Julia Collection Band 17

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DER PLAYBOY UND DAS BABY von RIMMER, CHRISTINE
Er soll der Vater eines drei Monat alten Babys sein? Cord Stockwell, Leiter des Familienunternehmens, ist fassungslos. Aber was bleibt dem umschwärmten Playboy anderes übrig, als Hilfe zu engagieren? Und zwar die bildhübsche Hannah. Nur zur Unterstützung. Denkt er

WIEDER NUR LEIDENSCHAFT? von LEIGH, ALISON
Immer lebten die Stockwell-Geschwister in dem Glauben, ihre Mutter sei tot. Doch nun hört Kate, dass sie womöglich noch lebt. Herausfinden kann sie das jedoch nur gemeinsam mit ihrem früheren Geliebten Brad - den sie vor Jahren aus den falschen Gründen verlassen hat …

BIN ICH DER VATER, CAROLINE? von TEMTE, MYRNA
Auch Cords hinreißender Bruder Rafe erfährt, dass seine kurze, aber leidenschaftliche Affäre mit der schönen Caroline nicht ohne Folgen geblieben ist. Warum sie ihn aber ohne ein Wort verlassen hat, versteht er nicht. Kann er ihr zeigen, dass er immer für sie da sein wird?


  • Erscheinungstag 26.01.2010
  • Bandnummer 17
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956593
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christine Rimmer, Myrna Temte, Alison Leigh

Alles wird gut, wenn du mich liebst

CHRISTINE RIMMER

Der Playboy und das Baby

Als wäre es nicht schon genug, dass Cord Stockwell das erfolgreiche Familienunternehmen ganz allein leiten muss, erfährt der umschwärmte Playboy auch noch, dass er der Vater eines drei Monate alten Babys sein soll. Nun kann nur noch die mehr als anziehende Sozialarbeiterin Hannah helfen – bei der Pflege des Babys. Und vielleicht bei mehr?

MYRNA TEMTE

Bin ich der Vater, Caroline?

Rafe Stockwell ist geschockt, als er die süße Caroline Carlyle nach sieben Monaten wieder sieht: Noch immer ist er von ihrer Schönheit wie gefangen, noch immer schmilzt er beim Strahlen ihrer blauen Augen dahin. Aber wenn sie wirklich im siebten Monat schwanger ist, dann … lässt das nur einen Schluss zu. Und den muss Rafe erst einmal verdauen.

ALISON LEIGH

Wieder nur Leidenschaft?

Wie sehr hat Kate Stockwell diesen Mann mit Anfang Zwanzig geliebt! Womöglich war der ungeheuer attraktive Privatdetektiv Brad Larson wirklich der Mann ihres Lebens. Aber als Kate erfuhr, dass sie ihm keine Kinder würde schenken können, verließ sie ihn. Was für ein Fehler, denkt sie jetzt, da sie wieder mit ihm zu tun hat. Leider nur beruflich …

1. KAPITEL

Die Sozialarbeiterin hielt das Baby in ihren Armen ein wenig fester. „Es tut mir leid, Mr. Stockwell“, sagte sie. „Aber unter diesen Umständen kann ich Becky nicht hierlassen.“

Cord Stockwell beherrschte sich. „Unter diesen Umständen?“, wiederholte er sanft. Wer ihn besser kannte, wusste, dass man vorsichtig sein musste, wenn er so leise sprach. Es bedeutete, dass er sehr bald laut werden würde. „Sagen Sie es mir. Was genau stimmt an diesen Umständen nicht?“ Er zog eine Augenbraue hoch und wartete. Das große Zimmer um ihn herum sprach für sich selbst.

Während der letzten fünf Tage hatte er es genau wie das angrenzende Schlafzimmer komplett renovieren lassen. Jetzt erhoben sich an den gelben Wänden bunte Regenbogen. Farbenfrohe Teppiche bedeckten den Holzboden. In einer Ecke stand ein Schaukelpferd, große Eimer waren bis zum Rand mit Spielsachen gefüllt, und überall warteten Plüschtiere auf die Bewohnerin. Vom Teddybären bis zu Babypuppen enthielt das Zimmer alles, was ein kleines Mädchen sich wünschen konnte.

„Ich habe mir viel Mühe gemacht und eine Menge Geld ausgegeben, um dieses Zimmer einzurichten“, fuhr Cord noch immer ruhig fort.

Die Sozialarbeiterin rang sich ein mattes Lächeln ab. „Das sehe ich. Und es ist auch sehr schön. Aber …“

„Aber? Ich will kein Aber von Ihnen hören. Ich habe alles getan, was Sie von mir verlangt haben – einschließlich des Kindermädchens, das ich eingestellt habe. Geben Sie etwa mir die Schuld daran, dass die Frau heute Morgen angerufen und erklärt hat, dass sie die Stelle nun doch nicht antreten kann?“

Das Lächeln wurde noch gequälter. „Natürlich ist das nicht Ihre Schuld. Das habe ich auch nie behauptet. Aber Tatsache bleibt, dass Sie kein Kindermädchen haben. Und in Ihrer speziellen Situation, ohne angemessene Kinderbetreuung, sind Sie nicht in der Lage, die Fürsorge zu gewährleisten, die Becky braucht.“

Cord unterdrückte einen Fluch. Was für eine bornierte, selbstgerechte Frau. In genau diesem Moment gab das kleine Mädchen einen jener niedlichen Babylaute von sich. Die Sozialarbeiterin senkte den Blick und sah ihm in die blauen Augen, die denen Cords so sehr glichen. Für den Bruchteil einer Sekunde entspannte sich ihr Gesicht, und als sie das Kind anlächelte, sah sie so hübsch und anmutig aus, dass Cord vergaß, wie unsympathisch sie ihm war.

Leider dauert der Bruchteil einer Sekunde nicht sehr lange.

Als sie Cord wieder ansah, war ihr Mund wieder ein schmaler Strich. „Ein drei Monate altes Baby ist eine Vollzeitaufgabe. Sie selbst können sich nicht die ganze Zeit um Becky kümmern. Wie Sie mir selbst erklärt haben, nehmen die Stockwell-Geschäfte Sie jetzt, da Ihr Vater krank ist, ganz in Anspruch. Sie werden Hilfe brauchen, und zwar sehr viel.“

Krank. Was für eine Untertreibung. Caine Stockwell war nicht nur „krank“. Er lag im Sterben.

Cord versuchte es noch einmal. „Ich habe Ihnen gesagt, dass die Geschäftsräume von Stockwell International sich hier im Haus befinden, direkt unter uns. Ich werde für Becky da sein, wann immer sie mich braucht. Ich werde sofort ein neues Kindermädchen einstellen. Und bis dahin gibt es genug Personal, um sie rund um die Uhr zu betreuen.“ Das Anwesen der Stockwells gehörte zu den Wahrzeichen von Dallas. Die im georgianischen Stil errichtete Villa war mit ihren vierzig Zimmern und entsprechend vielen Dienstboten das größte Haus in Grandview County. „Eine der Haushälterinnen kann …“

„Nein, Mr. Stockwell“, unterbrach sie ihn. „Eine der Haushälterinnen kann nicht. Becky hat eine liebevolle Betreuung verdient, nicht jemanden, der hin und wieder nach ihr schaut. Und ich habe vor …“

Es reichte. Cord verlor die Beherrschung. „Mir ist verdammt egal, was Sie vorhaben! Das Baby wird …“

„Zu weinen anfangen, wenn Sie nicht die Stimme senken.“ Sie funkelte ihn an. „Und würden Sie freundlicherweise auch zu fluchen aufhören?“

Okay. Er würde die Stimme senken. Er würde nicht mehr fluchen. „Hören Sie, ich möchte, dass Sie Becky jetzt in ihr Schlafzimmer bringen, sie in ihr Bett legen und mit mir in das Zimmer gegenüber gehen.“

„Warum sollte ich das tun?“

„Damit wir das hier … offener bereden können.“

Sie schnaubte. „Wohl kaum, Mr. Stockwell. Es gibt nichts zu bereden.“ Sie trug eine dieser großen geblümten Windeltaschen und schob den Riemen höher auf die Schulter. „Ich werde Becky jetzt nach Hause bringen, und wenn Sie das Problem mit dem Kindermädchen gelöst …“

„Sie wollen meine Tochter nach Hause bringen? Wo zum Teufel soll das sein?“

Sie zuckte zusammen, so leicht, dass ein weniger aufmerksamer Beobachter es nicht bemerkt hätte. Aber Cord Stockwell sah es und registrierte, dass er Miss Hannah Miller zum ersten Mal aus der Fassung gebracht hatte. Er fragte sich, welchen Nerv er getroffen hatte.

Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. „Mr. Stockwell, wie Sie sehr gut wissen, ist die Vaterschaft medizinisch noch nicht erwiesen. Bis wir das Ergebnis aus dem Labor in San Diego haben, kann der Staat Texas nicht sicher sein, dass Becky …“

„Kommen Sie, das ist mein Baby, und wir wissen es beide.“

Warum ich?, dachte Cord. Warum musste seine kleine Tochter unter all den verdammten Jugendamtsmitarbeitern im riesigen Staat Texas ausgerechnet an diese Frau geraten? Hannah Miller hatte doch sämtliche Beweise, die sie brauchte. Marnie Lott, Beckys vor zwei Wochen überraschend verstorbene Mutter, hatte Cords Namen auf der Geburtsurkunde eintragen lassen. Und zwar an der Stelle, die für den Namen des Vaters reserviert war. Warum Marnie ihm verschwiegen hatte, dass er Vater wurde, war ihm ein Rätsel. Aber das Geburtsdatum kam hin. Cords kurze Affäre mit Marnie war jetzt fast genau ein Jahr her – neun Monate vor Beckys Geburt. Ganz abgesehen davon brauchte man sie nur anzusehen. Wenn Becky keine Stockwell war, war Cord es auch nicht.

War er auf die Vaterschaft vorbereitet? Du meine Güte, nein. Und er bezweifelte, dass er es je sein würde. Aber Becky war sein Kind. Eine Stockwell. Seit Generationen gehörten die Stockwells zu den reichsten Ölbaronen des Landes, und man hatte sie hartherzig, hinterhältig und kaltblütig genannt, doch selbst ihre ärgsten Feinde waren sich darin einig, dass ein Stockwell seine Familie nie im Stich ließ.

„Vielleicht ist Becky Ihre Tochter“, sagte die Sozialarbeiterin. „Vielleicht auch nicht. Das Ergebnis des Vaterschaftstests wird Ihren Anspruch bestätigen oder entkräften.“

„Meinen Anspruch?“, knurrte Cord. „Lassen Sie uns mit diesem Unsinn aufhören, Miss Miller. Der verdammte Test ist doch nur eine Formalität. Becky ist von mir. Und ich werde für sie sorgen. Sie wird die besten Schulen besuchen. Ihr wird es an nichts fehlen. Es gibt auf dieser Welt eine Menge Babys, die verdammt viel weniger haben – Kindermädchen oder nicht. Mir scheint, der Staat Texas müsste heilfroh über meinen sogenannten Anspruch sein.“

Natürlich hatte sie darauf die klassische Antwort. „Geld“, sagte sie, „ist nicht alles, was ein Kind braucht. Ein Kind braucht auch …“

Er unterbrach sie, bevor sie richtig in Fahrt kam. „Ersparen Sie uns das, Miss Miller. Fangen Sie gar nicht erst damit an. Ich habe Ihre Formulare ausgefüllt und Ihre mehr als tausend viel zu persönlichen Fragen beantwortet. Ich bin durch den halben Staat gefahren und habe mich mit Ihnen in dieser verdammten Klinik getroffen, damit eine Schwester mir für den DNA-Test ein Wattestäbchen in den Mund stecken konnte. Ich habe das Kinderzimmer eingerichtet, das ich haben muss. Ich habe ein Kindermädchen eingestellt, das leider nicht gekommen ist. Aber das ist kein Problem. Wie gesagt, bis ich ein neues finde, komme ich ohne aus. Jede andere Sozialarbeiterin würde anerkennen, dass ich meinem Kind ein guter Vater sein kann. Die Frage ist, Miss Miller, warum tun Sie das nicht?“

Sie schluckte. Fast hätte Cord triumphierend gelächelt. Jetzt hatte er sie. „Wie ich Ihnen bereits erklärt habe, will ich nur das Beste für …“

„Reden wir doch über das, was hier wirklich los ist. Reden wir darüber, warum Sie mich ganz einfach nicht mögen.“

„Ich habe nie gesagt …“

„Das brauchten Sie auch nicht.“

„Ich …“

„Ich sehe es Ihnen doch an. Ich höre es in Ihrer Stimme. Sie haben gelesen, was in den Klatschzeitschriften über mich steht. Dass ich Frauen mag. Dass ich sie groß und rassig mag – aber nie sehr lange.“

„Ich habe nicht …“

„Sicher haben Sie. Und das ist okay. Es stimmt ja. Aber mein Ruf als Frauenheld hat nichts damit zu tun, dass das Baby von mir ist und ich mich darum kümmern werde.“

Miss Millers Gesicht wurde tomatenrot. „Augenblick. Wenn Sie Becky keine Liebe und Geborgenheit bieten können, wenn Sie weiterhin mit einer endlosen Reihe von Frauen ausgehen, ohne an eine ernsthafte Beziehung zu denken, sehe ich nicht, wie ich Becky in …“

„Also habe ich recht.“ Er lächelte zufrieden. „Sie mögen mich nicht – und haben meine erste Frage noch immer nicht beantwortet.“

„Welche war das?“

„Wohin bringen Sie mein Baby, wenn Sie dieses Haus verlassen haben?“

Sie öffnete den Mund. Dann schloss sie ihn wieder. Und schluckte zum zweiten Mal.

„Ich bin zugelassene Pflegemutter“, gestand sie mit der verlegenen Miene, die er so amüsant fand. „Becky lebt seit einigen Tagen bei mir.“

„Sie lebt bei Ihnen“, wiederholte Cord leise.

Hannah Miller straffte die Schultern und hob das Kinn noch ein wenig höher. „Ja.“

Cord konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Wissen Sie, ich wette, das lässt Ihnen nicht viel Zeit für Ihre anderen Fälle. Ich meine, ein drei Monate altes Baby ist schließlich … Wie haben Sie es genannt? Eine Vollzeitaufgabe. Ja, das haben Sie gesagt, eine Vollzeitaufgabe, die eine Betreuung rund um die Uhr erfordert.“

Ihre grünen Augen wichen seinem Blick aus, aber nur kurz. „Ich gebe Becky, was sie braucht. Ich habe Urlaub genommen. Sie wird rund um die Uhr betreut, das versichere ich Ihnen.“

Er verpasste ihr den Gnadenstoß, tat es jedoch mit sanfter Stimme. „Miss Miller, Sie haben zu meinem Baby eine persönliche Beziehung aufgebaut.“

Sie blinzelte, ihre Lippen zitterten, und Cord genoss den Anblick mehr, als er es hätte tun dürfen. „Ich … Nein. Ich …“

„Hier geht es gar nicht um das Kindermädchen. Wie ich es sehe, geht es um zwei Dinge. Sie mögen mich nicht – und Sie wollen Becky nicht wieder hergeben.“

„Nein. Ich meine, ja …“ Sie war jetzt wirklich durcheinander, die Wangen pinkfarben, die Augen groß und verletzlich. „Ich meine, was ich persönlich von Ihnen halte, steht hier nicht zur Debatte. Und was Becky betrifft, natürlich kümmere ich mich gern um sie. Aber ich will nur ihr Bestes. Ich will nur …“

Er machte einen Schritt auf sie zu und unterdrückte ein Lächeln, als sie sich beherrschen musste, um nicht zurückzuweichen. Und dann ließ er seine Stimme leise und sanft und unnachgiebig klingen. „Bringen Sie Becky in ihr Zimmer, und legen Sie sie hin. Neben dem Bett ist ein Babyfon. Schalten Sie es ein, und bringen Sie den Empfänger mit.“ Er hob die Hand, und sie erstarrte. Doch als sie begriff, was er vorhatte, half sie ihm. Sie nahm das Kind auf den anderen Arm, damit er nach der Windeltasche greifen und sie auf den Boden stellen konnte. „Sofort“, fügte er hinzu, noch sanfter als zuvor.

Zum ersten Mal in den zwölf Tagen, seit er sie kannte, gehorchte sie. Sie ging zur Tür und verschwand dahinter. Kurz darauf war sie wieder da – ohne das Baby, aber mit dem Empfänger.

Er lächelte. Sie nicht.

„Und jetzt“, sagte er, „kommen Sie mit.“

Auf der anderen Seite des Flurs, in seinem privaten Wohnzimmer, zeigte Cord auf einen Ledersessel. „Nehmen Sie Platz.“

Hannah Miller gehorchte zum zweiten Mal und setzte sich auf die Kante. Dann legte sie den Kopf schräg und erinnerte ihn an einen ängstlichen Vogel, der beim geringsten Anlass davonflattern würde. Den Empfänger des Babyfons hielt sie noch immer in der Hand.

Er nahm ihn ihr ab und legte ihn neben ihrem Ellbogen auf den Tisch. „Entspannen Sie sich. Ein Drink?“

Sie runzelte die Stirn, hustete und hielt sich die zur Faust geballte Hand vor den Mund. „Nein, danke.“

Er zuckte mit den Schultern. „Dann nicht.“

Am Barwagen in der Ecke ließ er sich Zeit. Er tat Eiswürfel ins Glas und zog langsam den Stopper aus der Karaffe. Er goss sich einen Whiskey ein, zögerte und gönnte sich einen Doppelten. Dann verschloss er die Karaffe wieder, schwenkte das Glas und ließ die Eiswürfel klirren, während er Miss Hannah Miller musterte.

Langsam nippte er am Whiskey. Die Frau konnte ihm nichts vormachen. Im Moment mochte sie wie ein verlorenes Lamm wirken – seit er ihr auf den Kopf zugesagt hatte, dass sie sein kleines Mädchen lieb gewonnen hatte. Aber sie war kein Lamm. Sie war jemand, der ihn wie einen abgerichteten Hund durch Ringe springen ließ, nur weil er das bekommen wollte, was ihm gehörte. Sie war herrisch und wollte, dass man nach ihrer Pfeife tanzte. Ganz und gar nicht sein Typ von Frau.

Aber das war kein Problem. Schließlich wollte er nicht mit ihr ausgehen oder gar mit ihr ins Bett gehen. Er wollte nur, dass seine Tochter die bestmögliche Pflege bekam. Und in der Hinsicht war die Frau eindeutig begabt.

„Mir ist gerade etwas klar geworden, Miss Miller“, sagte er.

Sie erwiderte nichts, sondern sah ihn nur an und wartete. Das gefiel ihm.

„Mir ist aufgegangen, dass Sie und ich dasselbe wollen“, fuhr er fort. Er machte eine Pause, aber sie blieb gelassen und platzte nicht mit einer aufgeregten Frage heraus.

„Wir wollen beide nur das Beste für Becky“, erklärte er.

Sie öffnete den Mund ein wenig und schloss ihn wieder. Er wusste, was sie fast gesagt hätte. Etwas Kurzes, Skeptisches. Ach ja? Oder: Das bezweifle ich.

„Es mag Sie überraschen, aber genau wie Sie möchte ich, dass meine Tochter die Liebe und Fürsorge bekommt, die ihr zusteht.“

Ihr Blick war zweifelnd, und er konnte es ihr nicht verdenken. Natürlich würde er es nie zugeben, aber die Vorstellung, Vater zu sein, machte ihn verdammt nervös. Seine eigene Mutter war gestorben, als er und sein Zwillingsbruder Rafe erst vier Jahre alt waren.

Und sein Vater war immer ein kaltherziger Tyrann gewesen. Cord, Rafe, ihr älterer Bruder Jack und ihre Schwester Kate hatten von ihm nicht gerade „Liebe und Fürsorge“ bekommen.

Aber Becky konnte es besser haben. Cord hatte es in Hannah Millers Gesicht gesehen, als sie seiner Tochter zulächelte. Von einer Frau, die sie so betrachtete, würde Becky all die Liebe bekommen, die sie brauchte.

Er ließ die Eiswürfel noch einmal klirren, bevor er ihr sein Angebot machte. „Becky braucht ein Kindermädchen. Und Sie wollen sie nicht hergeben. Warum sollten Sie auch? Ich zahle Ihnen fünfzigtausend im Jahr, plus die besten Zusatzleistungen, die Stockwell International zu bieten hat, wenn Sie Ihren Job beim Jugendamt aufgeben und sich für mich um Becky kümmern.“

2. KAPITEL

Nur unter Aufbietung ihrer gesamten Willenskraft konnte Hannah Waynette Miller verhindern, dass ihr Mund aufklappte.

Sie war verblüfft. Verblüfft und erstaunt. Erstaunt und verwirrt.

Mr. Cord Stockwell wollte, dass sie Beckys Kindermädchen wurde?

Dabei war sie so sicher gewesen, dass der Mann sie nicht ausstehen konnte. Und sie hatte sich gesagt, dass es ihr nichts ausmachte. Schließlich kannte sie Menschen wie ihn. Er war ein reicher Mann. Und wie alle reichen Leute war er davon überzeugt, dass der Rest der Welt nur dazu da war, ihm das Leben so bequem und angenehm wie möglich zu machen.

Aber bei ihr war er an die Falsche geraten. Gleich vom ersten Tag an hatte sie keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nicht dazu da war, es ihm bequem zu machen – geschweige denn angenehm. Um Beckys willen war sie hart geblieben. Das kleine Mädchen sollte ein richtiges Zuhause bekommen. Eins, in dem es Liebe, Aufmerksamkeit, Geduld und Zuversicht gab. Natürlich wünschte sie das für alle ihre Schützlinge.

Doch für Becky hatte sie härter als sonst gekämpft. Zu hart vielleicht …

Sie gab es nur ungern zu, aber in der Hinsicht hatte der Mann recht.

Becky war ihr ans Herz gewachsen. Mehr, als sie sollte, und Hannah wusste es. Sie wusste auch, dass sie das liebenswerte Baby mit den hinreißenden blauen Augen wieder hergeben und so weiterleben musste wie zuvor. Genau das hatte sie vorgehabt: dafür zu sorgen, dass Cord Stockwell das beste Kindermädchen einstellte, das er für sein Geld bekommen konnte. Und nur zurückzukehren, wenn der Test bewies, dass er doch nicht Beckys Vater war.

Cord Stockwell wartete auf ihre Antwort. Groß und imposant stand er auf der anderen Seite des elegant eingerichteten Zimmers, das Glas mit edlem Whiskey in der Hand und einen belustigten Ausdruck auf dem viel zu attraktiven Gesicht.

Hannah war klar, wie ihre Antwort lauten sollte: Nein, danke. Sosehr sie sich in den letzten sieben Jahren nach einer zweiten Chance gesehnt hatte, Becky war nun einmal nicht ihr Baby.

Andererseits hatte Hannah nicht den geringsten Zweifel, dass Becky sie liebte.

Cord Stockwell mochte sündhaft sexy sein – über einsachtzig groß, mit schmalen Hüften, breiten Schultern und faszinierend blauen Augen. Er strahlte etwas Aufregendes aus. Hannah war ein gebranntes Kind und spürte seine machtvolle Gegenwart, wann immer sie ihn ansah. Und außer einer ungemein erotischen Ausstrahlung und dem Charisma des einflussreichen Machers besaß er auch noch viel Geld. Geld, mit dem er Becky eine Kindheit im Luxus bieten konnte.

Aber würde er dem süßen kleinen Mädchen auch ein liebender Vater sein? Hannah bezweifelte es ernsthaft.

Wieder nippte Cord Stockwell an seinem Drink. „Nun?“

Bevor sie antworten konnte, läutete das Telefon auf einem der mit aufwendigen Intarsien geschmückten Beistelltische.

Cord stellte das Glas ab. „Entschuldigen Sie mich.“

Er schlenderte hinüber und nahm den Hörer ab. „Was gibt es?“

„Mr. Stockwell, entschuldigen Sie, dass ich störe.“ Es war eine männliche Stimme mit leicht skandinavischem Akzent. Sie gehörte einem der Pfleger, die Cords Vater rund um die Uhr betreuten. Dem großen, blonden namens Gunderson. „Sir, Ihr Vater besteht darauf …“

Im Hintergrund ertönte ein heiserer Befehl. „Holt ihn her. Holt meinen Jungen her. Sofort!“

„Er möchte Sie sehen, Sir“, sagte der Pfleger.

„Jetzt, habe ich gesagt.“ Die raue Stimme wurde lauter. „Sind Sie taub? Er soll herkommen!“

„Es tut mir leid, Sir“, versicherte Gunderson. „Aber er weigert sich, sein Medikament zu nehmen, bis Sie …“

„Holen Sie Cord her!“, rief der alte Mann.

Eine Frauenstimme, die der Krankenschwester, drang an Cords Ohr. „Nein. Bitte legen Sie das wieder hin, Mr. Stockwell …“

Was immer es war, Caine musste damit geworfen haben. Cord hörte, wie Glas zerbrach.

Die Schwester seufzte. „Sir, vielleicht sollten Sie …“

„Passen Sie auf, dass er sich nicht wehtut“, sagte Cord. „Ich komme.“ Er legte auf und ging durchs Zimmer. „Ich fürchte, es gibt da etwas, um das ich mich kümmern muss. Es wird nicht lange dauern. Denken Sie inzwischen über mein Angebot nach.“

Bevor Hannah ein Wort herausbekam, schloss sich die Tür hinter ihm.

Noch bevor Cord das Zimmer seines Vaters betrat, hörte er ihn Befehle bellen.

„Ich will eure verdammten Spritzen nicht. Ich kann eine Pille schlucken, wenn ich eine brauche. Und im Moment brauche ich keine. Erst will ich mit meinen Sohn sprechen, ist das klar?“

Eins der Hausmädchen hatte sich auf dem Flur Cord angeschlossen und folgte ihm in den Raum. Sie hatte ein Kehrblech und einen Handfeger dabei und zuckte zusammen, als sie Caine Stockwell schreien hörte.

„Keine Angst“, sagte Cord zu ihr.

„Cord?“ Caine Stockwell mochte todkrank sein, aber sein Gehör funktionierte noch. „Cord, bist du das?“

Cord passierte den Bogen, der den Eingang zum prachtvollen Schlafzimmer seines Vater bildete – wie Caine immer behauptete, eine exakte Nachbildung des Raums, in dem Napoleon im Schloss von Fontainebleau geschlafen hatte. Den Mittelpunkt bildete das gewaltige Bett, das vor zehn Jahren aus Frankreich eingeflogen worden war, das Caine jedoch nicht mehr benutzte, seit die Krankheit ihm die Kontrolle über seinen Körper geraubt hatte.

Trotz der Pracht herrschte im Raum eine bedrückende Atmosphäre. Der Tod lag in der Luft, und die schweren Samtvorhänge schlossen die heiße texanische Sonne aus.

„Hier. Hierher.“ Caine lag in einem Krankenhausbett und schlug mit der Faust auf die Matratze.

Es war eine Geste, mit der man einen Hund zu sich befahl, und es hatte Zeiten gegeben, in denen Cord sich auf dem Absatz umgedreht hätte. Aber in den letzten Monaten hatte er gelernt, seinen Stolz dem Mitleid für seinen sterbenden Vater unterzuordnen.

Er trat ans Bett. Gunderson und die Krankenschwester, eine stattliche Rothaarige, zogen sich diskret hinter die medizinischen Geräte zurück – eine Sauerstoffflasche, ein Monitor, ein Ständer, an dem der Beutel mit der Infusionslösung hing. Das Hausmädchen sammelte die Splitter der antiken Vase und die langstieligen blutroten Rosen auf, die auf dem goldbestickten Teppich lagen.

„Raus!“, befahl Caine. „Ihr zwei.“ Er zeigte auf das Pflegepersonal. „Und du auch!“, schrie er das Hausmädchen an.

Cord nickte ihnen zu. „Gehen Sie nur. Ich rufe Sie dann.“

Caine setzte sich auf und fiel stöhnend zurück. „Raus mit euch.“

Die drei eilten davon.

Caine klopfte auf die Matratze. „Hör mir zu.“

Cord setzte sich auf die Bettkante. „Ich höre.“

„Wasser.“

Cord hielt ihm das Glas an den Mund. Sein Vater leerte es und bekam einen Hustenanfall. „Das Baby“, keuchte er danach.

Cord runzelte die Stirn. Während der letzten fünf, sechs Jahre hatte Caine Stockwell seine Kinder immer wieder aufgefordert, die Familie vor dem Aussterben zu bewahren. Also hatte Cord ihm vor einer Woche von Becky erzählt.

„Bist du sicher, dass das Kind von dir ist?“, hatte der alte Tyrann gefragt. Caine hatte genickt. „Dann ist es ein Stockwell. Hol es her und zieh es auf.“ Mehr hatte er dazu nicht gesagt, aber offenbar hatte er es trotz seiner Verwirrung nicht vergessen.

„Becky geht es gut“, erwiderte Cord jetzt. „Sie ist hier. Im Kinderzimmer.“

Caine fuhr hoch. „Hier? Sie? Ein Mädchen?“

„Ja.“ Behutsam drückte er seinen Vater zurück aufs Kissen. „Sie ist drei Monate alt.“

„Drei Monate! Für wie dumm hältst du mich!“, stammelte Caine hustend. „Es ist fast dreißig Jahre her, dass sie fort sind. Deine verlogene Mutter und mein verräterischer Zwillingsbruder. Das Baby ist kein Baby mehr. Es muss längst erwachsen sein.“

Cord unterdrückte ein Seufzen. Manchmal verdrängte Caine, dass seine Frau Madelyn Johnson Stockwell bei einem Bootsunfall umgekommen war. Zusammen mit Brandon, seinem Zwillingsbruder. Dann schwor er, dass die beiden gemeinsam durchgebrannt waren.

Caine packte die Decke. Seine Knöchel wurden weiß, als er die knochigen Finger in den Stoff krallte. Plötzlich schlug er nach Cord, und ein viel zu langer Fingernagel ritzte die Haut. Cord tastete über seine Wange und fühlte das Blut.

„Es war meins“, fuhr Caine aufgebracht fort, während sein Kopf aufs Kissen trommelte. „Ich habe alles versucht. Ist es etwa meine Schuld, dass sie das Geld nicht wollte?“

Cord verstand nicht, was der alte Mann meinte. Seine Mutter und sein Onkel waren schon lange tot. Und das einzige Baby, von dem er wusste, lag in seinem Bett in einem anderen Flügel der riesigen Villa.

Meine Tochter, dachte Cord.

Würde er eines Tages auch in einem Krankenhausbett liegen und sinnloses Zeug stammeln, während seine erwachsene Tochter ihm geduldig zuhörte? Warum sollte sie das tun? Aus Liebe?

Cord lächelte grimmig. Nein, er glaubte nicht, dass es Liebe war, was er für seinen Vater empfand. Es war etwas Finsteres, Kompliziertes. Etwas, in das sich Zorn und Schmerz mischte – und vielleicht ein Anflug von widerwilligem Respekt.

Nein, er liebte Caine nicht. Aber er war sein Sohn, und der alte Mann, der nur noch ein Schatten seiner selbst war, tat ihm leid. Also blieb er sitzen und ertrug das Toben.

„Was immer deine Mutter getan hat, das Baby war ein Stockwell. Vergiss das nicht. Wir sind Stockwells. Wir kümmern uns umeinander. Und ich kenne sie. Sie hatte tausend Gründe, mich zu hassen. Trotzdem weiß ich … tief im Inneren … dass sie mir treu war. Das Baby … war von mir.“

Erneut trafen Caines Fäuste Cord. An der Schulter, am Hals, an der Brust. Es war Zeit, das Pflegepersonal zurückzurufen.

Sein Vater brauchte Ruhe. Und er selbst musste sich um Beckys zukünftiges Kindermädchen kümmern.

Nachdem Cord gegangen war, saß Hannah reglos da.

Was sollte sie tun? Was sollte sie ihm antworten?

Ihr Gefühl wollte, dass sie bei Becky blieb.

Ihr Verstand befahl ihr, auf das kleine Mädchen zu verzichten. Sofort. Auch wenn es ihr das Herz brach.

Aber ein gebrochenes Herz konnte sie überleben. Das hatte sie in den fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens mehr als einmal getan.

Wenn sie blieb, würde alles nur noch schlimmer werden. Mit jedem Tag und jeder Stunde würde ihre Liebe zu Becky wachsen. Und dann, wenn sie irgendwann dann doch gehen musste, würde der Schmerz umso größer sein.

Cord Stockwell war ein reicher Mann. Und sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die Reichen anders waren. Sie brachen die Regeln. Sie brachen Herzen. Und sie glaubten, dass ihr Geld ihnen das Recht gab, auf niemanden Rücksicht zu nehmen.

Hannah setzte sich auf. Augenblick mal, dachte sie.

Das hier war nicht wie vor sieben Jahren. Sie war jetzt eine erwachsene Frau, kein einsames Waisenkind, das dort nach Liebe suchte, wo es nichts zu suchen hatte. Und Cord Stockwell mochte viel zu reich, viel zu attraktiv und viel zu erfolgreich bei Frauen sein, aber auch er schien nur das Beste für Becky zu wollen. Und allein darum ging es.

In diesem Moment hörte sie Becky. Aus dem Empfänger auf dem Tisch drang ein kurzer, energischer Aufschrei.

Dann herrschte Stille. Aber nicht lange, denn Becky begann jetzt richtig zu weinen. Sie hatte Hunger.

Oder brauchte eine frische Windel. Oder Trost.

Was auch immer.

Hannah stand auf, um zu ihr zu gehen.

Als Gunderson und die rothaarige Schwester zurückkehrten, hielt Cord seinen Vater fest, damit der Tobende sich nicht selbst verletzte. „Mehr Morphium“, sagte er. „Machen Sie die Spritze fertig. Sofort.“

Caine wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die schützende Umarmung. „Habe ich mein Versprechen etwa nicht gehalten? Ich habe den Bastard wie mein eigenes …“

Gunderson sah auf die Uhr. „Er hat die letzte Injektion um …“

„Du Hexe“, schrie Caine. „Ich habe dich immer geliebt. Nur dich. Aber du … Ich weiß, dass du ihn geliebt hast. Immer. Also wollte ich nur …“

„Beeilen Sie sich“, befahl Cord dem Pflegepersonal.

Die Rothaarige zog die Spritze auf. Cord hielt Caine noch fester, damit sie ihm das Morphium geben konnte.

„Kalt“, keuchte der alte Mann. „Kalt. Immer tiefer …“

Sekunden später entspannte er sich, und Cord ließ ihn vorsichtig aufs Kissen sinken. Er seufzte noch einmal auf, dann schlief er ein.

Cord erhob sich. „Kümmern Sie sich ab jetzt um ihn?“

„Natürlich, Sir“, erwiderte Gunderson.

Die Rothaarige nickte.

„Und schneiden Sie ihm die Fingernägel“, wies Cord die beiden auf dem Weg zur Tür an.

Auf dem Flur wartete das Zimmermädchen, das er fortgeschickt hatte, mit großen Augen. „Sie können wieder hineingehen“, sagte er sanft. „Er schläft.“

„Ja. Danke, Mr. Cord.“

Als er sein Wohnzimmer betrat, sah er, dass Hannah Miller fort war. Seine erste Reaktion war wütende Empörung. Die Frau hatte allen Ernstes gewagt, seine Tochter zu nehmen und zu verschwinden.

Doch dann hörte er, was aus dem Empfänger des Babyfons drang: eine Frauenstimme, die leise und melodisch ein Schlaflied summte.

Cord fand Hannah Miller im Schlafzimmer des Babys, dessen hellblaue Wände eine Bordüre aus funkelnden Sternen und lächelnden Monden säumte.

Sie saß im weißen Korbschaukelstuhl. Sie hatte die Jalousie ein wenig geöffnet, um die Nachmittagssonne hereinzulassen, hielt seine Tochter auf dem Arm und wiegte sie sanft hin und her, während sie ihr die Flasche gab.

Der Sonnenschein strich über Hannahs schulterlangen kastanienbraunen Locken und ließ die roten und blonden Nuancen darin aufleuchten. Sie hatte die Tür offen gelassen, und er trat leise ein.

Und als er still dastand und sie mit seinem Kind auf dem Arm betrachtete, spürte er, wie tief in ihm etwas aufkeimte. Eine Wärme.

Vielleicht sogar so etwas wie Hoffnung.

Aber nein. Vermutlich war es nur Erleichterung. Die friedvolle Atmosphäre im blauen Zimmer seiner Tochter war tausend Meilen von der am Krankenbett seines Vaters entfernt.

Plötzlich sah Hannah auf. Das Summen verklang ebenso wie das Knarren des Schaukelstuhls. Er hörte, wie sie nach Luft schnappte.

„Entschuldigung“, sagte er. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Sie zuckte mit den Achseln. Und dann schenkte sie ihm doch tatsächlich ein Lächeln. „Das Mädchen hatte Hunger.“

Verdammt. Sie war so hübsch, wenn sie lächelte.

„Haben Sie es sich überlegt?“, fragte er schärfer als beabsichtigt.

Es schien ihr nichts auszumachen. Sie sah Becky an, und der verträumte Klang ihrer Stimme passte zum Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Ja, das habe ich“, antwortete sie, bevor sie sich wieder zu ihm drehte und die Stirn runzelte. „Sie haben sich geschnitten.“

Er berührte den Kratzer. „Es ist nichts.“

„Reiben Sie nicht daran, sonst blutet es gleich wieder.“ Sie zog ein Papiertuch aus dem Ärmel und hielt es ihm hin. „Tupfen Sie es vorsichtig ab.“

Cord starrte auf das Tuch, das an ihrer schmalen Hand baumelte, und merkte gar nicht, wie viel Zeit verging. Auch seine Mutter hatte ein Taschentuch aus dem Ärmel gezogen, um ihm die Schokolade aus dem Gesicht zu wischen.

„Mr. Stockwell?“ Die Sozialarbeiterin musterte ihn besorgt. „Sind Sie okay?“

„Ja.“ Er nahm das Tuch und tupfte die Wunde ab. Zwei winzige rote Flecken blieben auf dem Zellstoff zurück. Er steckte es in die Tasche. „Ich warte noch immer auf Ihre Antwort.“

Becky nahm den Mund von der Flasche und gähnte laut und ausgiebig. Cord beobachtete sie fasziniert.

„Hier.“ Miss Miller schob die leere Flasche in die geblümte Tasche auf der anderen Seite des Schaukelstuhls. „Sie können sie ihr Bäuerchen machen lassen.“ Sie holte eine frische Stoffwindel heraus und hielt sie ihm hin. „Legen Sie die an Ihre Schulter. Wir wollen nicht, dass Sie Ihr hübsches Hemd schmutzig machen.“

Ich bin Cord Stockwell, dachte er. Ich lasse niemanden Bäuerchen machen.

„Nehmen Sie die Windel“, sagte sie.

Also nahm er sie.

„Legen Sie sie an die Schulter.“

Er tat auch das.

Sie drückte das Baby an die Brust und stand auf.

Cord wich zurück.

„Kommen Sie“, wagte sie, ihn herauszufordern. „Früher oder später müssen Sie es lernen.“

„Wie wäre es mit später?“

„Wie wäre es mit jetzt?“

Was zum Teufel blieb ihm anderes übrig? Er streckte die Arme aus, und sie legte das Baby hinein.

„Gut“, sagte sie. „Legen Sie eine Hand um ihren Hinterkopf. Ja, so ist es richtig. Und jetzt ganz behutsam an die Schulter …“

Becky seufzte, als er sie an seine Brust drückte. Er fühlte ihre kleinen Knie. Sie duftete nach Milch und Babylotion. Und ihr Haar war so weich wie das Gefieder eines einen Tag alten Kükens. Sie gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Und dann machte sie ein gewaltiges Bäuerchen.

„Ausgezeichnet“, lobte Miss Miller.

Über den dunklen Flaum auf Beckys Kopf hinweg warf er ihr einen Blick zu. „Ich freue mich, dass ich Ihnen endlich etwas recht machen konnte – und arbeiten Sie jetzt für mich oder nicht?“

Sie nickte. „Ja. Vorübergehend.“

Sanft klopfte er auf Beckys winzigen Rücken. Sie war so klein. Es war, als würde er ein Kätzchen tätscheln. „Was soll das heißen, vorübergehend?“

„Das heißt, ich werde jetzt nach Hause fahren, ein paar Sachen zusammenpacken und meine Nachbarin bitten, meine Blumen zu gießen. Dann werde ich hier wohnen, im Zimmer des Kindermädchens, für ein paar Tage, bis Sie ein anderes gefunden haben.“

Sie würde für ihn arbeiten. Aber nicht lange. Seltsam, wie sehr ihm der Gedanke missfiel, dass sie wieder fortgehen würde. „Warum nehmen Sie den Job nicht einfach selbst? Sie sind genau die Art von Kindermädchen, die Becky braucht. Und ich zahle Ihnen wesentlich mehr, als Sie jetzt verdienen.“

War das Trauer, die er in ihren grünen Augen sah? „Danke für das Angebot, aber nein.“

Er strich Becky über den Kopf und wollte „Warum nicht?“ fragen, aber er tat es nicht. Es ging ihn nichts an. Und vermutlich würde sie es ihm ohnehin nicht erzählen.

„Ich nehme an, Sie werden die Einstellungsgespräche führen?“

„Wenn Sie nichts dagegen haben, ja.“

„Ganz und gar nicht. Miss Miller, Sie gefallen mir immer besser.“

„Genießen Sie es, solange es anhält, Mr. Stockwell.“

„Miss Miller, genau das habe ich vor.“

3. KAPITEL

Es war kurz nach sieben Uhr an diesem Abend, und Hannah räumte gerade ihre Sachen in die Ahornkommode im Zimmer des Kindermädchens, als es an der Tür klopfte.

„Es ist offen“, rief sie.

Eine schlanke, dunkelhaarige Frau streckte den Kopf herein. „Hi. Ich bin Kate, Cords kleine Schwester – und Beckys Tante. Sie sind Hannah, richtig?“

Hannah nickte. „Kommen Sie herein.“

„Ich störe nicht?“

„Nein. Ich bin gerade fertig geworden.“ Hannah ging zum Bett, auf dem ihr altmodischer Koffer aufgeklappt lag. Mit beiden Händen schloss sie ihn und schleifte ihn zum Schrank.

Als sie sich umdrehte, stand Cords Schwester im Raum. Ihr Haar war hochgesteckt, und an jedem Ohr baumelte eine kleine Kette aus Brillanten. Das Abendkleid war hauteng und aus kobaltblauer Seide und hatte bei Neiman-Marcus bestimmt ein Vermögen gekostet.

„Cord hat mir erzählt, dass Sie für eine Weile einziehen. Sie sind ganz anders, als ich mir Sie vorgestellt habe.“ Kate Stockwell setzte sich auf die Bettkante. „Andererseits bin ich nicht sicher, was ich erwartet habe.“

„Ich verstehe nicht.“

„Nun ja, ich muss zugeben, Cord hat Sie ein paarmal erwähnt. Dass Sie im Jugendamt für Becky zuständig sind. Und dass Sie …“

Hannah begriff. Sie lachte. „Sie sind sehr taktvoll. Was Sie meinen, ist, dass Ihr Bruder nicht sehr viel Nettes über mich gesagt hat.“

Kate senkte den Blick. „Na ja …“

„Ihr Bruder und ich sind nicht immer einer Meinung“, sagte Hannah.

„Trotzdem scheint es ihn zu freuen, dass Sie sich um Becky kümmern.“

„Nur für einige Tage – bis ich das richtige Kindermädchen gefunden habe“, verbesserte Hannah.

„Ja, ich weiß.“

Hannah zögerte. Ihr Instinkt verriet ihr, dass Kate und sie die gleiche Wellenlänge hatten und wie Freundinnen miteinander reden konnten. Aber es wäre vernünftiger, Distanz zu wahren, denn die junge Frau war mit ihrem Schützling und mit ihrem Arbeitgeber verwandt.

Verwirrt sah Kate sie an. „Was habe ich getan?“ Hannah schwieg.

„Oh, ich verstehe“, sagte Kate. „Sie wissen nicht, wie Sie mich behandeln sollen. Ich wette, mein Bruder hat den Schlossherrn gespielt. Das tut er immer. Sie werden sich daran gewöhnen. Aber hinter der unnahbaren Fassade ist er ein Schatz, das schwöre ich. Wir anderen versuchen, uns wie ganz normale Menschen zu benehmen.“ Sie schloss kurz die Augen. „Das heißt, die meisten von uns versuchen es.“

Hannah fragte sich, wer von den Stockwells kein „ganz normaler Mensch“ war.

Kate seufzte. „Ich rede immer zu viel. Dabei wollte ich Sie nur bitten, mich Kate zu nennen.“

Hannah beschloss, ihrem Instinkt zu folgen. „Gern.“ Sie ergriff die Hand, die Cords Schwester ihr entgegenstreckte.

„Und ich muss Sie doch nicht Miss Miller nennen, oder?“

„Hannah reicht völlig. Bestimmt sind Sie gekommen, um Becky zu besuchen.“

Kate nickte. „Ich kann es noch immer nicht glauben. Cord hat eine Tochter. Und ich bin eine Tante. Aber wenn sie schläft, komme ich später wieder.“

„Ich habe sie vor einer Stunde hingelegt. Wir schleichen zu ihr, und wenn sie schläft, schleichen wir hinaus. Was halten Sie davon?“

Kate stand auf. „Gute Idee.“

Hannah führte sie durch die Verbindungstür in das Spielzimmer und das angrenzende Schlafzimmer. Becky schlief tatsächlich. Die beiden Frauen traten leise an das Bett. Hannah lächelte, dankbar dafür, dass sie sich einige Tage um das Kind kümmern durfte. Kate gab einen leisen Laut von sich, der wie ein Seufzen klang. Als Hannah sie ansah, nahm sie in ihren blauen Augen eine gewaltige Trauer wahr. Und Verzweiflung. Sie konnte nicht anders und berührte ihren Arm. Kate fröstelte. „Sie können sie halten, wenn Sie möchten“, sagte sie und wollte das Baby aus dem Bett heben.

Doch Kate hinderte sie daran. „Das nächste Mal vielleicht.“

Hannah erstarrte. „Sind Sie sicher?“

Kate nickte und ging zur Tür. Hannah folgte ihr.

„Ich muss los“, sagte Cords Schwester, als sie wieder in Hannahs Zimmer waren. „Aber ich komme morgen wieder. Vielleicht habe ich Glück, und sie ist wach.“ Ihre Stimme klang brüchig und übertrieben unbeschwert.

„Falls sie schläft, wecken wir sie einfach“, versprach Hannah.

„Oh, nein. Sie braucht ihren Schlaf. Und Sie Ihre Pause. Wissen Sie was? Ich melde mich, bevor ich komme.“ Kate zeigte auf das Telefon auf dem Nachttisch.

Mrs. Hightower, die Haushälterin, hatte Hannah erklärt, wie es funktionierte, aber das Ding sah so kompliziert aus, dass sie es noch nicht benutzt hatte.

„Jeder von uns hat seinen eigenen Anschluss“, fuhr Kate fort. „Das Haus ist so groß. Cord hat die Drei, ich die Vier und Sie …“ Sie beugte sich über das Gerät. „Die Dreizehn.“

Hannah verzog das Gesicht. „Meine Glückszahl.“

„Auch daran werden Sie sich gewöhnen. Wenn Sie nach draußen telefonieren wollen, drücken Sie auf einen der Knöpfe auf der rechten Seite.“

„Danke.“

„Ich muss jetzt wirklich gehen.“ Kate zog einen Mundwinkel hoch. „Eins dieser endlosen Galadiners. Aber es dient einem guten Zweck. Wir sammeln Spenden für lernbehinderte Kinder.“

„Wir sehen uns morgen.“

„Abgemacht.“

Als Kate fort war, fragte Hannah sich, warum sie Becky so traurig angesehen hatte. Und noch dazu darauf verzichtet hatte, das Baby zu halten.

Kate Stockwell hatte einige Geheimnisse, da war sie sicher. Und als Frau, die selbst welche besaß, konnte ihr Hannah das nachfühlen. In gewisser Weise verstand sie es sogar. Im Herzen. Wo es zählte.

Ja, sie mochte Cord Stockwells Schwester. Und angesichts der Tatsache, dass Beckys vermeintlicher Vater es einem nicht gerade leicht machte, war das eine angenehme Überraschung.

Cord aß im Wintergarten zu Abend. Allein. Kate war bei irgendeiner Benefizgala. Rafe, ein Deputy U.S. Marshall, brachte einen Häftling nach Washington. Und ihr älterer Bruder Jack – na ja, wer konnte schon wissen, wo Jack gerade war? Wie Cord, Rafe und Kate hatte auch Jack seine eigenen Räume in der Villa. Aber er hielt sich selten dort auf, sondern trieb sich in der Welt herum, wo immer eine Regierung seine hoch qualifizierten und tödlichen Dienste benötigte.

Nach dem Essen ging Cord in sein Büro im Westflügel und arbeitete bis in den späten Abend. Das Stockwell-Imperium verdankte seine Existenz dem Ölboom der Dreißigerjahre. Bis dahin waren die Stockwells Viehzüchter gewesen, und zwar keine besonders erfolgreichen. Es war das Land gewesen, das sie zu Multimillionären gemacht hatte – genauer gesagt, das schwarze Gold darunter. Inzwischen besaßen sie Ölfelder in aller Welt, von Texas bis zum Nahen Osten, und hatten außerdem in andere Branchen wie Einkaufszentren oder junge Hightech-Firmen investiert. Fast immer hatte es sich ausgezahlt.

Kurz nach zehn unterschrieb Cord den letzten Brief des Stapels, den seine Sekretärin ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte. Dann warf er den Füllfederhalter hin und rieb sich das Gesicht. Es war spät. Gerade wollte er Feierabend machen, da läutete das Telefon. Er zögerte, denn er hatte vor, nach seiner Tochter zu sehen – und nach Miss Miller.

Es läutete wieder. Er nahm ab. „Hier ist Cord.“

„Als wüsste ich das nicht.“ Die Stimme war sanft. Äußerst feminin. Und voller Anspielungen.

„Hallo, Jerry.“ Er lehnte sich zurück.

Jerraly Coulter gehört zur texanischen Aristokratie – falls es so etwas gab. Einer ihrer Ururururgroßväter war bei Alamo gefallen. Und ihr Urururgroßvater war ein echter Rinderbaron gewesen. Cord und Jerralyn standen seit Wochen in den Klatschspalten. Sie hatten sich bei einem dieser Tausend-Dollar-pro-Teller-Bankette getroffen, auf denen die Politiker Wahlkampfspenden sammelten. Begonnen hatte es mit heißen Blicken und einem kleinen Flirt. Er hatte sie nach Hause gefahren. Und die Nacht mit ihr verbracht.

Jerralyn war sechsundzwanzig, sehr hübsch und elegant. Sowie dynamisch und höchst erotisch.

„Arbeitest du wieder spät?“, fragte sie.

„Schuldig.“

„Du arbeitest zu viel.“

„Ich arbeite gern.“

„Ich könnte in zwanzig Minuten bei dir sein – mit einer Flasche Dom Pérignon in der Hand und nichts unter meinem Nerz.“

Er lachte. „Ich dachte, du bist Tierschützerin?“

„Das war bildlich gesprochen.“

„Du führst mich in Versuchung“, sagte er, obwohl er in Gedanken noch immer bei Miss Miller war. Dabei, wie sie in dem weißen Schaukelstuhl gesessen und das braune Haar ihre Wange umspielt hatte.

„Du bist nicht bei der Sache“, beschwerte Jerraly sich. „Ich könnte gekränkt sein.“

Cord blinzelte. „Sei es nicht. Später in der Woche?“

„Na gut. Aber jetzt verschwinde endlich aus deinem Büro. Workaholics sind nicht sexy.“ Er versprach es ihr und legte auf.

Emma Hightower, die seit über einem Jahrzehnt den Stockwells den Haushalt führte, erschien in der Tür, als Cord das Licht ausschaltete. Wie immer sah sie ernst und streng drein. „Ich mache gerade meine letzte Runde. Kann ich Ihnen noch etwas bringen lassen, Mr. Stockwell?“

„Nein, danke, Emma. Hat Miss Miller sich schon eingerichtet?“

„Ja, das hat sie.“

„Sie haben dafür gesorgt, dass sie isst?“

„Ich habe ihr um halb acht das Abendessen im Zimmer servieren lassen.“

„Und hat Miss Miller ihr Gemüse gegessen?“, fragte Cord in der seit Jahren vergeblichen Hoffnung, Emma ein Lächeln zu entlocken.

„Ja. Sie schien einen guten Appetit zu entwickeln.“

„Gut. Ein Kindermädchen sollte nicht wählerisch sein.“

Zwischen Emmas schmalen Brauen erschien eine Falte, doch offenbar beschloss sie, Cords Bemerkung nicht zu kommentieren. „Soll ich Ihnen noch einen Snack bringen lassen, Mr. Stockwell?“

„Nein, Emma. Danke.“

Sie ging hinaus, und er folgte ihr. Er schloss die Tür ab, doch als er sich umdrehte, war sie verschwunden.

Cord nahm die Treppe ins Obergeschoss, ging an seinem Schlafzimmer vorbei und steuerte den Raum mit den hellblauen Wänden an, in dem seine Tochter bestimmt schon schlief. An der Tür lauschte er. Dahinter war es still.

Vorsichtig, mit angehaltenem Atem, drehte er den Messingknauf und schlich auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer.

Ja. Sie war hier und schlief fest. Er blieb stehen und hörte sie leise seufzen.

Als seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er sie. Die runden Wangen, den kleinen Mund, das weiche Haar und das trotzige Kinn.

Eine Stockwell. Ja.

Ihm wurde warm ums Herz.

Seine Tochter.

Seltsam. Er hatte sich nie vorstellen können, Vater zu sein. Vermutlich würde er kein sehr guter werden. Er arbeitete hart und überließ die Familienfreuden anderen Männern. Zu sehr ähnelte er dem alten Herrn, der am anderen Ende der Villa im Sterben lag. Er wusste, dass er auch kein guter Ehemann wäre. Irgendwann würde er seine arme Frau betrügen. Er war einfach nicht für die Ehe geschaffen.

Er mochte Frauen. Mehrzahl. Nun ja, nicht mehrere auf einmal. Aber viele, nacheinander. Und er hatte immer gut aufgepasst, damit keine von ihnen schwanger wurde. Bei Marnie Lott, an deren Gesicht er sich kaum noch erinnerte, war er offenbar nicht vorsichtig genug gewesen.

Und jetzt hatte er Becky.

Sie seufzte laut und drehte das Gesicht zur Wand.

Cord bewegte sich nicht. Er wollte sie nicht wecken. Vielleicht würde sie zu weinen anfangen, und dann würde Miss Miller hereineilen und ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwerfen. Und dann würde sie vermutlich beschließen, dass er noch etwas lernen musste. Er würde Beckys Windel wechseln müssen.

Er wollte gerade wieder hinausschleichen, als er ein Geräusch hörte. Das Knarren eines Stuhls oder Dielenbretts. Er schaute ins Spielzimmer. Durch den Spalt unter der geschlossenen Tür zum Zimmer des Kindermädchens drang Licht.

Miss Miller war noch wach.

Warum auch nicht? Es war erst halb elf.

Obwohl sie ihm wie eine Frau vorkam, die bei Sonnenuntergang zu Bett ging und im Morgengrauen aufstand. In einem weißen Baumwollnachthemd mit Spitzenbesatz an Ärmeln und Kragen. Die Art von Nachthemd, die ein junges Mädchen trug, züchtig und alles verhüllend – es sei denn, es stand vor einer Lampe.

Dann würde ein Mann alles sehen können: sanfte Kurven und den dunklen Schatten dort, wo ihre Schenkel …

Cord schüttelte den Kopf. Heftig.

Was zum Teufel war mit ihm los? Hatte er gerade eine sexuelle Fantasie gehabt? Über Miss Miller?

Nein. Keine Fantasie. Ein erotisches Bild, das war alles. Ein Produkt seiner überaktiven Vorstellungskraft, ein Beweis seines nie ermüdenden Verlangens.

Es bedeutete nichts. Er wollte sich abwenden, doch dann sah er den Schatten über den Boden wandern. Sie war nicht nur wach, sondern auf.

Warum?

Hör auf, Stockwell, befahl er sich verärgert. Es ist ihr Zimmer. Sie kann darin umhergehen, wann immer sie will.

Aber ging es ihr gut? Störte sie etwas? Fehlte ihr etwas? Etwas, das er vergessen hatte?

Sie war sein Gast. Zumal sie noch nicht über ihr Gehalt gesprochen hatten. Aber das mussten sie, denn er wollte sie nicht ausnutzen. Beim Jugendamt verdiente sie nicht viel, und sie opferte ihren Urlaub, um sein kleines Mädchen zu betreuen und ein Kindermädchen auszuwählen.

Kurz entschlossen durchquerte er das Spielzimmer und klopfte an ihre Tür. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann öffnete sie ihm.

Fast hätte er aufgestöhnt.

Er konnte nicht glauben, was seine Augen sahen.

4. KAPITEL

Cord senkte den Blick, um seine Verwirrung in den Griff zu bekommen.

Miss Millers Füße waren bloß. Es waren sehr ansehnliche Füße. Blass und lang, mit hübschen Zehen. Kein Nagellack.

Er konnte nicht widerstehen. Langsam hob er den Kopf. Ihr Nachthemd war tatsächlich aus Baumwolle. Weißer Baumwolle. Und mit der Lampe hinter ihr konnte er ihre Fußgelenke und die Umrisse überraschend sportlicher Waden erkennen.

Aber nicht mehr.

Denn sie hatte seine Fantasie … sein erotisches Bild nicht befolgt. Sie trug einen Bademantel, einen leichten grünen.

Er malte sich aus, wie er ihn ihr auszog.

Doch das tat er nicht. Er blieb, wo er war – im Spielzimmer, direkt vor ihrer Tür.

Hannah hielt das Nachthemd am Hals zusammen und schaute in das markante Gesicht ihres Arbeitgebers. „Was ist denn, Mr. Stockwell?“

Er räusperte sich. „Miss Miller, wir haben noch nicht besprochen, wie viel ich Ihnen bezahle.“

Sie verstand nicht, warum er so verunsichert aussah. Das passte nicht zu dem arroganten, befehlsgewohnten Mann, als den sie ihn kannte.

„Hm.“ Sie schluckte. „Geht es Ihnen gut?“

Seine dunklen Brauen zogen sich zusammen. „Natürlich geht es mir gut. Warum fragen Sie?“

Jetzt wirkte er verärgert. Das gefiel ihr nicht. Hier ging etwas vor, und sie wusste nicht was. „Na ja, es ist nur … Sie sehen so …“

„Was?“, bellte er.

Sie wich einen Schritt zurück. „Nichts. Vergessen Sie’s.“

Als sie die Tür schließen wollte, ließ er es nicht zu. „Ich habe gesagt, wir müssen über Ihr Gehalt reden.“

Sie starrte auf seine große Hand an der Tür. „Jetzt?“

„Warum nicht?“

„Es ist elf.“

Er hob die freie Hand und schaute auf die edle Armbanduhr. „Zehn Uhr zweiundvierzig.“

„Würden Sie bitte die Tür loslassen?“

Er tat es, aber sie brachte es nicht fertig, ihm die Tür vor der Nase zuzumachen. Er sah so verloren aus und tat ihr fast ein wenig leid. Was verrückt war. Cord Stockwell brauchte ihr Mitleid nicht.

Trotzdem stand sie einfach nur da und spielte nervös mit den Rüschen am Kragen ihres Nachthemds.

Okay, dachte sie. Er will über Geld reden. Also reden wir über Geld. Kurz. Und dann kann er wieder gehen. „Nun ja, wie ich schon sagte, habe ich Urlaub genommen. Deshalb ist es nicht nötig, dass Sie …“

Er fluchte. „Unsinn. Ich habe Sie engagiert, damit Sie für mich arbeiten. Und dafür werden Sie bezahlt.“

„Es ist doch nur für ein paar …“

„Nennen Sie mir einen Betrag.“

„Fein. Wie wäre es mit einem Tageshonorar?“

„Gut. Was immer Sie wollen.“ Er starrte noch immer auf ihren Hals, dort, wo ihre Hand an der Spitze nestelte. Sie ließ sie sinken, kam sich plötzlich entblößt vor und schlang beide Arme um sich.

„Ich würde Ihnen mehr zahlen“, sagte er.

„Nein.“

„Wenn Sie sicher sind …“

„Bin ich. Wir rechnen ab, wenn ich gehe.“

„Na schön“, erwiderte er und stand einfach da. Genau wie sie.

„Haben Sie alles, was Sie brauchen?“, fragte er nach einer Weile.

„Ja. Das Zimmer ist sehr schön.“

„Gut.“

Wieder schwiegen sie beide. Sie musterte ihn und bemerkte erst jetzt die silbrigen Strähnen in seinem dunklen Haar. Nicht viele, nur an den Schläfen. Der dunkelblaue Anzug saß perfekt und war vermutlich eine Maßanfertigung.

Plötzlich schien er sich einen Ruck zu geben. „Was ich noch sagen wollte …“

„Ja?“

„Sie können die Bewerberinnen gern im Wohnzimmer gegenüber empfangen.“

„Danke.“ Sie freute sich darüber, wie selbstsicher sie klang. „Das werde ich.“

„Gut“, sagte er zum wiederholten Mal. Ihm wurde bewusst, dass er nicht die ganze Nacht hier stehen und sie anstarren konnte. „Ich sollte Sie jetzt wieder dem überlassen, was Sie gerade getan haben.“

Sie lächelte. So verwirrt und verlegen wirkte er gar nicht mehr so unnahbar. „Ich bin nur auf und ab gegangen und habe versucht, die Stellenanzeige zu entwerfen. Bisher ist mir nicht viel eingefallen. ‚Zuverlässig, liebevoll, einsatzfreudig‘ … Haben Sie noch eine Idee?“

Er lächelte zurück. „Wie wäre es mit ‚erfahren‘?“

„Sehr gut.“

„Und ‚Referenzen erbeten‘.“

„Auf jeden Fall. Und was ist mit dem Gehalt? Und den Zusatzleistungen?“

Cord nannte eine sehr großzügige Summe. „Krankenversicherung. Auch für Zahnersatz und Brillen oder Kontaktlinsen. Frei an allen wichtigen Feiertagen. Oder Überstundenzuschlag, falls sie arbeitet. Und zwei Wochen Urlaub im Jahr.“

Ein attraktives Angebot. Hannah musste aufpassen, sonst würde sie grün vor Neid auf die Frau werden, die sie als ihre Nachfolgerin einstellte.

„Noch etwas?“ Er klang so hoffnungsvoll, dass sie ihm am liebsten den Gefallen getan hätte. Aber wäre das vernünftig?

„Hm … Nein. Ich glaube, das ist alles. Danke.“

„Gern geschehen.“ Sein Lächeln ließ ihr Herz schneller schlagen, aber nach einer Minute verblasste es. „Gute Nacht.“

„Ja. Gute …“

Sie hörte es gleichzeitig. Ein leises Quengeln.

Hannah hielt den Atem an und wusste, dass auch Cord das tat.

Das Quengeln wurde lauter. Dann setzte das Weinen ein.

„Jemand ruft nach mir“, sagte Hannah und machte einen Schritt nach vorn. „Entschuldigen Sie mich.“

„Oh.“ Er trat zur Seite.

Sie eilte an ihm vorbei.

Cord sah ihr nach. Erst als sie im Schlafzimmer des Babys verschwand, folgte er ihr.

Sie hob Becky aus dem Bett, als er sie erreichte.

„Vielleicht ist sie nass. Und wahrscheinlich auch hungrig. Normalerweise füttere ich sie gegen elf. Sie ist ein braves Mädchen.“ Sie flüsterte Becky etwas ins Ohr und sah Cord über die kleine Schulter hinweg an. „Danach schläft sie bestimmt bis morgen früh.“

Sie legte das Baby auf die Wickelkommode.

Cord ahnte, was jetzt kam. Er behielt recht.

Sie schob einen Finger in die Windel. „Ja. Zeit zum Wechseln.“

Er spielte mit dem Gedanken, sich diskret zurückzuziehen. Doch bevor er ihn in die Tat umsetzen konnte, fuhr Hannah Miller fort.

„Kommen Sie.“ Sie schaltete die Wandlampe ein. „Das hier müssen Sie auch lernen. Es ist nicht so schlimm. Dieses Mal ist sie nur nass.“ Sie lächelte aufmunternd.

Er verzog das Gesicht. Seine Tochter zappelte mit Armen und Beinen. „Vielleicht sollte ich es versuchen, wenn sie nicht ganz so unruhig ist.“

„Mr. Stockwell, Babys, die frisch gewindelt werden müssen, sind meistens unruhig.“

„Genau das meine ich.“

„Was meinen Sie?“

Becky sah nicht annähernd so süß aus wie im Schlaf. Sie trug ein gelbes T-Shirt mit Druckknöpfen. Miss Miller gab beruhigende Laute von sich, während sie die Knöpfe öffnete.

„Ich finde, Sie sollten es übernehmen. Sie machen es gut“, sagte Cord.

„Und Sie sollten es lernen. Kommen Sie her.“

Verdammt. Widerwillig stellte er sich neben sie. Mit dem Fuß ließ sie den Deckel eines Eimers aufklappen und die durchnässte Windel hineinfallen. Dann zog sie einige weiße Vierecke aus einem Behälter.

Sie hielt sie ihm hin. „Hier. Das sind Babytücher. Nehmen Sie sie.“

Er gehorchte und stellte überrascht fest, dass die Dinger feucht waren. Offenbar sah man ihm an, was er davon hielt.

Miss Miller lachte herzhaft.

Und verblüffte damit nicht nur Cord, sondern auch Becky. Sein kleines Mädchen verstummte schlagartig und starrte ihre Betreuerin an.

„Uups“, sagte Miss Miller und wandte sich kurz ab. „Entschuldigung.“ Als sie sich wieder umdrehte, war ihr Gesicht ernst.

Er hielt die feuchten Vierecke aus dem Behälter noch immer in der Hand.

„Wischen Sie ihr den Po ab“, forderte Miss Miller ihn auf. „Ganz behutsam.“

Er sagte nichts, schüttelte nur resigniert den Kopf und tat, was sie gesagt hatte.

Als das geschafft war, ließ sie ihn die Tücher wegwerfen. Dann reichte sie ihm die Salbe und bat ihn, sie sanft auf die gerötete Haut zu reiben. Danach zeigte sie ihm, wie man eine Windel in die Plastikhose einlegte. Anschließend half sie ihm, Beckys Po anzuheben und ihr die Hose anzuziehen.

Ab da war alles ganz einfach. Er brauchte nur noch die Klettverschlüsse zusammenzudrücken.

„Und jetzt wickeln wir sie wieder in ihre leichte Decke“, erklärte Miss Miller. „Halten Sie sie eine Weile, während ich ihr Fläschchen warm mache. Ich bin sofort zurück.“

Bevor er widersprechen konnte, war sie fort. Irgendwo im Spielzimmer ging ein Licht an.

Wie lange dauerte es, eine Flasche warm zu machen?

Höchstwahrscheinlich zu lange.

Becky sah aus, als würde sie gleich wieder weinen. Vorsichtig legte er sie an seine Schulter, wie Miss Miller es ihm gezeigt hatte. Cord stand da und kam sich idiotisch vor, während er ihren kleinen Rücken streichelte und nach nebenan lauschte.

Becky gab einen leisen, leicht trotzig klingenden Laut von sich.

Er wollte nicht, dass sie ihm ins Ohr schrie. Vielleicht sollte er sie wiegen …

Ja. Das musste klappen. Babys mochten gewiegt werden. Oder?

Er ging mit ihr zum Schaukelstuhl und setzte sich vorsichtig hinein. Langsam begann er zu schaukeln und zwang sich, trotz seiner Nervosität nicht schneller zu werden.

Becky krähte. Und dann weinte sie. Und machte ein Bäuerchen. Er fühlte es, genauer gesagt, er fühlte die warme Nässe durch sein Hemd hindurch. Erst jetzt fiel ihm ein, was er vergessen hatte. Die Windel an der Schulter.

Er schaukelte weiter.

Becky weinte weiter.

Und endlich kehrte Miss Miller mit einer Flasche zurück.

Cord wusste nicht, ob er sie umarmen oder anschreien sollte.

Sie nahm die Windel, die er vergessen hatte, aus dem Regal und stellte die Flasche auf den Tisch neben dem Schaukelstuhl.

„So“, sagte sie und nahm ihm Becky ab.

Er sah zu ihr hoch. „Was jetzt?“

„Jetzt können Sie sie füttern.“

Er wollte widersprechen, schon aus Prinzip, aber wenn Becky an der Flasche nuckelte, konnte sie nicht mehr weinen, richtig?

Also ließ er zu, dass Miss Miller ihm seine Tochter in den Arm legte und ihm die Flasche in die Hand drückte. Der Rest war einfach. Er hielt sie an Beckys Mund, und sie fing an zu saugen. Kinderspiel.

Zufrieden lächelte er. Zufrieden mit sich selbst, mit Becky und sogar mit Miss Miller.

„Sie haben Spucke auf Ihrem schönen blauen Hemd“, sagte Miss Miller sanft.

Er strahlte seine hungrige Tochter an. „Das gehört dazu.“

„Hier.“ Miss Miller beugte sich zu ihm hinunter. Sie duftete nach Frau, Babylotion und einem leichten Parfüm. Sie strich die Windel an seiner Schulter glatt. Erst als sie sich wieder aufrichtete, merkte er, dass er aufgehört hatte zu schaukeln. Vorsichtig fing er wieder damit an.

„Wenn sie fertig ist, lassen Sie sie ihr Bäuerchen machen. Sie wissen doch noch, wie das geht?“

„Sicher.“ Er sah nicht auf.

„Dann legen Sie sie ins Bett. Auf den Rücken. Decken Sie sie gut zu. Meinen Sie, Sie schaffen das?“

Eigentlich wollte er sie bitten, bei ihm zu bleiben. Aber wozu würde das führen? Sie war der Typ von Frau, der heiratete, das ganze Leben mit einem Mann teilte und eine Horde Kinder bekam. In einem hinterwäldlerischen Staat wie Oklahoma. Und er war der Typ von Mann, der an so etwas nicht das geringste Interesse hatte.

Okay, sie … reizte ihn. Er verstand es nicht.

Aber musste er es verstehen? Wahrscheinlich nicht, denn der Reiz würde schnell vergehen. Das tat er immer.

„Mr. Stockwell, schaffen Sie das?“

Er sah sie an. „Wo sind Sie geboren?“

Sie zögerte. „In Oologah. Das ist in …“

„Ich weiß, wo es ist.“ In Oklahoma. Volltreffer.

„Was war Ihr Daddy?“

Sie zögerte wieder. „Er hatte eine Tankstelle. Ich erinnere mich an die Tanklaster, die uns belieferten. Sie trugen Ihren Namen an der Seite. Stockwell Oil.“

„Lebt Ihre Familie noch in Oologah?“

Er sah, wie ihr Blick verschlossen wurde. „Nein, Mr. Stockwell. Das tut sie nicht. Und Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Glauben Sie, Sie schaffen es, Becky allein zu Bett zu bringen“

„Ja, Miss Miller, das glaube ich.“

„Das Babyfon ist auf der Fensterbank. Ich habe den Empfänger in meinem Zimmer. Wenn Sie mich brauchen, sagen Sie es einfach.“

Er sah ihr länger als nötig in die Augen, bevor er antwortete. „Danke. Aber ich bin sicher, ich komme allein zurecht.“

Sie ging zur Tür. Er betrachtete Becky, denn das hinderte ihn daran, auf Miss Millers Waden zu starren.

5. KAPITEL

Am nächsten Morgen um acht rief Kate Stockwell Hannah an. „Ist sie wach? Ich dachte mir, ich schaue auf dem Weg zum Frühstück bei ihr vorbei.“

Hannah lächelte. „Sie ist wach.“

Keine fünf Minuten später betrat Kate das Kinderzimmer. „Okay, hier bin ich. Darf ich sie halten?“

Hannah übergab ihr das Baby, und Kate drückte es an sich. Die Schatten, die Hannah am Abend zuvor in ihren blauen Augen gesehen hatte, waren fort.

Cords Schwester setzte sich mit Becky in den Schaukelstuhl. Sie trug einen seidenen Hosenanzug, der mehr gekostet haben musste, als Hannah im Monat verdiente. Doch wie ihrem Bruder, so schien es auch ihr nichts auszumachen, dass Becky auf das Designer-Outfit sabberte.

„Führen Sie heute Einstellungsgespräche?“

„Vielleicht“, erwiderte Hannah. „Auf jeden Fall will ich heute die Stellenanzeigen aufgeben und die Agenturen anrufen. Eventuell schicken sie mir gleich einige Bewerberinnen. Ich bin sicher, in ein paar Tagen kann meine Nachfolgerin mich hier ablösen.“

„Hannah Miller, machen Sie mir nichts vor. Ich verbringe meinen Arbeitstag damit, unter die Oberfläche zu schauen. Sie freuen sich nicht darauf. Sie lieben dieses Baby und wollen es nicht verlassen.“

„Sie haben recht. Ich liebe Becky“, gab sie zu. „Aber ich werde mich von ihr trennen müssen. Sehr bald sogar.“

„Cord hat mir erzählt, dass er Ihnen den Job angeboten hat.“

„Ja, das hat er.“

„Und warum nehmen Sie ihn nicht?“

„Es ist besser, wenn ich gehe.“

„Ist es?“

Hannah beschloss, zu einem harmloseren Thema zu wechseln. „Sie sind Therapeutin, nicht wahr?“

„Wie haben Sie das erraten?“

„Gar nicht. Ihr Bruder erwähnte es, als ich ihn bat, mir etwas über Beckys Angehörige zu erzählen.“

„Ach so. Nun, ich bin Kunsttherapeutin und arbeite mit gestörten Kindern.“

„Ihre Patienten malen und zeichnen?“

„Manchmal nehmen wir auch Ton. Oder mehrere verschiedene Materialien. Alles, was mir hilft, die Patienten zu erreichen.“

„Sie mögen Ihren Beruf, nicht wahr?“, sagte Hannah.

„Ich liebe ihn.“ Kate stand auf und lächelte Kate an. „Oh, es ist ein himmlisches Gefühl, sie in den Armen zu halten. Ich kann noch gar nicht glauben, dass ich das jetzt kann, wann immer ich es möchte.“

„Glauben Sie es. Becky bleibt hier.“

Kate warf Hannah einen vielsagenden Blick zu. „Es sei denn, der DNA-Test beweist, dass Cord doch nicht Beckys Daddy ist.“

Der Vaterschaftstest. Den hatte sie fast vergessen. „Ja, das stimmt.“

Kate küsste Beckys Schläfe, bevor sie Hannah wieder ansah. „Wie haben Sie Cord nur dazu gebracht, sich diesem Test zu unterziehen?“

„Ich habe ihm erklärt, dass es immer Zweifel geben wird, wenn er ihn nicht macht.“

„Sehr schlau“, lobte Kate. „Sie kennen meinen Bruder gut.“

„Nein, ich kenne ihn überhaupt nicht. Aber er ist eine Führernatur, und dazu gehört, dass er wissen muss, wo er steht. Wenn sicher ist, dass Becky von ihm ist, braucht er keine Angst zu haben, dass jemand sie ihm wieder wegnimmt.“

„Ich glaube, es gibt jemanden, der das gern tun würde“, erwiderte Kate sanft. „Und ich glaube, dieser Jemand sind Sie. Habe ich recht?“

Hannah antwortete nicht.

„Ich wusste es.“ Kate küsste Becky Wange. „Und ich verstehe es sogar. Aber dieses Baby ist Cords, das kann jeder sehen.“

„Ich will nur, dass sie glücklich ist. Ich will, dass sie ein gutes Leben hat. In jeder Hinsicht.“

„Wir werden gut auf sie aufpassen. Falls mein Bruder Ihnen das noch nicht versprochen hat, tue ich es jetzt. Tante zu sein bedeutet mir sehr viel. Ich … habe keine eigenen Kinder.“

„Bestimmt bekommen Sie eines Tages welche“, versicherte Hannah ihr hastig.

Kate zuckte mit den Schultern. „Hier. Nehmen Sie sie wieder. Ich habe um neun den ersten Termin und muss los.“

Hannah nahm ihr das Baby ab, und Kate wandte sich zum Gehen.

Plötzlich erschien Cord in der Tür. „Kate“, sagte er erfreut.

Liebevoll strich sie ihm über die Wange. „Hannah hat mir erlaubt, Becky zu halten. Ich war hingerissen. Wir müssen vorsichtig sein, sonst verwöhnen wir sie zu sehr.“

Er schmunzelte. „Ich fürchte, das werden wir auf jeden Fall tun.“

„Besser nicht.“ Kate machte eine tiefe Männerstimme nach. „Nichts ist schlimmer als ein verdammtes verzogenes Balg.“

Zwei blaue Augenpaare wurden schlagartig ernst.

„Meinst du, wir sollten sie zu ihm bringen?“, fragte Kate.

Cord schüttelte den Kopf. „Ich habe dir doch erzählt, dass er gestern außer sich war. Komplett von Sinnen.“

„Ich habe um sechs nach ihm gesehen.“

„Und?“

„Er schlief.“

„Er steht unter so vielen Medikamenten, dass er entweder tobt oder halb im Koma liegt.“

Kate seufzte. „Hat er gefragt, ob er sie sehen kann?“

„Nein.“

„Dann vergiss meinen Vorschlag.“ Kate schob sich an ihm vorbei. „Ich muss fahren.“ Sie winkte über die Schulter. „Ich komme wieder, Hannah.“

Hannah winkte zurück. „Jederzeit.“ Dann war sie fort.

Cord jedoch blieb zurück und zog die Jacke seines eleganten grauen Sommeranzugs aus. „Mein Vater“, murmelte er, als würde das alles erklären.

„Gestern Nachmittag“, begann Hannah. „Als Sie plötzlich wegmussten …“

„Richtig. Ich habe ihm von Becky erzählt. Aber er ist … sehr verwirrt. Vermutlich liegt das an den starken Schmerzmitteln. Ich möchte ja, dass er seine Enkelin sieht. Aber sein Verhalten ist unberechenbar. Manchmal wird er gewalttätig. Er war nie ein sehr freundlicher Mensch, aber in letzter Zeit …“ Er ließ den grimmigen Satz unvollendet.

„Das tut mir leid.“

Er nickte. „Sie und meine kleine Schwester scheinen sich gut zu verstehen.“

Hannah nahm Beckys winzige Hand in ihre. „Ich mag Kate. Sie ist so natürlich.“

„Kein hoffnungslos eingebildeter Snob wie manch anderer Stockwell.“ Er warf das Jackett über einen Stuhl und schlenderte auf sie zu.

Sie spürte, wie sich tief in ihr etwas regte, und befahl sich, es zu ignorieren. „Ich habe nie gesagt, dass Sie ein hoffnungslos eingebildeter Snob sind.“

„Aber Sie haben es gedacht.“ Er griff nach Becky.

Hannah reichte sie ihm. „Keineswegs.“ Das war eine Lüge, aber sie diente einem guten Zweck. „Und Sie brauchen eine Windel an Ihrer Schulter.“

„Dann geben Sie mir Ihre.“

Sie tat es, und er schaute ihr an Becky vorbei direkt in die Augen. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten noch wilder umher. Hannah wich zurück, schaffte es jedoch nicht, den Blickkontakt abzubrechen. Sie starrten einander an, bis Becky zu brabbeln begann.

Cord blinzelte. Hannah ebenfalls.

Und alles war wieder normal.

Mehr oder weniger.

„Was steht heute auf dem Plan?“, fragte er.

Sie erzählte ihm, was sie Kate gesagt hatte – dass sie die Zeitungen und Agenturen anrufen und vielleicht sogar ein oder zwei Einstellungsgespräche führen wollte. „Und solange es heute Morgen noch einigermaßen kühl ist, werde ich Becky in die schicke Sportkarre setzen und mit ihr einen Spaziergang machen. Sind Sie damit einverstanden?“

„Natürlich. Wann?“

Hannah runzelte die Stirn. War das wichtig?

Er beantwortete ihre ungestellte Frage. „Ich würde Sie gern begleiten … wenn Sie nichts dagegen haben.“

Sie sah ihn an. Hatte sie etwas dagegen? Es gab keinen Grund dazu.

Abgesehen davon, dass sie nicht erwartet hatte, ihm so häufig zu begegnen. Aber wenn der Test bestätigte, dass er der Vater war, würde Becky hier aufwachsen. Da konnte sie ihr schlecht verwehren, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen.

Sie rang sich ein strahlendes Lächeln ab. „Natürlich können Sie gern mitkommen. Ich dachte nur … na ja, dass Sie hart arbeiten.“

„Das tue ich. Aber zum Glück bin ich mein eigener Herr und kann mir ab und zu eine Stunde freinehmen.“

„Na gut. Sagen wir, um elf.“

„Elf ist gut.“ Er legte Becky auf die Wickelkommode, nahm die Rassel aus dem Regal und schüttelte sie. Das kleine Mädchen blinzelte und kicherte.

„Sie ist ein fröhliches Mädchen“, sagte er und sah Hannah an. „Ich könnte ihr die Flasche geben …“

Die Schmetterlinge in ihrem Bauch wurden wieder unruhig.

Das ist nicht gut, dachte Hannah. Pass auf dich auf, Mädchen.

Cord legte die Stirn in Falten. „Sind Sie okay?“

„Sicher. Warum?“

„Sie wirken heute Morgen so abgelenkt.“

„Nein, das bin ich nicht. Wenn Becky Hunger hätte, würde ich das wissen.“

„Hörst du das?“, sagte er zu seiner Tochter. „Miss Miller meint, dass du keinen Hunger hast. Ist das so?“

Er schüttelte die Rassel, und Becky lachte glucksend.

„Ich nehme an, das heißt Ja.“ Er gab ihr einen Kuss auf den kleinen runden Bauch und kitzelte sie mit den Lippen.

Becky krähte vor Vergnügen.

Und Hannah wurden die Knie weich.

Zum Glück bemerkte Cord Stockwell es nicht, weil er mit seiner Tochter beschäftigt war.

„Wenn Sie ein paar Minuten hierbleiben“, sagte Hannah nach einer Weile, „würde ich gern …“

Er hob den Kopf. „Sie wollen uns allein lassen?“

Seine Miene war besorgt, und sie unterdrückte ein Lächeln. „Ich bin nur zwei Zimmer entfernt. Rufen Sie einfach, wenn Sie mich brauchen.“

„Warten Sie. Becky wird doch keine frische Windel brauchen, oder?“

„Der Ernstfall?“ Sie lächelte spöttisch. „Ist das Ihr … Ernst?“

„Der Ernstfall. Mehr als nur nass, meine ich. Mit nass komme ich klar, glaube ich. Aber wenn es mehr ist, werde ich Hilfe brauchen“, gestand er verlegen.

„Ich verstehe.“

„Warum sehen Sie mich so eigenartig an, Miss Miller?“

„Mr. Stockwell, ich sehe Sie nicht eigenartig an.“

„Das hoffe ich. Ich bin ein Mann, der bei einer vollen Windel Hilfe braucht und sich dafür nicht schämt. Ist das zwischen uns klar?“

„Ja.“

„Gut.“

„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen“, beruhigte sie ihn. „Der Ernstfall war erst vor einer halben Stunde.“

„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Na los, machen Sie eine Pause. Haben Sie schon gefrühstückt?“

„Noch nicht. Mrs. Hightower hat gesagt, ich soll in der Küche anrufen, wenn ich so weit bin. Das werde ich jetzt tun.“

Er knurrte zustimmend und beugte sich wieder über Becky.

In ihrem Zimmer streifte Hannah die Schuhe ab und bestellte sich in der Küche pochierte Eier, Toast, Tomatensaft und Kaffee. Sie erfuhr, dass es etwa zwanzig Minuten dauern würde, bedankte sich und staunte über ein Haus, in dem man das Frühstück telefonisch orderte – wie in einem Hotel.

Dann rief sie die Zeitungen an und gab die Anzeigen auf. Die ganze Zeit hörte sie über das Babyfon Cords tiefe Stimme und Beckys Babylaute. Cord wurde immer leiser. Es klang, als würde er seiner Tochter eine Geschichte erzählen. Ab und zu schnappte Hannah einen Satz auf. „Der erste Caine Stockwell war Rancher, aber kein sehr guter. Und mein Großvater Noah hat dieses Haus gebaut …“

Sie musste lächeln. Becky lernte schon mit drei Monaten, was es hieß, eine Stockwell zu sein.

Wenig später brachte ein Hausmädchen das Frühstück, und Hannah trank gerade einen Schluck Kaffee, als es leise an der Tür klopfte.

Es war Cord, mit dem Jackett über dem Arm und ohne Becky.

Er legte einen Finger an die Lippen. „Ich habe ihr alles über die Ölkrise in den Siebzigerjahren erzählt. Erst dachte ich, sie würde fasziniert zuhören, aber dann sah ich, dass sie eingeschlafen war. Fast hätte ich sie geweckt, um ihr zu sagen, dass ein kleines Mädchen niemals einschlafen sollte, wenn sein Daddy mit ihr spricht.“

„Aber das haben Sie nicht.“

„Sie wird mir schon zuhören, wenn sie älter wird, meinen Sie nicht auch?“

„Bestimmt. Jedenfalls bis sie zwölf oder dreizehn ist. Danach wird sie mindestens die nächsten zehn Jahre alles ignorieren, was Sie sagen.“

„Das ist ermutigend“, knurrte er.

„Man nennt es auch die Teenagerzeit. Zum Glück geht sie meistens vorbei. Also haben Sie sie hingelegt?“

„In ihr Bett“, verkündete er stolz. Eine dunkle Strähne war ihm in die Stirn gefallen. Hannah umklammerte ihre Tasse mit beiden Händen. Auf die Weise geriet sie nicht in Versuchung, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen.

„Dann hole ich Sie und Becky um elf ab?“

„Wir werden bereit sein“, versprach Hannah.

Cord war pünktlich. Er trug eine Kakihose, ein grünes Poloshirt und Halbschuhe aus Wildleder – und sah nicht besonders texanisch aus.

„Jetzt fehlt Ihnen nur noch der lässig um die Schultern geworfene Kaschmirpullover“, entfuhr es Hannah.

„Wozu?“, fragte er.

„Um wie jemand auszusehen, der zur feinen Gesellschaft der Ostküste gehört und die Sommer auf Martha’s Vineyard verbringt.“

„Ich verstehe, Miss Miller. Zu Ihrer Information: Hin und wieder trage ich auch einen Stetson und Westernstiefel.“

„Das glaube ich erst, wenn ich es sehe“, entgegnete sie spontan.

Er lächelte matt. „Gehen wir?“

„Gern.“

Sie gingen die Treppe am Ende des Korridors hinunter und durch die Tür am Ende des Westflügels. Draußen blieben sie unter einer ausladenden Eiche stehen, klappten die Sportkarre auf und machten es Becky darin bequem.

„Darf ich sie schieben?“, bat Cord und klang so hoffnungsvoll, dass Hannah warm ums Herz wurde.

„Natürlich dürfen Sie. Wohin gehen wir?“

„Wie wäre es mit dem Teich? Er liegt hinter den Tennisplätzen und Stallungen.“

„Wie viele Meilen?“

„So weit ist es gar nicht. Wir können diesen Weg nehmen.“ Er zeigte auf einen von Bäumen gesäumten Pfad. „Durch den Garten oder darum herum?“

„Durch den Garten.“

„Ihr Wunsch ist mir Befehl.“

Autor

Myrna Temte
Eigentlich führt Myrna ein ganz normales Leben. Sie ist mit ihrer Collegeliebe verheiratet, hat zwei bezaubernde Kinder, einen süßen kleinen Hund und lebt in einer angenehmen Nachbarschaft in einer netten kleinen Stadt im Staat Washington.
Viel zu durchschnittlich, findet sie. Um mehr über sie zu erfahren muss man ihrer Meinung...
Mehr erfahren
Allison Leigh
<p>Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...
Mehr erfahren
Christine Rimmer
<p>Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
Mehr erfahren