Kenne alle, will nur eine

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'Gut im Bett? Wohl eher nicht'. Wutschnaubend liest Reid Buchanan einen Artikel, den eine verschmähte Flamme über ihn geschrieben hat. Um dem folgenden Presserummel um seine Person zu entgehen, zieht er vorübergehend in das Haus seiner Mutter. Aber wirkliche Ruhe findet er hier auch nicht, denn ans Krankenbett gefesselt sprüht Gloria noch mehr Gift und Galle als gewohnt. Wenn wenigstens die unscheinbare Krankenschwester Lori Johnston ihm zur Seite stehen würde. Doch sie wäscht ihm stattdessen den Kopf und trifft mit ihren Wahrheiten mitten ins Herz.


  • Erscheinungstag 20.02.2019
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783955769826
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Bis zu jenem Donnerstag um Viertel vor sieben konnte sich Reid Buchanan seiner Beliebtheit in der Damenwelt mehr als sicher sein.

Er war einer von denen, die kleine Zettel von den Mädchen zugesteckt bekamen, als er sich dieser Ehre selbst noch gar nicht bewusst war. In Reids zweitem Jahr auf der Highschool zeigte sich dann aber auch bei ihm die große Kraft der Hormone – und das nicht ohne Folgen. Während der Frühjahrsferien verführte ihn Misty O’Connell aus der Oberstufe. Es passierte an einem verregneten Nachmittag bei ihr zu Hause, während auf MTV „The Real World“ lief.

Seitdem war Reid verrückt nach Frauen und die Frauen verrückt nach ihm. Bis zu diesem Morgen, als er die Zeitung aufschlug und ihm sein Bild ins Auge sprang. Und gleich danach der dazugehörige Artikel mit dem Titel: „Berühmt? Und wie! Reich? Garantiert! Gut im Bett? Fehlanzeige!“

Reid verschluckte sich fast an seinem Kaffee. Er sprang auf und starrte die Zeitung an, rieb sich die Augen und las die Überschrift ein zweites Mal.

„Gut im Bett? Fehlanzeige!“ Fehlanzeige?

„Die hat sie wohl nicht mehr alle!“ Er las den Namen der Journalistin: Vielleicht hatte er vor Kurzem mit ihr Schluss gemacht und das war ihre billige Retourkutsche? Sie stellte ihn in der Öffentlichkeit bloß. Und warum? Weil er gut im Bett war. Besser als gut.

Er brachte jede Frau zum Äußersten. Die Frauen hinterließen in schöner Regelmäßigkeit tiefe Kratzspuren auf seinem Rücken – die Narben konnte er allen zeigen. Wenn er in einer anderen Stadt unterwegs war, verfolgten ihn die Frauen bis in sein Hotelzimmer und flehten ihn an, mit ihnen zu schlafen. Und hier in Seattle belagerten sie sein Haus und versprachen ihm, alles für ihn zu tun, wenn er nur noch einmal mit ihnen ins Bett ginge.

Nein, er war nicht bloß gut im Bett. Er war ein Sexgott!

Und jetzt war er bis aufs Blut blamiert – wegen dieses dämlichen Artikels, in dem die Autorin von einem Abend mit ihm berichtete. Ihre Unterhaltung beschrieb sie als „beinah charmant“. Er habe „halbwegs witzige“ Anekdoten aus seiner Vergangenheit zum Besten gegeben, und sie hätten ein paar Stunden im Bett verbracht, die „so lala“ waren. Sie krönte ihren Beitrag mit ironischen Spitzen wie „das ist natürlich nur meine individuelle Meinung“ oder „bitte verklag mich nicht gleich, vielleicht liegt es ja auch an mir“.

Außerdem behauptete sie, er ließe regelmäßig seine Teilnahme an Benefizveranstaltungen platzen, was ebenfalls nicht stimmte. An solchen Events nahm er grundsätzlich nicht teil. Sein Prinzip lautete: kein persönliches Engagement, auch nicht für wohltätige Zwecke.

Der Name der Reporterin sagte ihm allerdings gar nichts. Er versuchte sich zu erinnern, aber es war zwecklos. Also schnappte er sich sein Laptop und gab die Website der Zeitung ein. Auf der „Über uns“-Seite fand er ein Bild von ihr.

Sie war eine Durchschnittsfrau mit brünetten Haaren. Langsam dämmerte es ihm. Ja, er hatte mit ihr geschlafen. Aber die Tatsache, dass er sich nicht daran erinnern konnte, bedeutete nicht, dass es schlecht gewesen war.

Und dann fiel ihm ein, dass er während der Play-offs mit ihr ausgegangen war, als sein ehemaliges Team um die Teilnahme an der World Series kämpfte. Es war sein erstes Jahr als Exprofi, und er war wieder zurück in Seattle. Er war enttäuscht und sauer gewesen, weil er nicht mehr dabei war, und vermutlich war er auch betrunken.

„Wahrscheinlich habe ich eher an Baseball gedacht als an sie“, murmelte Reid und las den Artikel ein zweites Mal.

Ein Gefühl der Verlegenheit machte sich in ihm breit. Hätte es nicht gereicht, wenn die blöde Kuh ihn in ihrem Freundeskreis als miesen Typen dargestellt hätte? Musste sie ihn gleich öffentlich blamieren? Wie sollte er sich dagegen wehren? Etwa vor Gericht? Selbst wenn, wie konnte man so einen Fall gewinnen? Sollte er womöglich sämtliche Frauen aufmarschieren lassen, die schon nach einem Kuss zu allem bereit gewesen waren?

Irgendwie gefiel ihm diese Idee, aber ihm war klar, dass das alles nichts brachte. Er war ein berühmter Exbaseball-profi, und die Leute sahen es nun mal gern, wenn Helden stürzten.

Aber auch seine Freunde und seine Familie würden den Artikel lesen. Alle, die er in Seattle kannte, würden den Artikel lesen. Er konnte sich schon vorstellen, was passieren würde, wenn er nachher in die „Downtown Sports Bar“ zur Arbeit gehen würde.

Wenigstens hat sie sich auf die Lokalausgabe beschränkt, dachte er. So musste er sich zum Glück nicht auch noch die dummen Kommentare seiner Exbaseballkollegen anhören.

Da klingelte das Telefon. Er nahm ab.

„Hallo?“

„Ist da Reid Buchanan? Hallo. Ich bin Producerin bei ‚Access Hollywood‘ und wollte fragen, ob Sie ein kurzes Statement zu dem Artikel von heute Morgen abgeben wollen. Der, in dem Sie ...“

„Danke, ich weiß schon“, fauchte Reid.

„Gut.“ Die junge Frau am anderen Ende der Leitung kicherte. „Würden Sie uns für ein Interview zur Verfügung stehen? Ich kann noch heute Morgen ein Team vorbeischicken. Sie wollen doch sicher dazu Stellung nehmen?“

Fluchend legte Reid auf. Access Hollywood? Das ging wirklich schnell.

Das Telefon klingelte wieder. Er zog den Stecker raus. Am liebsten hätte er das Ding an die Wand geworfen!

Jetzt klingelte sein Handy. Reid zögerte einen Moment, bevor er das Gespräch annahm. Er kannte die Nummer auf dem Display, ein Freund aus Atlanta. Diesen Anruf konnte er bedenkenlos annehmen.

„Hey, Tommy. Alles klar?“

„Reid, alter Junge. Was hört man denn da? Dieser Artikel ist ja ein echter Hammer! Und um es mal so zu sagen: eindeutig zu viele Details, oder?“

Würde Lori Johnston an Wiedergeburt glauben, wäre sie der Überzeugung, dass sie in einem ihrer früheren Leben ein General oder ein anderer Taktikexperte gewesen war. Denn eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen war es, Dinge, die nichts miteinander zu tun hatten, zusammenzuwürfeln und daraufhin perfekte Problemlösungen zu präsentieren, die niemand erwartet hatte.

An diesem Morgen beschäftigte sie sich zum Beispiel mit einem Krankenbett, das einen Tag später als versprochen geliefert wurde, und einem Catering-Service, bei dem jede einzelne Vorspeise falsch war. In ihrer freien Zeit würde sie ihre neue Patientin abholen und sicher nach Hause bringen müssen, vorausgesetzt, der Krankentransport verspätete sich nicht. Was bei anderen Menschen zu lauten Flüchen und wüsten Verwünschungen führte, sorgte bei Lori für einen Energieschub. Sie würde auch diese Herausforderung erfolgreich meistern.

Endlich hatte der Mann von der Spedition das Krankenhausbett aufgebaut. Sie schritt zur Inspektion und untersuchte die Matratze auf mögliche Unebenheiten. Was für einen gesunden Menschen nicht mehr als ein Ärgernis war, konnte bei jemandem mit einer gebrochenen Hüfte für gravierende gesundheitliche Schäden sorgen.

Die Matratze hielt ihrer sorgfältigen Überprüfung stand. Als Nächstes waren die Bedienelemente an der Reihe.

„Wenn ich das Kopfteil aufstelle, quietscht es“, bemängelte sie. „Können Sie das abstellen?“

Der Mann sah sie verärgert an, aber das war ihr egal. Es war schon schlimm genug, eine bequeme Lage zu finden, wenn man Schmerzen hatte. Da musste nicht auch noch ein lästiges Quietschen dazukommen.

Danach untersuchte sie das Nachttischchen, das mit Rädern versehen und in Ordnung war. Auch am Rollstuhl und an der Gehhilfe gab es nichts auszusetzen.

Während sich der Arbeiter mit der quietschenden Kopfstütze befasste, eilte Lori in die Küche. Dort bereitete das Catering-Team die Mahlzeiten vor.

„Das Chili?“, fragte eine Frau in weißer Uniform.

„Geht nicht.“ Lori deutete auf eine Liste, die sie am Kühlschrank befestigt hatte. „Die Frau ist über siebzig. Sie hat einen Herzinfarkt und eine schwere Hüft-OP hinter sich, und sie nimmt Medikamente. Sie soll schmackhaftes, aber kein scharfes Essen bekommen, das ihr eventuell auf den Magen schlägt. Wir wollen ja ganz sicher nicht, dass sie ihren Appetit verliert, im Gegenteil. Gesunde, aber appetitliche Gerichte sind gefragt. Kein Chili, kein Sushi, nichts Ausgefallenes.“

Das Ganze hatte ich auch schon mal am Telefon gesagt, dachte Lori leicht gereizt.

Aber wenn dieses ganze Hin und Her hinter ihr lag, würde sie bei „Dilettante Chocolates“ vorbeifahren und sich eine Belohnung gönnen. Schokolade versüßte ihr immer den Tag, und die Vorfreude darauf machte es schon jetzt leichter.

„Sie könnten es mit Prügel versuchen. Dann würden sie vielleicht auf Sie hören.“

Diese Stimme! Lori musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer in der Küchentür stand. Sie waren sich schon einmal begegnet, bei ihrem Vorstellungsgespräch. In diesen zwanzig Minuten hatte sie lernen müssen, dass man sich sehr wohl sexuell zu jemandem hingezogen fühlen konnte, den man ansonsten verabscheute. Das Gespräch hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt – und der Klang seiner Stimme auch. Einen Moment lang dachte sie daran, sich diese Erinnerung operativ entfernen zu lassen. Wie nannte man das noch? Lo-botomie oder so ähnlich.

Sie musste sich zusammenreißen. Diese dunklen, wissenden Augen, sein beinah zu hübsches Gesicht und seine krumme Haltung, gegen die er eigentlich etwas tun sollte -und trotzdem war sie kurz davor, dahinzuschmelzen wie eine Zwölfjährige auf einem Popkonzert.

Reid Buchanan verkörperte alles, was sie an einem Mann abstoßend fand. Er hatte es immer leicht gehabt im Leben. Die Frauen warfen sich ihm an den Hals. Er war offensichtlich mal ein erfolgreicher Baseballspieler gewesen, aber sie interessierte sich nicht für Sport und beschäftigte sich auch nicht damit. Und er hatte sich in seinem ganzen Leben wahrscheinlich noch nie für eine Frau wie sie interessiert – viel zu durchschnittlich.

„Haben Sie nichts Besseres zu tun, als hier aufzutauchen und mir auf den Wecker zu fallen?“, fragte sie und drehte sich zu ihm um.

Seine Anwesenheit veränderte ihr gesamtes Körpergefühl. Sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.

„Wie erfreulich, dass ich Ihnen auf den Wecker falle“, sagte er, „aber darum bin ich eigentlich nicht hier. Der Grund dafür ist, dass meine Großmutter heute nach Hause kommt.“

„Was Sie nicht sagen. Das habe ich in die Wege geleitet.“

„Ich dachte, ich fahre mal vorbei und besuche sie.“

„Sie freut sich sicher sehr darüber, dass Sie hier sind, vier Stunden, bevor sie selbst hier ist. Da wird ihre Genesung bestimmt doppelt so schnell gehen.“

Und damit drängelte sie sich an ihm vorbei und bemühte sich, das Gefühl, das sie spürte, als sie seinen Arm streifte, zu ignorieren. Wie peinlich! Sie kam sich wie ein Teenager vor. Aber auch das würde sie erfolgreich in den Griff bekommen.

„Sie kommt erst heute Nachmittag?“, fragte er und folgte ihr ins Arbeitszimmer.

„Genau so ist es. Es war großartig, Sie zu sehen. Aber jetzt müssen Sie leider wieder gehen.“

Er lehnte sich an den Türrahmen. Das tat er häufig, bemerkte sie. Wahrscheinlich wusste er, dass es unwiderstehlich aussah, dachte Lori. Bestimmt hatte er es vor dem Spiegel einstudiert.

Sie fand Reid primitiv und egoistisch und wusste, dass er nur auf Frauen stand, die so perfekt waren wie er selbst. Also warum fand sie ihn anziehend? Sie war eine intelligente Frau, sie sollte es besser wissen. Aber gegen ihre Empfindungen hatte ihre Vernunft einfach keine Chance.

Klischee einer kleinen Durchschnittsfrau, die sich nach dem Unerreichbaren sehnte. Wahrscheinlich waren die Regale in den Buchläden voll mit Ratgebern zu diesem Thema. Vielleicht sollte sie mal einen Blick in so ein Buch werfen, dann wäre sie möglicherweise geheilt.

Aber fürs Erste war sie machtlos.

„Wollten Sie nicht gehen?“, fragte sie.

„Doch, aber ich komme noch mal wieder.“

„Ich werde die Minuten zählen.“

„Viel Spaß.“ Er bewegte sich keinen Millimeter.

„Ist noch was?“, fragte sie. „Worauf warten Sie?“

Er verzog den Mund zu einem feinen sexy Lächeln, das ihr Herz schneller schlagen ließ. Die nächste Blamage vor sich selbst.

„Sie lesen wohl keine Zeitung, wie?“, wollte er wissen.

„Nein. Ich gehe morgens joggen und höre Musik dabei.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Schön. Dann bis später.“

„Kommen Sie doch vorbei, wenn die Nachtschwester da ist. Was halten Sie davon?“

„Dann wäre Ihr Tag doch nur halb so schön: Sie hätten niemanden, zu dem Sie unfreundlich sein könnten. Auf Wiedersehen, Lori.“

Und weg war er.

„Sind Sie die Betreuerin von Gloria Buchanan?“, fragte die Frau an der Rezeption der Reha-Klinik sie. „Na dann: herzliches Beileid.“

Lori wollte nicht mit dem Personal plaudern, sondern ihre Patientin nach Hause bringen. Andererseits war es nützlich, einige Informationen vorab zu erhalten. Je mehr sie wusste, desto besser konnte sie planen.

„Schlechte Laune wegen der Schmerzen?“, fragte Lori und las das Namensschild ihrer Kollegin, das an deren Bluse steckte. „Ach Vicki, das kommt doch häufig vor. Wenn es ihr besser geht, hat sie auch wieder bessere Laune.“

„Ich glaube nicht, dass ihre miese Laune an den Schmerzen liegt“, sagte Vicki. „Sie beschwert sich die ganze Zeit, meckert an allem herum: an ihrem Zimmer, am Essen, an der Behandlung, den Leuten, dem Wetter. Ich sag’s Ihnen: Hier sind alle froh, wenn sie weg ist.“ Vicki beugte sich zu ihr. „Falls Sie noch ein anderes Angebot haben, nehmen Sie lieber das. Denn diese Person ist nie zufrieden, egal was Sie machen.“

Lori war es gewöhnt, dass die Patienten aufgrund ihrer Situation unzufrieden waren. „Das ist schon okay.“

„Kennen Sie sie schon?“

„Nein.“

Üblicherweise besuchte Lori ihre Patienten, bevor sie sie nach Hause brachte, weil eine frühzeitige Kontaktaufnahme häufig die Umstellung für die Patienten und auch den Pflege-prozess erleichterte. Doch Gloria Buchanan hatte sich grundsätzlich geweigert, Besuch zu empfangen. Selbst als Lori telefonisch einen Termin mit ihr ausmachen wollte, ließ sie sich entschuldigen.

Vicki schüttelte den Kopf. „Dann machen Sie sich auf was gefasst. Ich habe noch nie so jemanden erlebt. Aber es ist Ihre Entscheidung. Ich haben Ihnen die Krankenakte kopiert, der Arzt hat bereits die Entlassungspapiere unterschrieben. Er hat sich auch gefreut, sie endlich loszuwerden, schließlich hat sie ihm zweimal durch ihren Anwalt gedroht, ihm die Zulassung entziehen zu lassen. Hoffentlich werden Sie wenigstens gut bezahlt.“

In der Tat – deswegen hatte Lori den Job ja angenommen. Sie wollte ein bisschen Geld beiseitelegen, um sich nächstes Jahr ein paar Monate Auszeit zu gönnen. Aber selbst wenn man ihr weniger bezahlt hätte, hätte sie angenommen. Sie konnte nicht glauben, dass Gloria Buchanan so schlimm war, wie alle behaupteten.

Lori nahm die dicke Mappe in Empfang. „Macht sie Fortschritte in der Physiotherapie?“

„Wenn man nach ihrem Geschrei geht, ja“, seufzte Vicki. „Sie ist auf dem Weg der Besserung. Gestern wurde noch mal eine Röntgenaufnahme ihrer Hüfte gemacht, und alles sieht gut aus. Und es war auch nur ein kleiner Herzinfarkt. Mit den neuen Medikamenten macht sie es noch zwanzig Jahre. Gott steh uns bei!“

Lori wusste sehr wenig über Gloria Buchanan. Sie hatte nur erfahren, dass sie bereits als junge Frau Witwe geworden war. Zu einer Zeit, als die meisten Frauen Hausfrauen oder höchstens Lehrerinnen waren, hatte sie ein Restaurant eröffnet. Inzwischen besaß sie ein Gastronomie-Imperium. Ihr einziger Sohn war mit Anfang dreißig gestorben, seine Frau wenige Jahre später tödlich verunglückt.

Gloria hatte sich in dieser schweren Zeit ihrer vier Enkel angenommen. Sie kümmerte sich um die Kinder und um ihre Restaurants. Wer so viel durchgemacht hatte wie sie, durfte Loris Meinung nach ruhig ein bisschen anstrengend sein.

„Dann will ich mich mal vorstellen“, sagte sie. „Der Krankentransport wartet schon. Die Unterlagen nehme ich dann mit, wenn ich gehe.“

Vicki nickte. „Alles klar. Ich bin hier. Viel Glück!“

Lori winkte und machte sich auf den Weg zu Glorias Zimmer.

Die arme Frau. Keiner konnte es mit ihr aushalten. Auch ihre Familie wollte nichts mit ihr zu tun haben. Gloria war krank und einsam und bestimmt traurig. Und Einsamkeit war nie gut für einen Menschen.

Sie klopfte an, bevor sie das Zimmer betrat.

„Hallo, Mrs. Buchanan“, sagte sie und lächelte die weißhaarige Dame im Krankenbett an. „Ich bin Ihre Tagesschwester, Lori Johnston.“

Gloria ließ ihr Buch sinken und sah Lori über den Rand ihrer Brillengläser an. „Das bezweifle ich. Reid wollte mir eine Pflegerin besorgen und sich selbst um die Auswahl kümmern. Er mag schöne Frauen mit großen Brüsten und kleinem IQ. Sie sind aber weder attraktiv noch gut gebaut. Vermutlich haben Sie sich im Zimmer geirrt.“

Lori öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sie war einfach zu überrascht, um beleidigt zu sein. „Es besteht kein Zweifel an den Vorlieben Ihres Enkels. Sie passen zu dem, was ich über ihn gehört habe. Trotzdem bin ich Ihre Pflegerin – zumindest tagsüber. Abends und nachts kommt eine andere Betreuung.“

„Mit Ihnen möchte ich nichts zu tun haben.“

„Und wieso nicht?“

„Das sagt mir meine Menschenkenntnis. Ich mag schon Ihr Äußeres nicht. Verschwinden Sie!“

Mit diesem Ton konnte Lori umgehen. Sie lächelte und ging auf ihre Patientin zu. „Die Sache ist die: Draußen steht der Krankentransport, der Sie nach Hause bringen wird. In Ihrem Haus wartet ein Krankenhausbett auf Sie, gutes Essen und eine Privatsphäre, die man in keiner Klinik findet. Warten Sie doch, bis ich Sie nach Hause begleitet habe, und schmeißen Sie mich dann raus.“

„Sie machen sich über mich lustig. Ich hasse so was.“

„Und ich hasse es, beleidigt zu werden, aber ich nehme es hin. Wie sieht’s bei Ihnen aus?“

Gloria sah sie eindringlich an. „Sie sind keiner von diesen permanent gut gelaunten Menschen?“

„Nein. Ich bin sarkastisch und anspruchsvoll.“

„Hatten Sie schon Sex mit meinem Enkel?“

Lori lachte. In ihren Träumen vielleicht, aber im echten Leben nicht. Schließlich war sie ja weder attraktiv noch gut gebaut. „Die Gelegenheit ergab sich noch nicht. Wieso? Ist das Voraussetzung?“

Gloria seufzte. „Der Junge hat einfach keinen Schalter zum Abstellen. Er schnappt sich alles, was nicht schnell genug auf dem Baum ist.“

„Mich nicht. Ich finde, er sieht ganz gut aus, ist aber oberflächlich. Ist ja meistens so. Haben Sie alles gepackt?“

Gloria wurde wieder sachlich. „Ich packe nicht selbst. Selbst wenn ich das tun müsste, wäre ich in meinem momentanen Zustand nicht in der Lage dazu.“

Der kurze Moment der Harmonie war schon wieder vorbei. Schade.

„Kein Problem, ich mache das schon. Haben Sie einen Koffer hier? Sonst besorge ich Plastiktüten beim Personal.“

Die alte Frau schien kurz vor einem Wutanfall. „Sie werden ganz sicher nichts von meinen Sachen in eine Plastiktüte packen! Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?“

Lori bemühte sich, ihre Patientin nicht anzusehen, als sie den Koffer aus dem Schrank im Badezimmer holte. Es wäre keine große Hilfe, wenn Gloria sehen würde, wie sehr diese Unterhaltung sie amüsierte. „Natürlich. Sie sind Gloria Buchanan. Und wo wir gerade dabei sind: Ich darf Sie doch Gloria nennen? Mrs. Buchanan klingt so förmlich, und wir werden uns ja doch ziemlich nahekommen.“

„Nicht nachdem ich Sie gefeuert habe.“

Lori legte den Koffer auf den einzigen Stuhl im Raum und öffnete ihn. „Sie werden mich nicht feuern, Gloria. Ich bin nämlich gut. Ich bin spezialisiert auf Patienten mit Herzschwierigkeiten und orthopädischen Problemen. Ich werde Sie gnadenlos antreiben, Ihre Übungen zu machen, dann kommen Sie schnell wieder auf die Beine. Es ist nämlich so: Altere Frauen, die sich die Hüfte brechen, haben nur zwei Alternativen: Entweder sie werden gesund oder sie sterben. Und meine Patientinnen sterben nicht.“

Gloria starrte sie an. „Sie sind keine nette Person.“

„Sie auch nicht.“

Gloria wurde böse. „Was erlauben Sie sich? Ich bin immer höflich und sehr fürsorglich!“

„Ach ja? Wollen Sie wissen, wie das Personal hier über Sie redet?“

„Das sind inkompetente Trottel. Diese gesamte Einrichtung ist absolut unter Niveau.“

„Dann werden Sie mein Niveau lieben.“ Lori beugte sich vor und flüsterte: „Ich bin äußerst unnachgiebig. Sie gewöhnen sich am besten sofort daran.“

„Vergreifen Sie sich nicht im Ton, junge Frau. Das gestatte ich nicht.“

„Ist okay. Ich vergreife mich nicht im Ton, und Sie sind nicht unfreundlich.“

„Ich bin nie unfreundlich.“

„Sollen wir eine Umfrage in Ihrem Freundeskreis starten?“

„Ich habe keine Freunde.“

Das stimmte, wie Lori jetzt wieder einfiel. Reid hatte ihr erzählt, dass Gloria keine Freunde hatte und auch ihre Familie Abstand zu ihr hielt. Vielleicht war sie deswegen so miesepetrig. Wie tragisch.

Lori packte Glorias Sachen. Ein paar Nachthemden, Unterwäsche, die Kleider, die sie bei der Einlieferung getragen hatte, zwei Bücher und ihren Kulturbeutel. Keine Blumen, kein kleines Stofftier, kein persönlicher Gruß. Nicht mal von ihrer Familie.

Es ist eine Sache, wenn ältere Menschen niemanden mehr haben, dachte Lori. Aber wenn noch Familie da ist und sich niemand auch nur für einen Besuch die Zeit nimmt, ist das ganz schön mies. Sie wurde wütend auf die Buchanan-Enkel.

Lori schüttelte den Gedanken ab und ging hinüber zum Bett.

„Also, so geht es jetzt weiter“, sagte sie und berührte Gloria sanft am Arm. Körperkontakt war wichtig im Heilungsprozess. „Ich sage der Schwester, sie soll Ihnen noch ein Schmerzmittel geben, damit die Fahrt nach Hause nicht zur Tortur für Sie wird. Vermutlich wird sie Ihnen etwas ziemlich Starkes geben, das Sie schachmatt setzt.“

Gloria verengte die Augen zu einem Schlitz und entzog sich Loris Berührung. „Sie müssen nicht mit mir reden wie mit einem Schulkind. Ich bin durchaus in der Lage zu verstehen, ohne dass Sie mir alles lang und breit erklären. Holen Sie jetzt die Schwester. Dann kann sie ein letztes Mal ihre sadistische Ader an mir auslassen.“

„Bin sofort wieder da.“

Lori ging zum Schwesternzimmer, wo Vicki bereits wartete. „Wir sind so weit. Wenn Sie ihr jetzt die Spritze geben, können wir losfahren.“

Vicki trat um den Schalter herum. „Und? Wie finden Sie sie?

„Ich mag sie.“

Vicki blieb stehen und starrte sie an. „Das soll wohl ein Witz sein. Sie mögen Gloria Buchanan? Die alte Hexe?“

„Sie ist einsam. Sie hat Schmerzen, und sie hat Angst.“

„Und Sie sind einfach viel zu nett, würde ich sagen. Aber wenn sie dadurch schneller von hier verschwindet, umso besser.“

Reid saß auf seinem Hausboot und wünschte sich mal wieder, er hätte doch eine Wohnung mit Security-Personal vor dem Haus gekauft. Hier, auf dem Wasser, konnte er sich einfach nicht gut abschirmen. Er hatte schon die Jalousien heruntergelassen, aber die Presseleute hatte das nicht vertrieben. Verdammt, die Typen waren überall! Auf dem Dock hatten sie ihre Kameras aufgebaut und krochen ihm buchstäblich auf den Balkon. Vor seinem Hausboot kreuzten x Motorboote.

Sie wollten eine Story – und zwar sofort. Dass man ihn total gedemütigt hatte, war dieser Meute egal. Sein Manager hatte behauptet, das Medieninteresse werde in ein paar Tagen abflauen, und bis dahin solle er sich eben zurückziehen. Na toll. Und wohin sollte er gehen? Das war seine Stadt. Jeder in Seattle kannte ihn.

Sein Handy klingelte. Er checkte das Display und seufzte, als er Nummer und Name seiner Großmutter erkannte. Wenn sie die Zeitung gelesen hatte, würde sie ihn gleich fertigmachen.

„Ja?“, fragte er knapp.

„Hier ist Lori Johnston, die Tagesschwester Ihrer Großmutter. Wir verlassen jetzt die Reha-Klinik und sind in etwa einer Stunde zu Hause.“

Er grinste. „Lassen Sie mich raten. Sie wollen, dass ich vorbeikomme und die Stimmung hebe.“ So viel also zu ihrer Geringschätzung und Arroganz von vorhin. Jetzt brauchte sie ihn. Wie alle Frauen.

„Nicht wirklich. Ihre Großmutter steht noch unter dem Einfluss des Schmerzmittels.“

„Sie setzen meine Großmutter unter Medikamente?“, fragte er wütend.

Lori seufzte. „Meine Güte, regen Sie sich ab. Natürlich sediere ich sie nicht. Der Arzt hat ihr ein Schmerzmittel gegeben, damit der Transport für sie erträglich wird. Aber das ist Ihnen ja ohnehin egal.“

Er überhörte den letzten Satz. „Wie kommen Sie an ihr Handy?“

„Ich habe es aus ihrer Handtasche genommen. Und bevor Sie gleich wieder protestieren: Das musste ich tun, um Sie zu erreichen. Wissen Sie, was ich erstaunlich finde? Niemand hat ihr Blumen ins Krankenhaus gebracht oder wenigstens ein „Gute Besserung“-Kärtchen geschickt. Wieso kümmern Sie sich eigentlich jetzt um ihre medizinische Betreuung? Wäre es nicht einfacher gewesen, sie auf eine Eisscholle zu legen und hinaus aufs Meer treiben zu lassen?“

Reid wusste nicht, was er erwidern sollte. Jedem, der Gloria nicht kannte, musste die fehlende Aufmerksamkeit übel aufstoßen.

„Sie ist kein Typ für Blumen“, sagte er schließlich.

„Was Besseres fällt Ihnen nicht ein? Hätten Sie nicht wenigstens die alte Nummer mit der Allergie bringen können?“, fragte Lori gereizt. „Sie sind doch dieser reiche Baseballspieler, oder?“

„Exbaseballspieler. Ich war Pitcher.“

„Von mir aus. Lassen Sie Ihrer Großmutter einen schönen Blumenstrauß liefern. Oder mehrere. Und zwar regelmäßig. Und das eine oder andere Stofftier, was weiß ich. Tun Sie irgendetwas, um bei der armen Frau die Illusion zu wecken, ihre Familie interessiert sich dafür, ob sie noch am Leben ist. Sonst bekommen Sie es mit mir zu tun!“

Ihre Sorge war zwar überflüssig, aber ihr Engagement beeindruckte ihn. „Ich habe keine Angst vor Ihnen.“

„Noch nicht. Das sage ich Ihnen.“

2. KAPITEL

Lori gelang es ohne großen Aufwand, Gloria gut nach Hause zu bringen. Die Tatsache, dass ihre Patientin durch das Schmerzmittel sehr müde war, hatte natürlich einen gehörigen Teil dazu beigetragen.

Lori packte Glorias Koffer aus, bestätigte ihren Termin für die Physiotherapie am nächsten Morgen und wählte ein leichtes Abendessen für sie aus. Während ihres Genesungsprozesses war die alte Dame ein wenig zu dünn geworden. Lori wollte dafür sorgen, dass sie wieder ein bisschen Fleisch auf die Rippen bekam.

Sie war gerade auf dem Weg zu ihrer Patientin, als es an der Tür klingelte. Als sie öffnete, standen dort zwei Männer eines Lieferdienstes mit Vasen voll frischer Blumen. Einer hatte außerdem eine riesige Stoffgiraffe unter dem Arm.

„Perfekt“, sagte Lori und bedeutete den Männern, die Blumen im Eingangsbereich abzustellen. Sie wusste schon, wo sie die Blumen in Glorias Zimmer aufstellen wollte. „Danke für die schnelle Lieferung.“

„Der Mann, der die Blumen bestellt hat, bat uns ausdrücklich, Sie zu fragen, ob Sie jetzt zufrieden sind.“

Sie grinste. „Sagen Sie ihm: Noch lange nicht.“

Der Mann zuckte die Schultern, dann rückten er und sein Partner wieder ab.

Lori schnappte sich zwei der größeren Vasen und machte sich auf den Weg ins Arbeitszimmer. Sie hatte ihre Dekorationskünste gerade beendet, als Gloria die Augen aufschlug.

„Was machen Sie da?“, fragte sie. Für jemanden, der bis eben unter dem Einfluss eines starken Schmerzmittels gestanden hatte, klang ihre Stimme außergewöhnlich kräftig.

„Ich habe Ihnen Blumen hingestellt. Von Ihren Enkeln. Sind die nicht schön?“

„Nein. Ich hasse Blumen. Und ich wüsste nicht, warum meine Enkel mir etwas schicken sollten. Dafür sind sie viel zu egoistisch.“

Da war Lori ganz und gar ihrer Meinung. Mit einem fröhlichen Lächeln sagte sie: „Mmh, riechen die gut! Finden Sie nicht?“

„Ganz sicher nicht. Schnittblumen sterben schnell. Das finde ich deprimierend. Bringen Sie sie weg.“

„Nein, tut mir leid.“ Unbeeindruckt von Glorias Genörgel ging Lori nach draußen. Mit der Giraffe im Arm kehrte sie ins Zimmer zurück.

Gloria stellte das Kopfteil ihres Betts etwas steiler und starrte das Stofftier an. „Was ist denn das für ein schreckliches Ding?“

Lori drückte die knuddelige Giraffe an sich. „Sie soll Sie aufmuntern. Ist sie nicht süß?“

„Meine Güte. Sie haben offensichtlich einen sehr schlechten Geschmack.“

„Finde ich nicht.“ Lori setzte die Giraffe in eine Ecke. „So, fertig. Jetzt mache ich Ihnen erst mal was zu essen. Sie müssen völlig ausgehungert sein.“

„Ich habe nicht das geringste bisschen Hunger. Verschwinden Sie.“

Lori tat, wie ihr geheißen. Allerdings ging sie in die Küche, stellte die Vorspeise in die Mikrowelle und warf einen prüfenden Blick auf die weiteren Speisen, die auf dem Tablett standen. Offensichtlich war alles da.

Als die Mikrowelle klingelte, stellte sie das dampfende Gericht auf das Tablett und ging wieder hinüber zu Gloria ins Arbeitszimmer.

Obwohl Gloria behauptet hatte, sie hätte keinen Hunger, hatte sie sich das Bett ganz steil gestellt. Ein gutes Zeichen.

„Bitte sehr“, sagte Lori und stellte das Tablett vor Gloria auf den Nachttisch.

„Das ist ja widerlich. Dieses Zeug werde ich nicht essen. Nehmen Sie das weg. Ich habe keinen Appetit.“

Lori baute sich vor ihr auf, die Hände in die Hüfte gestemmt. Die meisten garstigen Patienten waren wenigstens am Anfang etwas freundlicher. Frust und Angst äußerten sich meist erst nach ein paar Tagen. Aber Glorias Unfreundlichkeit schien sich von Anfang an nur noch zu steigern.

„Sie sind zu dünn“, sagte Lori ruhig. „Es gibt zwei Möglichkeiten, das zu beheben. Die eine ist: Sie essen anständig und legen ein paar Pfund zu, oder Sie werden künstlich ernährt. Nach meiner Erfahrung ziehen es die meisten Menschen vor, selbst etwas zu sich zu nehmen. Künstliche Ernährung ist keine angenehme Angelegenheit. Aber es ist natürlich immer eine Option. Sie haben ja genügend Geld. Für Sie nur das Beste.“

„Und warum sind Sie dann hier?“

Lori zwinkerte. Ihre Schlagfertigkeit hatte Gloria offensichtlich nicht eingebüßt. Gut so. „Weil ich die Beste bin. Und sehr teuer. Zumindest davor sollten Sie Respekt haben.“

Gloria musterte sie und rümpfte die Nase. „Sie sind armselig und arm. Ich kann Ihre Armut riechen.“

„Den Geruch kennen Sie ja, nicht wahr? Sie haben auch mit nichts angefangen. Waren Sie nicht früher Zimmermädchen in einem Hotel?“

Gloria funkelte sie wütend an. „Ich rede sicher nicht mit Ihnen über meine Vergangenheit.“

„Warum nicht? Es würde mich ehrlich gesagt interessieren, wie Sie Ihren Aufstieg gemacht haben. Sie haben ein Imperium aufgebaut, zu einer Zeit, als die meisten Frauen noch Angst davor hatten, so etwas auch nur zu träumen. Sie sind eine echte Pionierin. Davor habe ich großen Respekt.“

„Denken Sie, mir würde auch nur irgendetwas an Ihrer Meinung liegen?“

Lori dachte einen Moment lang nach, dann erwiderte sie lächelnd: „Ja, eigentlich schon. Denn es gibt wenige Leute, die vor Ihnen Respekt haben. Aber das ist deren Pech.“ Damit klappte sie den Tisch über das Bett und rückte das Tablett ein Stück näher zu Gloria. „Für die ersten paar Tage habe ich die Mahlzeiten ausgewählt, aber der Catering-Service hat eine Speisekarte hiergelassen. Von mir aus können Sie sich zusammenstellen, was Ihnen schmeckt. Sie können auch eine Köchin einstellen.“

Gloria versuchte mit möglichst neutraler Miene zu reagieren, doch Lori sah so etwas wie ein Gefühl über ihr Gesicht zucken. Sie wusste nur nicht, welche Art von Gefühl.

„Ich lasse Ihnen finanziell freie Hand“, murmelte Gloria.

Lori lachte, obwohl ihr Gegenüber keinen Scherz beabsichtigt hatte. „Einer der kleinen Vorteile meiner Arbeit. Soll ich Ihnen das Hähnchen klein schneiden?“

Gloria verengte die Augen zu Schlitzen. „Nur wenn Sie wollen, dass ich Sie mit meiner Gabel ersteche.“

„Ich bin ziemlich flink. Sie müssen also schnell sein.“

„Grund genug habe ich.“

Immerhin – das könnte man doch fast Humor nennen. Kein schlechtes Zeichen. „Okay. Ich lasse Sie jetzt in Ruhe essen. Möchten Sie, dass ich den Fernseher einschalte?“ Sie öffnete den TV-Schrank mit Fernseher und DVD-Player und legte Gloria die Fernbedienung aufs Bett. „Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich.“

Um halb fünf am Nachmittag kam sich Lori vor, als wäre sie das Opfer eines militärischen Überraschungsangriffs geworden. Die kleine Annäherung zwischen ihr und Gloria war nun nichts weiter als eine verklärte Erinnerung. Mittlerweile hatte sich ihre Patientin darüber beschwert, das Bett sei zu hart, die Kissen seien zu weich, die Laken hätten einen komisehen Geruch und der Fernseher brumme.

„Ich hole so bald wie möglich jemanden vom Kundendienst“, versprach Lori und versuchte Geduld zu bewahren. Sie musste sich außerdem bemühen, nicht ständig auf die Uhr zu schielen. Das war mit Sicherheit der längste Nachmittag ihres ganzen Lebens. Und noch nicht einmal ihr erster halber Tag mit Gloria.

Sie sagte sich immer wieder, es gebe einen Grund für Glorias schlechte Laune. Und es könne eigentlich nur besser werden.

Kurz nach fünf kam sie in die Küche und traf dort eine große, hübsche Frau mit eindrucksvoller Oberweite an, die gerade eine riesige Einkaufstasche auspackte. Ihre Uniform wies sie als Krankenschwester aus. Ihrem Aussehen nach zu urteilen war klar, wer sie engagiert hatte.

„Hi“, sagte die Frau mit einem strahlenden Lächeln. „Ich bin Sandy Larson, die Abendschwester. Ausnahmsweise. Normalerweise bin ich für die Nacht zuständig. Zur Stelle, wenn’s dunkel wird. Hey, das klingt ja wie ein Romantitel! Oder ein Pornofilm.“ Sandy grinste. „Weiß gar nicht, worin ich lieber vorkäme. An guten Tagen ...“

Lori riss sich zusammen und begrüßte ihre Kollegin freundlich, obwohl sich ihr Magen gerade schmerzhaft zusammenzog. Was war eigentlich mit ihr los? Reid war bei der Auswahl der anderen Schwester seinem Typ treu geblieben. Das konnte ihr doch egal sein.

Lori gab Sandy einen Kurzüberblick, was sie bei Gloria erwartete. „Sie ist müde und deshalb etwas schwierig. Aber sie ist nicht schrecklich.“

„Ich werde mit ihr klarkommen“, sagte Sandy. „Wenn meine Patienten mir querkommen, fange ich an, von meiner Lieblingssoap zu erzählen. Das ist so langweilig, dass die meisten davon einschlafen. Deswegen liebe ich die Nachtschicht. Da muss man nicht so hart arbeiten wie am Tag.“ Sie beugte sich zu Lori. „Aber du hast es mit deinem Job trotzdem nicht schlecht getroffen: für zwölf Stunden Bezahlung nur acht Stunden Arbeit ...“

„Ja, das ist toll. Ich sage nur rasch Gloria Auf Wiedersehen.“

„Ja, klar. Bis morgen.“

Gloria sah aus der Zeitschrift auf, die sie gerade gelesen hatte, und starrte Lori über den Rand ihrer Brille an. „Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass es mich interessiert, ob Sie kommen oder gehen. Bleiben Sie hier oder gehen Sie fort. Das ist mir doch vollkommen gleichgültig.“

Lori grinste. „Ich hatte auch einen schönen Tag, Gloria. Gern geschehen.“

Reid parkte seine Corvette hinter der „Downtown Sports Bar“ und stieg aus. Eine volle Minute starrte er tatenlos auf die Hintertür, dann sagte er sich, es werde schon nicht so schlimm werden.

Seit er wegen einer Schulterverletzung seine Baseballkarriere hatte aufgeben müssen, arbeitete er in der familieneigenen „Sports Bar“. „Arbeiten“ war eher eine lose Beschreibung dessen, was er eigentlich tat. Nach außen hin war er der Geschäftsführer. In Wirklichkeit aber kam und ging er, wie es ihm passte. Manchmal arbeitete er hinter der Theke und gab Anekdoten aus seiner Zeit als Profibaseballer zum Besten. Außerdem war er für die Einstellung der weiblichen Mitarbeiter zuständig. Für ihn war die Bar immer eine Rückzugsmöglichkeit gewesen. Hier kannte und bewunderte man ihn. Jetzt war sie allerdings ein Ort der Schmach.

Jeder da drinnen kannte ihn. Und er würde sein nicht eben kleines Vermögen darauf verwetten, dass alle die Geschichte in der Zeitung gelesen hatten.

„Verdammter Mist“, murmelte er, dann öffnete er mit dem Schlüssel die Hintertür.

Um die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, ignorierte er die relative Sicherheit seines Büros und ging gleich nach vorn in die Bar.

Mit einem Mal verstummten die Gespräche, und alle Augen richteten sich auf ihn. Reid ging weiter.

„Hey, Süßer“, rief eine der Kellnerinnen ihm zu. Ihr Mund verzog sich erst zu einem seltsamen, dann aber doch normalen Lächeln. „Schön, dich zu sehen.“

Er nickte und bahnte sich seinen Weg durch die Happy-Hour-Menschenmenge.

„Hey, Reid!“, rief ein Typ. „Alles in Ordnung mit deinem besten Stück?“

Reid ignorierte den Mann, ließ seinen Blick über die Gäste schweifen und entdeckte in einer Ecke zwei bekannte Gesichter. Er steuerte direkt auf sie zu.

„Reid.“ Maddie, eine der beiden Kellnerinnen, hielt ihn kurz am Arm fest. „Sie redet Scheiße, okay? Unsere gemeinsame Nacht war spitze. Falls du irgendwas schriftlich brauchst, sag mir Bescheid.“

Er nickte der Brünetten mit der großen Oberweite zu. Er wusste zwar noch, dass er mit ihr im Bett gewesen war, erinnerte sich aber nicht an weitere Details. Seine sexuelle Erinnerung war ziemlich verschwommen.

Er eilte weiter, um seine beiden Brüder zu begrüßen, und sank dankbar auf den Stuhl, den sie ihm hinschoben.

Sie hatten genau den richtigen Tisch gewählt. Reid hatten sie den Platz neben dem Regal mit Sportlerutensilien überlassen, sodass er nicht im Blickfeld der anderen Gäste saß.

Sein älterer Bruder Cal schob ihm einen vollen Bierkrug hin. „Alles klar bei dir?“, fragte er.

„Was glaubst du?“ Reid nahm einen großen Schluck. „Ich gehe gerade durch die Hölle.“

Sein jüngerer Bruder Walker setzte eine mitleidige Miene auf. „Ganz schön anstrengend, kann ich mir vorstellen.“

Es stand eine Schüssel mit Nachos auf dem Tisch, aber Reid hatte keinen Appetit. „Das Schlimmste ist, dass ich mich an die Schnecke noch nicht mal erinnere. Es war, glaube ich, in der Woche, als mein Team in den Play-offs spielte. Garantiert war ich betrunken.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber das ist auch egal. Sie wollte sich rächen, wofür auch immer, und das hat sie geschafft. Überall wimmelt es von Reportern. Mein Hausboot wird regelrecht belagert.“

„Das Boot ist auch keine gute Position, um sich zu verteidigen“, stellte Walker fest.

Cal sah Reid an. „Da spricht unser Bruder, der Exmariner.“

„Er weiß schon, wovon er redet“, brummte Reid. „Ich muss da weg. Ich hatte schon an ein Hotel gedacht, aber da werden sie mich auch finden. Das Personal wird die Klappe nicht halten.“

„Komm doch zu Penny und mir“, sagte Cal. „Wir haben genug Platz.“

Reid zögerte. Sie hatten zwar ein großes Haus, aber auch ein kleines Kind und damit wirklich andere Sorgen.

„Danke für das Angebot, aber ich wäre euch nur im Weg.“

„Ach Quatsch“, versicherte ihm Cal.

Walker zuckte die Achseln. „Du kannst auch zu mir kommen. Aber du müsstest auf dem Sofa schlafen.“

„Klingt sehr verführerisch“, sagte Reid. „Aber nein danke.“

„Dann zieh doch zu Gloria“, schlug Cal vor. „Da sucht dich bestimmt keiner. Hast du denn nicht gesagt, die Krankenschwester hätte unten ein Zimmer für sie herrichten lassen?“

„Das Arbeitszimmer“, sagte Reid langsam, während er diese Möglichkeit in Betracht zog.

„Dann hättest du doch das ganze Obergeschoss für dich“, bemerkte Walker.

„Und viel Platz hat sie ja“, stellte Reid fest. Außerdem würde er mit seinem Einzug diese Lori auf die Palme bringen. Das hatte was.

Eine Frau bahnte sich den Weg zu ihrem Tisch. Sie war groß, gut gebaut und sah aus wie ein Model. Sie lächelte Reid an.

„Darling, ich wollte dir nur kurz sagen, dass es bei uns beiden einfach unglaublich war. Ich weiß alles noch ganz genau. Falls du also eine Zeugin brauchst oder so ... Soll ich dir meine Telefonnummer geben?“

Reid studierte ihr Gesicht ganz genau und musste feststellen, dass er sich absolut nicht an die Frau erinnern konnte. Er hatte den Eindruck, er kannte sie gar nicht. Was sagte das über ihn aus?

„Danke für das Angebot, sehr nett“, sagte er. „Ich sage Bescheid, wenn ich Unterschriften brauche.“

„Bitte. Ich stehe immer zur Verfügung.“

Damit drehte sie sich um und ging. Er sah ihre wiegenden Hüften und empfand nichts dabei. Wahrscheinlich würde es Monate dauern, bis er wieder Spaß an Sex finden konnte. Triste Aussichten.

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah seine Brüder an. „Diese Reportertante hat mich in der Hand. Ich kann sie nicht verklagen. Das wäre ein Riesenzirkus, und darauf habe ich keine Lust. Mein Manager rät mir, ich soll einfach abtauchen, bis sich der Wirbel gelegt hat.“

„Recht hat er“, sagte Walker. „Bald interessieren sich die Leute bestimmt wieder für den nächsten Promi.“

„Aber wann?“, fragte Reid. Ihm konnte es nicht schnell genug gehen. „Ich habe mit ihm auch über die anderen Unterstellungen in dem Artikel geredet. Die blöde Kuh behauptet ja auch, dass ich Wohltätigkeitsveranstaltungen platzen lasse. Aber das stimmt nicht.“

Es stimmte wirklich nicht. Im Gegenteil: Er hatte nicht ein einziges Mal die Einladung zu einer solchen Veranstaltung angenommen, nur um dort aufzutauchen und irgendeine Rede zu halten. Er schickte lieber einen Scheck. Beziehungsweise sein Manager tat das.

„Nur weil ein Kind mir einen Brief schreibt und mich bittet, zu einer Veranstaltung zu kommen, muss ich da doch noch lange nicht hingehen. Aber das sieht die Dame wohl anders.“

„Vergiss es einfach“, meinte Cal. „Du kannst es sowieso nicht mehr ändern.“

Reid wusste, dass er recht hatte, aber er hasste es, mit Dreck beworfen zu werden. „Ich habe mit Seth auch über das Baseballteam gesprochen, das wir zu den Landesmeisterschaften eingeladen hatten. Er sagte, das Reisebüro hätte damals einen Fehler gemacht. Ich wusste davon nichts!“

Seine Brüder schauten ihn mitleidig an, aber das half ihm auch nicht. Nicht wenn besagtes Baseballteam auf der von ihm gesponserten Reise die Rückfahrt plötzlich selbst organisieren und bezahlen musste – dabei war das die Schuld des Reisebüros. Die Kinder samt Familien waren damals Hunderte Kilometer von zu Hause entfernt gestrandet und hatten nicht gewusst, wie sie zurückkommen sollten.

„Ich habe keinen Fehler gemacht“, murmelte Reid. Das war die Wahrheit. Er war dafür nicht verantwortlich. „Ich habe Seth gesagt, er soll mir alles schicken. Die Fanpost, die Anfragen für Wohltätigkeitsveranstaltungen. Ich werde das künftig alles selber bearbeiten.“

„Und dann?“, fragte Cal.

„Wenn ich das wusste. Ich muss auf jeden Fall was machen. Es ist eine Sache, wenn so eine Reporterschnecke behauptet, ich wäre nicht gut im Bett. Aber es ist eine andere Sache zu behaupten, dass ich Kinder enttäusche und wohltätige Zwecke vernachlässige. Das habe ich nie getan.“

Er hatte sich eben nur nie persönlich um diese Dinge bemüht.

„Ist das alles ein Mist“, sagte er und griff nach seinem Bier. „Mein Leben hat einen neuen Tiefpunkt erreicht.“

„Schlimmer als bei deiner Schulterverletzung?“, fragte Walker.

„Nein“, sagte Reid leise. „Nicht schlimmer.“

Walker zuckte die Achseln. „Ich versuche nur gerade, dich etwas besser zu verstehen.“

Nein, es ist nicht schlimmer als der Schock, plötzlich am Ende seiner Karriere zu stehen, dachte Reid. Aber fast so schlimm. Und auch das war schon zu viel.

Reid wartete bis kurz vor zehn, erst dann fuhr er zurück zu seinem Hausboot. Er hatte sich Walkers Wagen ausgeliehen. Damit konnte er seine Sachen besser transportieren. Trotz der Uhrzeit lungerten immer noch zwei Fotografen am Dock herum. Sie knipsten Reid, als er auf sein Hausboot ging, und er hörte, wie einer von den beiden einen Anruf machte und jemandem sagte, er sei aufgetaucht. Außerdem hörte er irgendwas von einem Internet-Kurs, den er vielleicht belegen sollte, in dem man lernt, wie man Frauen glücklich macht.

Zwanzig Minuten später hatte er zwei große Koffer gepackt und ins Auto geworfen. Er verließ den Parkplatz zeitgleich mit dem Abschleppwagen, der das Auto der zwei Fotografen von seinem Privatgelände abtransportieren sollte. So konnten sie ihn nicht verfolgen. Allerdings würde der Abschleppwagen das Auto wieder vom Haken lassen, sobald er verschwunden war. Das Wichtigste war, dass sie ihm nicht hinterherfuhren.

Als er bei Gloria eintraf, wartete Walker schon auf ihn, um beim Ausladen zu helfen. Danach tauschten sie die Autoschlüssel, und Walker fuhr in seinem Wagen davon. Reids Corvette stand, vor Blicken sicher, in der Garage.

„Ein tolles Leben“, murmelte Reid und machte sich auf den Weg ins Haus.

Als er die Treppe hochging, kam ihm eine große Blondine entgegen. Sie lächelte ihn an.

„Hallo, Reid. Alles klar?“

„Alles bestens“, log er und versuchte sich zu erinnern, woher er die Frau kannte. Da sie eine Uniform trug, musste sie eine der Krankenschwestern seiner Großmutter sein.

„Sandy“, stellte sich die Frau vor, als sie auf derselben Treppenstufe wie er zum Stehen kam. „Sandy Larson. Du hast das Einstellungsgespräch mit mir geführt.“

Richtig. Und ihr freudestrahlendes Lächeln machte deutlich, dass das Gespräch gut gelaufen sein musste. Jetzt erinnerte er sich auch wieder – diese Sandy war ganz heiß darauf gewesen, mit ihrem Lieblingsbaseballer ins Bett zu gehen. Sie hatten sehr viel Spaß auf seinem Schreibtisch in der „Downtown Sports Bar“ gehabt.

„Ich habe gehört, du ziehst hier ein“, sagte Sandy.

„Vorübergehend.“

„Ja, klar, das macht Sinn.“ Sie berührte ihn am Arm. „Hör zu – dieser Nachmittag mit dir war toll. Aber ich bin jetzt mit jemandem zusammen, der mir sehr viel wert ist. Es wird also kein zweites Mal geben. Bitte nimm das nicht persönlich, ja?“

„Natürlich nicht“, sagte er und bemühte sich, höfliches Interesse zu bekunden.

Es lag ihm überhaupt nichts daran, noch einmal mit dieser Sandy zu schlafen. Nur ging es darum gar nicht. Er brauchte das Gefühl, dass sie ihn wollte, einfach weil er Reid Buchanan war.

Aber was sollte ihn an diesem Tag noch überraschen?

Lori war früh dran für ihre Schicht. Sie hängte ihre Jacke und ihre Handtasche in den Garderobenschrank in der Eingangshalle und traf in der Küche die nächste gut gebaute Schönheit.

Plötzlich fühlte sie sich mickrig und flachbrüstig. Und alles wegen dieses hirnlosen Frauenhelden. Sie hasste es. Es konnte nicht sein, dass sie sich davon die Laune verderben ließ.

„Hi“, sagte sie also fröhlich. „Ich bin Lori Johnston.“

„Kristie Ellsworth“, stellte sich die schöne Brünette lächelnd vor. „Gloria hat heute Nacht so gut wie durchgeschlafen. Und als sie aufwachte, hat sie gleich nach dir gefragt. Du scheinst Eindruck bei ihr gemacht zu haben.“

„Hoffentlich einen guten.“

„Ich wollte ihr gerade das Frühstück bringen“, sagte Kristie.

„Das kann ich übernehmen, wenn du loswillst.“

„Das wäre toll.“

Fünf Minuten später servierte Lori Gloria ihr Frühstück.

„Sie sind wieder da. Wie bedauerlich.“

„Ich habe gehört, Sie hätten nach mir gefragt. Also tun Sie jetzt nicht so, als würden Sie sich nicht freuen, mich zu sehen.“

„Ich freue mich nicht. Ich habe in der Hoffnung gefragt, Sie hätten gekündigt.“

„Pech gehabt.“ Lori setzte das Tablett ab. „Wir müssen Ihnen einen Zeitvertreib verschaffen. Ich meine, etwas anderes als Herummäkeln. Vielleicht Stricken. Das wäre doch was.“

Gloria ignorierte sie und stocherte in ihrem Pfannkuchen herum. „Ich frühstücke nie. Ich trinke nur einen Kaffee, das ist alles.“

Lori beugte sich zu ihr und sagte mit leiser Stimme: „Ich sage nur zwei Wörter, junge Frau: künstliche Ernährung. Lassen Sie mich nicht böse werden. Essen Sie und machen Sie sich nicht unglücklich.“

„Sie sind wirklich lästig.“

„Das habe ich schon öfter gehört. Und wissen Sie was? Das nehme ich als Kompliment.“

Gloria starrte sie ein paar Sekunden an und überflog dann einen Artikel in der Zeitung. „Haben Sie das gestern gelesen?“

„Ich lese keine Zeitung.“

„Sollten Sie aber. Eine Frau sollte wissen, was in der Welt geschieht. Aber darum geht es nicht. Reid ist vorübergehend hier eingezogen. Offensichtlich nutzt er meinen hilflosen Zustand aus. Man könnte meinen, er wäre alt genug, seine privaten Problemchen allein durchzustehen, aber offensichtlich ist dem nicht so. Jetzt zieht er unseren guten Namen in den Schmutz. Er ist eine permanente Enttäuschung und eine Schande für die ganze Familie.“

Lori las die Überschrift und blinzelte. „Gut im Bett? Fehlanzeige! Das ist heftig.“

„Offensichtlich hat er diese Reporterin nicht befriedigt, und sie muss es jetzt in die Welt hinausposaunen. Ekelhaft ist das. Sie ist eine billige Schlampe, aber natürlich darf man das nicht laut sagen.“ Gloria tippte auf die Zeitung. „Lesen Sie den Artikel und lernen Sie daraus. Mein Enkel hat eine ganz besondere Art, mit Frauen umzugehen. Seien Sie nicht wie diese dummen Hühner, die auf ihn hereinfallen und dann mit gebrochenem Herzen dastehen. Ich habe keine Geduld mit dummen Frauen.“

„Sie warnen mich vor ihm“, sagte Lori, die plötzlich begriff. Jetzt grinste sie. „Sie machen sich Sorgen um mich.“

„Verschwinden Sie.“

Lori tat, wie ihr geheißen – vor allem weil sie darauf brannte, den Artikel zu lesen.

Sie setzte sich an den Küchentisch und breitete die Zeitung vor sich aus. Sie überflog die ersten paar Absätze und erschrak. Kein Mann hört gern, dass er nicht gut im Bett ist, und erst recht nicht als Artikel in der Zeitung. Das tat weh.

Beinah tat Reid ihr leid. Sie wusste zwar nicht, was an der Sache dran war, aber zumindest müsste er bei all seiner Erfahrung doch ein bisschen was draufhaben.

Oder etwa nicht?

Das Objekt ihrer Spekulationen trat in genau diesem Moment in die Küche. Reid sah erschöpft und mitgenommen aus. Er trug nur eine Jeans, sonst nichts, sein Haar war zerzaust, und er war nicht rasiert.

Er war unwiderstehlicher denn je.

Lori beobachtete, wie er durch die Küche ging, um sich einen Kaffee einzuschenken. Mit jeder Bewegung strafften sich seine beeindruckenden Muskelpakete. Er sah so sexy aus! Ihr Magen krampfte sich zusammen.

Er sah auf und bemerkte sie.

„Morgen“, murmelte er und verschwand.

Sie existierte nicht für ihn. Er hatte sie bisher nicht wahrgenommen, und er würde sie nie wahrnehmen. Indem sie ihn attraktiv fand, machte sie sich so dermaßen zum Idioten, dass sie sich selbst kaum wiedererkannte.

Sie war eine Schande für alle intelligenten Frauen. Und das Schlimmste war: Sie konnte nichts dagegen tun.

Autor

Susan Mallery
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leserinnen und Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem...
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