich war Cesare sich darüber im Klaren, dass die meisten Menschen ein solches Abkommen in höchstem Maße verurteilen würden. Aber wenn es ihm dabei half, die Firma, die sein Vater mit aufgebaut hatte, zurückzugewinnen, dann kannte er keine Skrupel. Im Grunde kam ihm dieses Arrangement sogar gelegen. Eine Frau zu heiraten, für die er nichts empfand, stellte für ihn kein Problem dar. An Liebe hatte er ohnehin noch nie geglaubt. In seinen Augen war das nur ein Wort, das viel zu oft gesagt wurde. Wenn überhaupt, dann fanden nur sehr wenige Menschen die wahre Liebe, und er selbst gab sich diesbezüglich keinerlei Illusionen hin. Aus diesem Grund hatte er bisher auch lediglich lockere Affären gehabt. Er dachte an die sexy Modedesignerin, mit der er vor ein paar Wochen einige Nächte verbracht hatte, und auch an die attraktive Brünette aus Florenz, die zuvor hin und wieder an seiner Seite gesehen worden war. Beide würde er in absehbarer Zeit völlig vergessen haben, das war immer so. In dieser Hinsicht kam ihm dieses Arrangement also durchaus zugute: Denn auch wenn eine Heirat aus Liebe für ihn nie infrage gekommen war, so wünschte er sich schon seit Langem Kinder. Kinder, die eines Tages sein Werk weiterführten und dafür sorgten, dass der Name Sanguetti nicht ausstarb.

Falls Carlisle davon ausgeht, dass ich keine Kinder will und die Bindung zu seiner Nichte daher für alle Zeiten bestehen würde, so hat der alte Mann sich getäuscht, dachte Cesare.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sein Blick auf den Vorplatz der Villa fiel. Unten in der Auffahrt sah er, dass die Limousine, die er geschickt hatte, um Vanessa Carlisle vom Flughafen abzuholen, inzwischen eingetroffen war.

Sein Fahrer sprach gerade mit jemandem, den Cesare nicht sehen konnte. Dann trat Luigi einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf eine junge Frau frei, deren Anmut ihm beinahe den Atem raubte.

Dichtes rotgoldenes Haar umrahmte ein Gesicht von vollendeter Schönheit. Ihre Figur war für seine Begriffe perfekt, mit sanft geschwungenen Kurven genau an den richtigen Stellen. Dass sie sich ihrer verlockenden Wirkung durchaus bewusst war, bezweifelte Cesare nicht eine Sekunde, denn das Kleid, das sie trug, war ein zu Stoff gewordener Männertraum. Es umschmeichelte sie wie ein Liebhaber und …

Cesare riss seinen Blick von ihr los. Narr! schalt er sich selbst. Diese Frau mag äußerlich eine Schönheit sein, aber du solltest nicht vergessen, dass sie bereit ist, sich selbst zu verkaufen.

„Warum ist Ihre Nichte eigentlich nicht mit Ihnen zusammen aus England angereist?“, fragte er, während er beobachtete, wie die Frau, die in zwei Tagen seinen Nachnamen tragen würde, auf den Eingang der Villa zuging. Kurz darauf verschwand sie aus seinem Blickfeld.

„Ich hatte noch einige Dinge in Neapel zu erledigen“, erklärte Carlisle knapp.

„Nun, wie dem auch sei.“ Cesare wandte sich vom Fenster ab und seinem Besucher zu. „Sie ist eingetroffen. Ich nehme an, Sie möchten sie gleich begrüßen?“

„Nicht nötig.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich denke, es ist das Beste, wenn Sie sich selbst miteinander bekannt machen. Ich wäre dankbar, wenn ich mich irgendwo frisch machen könnte. Die Fahrt von Neapel hierher war anstrengend, und in wenigen Stunden geht bereits mein Heimflug nach England, den ich …“

„Sie reisen heute schon ab?“ Cesare stutzte. „Wollen Sie denn bei der Hochzeit nicht dabei sein?“

Carlisle lachte. „Aber, aber, mein Lieber, warum sollte ich? Unser kleines Abkommen ist doch unter Dach und Fach, und dass die Hochzeit tatsächlich stattgefunden hat, werde ich zweifellos über meine Anwälte erfahren.“

Cesare verharrte, als er das Funkeln in Carlisles Augen bemerkte. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, dass der alte Mann wirklich nur aus den vorgegebenen Beweggründen handelte.

Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. „Sí?“

Die Tür öffnete sich, und Giovanna, seine Haushälterin, trat ein. „Scusi, Signor Sanguetti, Luigi ist soeben vorgefahren. Zusammen mit Ihrem Gast. Soll ich Signorina Carlisle zu Ihnen hoch schicken?“

Cesare schüttelte den Kopf. „No, Giovanna, sie soll im Park auf mich warten. Ich habe noch ein wichtiges Telefonat zu erledigen und werde dann kommen. Seien Sie doch bitte so gut und zeigen Mr. Carlisle einstweilen, wo er sich frisch machen kann.“

„Naturalmente.“ Giovanna nickte. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Signor Carlisle?“

Der alte Mann deutete ein knappes Nicken an, dann stand er auf und verließ den Raum.

Nachdenklich sah Cesare ihm nach. Er fragte sich, warum Carlisle es so eilig hatte, zurück nach England zu kommen. Irgendetwas führte er im Schilde – bloß was?

Habe ich mich vielleicht doch zu voreilig auf seinen Vorschlag eingelassen? fragte er sich.

Entschieden schüttelte er den Kopf. Nein, gewiss nicht. An seinem Entschluss, Vanessa Carlisle zu heiraten, würde sich nichts ändern. Und wenn ihr Onkel tatsächlich nicht mit offenen Karten spielte, so spornte ihn dies nur noch mehr an.

Denn eines stand für Cesare fest: Er würde nicht eher ruhen, bis er herausgefunden hatte, was der alte Mann vorhatte.

2. KAPITEL

So sieht also mein neues Zuhause aus.

Als Vanessa vorhin die Empfangshalle betreten hatte, während Luigi sich um ihr Gepäck kümmerte, war sie für einen Augenblick vor Ehrfurcht wie erstarrt gewesen. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie solchen Luxus, solch unglaublichen Prunk gesehen. Der Fußboden bestand aus feinstem, strahlend weißem Marmor, ebenso wie die breite Treppe, die hinauf ins Obergeschoss der Villa führte. Eine Galerie umgab die Halle etwa auf halber Höhe, getragen von Säulen, die über stuckgeschmückte Rundbögen miteinander verbunden waren.

Die Einrichtung war – das erkannte Vanessa gleich, obwohl sie sich nicht gerade als Kennerin auf dem Gebiet bezeichnen durfte – durchweg alt, kostbar und wahrscheinlich unbezahlbar. Dunkles Holz mit aufwändigen Einlegearbeiten dominierte, und sie trat näher, um die feinen Schnitzarbeiten zu bewundern. Dabei fiel ihr ein kleines Mädchen von etwa fünf Jahren auf, das zwischen einem wuchtigen Sekretär und der Wand auf dem Boden hockte. Sofort kam Vanessa ihre Nichte in den Sinn, und sie spürte einen Stich im Herzen, als sie daran dachte, was für eine Zukunft Grace bevorstünde, wenn die geplante Hochzeit nicht stattfände.

Die Kleine erblickte sie und schaute sie aus großen dunklen Augen an, sagte jedoch kein Wort.

„Ciao Bella.“ Vanessa schenkte dem Mädchen ein besonders freundliches Lächeln, denn sie spürte, dass es Angst hatte. „Du brauchst dich nicht zu fürchten, ich tue dir ganz gewiss nichts. Ich …“

„Scusi, Signorina“, sprach sie plötzlich jemand von hinten an. In dem Moment, in dem sie sich umdrehte, sah sie aus den Augenwinkeln, wie die Kleine aufsprang und so eilig davonlief, als sei der Teufel persönlich hinter ihr her.

Fragend sah Vanessa die ältere Frau an, deren von grauen Strähnen durchwirktes Haar zu einem festen Knoten zusammengefasst war. „Was hat sie denn? Es ist doch alles in Ordnung mit ihr?“

Die Frau seufzte lächelnd. „Ihr Name ist Felicia, sie ist meine Enkelin“, erklärte sie, ohne auf die ihr gestellte Frage einzugehen. „Sie müssen Signorina Carlisle sein. Ich bin Giovanna, Signor Sanguettis Haushälterin. Er hat mich angewiesen, Sie in den Garten hinauszuführen. Er bittet Sie, dort ein paar Minuten auf ihn zu warten. Er wird so bald wie möglich zu Ihnen kommen, um Sie zu begrüßen.“

„Ist mein Onkel denn auch bereits da?“

, das ist er. Er macht sich allerdings noch etwas frisch und wird dann später nach draußen kommen.“

Vanessa nickte. Was für ein merkwürdiger Empfang, dachte sie. Von ihrem Onkel hatte sie nichts anderes erwartet, aber irgendwie war sie davon ausgegangen, dass der Mann, den zu heiraten sie sich verpflichtet hatte, zumindest ein geringes Interesse daran hegte, seine zukünftige Braut so schnell wie möglich kennenzulernen.

Stattdessen ließ er sie warten.

Sie folgte Giovanna durch einen ebenfalls sehr luxuriös eingerichteten Salon, der zu einer offenen Terrasse führte, über die man in den Garten gelangte. Allerdings war Garten eindeutig der falsche Ausdruck, wie sie nun feststellte. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie vielmehr an eine kleine Parkanlage denken.

Und wie schön es hier war!

Sanft geschwungene, mit saftig grünem Gras bewachsene Hügel umgaben das Anwesen. Hohe Zypressen, immergrüne Eichen und knorrige Ölbäume, die Schatten spendeten. Und überall blühte es in den prächtigsten Farben des Regenbogens: Gelbe Rosen und pinkfarbene Azaleen konkurrierten in ihrer Pracht mit lila Lavendel und leuchtend rotem Hibiskus. Und über allem spannte sich der azurblaue Himmel, den nicht ein einziges Wölkchen trübte.

Vanessa atmete tief durch. Einen Augenblick lang verfing sich ihr Blick in dieser ganzen Schönheit, und sie stellte sich vor, wie wundervoll es sein musste, in dieser Umgebung zu Hause zu sein.

Dann wurde ihr bewusst, dass ihr genau das bevorstand, und sofort ärgerte sie sich über ihren albernen Gedankengang.

Du wirst nicht auf diesem Anwesen wohnen, weil es so schön ist oder der Mann, den du liebst, hier lebt, sondern einzig und allein, weil dein Onkel es von dir verlangt!

Sie schloss die Augen, wie um die ganzen Kostbarkeiten der Natur um sich herum zu verbannen. Sie musste sich klarmachen, dass nichts an ihrem zukünftigen Leben in Italien traumhaft sein würde.

„Wie ich sehe, haben Sie sich auch sofort verliebt.“

Hastig öffnete Vanessa die Augen, als die Stimme hinter ihr sie aus ihren Gedanken riss. Zögernd drehte sie sich um – und stand einen Augenblick wie versteinert da.

Sie wusste sofort, wen sie vor sich hatte: Cesare Sanguetti, ihren zukünftigen Ehemann. Sie war ihm zwar noch nie persönlich begegnet, hatte sein Gesicht aber oft genug auf Fotos gesehen.

Und doch war er ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Er besaß die Statur eines Mannes, der viel Wert auf körperliche Fitness legte. Das hellblaue Hemd, das im aufregenden Kontrast zu seinem gebräunten Teint stand, betonte die breiten Schultern, und er war so groß, dass Vanessa zu ihm aufblicken musste. Sein Gesicht wies die kantigen Züge eines stolzen Südländers auf und wurde von dunkelbraunem, leicht gewelltem Haar umrahmt.

Er hatte die Lippen zusammengepresst, aber sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie weich sie sich anfühlen mochten. Kurz beschlich sie das Gefühl, in den Tiefen seiner schwarzbraunen Augen versinken zu müssen, und als ihr der Duft seines männlich markanten Aftershaves in die Nase stieg, wurde ihr für einen kleinen Moment ganz schwindelig.

Schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle – zumindest einigermaßen. „Verliebt?“, gab sie abwehrend zurück. Sie straffte die Schultern, was ihr aufgrund seiner einschüchternden Art ungewöhnlich schwerfiel. „Ich glaube nicht, dass wir in dieser Angelegenheit von Liebe sprechen sollten“, sprach sie weiter. „Sie haben Ihre Gründe, mich zu heiraten, und ich habe meine. Und Liebe gehört ganz bestimmt nicht dazu.“

Einen Augenblick lang wirkte er sprachlos, doch dann wurde Vanessa bewusst, dass sie sich täuschte. Nein, dieser Mann ließ sich durch nichts so leicht aus der Fassung bringen. Er strahlte eine ungeheure Autorität aus, wählte mit Sicherheit jedes seiner Worte mit Bedacht und war durch und durch Geschäftsmann.

Und zweifelsohne war ihre bevorstehende Hochzeit genau das für ihn: ein Geschäft wie jedes andere auch.

„Ich meinte den Garten“, stellte er richtig, und jetzt legte sich ein spöttisches Lächeln auf seine atemberaubenden Lippen. „Es war keineswegs eine Anspielung auf Sie und mich und unsere bevorstehende Trauung. Ich sprach einzig und allein vom Garten.“ Er machte eine alles umfassende Handbewegung. „Alle meine Gäste verlieben sich sofort in dieses prachtvolle Stück Natur.“

„Oh!“ Vanessa schluckte. Plötzlich kam sie sich dumm und naiv vor, wie ein kleines Kind. Ein Gefühl, das ihr leider alles andere als fremd war. Was mochte Cesare jetzt wohl von ihr denken?

Hastig schüttelte sie den Kopf. Warum interessierte sie, was er von ihr dachte? Hatte sie etwa schon vergessen, wer vor ihr stand? Dieser Mann hatte ihr Leben zerstört, und sie sollte sich hüten, ihn als Partner zu sehen, denn das war er nicht und würde es nie sein.

Erneut riss seine Stimme sie aus ihren Gedanken. „Und was bewegt Sie zu dieser Hochzeit?“, fragte er und sah sie durchdringend an. „Warum tun Sie das?“

Sie lachte bitter auf. „Als ob Sie das nicht genau wüssten! Oder wollen Sie mir etwa weismachen, dass mein Onkel Ihnen das nicht gesagt hat?“

„Nun, er sprach von Geld.“ Er zuckte mit den Schultern. „Allerdings hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass …“

„Was? Dass eine Frau sich dazu herablassen könnte, einen Mann, den sie nicht einmal kennt, aus rein finanziellen Gründen zu heiraten?“ Sie atmete tief durch. „Und was ist mit Ihnen? Halten Sie sich vielleicht für etwas Besseres? Dann darf ich Sie daran erinnern, warum Sie sich auf diese Sache einlassen: um die Firma zurückzubekommen, die Ihr Vater einst an meinen Onkel verloren hat und …“

„Das reicht!“ Cesare kniff feindselig die Augen zusammen. „Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Signorina Carlisle: Tun Sie sich selbst einen Gefallen und sprechen Sie nie wieder von meinem Vater, niemals!“

Unwillkürlich trat Vanessa einen Schritt zurück. Gleichzeitig spürte sie, wie Wut in ihr hochkochte. Wie kam dieser Mann dazu, so mit ihr zu reden? Ausgerechnet er, der so viel Leid über ihre Familie gebracht hatte! Sofort kam ihr wieder jener Tag vor sieben Jahren in den Sinn, und schon sah sie alles vor sich, als sei es gestern gewesen: das Innere der Limousine, die vor Schreck verzerrten Gesichter ihrer Eltern und ihrer Schwester, das Wasser, das durch die geschlossenen Türen und Fenster drang … Tränen traten ihr in die Augen, doch sie hielt sie tapfer zurück. Nein, sie wollte nicht weinen. Nicht vor Cesare Sanguetti!

Sie schluckte und wollte etwas erwidern, doch sein Blick ließ sie verstummen. Überdeutlich wurde ihr bewusst, dass sie es mit einem mächtigen, gefährlichen Mann zu tun hatte, und sie fragte sich, ob sie es überhaupt durchstehen konnte, den Rest ihres Lebens an seiner Seite zu verbringen.

Wehmütig verfing ihr Blick sich in der bezaubernden Blüte einer gelben Rose, und sie gestattete sich, einen Augenblick lang alles um sich herum zu vergessen und sich der irrealen Hoffnung hinzugeben, dass all das hier nur ein böser Traum war, aus dem sie schon bald erwachen würde.

Sie ist eine wahre Augenweide.

Fasziniert beobachtete Cesare, wie ihr die rotblonden Locken ins Gesicht fielen, als sie den Kopf neigte.

Was für eine Frau! Was er aus der Ferne bereits erkannt hatte, verdeutlichte sich jetzt nur noch mehr: Sie besaß eine Figur, mit der sie jeden Mann um den Verstand bringen konnte, und ihre Bewegungen waren geschmeidig und sinnlich wie die einer Raubkatze. Die vollen Lippen und die großen grüngrauen Augen unterstrichen ihre Sinnlichkeit sogar noch. Alles an ihr erschien perfekt – zumindest rein äußerlich betrachtet.

Irritiert über sich selbst, verharrte er. Was war bloß los mit ihm? Warum das plötzliche Interesse für diese Frau?

Verständnislos über sich selbst schüttelte er den Kopf. Er hatte geschworen, die Firma, die sein Vater einst aufgebaut hatte, irgendwann wieder in den Besitz der Familie zu bringen.

Nun stand dieser Tag unmittelbar bevor – der Tag der Abrechnung.

Statt also die Nichte seines Erzfeindes zu bewundern, sollte er sich besser ihren wahren Charakter vor Augen halten. Und den zeigte ihm die Tatsache, warum sie sich auf diese Hochzeit mit ihm einließ, nur allzu deutlich.

„Ich denke, wir sollten sachlich bleiben“, sagte er, und sie blickte auf. „Jeder von uns hat dieser Hochzeit zugestimmt, weil er dadurch etwas bekommt, das er haben will. Das ist durchaus in Ordnung, auch wenn es sich, wie in Ihrem Fall, dabei lediglich um Geld handelt. Dennoch gibt es noch einiges zu klären, wie ich finde.“

Fragend sah sie ihn an. „So, und was? Ich denke, es wurden bereits im Vorfeld sämtliche Vorbereitungen für die Hochzeit getroffen.“

„Das ist richtig. Ich sprach auch eher von der Zeit nach der Trauung.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Dann sind wir verheiratet, und?“

„Interessiert Sie denn gar nicht, was ich von meiner Ehefrau erwarte?“

„Was Sie erwarten?“ Er spürte, wie sie noch unsicherer wurde, und trat einen Schritt auf sie zu. „Ich wüsste nicht, was Sie von mir erwarten dürften“, sagte sie. „Unser Abkommen ist erfüllt, sobald wir verheiratet sind.“

„Irrtum. Wir sind hier in Italien, und hier legt man noch Wert auf Tradition. Und deshalb werden Sie als meine Ehefrau tun, was ich von Ihnen verlange.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich höre wohl nicht recht!“

„Und Sie sollten besser gar nicht auf einen treusorgenden Ehemann hoffen. Ich werde Sie gewiss nicht auf Händen tragen. Machen wir uns nichts vor: Ich halte ebenso wenig von Ihnen wie Sie von mir. Aber nach außen hin müssen wir das perfekte Ehepaar abgeben. Und da ich Ihnen keine großartigen Schauspielkünste zutraue, gewöhnen Sie sich besser von Anfang an daran, auch wenn wir allein sind, die brave Ehefrau zu sein. Mit allem, was dazugehört!“

„Mit allem, was … Sie meinen, Sie und ich …“ Vanessa atmete tief durch. „Hören Sie, an Ihren Fähigkeiten als Liebhaber bin ich gewiss nicht interessiert. Wenn wir miteinander schlafen, wird es eine rein geschäftliche Angelegenheit werden.“

„Ach, wirklich?“ Er kam noch einen Schritt auf sie zu, und als er die Hand ausstreckte und mit einem Finger ihr Kinn anhob und sie damit zwang, ihm direkt in die Augen zu blicken, durchlief ein Zucken ihren Körper. „Nun, ich habe da einen ganz anderen Eindruck, Signorina Carlisle: Meiner Meinung nach können Sie es gar nicht erwarten, mit mir ins Bett zu steigen.“

„Sie … Sie Widerling!“ Flammende Röte stieg ihr ins Gesicht. „Wenn Sie darauf hoffen …“

„Ich hoffe nicht, ich verlange!“, stellte er klar. „Hören Sie gut zu, ich sage es nur ein einziges Mal: Übermorgen um diese Zeit sind wir Mann und Frau, und diese Verbindung endet nicht vor der Schlafzimmertür, so sieht es der Vertrag vor. Und ich rate Ihnen dringend, die ganze Angelegenheit nicht als lästige Pflicht zu betrachten. Sexuelle Frustration wird unserem zukünftigen Eheleben kaum zuträglich sein.“ Er nickte. „Aber ich bin sicher, dass Sie Ihre Pflichten früher oder später ganz freiwillig erfüllen werden.“

Vanessa schluckte. Natürlich hatte sie sich über diesen Punkt schon Gedanken gemacht, und ihr war auch von Anfang an klar gewesen, dass eine solche Übereinkunft mit einem Mann wie Cesare Sanguetti nicht auf rein platonischer Ebene ablaufen würde.

Dass er ihr dies jedoch derart deutlich sagte, überraschte sie. Jedoch nur kurz. Denn im nächsten Augenblick wurde ihr klar, dass Cesare im Begriff stand, die Nichte seines Erzfeindes zu heiraten.

Und was er von der Familie Carlisle hielt, würde er sie jeden einzelnen Tag ihrer Ehe in aller Deutlichkeit spüren lassen.

Doch etwas anderes schockierte Vanessa viel mehr: Als Cesare nun seinen Finger von ihrem Kinn nahm und ihr durchs Haar fuhr, vergaß sie für einen Moment ihren Onkel und die Abmachung, und sie stellte sich vor, wie es sich anfühlen mochte, mit diesem attraktiven heißblütigen Italiener das Bett zu teilen. Plötzlich sah sie seine nackte männliche Brust und seine starken Oberarme vor sich und konnte praktisch fühlen, wie sich seine weichen Lippen anfühlten, mit denen er ihren ganzen Körper liebkoste und …

Erschrocken hielt sie inne. Was war bloß in sie gefahren? Sie würde früh genug Sex mit diesem Mann haben, und sie würde keineswegs Lust oder gar Spaß dabei empfinden, also sollte sie auch besser gar nicht erst anfangen, schon jetzt davon zu träumen!

Cesare nahm die Hand zurück, als ihr Onkel den Garten betrat.

„Onkel Charles!“ Hastig bemühte Vanessa sich, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. „Ich …“

„Wie ich sehe, haben Sie sich schon mit Ihrer zukünftigen Frau bekannt gemacht, Sanguetti“, sagte Charles. „Nun, wenn Sie mir gestatten, noch einen Augenblick unter vier Augen mit meiner Nichte zu sprechen, ehe ich die Heimreise antrete …“

„Sí!“ Cesare wandte sich von ihr ab und ihrem Onkel zu. „Ich wollte mich ohnehin zurückziehen. Wie Sie wissen, bin ich ein viel beschäftigter Mann.“

„Natürlich. Allerdings finde ich, dass wir unsere Übereinkunft noch besiegeln sollten.“ Onkel Charles reichte ihm die Hand. „Nun?“

Cesare ignorierte die ihm dargebotene Hand. „Wir haben alles vertraglich geregelt“, sagte er grimmig. „Ein Handschlag erübrigt sich daher.“

Mit diesen Worten verließ er den Garten, und Vanessa war mit ihrem Onkel allein.

Der zuckte die Schultern und trat zu ihr. „Nun?“, fragte er, und um seine Lippen spielte ein gemeines Lächeln. „Hast du dich schon mit deinem zukünftigen Mann angefreundet?“

Jetzt konnte Vanessa die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Ich kann das nicht!“, schluchzte sie verzweifelt. „Ich kann diesen Mann nicht heiraten!“ Flehentlich sah sie ihren Onkel an. „Bitte, können wir keine andere Lösung finden?“

„Es gibt keine andere Lösung!“ Charles Carlisle zeigte keinerlei Erbarmen. „Übermorgen wirst du die Ehefrau von Cesare Sanguetti sein, oder ich werde dafür sorgen, dass deine heiß geliebte Grace bald ein neues Zuhause bekommt!“

„Du Scheusal!“ Vanessa warf ihm die Worte entgegen wie giftige Pfeile. Aufschluchzend wandte sie sich von ihrem Onkel ab. Während sie ihm den Rücken zuwandte, wanderten ihre Gedanken zu ihrer Nichte.

Grace war die Tochter ihrer Schwester Michelle, die vor einem Jahr bei der Geburt ihres zweiten Kindes, das tot zur Welt kam, gestorben war. Seitdem lebte die Fünfjährige bei Sam, Michelles ehemaligem Lebensgefährten. Er war zwar nicht Graces leiblicher Vater – der hatte sich gleich nach der Geburt seiner Tochter aus der Verantwortung gestohlen –, aber doch die einzige männliche Bezugsperson, den die Fünfjährige je kennengelernt hatte. Sie liebte ihren Stiefvater heiß und innig, und seit dem Tod ihrer Mutter hatte sich die Beziehung sogar noch vertieft.

Dass ausgerechnet jetzt ihr biologischer Vater auftauchte und Ansprüche auf seine Tochter stellte, war sicher kein Zufall. Carl Masons Interesse an Grace begründete sich, wie Vanessa vermutete, vor allem in der Tatsache, dass ihr Onkel ihn dafür fürstlich entlohnte. Charles war jedes Mittel recht, um seine Ziele zu erreichen, und er schreckte auch nicht davor zurück, ein unschuldiges kleines Mädchen aus dem Kreise der Menschen, die es liebten, zu entreißen und es in die Hände eines völlig Fremden zu geben.

Tatsache war jedoch auch, dass es sich bei ihrem Onkel um einen mächtigen und mit allen Wassern gewaschenen Mann handelte. Und mit seiner Hilfe würde es Carl zweifellos gelingen, Sam das Sorgerecht für das Mädchen zu entziehen.

Er hatte sie vor die Wahl gestellt: Entweder sie ging auf seine Forderung ein, und dann würde er dafür sorgen, dass Carl wieder von der Bildfläche verschwand. Falls sie es jedoch ablehnte, Cesare zu heiraten …

„In diesem Fall sähe ich mich leider gezwungen, Sam aus dem Leben deiner heiß geliebten Nichte verschwinden zu lassen“, hatte er eiskalt gedroht. „Aber keine Sorge – Carl ist schon ganz wild darauf, den Daddy zu spielen …“

Natürlich wusste Vanessa, dass das nicht stimmte. Carl hatte sich nie für sein eigen Fleisch und Blut interessiert. Ihm ging es bei dieser Sache nur ums Geld.

Und genau deshalb blieb ihr keine Wahl. Grace würde es nicht verkraften, erneut einen Menschen, der ihr viel bedeutete, zu verlieren.

„Findest du nicht, es ist an der Zeit, dass du dich an Sanguetti rächst?“, fragte ihr Onkel. „Immerhin hat er deine Eltern auf dem Gewissen – meinen Bruder und meine Schwägerin!“

„Ich weiß …“ Vanessa nickte, und wieder wanderten ihre Gedanken zurück zu jenem Tag vor sieben Jahren, der ihr Leben für immer veränderte. Damals unternahmen sowohl ihr als auch Cesares Vater den Versuch, die Fehde zu beenden. Sie wollten sich in Italien treffen, und um zu unterstreichen, dass er es ehrlich meinte, nahm Harold Carlisle kurzerhand seine Frau und die beiden Töchter mit. Die Familie erreichte Italien, und Paolo Sanguetti schickte eine Limousine, um sie abzuholen. Auf dem Weg zu dem Treffen geschah dann das Unfassbare: Die Bremsen des Wagens versagten, und es kam zu einem schlimmen Unfall, bei dem Mutter und Vater starben. Michelle erlitt zum Glück nur leichte Verletzungen, während sie selbst …

Als Onkel Charles davon erfuhr, glaubte er keine Sekunde an einen Unfall. Er ging davon aus, dass Cesare Sanguetti seine Finger im Spiel hatte, behielt diesen Verdacht jedoch für sich. Erst vor Kurzem eröffnete er seiner Nichte, dass er Beweise dafür habe, dass Cesare den Wagen manipuliert hatte. Die Polizei einschalten wollte er aber nicht. Das sei eine Sache, die er selbst regeln wolle, sagte er, und dachte sich einen wahrhaft teuflischen Plan aus …

„Und du willst doch auch nicht, dass die Kleine zu ihrem leiblichen Vater kommt, oder?“, fragte er nun mit gespielt einfühlsamer Stimme und berührte sie von hinten an der Schulter.

Vanessa zuckte zusammen.

Tief atmete sie durch, wischte sich mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht und drehte sich wieder zu ihrem Onkel um. „Natürlich will ich das nicht, und das weißt du genau!“, fuhr sie ihn an. „Deshalb hast du mich doch in der Hand.“

„Ja, das habe ich.“ Er nickte, und seine Miene blieb vollkommen regungslos, als er sagte: „Und vergiss nicht, dass du Sanguetti niemals erzählen darfst, dass ich an Beweise für seine Schuld gelangt bin. Wenn er weiß, dass du ihn hasst, wird er nur Verdacht schöpfen.“ Er musterte sie eindringlich. „Also, ich kann doch weiterhin auf dich zählen?“ Als sie nichts erwiderte, forderte er: „Sag es mir: Wirst du Cesare Sanguetti übermorgen wie geplant heiraten?“

Vanessa schloss die Augen. Ihre Gedanken rasten. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg, wie schon seit Wochen, doch wie jedes Mal wurde ihr auch jetzt in aller Deutlichkeit klar, dass es keinen gab. Es gab keinen Ausweg. Wenn sie dafür sorgen wollte, dass Grace bei dem Mann bleiben konnte, der für sie ihr Dad war, dann musste sie Cesare Sanguetti heiraten.

Und Vanessa wollte, dass das Mädchen eine glückliche Kindheit hatte. Das war sie allein schon ihrer Schwester schuldig.

Schmerzerfüllt dachte sie an die vielen Fehler, die sie seit dem verhängnisvollen Unfall vor sieben Jahre gemacht hatte. Zwar konnte sie nichts ungeschehen machen, aber doch dafür sorgen, dass Michelles Tochter nicht aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen wurde.

Und deshalb würde sie auf die Forderung ihres Onkels eingehen und ihr Schicksal von nun an ohne weitere Klagen hinnehmen.

„Ja“, sagte sie deshalb mit fester Stimme und sah ihren Onkel entschlossen an. „Ich werde Cesare Sanguetti heiraten.“

Es war schon spät, als Vanessa am nächsten Tag, mit beiden Armen auf die Balustrade gestützt, auf dem kleinen Balkon stand, der zu ihrem Gästezimmer gehörte.

Diese eine Nacht würde sie noch hier schlafen. Aber morgen war sie eine verheiratete Frau. Cesares Frau!

Traurig strich sie über eine der zarten Blüten des Orangenbaums, der so dicht vor ihrem Zimmer stand, dass die Äste bis zu ihr herüberreichten, und ließ den Blick über den Garten streifen. Längst war die Sonne untergegangen, doch der Mond tauchte die Umgebung in silbrigen Schein.

Gestern und heute waren noch einige Formalitäten erledigt worden, wobei Vanessa auch Cesares Anwalt Adriano Moretti kennengelernt hatte, und morgen Vormittag würde dann die Trauung stattfinden, zu der über einhundert Gäste erwartet wurden.

Tief sog sie die frische Abendluft in die Lungen, und wieder war es der typische Duft Italiens, der sie einen Moment lang wünschen ließ, das alles hier einfach nur genießen zu können.

Doch rasch kehrte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Ganz gleich, was ihr Leben an der Seite ihres zukünftigen Mannes für sie bereithielt – genießen würde sie sicher nichts davon.

Plötzlich weckte ein Geräusch im Garten ihre Aufmerksamkeit, und im nächsten Moment sah sie unten eine Gestalt. Gleich darauf drang Cesares Stimme zu ihr hoch.

, ich weiß sehr wohl, worauf ich mich einlasse, daher werde ich es mir nicht noch einmal überlegen.“

Vanessa runzelte die Stirn. Sie versuchte, die zweite Person, mit der er sprach, auszumachen, konnte aber niemanden sonst entdecken. Da trat Cesare noch ein Stück vor, sodass er jetzt direkt vom Schein des Mondes erfasst wurde, und sie erkannte, dass er ein Handy ans Ohr gepresst hielt.

„Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass du mir noch einmal vor Augen halten willst, was mich nach meiner Hochzeit mit Vanessa Carlisle erwarten könnte“, sprach er nun weiter ins Telefon. „Du bist schließlich nicht nur mein Anwalt, sondern auch ein enger Vertrauter, Adriano, und ich danke dir für deine Offenheit. Aber ich kann mich nur wiederholen: An meinem Entschluss, Carlisles Nichte zu heiraten, wird sich nichts ändern. Und glaube mir, ich weiß genau, was ich tue. Diese Frau bedeutet mir gar nichts. Wenn ich sie unter anderen Umständen kennengelernt hätte, ich hätte sie nicht einmal bemerkt. Sie ist für mich nichts weiter als ein Mittel zum Zweck. Ein Werkzeug, um endlich meinen Schwur einzulösen. Sobald ich sie geheiratet habe, gehört Fatto in CaSa mir – und wenn ich dieser Frau überdrüssig bin, werde ich mit ihr ein Kind zeugen und sie zum Teufel jagen. Sollte sie tatsächlich glauben, dass …“

Mehr konnte Vanessa nicht verstehen, denn in dem Moment verließ Cesare wieder den Garten und trat ins Haus zurück.

Wie betäubt blieb sie auf dem Balkon stehen und starrte regungslos hinaus in die Nacht. Cesares Worte erfüllten sie mit Schmerz, und sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Im gleichen Moment fragte sie sich, warum um alles in der Welt sie sich davon so verletzt fühlte. Schließlich wusste sie doch, mit was für einem Menschen sie es zu tun hatte. Er hatte ihr nicht nur den Vater und die Mutter genommen, sondern auch ihr eigenes Leben zerstört, und genau deshalb hasste sie ihn aus tiefstem Herzen.

Aber glaubte er wirklich, dass er als Gewinner aus dieser Hochzeit herausgehen würde? Wenn ja, dann hatte er sich getäuscht, denn Vanessa wusste es besser. Sie wusste, dass ihr Onkel sich mit dieser Hochzeit nicht etwa nach einem jahrelangen Kampf geschlagen gab, sondern lediglich zum letzten großen Schlag ausholte.

Und sie, seine eigene Nichte, würde seine stärkste Waffe sein.

3. KAPITEL

Die Hochzeit lief wie ein Film vor Vanessas Augen ab.

Ein wenig überraschte es sie selbst, dass es ihr gar nicht so schlimm vorkam wie in ihrem Traum auf dem Weg zu Cesares Anwesen vor zwei Tagen. Dann aber wurde ihr klar, dass es nur so erträglich war, weil sie ganz einfach abschaltete: Sie ließ alles über sich ergehen, ohne es wirklich an sich heranzulassen, und so fühlte sie sich beinahe wie eine unbeteiligte Zuschauerin in einem Kinosaal.

Aber du bist keine Zuschauerin, sondern die Braut. Der Mittelpunkt des Ganzen hier!

Immer wieder dachte sie an Grace und daran, dass sie das alles für sie tat, und so gelang es ihr dann während der Zeremonie sogar immer wieder, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.

Geschockt war sie dann allerdings von dem Andrang, der in der herrlichen Parkanlage des Schlosshotels herrschte, das Cesare für die Hochzeitsfeier gebucht hatte. Natürlich war sie sich darüber im Klaren gewesen, dass viele Gäste kommen würden, aber es schienen noch viel mehr zu sein als erwartet, und dann die Presse! Erst jetzt wurde ihr so richtig bewusst, dass ihre Hochzeit mit Cesare eines der größten Medienereignisse des Jahres war.

Cesare hingegen schien von all dem Rummel völlig unbeeindruckt zu sein. Er war der perfekte Gastgeber, immer lächelnd, immer gut gelaunt, und Vanessa fragte sich unwillkürlich, ob er diese Farce tatsächlich genoss oder einfach nur besonders gut schauspielerte. So blieb er dann auch die ganze Zeit in ihrer Nähe und berührte sie immer wieder wie beiläufig. Selbstverständlich diente das alles nur dazu, den gewünschten Eindruck zu erwecken. Niemand sollte daran zweifeln, dass Cesare Sanguetti und seiner frisch gebackenen Ehefrau eine Zukunft voller Glück und Liebe bevorstand.

Vor der Presse übernahm er natürlich das Sprechen, gab allerdings nur eine kurze Erklärung ab. Auf die Frage, wie es zu dieser Blitzhochzeit mit der Nichte seines Widersachers kam, erklärte er ohne mit der Wimper zu zucken, dass er Vanessa schon vor einer ganzen Weile kennengelernt habe und die Liebe nun mal stärker sei als sämtliche geschäftlichen Differenzen.

Am liebsten hätte Vanessa laut aufgeschrien. Mit anzuhören, wie leichtfertig er über Liebe sprach, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen – und führte ihr einmal mehr vor Augen, wie kalt und abgebrüht dieser Mann war. Umso mehr irritierte es sie, dass seine Berührungen – wenn er ihren Arm streifte oder sanft eine Hand auf ihre Hüfte legte – sie nicht kalt ließen. So sehr sie auch versuchte, es sich nicht einzugestehen, es ließ sich nicht leugnen: Ihr Körper reagierte auf ihn!

„Zeit für den Hochzeitstanz“, rief irgendwann jemand, und die Kapelle spielte einen Tusch.

Unwillkürlich zuckte Vanessa zusammen. Natürlich hatte sie gewusst, dass Derartiges auf sie zukommen würde – dennoch sträubte sich alles in ihr, mit Cesare vor all diesen Menschen zu tanzen und dabei die glückliche Braut zu mimen, die sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als den Rest ihres Lebens an der Seite ihres Mannes zu verbringen.

Wenn diese Leute auch nur ahnen könnten, wie sehr sie Cesare in Wahrheit hasste!

Doch zu ihrer eigenen Überraschung wog ein anderer Grund, weshalb sie vor dem bevorstehenden Tanz am liebsten davongelaufen wäre, noch viel schwerer: Sie hatte ganz einfach Angst davor, dass sie vollends die Kontrolle über ihren Körper verlor, wenn sie Cesare so nah war und sich von ihm führen ließ.

„Darf ich bitten?“ Cesare deutete eine Verbeugung an, und Vanessa folgte ihm auf die Tanzfläche. Sie war sich der Blicke, die auf ihnen ruhten, mehr als bewusst, und als Cesare sie an sich zog, spürte sie, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.

Ihre Unsicherheit entging ihm nicht. „Tu einfach so, als wäre ich ein Partner in der Tanzschule“, riet er. „Dann wirkt alles ganz normal, und niemand schöpft Verdacht.“

Doch das war reine Theorie, die Praxis sah ganz anders aus. So nah wie jetzt war sie Cesare bisher noch nicht gekommen, und die Auswirkung auf ihre Selbstbeherrschung war, wie sie schon erwartet hatte, verheerend. Sofort fing ihr Herz an, heftiger zu klopfen, und als die Musik zu spielen begann, waren ihre Knie so weich, dass sie nicht wusste, ob sie sich aus eigener Kraft noch auf den Beinen würde halten können.

Sie schaute zu ihm auf – ein folgenschwerer Fehler! Der Blick seiner dunklen Augen schien sie zu durchdringen und hielt sie gefangen, während sie sich im Rhythmus der Musik bewegten. Dies war nicht einfach nur ein Tanz, nein. Irgendwo tief in ihr hatte sich ein Feuer entzündet, das sich jetzt in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Sie spürte, wie seine Hitze sie verzehrte. So sehr sie sich auch dagegen sträubte, sie war wie Wachs in Cesares Armen. Er führte, ja, er dominierte sie. Es war eine außergewöhnliche Erfahrung, wie sie sie noch nie gemacht hatte. Verlockend und wunderbar, gleichzeitig aber auch zutiefst beängstigend.

„Die Summe, die dein Onkel für dich ausgehandelt hat, wird heute noch auf dein Konto überwiesen.“ Er sprach so leise, dass gewiss niemand sonst ihn verstehen konnte. „In den nächsten Tagen wirst du also bekommen, was du so dringend haben wolltest.“ Er zögerte kurz. „Ist es eigentlich ein gutes Gefühl, sich zu verkaufen?“

Entsetzt hielt Vanessa inne, unfähig, etwas zu erwidern. Um ein Haar wäre sie aus dem Takt geraten. Sie wusste selbst nicht, warum, aber es verletzte sie, dass Cesare derart von ihr dachte. Hielt er sie denn wirklich für so oberflächlich? Glaubte er allen Ernstes, dass sie ihn nur wegen des Geldes geheiratet hatte?

Aber warum interessierte es sie eigentlich, was er von ihr hielt? Wichtig war einzig und allein, ihrer Nichte helfen zu können, und das hatte sie mit dieser Hochzeit getan.

Die letzten Takte der Musik verklangen, und Applaus brandete auf. Vanessa hatte den Eindruck, als wären die Blicke der Zuschauer jetzt noch mehr als zuvor schon auf Cesare und sie gerichtet. Cesare spürte dies offenbar ebenso deutlich, doch im Gegensatz zu ihr war ihm dies keineswegs unangenehm. Nein, er schien es regelrecht zu genießen, derart im Rampenlicht zu stehen.

„Wir tun jetzt einfach, was man von uns erwartet“, sagte er.

Fragend sah Vanessa ihn an. Sie wusste nicht, was er damit meinte, und wollte schon von der Tanzfläche gehen, doch er hielt sie mit sanfter Gewalt fest. Und als er sie dann plötzlich an sich zog und seine Lippen auf ihren Mund presste, war ihr erster Impuls, zurückzuweichen. Doch sie konnte es nicht, und gleichzeitig war ihr klar, dass Cesare dies ohnehin nicht zugelassen hätte. Mit seinem Kuss ergriff er von ihr Besitz, dominierte sie voll und ganz – und sein Publikum feierte ihn dafür, denn genau das erwartete es von ihm. Und wenn Vanessa ehrlich zu sich selbst sein wollte, musste sie sich eingestehen, dass sie ihm auch gar nicht hätte widerstehen können.

Cesare löste Gefühle in ihr aus, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Sein Kuss, das verlockende Spiel seiner Zunge, trug sie empor zum Himmel, bis sie glaubte, tatsächlich auf Wolken zu schweben. Die Welt um sie herum versank in Bedeutungslosigkeit. Für einen Moment vergaß sie alles, ihre Sorgen und Probleme.

Und dann war es plötzlich vorbei. Vanessa brauchte ein paar Sekunden, um wieder in die Realität zurückzufinden. Rasch machte sie sich von Cesare los und stolperte, nach Atem ringend, unbeholfen von der Tanzfläche.

Sie gingen durch den Garten, und dabei nahm Vanessa immer wieder die vielen Gäste wahr. Alle waren sie gut gekleidet, wirkten elegant und glamourös.

Vanessa hielt den Atem an, während Cesare und sie sich etwas von der Hochzeitsgesellschaft entfernten. Eines stand fest: Wenn ihr Vater noch leben würde – er hätte niemals zugelassen, dass seine Tochter zu einer Ehe erpresst wurde. Er hätte Onkel Charles …

„Woran denkst du?“, riss Cesare sie aus ihren Gedanken. Inzwischen waren sie außer Hörweite der Hochzeitsgäste, sodass sie die Maske der glücklichen Braut für einen Augenblick fallen lassen konnte.

„Ich wüsste nicht, was dich das anginge“, erwiderte sie gereizt.

„Es geht mich sehr wohl etwas an. Alles, was dich betrifft, geht mich etwas an. Immerhin gehörst du jetzt mir.“

Entgeistert starrte Vanessa ihn an. Wut packte sie. Zugleich spürte sie, wie Cesares fester Blick sie verunsicherte. „Ich gehöre niemandem!“, brachte sie heiser hervor.

„O doch, da...

Autor

Penny Roberts
<p>Hinter Penny Roberts steht eigentlich ein Ehepaar, das eines ganz gewiss gemeinsam hat: die Liebe zum Schreiben. Schon früh hatten beide immer nur Bücher im Kopf, und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Und auch wenn der Pfad nicht immer ohne Stolpersteine und Hindernisse war – bereut haben...
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