Julia Extra Band 446

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DER FEURIGE KUSS DES SCHEICHS von WEST, ANNIE
Prinzessin Ghizlan sollte Scheich Huseyn von ganzem Herzen hassen! Schließlich zwingt er sie, ihn zu heiraten! Doch als er sie spontan in seine Arme zieht und mit einem feurigen Kuss überrascht, wird sie gegen ihren Willen von nie gekannter Leidenschaft überwältigt …

WIE ENTFÜHRT MAN EINE PRINZESSIN? von YATES, MAISEY
Liebesmärchen oder Alptraum? Gerade noch war Briar eine unschuldige junge New Yorker Studentin. Da wird sie von einem unwiderstehlich attraktiven Fremden entführt, der ihr eröffnet: Sie ist eine lang verschollene Adlige - und ihm, Prinz Felipe, zur Frau versprochen!

HAPPY END FÜR EINEN MILLIONÄR? von FRANCES, BELLA
Als der italienische Millionär Marco Borsatto zufällig seine Jugendliebe Stacey wiedertrifft, prickelt es sofort erregend. Obwohl sie ihn schon einmal betrogen hat, kann er ihrem Sex-Appeal nicht widerstehen. Ein Fehler, der ihn diesmal nicht nur sein Herz kostet?

FLITTERWOCHEN MIT DEM BOSS von CUDMORE, KATRINA
Nachdem ihre Hochzeit geplatzt ist, flieht Emma verzweifelt und mittellos nach Venedig. Zum Glück engagiert Milliardär Matteo Vieri sie als Assistentin. Wenn sie sich nur nicht so zu ihm hingezogen fühlen würde! Ein neuer Mann ist jetzt das Letzte, was sie braucht! Oder?


  • Erscheinungstag 06.03.2018
  • Bandnummer 0446
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710781
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Annie West, Maisey Yates, Bella Frances, Katrina Cudmore

JULIA EXTRA BAND 446

ANNIE WEST

Der feurige Kuss des Scheichs

Scheich Huseyn heiratet die kratzbürstige Prinzessin Ghizlan nur aus einem Grund: Er will sich den Thron sichern. Doch warum packt ihn dann plötzlich dieses ungeahnt wilde Verlangen in ihrer Nähe?

MAISEY YATES

Wie entführt man eine Prinzessin?

Der Liebe hat Prinz Felipe für immer abgeschworen. Da kommt ihm die Pflichtehe mit der Prinzessin wie gerufen. Ein Irrtum? Mit ihrer verführerischen Unschuld bringt Briar bald sein Herz in Gefahr …

BELLA FRANCES

Happy End für einen Millionär?

So groß die erotische Anziehung zwischen Italo-Millionär Marco und ihr auch ist, Stacey weiß: Eine arme Frau wie sie passt auf Dauer nicht in seine Welt! Besser, sie verlässt ihn, bevor er es tut – oder?

KATRINA CUDMORE

Flitterwochen mit dem Boss

Die betörende Engländerin Emma ist Versuchung pur für Milliardär Matteo Vieri. Jede zufällige Berührung weckt sein Begehren. Doch Emma hat gleich klargemacht, dass sie keinen neuen Mann will. Was nun?

1. KAPITEL

Die Stewardess trat zur Seite und gab respektvoll lächelnd den Weg zum Ausgang des Flugzeugs frei. Ghizlan verharrte einen Moment auf der Schwelle. Ihre Hand, die glättend über den Rock ihres maßgeschneiderten moosgrünen Kostüms strich, zitterte kaum.

Auch wenn sie ihrem Vater nie sehr nahegestanden hatte, so hatte sein plötzlicher Tod dennoch ihre Welt bis in die Grundfesten erschüttert. Doch Ghizlan richtete sich auf, bedankte sich mit einem professionellen Lächeln beim Flugpersonal, wie ihr Vater es von ihr erwartet hätte, und verließ die Maschine.

Die frische Abendbrise von den Bergen strich ihr um die mit feinen Seidenstrümpfen bekleideten Beine, und sie fröstelte ein wenig. Wie nett wäre es gewesen, einmal völlig zwanglos in Jeans und Pullover zu reisen! Doch als Tochter eines Scheichs stand ihr diese Freiheit nicht zu. Obwohl ihr die Knie zitterten, stieg sie anmutig und würdevoll die Gangway hinab. Mehr denn je war es wichtig, dass sie nach außen Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte. Bis der Erbe ihres Vaters bestimmt war, musste sie das Land repräsentieren, ein vertrautes Gesicht für ihr Volk. Man verließ sich darauf, dass sie als älteste Tochter des verehrten Herrschers für einen reibungslosen Ablauf der Dinge sorgen würde, bis sein Nachfolger feststand.

Wer immer das sein würde. Ghizlan wusste nur, dass ihr Vater kurz vor seinem Tod im Begriff gestanden hatte, für sich eine neue Ehe anzubahnen in der Hoffnung, doch noch den wichtigen männlichen Erben zu zeugen.

Am Fuß der Gangway hielt Ghizlan einen Moment inne und atmete tief die klare, würzige Bergluft ein. Wie stets pochte ihr Herz vor Freude, wenn sie nach Jeirut zurückkehrte. Malerisch erhob sich die Hauptstadt auf ihrem Plateau, auf drei Seiten von den Bergen umgeben, die jetzt am späten Nachmittag in violettes Licht getaucht waren, während sich hinter Ghizlan unvermittelt die schier endlose Weite der Großen Sandwüste erstreckte.

„Hoheit.“ Azim, der Haushofmeister ihres Vaters, trat mit sichtlich bedrückter Miene vor. Wenn irgendjemand mit ihrem Vater vertraut gewesen war, dann dieser treue Weggefährte, seine rechte Hand über viele Jahre. „Willkommen, Hoheit. Es ist gut, Sie zurück zu wissen.“

„Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Azim.“ Ohne Rücksicht auf das Protokoll ergriff Ghizlan die Hände des alten Mannes.

„Hoheit!“ Er blickte sich besorgt zu den Soldaten um, die am Rand der Landebahn aufmarschiert waren.

„Wie geht es Ihnen, Azim?“, erkundigte sich Ghizlan, ohne die Wachen zu beachten. Der Tod ihres Vaters musste ein schrecklicher Schlag für ihn gewesen ein, war es doch ihr gemeinschaftliches Lebenswerk gewesen, Jeirut mit eisernem Willen und klug bedachten Reformen ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen.

„Gut, Hoheit. Aber ich sollte Sie fragen …“ Er räusperte sich. „Mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust. Ihr Vater war nicht nur ein visionäres Landesoberhaupt, sondern der Hauptgarant unserer Demokratie. Ihr Beschützer und der Ihrer Schwester.“

Ghizlan nickte, ließ Azims Hände los und wandte sich zum Terminal. Die demokratische Verfassung ihres Landes galt über den Tod ihres Vaters hinaus. Und was sie und Mina betraf … Sie hatten schon vor langer Zeit gelernt, keine persönliche Unterstützung durch ihren Vater zu erwarten. Stattdessen mussten sie als Vorbilder für Erziehungsziele, Frauenrechte und andere wertvolle Zwecke herhalten. Ihr Vater mochte ein Visionär gewesen sein, den man als großen Mann in Erinnerung behalten würde, aber die traurige Wahrheit war auch, dass weder sie noch ihre jüngere Schwester über seinen Tod untröstlich waren.

Sie hatten das Flughafengebäude fast erreicht. „Hoheit, ich möchte Sie noch informieren …“ Azim verstummte, als einige Soldaten aufmarschierten, und Ghizlan horchte beunruhigt auf, als er eindringlich flüsternd fortfuhr: „Ich muss Sie vorwarnen …“

„Hoheit.“ Ein Offizier trat vor und verneigte sich. „Ich werde Sie zum Palast der Winde eskortieren.“

Er mochte Mitte dreißig sein, und sein hartes, wettergegerbtes Gesicht kam Ghizlan nicht bekannt vor, obwohl er die Uniform der Palastgarde trug. Aber sie war über einen Monat fort gewesen, und das militärische Personal wechselte ständig.

„Danke, aber mein Leibwächter genügt mir völlig.“ Sie drehte sich um, konnte aber zu ihrer Überraschung ihre persönlichen Sicherheitsbeamten nirgends entdecken.

„Ich glaube, Ihre Leute sind noch im Flugzeug beschäftigt“, sagte der Offizier, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er verbeugte sich erneut. „Meine Männer werden Sie eskortieren. Sicher können Sie es nicht erwarten, Prinzessin Mina wiederzusehen.“

Wieder horchte Ghizlan auf. Kein Palastangestellter würde sich eine derart persönliche Bemerkung über die Befindlichkeit eines Mitglieds der königlichen Familie erlauben. Der Mann war ganz bestimmt neu in seinem Job. Aber er hatte natürlich recht. Die Verzögerung ihrer Rückkehr hatte sie vor allem deshalb so schrecklich gefunden, weil sie Mina allein in Jeirut wusste.

Noch einmal blickte sie sich vergeblich nach ihren Leuten um. Es widerstrebte ihr, sie allein zurückzulassen, aber ihre Sorge um Mina wuchs sich allmählich zur Panik aus. Seit gestern hatte sie ihre kleine Schwester nicht mehr telefonisch erreichen können. Mina war siebzehn, hatte gerade erst die Schule abgeschlossen. Wie war sie allein mit dem Tod ihres Vaters zurechtgekommen? Bei den Jeiruti waren Beerdigungen, auch Staatsbegräbnisse, eine reine Männersache. Dennoch hätte sich Ghizlan vor Ort um vieles kümmern können. Aber ihr Vater war der Tradition gemäß innerhalb von drei Tagen bestattet worden, während sie auf einem anderen Kontinent festsaß.

„Danke, ich nehme Ihr Angebot an.“ Sie wandte sich an Azim. „Würden Sie meinen Leuten erklären, dass ich schon zum Palast vorausgefahren bin und mich in sicheren Händen befinde?“

„Aber, Hoheit …“ Azim warf einen Blick auf die Wachen ringsum. „Ich muss dringend unter vier Augen mit Ihnen sprechen. Es ist wichtig.“

„Natürlich. Es gibt viele wichtige Dinge zu besprechen.“ Der Tod ihres Vaters war genau genommen ein Albtraum. Da es keinen eindeutigen Erben für das Scheichtum gab, würde es Monate dauern, bis ein rechtmäßiger Nachfolger bestimmt sein würde. Ghizlan fühlte die erdrückende Last der Verantwortung. Zwar konnte sie als Frau nicht in die Fußstapfen ihres Vaters treten, dennoch kam ihr eine Schlüsselrolle für die Wahrung der Stabilität in ihrem Land zu, bis die Nachfolge geregelt war. „Geben Sie mir zwei Stunden, Azim. Dann setzen wir uns zusammen.“ Sie nickte dem Captain der Garde zu.

„Aber, Hoheit …“ Azim verstummte, als der Captain aggressiv auf ihn zutrat.

Ghizlan fixierte den Offizier mit einem durchdringenden Blick, den sie ihrem Vater abgeschaut hatte. „Wenn Sie weiter im Dienst des Palasts bleiben wollen, sollten Sie den Unterschied zwischen Achtsamkeit und Einschüchterung lernen.“ Der Offizier sah sie überrascht an. „Dieser Mann ist ein geschätzter Berater. Ich erwarte, dass er und alle, die sich an mich wenden, mit Respekt behandelt werden. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“

Der Offizier nickte und wich zurück. „Selbstverständlich, Hoheit.“

Freundlich lächelnd wandte sie sich noch einmal an Azim. „Wir sehen uns bald im Palast. Dann können wir alles besprechen.“

„Danke für die Eskorte.“ Ghizlan blieb in dem riesigen Innenhof des Palasts stehen. „In Zukunft müssen Sie oder Ihre Männer aber nicht mehr in den Palast mitkommen.“ Die Sicherheitsvorkehrungen sahen keine bewaffneten Wachen innerhalb der Mauern vor.

Der Captain deutete eine Verbeugung an. „Ich fürchte, meine Befehle lauten gegenteilig, Hoheit. Würden Sie bitte mitkommen?“

„Befehle?“ Neu oder nicht, der Mann wusste ganz bestimmt nicht, wo seine Grenzen waren. „Bis der Nachfolger meines Vaters bestimmt ist, bin ich es, die hier im Palast die Befehle gibt!“

Der Offizier blickte mit ausdrucksloser Miene an ihr vorbei.

„Was geht hier vor?“ Allmählich beschlich Ghizlan ein unbehagliches Gefühl. Bei genauem Hinsehen kamen ihr sämtliche Wachsoldaten unbekannt vor.

„Ich habe Befehl, Sie in das Büro des Scheichs zu bringen.“

„In das Büro meines Vaters?“ Unwillkürlich presste sie ihre Hand dorthin, wo ihr Herz plötzlich heftig pochte. Im nächsten Moment hatte sie sich wieder im Griff. „Wer hat Ihnen diesen Befehl erteilt?“

Anstelle einer Antwort bedeutete der Offizier ihr lediglich, vorauszugehen.

Zorn stieg in ihr hoch. Was immer hier vor sich ging, sie hatte ein Recht auf Antworten und würde sie sich holen! Entschlossen ging sie los … und blieb im nächsten Moment abrupt stehen, weil sie feststellte, dass der gesamte Wachtrupp ihr folgte.

„Schicken Sie Ihre Männer weg, Captain“, sagte sie ruhig, ohne sich auch nur umzublicken. „Sie sind an diesem Ort weder erforderlich noch willkommen.“ Nach einer bewussten Pause fügte sie hinzu: „Es sei denn, Sie fühlen sich nicht imstande, eine einzelne Frau zu bewachen?“

Ghizlan ließ sich nicht dazu herab, eine Antwort abzuwarten, sondern ging einfach davon. Das laute Klacken ihrer hohen Absätze auf dem Marmorboden verriet, wie es in ihr brodelte. Dass die Wachmannschaft geräuschvoll wegtrat, verschaffte ihr nur eine geringe Genugtuung, denn der Offizier folgte ihr auf dem Fuße.

Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Ihre angstvolle Vorahnung wuchs mit jedem Schritt.

Sämtliche Regeln des Protokolls missachtend, hielt Ghizlan sich nicht mit Anklopfen auf, sondern stieß die Tür zum königlichen Büro einfach auf und trat wütend ein. Frustriert blickte sie sich um. Der Raum war leer. Die Person, die angeblich der Palastwache – wenn es denn überhaupt die Palastwache war – so unverschämte Befehle gegeben hatte, war nirgends zu sehen. Mit klopfendem Herzen blieb Ghizlan vor dem großen Schreibtisch stehen, stützte beide Hände auf die polierte Platte und atmete den ihr so vertrauten Duft von Papier und Sandelholz ein. Fast glaubte sie, jeden Moment würde sich die Tür zur Privatsuite ihres Vaters öffnen, und er würde hereinkommen.

Nein. Ghizlan richtete sich auf. Sie musste sich zusammenreißen. Was immer hier vor sich ging, ihr Vater war tot. Ihr ganzes Leben hatte sie gewusst, dass seine Liebe seinem Land und nicht seinen Kindern gegolten hatte. Trotzdem hatte er noch eine dritte Ehe ins Auge gefasst, als er mitten aus dem Leben gerissen wurde … Nein, sie durfte sich nicht in Gefühlsduseleien verirren, sondern musste sich darauf konzentrieren herauszufinden, was im Palast geschah. Denn die Wachen hatten sie eher wie eine Gefangene behandelt, anstatt sie zu beschützen.

Entschlossen, sich nicht bange machen zu lassen, zupfte sie ihre Kostümjacke zurecht und wandte sich der rückwärtigen Tür des Büros zu.

„Prinzessin Ghizlan.“

Der Klang einer tiefen, aufregenden Männerstimme veranlasste sie, mitten in der Bewegung innezuhalten. Anmutig drehte sie sich auf einem der Stilettoabsätze ihrer Pumps herum. Die Tür, durch die sie eingetreten war, war jetzt geschlossen, und Ghizlan sah sich einem Bären von Mann gegenüber. Obwohl sie keine kleine Frau war und zudem High Heels trug, überragte er sie um einiges. Und er war nicht nur groß, sondern breitschultrig und beeindruckend athletisch, was seine Kleidung unterstrich. Er trug das Outfit eines Reiters … ein helles Hemd, enge Breeches und hohe Lederstiefel. Unter einem Umhang, den er lässig über die Schultern zurückgeworfen hatte, blitzte an seinem Gürtel ein Messer hervor. Kein verzierter Schmuckdolch, wie ihr Vater ihn gelegentlich getragen hatte, sondern eine schlichte Waffe, der man ansah, dass sie regelmäßig gebraucht wurde.

„Das Tragen von Waffen ist im Palast nicht gestattet!“, suchte Ghizlan ihr Heil im Angriff, weil ihr Herz plötzlich beunruhigend pochte, als sie dem Blick des Fremden begegnete.

Er hatte faszinierende graublaue Augen. Eigentlich waren Menschen mit hellen Augen gar nicht so selten in den Provinzen Jeiruts, durch die uralten Handelsrouten zwischen Europa, Asien und Afrika verliefen. Aber Augen wie diese hatte Ghizlan noch nie zuvor gesehen. Während sie ihrem Blick standhielt, verschwand jeglicher Anflug von Blau, und ihre Farbe wandelte sich zu einem kühlen Nebelgrau.

Auch sonst war sein markantes Gesicht bemerkenswert. Gerade schwarze Brauen, eine hohe Stirn, eine kräftige Nase, etwas schief, als wäre sie einmal gebrochen worden, und unerwartet sinnliche Lippen, die er allerdings missbilligend zusammenpresste.

Ghizlan zog ihre feinen Brauen hoch. Wer immer der Mann war, er wusste nichts von Höflichkeit, geschweige denn von höfischer Etikette. Denn es stand ihm überhaupt nicht zu, irgendetwas zu billigen oder zu missbilligen!

Schon gar, wenn er so aussah, als käme er geradewegs aus den Stallungen. Das schwarze, etwas zu lange Haar war vom Wind zerzaust, und ein dunkler Schatten zierte die Wangen und das markante Kinn. Kein sorgfältig gepflegter Designerbart, sondern die Bartstoppeln eines Mannes, der sich einfach eine Woche lang nicht die Mühe gemacht hatte, sich zu rasieren.

Als er nun nähertrat, atmete sie den durchaus aufregenden, männlichen Duft von Lederzeug und Pferden ein.

„Keine sehr freundliche Begrüßung, Hoheit.“ Er brauchte nicht laut zu sprechen, um mit seiner warmen Stimme tief in ihrem Innern beunruhigende Saiten anzuschlagen.

„Es war nicht als Begrüßung gedacht. Und ich ziehe es vor, nicht mit Hoheit angesprochen zu werden.“ Obwohl von königlicher Abstammung, würde sie nie Herrscherin sein. Trotz aller Modernisierungen in Jeirut, auf die ihr Vater so stolz gewesen war, reichte die Gleichberechtigung der Frauen längst noch nicht so weit.

Der fremde Eindringling machte keinerlei Anstalten, seine Waffe abzulegen oder sich selbst zurückzuziehen. Stattdessen betrachtete er sie so eindringlich von Kopf bis Fuß, dass es Ghizlan ganz heiß wurde.

Wer war dieser Mann, der das königliche Arbeitszimmer ohne anzuklopfen betreten hatte und es nicht einmal für nötig hielt, sich vorzustellen?

„Legen Sie bitte Ihre Waffe ab, solange Sie hier sind.“

Eine seiner dunklen Brauen zuckte, als wäre eine solche Bitte noch nie an ihn herangetragen worden. Herausfordernd verschränkte er die Arme vor der breiten Brust.

Zwing mich doch.

Es war, als hätte er die Worte laut ausgesprochen. Knisternde Anspannung lag in der Luft.

Verrückterweise empfand Ghizlan keinerlei Angst vor diesem großen, kühnen, bewaffneten Grobian. Im Gegenteil, das Wortgefecht mit ihm riss sie endlich aus der lähmenden Apathie, die sie seit der Nachricht vom Tod ihres Vaters ergriffen hatte. „Ihr Benehmen wie Ihr Aussehen machen deutlich, dass Ihnen der Hof und die Feinheiten der höfischen Gesellschaft fremd sind“, erwiderte sie mit einem wohldosierten Anflug von Überheblichkeit.

Der Blick seiner faszinierenden Augen schien sie zu durchbohren. Im nächsten Moment zog er mit einer raschen Bewegung seinen Dolch aus der Scheide und schleuderte ihn in ihre Richtung.

Ghizlan stockte der Atem, aber sie zuckte nicht, als die blitzende Klinge nur eine Armeslänge von ihr entfernt über den Schreibtisch ratschte. Bewusst langsam wandte Ghizlan den Kopf und begutachtete den angerichteten Schaden. Ihrem Vater war dieser Schreibtisch sehr wertvoll gewesen, weil er von jenem Vorfahren stammte, der Jeirut zu seiner ersten demokratischen Verfassung verholfen hatte. Ein Visionär und das große Vorbild ihres Vaters.

Fassungslos blickte Ghizlan nun auf den tiefen, hässlichen Kratzer in der polierten Sandelholzplatte und wurde von heftigem Zorn gepackt. Der Fremde hatte ganz bewusst auf den Schreibtisch gezielt, denn wenn er sie hätte treffen wollen, hätte er sie ganz bestimmt nicht verfehlt. Als wollte er durch diesen ungeheuer groben Akt der Zerstörung seine Unzivilisiertheit geradezu zur Schau stellen. Und ihr Angst machen.

Doch anstelle von Angst empfand sie nur maßlose Wut. Ihr Vater hatte sein Leben – und auch ihres – ganz dem Wohl seines Volkes gewidmet. Mochte er auch kein liebevoller Vater gewesen sein, so verdiente er doch mehr Respekt.

Verächtlich blickte sie den unverschämten Eindringling an. „Grobian!“

Er verzog keine Miene. „Und Sie sind eine verwöhnte Schmarotzerin. Aber der Austausch von Beleidigungen ist kein Ersatz für ein vernünftiges Gespräch.“

Eine derartige Unhöflichkeit war sie nicht gewöhnt. Sie atmete tief ein, um den für sie ungewohnten Wunsch zu bezwingen, dem Kerl eine gehörige Ohrfeige zu verpassen. Je länger ihre Ungewissheit über die seltsamen Vorkommnisse im Palast andauerte, desto nervöser wurde sie. Verrückt vor Angst um ihre kleine Schwester.

Mina! Wo war ihre Schwester? War sie in Sicherheit?

Doch auf keinen Fall würde sie ihre Angst dem Fremden zeigen, der sie nicht aus den Augen ließ. Bewusst langsam ging sie um den Schreibtisch herum und setzte sich anmutig in den schweren Ledersessel ihres Vaters. Ein unmissverständliches Statement. Wenn jemand hierhergehörte, dann sie.

„Wer sind Sie?“ Sie war stolz und erleichtert, dass ihre Stimme nicht zitterte.

Er sah sie einen Moment lang schweigend an, bevor er sich überraschend galant verbeugte. „Ich bin Huseyn al Rasheed aus Jumeah.“

Huseyn al Rasheed. Ghizlans Augen leuchteten besorgt auf, ehe sie sich wieder im Griff hatte. Ärger. Dieser Mann bedeutete Ärger von der schlimmsten Sorte.

„Die Eiserne Faust von Jumeah.“ Sie schluckte nervös.

„So nennen mich manche.“

Ghizlan schwieg einen Moment, um ihre Gedanken zu sammeln. Huseyn al Rasheed war der Sohn des Scheichs von Jumeah, Oberhaupt der abgelegensten Provinz in Jeirut. Als solche war sie halbautonom, und ihre Bewohner standen in dem Ruf, furchteinflößende Krieger zu sein.

Huseyn al Rasheed insbesondere galt als Vollstrecker seines Vaters in den fortgesetzten Grenzscharmützeln mit Halarq, Jeiruts problematischstem Nachbarn. Ihr Vater hatte gehofft, dass seine Friedensverhandlungen mit Halarq und dem anderen Nachbarstaat Zahrat diese über Generationen währenden Zwistigkeiten endlich beenden würden. Zwistigkeiten, die Huseyn al Rasheed und sein Vater durch ständige Provokationen schürten.

„Hat Ihr Vater Sie geschickt?“, fragte Ghizlan, äußerlich ruhiger, als sie sich fühlte.

„Niemand hat mich geschickt. Mein Vater ist tot wie sein Cousin, Ihr Vater.“

Cousin zweiten Grades, lag es ihr auf der Zunge zu erwidern, um die enge Verbindung, die er offensichtlich andeuten wollte, zu verleugnen. „Mein Beileid zu Ihrem Verlust.“

„Und meines zu Ihrem.“

Sie nickte. Die Art und Weise, wie es sie ansah, gefiel ihr gar nicht. Wie eine große Katze, die eine neue Beute für ihr grausames Spiel gefunden hatte. „Was ist der Grund, warum Sie hier bewaffnet und ungebeten eindringen?“

Bildete sie es sich ein, oder blitzte da etwas in diesen faszinierenden grauen Augen auf? Weil sie ihn wegen seines ungehobelten Verhaltens gemaßregelt hatte? Wenn die Gerüchte um ihn stimmten, war sie gut beraten, vorsichtig vorzugehen.

„Ich bin hier, um die Krone von Jeirut für mich zu beanspruchen.“

Ghizlan erstarrte. „Mit Waffengewalt?“ Sie war selbst verwundert, wie ruhig sie klang. Ihr geliebtes Land in der Hand eines solchen Mannes? Innerhalb weniger Wochen würden sie sich im Krieg befinden, und das Werk ihres Vaters … und ihr eigenes … wäre vernichtet. Bebend atmete sie ein.

„Ich habe nicht die Absicht, einen Bürgerkrieg zu provozieren“, erwiderte er kühl.

„Was meine Frage nicht beantwortet.“

Er zucke mit den breiten Schultern und lenkte damit Ghizlans Augenmerk ungewollt auf seinen bemerkenswert athletischen Körper. Gegen ihren Willen durchzuckte es sie heiß.

„Ich beabsichtige nicht, gegen mein eigenes Volk um die Königswürde zu kämpfen.“

Sie atmete auf, dennoch durfte sie diesem Mann nicht trauen. „Glauben Sie wirklich, dass die Ältesten einen Mann wie Sie zum Oberhaupt wählen werden?“ Sie sprang auf.

„Ich bin sicher, sie werden einsehen, dass es eine weise Entscheidung ist.“ Er zögerte vielsagend, was die knisternde Anspannung zwischen ihnen noch spürbarer machte. „Vor allem in Anbetracht des anderen glücklichen Umstands.“

„Welchen glücklichen Umstand meinen Sie?“, hakte Ghizlan unwillkürlich nach.

„Meine Hochzeit.“

Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache. Unerwartet zuckte ein Lächeln um Rasheeds Mund, das ahnen ließ, was für ein attraktiver Mann er hätte sein können. Und wieder spürte Ghizlan wider Willen, dass sie nicht immun dagegen war. Bis sie sich ins Gedächtnis rief, welche Bedrohung er darstellte.

„Das ist der andere Grund, warum ich in die Hauptstadt gekommen bin. Um mir meine Braut zu holen“

Seine Braut, wer immer sie war, konnte ihr nur von ganzem Herzen leidtun! „Und wen heiraten Sie? Kenne ich sie?“

Sein breites Lächeln weckte eine schlimme Vorahnung in ihr.

„Sie natürlich, meine liebe Ghizlan. Ich nehme Sie zur Frau.“

2. KAPITEL

Seine Genugtuung schwand angesichts des heillosen Entsetzens, das er in ihren weit aufgerissenen Augen las.

Er war ein hartgesottener Soldat, aber kein Monster. Ghizlans Ausdruck gab ihm das Gefühl, er hätte gedroht, sie mit Gewalt zu nehmen, anstatt sie ehrenhaft zu heiraten.

Es war seine eigene Schuld. Eigentlich hatte er sie nicht so damit überfallen wollen. Aber die hochnäsige Prinzessin provozierte ihn derart, wie es noch keiner geschafft hatte. Doch er hätte dagegen gewappnet sein müssen. Hatte Selim ihn nicht gewarnt, ehe er das Arbeitszimmer betreten hatte, dass sie so ganz anders war als erwartet? Sie besaß Schneid, ja, sie hatte sogar Selim, seine rechte Hand und jetzigen Befehlshaber der Palastwache, wegen seiner mangelnden Höflichkeit getadelt und sich ihm trotz der Anwesenheit der Wachen widersetzt!

Das hätte Huseyn wirklich gern miterlebt. Aber jetzt musste er zusehen, wie er mit dieser ungewöhnlichen Frau klarkam. Standhaft richtete er seinen Blick auf ihr Gesicht und erlaubte sich nicht, ihren verführerischen Körper zu bewundern. Allein der Gedanke daran war Ablenkung genug.

Bei seinem Eintreten hatte sie ihm den Rücken zugekehrt, beide Hände auf den Schreibtisch gestützt, und er hatte ihre Rückenansicht mit den wohlgeformten Beinen und dem knackigen Po in dem engen Kostümrock ausgiebig betrachten können. Als sie sich dann aufgerichtet und ihre Kostümjacke zurechtgezupft hatte, wallte tatsächlich heißes Verlangen in ihm auf. Doch dann hatte sie sich umgedreht und ihn so angewidert angesehen, als wäre er ein ekliger Wurm, den sie am liebsten unter ihren High Heels zertreten hätte.

Kein Mann hätte es je gewagt, ihn derart anzusehen. Und Frauen wurden gewöhnlich allein bei seinem Anblick schwach. Weshalb der abweisende Blick der Prinzessin seine Leidenschaft provozierte. Und seine Neugier.

„Das ist völlig absurd! Ich bin nicht Ihre liebe Ghizlan. Ich habe Ihnen nicht einmal erlaubt, mich beim Vornamen zu nennen.“

Ihre Wangen waren vom Zorn gerötet, die Augen funkelten, was ihre Schönheit noch unterstrich. Huseyn hatte geglaubt, sie zu kennen, doch die Fotos in den Hochglanzmagazinen wurden ihr nicht gerecht. Er hatte sie offensichtlich unterschätzt. Wie sie ihm die Stirn bot, nicht einmal zusammengezuckt war, als er das Messer geworfen hatte … dafür musste er sie bewundern.

„Wie soll ich Sie denn nennen, wenn nicht Ghizlan?“ Er sprach ihren Namen geradezu genüsslich aus. Wie würde sie als Geliebte sein? Bislang hatte er sie als Mittel zum Zweck betrachtet, als notwendiges Übel sozusagen. Keinesfalls hatte er damit gerechnet, dass er sie begehren würde. Was er ihr als Pluspunkt anrechnen musste. Sie war eine Frau mit Leidenschaft und Temperament. Und zweifellos auch Erfahrung, schließlich hatte sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren einige Zeit in den USA und in Schweden gelebt. Bei dem Gedanken, was ihn im Bett mit ihr erwartete, durchzuckte es ihn heiß. Wenn er schon heiraten musste, zog er natürlich eine Frau vor, bei der er alles fand, was er brauchte.

Hoheit ist die korrekte Anrede.“

Mit stolz erhobenem Kopf stand sie vor ihm, als trüge sie eine Krone und würde auf ihn herabsehen, der sein ganzes Leben in den Dienst seines Scheichs und seines Volkes gestellt hatte. Eine Frau, die es selbst nie nötig gehabt hatte, einen Finger krumm zu machen, sondern im Gegenteil mit ihrem Luxusleben der Nation auf der Tasche lag.

Bewusst anzüglich ließ Huseyn seinen Blick an ihrer aufregenden Figur hinabgleiten, wobei er länger auf der reizvollen Wölbung ihrer hohen Brüste verweilte. Als er ihr wieder ins Gesicht blickte, waren ihren Wangen leicht gerötet, und ihre zusammengepressten Lippen verrieten, dass es ihr nicht gefiel, wie er sie ansah.

Sie konnte froh sein, dass er sie nur ansah. Denn es machte ihn an, wie sie ihn provozierte. Und das Knistern in der Luft verriet, dass es bei aller Feindseligkeit eine aufregende Anziehung zwischen ihnen gab.

„Gibt Ihnen der Titel ein Gefühl von Überlegenheit gegenüber einem einfachen Soldaten? Obwohl er Ihnen nur aufgrund Ihrer Geburt zugefallen ist?“

Es war für ihn nichts Neues, dass Menschen sich ihm gegenüber für etwas Besseres hielten, denn er war das uneheliche Kind einer armen, ungebildeten Frau, die aufgrund ihrer Schönheit die Aufmerksamkeit seines Vaters erregt hatte. Aber schon lange hatte es niemand mehr gewagt, auf ihn herabzusehen, seit er sich als starker, ehrenhafter Krieger bewiesen hatte.

„Ich glaube an gewisse Regeln der Höflichkeit.“ Ghizlan hielt seinem herausfordernden Blick ruhig stand, und zu seiner eigenen Überraschung fühlte er sich beschämt.

„Wie Sie ganz richtig hervorheben, ist es ein Titel ehrenhalber.“ Sie richtete sich noch gerader auf, ein Bild wahrhaft königlicher Würde. Huseyn war tatsächlich versucht, ihr zu applaudieren. Wie viele Frauen in ihrer Lage hätten so mutig für sich eingestanden? „Manch einer würde vielleicht behaupten, ich hätte mich mein ganzes bisheriges Leben bemüht, diesem Titel gerecht zu werden, aber das interessiert Sie sicher nicht.“ Sie lächelte kühl. „Wie soll ich Sie nennen?“

„Einfach nur Huseyn.“ Er war Scheich seiner Provinz, aber schon bald würde er über die Nation herrschen, und Ghizlan würde seine Frau sein. Und obwohl dies eine Heirat aus politischer Raison war, wollte er plötzlich seinen Namen aus ihrem Mund hören. Gänzlich ungebeten tauchte das erregende Bild vor ihm auf, wie er ihren hinreißenden Körper nackt in den Armen hielt und sie auf dem Höhepunkt der Ekstase seinen Namen seufzte. Völlig überraschend packte ihn ein so wildes Verlangen, wie er es noch nie gekannt hatte. Ganz offensichtlich hatte er viel zu lange keine Frau mehr im Bett gehabt.

„Nun … Huseyn“, erwiderte sie betont frostig, was ihn nur noch mehr erregte. „Was immer Ihre Pläne sind, eine Heirat mit mir ist unmöglich.“

„Warum?“ Er verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust und registrierte ein Aufleuchten in ihren schönen Augen, das er bei jeder anderen Frau als Zeichen von Interesse gedeutet hätte. „Sie sind doch frei, nachdem Ihnen der Scheich von Zahrat den Laufpass gegeben hat.“

Es war der Skandal des Jahrhunderts gewesen.

Ghizlan verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust und atmete tief ein. Der Anblick ihres reizvollen Dekolletés war geeignet, einen Engel in Versuchung zu führen. Diese Frau kämpfte mit Waffen, die gefährlicher waren als Messer oder Gewehre.

„Mir wurde nicht der Laufpass gegeben“, widersprach sie kühl. „Ich habe mich im Rahmen der Kampagne meines Vaters für ein Friedensabkommen mit Zahrat und verbesserte Handelsbeziehungen mit Scheich Idris getroffen. Was eine Heirat zwischen uns betrifft …“, sie schüttelte den Kopf, „… habe ich sehr gern den Feierlichkeiten anlässlich seiner Verlobung in London beigewohnt.“

„Aber nicht seiner Hochzeit, die kürzlich stattfand.“ Huseyn betrachtete sie aufmerksam, neugierig, was sie wohl immer noch für den Mann empfand, der sie sitzen ließ, nachdem er erfahren hatte, dass er Vater eines Sohnes mit einer Engländerin war, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Mit der Frau, die er inzwischen geheiratet hatte.

„Das war leider nicht möglich, weil ich bereits andere geschäftliche Verpflichtungen hatte.“

Eine Antwort, die ihn nicht überzeugte. Was hatte sie wirklich für Idris empfunden? Die Vorstellung, dass sie ihm vielleicht noch nachtrauerte, war irgendwie … unangenehm. „Geschäftlich?“

„Es mag Ihnen ja seltsam erscheinen“, antwortete sie abweisend, „aber ich habe durchaus geschäftliche Termine.“

„Und Sie sind frei zu heiraten.“

Die Art, wie sie ihre makellosen Brauen hochzog, weckte in ihm erneut den Wunsch, sie an sich zu ziehen und zu küssen. Es reizte ihn, wie sie ihm die kalte Schulter zeigte. Zu seiner eigenen Überraschung, denn eigentlich waren reiche, verwöhnte Mädchen nie sein Typ gewesen.

„Ich hege keinerlei Pläne in dieser Hinsicht.“

„Nicht nötig, denn die Pläne sind bereits fertig. Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Sind Sie nicht auf dem Markt? Bereit, an den Höchstbietenden zu gehen? Waren Sie etwa nicht Teil des Preises, den Ihr Vater für das Abkommen mit Zahrat zahlen wollte?“

Ein Aufblitzen in ihren Augen ließ ihn fast glauben, seine Worte hätten sie verletzt. Kaum möglich. War sie nicht als Faustpfand königlicher Politik geboren und erzogen worden?

„Im Gegensatz zu den überkommenen Bräuchen in Ihrer Provinz, Huseyn …“, sie verlieh seinem Namen einen spöttischen Klang, „… bin ich keineswegs ein bloßer Sachbesitz. Dank meinem Vater führen die Frauen in Jeirut ein selbstbestimmtes Leben. Ich habe meinen eigenen Willen.“

Was nicht zu übersehen war. Und obwohl es ihm einige Unbequemlichkeiten bescherte, war Huseyn froh darum. Er bewunderte sie für ihren Esprit. Wenn er schon heiraten musste, würde die Ehe mit ihr wenigstens nicht langweilig werden.

„Haben Sie Angst, dass ich den Brautpreis für Sie nicht aufbringen kann?“

„Es interessiert mich nicht, wie viele Kamele Sie für meine Hand bieten“, erwiderte sie bewusst herablassend. „Und ich habe keine Angst. Vor niemandem.“

Doch ihre deutlich angespannte Haltung strafte ihre Worte Lügen. Huseyn, dem es mehr als einmal das Leben gerettet hatte, die Körpersprache seines Gegners zu lesen, ließ sich nichts vormachen.

„Ich werde Ihnen nicht wehtun, Ghizlan.“ Beruhigende Worte, die er schon viel früher hätte aussprechen sollen. Doch er hatte das Wortgefecht mit ihr zu sehr genossen. Außerdem war er als Krieger und Anführer vor allem in einer Männerwelt zu Hause und es nicht gewohnt, mit Frauen zu verhandeln.

Für einen Moment glaubte er, ihre Erleichterung zu spüren und die verletzliche Frau hinter der unnahbaren Fassade zu ahnen. Dann hatte sie sich wieder um Griff. Aber ihr eisiger Blick machte ihn richtig an. Er konnte es kaum erwarten, diese hochnäsige Kratzbürste zu zähmen!

„Danke für diese Zusicherung“, entgegnete sie kühl. „Ich weiß das zu schätzen angesichts der illegalen Anwesenheit von bewaffneten Soldaten im Palast.“

„Die Wachen dienen allein dem Schutz.“ Hatte sich sein Ruf, stets die Schwachen – Frauen eingeschlossen – zu beschützen, nicht bis zu ihr herumgesprochen? Trotz seiner massiven Maßnahmen, sich den Thron zu sichern, waren er und seine Leute keine Kriminellen. Schließlich hatte er einen legalen Anspruch. Er stand an erster Stelle in der Thronfolge.

Wieder zog sie kaum merklich die feinen Brauen hoch. „Und was ist mit der ursprünglichen Palastwache geschehen?“

„Sie wurde vorübergehend vom Dienst entbunden.“

„Wenn jemand von ihnen zu Schaden gekommen ist …“

„Keiner ist zu Schaden gekommen.“ Abgesehen von dem einen Soldaten, der seinen Versuch, Prinzessin Mina zu beruhigen, mit einem schmerzhaften Biss in die Hand bezahlt hatte. Vermutlich hätte man von Anfang an wissen müssen, dass diese verwöhnten Frauen nur Schwierigkeiten machen würden. „Es hat keinen Kampf gegeben.“

Das war nicht nötig gewesen. Niemand hatte Huseyn aufgehalten, als er unter der Vorgabe, dem toten König die Ehre zu erweisen, mit seinen Männern den Palast betreten hatte. Die junge Prinzessin hatte dann als Faustpfand genügt, um die Palastwache zu überzeugen, freiwillig abzutreten.

„Gut, dann werden Sie ja nichts dagegen haben, wenn ich mit dem Captain der Wache spreche. Mit dem eigentlichen.“ Ghizlan sah ihn herausfordernd an. „Es sei denn, Sie hätten Angst, mir dieses Entgegenkommen zu gewähren.“

Diese Frau hatte wirklich Nerven! Er, die Eiserne Faust von Jumeah, und Angst? Kein Mann hätte gewagt, das auch nur zu denken!

Ghizlan atmete vorsichtig auf. Mit diesem Mann zu reden war, als würde man gegen eine Wand sprechen. Abgesehen von dem Funkeln in seinen Augen, wenn er sie ansah. Eigentlich hätte sie starr vor Angst sein müssen. Aber sie fürchtete allenfalls um Mina, ansonsten hatte sie seit Langem nichts mehr so aufregend gefunden wie die Auseinandersetzung mit diesem Fremden.

Nichts bringt dich so in Schwung wie ein bewaffneter Überfall, dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor und presste die Lippen zusammen, um ein Lächeln zu unterdrücken.

„Stimmt etwas nicht?“

Es klang fast besorgt … was natürlich lächerlich war. Der Kerl war ein Grobian. Ein Opportunist, der vom Tod ihres Vaters profitieren wollte. Und er betrachtete sie als Besitz, als Faustpfand.

Wie dein Vater es tat.

Der Gedanke schmerzte. Huseyn hatte natürlich recht. Ihr Vater hatte sie und ihre kleine Schwester als Aktivposten für seine zukünftigen Pläne betrachtet. Ihre Heirat mit einem benachbarten Scheich war Teil seiner Vertragsverhandlungen gewesen. Es hatte sie verletzt, auch wenn ihr immer bewusst gewesen war, dass eines Tages eine Ehe für sie arrangiert werden würde. Sie war immer die gehorsame, pflichtbewusste Tochter gewesen, die das Wohl ihres Landes an die erste Stelle setzte. Trotzdem hatte es ihr nie die Liebe oder die Wertschätzung ihres Vaters eingebracht.

Und jetzt wollte dieser … Eindringling bestimmen, wen sie heiraten sollte? Sie mochte in Pflichterfüllung und Liebe an ihr Land gebunden sein, aber zum ersten Mal war sie doch frei, so zu leben, wie sie es wollte. Und sie wollte sich ganz bestimmt nicht an diesen unzivilisierten Rüpel binden!

Ghizlan ging um den Schreibtisch herum, blieb dicht vor Huseyn al Rasheed stehen und blickte ihm herausfordernd in die faszinierenden hellgrauen Augen. So aus der Nähe war er geradezu sündhaft attraktiv, und sie musste sich Mühe geben, einen klaren Kopf zu bewahren. „Sie fragen mich, ob etwas nicht stimmt?“ Sie lachte spöttisch. „Was könnte denn nicht stimmen … abgesehen davon, dass Sie den Palast offenbar in Ihre Gewalt gebracht haben und verlangen, dass ich Sie heirate? Sie verweigern mir den Zugang zu meiner Schwester ebenso wie zu den Palastangestellten. Wie kann ich wissen, dass es ihnen gut geht?“

„Weil Sie mein Wort haben. Und ich habe Ihnen den Zugang zu Ihrer Schwester nicht verweigert.“

„Dann kann ich sie sehen?“ Sie versuchte, ihre Erleichterung zu verbergen.

„Sobald wir unsere Diskussion beendet haben.“

„So nennen Sie das?“ Dieser Mann stellte ihre Geduld wirklich auf eine harte Probe.

„Natürlich.“ Er ließ die verschränkten Arme sinken und zuckte kurz die breiten Schultern, als wollte er die aufgebaute Anspannung loswerden.

Ghizlan jagte ein Schauer über den Rücken. Noch nie war sie einem Mann so nahe gewesen, der so überwältigend männlich war. Das lag nicht nur an seiner Größe und seiner beeindruckend athletischen Figur, sondern vor allem auch an seiner bezwingenden Ausstrahlung, die sie geradezu magisch in Bann zog.

„Ich würde gern zuerst den Captain der Palastwache sehen, um mich zu vergewissern, dass es allen Angestellten gut geht. Und meine persönliche Leibwache, die ich im Flugzeug zurückgelassen habe …“

Huseyn hob beide Hände. „Ihnen ist nichts geschehen.“

„Verzeihen Sie, wenn ich mich davon lieber persönlich überzeugen möchte. Dann gehe ich zu meiner Schwester.“

Sie wollte sich abwenden, aber er packte sie beim Handgelenk und hielt sie zurück.

„Ich mag es nicht, wenn man an mir herumzerrt.“

„Herumzerrt?“ Er zog spöttisch die Brauen hoch, und seine Mundwinkel zuckten.

Ganz offenbar nahm er sie nicht ernst, was sie wütend machte. „Ich bin kein Spielzeug, Huseyn. Und Sie werden feststellen, dass sich die meisten Frauen nicht gern gegen ihren Willen anfassen lassen.“

„Die meisten Frauen lassen sich gern von mir anfassen“, erwiderte er aufreizend selbstbewusst.

Ganz offenbar hielt er sich für unwiderstehlich! „Wenn Sie meinen.“ Ghizlan hielt seinem Blick unbewegt stand. „Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, dass viele Frauen auch nur so tun, als würde es ihnen gefallen, wenn der Mann so viel … mächtiger ist als sie. Aus reiner Selbstverteidigung, wenn Sie verstehen?“

Er ließ ihre Hand los, als hätte sie ihn gebissen, und sah sie ehrlich entsetzt an. „Ich würde mich einer Frau niemals gewaltsam aufdrängen!“

„Tatsächlich?“ Sie wich zurück, bis sie an den Schreibtisch stieß. „Wie würden Sie dann Ihre Forderung, mich zu heiraten, nennen? Wenn sie als reine Bitte zu verstehen war, habe ich sie bereits abgelehnt.“

Er schwieg einen Moment, und sie wartete angespannt.

„Es ist der Versuch, Blutvergießen zu vermeiden.“

„Verzeihen Sie, wenn mich das nicht überzeugt. Jeirut ist eine stabile konstitutionelle Monarchie. Der neue Scheich wird vom Royal Council gewählt und vom Parlament bestätigt. Ohne Blutvergießen. Die Wahrheit ist vielmehr, dass Sie die Krone mit Gewalt an sich reißen wollen.“

„Nicht mit Gewalt. Es ist lediglich ein präventiver, taktischer Zug. Sogar Sie müssen zugeben, dass ich der beste Anwärter auf den Thron bin. Unter allen bin ich der Einzige, dessen Anspruch auch auf verwandtschaftlichen Banden gründet. Vor allem aber bin ich ein geachteter Krieger und Heerführer mit einiger Regierungserfahrung. Unsere Heirat wird den Entscheidungsprozess lediglich beschleunigen und einfacher machen.“

„Wenn Sie der perfekte Kandidat sind, wird der Rat sowieso für Sie stimmen.“

„Das dauert. Und Zeit hat Jeirut nicht.“

„Oh, zweifellos haben Sie es sehr eilig, den Thron zu besteigen, aber …“

„Meinen Sie, es geht hier um mich?“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Es geht darum, die Sicherheit Jeiruts zu gewährleisten. Nach dem Tod Ihres Vaters wartet Halarq nur darauf einzumarschieren.“

„Unsinn! Mein Vater stand kurz vor der Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit Zahrat und Halarq.“

„Mit seinem Tod ist das jetzt erst einmal hinfällig. Der alte Emir von Halarq sieht seine Chance, sich Jeirut zu vereinnahmen, und rüstet bereits auf. Nach Geheimdiensterkenntnissen werden sie erst einmal das umstrittene Grenzterritorium beanspruchen und dann weiter vordringen.“

„Aber dieses Land gehört seit zweihundert Jahren zu Jeirut!“

„Und dennoch habe ich in Grenzscharmützeln mit Halarq gekämpft, seit ich alt genug war, eine Waffe zu führen. Hier in der Sicherheit der Hauptstadt ist Ihnen das vielleicht gar nicht bewusst.“ Er blickte sich vielsagend in dem kostbar möblierten Raum um. „Aber meine Provinz hat seit Jahren die Hauptlast im Kampf gegen die Übergriffe unserer Nachbarn getragen. Glauben Sie mir, Halarq steht bereit, und je länger es dauert, einen neuen Herrscher zu wählen, desto mehr spielen wir dem Emir in die Karten.“

„Dann reden Sie mit dem Rat. Drängen Sie auf eine schnelle Entscheidung.“

Er schüttelte den Kopf. „Die Mehrheit ist bereits für mich, aber Sie wissen so gut wie ich, dass der Royal Council es liebt, sich zu beraten. Eine schnelle Entscheidung gilt als schlechte Entscheidung. Und es gibt zwei weitere Kandidaten, auch wenn deren Ansprüche meinen nicht standhalten. Ein Einmarsch Halarqs würde den Prozess zusätzlich verkomplizieren. Ich muss jetzt handeln und den Rat überzeugen, sofort den besten Mann zu wählen, um das Land zu beschützen.“

Sie blickte in sein entschlossenes Gesicht, sah das Leuchten in seinen Augen und hätte ihm fast geglaubt. Bis ihr Mina und die hermetische Absperrung des Palasts wieder einfiel. Langsam hob sie die Hände und applaudierte spöttisch. „Bravo, was für eine Vorstellung! Ich könnte Ihnen fast glauben, dass Sie sich für Ihr Land opfern, indem Sie den Thron beanspruchen. Aber Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, ich wäre jetzt bereit, meine Freiheit zu opfern und Sie zu heiraten. Ihre schönen Worte haben mich nicht überzeugt.“

„Sie sind nicht bereit, dies für Ihr Land zu tun?“

„Für mein Land oder für Sie?“, entgegnete sie verächtlich.

„Ich hätte wissen müssen, dass es zu viel erwartet war. Sie hatten es nicht einmal eilig, nach dem Tod Ihres Vaters nach Hause zurückzukehren. Andere Dinge waren Ihnen offensichtlich wichtiger.“

„Anscheinend dringen Nachrichten in Ihre entfernte Provinz nur langsam durch“, erwiderte sie empört. Nachdem ihre geplante Verlobung mit Scheich Idris so unvermittelt geplatzt war, hatte sie tatsächlich einige Zeit im Ausland verbracht … auf ausdrücklichen Wunsch ihres Vaters, bis der Skandal sich verflüchtigt haben würde. Sie hatte die Zeit intensiv für den Aufbau neuer Geschäftsbeziehungen genutzt, die Jeirut für die Verwirklichung weiterer Reformen dringend brauchte. „Eine Staubwolke von einem isländischen Vulkan hat tagelang jegliche Flüge verhindert. Ich bin mit dem ersten möglichen Flug gekommen. Nicht, dass es mir wichtig wäre, was Sie denken. Ich würde sowieso niemals einen Mann heiraten, den ich auf Anhieb verachtet habe.“

„Verachtet?“ Seine tiefe Stimme klang wie Donnergrollen.

Ghizlan hielt den Atem an. „Ganz genau.“ War er etwa nähergekommen?

Tatsächlich. Sie atmete den würzigen Duft von Stall und Leder ein.

„Und wie erklären Sie dann das, Hoheit?“

Ehe sie begriff, wie ihr geschah, packte er sie bei den Armen und beugte sich zu ihren Lippen herab.

3. KAPITEL

Im letzten Moment drehte Ghizlan den Kopf zur Seite, wodurch sie aber diesem … Bandit ihre Wange darbot.

Raue Bartstoppeln streiften ihre zarte Haut und ließen sie sacht erschauern. Warme, unerwartet sanfte Lippen berührten ihre Wange und raubten ihr mit ungeahnter Zärtlichkeit den Atem.

Sie war entschlossen, nicht zu schreien. Nein, sie würde ihm nicht die Genugtuung geben, ihre Angst zu zeigen. Stattdessen stand sie wie erstarrt da.

Doch es war gar nicht Angst, was sie empfand, als sich seine Lippen mit verführerischen Küssen ihrem Ohr näherten. Überrascht registrierte Ghizlan dieses heiße Aufwallen aus ihrer Mitte.

Genug! Entschlossen versuchte sie, sich Huseyns Griff zu entziehen. Vergeblich. Es war, als würde sie mit einem Felsen ringen. Einem riesigen, warmen Felsen, dessen Nähe sie ungemein erregte. Heißes Verlangen durchzuckte sie, als er sie an sich presste. Konnte er spüren, wie die Spitzen ihrer Brüste hart wurden?

„Lassen Sie das, Sie Rüpel!“

Mit beiden Händen versuchte sie, ihn wegzudrücken, aber er war zu groß und zu stark. Mühelos packte er ihre Handgelenke mit einer Hand und presste sie gegen seine breite Brust, während er mit der anderen ihr Gesicht zu sich drehte. Ghizlan sah noch das Aufblitzen in seinen graublauen Augen, bevor er von ihren Lippen Besitz nahm.

Eine ganze Flut von erregenden Eindrücken drohte sie zu überwältigen, als er sie leidenschaftlich und fordernd küsste. Seine Nähe, seine beeindruckende Männlichkeit umfingen sie mit unwiderstehlicher Macht, so wild und mitreißend, dass sich im ersten Moment Angst in ihr regte. Doch als hätte er es gespürt, nahm er sich etwas zurück, lockerte seinen Griff und streichelte zärtlich ihren Nacken. Gleichzeitig aber presste er sie mit der anderen Hand an sich, um sie unmissverständlich fühlen zu lassen, wie sehr er sie begehrte.

Überrascht atmete sie tief ein, wodurch sie ungewollt ihre Lippen dem Drängen seiner Zunge öffnete. Unerwartet zärtlich und verführerisch nahm er jetzt ihre Einladung an, ein behutsames Erkunden, das auch ihr Gelegenheit gab, ihn kennenzulernen. Und Ghizlan stellte wider Willen fest, dass es ihr gefiel. Viel zu sehr. Wie berauscht erwiderte sie seinen Kuss, der sich ihr nicht aufdrängte, sondern zu einem unglaublich sinnlichen Liebesspiel einlud. Die Versuchung war groß, sich der Verlockung hinzugeben. Einmal nur egoistisch zu sein und zu genießen, was seine zärtlichen Hände und Lippen versprachen.

Es war eine völlig neue Erfahrung für sie zu fühlen, wie sehr dieser große, starke Mann sie begehrte. Ihre bisherigen Beziehungen zu Männern waren kaum über einen Kuss hinausgegangen, weil sie in Anbetracht der hohen Erwartungen, die ihr Vater an sie richtete, niemals einen öffentlichen Skandal riskiert hätte. So hatte noch kein Mann zuvor ein derart unbändiges Verlangen in ihr geweckt.

Sie wollte stark sein, doch Huseyns leises, befriedigtes Seufzen ließ sie all ihre guten Vorsätze vergessen. Mehr als all seine Liebkosungen drang es tief in ihr Innerstes vor und ließ ihren letzten Widerstand dahinschmelzen. Ohne zu überlegen, was sie tat, glitten ihre Hände über breite Schultern nach oben, krallten sich ihre Finger in sein zerzaustes Haar. Verlangend schmiegte sie sich an ihn, konnte nicht genug davon bekommen, das Ausmaß seiner Erregung zu fühlen. Und wieder seufzte er befriedigt, wobei er sie mit einem Arm hochhob und in unverhohlener erotischer Aufforderung an sich presste.

Ghizlan stockte der Atem. Ein Teil von ihr gab nach, drängte danach, ihm noch näher zu sein. Was für ein Mann, der sie, die keine kleine Frau war, mit einem Arm so mühelos hochheben konnte, als wäre sie eine Feder! Sie wollte nicht, dass dieser aufregende Kuss jemals endete.

Doch es war falsch, falsch, falsch. In so vieler Hinsicht, dass sie es gar nicht zählen konnte. Und plötzlich brach sich der Teil von ihr Bahn, der von klein auf dazu erzogen worden war, seine Pflicht zu erfüllen und mit gutem Beispiel voranzugehen. Mit aller Kraft stemmte sie beide Hände gegen Huseyns breite Brust. Gleichzeitig drehte sie den Kopf zur Seite, was Huseyn jedoch nur dazu einlud, ihren schlanken Hals mit zarten Küssen zu bedecken. Unwillkürlich erschauerte sie erregt.

„Ich will das nicht. Hören Sie? Ich will es nicht!“ Es klang atemlos und verzweifelt. „Lassen Sie mich los!“ Sie boxte mit den Fäusten gegen seine Schultern.

Langsam blickte er auf und sah sie an. Seine faszinierenden Augen waren jetzt von der Farbe des Wüstenhimmels kurz nach Sonnenuntergang, jenes flüchtige Graublau, wenn die ersten Sterne erscheinen, bevor sich der Nachthimmel blauschwarz färbt.

Er blinzelte. Einmal. Zweimal. Sein Blick schweifte zu ihren Lippen, noch heiß vom leidenschaftlichen Kuss. Zu ihrem Entsetzen empfand Ghizlan diesen Blick wie eine erotische Liebkosung.

„Lassen Sie mich los“, wiederholte sie heiser. Wie schaffte sie es nur, ihm überhaupt in die Augen zu sehen? Denn sie wussten doch beide, wie hemmungslos sie der Macht seines Kusses erlegen war.

Scham drohte sie zu überwältigen. Wie konnte sie nur! Sich ausgerechnet so einem Mann gegenüber zu vergessen! Ihre einzige Erklärung war, dass er, der sich zweifellos für einen unwiderstehlichen Liebhaber hielt, ihre Unerfahrenheit ausgenutzt hatte.

„Nun, das war … interessant.“

Musste seine Stimme so unverschämt sexy klingen? Ghizlan verwünschte ihr Herz, das sofort schneller schlug. „Sie können mich jetzt loslassen.“

Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen. Offenbar war er sehr zufrieden mit sich, weil sie ihm nicht hatte widerstehen können.

„Sind Sie sicher, dass Ihre Beine Sie tragen?“

Was für ein arroganter, eingebildeter … Ghizlans Reaktion war ein Reflex, der direkt auf das Zentrum seiner Männlichkeit zielte. Doch als erfahrenem Kämpfer waren Huseyn auch Schläge unter die Gürtellinie nicht fremd. Blitzschnell wich er zurück, sodass ihre Attacke ins Leere ging.

Aber zumindest wischte es das selbstzufriedene Grinsen aus seinem Gesicht. Abrupt ließ er sie los, und Ghizlan griff haltsuchend hinter sich nach dem Schreibtisch. Doch schon im nächsten Moment richtete sie sich stolz wieder auf und glättete mit wenigen geübten Handgriffen ihre Frisur.

„Schön, Sie hatten Ihren Spaß auf meine Kosten“, sagte sie wieder gefasst. „Und jetzt würde ich gern den Captain der Palastwache, meine Leibwächter und danach meine Schwester sehen.“

„Sobald wir unsere Angelegenheit abgeschlossen haben.“

„Das kann warten.“ Ghizlan seufzte müde, als er keine Anstalten machte nachzugeben. „Sie können doch sicher verstehen, dass ich mich überzeugen muss, dass es ihnen gut geht. Nach dem Tod meines Vaters bin ich für sie verantwortlich …“ Sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. „Ihren Soldaten gegenüber würde es Ihnen nicht anders gehen.“

Offenbar verstand sie ihn besser, als er erwartet hatte. Einen solchen Appell an sein Pflichtbewusstsein hätte er von einem gegnerischen General erwartet, nicht von einer verwöhnten Prinzessin, einem hübschen Luxuspüppchen.

Er betrachtete sie noch einmal genauer und versuchte hinter die verführerische Fassade zu blickten. Abgesehen von der hinreißenden Figur, dem makellosen Teint und dem schwarzen Haar, das sich wie Seide unter seinen Händen angefühlt hatte, registrierte er die stolz aufgerichtete Haltung, die jedem Soldaten Ehre gemacht hätte, und den unbewegt kühlen Blick ihrer dunklen Augen. Lediglich ein Pulsieren an ihrem eleganten Hals strafte ihre äußere Gelassenheit Lügen … und verschaffte ihm die tiefe Genugtuung, dass er sie genauso erregt hatte wie sie ihn.

Doch dies war nicht der Zeitpunkt, egoistischen Bedürfnissen nachzugeben. Die Zukunft seiner Provinz und seines Landes stand auf dem Spiel.

„Was wollen Sie?“, fragte sie kühl. „Soll ich Sie auf Knien anflehen? Würde Sie das zufriedenstellen?“

„Würden Sie es tun?“

Für einen flüchtigen und ungemein erotischen Moment malte Huseyn sich aus, wie diese stolze Prinzessin vor ihm kniete … und was sie tat, hatte nichts mit bitten und flehen zu tun. Er sah, wie sie schon den Mund öffnete, um zu antworten, doch plötzlich hatte er genug. Sobald sie seine Frau war, könnte er seinem Verlangen nachgeben. Inzwischen wollte er nicht weiter mit ihr spielen, sondern ihre durchaus ehrenhaften Gefühle respektieren.

„Nein“, wehrte er deshalb ab. „Ich erwarte nicht, dass Sie mich anflehen.“ Kein Zweifel, dass sie den Kuss genossen hatte. Sie hatte ihn sogar so leidenschaftlich erwidert, dass er fast vergessen hätte, warum er sie überhaupt geküsst hatte … um ihr zu zeigen, wer die Oberhand hatte, und um sie für ihre Überheblichkeit zu strafen. Verdammt, sie hatte es tatsächlich geschafft, ihn von seinem eigentlichen, wichtigen Ziel abzulenken. „Warten Sie hier. Ich lasse sie zu Ihnen bringen, damit Sie sich von ihrer Unversehrtheit überzeugen können.“

„Es wäre doch einfacher, wenn ich …“

„Nein.“ Er unterbrach sie mit einer herrischen Geste. Auf keinen Fall konnte er ihr erlauben, allein im Palast herumzuwandern, bevor nicht alles geregelt war. „Geben Sie mir Ihr Handy, und dann sorge ich dafür, dass Sie alle sehen können.“

„Mein Handy?“, fragte sie skeptisch.

Huseyn verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich möchte nicht, dass Sie mit Leuten außerhalb des Palasts Kontakt aufnehmen, bevor wir einig sind.“ Er bemerkte, wie sie zu dem Telefon auf dem Schreibtisch blickte. „Die Telefonleitungen im Palast wurden vorübergehend unterbrochen und alle elektronischen Geräte konfisziert.“

„Während Sie Ihren Coup landen.“

Ihr mutiges Auftreten hätte ihn fast vergessen lassen, wie sehr er die luxusverwöhnte Elite verachtete, die sein Land aussaugte. „Während ich die Nation rette.“

„Pah!“ Ghizlan griff nach ihrer Handtasche, wobei sie ihm erneut ihr reizvolles Hinterteil zukehrte, und holte ihr Handy heraus. „Ich erwarte, dass ich es intakt mit all meinen Kontakten und Nachrichten zurückbekomme. Ich stecke mitten in wichtigen Verhandlungen.“

Verhandlungen mit wem? Mit ihrem Friseur? Ihren Liebhabern? Es konnte ihm egal sein, denn sie würde mit niemandem sprechen, solange er es nicht wollte.

Ihre Finger berührten sich unabsichtlich, als er ihr das Handy abnahm. Sofort durchzuckte es Huseyn wie elektrisiert. Aber auch Ghizlan zog ihre Hand hastig zurück, als hätte sie sich verbrannt, wie er zufrieden bemerkte.

„Sie erhalten das Handy unangetastet zurück … solange Sie den Anordnungen Folge leisten. Sobald Sie sich vergewissert haben, dass alle unversehrt sind, reden wir weiter.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er den Raum. Er hatte sich um vieles zu kümmern und würde sich später mit seiner widerspenstigen Braut beschäftigen.

„Wirklich, es geht mir gut“, versicherte Mina zum wiederholten Mal, wobei sie die Hand ihrer Schwester drückte. „Aber ich bin froh, dass du da bist. Es war doch etwas beängstigend. Und sie haben mir mein Handy und meinen Laptop abgenommen. Dabei muss ich dringend ins Netz. Es ist so wichtig!“

Ghizlan war ungeheuer erleichtert. Wie es aussah, hatte Huseyn al Rasheed die Wahrheit gesagt. Weder der Palastwache noch ihren Leibwächtern war ein Haar gekrümmt worden, und auch ihrer kleinen Schwester ging es gut. Offenbar war die Übernahme reibungslos und mit professioneller Perfektion erfolgt. Zweifellos war der Scheich von Jumeah ein erfahrener Aufrührer … und ein Rowdy, wenn sie daran dachte, wie er sie betatscht hatte.

„Hast du gehört, Ghizlan?“

„Natürlich.“ Sie sah ihre kleine Schwester lächelnd an. „Ich muss mich nur erst an dein neues Aussehen gewöhnen.“

Mina strich sich mit den Fingern durch ihr kurz geschnittenes schwarzes Haar. „Ja, nach Vaters Tod wurde mir plötzlich klar, dass ich endlich tun kann, was ich will. Ich bin nicht wie du … so diplomatisch und pflichtbewusst. Ich habe es nie geschafft, Vaters Erwartungen zu erfüllen. Und was seinen Wunsch betrifft, dass ich Betriebswirtschaft studieren sollte …“ Minas dunkle Augen blitzten auf. „Tatsächlich habe ich schon vor Vaters Tod rebelliert, nur wusste er nichts davon.“

Ghizlan drückte Minas Hand. „Du bist toll so, wie du bist.“ Es war der Wille ihres Vaters gewesen, dass seine Töchter bewiesen, zu welchen Leistungen moderne jeirutische Frauen im Stande waren. Deshalb besaß Ghizlan auch einen Universitätsabschluss als Chemieingenieurin, wobei sie sich allerdings immer schon sehr für wissenschaftliche Themen interessiert hatte. Jetzt war sie entschlossen, alles zu tun, damit ihre kleine Schwester sich frei entfalten und ihre Träume erfüllen konnte. „Erzähl, was hast du getan?“

„Ich habe mich heimlich an einer fantastischen Kunsthochschule in Frankreich beworben. Du weißt, dass das immer schon mein Traum war. Die Antwort auf meine Bewerbung sollte inzwischen eingegangen sein, aber ich kann meine E-Mails nicht checken“, jammerte Mina. „Wenn sie mir einen Studienplatz anbieten, und ich antworte nicht, vergeben sie ihn an jemand anderen …“

„Beruhige dich, Mina. Bei so etwas hat man immer eine Frist zum Antworten.“

„Mag sein, aber was ist, wenn Huseyn uns für Wochen oder Monate abriegelt?“

„Keine Sorge, er kann uns nicht ewig einsperren. Sein Plan lautet im Gegenteil, sich so schnell wie möglich zum Scheich erheben zu lassen.“ Ein Plan, in dem sie eine entscheidende Rolle spielte. Doch er würde bald feststellen, dass sie nicht zum Faustpfand taugte. Sie würde ihn niemals heiraten. „Niemand wird dich zu irgendetwas zwingen.“

Der Gedanke traf sie wie eine Erleuchtung. Sobald der neue Scheich gewählt war, würden sie den Palast verlassen. Huseyn konnte sie nicht zwingen, ihn zu heiraten. Sie musste nur standhaft bleiben. Und wenn er erst sein Vorhaben aufgegeben hatte, konnten sie und Mina tun, was immer sie wollten. Mina würde Kunst studieren, und sie … liebe Güte, sie hatte so lange getan, was andere von ihr erwarteten, dass ihr auf Anhieb gar nicht einfiel, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte!

Die Freiheit lockte mit all ihren Möglichkeiten.

„Sie haben nach meiner Anwesenheit verlangt?“ Ghizlan begegnete kühl dem Blick seiner graublauen Augen. Irritiert registrierte sie, wie ihr Herz schneller klopfte.

Abneigung und Misstrauen waren der Grund. Und natürlich eine gewisse Aufregung bei der Vorstellung, dass sie und Mina bald frei sein würden. Keinesfalls hatte es etwas mit der Erinnerung daran zu tun, wie er sie geküsst hatte. Geschweige denn mit der Tatsache, dass ohne den Umhang, bekleidet mit heller Hose und Hemd, seine atemberaubend männliche Figur erst richtig zur Geltung kam.

„So liebreizend wie eh und je“, erwiderte er spöttisch, wobei er ihr aufmerksam entgegensah, als sie die Tür hinter sich schloss und sich dem Schreibtisch näherte.

„Erwarten Sie im Ernst, dass ich so tue, als wären Sie und Ihre Bande von Rowdys nicht im Palast einmarschiert und hätten meine Schwester und mich als Geisel genommen?“ Sein Blick machte sie wirklich nervös. Unsinn! Er war nicht an ihr interessiert. Was zwischen ihnen vorgefallen war, war eine reine Machtdemonstration gewesen. Männer wie Huseyn al Rasheed standen auf so etwas.

„Sie geben nicht so leicht auf, richtig?“ Er lehnte sich gegen den Schreibtisch ihres Vaters, an dem er offenbar schon gearbeitet hatte. Verstreute Papiere verdeckten den Kratzer, den sein Messer verursacht hatte.

Unglaublich, wie er sich schon zu Hause fühlte! „Erwarten Sie, dass ich Sie wie einen Gast willkommen heiße?“

„Sie sollten sich weniger wegen meiner Manieren sorgen als wegen der Bedrohung, die Jeirut von Halarq zu erwarten hat.“

„Laut Ihnen bin ich doch sowieso nur eine verwöhnte Schmarotzerin“, erwiderte sie spöttisch. „Und ganz offensichtlich können derart wichtige Dinge Ihrer Ansicht nach nur von bewaffneten Männern geregelt werden. Die das Gesetz missachten und gesetzestreue Bürger einsperren.“

Seine hellen Augen blitzten gefährlich auf.

Ghizlan atmete tief ein. Das führte zu nichts. So sehr sie es genoss, sich mit ihm zu messen, sie durfte nicht die Menschen gefährden, für die sie verantwortlich war. „Darf ich vorschlagen, dass Sie Ihre Geiseln freilassen, während die Zitadelle unter bewaffneter Bewachung steht? Ich werde selbstverständlich bleiben, aber meine Schwester ist noch ein Teenager, und Sie können die Angestellten gehen lassen, bis alles geklärt ist.“

„Geklärt ist? Das klingt, als wäre mein Aufenthalt hier nur vorübergehend. Was keineswegs der Fall ist, Hoheit. Ich bin jetzt hier zu Hause.“ Er deutete mit einer weit ausholenden Geste um sich.

„Sobald der Rat Sie zum Scheich erklärt.“

„Was in wenigen Tagen geschehen wird. Ich habe die Mitglieder bereits von unserer bevorstehenden Heirat informiert.“

„Dazu hatten Sie kein Recht!“

„Im Gegenteil. Ich versuche, unser Land zu retten. Verstehen Sie das nicht?“

„Was ich verstehe, ist, dass hier ein Mann so auf Macht aus ist, dass er alles dafür tun würde.“ Sie war selbst überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang. Denn innerlich bebte sie vor Empörung. „Es würde mich nicht wundern, wenn inzwischen die Hauptstadt von Ihrer Armee umzingelt wäre, bereit, einen blutigen Bürgerkrieg zu beginnen!“

Wütend richtete er sich zu seiner beeindruckenden vollen Größe auf. „Ich verzeihe Ihnen das. Dieses eine Mal. Wenn Sie mich besser kennen, werden Sie derartig beleidigende Schlussfolgerungen nicht mehr ziehen.“

„Ich habe nicht die Absicht, Sie besser kennenzulernen. Sie können mich nicht zwingen, Sie zu heiraten.“

Es war wie eine sinnliche Berührung, wie sein Blick langsam über ihr Gesicht glitt. Ein sexy Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „So sei es, Hoheit. Wenn Sie derart gegen mich sind, heirate ich eben stattdessen Ihre Schwester. Sie ist siebzehn, richtig?“ Sein Lächeln wurde breiter. „Sicherlich wird sie für meine Wünsche zugänglicher sein.“

Ghizlans Herz setzte für einen Schlag aus. Es war eine Sache, wenn ihr Vater versucht hatte, für sie eine Heirat mit Scheich Idris von Zahrat zu arrangieren. Idris war zumindest ein zivilisierter, kultivierter Mensch und fürsorglicher Mann. Aber die Vorstellung, dass Mina diesen Grobian heiraten sollte … Ohne zu überlegen, hob Ghizlan den Arm und zielte mit der Faust direkt auf Huseyns Gesicht.

4. KAPITEL

Gerade noch rechtzeitig wich Huseyn aus, sodass ihr Schlag nur leicht seine Wange streifte, bevor er ihr Handgelenk packte und festhielt.

Ein Glück, dass Prinzessinnen keinen Boxunterricht bekamen. Und dass er dank beständiger Übung gute Reflexe besaß. Denn sie hatte ihn überrascht und hätte ihm ernsthaft wehtun können. Er sah sie an. Ihre Wangen waren gerötet, ihre dunklen Augen funkelten. Wenn Blicke hätten töten können … Wer hätte ihr derartigen Mut zugetraut, ihn direkt anzugreifen?

Sein Respekt wuchs. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto mehr faszinierte sie ihn. Diese aufregende Verbindung aus Eis und Feuer. Ihre unerwartete Loyalität und ihr Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Untergebenen. Sein Bild von der egozentrischen Partyschönheit verblasste rasant.

Vor allem aber erstaunte ihn ihr Mut. Er hatte gestandene Männer erlebt, die lieber zurückgewichen wären, als sich ihm offen entgegenzustellen. Seine Wange brannte, wo sie ihn getroffen hatte. Selim würde sich kranklachen, wenn er herausfand, dass es einer Frau gelungen war, seine Deckung zu durchbrechen.

Geschieht dir recht, weil du sie so gereizt hast. Weil du einfach davon ausgegangen bist, dass sie schon einwilligen wird. Wann war das Leben jemals einfach?

Er hatte kein Problem damit, dass er gedroht hatte, Mina zu heiraten, um Ghizlans Einwilligung zu erzwingen. Denn diese Heirat war zu wichtig, war der Schlüssel zu seinem Erfolg. Er würde alles tun, was erforderlich war, um die Sicherheit seines Volkes zu garantieren. Aber er hätte nicht so grob und krass sein müssen, als wollte er sich wirklich einen Teenager ins Bett holen!

Warum reizte ihn diese Ghizlan so, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, sie aufzustacheln? Er war doch kein Schuljunge mehr, und es ging um das Schicksal der Nation.

Und trotzdem, wie sie jetzt vor ihm stand, mit blitzenden Augen, stolz aufgerichtet, die straffen Brüste aufreizend vorgeschoben, durchzuckte ihn heftiges Verlangen. Er wollte sie. Genau so. Voller Leidenschaft und Feuer. Unwillkürlich schloss sich seine Faust fester um ihr Handgelenk. Er wollte …

Erst als sie zusammenzuckte, wurde ihm bewusst, wie fest er sie gepackt hatte. Sofort ließ er sie los. „Verzeihen Sie. Ich wollte Ihnen nicht wehtun.“

„Dafür entschuldigen Sie sich, aber nicht, dass Sie drohen, meine kleine Schwester zu heiraten?“, entgegnete sie unerschrocken.

Er zuckte die breiten Schultern. „Die Heirat mit einer der beiden Prinzessinnen sichert mir am schnellsten den Thron, sodass ich Jeirut beschützen kann. Die Verbindung zur Regentschaft Ihres Vaters wird Spannungen mit anderen Gruppierungen abbauen. Für mich persönlich ist es dabei gleichgültig, ob ich Sie oder Ihre Schwester heirate.“

„Mina ist noch ein Kind! Auch wenn sie nach dem Gesetz alt genug ist, um zu heiraten, würde nur ein Rohling sie in eine Ehe zwingen, die sie nicht will! Dank meinem Vater und meinem Großvater haben wir diese überkommenen Traditionen längst hinter uns gelassen.“

Huseyn verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. Ihm entging nicht, wie ihr Blick seinen Bewegungen folgte. Seit er erwachsen war, hatten die Frauen ihn so angesehen, und er unterdrückte ein befriedigtes Lächeln. Auch wenn sie so tat, als wäre sie nicht an ihm interessiert, ihre Augen verrieten das Gegenteil. „Wer sagt denn, dass ich sie zwingen müsste?“

Sie presste die Lippen zusammen. „Sie halten sich für so unwiderstehlich?“ In Nachahmung seiner unbeugsamen Pose verschränkte sie ebenfalls ihre Arme. Allerdings war ihr nicht bewusst, dass sie so erst recht seine Aufmerksamkeit auf ihre vollen Brüste lenkte. „Dann hören Sie mir gut zu, Huseyn. Weder meine Schwester noch ich wäre so dumm, auf einen Mann wie Sie hereinzufallen.“

Nie zuvor hatte eine Frau ihm so offen Kontra geboten. Eine aufregende Erfahrung. „Dann sind Sie nur deshalb in meinen Armen dahingeschmolzen und haben mich so hingebungsvoll geküsst, um mir zu zeigen, wie immun Sie gegen mich sind?“, fragte er spöttisch.

„Pah!“ Aber ihre dunklen Augen sprühten Funken. „Es ist immer gut, seinen Feind zu kennen, wie Sie wissen sollten!“

Fasziniert ruhte sein Blick auf der Stelle an ihrem schlanken Hals, wo das Blut heftig unter ihrer zarten Haut pulsierte. Was hätte er in diesem Moment nicht darum gegeben, seine Lippen dorthin zu pressen und … Stattdessen breitete er einladend die Arme aus. „Tun Sie sich keinen Zwang an, Hoheit. Sie dürfen mich gern aufs Intimste kennenlernen, wenn Sie das überzeugt.“

Für einen Moment hatte es ihr die Sprache verschlagen. Interessant, wie rasch sie aus der Fassung zu bringen war, sobald es um Sex ging. Er winkte ihr. „Kommen Sie. Seien Sie nicht schüchtern. Ich bringe dieses Opfer gern.“

„Was für ein anmaßender Bastard Sie sind!“

„Ein Bastard, ja … obwohl mein Vater sich immerhin die Mühe machte, mich vor seinem Tod als seinen legitimen Sohn anzuerkennen.“ Sein gelassener Ton ließ nicht ahnen, dass sich sein Vater für diesen Schritt mehr als dreißig Jahre Zeit gelassen hatte. Schon früh hatte der alte Mann sein Potenzial erkannt und gefördert und sich viele Jahre auf ihn gestützt. Aber er hatte dem Jungen, der mittellos zu ihm gekommen war und ihm immer wieder ungeachtet aller Gefahren seine Loyalität bewies, nie Zuneigung gezeigt. „Aber anmaßend? Nein. Ich kenne meinen Wert, vermutlich besser als jeder andere. Ich habe ihn mein Leben lang unter Beweis gestellt.“

Doch sein spöttisches Lächeln schwand. Wie kam er dazu, sich sinnlose Wortgefechte mit dieser Frau zu liefern? Sie hatte keine Ahnung, wie das wirkliche Volk lebte … an unsicheren Grenzen, wo jede Nacht todbringende Plünderer einfallen konnten.

Huseyn ließ die Arme sinken. „Nehmen Sie Folgendes zur Kenntnis, Hoheit. Ich beabsichtige der Herrscher von Jeirut zu werden, und zwar bald. Dazu werde ich entweder Sie oder Ihre Schwester heiraten. Das steht nicht zur Diskussion. Es ist mir egal, was Sie über meine Motive denken. Und es kümmert mich noch weniger, wenn Sie mich für einen Barbaren halten.“

Er trat dicht zu ihr vor. Wieder wich sie nicht zurück, sondern hielt ihm Stand.

„Ich gebe Ihnen bis morgen früh, sich damit abzufinden und einzuwilligen, meine Frau zu werden. Wenn Sie bei Ihrem Nein bleiben, heirate ich Ihre Schwester.“

Diesmal war es Angst, die in ihren Augen aufblitzte. Ohne zu überlegen, was er tat, hob Huseyn eine Hand und strich ihr eine lose Haarsträhne hinter das Ohr.

Doch wenn er erwartet hatte, sie mit dieser zarten Geste zu gewinnen, irrte er sich. Ghizlan erstarrte abweisend. Für sie war und blieb er ein Wilder. Was er besser nicht vergaß.

„Ich komme um neun, um mir Ihre Antwort zu holen.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.

„Bist du sicher, dass du den Weg kennst? Wir gehen schon eine Ewigkeit“, flüsterte Mina in der Dunkelheit des Kellers hinter ihr.

Ghizlan hatte selbst Angst genug nach ihrer abenteuerlichen Flucht aus dem Fenster. Die Bewegungsmelder an ihren Zimmertüren hatten ihnen keine andere Möglichkeit gelassen. Auf ihrer Seite des Palasts fielen die Felsen steil ab bis hinunter ins Tal. Sie wagte kaum daran zurückzudenken, wie viel Überwindung es sie gekostet hatte, sich über den Fenstersims zu schwingen und an der senkrechten Mauer hinabzuklettern, und verwünschte Huseyn al Rasheed, der sie zu so extremen Maßnahmen zwang.

„Es ist ganz sicher der richtige Weg“, antwortete sie nun beruhigend. „Es dauert nur so lang, weil wir in der Dunkelheit so langsam vorwärtskommen. Aber es ist besser, die Batterie der Taschenlampe für später aufzuheben.“ Sie tastete entlang der kalten Kellermauer und gelangte plötzlich an eine Ecke, wo der Gang nach rechts abbog. „Wir sind da. Hier ist es!“

Unendliche Erleichterung stieg in ihr hoch. Nachdem sie und Mina stundenlang verzweifelt überlegt und Fluchtmöglichkeiten verworfen hatten, war der längst vergessene Tunnel, der in uralten Zeiten als Geheimweg in die Stadt durch den Felsen gehauen worden war, als ihre einzige Hoffnung übrig geblieben.

„Super“, flüsterte Mina. „Hier gruselt es mich doch ganz schön.“ Im nächsten Moment knipste sie die Taschenlampe an, und Ghizlan blinzelte in den hellen Strahl. „Du brauchst Licht, um das Schloss zu knacken.“

Wenn sie es knacken konnte. Die alten Schlösser im Palast hatten sie schon als Kind fasziniert, aber es war eine Ewigkeit her, seit Azim sie in das Geheimnis eingeweiht hatte, wie man sie öffnete. Inzwischen waren sie sowieso längst durch moderne Sicherheitsschlösser ersetzt worden … alle bis auf dieses eine zu dem vergessenen Tunnel, wie Ghizlan hoffte.

Ihr Herz pochte, als Mina mit der Taschenlampe über eine schwere Tür leuchtete und sie das vertraute, alte Schloss erblickte.

„Und? Kannst du es öffnen?“, flüsterte Mina an ihrer Schulter.

„Ich hoffe es.“ Ghizlan sank auf die Knie, denn größer war sie nicht gewesen, als Azim ihr den Trick gezeigt hatte … wie man ein Schloss öffnete, das trotz eines Schlüssellochs keinen Schlüssel brauchte, wenn man zu den wenigen Eingeweihten zählte.

Sie tastete, erst zögernd, dann immer zuversichtlicher. Mit einem Klicken bewegte sich einer der versteckten Hebel. Doch der nächste sperrte sich. Ghizlan fühlte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Wie sollte Sie Mina beschützen, wenn … Endlich schnappte auch der letzte Hebel ein, das Schloss ging auf.

„Du hast es geschafft!“, flüsterte Mina begeistert.

Ghizlan konnte ihr Glück selbst nicht fassen.

„Komm, lass uns hier verschwinden.“ Mina griff nach dem großen Metallring, um die Tür aufzuziehen.

„Nein, warte. Lass mich zuerst gehen. Wir können nicht sicher sein, was uns am Ende des Tunnels erwartet und ob er noch offen ist. Wenn ich in fünfzehn Minuten nicht zurück bin, gehst du wieder zurück, wo wir hergekommen sind.“

„Du machst Witze!“, protestierte Mina.

Ghizlan fasste ihre Schwester bei der Hand und sah sie beschwörend an. „Ich meine es sehr ernst. Es könnten uns Wachen erwarten, die wir nicht kennen und von denen wir nicht wissen, wie sie reagieren. Bitte, tu einfach, was ich sage, okay?“

Mina nickte zögernd und reichte ihr die Taschenlampe. „Sei vorsichtig.“

„Natürlich.“ Vorsichtig öffnete Ghizlan die Tür und hielt den Atem an, als die rostigen alten Angeln quietschten. Sie knipste die Taschenlampe aus und lauschte in die Dunkelheit. Schließlich machte sie ein paar Schritte in den Tunnel hinein und lehnte die Tür hinter sich an.

Die Luft im Tunnel schien frischer, was Ghizlan Hoffnung machte. Als alles still blieb, wage sie es, die Taschenlampe wieder einzuschalten. Vor ihr lag ein unversperrter, in den Felsen gehauener Gang, der sich in der Ferne im Dunkeln verlor. Sie knipste die Lampe wieder aus und ging vorwärts, wobei sie sich an der Felswand entlangtastete.

Sie zählte drei Ecken. Als sie um die letzte ging, durchzuckte es sie freudig, denn in der Ferne, halb verdeckt durch Unterholz sah sie die Lichter der Stadt funkeln. Erneut wartete sie und lauschte, bis sie es schließlich wagte, bis zum Ende des Tunnels vorzugehen. Nichts. Nur die Lichter der Altstadt vor ihr. Sie würde zurückgehen und Mina holen.

Doch sie wollte ganz sicher sein. Ghizlan steckte die kleine Lampe in ihre Tasche und schob einen Dornbusch beiseite, der ihr den Weg versperrte, ohne darauf zu achten, dass er ihr die Hände zerkratzte. Mit geschlossenen Augen tastete sie sich vor ins Freie.

Und prallte geradewegs gegen einen harten, warmen und ihr allzu vertrauten Körper.

Verzweiflung überwältigte sie. Wie hatte sie sich nur einbilden können, dass es so einfach wäre?

Erschrocken riss sie die Augen auf, als sie von zwei starken Händen gepackt wurde und die Balance verlor. Im nächsten Moment wurde sie gegen eine breite Brust gedrückt.

„Sieh an, sieh an, wen haben wir denn hier?“

Der spöttische Klang von Huseyn al Rasheeds tiefer Stimme vibrierte bis tief in ihr Innerstes. Tränen brannten in Ghizlans Augen. Sie und Mina waren der Freiheit so nahe gewesen. „Lassen Sie mich los!“ Seine Wärme umhüllte sie wie ein Mantel. Ein unerwartet frischer, angenehmer Duft stieg ihr in die Nase. Offenbar hatte er den Stallgeruch unter der Dusche abgewaschen.

Ghizlan stemmte beide Hände gegen seine Brust und blickte hoch in sein Gesicht. Im Licht der Sterne sah sie sein selbstzufriedenes Lächeln.

„Verschafft Ihnen das einen Kick? Sich an Frauen zu vergreifen?“

Ihre Worte erreichten sofort das gewünschte Ziel. Das Lächeln verschwand, und er schob sie weg, wobei er sie jedoch mit beiden Händen an den Schultern hielt.

Groß und grimmig und gnadenlos stand er vor ihr. All ihre Hoffnung erstarb. Hatte sie wirklich geglaubt, sie könnte Mina und sich diesem Mann entziehen? Er war wie einer jener Flaschengeister aus den alten Märchen mit unerschöpflichen Kräften.

Unwillkürlich fröstelte sie. Doch trotz aller Verzweiflung hielt sie seinem Blick stand. Mochte sie auch besiegt sein, sie war entschlossen, nicht kampflos unterzugehen.

„Sie geben wirklich nicht auf, richtig?“ Hatte er nicht von Anfang an gespürt, dass sie ihm nur Probleme machen würde? Aber natürlich konnte er nicht erwarten, dass die feine Prinzessin sich in ihr Schicksal fügte … vor allem, wenn es bedeutete, ihn, einen niederen Soldaten, in ihr Luxusbett zu lassen. Ein Privileg, dass zweifelsohne ihren blaublütigen Liebhabern vorbehalten war.

„Würden Sie in meiner Lage aufgeben?“, fragte sie unerwartet sanft.

Verdammt, dass sie auch noch sein Mitgefühl ansprach. Hier ging es doch gar nicht um sie oder um ihn. Es ging darum, Jeirut blutige Auseinandersetzungen zu ersparen.

„Ich weiß Besseres mit meiner Nacht anzufangen, als mit Ihnen herumzustreiten, Hoheit. Und ich schätze es gar nicht, gestört zu werden, wenn ich beschäftigt bin.“ Man hatte ihn mitten aus Krisengesprächen mit einigen der Führer herausgeholt, die seinen Anspruch auf den Thron stützen wollten.

„Beschäftigt? Um zwei Uhr früh?“, fragte Ghizlan spöttisch. „Lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten. Ich hoffe nur, sie ist aus dem Tross, den Sie mitgebracht haben, und nicht jemand aus dem Palast, den Sie in Ihr Bett gezwungen haben.“

„Vorsichtig, Hoheit. Auch ein verachtenswerter Barbar hat seinen Stolz. Ich bin Ihre Andeutungen, nur mit Gewalt eine Frau bekommen zu können, ziemlich leid. Noch so eine Spitze, und ich frage mich allmählich, warum Sie sich eigentlich so für meine sexuellen Aktivitäten interessieren.“ Er schwieg bedeutsam, bevor er hinzufügte: „Überdies könnte ich versucht sein, Ihnen zu beweisen, dass keinerlei Gewalt nötig ist.“

Zum ersten Mal hatte es ihr offenbar wirklich die Sprache verschlagen. Was ihm außerordentlich gut gefiel.

Sie räusperte sich. „Wenn Sie mich gehen lassen …“

„Was? Wollen Sie einfach so zur Tagesordnung übergehen?“ Er beugte sich dicht zu ihrem Gesicht herab. „Vergessen Sie es! Was haben Sie sich, verdammt noch mal, dabei gedacht, an der Außenmauer des Palasts hinabzuklettern? Sie hätten sich zu Tode stürzen können!“ Er hatte es nicht glauben wollen, als der Bericht von Selims Wachen, die die beiden Frauen beobachtet hatten, bei ihm eintraf. Es hatte ihn wirklich getroffen … die Vorstellung, dass die Frauen eine derartige Angst vor ihm hatten, dass sie bereit waren, ihr Leben zu riskieren.

Nein, nicht vor ihm hatten sie Angst. Sondern davor, ein Opfer für ihr Volk zu bringen, anstatt ihrem Luxusleben zu frönen.

„Besorgt, dass man Ihnen die Schuld geben könnte?“, fragte sie spöttisch.

„Besorgt, dass Sie sich Ihren hübschen Hals hätten brechen können.“ Er atmete tief ein und bemerkte ihren betörenden Duft, der es ihm schwermachte, klar zu denken. „Sie hätten dabei auch Ihre Schwester umbringen können, oder haben Sie in Ihrem Eigensinn gar nicht daran gedacht?“

„Tun Sie nicht so, als wäre Ihnen an Minas oder meinem Wohl gelegen! Sie interessiert doch nur, wie unangenehm es für Sie geworden wäre, wenn man uns von den Klippen gekratzt hätte und Sie hätten erklären müssen, warum wir um unser Leben flüchten sollten.“

Sie stellte seine Geduld wirklich auf eine harte Probe. Die Leute taten, was Huseyn al Rasheed sagte, oder sie dankten ihm für das, was er für sie getan hatte. Schon lange war er es nicht mehr gewohnt, Feindseligkeit und Widerspruch zu ernten.

„Wenn Sie wirklich wissen wollen, wie es ist, um sein Leben zu fürchten, dann gehen Sie in eines der Grenzdörfer in Jumeah, meiner Provinz. Dort werden die Männer des Emirs zuerst zuschlagen, wenn sie Jeirut angreifen. Dann erfahren Sie, was Terror ist!“, sagte er scharf, von dunklen Erinnerungen bestürmt. Wie oft war er zu spät gekommen, um einen schrecklichen Angriff zu verhindern. Ganz zu schweigen von dem einen Mal, als er als Kind um Haaresbreite entkommen war, um feststellen zu müssen, dass seine Mutter nicht so viel Glück hatte. „Wenn Sie das überleben, können Sie mir etwas von Furcht erzählen!“

Ghizlan schwieg, doch ihr forschender Blick verriet zum ersten Mal aufrichtiges Interesse. „Bitte, lassen Sie mich jetzt gehen“, bat sie schließlich ruhig. „Ich muss zu meiner Schwester. Sie wird sich Sorgen machen.“

Huseyn holte tief Luft und schob die Bilder von Blut und Verzweiflung energisch beiseite. Langsam nahm er die Hände von Ghizlans Schultern. Fast fiel es ihm schwer, sie loszulassen, obwohl sie ihm doch nur Ärger einbrachte … „Ihre Schwester wird in diesem Moment in ihr Zimmer geleitet. Selbstverständlich höflich und mit gebührendem Respekt.“

Ghizlan nickte. „Selbstverständlich. Trotzdem sehe ich besser selbst nach ihr.“

Obwohl sie ernüchtert wirkte, wollte er ganz sicher sein, dass es keine weiteren halsbrecherischen Fluchtversuche mehr geben würde. „Ich brauche Ihr Wort, dass Sie nicht noch einmal versuchen zu fliehen.“

Sie lachte spöttisch. „Ich sehe keinen Grund, Ihnen mein Wort zu geben.“

„Entweder so oder ich werde in Ihr Schlafzimmer und das Ihrer Schwester eine Wache beordern.“

„Sie spielen gern mit schmutzigen Tricks, oder?“, entgegnete sie verächtlich.

„Ich spiele überhaupt nicht, Hoheit. Es ist mir, im Gegenteil, todernst. Je eher Sie begreifen, dass das Leben kein Spiel ist, desto leichter wird es für Sie.“

Sie hielt seinem Blick unbewegt stand. „Der Luxus, das Leben als Spiel zu betrachten, war mir nie vergönnt. Je eher Sie begreifen, dass ich kein hirnloses Faustpfand bin, das Sie zu Ihren eigenen Zwecken benutzen können, desto besser wird es für Sie laufen. Wenn man sich in das Leben anderer Menschen einmischt, birgt das Konsequenzen … die Ihnen möglicherweise nicht gefallen werden.“

Die unterschwellige Drohung war nicht zu überhören. Bildete sie sich etwa ein, er würde davor zurückscheuen, sich mit ihr anzulegen, weil sie dem privilegierten Adelsstand angehörte, während er nur ein einfacher Soldat war? „Dieses Risiko bin ich bereit, auf mich zu nehmen.“

„Und Sie würden meinem Wort glauben, dass wir nicht mehr versuchen werden zu fliehen?“, fragte sie ungläubig.

„Unter den Umständen, ja.“ Er versuchte erst gar nicht zu erklären, warum er überzeugt war, dass sie genug Ehre besaß, ihr Wort nicht zu brechen.

„Nun, in dem Fall haben Sie mein Wort. Bis morgen früh.“ Ihr Blick besagte, dass sie noch lange nicht bereit war aufzugeben.

Natürlich war ihre Niederlage besiegelt. Nur würde er darauf achten, sie im weiteren Verlauf ihrer Auseinandersetzung nicht zu erniedrigen. Auch wenn sie ein Talent besaß, ihn wütend zu machen, respektierte er ihre Kämpfernatur.

Mit einer galanten Geste bedeutete er Ghizlan, auf dem Pfad vorauszugehen, der um den Festungswall herum zum Haupteingang des Palasts führte. Wortlos machte sie auf dem Absatz kehrt und schritt stolz voran.

5. KAPITEL

Ghizlans Schritte hallten von den alten Steinmauern des Durchgangs wider, der zu den Stallungen führte. Ihre eleganten High Heels aus schwarzem Lackleder verliehen ihr ein paar zusätzliche Zentimeter … ganz bewusst gewählt, weil sie jeden noch so kleinen Vorteil gegenüber Huseyn al Rasheed einsetzen wollte.

Was für ein schrecklicher Mann! Sein Benehmen war ebenso empörend wie seine Pläne skrupellos. Aber als er vergangene Nacht da draußen unter den Sternen zu ihr über Angst gesprochen hatte, hatte es so ernsthaft und aufrichtig geklungen, dass sie ins Grübeln gekommen war.

Oh, er war zweifellos machthungrig, selbstsüchtig und grob. Dennoch hatte seine unerwartete Ehrlichkeit sie berührt. Ebenso wie das überraschende Geschenk seines Vertrauens. Weder in ihrem noch in Minas Zimmer war für den Rest der Nacht eine Wache postiert worden. Und Mina schlief immer noch tief und fest, als würden keine Fremden im königlichen Palast patrouillieren. Dafür zumindest war Ghizlan dankbar.

Huseyn al Rasheed war ein irritierendes Rätsel. Nervös zupfte sie die Jacke ihres maßgeschneiderten roten Kostüms zurecht. Die rote Farbe war ebenfalls dazu gedacht, ihr Mut zu verleihen … für das schwierigste Gespräch ihres Lebens.

Es sei denn, er hatte seine Meinung geändert. Immerhin war es schon nach neun, und er war nicht im Büro ihres Vaters aufgetaucht. Offenbar war er zu sehr in den Stallungen beschäftigt, um sich ihre Antwort abzuholen. Oder er brauchte die königliche Hochzeit nicht mehr. Ghizlan presste eine Hand auf ihr pochendes Herz. Sie war vielleicht Optimistin, aber nicht naiv. Die Chancen, dass er sich anders entschieden hatte, waren minimal. Eher trödelte er absichtlich im Stall herum, um ihr zu zeigen, wie wenig er von ihr hielt.

Ein lautes Wiehern durchschnitt die Luft, gefolgt von einem Krachen und heftigem Hufgetrappel. Warnende Rufe erschallten und veranlassten Ghizlan, neugierig ihre Schritte zu beschleunigen. Um die nächste Ecke erreichte sie den Säulengang, der einen der gepflasterten Höfe umgab, und blinzelte in das gleißende Sonnenlicht.

Ringsum standen Männer, die mit angespannter Aufmerksamkeit das Geschehen im Hof verfolgten. In einer Ecke tänzelte ein riesiger Hengst, dessen braunes Fell wie Seide in der Sonne glänzte. Der Reiter auf seinem Rücken, kraftvoll und breitschultrig, schien mit ihm verwachsen zu sein. Scheinbar völlig gelassen saß er die Kapriolen des prachtvollen Tieres aus, wobei seine staubbedeckten Hosen und das vorn zerrissene weiße Hemd schon von einem längeren Kampf zeugten.

Ohne Vorwarnung stieg der Hengst, wobei er die Augen wild nach hinten rollte. Ein Raunen ging durch die Umstehenden, aber der Reiter hielt sich mühelos im Sattel und beugte sich vor, als würde er dem Hengst etwas zuflüstern. Der ließ die Vorderhufe wieder zu Boden krachen und jagte nun buckelnd über den Hof in dem verzweifelten Versuch, seinen Reiter loszuwerden.

Instinktiv wich Ghizlan zurück, als das Paar an ihr vorüberdonnerte. Ein Eindruck setzte sich in diesem flüchtigen Moment bei ihr fest: das Lächeln des Reiters. Huseyn al Rasheeds Lächeln. Pures Vergnügen sprach daraus, als gäbe es für ihn nichts Schöneres auf der Welt, als sich mit diesem Pferd zu messen, das ihn am liebsten niedergetrampelt hätte.

Ghizlan stockte der Atem. Dieses Lächeln, der Anblick einer derart unbändigen Freude inmitten der Gefahr, berührte sie in ungeahntem Maß und beschleunigte auch ihren Puls. Mit klopfendem Herzen lehnte sie sich an eine der Steinsäulen, als ein letztes, trotziges Wiehern die Aufgabe des Hengstes verkündete. Urplötzlich ließ er den Kopf sinken und blieb lammfromm stehen. Nur der keuchende Atem und die zuckenden Muskeln unter dem schweißglänzenden Fell zeugten noch von dem überstandenen Kampf.

Huseyn al Rasheed beugte sich vor und tätschelte den kraftvollen Hals des Hengstes, während er ihm beruhigend zusprach. Und Ghizlan hätte schwören können, dass das Tier ihm aufmerksam lauschte. Schließlich, scheinbar ohne Aufforderung des Reiters, setzte sich der Hengst wieder in Bewegung und schritt ruhig zu einem der Stallburschen, der im Schatten bereitstand. Ein letztes Mal klopfte Huseyn ihm den Hals, bevor er sich mühelos aus dem Sattel schwang, und das Pferd sich von dem Stallburschen so zahm wegführen ließ, als hätte es das wilde Kräftemessen zwischen ihm und dem Reiter nie gegeben.

Ghizlan schüttelte ungläubig den Kopf. Was immer sie von ihrem Peiniger denken mochte, er war zweifellos ein Reiter von beeindruckenden Fähigkeiten! Ganz bewusst konzentrierte sie sich auf diesen Gedanken, um sich davon abzulenken, was für eine gefährliche Wirkung sein Lächeln auf sie ausgeübt hatte.

In diesem Moment sagte der Stallbursche etwas, worauf Huseyn sich zu ihr umdrehte. Sofort verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht.

Was ihr nur recht sein konnte. Sie wollte ihn nicht mögen. Weder sein gewinnendes Lächeln noch seine überschäumende, irrwitzige Freude, wenn er im Sattel eines unbändigen Pferdes seinen Hals riskierte.

Während sich die Umstehenden wieder in die Ställe zurückzogen, kam Huseyn mit der Anmut einer Raubkatze über den Hof auf Ghizlan zu. Sein zerrissenes Hemd gab den Blick auf einen beeindruckend athletischen Oberkörper preis, wie sie als Frau bewundernd eingestehen musste. Sie schluckte, bevor sie aufsah und dem Blick seiner faszinierenden hellen Augen begegnete … so kühl und gelassen, als hätte es nie eine Gefahr gegeben.

„Sie hätten sich umbringen können! Sind Sie völlig verrückt?“, sprudelte es aus ihr heraus, bevor sie sich besann.

Er blieb wie angewurzelt stehen. Sein blauschwarzes zerzaustes Haar schimmerte im gleißenden Sonnenlicht, und Ghizlan kribbelte es zu ihrem eigenen Entsetzen in den Fingern, es zu berühren.

„Sie haben sich Sorgen um mich gemacht?“, fragte er verblüfft.

„Natürlich nicht!“, wehrte sie ab, obwohl sie ihn im Geiste tatsächlich schon leblos auf den Steinen hatte liegen sehen und sich ihr Herz allein bei der Vorstellung zusammenkrampfte. Völlig absurd. „Was interessiert es mich, wenn Sie sich den Hals brechen?“ Sie richtete sich stolz auf. „Aber dann müsste ich mich mit dem Gesindel Ihrer Anhänger herumschlagen.“

„Ach ja, das Gesindel meiner Anhänger.“ Er nickte bedächtig. „Sie meinen die hervorragend ausgebildeten, äußerst disziplinierten Soldaten, die es geschafft haben, Ihren sogenannten Sicherheitsstab ohne einen einzigen Schlag zu überlisten? Hatten Sie vielleicht Sorge, dass sie beim Anblick meiner Leiche in Panik Amok laufen würden?“

Er lächelte, verdammt. Ein breites, ungeniertes Lächeln. Er machte sich über sie lustig, weil sie so dumm gewesen war zu verraten, dass sie sich um ihn gesorgt hatte. Um ihren Feind.

Oder amüsiertes es ihn, weil er spürte, was für eine Wirkung er als Mann auf sie ausübte?

Unbändiger Zorn stieg in ihr hoch. Das war einfach zu viel der Demütigung! „Sie finden das alles lustig?“ Wütend trat sie vor und registrierte befriedigt, dass sein Lächeln verschwand und einem überraschten Ausdruck wich. „Weder ich noch meine Schwester finden es jedenfalls lustig, einem Haufen bewaffneter Männer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Sie mögen diese Kerle toll finden, für mich sind es Feiglinge, die gute Männer nur deshalb überwinden konnten, weil sie damit drohten, meiner Schwester Schaden zuzufügen. Männern, die ein unschuldiges Mädchen als Geisel nehmen, kann ich nicht vertrauen.“

Sein Gesicht glich jetzt einer versteinerten Maske. „Kommen Sie.“ Er packte sie beim Arm. „Das ist nicht der richtige Ort für dieses Gespräch.“

Er wollte sie wegführen, doch sie sträubte sich, bis er stehen blieb.

„Ich bin kein Sack Kartoffeln, den Sie nach Belieben hin und her zerren können! Bitten Sie mich einfach zu gehen, aber fassen Sie mich nicht an.“ Sie wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte. „Abgesehen davon, waren Sie so unhöflich, unseren Termin um neun nicht einzuhalten. Ich musste mich auf die Suche nach Ihnen machen.“

„Und noch dazu ausgerechnet in den Ställen“, sagte er provozierend. „Was natürlich weit unter Ihrer königlichen Würde ist.“

Es lag ihr auf der Zunge zu antworten, dass sie als Jugendliche eine leidenschaftliche Reiterin gewesen war und Stunden in den Ställen verbracht hatte, bis ihr Vater von ihr eingefordert hatte, dass sie sich ernsthafteren Pflichten im Dienste ihres Volkes zuwandte. „Heißt das, Sie sind jetzt bereit zu reden?“, fragte sie stattdessen. „Oder hat Ihr Vergnügen wieder Vorrang?“ Ihr kühler Blick strafte ihr wildes Herzklopfen Lügen. Aber sie war fest entschlossen, die Wirkung, die Huseyn als Mann auf sie ausübte, in den Griff zu bekommen.

„Wenn Sie bereit sind, Hoheit“, erwiderte er spöttisch und ließ sie los, ohne auf ihre Anspielung einzugehen.

„Ich bin bereit.“

Sie ging voraus. Das Klacken ihrer hohen Absätze auf dem Steinboden hallte von den Wänden wider, während Ghizlan bei jedem Schritt Huseyns Blicke in ihrem Rücken spürte. Sie wusste nicht, wie er das anstellte, wollte es auch gar nicht wissen. Aber es war ein Gefühl, als wäre sie an diesen Mann gekettet, und in dem Bedürfnis, ihm zu entkommen, führte sie ihn, ohne zu überlegen, nicht in das Büro ihres Vaters, sondern auf einen Balkon hoch über dem Tal. Hier, auf der von der Stadt abgewandten Seite, erhob sich die Festungsmauer unmittelbar an der Kante der steil abfallenden Klippen. Ghizlan hätte sich nur über die Brüstung lehnen müssen, um die halsbrecherische Route der Kletterpartie zu sehen, die sie und Mina in der Nacht zuvor gewagt hatten. Sie wollte lieber nicht mehr daran denken.

Stattdessen stützte sie die Hände auf die steinerne Balustrade und atmete tief die frische Bergluft ein, den Blick in die Ferne gerichtet, wo sich am Fuß der Berge die endlose Weite der Wüste erstreckte.

„Sie haben also eine Antwort für mich?“

Sie drehte sich nicht zu ihm um. Es würde leichter für sie sein, wenn sie ihn nicht ansah. Wenn es doch nur einen anderen Ausweg gäbe! Die Worte wollten einfach nicht über ihre Lippen.

„Hoheit?“, drängte er, und zum ersten Mal klang es nicht sarkastisch, als er ihren Titel benutzte.

Was die Sache nur noch erschreckend realer machte. „Falls ich einwilligen sollte, Sie zu heiraten, habe ich Bedingungen.“

„Ich höre.“

„Erstens, meine Schwester verlässt vor der Hochzeit das Land.“

„Sofort danach.“

Autor

Maisey Yates
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