Julia Extra Band 449

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KARIBIK, KÜSSE … UND MEHR? von SMART, MICHELLE
Francesca braucht keinen Aufpasser auf ihrer Karibikreise! Doch so sehr sie sich über den attraktiven Security-Boss Felipe Lorenzi aufregt, wecken seine glühenden Blicke auch erotische Sehnsüchte. Aber kaum gibt Francesca sich seinen heißen Küssen hin, weist er sie eiskalt ab …

HAPPY END UNTER GRIECHISCHER SONNE von CRAVEN, SARA
Auf der griechischen Insel Rhymnos hat Selena unvergessliche Tage und Nächte der Leidenschaft mit Alexis Constantinou verbracht. Bis der reiche Hotelier ihr jäh das Herz brach. Als sie nun dorthin zurückkehren muss, knistert es trotzdem wieder gefährlich sinnlich zwischen ihnen …

DIE LEIDENSCHAFTLICHE RACHE DES MILLIARDÄRS von BIANCHIN, HELEN
Milliardär Alexei Delandros zwingt seine Ex-Geliebte Natalya, als persönliche Assistentin für ihn zu arbeiten. Natürlich nur aus Rache, weil sie einst seine Liebe verriet! Doch er hat nicht damit gerechnet, dass ihre aufreizenden Kurven noch solch unersättliches Verlangen erregen …

MIT EINEM SEXY LÄCHELN FING ES AN … von HARDY, KATE
Dieses sexy Lächeln! Ungewollt ist die schüchterne Angel sofort fasziniert von Brandon Stone. Bei einem Galadinner gerät sie immer mehr in seinen Bann und lässt sich zu einer Liebesnacht verführen. Ein folgenschwerer Fehler? Ihre Familien sind verfeindet, und er gilt als Playboy!


  • Erscheinungstag 30.04.2018
  • Bandnummer 449
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710811
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Smart, Sara Craven, Helen Bianchin, Kate Hardy

JULIA EXTRA BAND 449

MICHELLE SMART

Karibik, Küsse … und mehr?

Francesca ist umwerfend sexy, aber leider tabu für Felipe Lorenzi. Als Bodyguard soll er sie auf ihrer Karibikreise beschützen – statt sich vorzustellen, wie sie in seinen starken Armen dahinschmilzt!

SARA CRAVEN

Happy End unter griechischer Sonne

Alexis Constantinou trifft die schöne Engländerin Selena nur wieder, um sie zu einem Geständnis zu bringen. Er weiß, dass sie etwas vor ihm verbirgt! Doch warum prickelt es trotzdem so verführerisch?

HELEN BIANCHIN

Die leidenschaftliche Rache des Milliardärs

Um ihren Vater zu retten, muss Natalya ausgerechnet für ihre erste große Liebe Alexei arbeiten. Auch wenn der Milliardär sie einst ohne ein Wort verließ, zieht er sie gegen jede Vernunft magisch an …

KATE HARDY

Mit einem sexy Lächeln fing es an …

Beim Galadinner will Brandon Stone die bezaubernde Angel überreden, ihm ihre Firma zu verkaufen. Doch dafür muss er ihr nah kommen – gefährlich nah für einen überzeugten Junggesellen wie ihn …

1. KAPITEL

„Hört ihr mir überhaupt zu?“ Francesca Pellegrini warf den beiden Männern, die mit ihr in einem der zugigen Zimmer des Familienschlosses saßen, wütende Blicke zu. Ungeduldig zog sie ihren Pferdeschwanz noch etwas straffer. „Macht ihr nun dabei mit, das Krankenhaus im Angedenken an Pieta zu bauen, oder nicht?“

Daniele warf genervt die Hände in die Luft. „Müssen wir das ausgerechnet jetzt besprechen, am Tag seiner Beerdigung?“

„Es geht um das Vermächtnis unseres toten Bruders!“, rief Francesca ihm gereizt ins Gedächtnis.

Sie hatte gewusst, dass bei Daniele und Matteo einiges an Überzeugungsarbeit nötig sein würde, aber sie zweifelte nicht daran, letztendlich ihre Zustimmung zu bekommen.

Hurrikan Igor hatte zehn Tage zuvor auf der Karibikinsel Caballeros gewütet. Zwanzigtausend Menschen waren dabei ums Leben gekommen, und es gab nur noch sieben funktionierende Krankenhäuser für acht Millionen Menschen. Als Pieta, der Älteste der Pellegrini-Geschwister, in den Nachrichten von der Zerstörung erfahren hatte, war er sofort aktiv geworden, um zu helfen. Es war typisch für ihn gewesen, sich so zu engagieren, und Francesca hatte ihren Bruder stets dafür bewundert.

Pieta hatte nicht nur eine internationale Anwaltskanzlei geführt, sondern sich auch immer wieder für notleidende Menschen in Katastrophengebieten eingesetzt. Er hatte Geld gespendet und Wohltätigkeitsveranstaltungen organisiert, aber auch selbst zugepackt. Gerade dafür hatte man ihn sehr verehrt, und Francesca war stolz gewesen, seine Schwester zu sein. Bei einem Hubschrauberabsturz war er nun ums Leben gekommen … Sie konnte immer noch nicht fassen, dass sie ihn nie wiedersehen würde.

„Ich bitte euch ja nicht um etwas Menschenunmögliches“, fuhr sie fort. „Nur darum, sein Projekt im Angedenken an ihn fortzusetzen. Das Krankenhaus, das er für diese Insel bauen wollte, war eine Herzensangelegenheit für ihn!“

Ihr Bruder Daniele verdiente ein Vermögen – er hatte gerade eine brandneue Jacht geliefert bekommen! –, aber tat er etwas Gutes damit? Nein! Er lebte nur für sein Geld!

Francesca war zwar bewusst, dass sie gerade ziemlich ungerecht war, aber das war ihr egal. Pieta war tot, und sie konnte diesen Verlust nur ertragen, wenn sie sein Projekt fortsetzte. Es war sein Vermächtnis.

„Ich sage ja nicht, dass deine Idee schlecht ist“, entgegnete Daniele gereizt. „Ich finde nur, dass wir nichts überstürzen sollten. Was ist mit deiner Sicherheit?“

„Das Land wurde dem Erdboden gleichgemacht! Was soll jetzt noch passieren? Die einzigen Probleme sind Ruhr und Cholera.“

„Sei nicht so naiv! Caballeros ist eins der gefährlichsten und korruptesten Länder der Welt! Und du verlangst, dass Matteo und ich einfach unsere Leute dorthinschicken!“

Matteo Manaserro, ihr Cousin, besaß zahlreiche Privatkliniken für Menschen, die sich weigerten, in Würde zu altern. Er hatte auch eine Produktreihe verjüngender Kosmetik entwickelt, die ihn so reich wie Krösus gemacht hatte. Francescas Mutter benutzte sie selbst und schwor, dass sie seitdem kaum etwas an sich hatte machen lassen müssen. Pieta hatte oft gesagt, dass Matteo einer der besten Chirurgen weltweit sein könnte, wenn er sein Talent nicht daran verschwenden würde, immer nur dem Geld nachzujagen …

„Ich fliege morgen nach Caballeros. Dann werde ich euch zeigen, dass eure Sicherheitsbedenken unbegründet sind“, fauchte Francesca.

Daniele lief vor Wut hochrot an. „Das wirst du nicht tun!“

„Oh doch, das werde ich! Es ist schon alles organisiert.“

„Du wirst nicht fliegen! Du hast gar nicht die Befugnis, Pietas Arbeit fortzusetzen.“

„Doch, die habe ich“, spielte sie ihren Trumpf aus. „Natasha hat mich schriftlich bevollmächtigt, sie als Pietas nächste Angehörige zu vertreten.“

Ihre Schwägerin, die bis jetzt wie ein stummer Geist dem Meeting beigewohnt hatte, hob benommen den Blick, als ihr Name fiel. Francesca war bewusst, dass sie den fragilen Zustand ihrer Schwägerin schamlos ausgenutzt hatte, um an diese Vollmacht zu kommen, verdrängte ihr schlechtes Gewissen jedoch. Hier ging es um Pietas Vermächtnis, und sie würde alles tun, um das zu verwirklichen. Sie musste einfach! Wenn sie Pieta Werk vollendete, würde sie vielleicht endlich ihre Schuldgefühle loswerden.

Es tut mir so schrecklich leid, Pieta. Ich habe es nicht so gemeint. Du warst der Beste von uns, und ich habe dich aufrichtig geliebt. Verzeih mir. Bitte!

„Das ist viel zu gefährlich!“ Daniele schlug so heftig mit einer flachen Hand auf den alten Eichentisch, dass sogar Matteo zusammenzuckte.

Doch Francesca hörte nicht auf die Stimme der Vernunft. Sie konnte einfach nicht. Sie wollte das Projekt nun mal durchziehen – schon allein, um Abbitte zu leisten. „Ihr könnt ja mitkommen und auf mich aufpassen, wenn ihr euch solche Sorgen macht. Aber das Krankenhaus wird mit oder ohne euch gebaut werden, und wenn ich es mit meinen eigenen Händen errichten muss!“

Daniele sah aus, als würde er gleich platzen vor Wut. Was vielleicht sogar passiert wäre, wenn Matteo nicht einlenkend eine Hand gehoben hätte. „Ich bin dabei. Falls Daniele einverstanden ist, werde ich nach Fertigstellung des Baus persönlich für die nötige Einrichtung sorgen, aber nur einen Monat lang, und nur, weil ich Pieta geliebt habe.“

„Ausgezeichnet.“ Wenn Francesca dazu imstande gewesen wäre, hätte sie gelächelt.

„Aber ich stimme Daniele zu, dass deine Sicherheit oberste Priorität hat. Du unterschätzt die Gefahr. Ich schlage vor, wir holen Felipe ins Boot.“

Daniele richtete die Aufmerksamkeit auf Matteo und nickte langsam. „Ja, das ist eine gute Idee. Er wird für Francescas Sicherheit sorgen, während sie Diktatoren herumkommandiert. Und um die Sicherheit unserer Angestellten wird er sich auch kümmern!“

„Moment mal“, schaltete Francesca sich verdutzt ein. „Wer ist Felipe?“

„Felipe Lorenzi ist ein spanischer Sicherheitsexperte. Pieta hat oft seine Dienste in Anspruch genommen.“

„Ich habe noch nie von ihm gehört.“ Was vermutlich nicht weiter überraschend war. Sie hatte erst vor ein paar Monaten als Referendarin in Pietas Kanzlei angefangen und bis jetzt nie mit seiner Wohltätigkeitsarbeit zu tun gehabt.

„Er war früher mal bei einer Spezialeinheit der spanischen Armee“, erklärte Matteo. „Nach seiner Entlassung hat er eine Sicherheitsfirma für Firmen und Privatpersonen gegründet, die in gefährliche Länder reisen müssen. Er verdient ein Vermögen damit. Pieta hielt große Stücke auf ihn. Ich kann mir gut vorstellen, dass er ihn auch für dieses Projekt engagiert hätte, wenn er …“

Wenn er noch leben würde.

Eine schmerzliche Gesprächspause entstand. „Dann nehmen wir ihn“, brach Francesca irgendwann das Schweigen. Sie würde das zwar nie zugeben, aber die Vorstellung, allein nach Caballeros fliegen zu müssen, hatte ihr ganz schön Angst gemacht. Sie war bisher noch nie allein gereist.

„Du wirst dich vielleicht ein paar Tage lang gedulden müssen, bis er alles organisiert hat“, wandte Matteo ein.

„Das geht nicht. Ich will wirklich keine Schwierigkeiten machen, aber morgen habe ich ein Meeting wegen des Grundstückskaufs. Wenn ich das absage, kriege ich vielleicht nicht so schnell wieder eine Chance. Wir können uns keine Verzögerungen erlauben.“

Das ganze Projekt hing vom Erwerb des Grundstücks ab. Ohne Grundstück kein Krankenhaus … und kein Vermächtnis. Sie musste es einfach haben!

Danieles Augen blitzten wütend auf. „Und du kannst dir nicht erlauben, unnötige Risiken einzugehen!“

„Pieta hat das doch auch ständig gemacht“, protestierte sie. „Ich entscheide selbst, welche Risiken ich eingehe. Außerdem überschätzt ihr die Gefahren bestimmt.“

„Du wirst nicht …“

Matteo hob wieder einlenkend eine Hand. „Francesca, wir wissen beide, dass du Pietas Andenken ehren willst – das wollen wir alle –, aber du musst verstehen, dass wir uns Sorgen um deine Sicherheit machen. Lass uns mit Felipe telefonieren. Er hat genug Leute. Er kriegt es schon irgendwie hin, bis morgen alles Nötige vorzubereiten.“

Francesca entging sein warnender Blick in Danieles Richtung nicht.

Daniele nickte und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Francesca. „Du wirst tun, was Felipes Leute dir sagen. Auf keinen Fall wirst du dich unnötigen Risiken aussetzen, hast du das verstanden?“

„Heißt das, ihr macht mit?“

Daniele seufzte tief. „Ja, wir machen mit. Können wir jetzt zum Rest unserer Familie zurück? Unsere Mutter braucht uns.“

Francesca nickte. Der Druck, der seit einer Woche auf ihrer Brust lastete, löste sich etwas. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Jetzt wollte sie nur noch zu ihrer Mutter und sie tröstend in die Arme nehmen. „Noch mal zusammengefasst – ich kümmere mich um die Verträge, Daniele um alles Bauliche und Matteo um die Technik. Und was ist mit dir, Natascha? Übernimmst du die PR?“

Natasha zuckte lustlos die Achseln. „Kann ich machen.“

„Tja, dann sind wir hier fertig.“ Francesca stand auf und reckte ihre verkrampften Schultern. Jetzt, wo sie Daniele und Matteo auf ihrer Seite hatte, konnte sie endlich um den Bruder trauern, den sie so geliebt hatte. Wenn auch nur für eine Nacht.

Denn ab morgen würde sie alle Hände voll zu tun haben.

Francesca stieg die Stufen zu Pietas Privatjet hoch, die Augen von einer Sonnenbrille gegen das grelle Sonnenlicht geschützt. Die Crew begrüßte sie in gedämpfter Stimmung. Ihr Bruder war von seinem Personal sehr verehrt worden, und die offensichtliche Trauer der Menschen hier rührte Francesca.

Ihr war schwer ums Herz, und nach der kurzen Nacht im zugigen alten Schloss ihrer Kindheit fühlte sie sich schrecklich erschöpft. Sie hatte eindeutig zu viel Wein getrunken und zu wenig geschlafen!

Nun saß sie das erste Mal im Privatjet ihres verstorbenen Bruders. Unter anderen Umständen hätte sich Francesca auf die Reise gefreut. Aber so …

Zum Glück hatte sie die von Natasha unterschriebene Vollmacht in der Tasche. Sie erlaubte ihr, alles zu tun, um das Krankenhausprojekt Wirklichkeit werden zu lassen. Sogar auf Pietas Privatvermögen konnte sie damit zugreifen!

Daniele hatte sich zu Recht über die Vollmacht aufgeregt. In ihrer Trauer hätte Natasha wohl alles unterzeichnet, was man ihr vorgelegt hätte. Nach der Beerdigung hatte Francesca deswegen ihren Cousin zur Seite genommen und ihn gebeten, sich ein bisschen um ihre Schwägerin zu kümmern. Matteo, der von seinem dreizehnten Lebensjahr an zusammen mit ihr und ihren Brüdern aufgewachsen war, würde bestimmt gut für Natasha sorgen.

Man führte Francesca in die Hauptkabine des luxuriös ausgestatteten Jets, doch bevor sie sich gründlich umsehen konnte, sah sie zu ihrer Überraschung einen Mann in einem der Ledersessel sitzen, einen Laptop auf dem Tisch vor sich aufgeklappt.

Bei seinem Anblick blieb sie wie angewurzelt stehen.

Der Typ war mit Abstand der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Als er den Blick hob und sie aus kohlschwarzen Augen ansah, stockte ihr der Atem.

Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bevor der Fremde das Wort ergriff.

„Sie müssen Francesca sein“, sagte er mit schwerem spanischen Akzent.

Francesca blinzelte, als ihr bewusst wurde, wie fasziniert sie ihn anstarrte. „Ja. Und Sie sind?“

„Felipe Lorenzi.“

Sie sind Felipe?“

Als Matteo und Daniele ihr von einem ehemaligen Soldaten einer Sondereinheit der spanischen Armee erzählt hatten, war vor ihrem inneren Auge sofort ein vierschrötiger tätowierter Mann mit kahl rasiertem Kopf in ausgebeulter Kakihose aufgetaucht. Dieser Mann hier sah jedoch komplett anders aus. Er hatte volles, etwas längeres schwarzes Haar, das noch dunkler war als seine Augen, und trug einen offensichtlich teuren, maßgeschneiderten hellgrauen Anzug mit dazu passender Weste und Krawatte.

Er hob eine Augenbraue. „Haben Sie jemand anderen erwartet?“

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Francesca nervös, als sie ihm gegenüber Platz nahm und sich anschnallte. Es fiel ihr immer noch schwer, den Blick von ihm loszureißen. Sie versuchte, sich möglichst selbstsicher und ungerührt zu geben. „Nein, ich habe mit niemandem gerechnet. Man hat mir gesagt, dass ich erst auf Caballeros auf Ihre Leute treffen würde.“

Sie wusste, dass Daniele und Matteo alles Nötige für ihren persönlichen Schutz arrangiert hatten, hätte allerdings nicht mit Begleitschutz während ihres Hinflugs gerechnet. Wäre sie darauf vorbereitet gewesen, hätte sie etwas mehr auf ihr Äußeres geachtet. Sie hatte noch nicht mal geduscht oder sich das Gesicht eingecremt.

Das Gesicht ihr gegenüber brauchte offensichtlich keine Feuchtigkeitscreme. Francesca wurde fast schwindlig beim Anblick von so viel männlicher Schönheit. Der Mann hatte einiges durchgemacht, das erkannte man an den harten Linien um seine Augen und seinen Mund und an den weißen Haaren in seinem dichten Bart. Er hatte eine gefährliche Aura … die sie jedoch auf eine unerklärliche Art und Weise anzog.

„Die Situation auf Caballeros ist instabil. Es ist nicht ratsam, dort ohne Schutz hinzufliegen.“

Schon gar nicht für eine Frau wie diese, dachte Felipe. Er hatte ihr eigentlich zur Begrüßung die Hand schütteln wollen, aber ihr Anblick hatte ihn etwas überrumpelt.

Da die beiden Pellegrini-Brüder gut aussahen, hatte er bei ihrer jüngeren Schwester auch damit gerechnet, doch Francesca Pellegrini sah nicht nur gut aus. Sie war auch umwerfend sexy in ihrer engen zerrissenen Jeans, ihrer weiten weißen Bluse und den Glitzer-Sandalen an den hübschen kleinen Füßen.

„Ich wusste nicht, dass Sie persönlich auf mich aufpassen. Ich dachte, Sie stellen mir jemand anderen zur Seite.“

„Normalerweise mache ich das auch so, aber manchmal übernehme ich diese Aufgabe selbst. Das hier ist eine dieser Ausnahmen.“

Im Laufe seiner Karriere hatte Felipe so viele Verluste erlebt, dass er fast immun dagegen war. Sein Schock nach Pietas Tod hatte ihn daher ziemlich überrascht. Pieta, den er im Laufe der Jahre gut kennengelernt hatte, war ein außergewöhnlicher Mann gewesen, intelligent und von Natur aus vorsichtig. Er hatte genau gewusst, wie man sich in brenzligen Situationen verhalten musste.

Felipe war in einer Hotelbar im Mittleren Osten gewesen, als Daniele und Matteo ihm telefonisch mitgeteilt hatten, dass Danieles kleine Schwester gleich am nächsten Morgen nach Caballeros aufbrechen wollte – in ein Land, das in Anarchie zu versinken drohte. Er hatte sich Pieta gegenüber sofort verpflichtet gefühlt, seine Schwester persönlich zu beschützen. Zehn Stunden später war er in Pisa gelandet und in Pietas Jet gestiegen.

Francesca nahm ihre Sonnenbrille ab und verstaute sie in ihrer Handtasche. Als sie den Blick zu Felipe hob, durchzuckte es ihn heiß.

Ihre Körpergröße war das einzig Durchschnittliche an ihr. Alles andere war außergewöhnlich – angefangen von ihrem langen schwarzen Haar über ihre schimmernde bronzene Haut bis hin zu ihren vollen Lippen. Der einzige Makel waren ihre Augen, die so rot und geschwollen waren, dass die braune Iris kaum zu erkennen war.

Erst gestern hatte sie ihren Bruder beerdigt.

Er rief sich Danieles Warnung ins Gedächtnis, dass sie deswegen gerade ziemlich durch den Wind war. „Mein herzliches Beileid wegen Pietas Tod.“

„Warum waren Sie nicht bei seiner Beerdigung?“, fragte sie spitz. Ihre vom Weinen heisere Stimme zitterte etwas.

„Meine Arbeit hat Vorrang. Pieta hätte Verständnis dafür gehabt.“ Felipe hatte sich vorgenommen, bei seinem nächsten Besuch in Europa Pietas Grab zu besuchen und einen Kranz niederzulegen, um ihm seine Ehre zu erweisen.

„Wieso? Sie haben Ihre anderen Termine doch auch verschoben.“

„Das habe ich“, räumte er ein. Er hatte für seine Vertretung kurzfristig eine seiner Führungskräfte aus dem Urlaub zurückbeordern müssen. „Aber Caballeros ist eine gefährliche Insel.“

„Um eins klarzustellen – Sie arbeiten für mich, nicht für meinen Bruder“, sagte sie in jenem makellosen Englisch, das alle Pellegrinis sprachen. „Meine Schwägerin hat mir schriftlich Vollmacht gegeben, ihre Interessen bei diesem Projekt zu vertreten.“

Felipe musterte sie aus schmalen Augen. „Wie alt sind Sie eigentlich?“ Mit sechsunddreißig war er ein Jahr älter als Pieta, der Älteste der drei Pellegrini-Geschwister.

Trotzig hob sie das Kinn. „Dreiundzwanzig.“

„Fast eine alte Frau“, spöttelte er. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie noch so jung war. Jetzt war Felipe doppelt so froh, sofort gekommen zu sein. Er hätte sie auf Mitte zwanzig geschätzt. Das war zwar nicht viel mehr als dreiundzwanzig, aber genau diese Jahre waren oft am entscheidendsten im Leben eines Erwachsenen. Zumindest war das bei ihm so gewesen.

Es waren die besten Jahre seines Lebens gewesen … jäh beendet von einer missglückten Geiselbefreiung, die mit dem Tod seines besten Freundes und einer Kugel in Felipes Bein geendet hatte. Und mit seiner sofortigen Entlassung aus der Armee …

Francesca erwiderte störrisch seinen Blick. „Ich mag noch jung sein, aber ich bin nicht blöd. Sie können sich Ihre Herablassung sparen.“

„Alter hat nichts mit Intelligenz zu tun“, räumte er ein. „Wo sind Sie bisher überall hingereist?“

„In viele Länder.“

„Ich nehme an, es handelte sich um Urlaubsreisen mit Ihrer Familie?“

Francescas verstorbener Vater, Fabio Pellegrini, war ein Nachfahre der alten italienischen Königsfamilie gewesen. Die Pellegrinis machten zwar längst keinen Gebrauch mehr von ihren Adelstiteln, aber ihnen gehörten immer noch ein Schloss in der Toskana und viel Geld. Vanessa Pellegrini, die Matriarchin, entstammte auch einer alten reichen Familie. Weder ihnen noch ihren Kindern hatte es je an etwas gefehlt.

Felipes eigene Kindheit hätte nicht gegensätzlicher sein können.

„Ja“, bestätigte Francesca. „Ich war fast überall in Europa, in den Staaten und in Australien. Ich würde sagen, ich bin weit gereist.“

„Und in wie vielen dieser Länder herrschte Krieg?“

„In Caballeros herrscht kein Krieg.“

„Noch nicht. In wie vielen Ländern war Hygiene ein Problem?“

„Ich habe wasserdesinfizierende Tabletten dabei.“

Felipe unterdrückte ein Lächeln. Anscheinend hatte sie auf alles eine Antwort, aber sie wusste nicht, worauf sie sich einließ. „Die werden Sie nicht brauchen.“

„Warum nicht?“

„Weil Sie nicht auf Caballeros bleiben werden. Ich habe für Sie ein Hotel auf Aguadilla gebucht.“ Aguadilla war eine spanisch-karibische Insel in der Nähe von Caballeros, wurde jedoch von Wirbelstürmen verschont und war politisch stabiler.

„Sie haben was?!“

„Ich habe Ihr Zimmer in der Absteige abgesagt, die Sie in San Pedro gebucht haben“, erklärte er ungerührt. „Ich habe eine Cessna vor Ort, mit der Sie zu Ihren Meetings pendeln können.“

Francesca errötete vor Wut. „Dazu hatten Sie kein Recht! Diese Absteige hat Pieta selbst ausgesucht!“

„Und er hätte meine Firma zum Personenschutz engagiert. Er war kein Idiot. Sie sind eine schutzlose Frau …“

„Bin ich nicht!“

„Betrachten Sie sich doch mal durch die Augen eines mittellosen Einheimischen. Sie sind jung, reich, schön und eine Frau, ob es Ihnen gefällt oder nicht.“

„Ich bin nicht reich!“

„Aber Ihre Familie. Caballeros ist das sechstgefährlichste Land der Welt. Die Lage war schon schlimm genug, als die Leute noch ein Dach über dem Kopf hatten. Jetzt haben sie alles verloren. Man wird ein Kopfgeld auf Sie aussetzen, sobald Sie Landesboden betreten.“

„Aber ich will für die Bevölkerung ein Krankenhaus bauen!“

„Viele Einheimische werden Ihnen auch sehr dankbar dafür sein. Wie auf jeder Insel in der Karibik wimmelt es von wundervollen und gastfreundlichen Menschen, aber in der Vergangenheit gab es dort mehr Militärputsche als in jedem anderen von Spanien unabhängig gewordenen Land. Die Polizei und die Politiker sind durch die Bank korrupt.“

Francesca funkelte ihn wütend an. „Mir sind die Risiken durchaus bewusst“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Ich habe zugestimmt, mich von Ihrer Firma beschützen zu lassen, aber nicht, mich von Ihnen bevormunden zu lassen! Sie hatten nicht das Recht, meine Pläne zu ändern. Ich werde Ihnen Ihr volles vereinbartes Honorar zahlen, aber ich brauche Ihre Dienste nicht mehr. Nehmen Sie Ihre Sachen und steigen Sie aus. Ich kündige unseren Vertrag.“

Man hatte Felipe schon gewarnt, dass sie so reagieren würde. Sowohl Daniele als auch Matteo hatten Felipe auf ihr Temperament und ihr Pochen auf Unabhängigkeit hingewiesen. Und dass man sie manchmal vor sich selbst retten musste.

„Tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Sie haben nicht die Befugnis, mich zu feuern.“ Felipe zuckte nonchalant die Achseln und gähnte. Dios, war er müde! Er hatte zwei Nächte lang kein Auge zugetan und keine Lust auf Stress. „Ihre Schwägerin hat Ihre Vollmacht ergänzt. Sollte ich zu irgendeinem Zeitpunkt berichten, dass Sie meinen Rat nicht befolgen, was Ihre Sicherheit angeht, wird Ihnen die Vollmacht entzogen und das Projekt abgeblasen.“

Ihr schockierter Gesichtsausdruck war unbezahlbar. „Natasha hat das gemacht? Natasha?!“

„Ja, auf Danieles Bitte hin. Soweit ich weiß, wollte er die Vollmacht ganz rückgängig machen. Diese Lösung war ein Kompromiss.“ Noch während Felipe sprach, setzte sich das Flugzeug in Bewegung.

Wütend verzog Francesca das Gesicht. „Dieser dreckige, hinterhältige …“

„Ihr Bruder und Ihre ganze Familie machen sich große Sorgen um Sie. Sie halten Sie für zu emotional und zu impulsiv, um das Projekt reibungslos umzusetzen. Ich bin hier, umIhnen beizustehen.“ Er beugte sich vor. „Ich habe nicht die Absicht, Sie zu tyrannisieren, aber wenn Sie sich leichtsinnig verhalten, werde ich Sie umgehend nach Pisa zurückbefördern.“

Wütend presste sie die Lippen zusammen. „Ich will die Ergänzung sehen!“

„Natürlich.“ Felipe zog das Dokument aus seiner Jackettasche.

Francesca beugte sich vor und riss es ihm aus der Hand. Sie wurde ganz blass, als sie die Zeilen las.

„Das ist eine Kopie des Originals“, erklärte er, falls sie auf die Idee kommen sollte, das Schriftstück zu zerreißen.

Erbost funkelte sie ihn an. „Ich habe Jura studiert! Ich weiß, wie eine Kopie aussieht.“ Sie holte tief Luft und ballte die Hände zu Fäusten. „Glauben Sie nicht, dass ich mich von Ihnen herumkommandieren lasse, Mr. Lorenzi! Ich mag noch jung sein, aber ich bin kein Kind mehr. Dieses Projekt bedeutet mir alles.“

„Kein Problem“, erwiderte er gelassen. „Solange Sie sich wie eine Erwachsene benehmen, können Sie sich meiner Kooperation sicher sein.“

Francesca schwieg, doch der eisige Blick, den sie ihm zuschoss, war Antwort genug …

2. KAPITEL

Francesca kochte dermaßen vor Wut, dass sie Felipe in den nächsten zwei Stunden mit Schweigen strafte, doch sollte ihn das stören, ließ er sich nichts anmerken. Er arbeitete an seinem Laptop, verspeiste einen Stapel Sandwiches und drückte dann auf einen Schalter, der seinen Sitz in eine Liege verwandelte.

Francesca folgte seinem Beispiel, um ebenfalls noch etwas Schlaf zu bekommen. Seit Pietas Hubschrauberunfall hatte sie kaum ein Auge zugetan, und wenn doch, war sie von Alpträumen gequält worden und jedes Mal schluchzend und schweißgebadet aufgewacht. Sie wusste nicht, was schlimmer war – ihre Schuldgefühle oder ihre Trauer. Beide lauerten ständig im Hinterhalt und drohten, sie in den Abgrund zu ziehen.

War der Anruf ihrer Mutter mit der Nachricht, dass Pieta ihnen so grausam und unvermittelt genommen worden war, wirklich erst eine Woche her? Ihr fiel auf, dass ihr zum ersten Mal seit seinem Tod beim Hinlegen nicht die Tränen in die Augen schossen. Anscheinend war sie zu wütend zu weinen.

Ihr war durchaus bewusst, dass ihre Wut sich eigentlich gegen Daniele richten sollte und nicht gegen Felipe. Ihr Bruder war schließlich derjenige, der hinter ihrem Rücken mit Felipe vereinbart hatte, auf sie aufzupassen wie auf ein unmündiges Kind. Doch auch ihr Babysitter hatte die Ergänzung der Vollmacht unterschrieben und machte keinen Hehl aus der Tatsache, dass er sich daran halten würde.

Er würde sie bestimmt völlig anders behandeln, wenn sie ein Mann wäre! Nie würde er ihr gegenüber seine Autorität ausspielen und ihr ihre mangelnden Erfahrungen vorwerfen. Ihr Alter und ihr Geschlecht hatten ihre Rolle schon innerhalb ihrer Familie festgelegt, und es machte sie fuchsteufelswild, dass auch ihr restliches Leben davon beeinflusst wurde!

Sie war zehn Jahre nach Daniele und zwölf nach Pieta als Nachzüglerin geboren worden. Ihr Vater hatte sie behandelt wie eine Prinzessin und ihre Mutter wie ein niedliches Püppchen, das man nach Belieben ausstaffieren konnte. Daniele war der typische große Bruder gewesen, hatte ihr Süßigkeiten gekauft und ihr Streiche gespielt. Später hatte er Francesca und ihre Freundinnen, die alle in ihn verschossen waren, auch in der Gegend herumkutschiert. Natürlich in ständig wechselnden Autos … Sie war immer seine kleine Schwester gewesen und würde es wohl immer bleiben.

Pieta war der Einzige gewesen, der sie als eigenständige Person wahrgenommen hatte. Dafür hatte sie ihn geliebt. Er hatte sie nie wie ein Schoßhündchen behandelt. Seine Anerkennung hatte ihr unendlich viel bedeutet, weshalb sie beruflich ohne zu zögern in seine Fußstapfen getreten war.

Wie hatte sie nur so reagieren können, als sie von seinem Tod erfahren hatte? Er verdiente etwas so viel Besseres!

Sie ertappte sich dabei, gedanklich zu dem Mann zurückzukehren, in dessen Obhut sie sich befand. Egal, wie attraktiv und sexy er war – er war ein arroganter Arsch! Francesca hatte ihr ganzes Leben lang darum kämpfen müssen, ernst genommen zu werden. Sie würde weder ihm noch sonst jemandem Macht über sich einräumen …

Ruckartig setzte sie sich auf. Sie würde einfach Natasha anrufen und sie dazu überreden, die Ergänzung zu annullieren! Warum war ihr das nicht schon eher eingefallen?

Rasch griff sie nach ihrem Handy und wählte. Erst nach zahlreichen Freizeichen meldete Natasha sich. Sie klang ziemlich groggy.

„Hi, Natasha! Sorry, dass ich dich störe, aber ich muss mit dir reden.“ Möglichst leise, um nicht den schlafenden Mann ihr gegenüber zu wecken, erklärte Francesca ihrer Schwägerin ihre Bedenken.

„Tut mir leid, Fran, aber ich habe Daniele versprochen, mich nicht von dir umstimmen zu lassen“, antwortete Natasha voller Mitgefühl. „Es ist zu deiner eigenen Sicherheit.“

„Aber ich werde nichts ausrichten können, wenn dieser Mann jede meiner Entscheidungen torpediert!“

„Das kann er gar nicht.“

„Doch, kann er! Wenn er beschließt, dass meine Pläne meine Sicherheit gefährden, kann er sie unterbinden. Deine Ergänzung gibt ihm diese Macht.“

„So schlimm wird es schon nicht.“

„Glaub mir, es ist schlimm! Er wird das ganze Projekt stoppen, wenn ich nicht genau das tue, was er sagt!“

Natasha seufzte. „Tut mir leid, aber ich habe mein Versprechen gegeben. Daniele macht sich große Sorgen um dich. Wir alle tun das. Pietas Tod …“ Ihre Stimme brach. „Sein Tod hat dich schwer getroffen“, fuhr sie mit erstickter Stimme fort. „Felipe wird für deine Sicherheit sorgen und dich davon abhalten, überstürzte Entscheidungen zu treffen. Bitte versuch doch, uns zu verstehen. Wir wollen nur das Beste für dich.“

Hätte Francesca nicht gewusst, in was für einer schlechten Verfassung Natasha gerade war, hätte sie jetzt vielleicht ins Telefon gebrüllt, dass sie durchaus in der Lage war, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Doch dann würden die anderen sich erst Recht in ihrer Besorgnis bestätigt sehen. Sie musste daher ruhig und vernünftig bleiben.

Francesca beschloss, stattdessen mit Daniele zu reden. Wenn sie ihn davon überzeugen konnte, dass die Ergänzung der Vollmacht völlig unnötig war, würde Natasha sie bestimmt sofort rückgängig machen.

Also rief sie Daniele an, nachdem sie sich von ihrer Schwägerin verabschiedet hatte. Es überraschte sie nicht, dass seine Mailbox ansprang. War ja klar, dass die miese Ratte ihr auswich! Sie hinterließ ihm eine kurze, aber möglichst höfliche Nachricht: „Daniele, wir müssen reden. Ruf mich zurück, sobald du das hier abhörst.“

Stolz auf sich, ihn nicht wüst beschimpft zu haben, legte sie ihr Handy zur Seite. Bisher hatte sie Daniele noch immer rumgekriegt … obwohl es diesmal natürlich um etwas ganz anderes ging als darum, ihr ein Kleid für einen Ball zu spendieren oder so.

„Sie werden ihn nicht umstimmen“, hörte sie eine sehr wache männliche Stimme.

Dann war die Schlange also die ganze Zeit über wach gewesen und hatte sie bei ihren Telefonaten belauscht! Francesca warf ihre Decke zurück und sprang auf. „Oh doch. Warten Sie’s nur ab.“

Da sie jetzt sowieso nicht mehr schlafen konnte, beschloss sie, zu duschen und sich auf ihre Ankunft in der Karibik vorzubereiten.

Felipe aß Eier Benedict, während er darauf wartete, dass Francesca endlich das Bad und das angrenzende Ankleidezimmer verließ. Nach neun Stunden im Flieger konnte er selbst eine Dusche gebrauchen. In bereits einer Stunde würden sie in Aguadilla landen, und von dort würde seine Cessna sie direkt nach Caballeros zum Meeting mit dem Gouverneur fliegen.

Er konnte nur hoffen, dass Francesca wusste, was sie dort erwartete.

Felipe konnte ihre Feindseligkeit ihm gegenüber gut nachvollziehen. Er hatte sich auch nie gern untergeordnet. Bei der Armee hatte er zwar gelernt, Befehle zu befolgen, aber da hatte er die Notwendigkeit eingesehen und sie akzeptiert. Nach und nach war er die Karriereleiter nach oben geklettert, sodass schließlich er derjenige gewesen war, der die Befehle erteilt hatte. Jetzt hatte er Hunderte von Männern unter sich.

Francesca würde sich seiner Autorität beugen müssen. Ihre Sicherheit hatte absoluten Vorrang. Er würde nicht zögern, sie von Caballeros wegzuschaffen, wenn er das für notwendig hielt.

Endlich kam sie aus dem Ankleidezimmer.

„Sie sehen besser aus“, sagte er, obwohl das die Untertreibung des Jahres war. Sie trug einen marineblauen Nadelstreifenanzug, eine schwarze Bluse und beige Pumps. Ihr glänzendes schwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten und ihn im Nacken zu einem Knoten zusammengerollt. Sie sah professionell und schick zugleich aus. In diesem Outfit würde man sie jedenfalls viel ernster nehmen als in ihrem vorherigen.

Sie lächelte nur schmallippig und zog ihren Laptop aus der Schublade, in die jemand von der Crew ihn gelegt hatte.

„Ich gehe jetzt duschen. Bestellen Sie sich schon mal etwas zu essen. Wir landen in einer Stunde.“ Als Felipe an ihr vorbeiging, stieg ihm ihr frisches Parfum in die Nase. Um ein Haar wäre er stehen geblieben, um es einzuatmen. Francesca roch genauso gut, wie sie aussah.

Doch ganz egal, wie gut sie roch oder wie sexy sie war – das hier war ein Job, und im Job waren Beziehungen jeglicher Art zu Auftraggebern streng verboten. Die Verträge seiner Angestellten hatten nicht umsonst eine entsprechende Zusatzklausel. Die Arbeit als Leibwächter war gefährlich. Man brauchte dabei einen klaren Kopf. Jeder Hinweis auf eine Beziehung mit einem Kunden war Grund für eine sofortige Entlassung.

Francesca könnte daher Aphrodite persönlich sein – er würde sich trotzdem von ihr fernhalten.

Als er unter der Dusche stand, stellte er fest, dass Francesca das ganze warme Wasser verbraucht hatte. Vermutlich mit Absicht. Halb belustigt, halb verärgert schüttelte er den Kopf.

„Na, wie war die Dusche?“, erkundigte sie sich zuckersüß, als er zurückkehrte.

„Kalt.“

Sie hob den Blick nicht von ihrem Laptop, aber ihre Lippen zuckten.

„Nach acht Jahren bei der Armee ist mir jede Dusche willkommen“, sagte er trocken. „Aber das hat nichts mit Ihrem Job zu tun. Sagen Sie mir, wie Ihr Plan genau aussieht.“

„Warum sagen Sie mir das nicht, wo Sie doch die Führung übernommen haben?“ Sie gab sich keine Mühe, ihre Abneigung zu verbergen.

„Es ist immer noch Ihr Projekt. Ich bin nur für Ihre Sicherheit zuständig. Solange Sie das akzeptieren, folge ich gern Ihrer Führung.“ Felipe wollte das Krankenhaus genauso wie sie. Deswegen musste er ihr zumindest das Gefühl zu geben, die Kontrolle zu haben, damit sie keine überstürzten Entscheidungen traf. „Sie haben in vier Stunden ein Meeting mit dem Gouverneur von San Pedro. Was hoffen Sie zu erreichen?“

Francesca wirkte etwas besänftigt. „Seine Zustimmung zum Kauf des Grundstücks, das Pieta vorgemerkt hat.“

„Das ist alles?“

„Der Gouverneur ist mit der Schwester des Präsidenten verheiratet. Wenn er zustimmt, wird niemand mehr Einwand erheben.“

„Und wenn er ablehnt?“

Sie verzog das Gesicht. „Darüber will ich gerade nicht nachdenken.“

„Sie haben keinen Notfallplan?“

Francesca klappte ihren Laptop zu. „Mir fällt schon etwas ein, wenn es so weit ist.“

„Warum begleitet Alberto Sie nicht? Er hat jede Menge Erfahrungen auf diesem Gebiet.“

Alberto war Pietas rechte Hand gewesen. Die beiden waren immer zusammen gereist, wenn es um eine Hilfsaktion ging. Er kannte sich in von Naturkatastrophen heimgesuchten Ländern bestens aus und wusste, wie man mit Staatsoberhäuptern umging.

„Er hat Urlaub genommen“, antwortete sie achselzuckend. „Sie hätten ihn mal bei der Beerdigung sehen sollen. Er konnte sich kaum aufrecht halten. Er hat mir sämtliche Akten übergegeben, weil er gerade nicht in der Verfassung ist zu arbeiten.“

„Während Sie, Pietas Schwester, nur einen Tag nach seiner Beerdigung in eins der gefährlichsten Länder der Welt reisen, um sein gutes Werk fortzusetzen.“

Sie schloss für einen Moment gequält die Augen, bevor sie sie wieder aufschlug und Felipe ansah. Ihre Augen waren nicht länger gerötet und geschwollen, aber in ihrem Blick lag eine Verzweiflung, die schwer auszuhalten war. „Ja. Dieses Projekt – es im Angedenken an Pieta zu vollenden – ist das Einzige, das mich davor bewahrt zusammenzubrechen“, flüsterte sie.

Sie hatte Mumm, das musste man ihr lassen! Felipe konnte nur hoffen, dass sie auch genug Kraft besaß, die nächsten Tage zu überstehen.

Francesca blieb kaum Zeit, die Schönheit von Aguadilla zu bewundern, denn die Fahrt vom internationalen Flughafen zu dem kleinen Flugplatz, auf dem die Cessna bereitstand, dauerte nicht lange. Ihr fiel nur auf, dass der Himmel blauer war als anderswo, das Meer klarer und dass die Insel sehr grün war.

Drei Männer, darunter der Pilot, warteten in der Cessna. Als Felipe ihnen die Hände schüttelte und sie mit Francesca bekannt machte, unterdrückte sie nur mit Mühe ihre Nervosität wegen ihrer bevorstehenden Landung in Caballeros in nur zwanzig Minuten.

„Alles okay mit Ihnen?“, fragte Felipe, nachdem sie sich angeschnallt hatten.

Sie nickte.

„Sind Sie zum ersten Mal auf Caballeros?“, fragte einer der Männer, der ihr als James vorgestellt worden war. Er hatte einen breiten australischen Akzent.

Sie nickte wieder.

Er grinste. „Dann schlage ich vor, Sie genießen die schöne Szenerie hier noch.“

„Sind das Ihre Leute?“, fragte sie Felipe.

„Ja. Ich habe noch drei weitere Männer um das Haus des Gouverneurs postiert. All meine Angestellten stammen aus Armee-Eliteeinheiten. James und Seb waren schon öfter auf Caballeros. Sie werden bei ihnen in guten Händen sein.“

„Und das haben Sie alles in einer Nacht auf die Beine gestellt?“, fragte Francesca beeindruckt.

Felipe sah sie so intensiv an, dass ihr ganz seltsam zumute wurde. „Ja. Auf Caballeros stehen Sie unter meinem Schutz, und ich pflege meinen Job sehr ernst zu nehmen.“

Es überlief sie heiß. Tief Luft holend wandte sie sich ab, um aus dem Fenster zu sehen. Sie schloss die Augen, um ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen.

In der letzten Stunde in Pietas Jet hatte sie nicht widerstehen können, heimlich ein paar Nachforschungen über Felipes Firma auf ihrem Laptop anzustellen.

Das Ergebnis war beeindruckend gewesen.

Matteo hatte ihr zwar schon erzählt, dass Felipe ein Vermögen mit seiner Firma verdiente, aber ihr war nicht bewusst gewesen, wie groß seine Firma war. In nur zehn Jahren hatte er ein weltweit expandierendes Unternehmen daraus gemacht und beschäftigte Hunderte ehemaliger Soldaten aus verschiedenen Ländern. Er war inzwischen Milliardär.

Sie beobachtete ihn verstohlen. Er war gerade ins Gespräch mit seinen Kollegen vertieft – und sah absolut himmlisch aus. Je öfter sie ihn ansah, desto mehr faszinierte er sie.

Da sie aus einer reichen Familie stammte, waren ihr im Laufe ihres Lebens jede Menge reicher und gut aussehender Männer begegnet, aber nie ein Mann wie Felipe. Er wirkte so maskulin und gefährlich.

Als er schallend über einen von James Witzen lachte – eine Reaktion, die sie ihm nie zugetraut hätte –, blieb ihr Blick an seinem Bizeps hängen. Sie ließ den Blick zu seinen muskulösen Schenkeln gleiten. Ihr Umfang war mindestens doppelt so groß wie der ihrer eigenen Schenkel …

In diesem Augenblick wandte Felipe ihr das Gesicht zu, als spüre er ihren Blick. Ihr stockte ihr Atem. Wieder überlief es sie heiß. Sie war wie gebannt unter seinem Blick, bis er blinzelte und seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Kollegen richtete.

Francesca atmete zittrig aus und presste eine Hand auf ihr wild klopfendes Herz.

Felipe Lorenzi war nicht nur viel attraktiver als jeder andere Mann, der ihr je begegnet war, sondern hatte auch eine viel erotischere Ausstrahlung.

Wenn er nur nicht ein so arroganter Idiot wäre!

Felipe hätte nie gedacht, dass er sich je über eine Landung auf Caballeros freuen würde, aber als die Cessna aufsetzte, schickte er ein stummes Dankgebet gen Himmel.

Er war ins Gespräch mit James und Seb vertieft gewesen, als er plötzlich Francescas Blick gespürt hatte. Seine sofortige körperliche Reaktion darauf hatte ihn etwas überrumpelt. Unwillkürlich hatte er sich gefragt, wie ihre Lippen sich wohl anfühlen würden. Und wie sie wohl schmecken würde …

Doch genauso schnell, wie seine Erektion gekommen war, hatte er sie wieder verdrängt und sich auf seinen Job konzentriert. Sich zu Francesca Pellegrini hingezogen zu fühlen, hatte eindeutig nichts mit seinem Job zu tun.

Es war nicht das erste Mal, dass er sich zu einer Auftraggeberin hingezogen fühlte. Er musste sich einfach nur auf das konzentrieren, worauf es ankam, und das war Francescas Sicherheit.

Doch da war etwas in ihrem Blick gewesen, das ihm verriet, dass die Anziehungskraft gegenseitig war.

Egal, Francesca Pellegrini war tabu. Sie war nicht nur eine Auftraggeberin, sondern trauerte auch noch um ihren toten Bruder. Trauer konnte auch hartgesottene Männer fertigmachen. Felipe wusste das aus Erfahrung. Seine war seinerzeit so heftig gewesen, dass er so etwas nie wieder durchmachen wollte.

Seine ganze Kindheit hindurch war er praktisch auf sich allein gestellt gewesen. Sein Vater war so gut wie nie da gewesen und seine Mutter war zu beschäftigt damit, sich und ihn mit mehreren Jobs über Wasser zu halten. Sollte er damals den Wunsch gehabt zu haben, der Einsamkeit zu entfliehen, war sie ihm inzwischen höchst willkommen. Deshalb hielt er andere Menschen immer etwas auf Abstand. Ganz egal ob es sich um Angestellte handelte – oder um Frauen.

„Soll es losgehen, Chef?“, fragte Seb nach der Landung, eine Hand an der Tür.

Wie der Großteil der Insel war der Hauptflughafen von Caballeros größtenteils zerstört worden. Doch das Geld der Pellegrinis und Felipes Verhandlungsgeschick hatten gewährleistet, dass sie sicher landen konnten. Über Francescas Schulter aus dem Fenster blickend, konnte er sich mit eigenen Augen vom Ausmaß der Katastrophe überzeugen. Das Dach des Terminalgebäudes war weggerissen, Fensterscheiben waren zerbrochen, und überall lag Schutt herum. Nicht weit von ihnen entfernt lag eine Boeing 737 auf einer Seite.

„Sind Sie bereit?“, fragte er Francesca, die fassungslos aus dem Fenster starrte. „Wir können das Meeting auch jederzeit verschieben.“

Entschlossen straffte sie die Schultern. „Auf keinen Fall. Lassen Sie uns aufbrechen.“

3. KAPITEL

Der Chauffeur des bereitstehenden Wagens – noch jemand von Felipes Leuten – lenkte sie geschickt durch schlammbedeckte Straßen voller Schlaglöcher, die schon vor dem Wirbelsturm da gewesen sein mussten. Seb begleitete sie, während James bei dem Piloten in der Cessna blieb.

Die Residenz des Gouverneurs befand sich außerhalb der Hauptstadt San Pedro, die wie die anderen Städte auf der Insel am meisten vom Sturm abbekommen hatte. Francesca erschauerte bei der Vorstellung, dass sie hier ursprünglich ein Zimmer gebucht hatte.

Sie fuhren durch Straßen, die nicht mehr von Häusern, sondern von Haufen zersplitterten Holzes und Metall gesäumt waren. Wo noch vor wenigen Wochen Menschen beherbergt worden waren, befanden sich jetzt Planen und löchrige Decken. Überall liefen Menschen herum, Jung und Alt, barfüßige Kinder, schwangere Frauen, Menschen mit notdürftig verbundenen Verletzungen. Die meisten sahen dem Wagen passiv hinterher. Doch manche hatten genug Energie, sich zu nähern, und wieder andere warfen sogar Gegenstände danach.

Als die erste Flasche an ihrem Wagen zerschellte, kauerte Francesca sich erschrocken in ihrem Sitz zusammen.

„Keine Sorge“, beruhigte Felipe sie. „Die Fenster sind panzerverglast. Sie sind unzerstörbar.“

„Wo sind eigentlich die Hilfsorganisationen?“

„Die konzentrierten sich auf den Süden der Insel, wo der Zustand noch schlimmer ist. Die Nachbarinseln haben versucht zu helfen, aber das war nur begrenzt möglich, da der Hurrikan auch viele von ihnen getroffen hat, und die Regierung bleibt erschreckend inaktiv. Der Flughafen zum Beispiel müsste dringend wiederhergestellt werden, aber nichts passiert. Es ist ein Witz.“

Als sie beim Anwesen des Gouverneurs ankamen, stand Francescas Entschluss, für den Bau des Krankenhauses zu sorgen, erst recht fest. Nicht nur um das Gedächtnis ihres Bruders zu ehren, sondern auch wegen der armen Menschen, die nicht nur unter den Auswirkungen des Hurrikans, sondern auch unter der Unfähigkeit ihrer Regierung litten.

Die Residenz des Gouverneurs war eine riesige Villa im spanischen Stil, vor der bewaffnete Wachen postiert waren. Francesca fragte sich, warum sie nicht auf den Straßen eingesetzt wurden, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Sie hasste den Gouverneur jetzt schon.

Felipe sah sie an, als wisse er, was in ihr vorging. „Behalten Sie Ihre Gefühle dem Gouverneur gegenüber für sich. Sie müssen ihm Respekt erweisen, sonst wird er sie rauswerfen und Sie nie wieder vorlassen.“

„Wie soll ich einem Mann meinen Respekt erweisen, den ich jetzt schon verabscheue?“

Er zuckte die Achseln. „Sie sind diejenige, die etwas erreichen will. Spielen Sie einfach eine Rolle. Sie haben doch Albertos Berichte über Pietas frühere Projekte gelesen. Machen Sie das, was Ihr Bruder tun würde. Oder soll ich Sie zurück nach Hause bringen?“

„Nein, ich schaff das schon.“ Tief Luft holend stieg Francesca aus dem Wagen und stieg mit Felipe an ihrer Seite die Marmorstufen zum Haupteingang hoch. Seb und der Fahrer blieben im Wagen zurück.

„Stimmt etwas nicht mit Ihrem Bein?“, fragte sie, als ihr Felipes leichtes Humpeln auffiel.

„Nichts Ernstes“, antwortete er geistesabwesend, die Aufmerksamkeit auf seine Umgebung gerichtet. Sie hatte den Eindruck, dass ihm nichts entging.

Nachdem sie die Sicherheitskontrolle passiert hatten, wurden sie in einen großen hellen Empfangsraum geführt. Das Sofa war so weiß, dass Francesca sich unwillkürlich die Hose abwischte, bevor sie sich setzte. „Wenn schon der Gouverneur ein solches Haus hat, frage ich mich, wie protzig wohl erst das des Präsidenten ist.“

Felipe beugte sich vor. „Seien Sie vorsichtig“, flüsterte er ihr in ein Ohr. „Hier gibt es überall versteckte Kameras, die alles aufzeichnen, was wir tun und sagen.“

Sie wusste nicht, was sie mehr verstörte: dass sie heimlich beschattet wurden oder dass sie Felipes warmen Atem an ihrem Ohr fühlen konnte. Sein Duft stieg ihr in die Nase – ein teurer, würziger Duft, der in ihr den Impuls weckte, sich zu ihm zu beugen, um ihn besser riechen zu können.

Die Hände zusammenpressend, richtete sie die Aufmerksamkeit auf das Gemälde einer strahlend weißen Jacht an der gegenüberliegenden Wand.

Sie durfte sich nicht von ihren körperlichen Reaktionen auf Felipe von ihrer Aufgabe ablenken lassen. Bisher war es ihr immer mühelos gelungen, männliche Avancen abzuwehren. Fest entschlossen, als eine der Besten ihres Jahrgangs das Studium abzuschließen, hatte sie jede Romanze vermieden. Sex und Romantik konnten warten, bis sie beruflich etabliert war.

Sie warf einen verstohlenen Blick auf Felipes Hände. Sie waren groß und kräftig, mit langen Fingern und sehr kurz geschnittenen Nägeln. Ganz anders als die perfekt manikürten Hände der Männer, die sie sonst kannte. Felipe war ein echter Mann. Bestimmt auch im Bett …

In diesem Augenblick betrat eine großgewachsene schlanke Frau in einem weißen Designerkostüm den Raum. Der Gouverneur ließ sich offensichtlich herab, sie zu empfangen.

Francesca riss sich zusammen und stand auf. Ihr Herz klopfte wie verrückt, aber sie würde es schon irgendwie schaffen, den Gouverneur zum Verkauf des Grundstücks zu überreden.

Pieta würde stolz auf sie sein … und ihr vielleicht verzeihen.

Felipe bereute inzwischen, seine Pistole bei Seb im Wagen gelassen zu haben.

Bei ihrem Eintreten saß der Gouverneur allein an einem langen Esstisch und verspeiste eine in Spalten geschnittene Orange. Die Frau, die sie reingeführt hatte, stellte sich hinter ihn.

Anstatt zur Begrüßung aufzustehen, winkte er ihnen, sich zu setzen.

Felipe hatte nicht erwartet, den Mann sympathisch zu finden, aber genauso wenig hatte er mit der spontanen Abneigung gerechnet, die jetzt in ihm hochstieg.

„Mein herzliches Beileid“, sagte der Gouverneur auf Spanisch. Er hatte den Blick auf Francescas Brüste geheftet. „Wie ich gehört habe, war er ein bedeutender Mann.“

Aus Francescas panischem Blick schloss Felipe, dass sie die Muttersprache des Landes nicht sprach. Er dolmetschte sofort.

„Danke“, antwortete sie lächelnd, als sei es völlig normal, dass ein notgeiler Sechzigjähriger sie mit Blicken auszog, während er von ihrem gerade gestorbenen Bruder sprach. „Sprechen Sie zufällig Italienisch oder Englisch?“

„Nein“, antwortete er auf Englisch, bevor er mit Felipe spanisch weitersprach. „Sie sind der Leibwächter?“

„Ich bin Miss Pellegrinis Dolmetscher und Berater.“

Der Gouverneur schob sich ein großes Stück Orange in den Mund und kaute. „Sie will also ein Krankenhaus in meiner Stadt bauen?“

Felipe unterdrückte einen Anflug von Ekel. „Ja, das will sie. Soweit ich weiß, hat ihr Bruder Sie schon wegen des Grundstücks kontaktiert?“

Felipe spürte deutlich, dass es Francesca ärgerte, bei ihrem eigenen Meeting übergangen zu werden. Er warf ihr einen warnenden Blick zu.

Ein weiteres Orangenstück wanderte in den Mund des Gouverneurs. „Zweihunderttausend Dollar“, sagte er, den Blick wieder auf Francescas Brüste gerichtet.

„Für das Grundstück?“

Der Gouverneur grinste breit mit vollem Mund. „Nein, für mich. Das Grundstück selbst kostet noch mal zweihunderttausend. Alles in bar.“

Felipe sah Francesca beschwörend an, während er ihr die Worte des Gouverneurs übersetzte. Er hätte gern etwas gesagt, war jedoch davon überzeugt, dass der Gouverneur fließend Englisch sprach.

Zu seiner Fassungslosigkeit stimmte sie zu ohne nachzudenken. „Einverstanden.“

„Und das Krankenhaus wird meinen Namen tragen.“

Diesmal zögerte sie. Felipe wusste auch schon, warum – sie wollte es nach ihrem Bruder benennen.

Der Gouverneur merkte ihr ihr Zögern an. „Entweder es bekommt meinen Namen, oder aus dem Deal wird nichts.“

Felipe übersetzte wieder und legte einen warnenden Unterton in seine Stimme – in der vergeblichen Hoffnung, dass sie darauf reagieren und anfangen würde zu verhandeln.

Doch sie war zu fixiert darauf, ein Resultat zu erzielen, um die Gefahr zu sehen, in die sie sich begab. „Sagen Sie dem Gouverneur, es wäre uns eine Ehre, das Krankenhaus nach ihm zu benennen“, erwiderte sie.

Weiße Zähne blitzten auf. „Dann also abgemacht. Ich gebe hier nächsten Samstag eine Party“, sagte er an Felipe gewandt. „Bringen Sie sie mit. Ich werde die Unterlagen bis dahin vorbereiten. Und sagen Sie ihr, sie soll das Geld in bar mitbringen.“ Er schnippte mit den Fingern, und die schmale Frau trat vor. „Bringen Sie meine Gäste zurück zu ihrem Wagen.“

Lächelnd stand Francesca auf. „Bitte richten Sie dem Gouverneur meinen Dank für seine Kooperation aus.“

Sie hüpfte förmlich vor Freude, als sie die Villa verließen.

Erst als sie sicher im Wagen saßen und das Grundstück verlassen hatten, drehte Felipe sich wieder zu ihr um. „Was sollte das eben?“, fragte er. „Warum haben Sie nicht verhandelt? Und was haben Sie sich dabei gedacht, ein Bestechungsgeld zu akzeptieren?“

Ihr Lächeln erlosch. „Was geht Sie das an?“

„Sie haben sich bereiterklärt, ihn mit Bargeld zu bestechen. Und vierhunderttausend Dollar in das ärmste Land der Karibik zu bringen. Sehen Sie denn nicht, wie falsch das ist? Und wie gefährlich?“

„Ich habe nur getan, was ich tun musste“, verteidigte sie sich. „Danke für Ihre Übersetzung, aber Sie werden dafür bezahlt, mich zu beschützen, nicht, um mir irgendwelche ungebetenen Ratschläge zu erteilen!“

Genau davor hatten Daniele und Matteo ihn gewarnt. Francesca war so wild entschlossen, das Krankenhaus zu bauen, dass sie sich selbst in Gefahr brachte.

Francesca verstand nicht, warum Felipe so negativ reagierte. Das Meeting war schließlich viel besser gelaufen als erwartet. Sie hatte damit gerechnet, stundenlang Fragen zum Krankenhaus beantworten zu müssen, und hatte sämtliche Zahlen und Unterlagen vorbereitet, aber letztlich war es nur um eins gegangen: um Geld. Und davon hatte Pietas Wohltätigkeitsorganisation mehr als genug.

Felipe überschritt eindeutig seine Grenzen.

„Und was ist mit Ihrer Karriere?“, fragte er scharf. „Haben Sie daran schon mal gedacht? Wollen Sie sie ruinieren, bevor sie begonnen hat?“

„Wovon reden Sie?“

„Wenn sich herumspricht, dass Sie den Gouverneur von San Pedro bestochen haben, ist Ihre Karriere im Eimer. Keine Ahnung, ob Sie das schon mal gehört haben, aber man erwartet von Anwälten, sich ans Gesetz zu halten.“

Großer Gott, daran hatte sie ja überhaupt nicht gedacht! Ihr wurde schwindlig vor Angst. „Pieta hat doch auch Bestechungsgelder gezahlt“, protestierte sie.

„Ihr Bruder war schlau genug, nie irgendwelche Zusagen zu machen, schon gar nicht so offen und umgeben von Kameras und Mikrofonen. Er hätte sich oder seine Organisation nie so leichtfertig irgendwelchen Risiken ausgesetzt. Er war immer diskret genug, Mittelsmänner einzuschalten. Das müssten Sie eigentlich wissen.“

„Das würde ich vielleicht auch, wenn mir das jemand gesagt hätte. Es stand nicht in den Akten.“

Natürlich nicht, schoss es ihr im selben Moment zu ihrer Bestürzung durch den Kopf. Alberto hatte sie darauf vorbereitet, dass sie wohl Schmiergelder zahlen müsste, aber er war so von seiner Trauer absorbiert gewesen, dass er nichts notiert hatte. Aus gutem Grund. Wer war schon so dämlich, illegale Transaktionen zu belegen, ganz egal, wie gut die Absichten und Gründe waren, die dahintersteckten? „Warum haben Sie nichts gesagt, wenn Sie sich so gut auskennen?“

„Ich ging davon aus, dass Sie im Bilde sind! Und ich konnte es Ihnen schließlich schlecht mitten im Meeting sagen …“

„Wir werden verfolgt“, unterbrach Seb plötzlich ihren gereizten Wortwechsel.

Felipe drehte sich um und sah aus dem hinteren Fenster.

„Der schwarze Mondeo.“

„Ja, ich sehe ihn.“

Felipe legte Francesca eine Hand auf eine Schulter, um sie davon abzuhalten, sich ebenfalls umzudrehen. „Ducken Sie sich!“, befahl er.

Er schlang einen Arm um ihren Oberkörper, und kurz darauf wusste Francesca auch warum, denn Seb drückte das Gaspedal durch und raste mit ihnen über die holprigen Straßen. Sie unterdrückte einen Schrei. Als sie einen entgegenkommenden Lastwagen nur um wenige Zentimeter verfehlten, presste sie die Augen zusammen und klammerte sich an Felipes Arm fest, bis der Wagen mit quietschenden Bremsen hielt.

„Sie können die Augen wieder aufmachen, wir sind am Flughafen“, hörte sie Felipes Stimme. „Wir haben sie abgehängt.“

Sie ließ ihn los und sah mit einer gewissen Genugtuung, wie er seinen Arm ausschüttelte, den sie die Fahrt über so fest umklammert hatte. In der anderen Hand hielt er immer noch die Pistole.

„Sind Sie verrückt geworden, so schnell zu fahren?“, entlud sich ihre aufgestaute Angst. „Wir könnten jetzt tot sein!“

Ihre Tür wurde geöffnet. James streckte grinsend den Kopf hinein. „Das war ja eine heftige Spritztour.“

„Halt die Klappe, James“, sagte Felipe ungehalten. „Tut mir leid, dass wir Ihnen Angst eingejagt haben, aber ich hatte Sie vor der Gefahr gewarnt“, fügte er an Francesca gewandt hinzu.

„Nicht vor so einem Höllentrip! Und dann auch noch bewaffnet!“

„Hätten Sie es vorgezogen, wenn die Männer uns eingeholt hätten? Oder hätte ich sie freundlich fragen sollen, was sie von uns wollen? Und wie soll ich Sie ohne Waffe beschützen?“

„Also … Na ja …“

„Lassen Sie uns endlich in das Flugzeug steigen, bevor die Männer uns finden.“

„Wir wollten uns doch noch das Grundstück ansehen!“

„Das hat Zeit.“

„Aber …“

Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Widerspruch zu. Kein Zweifel, er würde sie eigenhändig ins Flugzeug tragen, wenn sie nicht sofort aus dem Wagen stieg. Bei der Vorstellung, in seinen Armen zu liegen, wurde Francesca ganz heiß …

Trotzig das Kinn hebend, stieg sie aus und ignorierte die Hand, die James ihr bot.

„Was habe ich Ihnen denn getan? Ich war doch gar nicht im Wagen“, beschwerte er sich gut gelaunt.

Sie musste über seinen jungenhaften Charme lächeln, obwohl auch er bewaffnet war. „Halten Sie die Klappe, James.“

„Genau, James“, murmelte Felipe, der ihr dicht auf den Fersen folgte und dabei gründlich seine Umgebung beobachtete. Er hatte ihr eine Hand auf den Rücken gelegt, bereit, sich auf sie zu werfen, falls etwas passieren sollte.

Sein Herz klopfte nach der wilden Fahrt wie verrückt, was ihn genauso nervte wie Francescas Dummheit. Erst als sie sich in der Luft befanden, steckte er seine Pistole wieder ein.

Francesca konnte erst wieder durchatmen, als sie sicher in Aguadilla landeten. Caballeros hatte ihr mehr Angst eingejagt, als sie zugeben wollte. Genauso wie die Pistolen, die Felipe und seine Männer dabeigehabt hatten. Endlich verstand sie, warum Daniele und Matteo darauf bestanden hatten, für ihre Sicherheit zu sorgen. Es war naiv von ihr gewesen, sich dagegen zu sperren.

Diesmal setzte Felipe sich selbst hinters Steuer und fuhr auf gewundenen Landstraßen durch die malerische Insellandschaft. Ab und zu blitzte das Meer zwischen Bäumen auf. Zwanzig Minuten nachdem sie den Flughafen verlassen hatten, hielten sie vor einer eingeschossigen Lodge.

„Wie hübsch“, sagte Francesca zu dem steifen Mann am Steuer, der die ganze Fahrt über kein Wort gesagt hatte.

Erst jetzt, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, wurde ihr bewusst, dass sie sich vorhin wie eine verwöhnte Göre benommen hatte. Dabei hatten Felipe und Seb nur getan, wofür sie bezahlt wurden – für ihre Sicherheit gesorgt. Außerdem hatte Felipe versucht, sie während des Meetings zu warnen, doch sie hatte seine nonverbalen Zeichen nicht beachtet, weil sie zu fixiert auf das Grundstück gewesen war.

Sie würde sich bei ihm entschuldigen müssen.

„Das ist unsere Absteige“, sagte James zu ihr.

„Absteige? Sieht doch toll aus.“

„Sie schlafen hier nicht. Seb und ich übernachten hier, während Sie und Mr. Schlechtgelaunt zu einem Siebensternehotel ein Stück weiter fahren. Übertreiben Sie es nicht mit dem Partyleben!“

Die beiden Männer schlugen die Autotüren zu und ließen Francesca allein auf dem Rücksitz zurück.

Felipe startete wieder den Motor.

„Warten Sie, ich setz mich neben Sie“, sagte sie, konnte jedoch nicht die Tür öffnen. „Haben Sie etwa die Kindersicherung aktiviert?“

Er drehte sich zu ihr um. „Schnallen Sie sich wieder an, wir sind schon in ein paar Minuten da.“

Gereizt ließ sie sich zurück in ihren Sitz fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre versöhnliche Stimmung war verschwunden. Was für ein arroganter Kerl! Das mit der Entschuldigung konnte er vergessen!

Noch nicht mal der Anblick des schönen Eden Hotels oder die Aussicht, Daniele die gute Neuigkeit mit dem Grundstück mitzuteilen, vermochte ihre Stimmung zu heben. Natürlich würde sie ihm ihren Fehler beichten müssen. Er würde bestimmt wütend reagieren. Bei der Vorstellung war ihr ganz elend zumute.

Sie folgte Felipe aus dem Wagen und eilte hinter ihm her ins Hotel.

Und was für eins! Francesca hatte mit ihrer Familie schon in vielen Luxus-Resorts Urlaub gemacht, aber keins ließ sich mit dem hier vergleichen.

Felipe ging zur eleganten Rezeption und versuchte, sich beim Einchecken etwas zu beruhigen. Er wollte nur noch in sein Zimmer, bevor er noch etwas sagte oder tat, das er bereuen würde.

„Ihr Gepäck ist schon in Ihrer Suite“, sagte er kurz darauf zu der atemberaubenden jungen Frau, die für seinen inneren Aufruhr verantwortlich war. Er würdigte Francesca kaum eines Blickes. „Wir treffen uns hier Montag nach dem Frühstück.“

Montag?“

„Ja. Morgen ist Sonntag. Da werden Sie sowieso niemanden erreichen.“

„Aber auf Caballeros herrscht eine Notlage!“

„Haben Sie irgendwelche Termine vereinbart?“

„Noch nicht“, gab sie widerstrebend zu. „Ich wollte erst das Okay des Gouverneurs. Ich werde sämtliche Kontaktpersonen auf meiner Liste anrufen, sobald ich in meinem Zimmer bin.“

„Niemand wird morgen Zeit für Sie haben. Trotz aller Korruption sind die Leute hier sehr religiös, und Sonntag ist ein Ruhetag.“

„Wenn ich für morgen Termine kriege, sehen wir uns morgen.“

„Nein, wir sehen uns Montag.“ Entschlossen sah er sie an. „Sie sollten den morgigen Tag dafür nutzen, sich gründlich vorzubereiten. Sie müssen erst mal runterkommen von Ihrem Trip und einen kühlen Kopf bekommen.“

„Was soll das denn heißen?!“

„Unser Vertrag gilt für fünf Tage, aber der Gouverneur will sein Bestechungsgeld in einer Woche. Wenn ich zwei Tage länger bleiben soll, müssen Sie aufhören, sich wie eine unreife Göre zu benehmen. Sie können sich keine Fehler mehr erlauben. Noch gehört Ihnen das Grundstück nicht, und so wie die Dinge stehen, würde ich am liebsten Ihren Bruder anrufen und ihm sagen, dass seine Befürchtungen sich schon jetzt bestätigt haben, weil Sie eine Gefahr für sich selbst darstellen und nach Hause zurückkehren sollten. Buenas noches!“

Als er davonging, während Francesca ihm mit offenem Mund hinterher starrte, war ihm bewusst, dass nur seine Drohung, ihren Bruder anzurufen, sie davon abhielt, ihm wüste Beschimpfungen an den Kopf zu werfen.

Ein Portier brachte Francesca auf ihr Zimmer, in dem schon ihr Gepäck stand.

Sie hatte gedacht, James hätte einen Witz gemacht, als er von einem Siebensternehotel gesprochen hatte. Der sie umgebende Luxus verdrängte vorübergehend ihre Rachefantasien Felipe Lorenzi gegenüber, diesem schrecklich arroganten und überheblichen Kerl!

Sie wusste selbst, dass sie Mist gebaut hatte, aber wenn man ihn hörte, konnte man meinen, dass sie der einzige Mensch auf der Welt war, der Fehler machte!

In einer Hinsicht hatte er jedoch recht. Sie musste einen klaren Kopf bekommen.

Francesca zog ihr Handy aus ihrer Handasche und rief Daniele an. Diesmal ging er ran und nahm die gute Neuigkeit mit dem Grundstück mit verhaltenem Enthusiasmus auf. Als sie ihn fragte – sehr nett –, ob er Felipe feuern und eine andere Sicherheitsfirma engagieren könnte, lachte er jedoch nur. „Ich habe dir doch gesagt, dass es dir nicht gelingen wird, ihn um den kleinen Finger zu wickeln. Er bleibt.“

Daniele legte auf, bevor sie ihm die Sache mit dem Bestechungsgeld gestehen konnte.

Erschöpft rieb sie sich die Augen. Vielleicht war es besser, noch ein paar Tage damit zu warten. Für heute hatte sie genug Schelte kassiert. Und vielleicht würde Felipe es ihm sowieso erzählen …

Sie unterdrückte einen frustrierten Aufschrei. Was hatte sie nur für ein Chaos angerichtet!

Oder doch nicht? Sie war schließlich nach Caballeros geflogen, um das Okay des Gouverneurs zu bekommen, und das hatte sie geschafft. Das Krankenhaus würde entstehen. Und was das Bestechungsgeld anging, würde sie einfach mit Alberto reden. Vielleicht wusste er ja, was sie tun konnte, um das Projekt nicht zu gefährden.

Und ihre Karriere.

Da sie gerade zu aufgewühlt war, um klar denken oder telefonieren zu können, nahm sie eine Flasche Weißwein aus der gut gefüllten Bar, schenkte sich ein großes Glas ein und nahm es mit ins Bad, um sich erst mal in der Wanne zu erholen. Sie würde einfach ihr Bad genießen und sich morgen früh um alles andere kümmern.

Doch es gelang ihr einfach nicht abzuschalten. Seufzend stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab und zog sich rasch etwas über, bevor sie an der Rezeption anrief. „Können Sie mir sagen, in welchem Zimmer Felipe Lorenzi wohnt? Wir haben zusammen gebucht, aber ich habe seine Zimmernummer vergessen.“

Als man ihr die Nummer nannte, zuckte sie zusammen. „Vierzehn?“, vergewisserte sie sich erschrocken.

Das war ja direkt neben ihr!

Ihr Herzschlag beschleunigte sich vor Nervosität, als sie beschloss, bei ihm anzuklopfen. Sie schlüpfte aus ihrem Zimmer und ging nach nebenan.

Er öffnete die Tür einen Spalt. „Gibt es ein Problem?“

„Kann ich kurz reinkommen?“, fragte sie zurück, seinen frostigen Tonfall imitierend.

Er zögerte ein paar Sekunden. „Ich wollte gerade duschen.“

„Ich will das Hotel wechseln.“

„Warum?“

„Das hier ist doch viel zu teuer.“

„Das braucht Sie nicht zu kümmern.“

„Es stört mich aber. Die meisten unserer Spender könnten sich nie so ein Hotel leisten. Die Lodge, in der James und Seb übernachten, wäre viel angemessener.“

„Es ist nicht die Stiftung, die das Hotel bezahlt.“

„Wer denn dann?“ Plötzlich fiel es ihr ein. „Daniele! Er schmeißt immer mit Geld um sich und …“

„Wollten Sie noch etwas mit mir besprechen?“, fiel Felipe ihr ungeduldig ins Wort. Er gab sich keine Mühe, seine Irritation zu verbergen. „Ich stehe hier nämlich völlig unbekleidet und würde jetzt gern duschen. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht …“

Francesca sah ihn sofort in ihrer Fantasie nackt vor sich.

Oh Gott … Er ist nackt!

„Also? Sonst noch was?“, fragte er scharf.

Er ist nackt!!

„Nein.“

„Dann sehen wir uns am Montag.“

Francesca stand noch lange vor seiner geschlossenen Tür, eine Hand an ihrem Hals, und spürte ihren Puls hämmern.

4. KAPITEL

Felipe stutzte sich zum ersten Mal seit drei Wochen den Bart. Leider war er so unkonzentriert, dass er sich schnitt.

Verdammte Schuldgefühle! Die quälten ihn nämlich, seitdem er Francesca weggeschickt hatte.

Er hatte bisher noch mit keiner Kundin solche Probleme gehabt wie mit ihr, obwohl er schon viel heiklere Aufträge gehabt hatte.

Normalerweise ließ er sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen, von niemandem. Aber ob es ihm passte oder nicht – er fühlte sich eindeutig zu ihr hingezogen, und das hatte negative Auswirkungen auf seine Arbeitsleistung. Es beeinträchtigte ihn massiv.

Dabei war er derjenige, der seinen Männern immer wieder einbläute, dass sie ausschließlich für den Schutz ihrer Kunden zuständig waren. Sie waren keine Berater. Was ihre Auftraggeber trieben, ging sie nichts an.

Die Risiken, die Francesca mit dem Bestechungsgeld einging, müssten ihm eigentlich völlig egal sein. Felipe hatte schon vor viel Schlimmerem die Augen verschlossen und würde in Zukunft zweifellos noch Schlimmeres ignorieren. Es war ihm daher schleierhaft, warum sie ihn so wütend machte. Bei jedem anderen wäre ihm die Sache mit dem Bestechungsgeld völlig egal gewesen.

Als sie vorhin vor seiner Tür aufgetaucht war, war sie anscheinend gerade erst aus der Dusche gekommen. Ihr langes Haar war noch nass gewesen und ihr schönes Gesicht ungeschminkt. Unter ihrem langen blauen Sommerkleid hatten ihre hübschen Zehen hervorgeblitzt, und ihr Ausschnitt hatte etwas Brustansatz gezeigt …

Schon der bloße Anblick hatte ihn erregt. Er hatte sich mit einer Hand an der Türklinke und der anderen an der Wand festhalten müssen, um sie nicht in sein Zimmer zu zerren und aufs Bett zu werfen.

Was seine Wut nur noch mehr angestachelt hatte. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, hatte er lange reglos dagestanden und versucht, seine Erektion zu unterdrücken. Oder zu ignorieren, dass ihre Suite sich direkt neben seiner befand.

Ein Tag ohne sie würde ein echter Segen sein!

Andererseits durfte er nicht vergessen, dass sie noch um ihren Bruder trauerte und dass Trauer manchmal seltsame Reaktionen bei Menschen auslöste. Sie brauchte seine Hilfe und Unterstützung, nicht seine Wut und seine Kritik.

Trotzdem! Wie sollte er nur eine ganze Woche in ihrer Gesellschaft überstehen, ohne sie zu erwürgen … oder mit ihr zu schlafen?

Der Sonnenaufgang war so schön, dass Francescas Gemütslage sich bei einem Blick aus dem Fenster etwas aufhellte. Das Hotelpersonal war schon eifrig damit beschäftigt, die Pflanzen zu gießen und die Wege zu säubern. Einige gähnten verstohlen.

Francesca gähnte aus Solidarität mit, wollte jedoch nicht zurück ins Bett. Schlaf war das Letzte, das sie jetzt wollte. Wenn sie schlief, kamen nur die Alpträume, und die von letzter Nacht standen immer noch mit erschreckender Klarheit vor ihr.

Sie hatte von Pieta geträumt. Er hatte an dem kleinen Küchentisch in ihrer Wohnung in Pisa gesessen, und sie hatte ihm einen Kaffee gemacht und ihm lachend erzählt, dass sie geglaubt hatte, er sei tot. Er war in ihr Lachen eingestimmt und hatte ihr versichert, dass es sich nur um ein Missverständnis handelte. Doch dann hatte er aufgehört zu lachen und gesagt, dass er wusste, wie sie auf die Nachricht von seinem Tod reagiert hatte.

Ihr Kissen war tränennass gewesen, als sie aus dem Traum erwachte. „Es tut mir leid!“, hatte sie immer wieder geschluchzt.

Nun erinnerte sie sich daran, dass seltsamerweise auch Felipe in ihren Träumen aufgetaucht war …

Francesca wischte sich ihre frischen Tränen mit einer Hand weg. Sie würde sich jetzt zusammenreißen und noch mal den dicken Ordner durchlesen, den Alberto ihr mitgegeben hatte.

Sie setzte sich auf ihr riesiges Bett und nahm sich vor, sich von jetzt an untadelig zu verhalten. Sie würde sich gründlich auf jede Situation vorbereiten und nichts mehr machen, das ihre Karriere oder Pietas Stiftung gefährden konnte.

Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie ins Restaurant, doch da dort um diese Zeit noch nichts los war, bestellte sie sich Frühstück aufs Zimmer. Sie fühlte sich einsam, was jedoch auch nicht anders wäre, wenn mehr Gäste wach wären. Das hier war kein Hotel für Alleinreisende.

Es gab zwar noch einen anderen Alleinreisenden – aber der legte eindeutig keinen Wert auf ihre Gesellschaft. Er konnte sie nicht ausstehen.

Und sie ihn genauso wenig! Je weniger sie mit Felipe Lorenzi zu tun hatte, desto besser. Und heute brauchte sie ihn Gott sei Dank überhaupt nicht zu sehen.

Es gelang ihr, ihm bis zum frühen Nachmittag aus dem Weg zu gehen.

Bis dahin hatte sie schon mal sämtliche für das Projekt wichtigen Kontaktpersonen angerufen. Viele waren wegen der vom Hurrikan angerichteten Schäden nicht erreichbar gewesen, und diejenigen, die überhaupt abgenommen hatten, hatten sie auf den nächsten Tag vertröstet. Nur die Blue Train Aid Agency – die einzige Hilfsorganisation, die auf Caballeros im Einsatz war – war bereit zu einem Gespräch gewesen.

Eva Bergen, mit der Francesca gesprochen hatte, hatte ganz begeistert auf das Projekt reagiert und wollte sich am nächsten Tag mit ihr treffen. Francesca hatte sich schon erheblich besser gefühlt, als sie aufgelegt hatte. So gut sogar, dass sie beschlossen hatte, sich einen Bikini in einer der exklusiven Hotelboutiquen zu kaufen und schwimmen zu gehen.

Es gab vier Pools zur Auswahl. Sie entschied sich für den größten, schwamm ein paar Runden und legte sich mit ihrem Buch und einer Sonnenbrille auf eine Liege. Es fiel ihr jedoch schwer, sich zu konzentrieren. Ständig schweiften ihre Gedanken ab … allerdings nicht zu der vor ihr liegenden Woche, sondern zu ihrem Beschützer. Ehrlich gesagt beherrschte er ihre Gedanken die meiste Zeit.

Sie war froh über ihr Buch, als sie einen unverwechselbaren großen Mann in enger schwarzer Badehose zur anderen Seite des Pools schlendern sah, ein Handtuch um die Schultern geschlungen. Er wäre ihr sogar aufgefallen, wenn er in ihren Gedanken nicht so präsent gewesen wäre. Sie bezweifelte, dass es auch nur eine Frau am Pool gab, die ihn übersah.

Hastig hob sie das Buch vors Gesicht und hoffte, dass er sie nicht erkannte.

Bitte lass ihn mich nicht sehen!

Wenn sie das nächste Mal mit ihm sprach, wollte sie voll bekleidet sein, nicht mit einem knappen Bikini. Sie war eine ganze Woche lang auf ihn angewiesen, auch wenn sie nicht wusste, wie sie das überstehen sollte, ohne ihn zu ohrfeigen.

Während sie so tat, als sei sie völlig versunken in ihre Lektüre, konnte sie nicht widerstehen, über den Rand ihres Buchs zu lugen. Felipe stand am Rand des Pools und testete die Wassertemperatur mit den Zehen. Sogar auf die Entfernung hin verschlug ihr der Anblick seiner männlichen muskulösen Schönheit den Atem. Sie war so fasziniert, dass sie komplett vergaß, ihr Gesicht zu verbergen.

Seine dunkel gebräunte Haut glänzte in der hellen Nachmittagssonne. Seine leicht behaarte Brust war breit und muskulös, und sein Waschbrettbauch würde sich bestimmt hart unter ihren Händen anfühlen, davon war sie fest überzeugt.

Mit einer Anmut, die seine Körpergröße und seine Muskeln Lügen strafte, tauchte er ins Wasser.

Sie hörte eine Frau scharf einatmen. Es vergingen ein paar Sekunden, bis ihr bewusst wurde, dass sie diese Frau gewesen war.

Mit kräftigen Zügen kraulte er zur anderen Seite des Beckens und schwamm zurück. Er durchpflügte das Wasser so mühelos, als sei er darin geboren. Francesca konnte den Blick gar nicht wieder von ihm losreißen. Sie war wie hypnotisiert.

Sie verlor den Überblick über die Anzahl seiner Bahnen, bis er endlich wieder rauskam. Es pulsierte heiß zwischen ihren Schenkeln, als sie das Wasser über seinen Körper strömen sah. Sie vergaß fast, ihr Gesicht vor ihm zu verbergen.

Hastig das Buch hebend, schloss sie die Augen und atmete ein paar Mal tief durch, um ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Erst als sie die Augen wieder aufschlug, wurde ihr bewusst, dass sie das Buch verkehrt herum hielt.

Als sie das nächste Mal über den Rand spähte, war Felipe fort.

Fünfzig Bahnen im Swimming Pool, und Felipe hatte sich immer noch nicht abreagiert.

In seinen acht Jahren bei der Armee hatte er gelernt, überall zu schlafen – auf harten Felsen, unter dornigen Büschen oder in schlammigen Schützengräben, doch jetzt, in einem weichen Himmelbett, war nichts zu machen. Wie schon die ganze letzte Nacht.

Was nur an der verdammten Frau in der Suite nebenan lag!

Felipe hatte den Vormittag damit verbracht, sich eine Strategie für die nächsten Tage zurechtzulegen, und sie an James, Seb und seine Männer in Caballeros weitergeleitet. Er musste unbedingt herausfinden, was ihre Verfolger gewollt hatten.

Zwei seiner Männer waren gerade unterwegs nach Caballeros. Wenn Felipe morgen früh mit Francesca dorthin zurückkehrte, würde alles vorbereitet sein, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Er rieb sich seufzend die Augen und schwang die Beine aus dem Bett.

Seine Schuldgefühle ihr gegenüber wurden immer schlimmer und damit auch seine Selbstvorwürfe.

Selbstbeherrschung und Disziplin waren das Wichtigste bei seinem Job. Er hatte beides bei der Armee gelernt und setzte es auch bei seinen Männern voraus. Sobald Gefahr im Anzug war, musste man in der Lage sein, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Aber bei Francesca hatte er seinen kühlen Kopf eindeutig verloren.

Er war zu weit gegangen und würde sich daher bei ihr entschuldigen müssen. Genau das hatte er eigentlich vorgehabt, als er seine Suite verlassen hatte, um schwimmen zu gehen. Er hatte fünfzig Bahnen schwimmen und sich dann bei ihr entschuldigen wollen.

Doch dann hatte er sie am Pool gesehen, demonstrativ ein Buch vor das Gesicht haltend, als würde sie ihn nicht sehen.

Das hatte ihn so wütend gemacht, dass er das Wasser heftiger durchpflügt hatte als sonst – als würde das Francescas Anblick in einem hellgelben Bikini vor seinem inneren Auge vertreiben.

Großer Gott, was hatte die Frau für Kurven!

Und die ganze Zeit hatte er gespürt, dass sie ihn beobachtete.

Beim Abtrocknen hatte er nicht widerstehen können, sie verstohlen zu beobachten. Die Gelegenheit war günstig gewesen, denn sie hatte gerade wieder das Buch vor der Nase gehabt.

Bei den ersten Anzeichen einer sehr verräterischen Erektion hatte er sich jedoch sofort hastig in seine Suite zurückgezogen und erst mal kalt geduscht.

Die Entschuldigung musste warten.

Er konnte jetzt auf keinen Fall an ihre Tür klopfen. Die Versuchung wäre einfach zu groß gewesen. Das Beste war, ihr konsequent aus dem Weg zu gehen.

Da er seine eigene trübe Gesellschaft satthatte und der Zimmerservice ihn schon jetzt anödete, streifte er sich eine schwarze Hose und ein graues Hemd über und beschloss, eins der Hotelrestaurants aufzusuchen.

Das Restaurant, für das Felipe sich entschied, war gut besucht. An einer Seite befand sich eine lange Bar und gegenüber eine kleine Bühne mit Tanzfläche.

Ein Kellner führte ihn an einen freien Tisch. Als sie den Saal durchquerten, fiel Felipes Blick auf eine einsame Gestalt an einem Ecktisch, in eine Speisekarte vertieft.

Sein Herz schaffte es tatsächlich, ihm gleichzeitig in die Hose zu rutschen und höher zu schlagen. Im selben Augenblick ließ Francesca geistesabwesend den Blick durch den Saal gleiten und sah ihn. Rasch blinzelnd senkte sie wieder den Kopf.

Felipe rieb sich ratlos den Nacken. Am Pool war es noch möglich gewesen, so zu tun, als würden sie einander nicht sehen, aber jetzt konnte er ihr nicht länger aus dem Weg gehen.

„Lust auf Gesellschaft?“, fragte er, als er kurz darauf vor ihr stehen blieb. Sie trug ein hübsches geblümtes Kleid mit schmalen Trägern. Er sah ein Stück Oberschenkel unter ihrem Rock hervorlugen.

Francesca hob den Blick und musterte ihn feindselig, bevor sie schroff nickte.

Er nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz. Sein Blick fiel auf ihr großes Cocktailglas mit Schirm und Strohhalm. „Was trinken Sie da?“

„Tequila Sunrise. Wollen Sie auch einen?“

„Nein, ich bleibe lieber bei Bier.“ Er nickte dem Kellner zu, dann wandte er sich wieder an Francesca. „Haben Sie schon etwas zu essen bestellt?“

„Ich kann mich noch nicht entscheiden.“

Der Kellner ging davon, um Felipes Bier zu holen.

Felipe klappte seine Speisekarte auf und beobachtete, wie Francesca geistesabwesend in ihre sah, wobei sie sich unschlüssig auf die Unterlippe biss.

„Hatten Sie einen angenehmen Tag?“, fragte er im Plauderton.

Sie zuckte die Achseln, ohne den Blick zu heben. Als sie nach ihrem Cocktail griff, zitterte ihre Hand. „Ich hatte schon schlimmere.“ Sie trank einen großen Schluck.

„Das muss eine schwierige Zeit für Sie sein.“ Vermutlich war das noch untertrieben. Sie hatte schließlich erst vor wenigen Tagen ihren Bruder beerdigt.

Sie zuckte wieder mit den Schultern. Zu seinem Entsetzen blinzelte sie – vermutlich, um ihre plötzlich aufwallenden Tränen zu unterdrücken.

Humorlos lachend tupfte sie sich die Augen mit ihrer Serviette ab. „Wissen Sie was, Felipe? Sie brauchen mir nicht Gesellschaft zu leisten. Ich weiß, dass Sie das nur aus Höflichkeit machen. Es macht mir nichts aus, wenn Sie sich einen anderen Tisch suchen.“

Felipe kam sich wie der letzte Idiot vor. Aufgewühlt fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und fixierte sie so lange mit seinem Blick, bis sie ihn erwiderte. „Tut mir leid, dass ich bisher so schlecht mit Ihnen umgegangen bin.“

Verblüfft starrte sie ihn an. „Haben Sie Daniele schon von dem Gespräch mit dem Gouverneur erzählt?“, fragte sie mit dünner Stimme.

„Nein.“ Felipe hatte zwar mit dem Gedanken gespielt, war jedoch zu dem Schluss gekommen, dass er überreagiert hatte. Francesca war offensichtlich nicht bewusst gewesen, dass sie ihren Job und die Stiftung aufs Spiel gesetzt hatte, aber es war offensichtlich, dass sie sich inzwischen große Vorwürfe deswegen machte.

Sichtlich erleichtert schloss sie die Augen. „Danke. Ich glaube, ich war gestern noch nicht ganz bei klarem Verstand. Das soll keine Entschuldigung sein, aber ich schlafe nicht besonders gut, seitdem Pieta tot ist, und das Einzige, das mich noch aufrecht hält, ist das Krankenhausprojekt. Ich verspreche Ihnen, dass ich von jetzt an überlegter an die Dinge rangehen werde.“

„Warum ziehen wir nicht einfach einen Schlussstrich unter gestern?“, schlug er sanft vor. „Vergessen jedes negative Wort und fangen noch mal von vorne an?“

„Nichts dagegen“, flüsterte sie. Wieder griff sie nach ihrer Serviette, um sich die Augen zu betupfen, bevor sie tief Luft holte, sich kerzengerade aufrichtete und ihm ein Lächeln schenkte, bei dessen Anblick ihm ganz warm ums Herz wurde. „Was wollen Sie essen? Da Daniele die Rechnung bezahlt, werde ich die teuersten Gerichte auf der Karte bestellen.“

Bevor er sie korrigieren konnte – was er schon gestern hätte tun sollen –, fügte sie hinzu: „Sind Sie ihm schon mal begegnet?“

„Daniele?“

Sie nickte.

„Ja. Ich habe ihn und seine Freundin vor ein paar Jahren in Paris kennengelernt. Pieta hat uns miteinander bekannt gemacht.“

Francesca schien ihre Trauer schlagartig zu vergessen. Ihre Augen leuchteten auf. „Daniele und eine Freundin? Er hatte noch nie eine, nur skandalträchtige Affären.“

Felipe zuckte die Achseln. „Sie ist mit ihm gekommen, also ging ich davon aus, dass sie ein Paar sind. Sie haben sich zumindest wie eins benommen.“

„Daniele und eine Freundin … Hm, seltsam. Wusste Pieta, dass sie zusammen sind?“

„Das nehme ich an.“

Der Kellner kehrte mit Felipes Bier zurück. Sie gaben ihre Bestellungen auf. Francesca leerte rasch ihren Cocktail und bestellte noch einen. „Was haben Sie damals alle in Paris gemacht?“, erkundigte sie sich bei Felipe, als sie wieder allein waren.

„Wir waren auf einer Party in der amerikanischen Botschaft.“

„Und? Was halten Sie von Daniele?“

„Er ist ganz anders als Pieta.“ Felipe musterte sie aufmerksam. „Ich würde sagen, Sie sind ihm ziemlich ähnlich. Sie strahlen viel Energie aus, sind sehr impulsiv und, wie ich annehme, ehrgeizig. Daniele kam mir genauso vor.“

Sie nickte nachdenklich. „Stimmt, Daniele ist sehr ehrgeizig. Er muss überall der Beste sein, und er kann nicht verlieren.“

„Und Sie?“

Sie lächelte spitzbübisch. „Ich wollte meine Brüder immer übertrumpfen.“

„Und? Ist es Ihnen gelungen?“

„Ich habe es zumindest geschafft, ein besseres Examen zu machen.“ Sie lächelte voller Genugtuung. „Das war sehr befriedigend. Ich habe sogar ein Jahr übersprungen. Ich behaupte immer, dass ich die Intelligenzbestie in der Familie bin.“

Wenn es um Verhandlungen und Bestechungsgelder geht, ist sie allerdings nicht so intelligent, dachte Felipe, behielt das jedoch für sich. Zum ersten Mal seit ihrer ersten Begegnung herrschte so etwas wie Harmonie zwischen ihnen, und er wollte die gute Stimmung nicht ruinieren.

„Aber wenn es darum geht, gewinnen zu wollen, ist Daniele schlimmer als ich“, fuhr sie fort. „Er ist total verbissen.“

„War er schon immer so?“

„Solange ich lebe. Wahrscheinlich, weil er wusste, dass Pieta alles erben würde …“

„Wieso nur Pieta?“

„Na, der Älteste erbt den gesamten Besitz. So war das schon immer. Pieta hat alles übernommen, als unser Vater starb.“

„Und was ist mit Ihrer Mutter?“

„Sie hat Anspruch auf lebenslangen Unterhalt, aber mehr nicht.“

„Wird das Erbe jetzt auf Daniele übergehen?“

„Nur falls Pietas Frau Natasha nicht schwanger ist.“

„Halten Sie das denn für möglich?“

„Keine Ahnung, aber niemand von uns traut sich zu fragen. Das wäre zu grausam. Wir müssen abwarten.“

„Aber sollte sie schwanger sein, dann …?“

„Dann wäre das der Beginn einer neuen Generation von Pellegrinis.“ Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wenn es ein Junge wird, erbt er, wenn es ein Mädchen wird, Daniele.“

„Klingt ziemlich unfair.“

„Natasha bekommt Pietas Privatvermögen, ob schwanger oder nicht. Sie wird genug Geld haben, um für ein Kind zu sorgen, und wir werden es alle lieben, ganz egal, welches Geschlecht es hat.“

„Und was bekommen Sie?“

„Nichts.“

„Das kommt mir verkehrt vor.“

„Verkehrt oder nicht, es ist nun mal so.“

„Macht Sie das nicht wütend?“ Felipe wusste selbst nicht, warum er ihr so viele Fragen stellte. Francescas Privatleben ging ihn schließlich nichts an.

Als ihr zweiter Cocktail serviert wurde, trank sie die Hälfte aus und stellte ihr Glas auf den Tisch zurück. „Man erbt ja nicht nur das ganze Vermögen, sondern auch die Verantwortung. Ich bin froh, dass ich selbst bestimmen kann, was ich mit meinem Leben anfange. Und das Leben, das ich mir ausgesucht habe, ist ganz anders als das, was man von mir erwartet hatte, glauben Sie mir.“

„Inwiefern?“

Sie verzog das Gesicht. „Man hat von mir erwartet, jung zu heiraten und Kinder zu bekommen, so wie alle Frauen in meiner Familie bisher. Wir erben auch deshalb nichts, weil man davon ausgeht, dass unsere Männer uns versorgen.“

„Aber das wollten Sie nicht.“

„Nein. Ich wollte mein eigenes Geld verdienen, so wie meine Brüder.“ Die Vorstellung, ausgehalten zu werden, war ihr zutiefst zuwider. Ihre Mutter hatte zwar eigenes Geld, hatte es jedoch ihrem Mann überlassen, damit er es für sie investierte. Weil sie sich das selbst nicht zugetraut hatte.

Francesca konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihre Mutter ihren Vater mal gefragt hatte, ob sie Geld für Schuhe bekommen konnte. Ihr Vater hatte zwar sofort nach seiner Brieftasche gegriffen und es ihr gegeben, aber Francesca hatte sich dieser Vorfall unauslöschlich eingeprägt. Was wäre gewesen, wenn er Nein gesagt hätte? Was hätte ihre Mutter dann getan? Warum verwaltete sie ihr Geld nicht selbst? Und warum sollte Francesca nicht ihr eigenes Geld verdienen, nur weil sie ein Mädchen war? Warum durfte sie nicht wie ihre Brüder sein?

„Ich frage mich, wie Daniele damit klarkommt, dass die Zukunft der Pellegrini-Familie jetzt in seiner Hand liegt“, fuhr sie fort, die alten Erinnerungen abschüttelnd. „Er wollte Pieta immer übertrumpfen und hat daher ein Vermögen angehäuft, das doppelt so groß ist wie Pietas Erbe, ohne die Verantwortung tragen zu müssen, die Pieta hatte. Sollte er jetzt erben, wird er heiraten und von seiner Freiheit Abschied nehmen müssen.“

„Vergessen Sie Ihre Brüder. Ich bin neugierig auf Sie. Haben Sie wenigstens einen Treuhandfonds?“

„Nein, aber mein Studium wurde bezahlt, und mir fehlte es an nichts. Das reicht mir. Ich will mir selbst eine Existenz aufbauen.“ Eine, in der sie niemanden um Geld bitten musste.

„Indem Sie in Pietas Fußstapfen treten?“, fragte Felipe mit offensichtlicher Skepsis.

Sie schwieg einen Moment. „Mir fällt nichts ein, das ich lieber machen würde, aber ich glaube nicht, dass ich ein weiblicher Pieta sein will. Ich will mit meinem Jura-Abschluss Gutes tun, genauso wie er.“

„Mit Wirtschaftsrecht?“

Sie verzog wieder das Gesicht. „Nein. Ich meine seine Wohltätigkeitsarbeit. Wirtschaftsrecht war für ihn immer nur ein Mittel zum Zweck. Ich sehe das genauso. Ich mache das nur, solange ich noch im Referendariat bin.“

„Was wollen Sie machen, wenn Sie fertig sind?“

„Dann werde ich mich auf Menschenrechte spezialisieren.“ Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. „Können wir jetzt aufhören, über meine Familie und mich zu reden? Sonst bringe ich noch uns beide in Verlegenheit und weine.“

5. KAPITEL

Zwei Stunden später war Francesca satt, und ihr Anflug von Melancholie war vergangen. Der rasche Imbiss, den sie vor dem Schlafengehen hatte zu sich nehmen wollen, hatte sich zu einem Dreigängemenü ausgeweitet.

Im Laufe des Essens war ihre Abneigung gegen Felipe verschwunden, woran die vielen Cocktails vermutlich nicht ganz unschuldig waren.

Auf der Bühne spielte inzwischen eine Jazzband fröhliche Musik. Francesca genoss die gute Stimmung. Nach der traumatischen letzten Woche tat es gut, sich endlich mal etwas zu entspannen.

Und Felipes Gesellschaft tat ihr Übriges.

Er war doch nicht so tyrannisch, wie sie gedacht hatte. Seine Arroganz hatte nichts mit einer privilegierten Herkunft zu tun, sondern mit der Tatsache, dass er daran gewöhnt war, dass man seine Befehle ausführte, ohne sie zu hinterfragen.

Seine Entschuldigung hatte sie total überrascht. Sie hatte bisher noch nie eine aus dem Munde eines Mannes gehört. Im Vokabular der männlichen Pellegrinis kam das Wort „Entschuldigung“ einfach nicht vor.

Ehrlich gesagt auch nicht in ihrem eigenen, so wenig ihr das auch gefiel.

Felipe stieg immer mehr in ihrer Achtung.

Sie fragte sich, ob seine natürliche Autorität sich auch aufs Bett erstreckte. Was für ein Liebhaber er wohl war? Hinter seiner harten beherrschten Fassade blitzte manchmal ein gewisses Feuer auf. Bei der Vorstellung, seine starken Hände auf ihrer nackten Haut zu spüren, begann sie von Kopf bis Fuß zu kribbeln. Wie würde es wohl sein, wenn er sie auf dem Höhepunkt der Leidenschaft aus glühenden dunklen Augen ansah …? Schon allein bei der Vorstellung durchzuckte es sie schockierend heiß.

Solche Fantasien hatte Francesca bisher noch nie gehabt.

Als ihre Dessertteller abgeräumt wurden, bestellte sie zwei Irish Coffees und lachte beim Anblick von Felipes missbilligend erhobenen Augenbrauen. „So spät ist es doch noch gar nicht.“

„Ich mache mir mehr Sorgen um Ihren Kopf.“

Lässig winkte sie ab. „Mit dem ist alles in Ordnung. So viel habe ich nicht getrunken.“

Er fixierte sie mit einem strengen Blick, der sie zum Lachen brachte. „Okay, vielleicht etwas mehr, als gut für mich ist, aber ich bin nicht betrunken. Außerdem hatten Sie genauso viel.“

„Ich bin doppelt so groß wie Sie und kann mehr vertragen.“

„Sie sind riesig“, stimmte sie zu und beugte sich vor, um ihm eine Hand auf einen nackten Unterarm zu legen. „Ich wette, Sie trainieren viel.“

„Wann immer ich kann.“

Seine dunklen Haare unter ihren Fingern fühlten sich weicher an als gedacht. Und seine Haut warm und glatt. „Sind Sie verheiratet?“, fragte sie spontan.

„Nein.“ Felipe entzog ihr seinen Arm und trank sein Bier aus. Ihre Berührung hatte sich etwas zu gut angefühlt für seinen Geschmack.

„Waren Sie es je?“

„Nein.“

„Kurz davor?“

„Nein.“

„Haben Sie eine Freundin?“

Felipe seufzte. Er hatte keine Lust, mit Francesca über sein Liebesleben zu reden. Zumal er längst im Bett sein sollte. „Nein. In meinem Leben gibt es keinen Platz für eine Beziehung.“

„Keinen Platz? Was für eine seltsame Formulierung.“

Ihre Irish Coffees wurden gebracht. Francesca ließ zwei Zuckerwürfel in ihren fallen und rührte um.

„Sie ruinieren den Kaffee“, sagte er. „Sehen Sie? Sie haben die Sahne verrührt.“

„Ich mag es eben süß.“

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
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