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Er hatte sie verloren. Nein, wenn er ehrlich war, war das nicht ganz richtig. Er hatte sie weggeworfen. Mia war Jensens beste Freundin gewesen und er hatte ihr das Herz gebrochen, weil er zu feige gewesen war. Jetzt ist Mia wieder in sein Leben getreten. Gemeinsam müssen sie an einem Projekt arbeiten und all seine Gefühle von damals sind zurück. Doch dieses Mal will er alles anders machen. Dieses Mal wird er sie nicht einfach wieder gehen lassen …

"Makellos und wunderschön geschrieben. Ich kann nicht genug betonen, wie sehr ich dieses Buch liebe." The Romance Cover

"Herzerweichende Geschichte einer Liebe, die eine zweite Chance bekommt. Süß, sexy und voll Emotionen!" Leylah Attar, NYT Best Selling Author


  • Erscheinungstag 07.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783955766627
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Cam,
der nie versucht hat, meine Sprache zu ändern, sondern lernte, die Bedeutung hinter meinem Schweigen zu lesen.
Und für dich, denn du wirkst, als könntest du eine unbeschwerte Liebesgeschichte über eine zweite Chance in deinem Leben gebrauchen.

Prolog

JENSEN

Ich gehe nicht gern Verpflichtungen ein. Meine Wohnung ist gemietet, mein Auto geleast, und ich besuche ein Fitnessstudio ohne Vertragsbindung. Ich habe ein unstetes Herz – einen ruhelosen Geist. Es fällt mir schwer, bei irgendetwas an ein Für-Immer zu denken. Obwohl ich schon einmal ein Für-Immer hatte.

Ich ließ sie gehen. Nicht, weil ich sie zu sehr liebte, um sie zum Bleiben zu überreden, sondern weil ich es nicht ertragen hätte, wenn sie meine Bitte abgeschlagen hätte. Und doch frage ich mich von Zeit zu Zeit immer noch, was gewesen wäre, wenn.

Nichts treibt einen schlimmer um als die Reue.

1. Kapitel

MIA

Ich frage mich oft, was ich machen würde, wenn ich die Möglichkeit hätte, die Zeit zurückzudrehen und die Dinge dann richtig zu machen. Würde ich es tun? Würde ich die zweite Chance nutzen, oder würde ich sie verstreichen lassen, weil ich an all das denke, was ich durchgemacht und woraus ich gelernt habe?

Voller Unbehagen betrat ich das Gebäude, in dem ich nun arbeiten würde, wenn auch nur vorübergehend. Das mulmige Gefühl in meinem Magen blieb, breitete sich immer weiter in mir aus. Als ich im 20. Stock aus dem Fahrstuhl stieg und die Lobby des Zeitschriftenverlags betrat, begrüßte mich eine lächelnde Brünette, während sie eine bunte Stiftebox durchwühlte. Irgendetwas an ihr wirkte beruhigend auf mich – vielleicht ihr Herumgezappel, ihr Lisa-Loeb-Look oder ihr gewinnendes Lächeln.

„Was kann ich für Sie tun?“, trällerte sie und drehte sich leicht in ihrem Stuhl zu mir.

„Ich habe einen Termin bei Frau … ich meine Dr. Zamora.“

„Fran“, entgegnete sie. „Sie wird lieber Fran genannt. Sie sind Mia?“

„Genau.“

Noch immer lächelnd, musterte sie mich kurz von oben bis unten. „Schön. Ich bin Katie. Ich frage mal nach, ob sie da ist. Nehmen Sie doch Platz.“

Erleichtert atmete ich aus, stellte meine Tasche auf den Boden und setzte mich Katie gegenüber auf einen schicken weißen Stuhl. Dann ließ ich den großen Raum mit den Fotos auf mich wirken, Arbeiten von Menschen, die ich bewunderte. Um meine Nerven zu beruhigen, griff ich nach einer Zeitschrift und blätterte sie durch. Ich ging sogar so weit, dass ich versuchte, mein inneres Zen zu kanalisieren, während ich mir die wunderbare Yogastunde vom Morgen ins Gedächtnis rief. Aber nichts half. Das hartnäckige Gefühl des Was habe ich mir da nur angetan? blieb.

Es erinnerte mich daran, wie ich mich von meinem Zwillingsbruder bequatschen und mir von ihm die Haare hatte schneiden lassen, damit wir wie „richtige Zwillinge“ wirkten. Zwei Monate lang sah ich aus wie Peter Pan, und meine Mutter weinte sich Nacht für Nacht in den Schlaf. Ich kramte mein Handy hervor und überlegte, Rob eine Nachricht zu schicken. Er war immer der Tapfere von uns beiden gewesen, der mich mit weisen Worten über solche Situationen hinwegrettete. Aber diese Suppe hatte ich mir selbst eingebrockt, also musste ich sie auch allein auslöffeln.

Als ich vor einigen Monaten zufällig meine Lieblingsdozentin vom College getroffen hatte, waren in der Sonderausgabe einer lokalen Zeitschrift gerade einige meiner Fotos erschienen. Das gute Gefühl, das ich hatte, als ich ihr davon erzählte, war bei der gefürchteten Frage Und was kommt als Nächstes? sofort dahin gewesen. Aber dann bot sie mir die Chance meines Lebens an: als Fotografin für eine große Zeitschrift zu arbeiten. Eine, bei der ich wohl nie eine Chance gehabt hätte, wäre nicht die für das Projekt zuständige Person zufällig die Schwester meiner Dozentin gewesen. Der Haken an der Sache, von dem meine Dozentin und ihre Schwester natürlich nichts wussten, war, dass mein Exfreund, der „Dream Crusher“, für dieselbe Zeitschrift arbeitete. Aber ich wäre schön blöd gewesen, hätte ich seinetwegen abgelehnt. Wo auch immer ich danach arbeiten würde, es wäre einfach nur genial, diese Station in meinem Lebenslauf zu haben.

„Sie ist gerade gekommen“, sagte Katie und riss mich aus meinen Gedanken. Schnell stand ich auf und hängte mir die Tasche über die Schulter, als sich die Glastür zu meiner Rechten öffnete und eine große Frau heraustrat, die meiner Dozentin verblüffend ähnlich sah: rote Mähne und leuchtend grüne Augen.

„Mia“, begrüßte sie mich mit einem strahlenden Lächeln. „Ich bin Fran.“

„Schön, Sie endlich kennenzulernen“, entgegnete ich und schüttelte ihr die Hand.

„Sie meinen, persönlich. Janna spricht in den höchsten Tönen von Ihnen, und wir kennen uns ja auch schon von Twitter.“

Ich lachte, als sie mir zuzwinkerte. Nachdem sie mich für diesen Auftrag engagiert hatte, folgten wir uns gegenseitig auf allen sozialen Plattformen, die sich zum Stalken eigneten.

„Fast so, als wären wir schon immer Freundinnen.“

„Was Soziale Medien so alles bewirken“, sagte sie lachend und drehte sich auf dem Absatz um. „Dann führe ich Sie mal herum.“

Wäre Fran ein Auto, würde sie immer Vollgas fahren. Als wir den Rundgang beendet hatten und wieder in ihrem Büro waren, brannten mir die Beine. Ich war mir nicht sicher, ob das an meinen hohen Absätzen lag oder eher daran, dass ich doppelt so viele Schritte machen musste wie sie. Klein zu sein konnte manchmal echt nerven.

„Wir haben bereits das Okay vom W Magazine und bleiben beim Titel ‚Was würden Sie tun, wenn Sie eine zweite Chance bekämen?‘. Das hat man Ihnen bestimmt schon gesagt“, erzählte sie, als wir uns hinsetzten.

Nichts hatte man mir gesagt. Nicht dass das von Belang gewesen wäre. Ich hatte bereits Fotos zu einem Artikel mit demselben Thema für ein kleines Lokalblatt geschossen, aber nicht für eine Zeitschrift dieses Formats.

„Ihre Freunde stört es hoffentlich nicht, dass wir ihnen die Show stehlen“, fügte Fran lächelnd hinzu. Sie war vollkommen angetan gewesen, dass das Pärchen auf der Titelseite, meine beste Freundin und ihr jetziger Ehemann, ihre Liebe erst im zweiten Anlauf gefunden hatten.

„Keinesfalls“, antwortete ich lachend. „Als sie die Zeitschrift im Supermarkt sahen, hätten sie mich am liebsten umgebracht, also ist es gar nicht mal so schlecht, wenn wir sie verdrängen.“

Sie stimmte in mein Lachen mit ein. „Waren sie nicht so begeistert, weil sie offiziell noch gar nicht zusammen waren?“

„So ungefähr. Ihr Bruder hätte Oliver am liebsten den Hals umgedreht … dem Mann auf dem Bild“, fügte ich erklärend hinzu, „als er von der Sache erfahren hat.“

„Aber es ist so romantisch“, entgegnete Fran und seufzte tief auf.

„Mag sein.“

„Oh nein, sagen Sie nicht, Sie gehören zu der Kategorie Frau!“

„Zu welcher denn?“

„Zu der Kategorie ‚Ich brauche keinen Mann‘ und ‚Ich hasse Romantik‘.“ Sie verdrehte die Augen, aber ich war mir sicher, dass sie dabei ein Lächeln unterdrücken musste.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich gehöre zu gar keiner Kategorie. Ich brauche keinen Mann, aber ich habe nichts gegen Romantik, wirklich nicht, was vielleicht auch der Grund dafür ist, dass ich noch Single bin.“

Fran grinste. „Irgendwie verrückt, oder? Soll ich Ihnen mal was sagen? Ohne die Partnerbörse Match wäre ich meinem Mann gar nicht begegnet. Aber ich bin mir sicher, dass Sie keine Hilfe brauchen, um jemanden kennenzulernen.“ Sie zeigte auf meinen Oberkörper, als würde sie mich jemandem als eine Art Trophäe anpreisen.

„Jemanden kennenzulernen ist auch nicht das Problem. Ihn zu halten ist viel schwieriger und den Richtigen zu finden das Schwierigste überhaupt.“

Fran nickte verständnisvoll. „Oh ja. Das kenne ich. Aber hey, auch Sie werden den Richtigen finden. Sie sind jung, bezaubernd, witzig, talentiert und klug. Was für eine Mischung!“

Lächelnd wich ich ihrem Blick aus. „Irgendwann vielleicht mal.“

„Wie dem auch sei, genug von Männern. Lassen Sie uns über die Arbeit sprechen. Wie in der E-Mail bereits angekündigt, werden Sie heute die Porträtaufnahmen machen. Sie müssen nicht jeden Tag ins Büro kommen, aber Sie dürfen natürlich jederzeit unsere Räume nutzen. Die Kontaktdaten der Paare, die Sie fotografieren werden, hatte ich Ihnen geschickt, sodass Sie die Probeaufnahmen absprechen können, und danach geben wir Ihnen Bescheid, wer in die engere Wahl kommt. Wir werden nur vier Paare auswählen: zwei junge und zwei ältere. Ihre Geschichten sind sowieso verschieden, also passt das.“

Sie hielt kurz inne, ich nickte und machte mir in Gedanken Notizen.

„Und … ach ja, folgende Redakteure arbeiten an diesem Projekt mit: Carlos und Deborah sind fest bei uns angestellt, die anderen beiden sind Freiberufler, die oft für uns arbeiten. Ich habe Ihnen die E-Mail-Adressen notiert und werde ihnen auch Ihre geben, damit sie Sie kontaktieren können. Manchmal sind sie gern bei den Aufnahmen dabei und führen direkt dort die Interviews.“

Nickend ging ich die Liste durch – und erstarrte, als ich seinen Namen sah. Nichts als Buchstaben auf einem Stück Papier, aber sie ließen mein Herz ein, zwei Sprünge machen, bevor es mir in die Hose rutschte. Warum reagierte ich derart heftig auf seinen Namen? Schließlich hatte ich doch damit gerechnet, früher oder später auf ihn zu treffen.

„Kommen Sie doch am Mittwoch was mit uns trinken“, schlug Fran vor und riss mich aus meinen Gedanken.

„Ich treffe meine Kollegen also nur bei den Shootings?“, wollte ich wissen und wedelte leicht mit dem Zettel herum.

„Nur, wenn sie die Menschen direkt in ihrem Umfeld interviewen wollen. Sonst sehen wir uns alle bei den Meetings, und davon gibt es nicht so viele. Aber diesen Mittwoch treffen wir uns wie gesagt. Danach dann erst wieder zur abschließenden Redaktionssitzung.“

Ich schluckte hörbar und nickte. „Gut.“

„Es wäre toll, wenn Sie Mittwoch dabei wären, um alle kennenzulernen“, sagte sie noch einmal.

Ich fühlte mich wie in einem Teufelskreis: Einerseits war ich hierhergezogen und wusste, dass ich ihm durch den Job womöglich schrecklich nah sein würde, wobei ich insgeheim hoffte, dass dies der Fall war. Andererseits hielt ich mir vor Augen, warum ich ihm überhaupt aus dem Weg gegangen war. Tief atmete ich ein und wappnete mich für das Unvermeidliche.

„Aber gern doch. Klingt gut.“

Jensens Woche

Neulich unterhielt ich mich mit einem Kumpel über diese Kolumne. Er machte sich über mich lustig und meinte, das klinge nach Sex and the City. Ich zog ihn damit auf, dass er diese Serie überhaupt kannte, aber dann fragte ich mein Date danach, und sie kriegte sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Wäre ich eine Frau und die Serie echt, wäre ich anscheinend Carrie. Jeff (Herausgeber dieser Zeitschrift), ich hasse dich!

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Dating heutzutage schwieriger ist als früher. Die Menschen haben andere Erwartungen. Als Mann fühlt man sich irgendwie immer etwas begrapscht (nicht im wörtlichen Sinn natürlich. Nur zur Info: Gegen die wörtliche Bedeutung hätte ich nichts). Nach dem ersten Drink kann man aber auch wie ein Welpe mit dem Schwanz wedeln und auf die Belohnung warten. Partnersuche als Erwachsener ist ermüdend. Ich will zurück aufs College!

Restaurant: Glasserie

Bewertung: Daumen hoch!

Frage der Woche von: @Margie17: „Was kannst du in deinem Leben am besten?“

Antwort: Vater sein. Etwas Besseres werde ich wahrscheinlich nie hinbekommen. Kitschig, klischeehaft, aber wahr.

2. Kapitel

MIA

Wenn ich für eins dankbar war, dann für die wundervollen Menschen in meinem Leben. Als ich mich entschieden hatte, mich auf dieses Abenteuer einzulassen, bekam ich von allen Seiten Unterstützung. Meine Freundin Millie, mit der ich mir an der UCLA ein Zimmer geteilt hatte, bot mir an, bei ihr unterzukommen. Sie sorgte auch dafür, dass ich immer beschäftigt war – und ging mit mir essen und Cocktails trinken, während ihr Verlobter auf Dienstreise war. Als ich in ihrer Wohnung ankam, war sie da und wartete auf den Techniker, der die Klimaanlage reparieren sollte.

„Echt jetzt, warum muss man als Mieter für so was denn seine Zeit opfern?“, sagte sie und ging in dem kleinen Wohnzimmer hin und her.

„Du musst hier nicht warten, bis er kommt. Ich kann ihm auch auf die Finger schauen. Obwohl man nicht wirklich etwas überwachen kann, von dem man keine Ahnung hat.“

Sie hielt inne, drehte sich zu mir um und stutzte. „Du hast recht.“

„Hab ich meistens“, erwiderte ich seufzend, woraufhin sie lachte und die Augen verdrehte.

„Was machen wir an deinem Geburtstag?“

„Nichts.“

„Nichts? Ach, komm. Wir machen doch fast jeden Tag was, und ausgerechnet an deinem Geburtstag willst du nichts machen?“

Mein Geburtstag war in zwei Tagen. Mir hatte es noch nie etwas ausgemacht, ein Jahr älter zu werden. Eigentlich hatte ich jeden Geburtstag immer so gefeiert, als wäre er mein letzter. Aber es fühlte sich einfach nicht richtig an, ohne Rob zu feiern – das erste Mal in 25 Jahren. Für ihn war es okay, denn schließlich leistete Juan Pablo ihm Gesellschaft. Aber alle, die ich kannte, waren eben dort drüben. Hier war ich allein, außer wenn Millie gerade in der Stadt war.

„Na ja, ich muss an dem Abend eh mit den Leuten von der Arbeit was trinken gehen, also könnten wir uns vielleicht danach treffen?“, meinte ich, als mir bewusst wurde, dass sie mich mit ihren braunen Augen erwartungsvoll ansah.

„Ach du liebes bisschen. Heißt das etwa, Du-weißt-schon-wer wird auch dort sein?“

„Ich weiß nicht, ob Du-weißt-schon-wer dabei sein wird. Es ist ja auch sein Geburtstag, falls du dich erinnerst.“

„Du weißt schon, dass Du-weißt-schon-wer weiß, dass du dort arbeitest, oder? Du glaubst doch wohl nicht, dass er nicht dabei ist, wenn er weiß, du wirst dort sein.“

Ich seufzte. Von Du-weißt-schon-wer wusste ich gar nichts mehr. Seine Gedanken konnte ich nicht mehr lesen, seine Schritte nicht erahnen, bevor er sie tat. Diesen Instinkt hatte ich an dem Abend verloren, als ich ihn verlor, und es war okay für mich. Sein Leben ging weiter, meins auch.

„Ich weiß nicht, Mill, aber ich bin nicht hier, um wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen, sondern um diese Aufnahmen zu machen, die an möglichst vielen Stellen zu sehen sein sollen, und dann bin ich wieder weg.“

Sie ließ sich auf das Sofa mir gegenüber fallen, legte die Beine über die Lehne, wandte sich mir zu und stützte das Kinn in die Hand. „Bist du immer noch scharf auf den Job in L. A.?“

Ich nickte. Schließlich war es nur Wunschdenken, dass meine Bilder in Museen ausgestellt werden könnten. Ich rechnete nicht damit, dass das wirklich klappte, und falls doch, glaubte ich nicht, dass das meine Haupteinnahmequelle sein würde. Ich liebte, was ich tat. Fotos zu machen und hinter der Kamera zu stehen. Das würde ich nie im Leben aufgeben. Kaum hatte ich die befristete Stelle bei Newsweek angenommen, hatte ich mich auch schon bei einer Modezeitschrift in der Nähe von L. A. beworben. Während meiner ganzen Collegezeit hatte ich von so einem Job geträumt, und als ich ihn schließlich tatsächlich bekam, war ich aufgeregt bis zum Gehtnichtmehr.

„Hm, du weißt ja, wie ich darüber denke. Meiner Meinung nach ist Mode nicht deine Berufung, aber wenn es dich glücklich macht, stehe ich hinter dir“, sagte Millie, als sie aufstand.

In dem Moment klopfte es an der Tür, und die nächste halbe Stunde sahen wir dem Handwerker dabei zu, wie er die undichte Stelle reparierte. Nachdem Millie gegangen war, lief ich in mein Zimmer und suchte Klamotten für das gefürchtete Treffen heraus. Wenigstens würde es etwas zu trinken geben, und vielleicht wäre er ja gar nicht dabei. Mir klangen noch Millies Worte in den Ohren, und meine Nerven waren angespannt. Jensen wusste, dass ich dort arbeitete, und mich beschlich das Gefühl, dass er nur kommen würde, um mich zu ärgern. Das würde zu ihm passen.

Nachdem ich einige Minuten Trübsal geblasen hatte über Dinge, die ich nicht ändern konnte, schnappte ich meine Kamera und ging. Von New York war ich nicht begeistert. Das hektische Treiben war nicht mein Fall, aber irgendetwas hatte diese Stadt an sich. Sobald ich aus dem Hauseingang trat, spürte ich den Herzschlag der Stadt – wild und voller Möglichkeiten. Hinter jeder Straßenecke wartete eine neue Geschichte – eine alleinerziehende Mutter, die über die Runden zu kommen versuchte, ein Workaholic, ein Student, der die Prüfungen bestehen, ein Mädchen aus Idaho, das Model werden wollte. Im Kampf darum, seinen Platz in dieser Welt zu finden, lag so viel Schönes.

Wenn ich die Welt durch meine Kamera betrachtete, gab ich mich meinen Gedanken hin. Ich konnte mein eigenes Leben verdrängen, wenn ich mir das Leben anderer vorstellte. Es fiel mir leichter, wenn ich nicht Mia sein musste, das Mädchen, das nicht einfach nur umherirrte, sondern das sich vollkommen verlaufen hatte. Dann musste ich auch nicht darüber nachdenken, wie schwer es mir fiel, meinen Platz auf dieser Welt zu finden.

Am tröstlichsten fand ich folgende Erkenntnis: Wir waren alle verwirrt und schlussendlich auch alle verirrt – Alter, Rasse, Geschlecht und alles, was uns sonst trennte, spielte dabei gar keine Rolle.

3. Kapitel

An meinem Geburtstag genehmigte ich mir zum Frühstück nicht einen, sondern drei Mimosas. Leider trank ich allein, und allein zu trinken führte dazu, zu viel nachzudenken, was wiederum Verdruss nach sich zog, der in Reue endete. Und das wiederum führte zu einem weiteren Mimosa, um die Reue wegzuspülen, die ich nun wirklich nicht gebrauchen konnte. Meine beste Freundin Estelle hatte mir ein CARE-Paket geschickt, als würde ich irgendwo im Nirgendwo leben und nicht in einer Stadt, in der man wirklich alles bekam, was man sich nur vorstellen konnte. Und sie hatte alles hineingepackt, von einer lustigen Geburtstagskarte bis hin zu einem Dildo. Sie hielt sich anscheinend für den witzigsten Menschen der Welt.

Vor meinem fünften Mimosa holte ich mein Handy hervor und startete eine Videokonferenz mit Rob. In Santa Barbara war es sechs Uhr morgens, und da es mitten in der Woche war, musste Rob sowieso aufstehen. Beim vierten Klingeln ging er ran, und ich musste direkt lächeln, als ich sein breites Grinsen und das Grübchen auf der linken Wange sah. Seine dunklen Haare waren vom Schlafen noch ganz verwuschelt, seine tiefblauen Augen schläfrig.

„Alles Gute zum Geburtstag, Meep.“

„Alles Gute zum Geburtstag, Robbie.“ Bei diesen Worten wurden meine Augen feucht.

„Oh Gott. Du hast Champagner getrunken“, sagte er.

„Woher weißt du das?“, fragte ich lachend. Mein Blick ging zum Champagnerglas, das er gar nicht sehen konnte.

„Du wirst immer so sentimental, wenn du Champagner trinkst. Und dein Gesicht ist total rot.“

„Oh.“ Ich legte meinen kühlen Handrücken an die Wange. „Was machst du heute? Abgesehen davon, mich so zu vermissen, dass dir die Tränen kommen?“

Er lachte und schüttelte den Kopf. „Nachdem ich diesen Heulanfall überstanden habe, versuche ich, den Arbeitstag zu überleben, ohne an Trübsal zugrunde zu gehen. Und danach fahre ich mit Juan Pablo zum Abendessen zu Mom. Und du?“

Ich stöhnte. „Ich hasse dich. Was gibt es denn bei Mom?“

„Natürlich mein Leibgericht.“

„Du meinst, unser Leibgericht. Und jetzt hasse ich dich wirklich.“

Er lachte. „Klappe. Du bist in New York!“

„Weiß ich, aber ich hab Heimweh.“

„Mia, du bist erst seit zwei Wochen dort.“

„Eben. Zwei Monate habe ich noch vor mir.“

Er schüttelte den Kopf. „Du bist ganz groß in den Tag gestartet. Mimosas?“

„Ja, ganz alleine.“

„Wo ist denn Millie?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Wir treffen uns heute Abend, nach dem Feierabendumtrunk, zu dem ich vom Job aus muss.“

Rob runzelte die Stirn. „Wird Jensen auch dabei sein?“

Ich ließ die Schultern sinken. „Warum macht denn jeder so eine große Sache daraus?“ Er warf mir einen Blick zu, der mich direkt wegschauen ließ. „Weiß ich nicht. Könnte sein, aber ich glaube es nicht. Er hat ja auch Geburtstag.“

„Ja, weiß ich. Ich erwarte seine alljährliche Lobeshymne in der Zeitung.“

Ich schloss die Augen. „Rob.“

„Schon gut, schon gut, reden wir nicht mehr von ihm. Aber du wusstest, dass ihr euch wahrscheinlich über den Weg lauft, wenn du den Job annimmst, also …“

Ich verdrehte die Augen. „Ich bin Fotografin, er ist Schriftsteller. Wir arbeiten nicht eng zusammen.“

„Stimmt.“

Er sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, tat es aber nicht. Ich wusste, dass er sagen wollte: Pass einfach nur auf dich auf. Mich musste niemand warnen. In meinem Kopf schrillten schon genügend Alarmglocken. Wir unterhielten uns noch ein wenig, und er brachte mich auf den neuesten Stand, was zu Hause so los war, nämlich nicht viel. Ich würde Estelle nach dem neuesten Klatsch fragen müssen, aber bis dahin nutzte ich die Zeit und ging shoppen.

In der U-Bahn achtete ich darauf, mit niemandem Blickkontakt zu haben. Diesen Fehler hatte ich am ersten Tag gemacht und in viele wirre Augen gesehen, also versuchte ich das nun zu vermeiden. Ich war damit beschäftigt, mir zum zehnten Mal die Hände mit Desinfektionsgel einzureiben. Die Bahn hielt, ich sah mir die Werbung an. Als zum letzten Mal die Station Rockefeller aufgerufen wurde, sprang ich auf, denn ich wusste, ich hatte nur ein paar Sekunden, um bis zur Tür zu gelangen. Wenn überhaupt.

„Meine Haltestelle. Meine Haltestelle“, rief ich verzweifelt und versuchte, mich durch die Menschenmenge zu drängen. Ich sprang über eine Tasche, die am Boden stand, und schlug einem kleinen Mädchen etwas mit dem Bein aus der Hand. Resigniert seufzte ich, denn die Haltestelle hatte ich verpasst. Ich beugte mich herab und hob ein Buch in Meeresfarben auf. Mein Blick fiel zunächst auf das Bild: ein Mädchen mit rosigen Wangen. Seine dunkelblonden Haare flatterten in Wellen über das Cover, und es lächelte die kleine Schildkröte in seiner Hand an.

Mia geht zum Strand von J. Reynolds.

Unerwünschte Gefühle überwältigten mich. Schnell zog ich die Hand zurück, um mich irgendwo festzuhalten, und griff in dem Moment an die Haltestange, als die Bahn anfuhr. Ich spürte meinen Herzschlag überall. Er pochte in meinen Ohren wie eine Alarmglocke, schlug in meinem Hals, pulsierte in meinen Adern. Das kleine Mädchen wollte mich wohl aus meinen Gedanken reißen, denn in einer schnellen Bewegung traf mich die Spitze seines kleinen pinken Doc Martens am Knie. Mein Blick traf den der Kleinen. Ihre Haare und Augen sahen aus wie meine und wie die von Mia auf dem Buch. Ich brachte ein leichtes, unsicheres Lächeln zustande und drehte das Buch noch einmal um, um mir die Rückseite anzusehen.

„Tut mir leid. Ist das Buch gut?“

Sie nickte inbrünstig, während ihre Mutter antwortete. „Ich musste für sie die restlichen Bände der Reihe vorbestellen. Das ist unsere liebste Gutenachtgeschichte.“

„Wow“, stieß ich hervor. Eine Reihe. Offensichtlich hatte ich Jensens Karriere doch nicht so im Blick gehabt, wie ich dachte. Ich wusste, dass er irgendwann zwischen der Geburt seines Kindes und seinem Job als Zeitungskolumnist ein Buch veröffentlicht hatte, aber das hier war …

„Darf ich es haben?“, rutschte es mir heraus. „Ich bezahle es natürlich.“

Die kleine Treterin blickte erst mich skeptisch an, dann ihre Mutter. „Sag doch deiner Mama, dass sie es dir kaufen soll.“

Ich seufzte. Meine Mutter würde es mir ganz bestimmt nicht kaufen, und ihre Mutter sah mich nun so beunruhigt an, als befürchtete sie, ich könnte mit ihrer geliebten Gutenachtgeschichte durchbrennen.

„Wir haben das Buch erst gestern signieren lassen“, erklärte sie schließlich.

Ich nickte langsam, während mir klar wurde, dass Jensen, mein Jensen, berühmt genug war, um seine Bücher zu signieren. Ich konnte nicht anders, als das Buch aufzuschlagen, und blickte auf die Widmung. Sei mutig, stand dort.

„Sei mutig“, flüsterte ich hörbar und klappte das Buch zu, bevor ich es noch durchblätterte. Ich war mir nicht sicher, ob ich das in der Öffentlichkeit konnte. „Die Signierstunde war gestern in der Stadt?“, fragte ich.

„In einem kleinen Buchladen in Brooklyn. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dort diese Woche noch mal eine Autogrammstunde stattfindet.“

Ich versuchte mir vorzustellen, wie er mit einem Baby im Arm die paar Straßen entlangging, die ich mal erkundet hatte, als ich mit Millie was trinken war. Ich sah ihn mit einem Stapel seiner Bücher in diesen kleinen Buchladen gehen und fragte mich, ob er für die Kinder daraus vorlas oder ob er nur die Bücher signierte. Obwohl ich ihn erst vor einem Monat auf der Hochzeit unserer gemeinsamen Freunde gesehen hatte, hatte die Zeit sein Gesicht verschwimmen lassen. Wenn ich allein war und mich irgendetwas an ihn erinnerte, zum Beispiel ein Lied, das wir beide mochten, oder ein Film, den wir gemeinsam gesehen hatten, schloss ich die Augen und versuchte mir in Erinnerung zu rufen, wie er in jenen Nächten ausgesehen hatte, als wir allein gewesen waren. Das tat ich nur, wenn es mir nichts ausmachte, in ein tiefes Loch zu fallen, was derzeit nur selten der Fall war.

In solchen Nächten versuchte ich mich zu erinnern. An seinen ausgeprägten Adamsapfel, die Kontur seines Kiefers, seine vollen Lippen, die hohen Wangenknochen, die Lachfältchen um seine grauen Augen und die langen Wimpern. In manchen Nächten gelang es mir besser. Vor langer Zeit waren mir beim Heraufbeschwören dieser Bilder zwei Dinge klar geworden: Was ich am meisten vermisste, war nicht seine physische Erscheinung. Nicht seine starken Arme oder wie er sie um mich geschlungen hatte und ich mich darin sicher fühlte. Sicherheit war nur eine Illusion. Dessen wurde ich mir an dem Tag bewusst, als er ging. Ich vermisste aber, wie wir uns ansehen konnten und dabei genau wussten, was der andere sagen wollte. Ich vermisste es, jemanden zu haben, der mich verstand und der mir das Gefühl gab, umsorgt zu werden. Am meisten vermisste ich jedoch den ganzen Spaß, den wir zusammen hatten.

Doch all das verbitterte mich auch, die Fehler, die er begangen hatte, die Fehler, die ich begangen hatte. Und es war einfach zu viel, jetzt sein Buch zu sehen, mit meinem Namen vorne drauf. Vielleicht wäre das nicht so, wenn ich es zu Hause gesehen hätte. Vielleicht hätte ich anders reagiert, wenn Estelle mir davon erzählt hätte. Aber so ohne Vorwarnung? Meine Nerven waren sowieso schon überstrapaziert, allein durch den Gedanken, ihn möglicherweise in einer Stadt zu treffen, die eher seine als meine war. Kein Wunder, dass mich diese Konfrontation aus dem Gleichgewicht brachte, das ich in meinem Kopf geschaffen hatte, wenn es um uns ging … Das hier war schlichtweg zu viel.

Sobald die Bahn wieder hielt, drängelte ich mich hinaus und flitzte zum gegenüberliegenden Gleis, um zur verpassten Station zurückzufahren. Als ich in die andere Bahn stieg, versuchte ich vergeblich, die Gedanken an das Buch abzuschütteln. Ich hätte gern Estelle oder Rob angerufen, aber durch das Chaos in meinem Kopf wäre ich nicht dazu in der Lage gewesen, mich vernünftig auszudrücken, also ließ ich es. Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich noch genau acht Stunden Zeit hatte, mich vorzubereiten und durchzudrehen, bevor ich ihn sehen würde. Mir schnürte sich die Kehle zu, und ich legte eine Hand auf mein pochendes Herz. Ich war mir nicht sicher, ob ich es jetzt ertragen konnte, ihm zu begegnen, nachdem ich sein Buch gesehen hatte. Ich atmete tief durch. Acht Stunden. Acht Stunden blieben mir, mich wieder in den Griff zu kriegen, bevor ich Fran und die anderen Kollegen treffen musste.

Jensens Woche

Ich bekomme viele Nachrichten mit der Frage, was man in New York gesehen haben muss, wenn man mit Kindern unterwegs ist. Von den üblichen Verdächtigen (Freiheitsstatue, Empire State Building usw.) abgesehen, empfehle ich den Zoo in der Bronx. Letzte Woche war ich dort mit meiner Tochter, und sie war total begeistert (ich übrigens auch). Am nächsten Abend erzählte ich meinem Date davon, und sie selbst war noch nie dort gewesen. Was mich nicht überrascht, weil wir Menschen immer unterwegs sind und uns kaum Zeit für Ausflüge nehmen, erst recht nicht in unserer eigenen Stadt. Darüber denke ich nach, seitdem ich hier bin, und ein Freund von mir, gebürtig aus Brooklyn, erzählte, dass er noch nie auf Ellis Island war. Das konnte ich erst gar nicht glauben, aber nachdem ich einen Monat hier gelebt habe, verstand ich es. Wir haben keine Zeit. Nein, ich korrigiere, wir nehmen uns keine Zeit für solche Sachen. Und ich habe es begriffen. Man hat einen freien Tag und erledigt Dinge im Haushalt. Oder falls nicht, macht man irgendetwas, um abzuschalten. Man kommt gar nicht auf die Idee, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Liebe New Yorker, ich will nicht, dass ihr sterbt, ohne diesen Sehenswürdigkeiten einen Besuch abgestattet zu haben. Während ihr vor lauter Hektik und Trubel gar nichts mehr seht, sind all diese wunderbaren Orte direkt vor eurer Nase. Ihr müsst nur hin und wieder die Augen aufmachen!

Und die Moral von der Geschichte: Augen auf!

Frage des Tages: von @AmandaLovs2Read: „Welches Buch muss man deiner Meinung nach unbedingt gelesen haben? Welche Bücher empfiehlst du?“

Antwort: Ich liebe Kunst und Fotografie. Ich war mal mit einem Mädchen zusammen, das die schönsten Aufnahmen machte, die ich je gesehen habe. Ich mag Patrick Zephyr. Seine Fotos erinnern mich daran, einen Moment innezuhalten und die Natur zu genießen. Außerdem schätze ich die Arbeiten von M. C. Escher.

4. Kapitel

Acht Stunden reichten für nichts, noch nicht einmal, um meine Nerven zu beruhigen, weil ich mich wegen möglicher Situationen verrückt machte, falls er zum Beispiel auch dort sein würde … oder nicht. Schlimmer war nur, dass ich mir nicht sicher war, ob ich wollte, dass er dort wäre, oder eben nicht. Wenn ja, würde ich es schon irgendwie überstehen. Schnell und schmerzlos, wie man so sagte. Wenn er nicht käme, könnte ich weiterhin in einer Welt leben, in der es ihn gar nicht gab. Ich zog mich so an, wie man es eben tat, wenn die Gefahr bestand, seinem Ex über den Weg zu laufen: meine beste Jeans, ein süßes fließendes Oberteil, das ich auf meiner fehlgeschlagenen Shoppingtour erstanden hatte, und Stiefel mit mörderischen Absätzen, die mich mit meinen knapp 1,60 Meter mindestens zehn Zentimeter größer machten. Ich schaffte zwanzig Schritte – bis an die Ecke, bevor ich mich selbst für die Kleiderwahl tadelte. Einerseits wusste ich, dass ich heiß aussah. Andererseits hätte ich mich am liebsten dafür erwürgt, dass ich die Schuhe noch nicht eingelaufen hatte.

Als ich schließlich an der kleinen Kneipe ankam, die Fran mir als Treffpunkt genannt hatte, versuchte ich, von außen durch die beschlagene Scheibe einen Blick hinein zu erhaschen. Nach ein paar Augenblicken atmete ich tief ein, dann noch einmal und öffnete die Tür. Die Energie, die durch meinen Körper strömte, hätte gereicht, um ganz Brooklyn mit Strom zu versorgen. Fran entdeckte mich und winkte mir zu, als ich mir gerade die Jacke auszog. Ich lächelte sie an, legte die Jacke über meinen Unterarm und ging zu ihrem Tisch. Außer ihr saßen dort noch vier weitere Personen, und als ich mich näherte, spürte ich mein Herz rumoren. Er saß mit dem Rücken zu mir, und obwohl er eine Beanie-Mütze trug und ein kurzärmeliges marineblaues Karohemd die meisten seiner Tattoos verdeckte, hätte ich ihn überall wiedererkannt. Mit der rechten Hand hielt er eine Bierflasche – Stella, seine Lieblingssorte. Ich erkannte die Totenkopftätowierung auf seinem Zeigefinger und das unvollendete Unendlichkeitszeichen zwischen Daumen und Zeigefinger, das er sich hatte stechen lassen, als wir zusammen waren. Damals hatte er mir ewige Liebe geschworen und gesagt, er würde das Tattoo erst dann zu Ende stechen lassen, wenn ich ihm dasselbe schwor.

Ich biss die Zähne zusammen und bemühte mich, nicht die Augen zu verdrehen. Ewige Liebe. Aber sicher doch. Irgendwie arbeiteten meine Füße und mein Kopf Hand in Hand und brachten mich vorwärts zum Tisch. Fran stand auf, und drei Köpfe drehten sich zu mir, die ich nicht beachtete, sondern weiterhin nur Fran ansah.

„Mia!“, rief sie und zog mich zu sich. „Das ist Mia. Mia, das sind Anabelle, Ross und Jensen.“

Ich löste den Blick von ihr, um Anabelle zu betrachten. Sie war schlank, hatte schönes dunkles Haar, sah ein wenig exotisch aus und lächelte mich herzlich an. Ich lächelte zurück und sagte Hallo. Danach blickte ich zu Ross, einem rothaarigen Typen mit passendem Vollbart. Dann machte ich mich bereit für die letzte Person. Jensen. Neugierig schaute er mich an, studierte jeden meiner Gesichtszüge, als wäre ich ihm ein Rätsel. Als wüsste er nicht ganz genau, wie ich aussah. Nach zwei langen Herzschlägen verzogen sich seine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln.

„Da Jensen heute Geburtstag hat, gebe ich eine Runde aus“, sagte Fran, als wir Platz nahmen. Ich setzte mich neben sie und gegenüber von Jensen.

Mein Blick verlor sich augenblicklich in seinem. Würde er ihr sagen, dass wir uns kannten? Ich würde es ums Verrecken nicht tun. Schließlich war ich eh der Meinung, dass wir uns überhaupt nicht kannten. Eigentlich war nichts daran, wie er mich musterte, ungewöhnlich: Langsam ließ er den Blick von meinen Augen hinab zu meinen Lippen über meine Brust und wieder zurück wandern, und mir wurde ganz heiß. Sie musste wissen, dass wir uns nicht fremd waren. Irgendwer wusste es bestimmt. So musterte man niemanden in der Öffentlichkeit, den man nicht kannte, es sei denn, man wollte Sex mit ihm. Wehe, wenn er das auch nur versuchte. Er zog eine Augenbraue hoch, und ich hörte auf, ihn anzustarren, und widmete mich wieder Fran.

„Tja, dann sollte ich wohl mit anstoßen.“ Wie die anderen hob ich das kleine Glas zum Mund, und wir tranken alle auf ex. Jensens Schmunzeln zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Vielleicht sollten wir noch eine Runde bestellen. Ich weiß, dass heute noch jemand Geburtstag hat.“

Ich riss die Augen auf. Dann würde er es ihnen also doch sagen.

„Ach, ich brauch keinen Vorwand, um mich zu betrinken“, sagte Ross lachend, während er dem Barkeeper ein Zeichen gab, noch eine Runde zu bringen.

„Ich auch nicht“, stimmte ich ihm grinsend zu.

Nach dieser Runde bestellte jeder sein eigenes Getränk, und Fran erzählte mir Geschichten über Anabelle, Ross und Jensen. Anabelle und Ross arbeiteten Vollzeit. Jensen war freier Mitarbeiter, wie noch jemand anders, der heute aber keine Zeit hatte. Neben der Arbeit als Journalist schrieb Ross auch Science-Fiction-Romane.

„Aber die wirst du nirgends finden, weil sie nicht verkauft werden … noch nicht“, fügte er hinzu.

„Wir können ja nicht alle wie Jensen sein“, erklärte Anabelle und lachte, als dieser die Augen verdrehte.

„Er schreibt Kinderbücher. Und er hat sonntags eine Kolumne in der Zeitung“, erklärte mir Fran.

Ich nickte. „Beeindruckend.“

Um Jensens Mundwinkel zuckte es verräterisch. „Beeindruckend ist es nur, wenn das alles auch gut ist, was ich bezweifle.“

„Immer auf der Jagd nach Komplimenten“, sagte Ross. Plötzlich hielt er inne und sah mich einen Moment zu lange an. „Dir würden seine Bücher gefallen. Die Hauptfigur heißt Mia.“

Ich spürte, wie ich ganz blass wurde, aber ich grinste und lachte leise, was hoffentlich weniger gekünstelt klang, als es sich anfühlte. Nach einem weiteren Schluck von meinem Cranberry-Wodka entschied ich, ich sei nun lange genug hier gewesen, um mal zur Toilette zu verschwinden. Ich stand in einem schlecht beleuchteten Gang vor der Tür, als er neben mir auftauchte. Sein reiner, würziger Duft vernebelte mir die Sinne. Nervös rang ich die Hände und presste die Kiefer aufeinander. Ich fühlte mich wie eine Kämpferin im Ring, die bereit ist, sich auf den Gegner zu stürzen.

„Wie gefällt dir New York?“, fragte er, und seine Stimme glich einem tiefen Grollen.

Im Stillen zählte ich bis zehn, bevor ich antwortete. „Ganz gut.“

„Wo bist du untergekommen?“

Ich blickte wieder zur Tür, bereit, sie zu öffnen. „Millies alte Wohnung.“

„In der Stadt?“

Ich nickte und verschränkte die Arme, damit sich meine Gänsehaut nicht noch mehr ausbreitete. Seine Stimme war zu nah. Er war mir zu nah. Ich war nicht aus Stein und hatte gewusst, dass ich so auf ihn reagieren würde.

„In Chelsea, oder?“

Erneut nickte ich.

„Schön. Wundert mich, dass du nicht nach Brooklyn gezogen bist. Das wäre näher zu ihrer jetzigen Wohnung.“

Erstaunt schaute ich auf. Und auch näher zu deiner Wohnung. Ich fragte mich, ob er meine Gedanken lesen konnte, wie früher. So wie er ausatmete und sich mit den Fingern durch die Haare fuhr, war ich mir nicht sicher. Anscheinend hatten wir beide den Kontakt zueinander verloren.

„Na ja, Brooklyn kann ich mir nicht leisten.“

Er zog eine Augenbraue hoch, erwiderte aber nichts. Musste er auch gar nicht. Ich wusste, was er dachte. Deine reichen Eltern konnten dir bei der Miete nicht unter die Arme greifen? Als wir zusammen gewesen waren, war das immer die Kluft zwischen uns gewesen. Er hatte geglaubt, meine Eltern konnten ihn nicht leiden, weil er kein Geld hatte und aus der falschen Gegend kam. In Wirklichkeit konnten sie ihn nicht leiden, weil er einen schlechten Ruf hatte und eine Harley fuhr. Aber Jensen war unsicher. Er hatte geglaubt, sie hätten ihn akzeptiert, wenn er nur Geld gehabt hätte. Es hatte mich ohne Ende genervt.

„Ignorierst du mich die ganze Zeit, die wir zusammenarbeiten?“, wollte Jensen wissen. Der Missmut in seiner Stimme machte es fast unmöglich, meinen eigenen im Zaum zu halten.

„Wir müssen nicht zusammenarbeiten! Ich schicke dir die Fotos per Mail, du schreibst die Geschichte. So hat es Fran doch gesagt, oder?“

„Und wenn ich die Leute interviewen will, während du die Fotos machst?“

Ich trat einen Schritt zurück. „Das … das ist eine ganz blöde Idee.“

„Warum?“, fragte er. Sein Blick verursachte mir eine Gänsehaut – genau darum! Immer wenn er mich so ansah, als wäre ich etwas Besonderes, als wäre ich der Hauptpreis, den er gewinnen wollte, schmolz ich dahin. Und außerdem wollte ich ihn einfach nur weiterhin hassen, aber wenn ich länger als fünfzehn Minuten in seiner Nähe war, war das schier unmöglich.

„Das weißt du genau!“

„Weiß ich nicht“, erwiderte er und befeuchtete sich die Lippen. Mein Blick blieb dort hängen, an seiner vollen Unterlippe, und ich erinnerte mich daran, wie sie sich auf mir anfühlte, überall auf mir.

Ich schluckte, zeigte auf ihn und mich und in Richtung der Kneipe. „Du hast gerade so getan, als würdest du mich nicht kennen.“

„Du doch auch.“ Er hielt inne, seine Augen verengten sich, während er scheinbar etwas abwägte. „Du wusstest, dass ich für diese Zeitschrift arbeite.“

„Worauf willst du hinaus?“, fragte ich und bemühte mich, nicht wütend zu klingen.

„Womöglich hast du ja damit gerechnet, mich zu sehen.“

„Viele Leute schreiben für diese Zeitschrift.“ Ich sah zur Seite, weil ich seinem Blick nicht standhalten konnte.

„So oder so, du hast auch getan, als würdest du mich nicht kennen.“

„Ich habe mich nur dir angepasst!“, konterte ich.

„Du bist nach mir gekommen und hättest sagen können: ‚Hey, Jensen. Schön, dich wiederzusehen.‘“

„Das wäre aber gelogen!“

Er seufzte laut und fuhr sich durch die Haare. „Weißt du was? Es ist okay. Seit fünf Jahren ignorierst du mich und tust so, als würdest du mich nicht kennen. Ich mache das ein Mal, und du gehst direkt an die Decke?“

Ich schloss die Augen, schüttelte den Kopf und stieß einen missbilligenden Laut aus.

„Du bist ja wohl die gefrustetste Person, die mir je über den Weg gelaufen ist.“

„Das kann ich direkt zurückgeben.“

„Na dann. Hau ab, und lass mich in Ruhe pinkeln“, giftete ich und ging in die Toilette, als gerade ein Mädchen rauskam.

Als ich fertig war, war Jensen nicht mehr da, und ich war erleichtert, zumindest die zehn Sekunden, die ich von der Toilette bis zurück in die Kneipe brauchte. Sobald ich um die Ecke kam, schnellte sein Kopf hoch. In dem langen Augenblick, in dem unsere Blicke sich ineinander verfingen, spürte ich, wie er nach mir griff, seine langen Arme wie Tentakel, die nach meiner Aufmerksamkeit langten und sie festhielten. Meine Füße hätten auch über den Boden gleiten können, denn ich wusste nicht, wie ich zu meinem Stuhl gelangte. Auch hatte ich keine Ahnung, was ich gefragt wurde oder was ich antwortete, weil meine ganze Aufmerksamkeit ihm galt.

„Du surfst also?“, fragte Ross. „Mia. Surfst du?“

Ich blinzelte, um mich zu beruhigen, und sah zu ihm. Aus seinen grünen Augen blickte er mich erwartungsvoll an. Ich nickte.

„Ich meine, richtig surfen. Nicht paddeln oder so.“

Ich lachte. „Ja, ich surfe richtig, mit einem Surfbrett, auf dem ich mit meinen Armen hinauspaddele und dann auf dem Brett stehe und die Wellen reite.“

„Alter Schwede!“ Er pfiff beeindruckt.

Ich zuckte mit den Schultern. „So ist das nun mal in Kalifornien.“

„Vermisst du es?“

„Oh ja.“

„Du bist noch gar nicht lange genug hier.“ Diese Worte kamen von Jensen und ließen mein Herz hüpfen. Erneut trafen sich unsere Blicke. Meiner war herausfordernd, seiner explosiv.

„Zu Hause ist es nun mal am schönsten.“

Er trank einen Schluck Bier, wobei er die Augen nicht von mir ließ. „Zu Hause ist dort, wo man es sich erschafft.“

Ich schaute weg und hoffte, so auch die starke Spannung zwischen uns zu entschärfen. Ob alle anderen auch diese knisternde Atmosphäre bemerkten? Unsere Freunde hatten gesagt, dass sie die sexuelle Anziehung zwischen uns schon gespürt hatten, bevor wir offiziell zusammengekommen waren. Das war zwar nicht dasselbe, aber trotzdem. Ich hasste ihn, hätte ihn am liebsten erwürgt und wusste, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Zumindest heute Abend. Später unterhielten wir uns über Kaffee, und Jensen und Ross diskutierten darüber, welches Café in Brooklyn besser war. Im Kopf machte ich mir Notizen, beteiligte mich aber nicht an dem lebhaften Gespräch.

Wir bestellten einen letzten Drink, bevor wir zum Ende kamen. Jeder musste noch irgendwohin. Ross wurde von seiner Freundin zu Hause erwartet, auf Anabelle warteten Mann und Kinder, Fran war mit einem Freund verabredet, und Jensen sagte nicht, was er vorhatte, aber es fragte auch niemand.

„Mia, dein erstes Shooting ist nächsten Dienstag, oder?“, erkundigte sich Fran, als wir hinausgingen.

„Ich glaube, ja.“

Sie nickte knapp. „Ich werde nicht da sein, deshalb solltest du mit den anderen Telefonnummern austauschen, falls einer von ihnen dabei sein und die ersten Interviews führen möchte.“

„Klar doch!“ Anabelle und Ross gab ich gern meine Nummer, bevor sie sich verabschiedeten. Als Jensen mir das Handy aus der Hand nahm, streiften seine Finger meine. Mein Herz raste. Seine Berührung spürte ich überall.

„Ich schaue wahrscheinlich am Freitag vorbei“, sagte er, während unsere Hände sich weiter berührten und er mich lange und intensiv ansah, sodass ich schwer schlucken musste, um mich zu beruhigen.

„In Ordnung“, erwiderte ich leise, mein Selbstbewusstsein von vorhin war ein wenig angeknackst.

„Ich ruf dich an“, sagte er. Seine raue Stimme ging mir durch und durch. Dann ließ er mich los, und ich umklammerte krampfhaft mein Handy. Ich wandte mich zum Gehen, damit er nicht sah, welche Wirkung er immer noch auf mich hatte.

„Ach, Mia?“

Ich sah über die Schulter. Dort stand er, die Hände in den Jackentaschen, die Haare wehten leicht im Wind, sein Blick ruhte auf mir.

„Alles Gute zum Geburtstag.“

Ich spürte, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen stahl. „Alles Gute zum Geburtstag, Jensen.“

Nun drehte ich mich wirklich um. Ich musste weg, bevor ich das Buch erwähnte, und ich wusste, das würde ich tun. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken, bevor ich auf das Thema zu sprechen kam. Wenn das überhaupt jemals geschehen sollte, denn es würde nicht gut ausgehen. Da war ich mir sicher. Kopfschüttelnd rief ich Millie an und ging zu der Kneipe, in der sie mit ihrem Verlobten war. Den Rest des Abends würde ich mich einfach nur entspannen.

Jensens Woche

Letzte Woche hatte ich Geburtstag, und zur Feier des Tages brachte meine Tochter einen Tintenfischkuchen mit. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass ihre Mutter versucht hat, sie zu überzeugen, dass ein ganz normaler Meereskuchen reichen würde, aber sie bestand auf dem Tintenfisch. Ist ja wohl klar, dass das bislang mein bester Geburtstag war.

Müsste ich dieser Kolumne eine Überschrift geben, wäre es wohl entweder „Was zum Geier“ oder „IRONIE“, denn nachdem ich Zeit mit meiner Tochter verbracht und etwas mit meinem Chef Jeff getrunken hatte, traf ich mich mit ein paar Freunden in einer Kneipe namens Reunion. Während ich dort mit meinem Kumpel Ross über Restaurantempfehlungen im Internet diskutierte, kam die Liebe meines Lebens herein. Manche würden wohl „College-Liebelei“ oder „Highschool-Schätzchen“ sagen, aber für mich war sie nun mal die Liebe meines Lebens, obwohl wir streng genommen erst in ihrem ersten Jahr am College miteinander gegangen sind.

Das „Was zum Geier“ bezieht sich also darauf, wie sie durch die Tür schlenderte, um etwas mit meinen Freunden zu trinken. Die „IRONIE“ daran war, dass die Kneipe Reunion hieß und auch noch eine Surferkneipe war. Surfen haben wir beide geliebt, damals, zu Hause.

Sie hat auch noch am selben Tag Geburtstag wie ich. Wenn ihr meinen Blog verfolgt, wisst ihr das bereits, denn jedes Jahr gratuliere ich ihr und ihrem Zwillingsbruder Rob zum Geburtstag. Ja, DIESES MÄDCHEN. Und ich kann vermelden, dass dieses Gefühl in meiner Magengrube, immer wenn sie mich ansieht, weiterhin da ist. Darüber später mehr – wenn sie mir vielleicht wieder freundlicher gesinnt ist und mir nicht jedes Mal eine reinhauen will, sobald ich nur den Mund aufmache, um irgendwas zu ihr zu sagen.

Reunion: Daumen hoch!

Wenn ihr nach einer hipperen Variante des Margaritaville sucht, seid ihr hier genau richtig!

Frage der Woche von: @FrogsLive: „Glaubst du an Seelenverwandtschaft?“

Antwort: Ja.

5. Kapitel

Fotografie ist eine einsame Kunst. Das war einer der Gründe, der mich zu ihr geführt hatte. Newsweek wusste das aber offensichtlich nicht. Und Jensen auch nicht. Den gefürchteten Anruf von ihm erhielt ich am Montagnachmittag. Ich kam gerade aus dem Yogastudio, als das Handy in meiner Hand vibrierte und mir eine Nummer mit der Vorwahl 805 angezeigt wurde. Ich starrte jede Ziffer an, als bestünde die Möglichkeit, dass sie sich doch noch veränderte. Diese Telefonnummer verfolgte mich in durchzechten Nächten und Momenten der Unsicherheit. Eine Nummer, die ich mir geschworen hatte, nie wieder zu wählen. Es vibrierte viermal in meiner Hand, bevor ich ranging.

„Hey“, erwiderte er meine Begrüßung.

Als ich seine Stimme hörte, machte mein Herz einen Satz. Es war eine Ewigkeit her, dass ich ihn am Telefon gehabt hatte.

„Morgen mache ich die Fotos im Central Park“, sagte ich nach einer kurzen Pause.

„Wann? Und wo?“

„Halb neun. Und wie gesagt im Central Park.“

Sein volles Lachen drang durch die Leitung. „Warst du schon mal im Central Park?“

Ich hielt kurz inne, runzelte die Stirn. „Natürlich.“ Als ich fünf war, aber das musste er ja nicht wissen.

„Gut, dann weißt du ja, wie groß er ist.“

„Selbstverständlich.“ Es war ein Park. Wie groß konnte er schon sein? Ich hatte ihn schon unzählige Male im Fernsehen gesehen, und jeder durchquerte ihn recht schnell.

„Okay, dann gib mir Bescheid, wenn du weißt, wo genau im Central Park ich dich treffen soll.“

„Mach ich. Ich schaue dort heute mal vorbei und sehe mir ein paar Ecken an.“

Er räusperte sich. „In Ordnung. Viel Erfolg. Bis bald!“

Es war alles so unangenehm, so unpersönlich – wie er mit mir redete, als sei ich bloß eine Kollegin und nicht jemand, mit dem er mal geschlafen hatte. Ich sagte mir, dass ich das ja so wollte. So brauchte.

Nachdem ich später am Tag eine gute Stelle im Park gefunden hatte, nahm ich den Zug nach Brooklyn. Ich schlenderte umher, entdeckte ein Café und ging hinein. Als ich gerade darauf wartete, dass der Barista mein Getränk zubereitete, entdeckte ich Jensen in einer Ecke an einem der Tische. Er saß mit dem Rücken zu mir, weshalb ich zweimal hinschauen musste, um sicher zu sein, dass er es war. Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich das Tattoo auf seinem linken Arm erblickte: ein Tintenfisch, der seinen Arm umklammerte. Schnell drehte ich mich weg, wie ein Kind, das etwas falsch gemacht hatte.

Es war ja nun nicht so, dass Brooklyn ihm ganz allein gehörte. Oder dieses Café. Ich konnte hingehen, wohin ich wollte. Stirnrunzelnd hielt der Barista einen Pappbecher in der Hand und drehte ihn auf der Suche nach einem Namen.

„Mia!“, rief er.

Ich riss die Augen auf, schnappte mir den Becher, murmelte ein Danke und verdrückte mich ganz schnell. Ich atmete kaum und trank auch erst, als ich wieder im Zug saß. Sobald mein Hintern den Sitz berührte, atmete ich so gedehnt und erleichtert aus wie noch nie, nahm den Kaffee in beide Hände und genoss jeden Schluck, bis er alle war. Ich konnte nicht glauben, dass ich Jensen gesehen hatte. Unfassbar. Ob er dort wohl täglich hinging? Der Kaffee wäre es auf jeden Fall wert. Vielleicht würde ich auch noch mal dort vorbeischauen … nur für einen weiteren Kaffee.

Autor

Claire Contreras

Die New York Times-Bestsellerautorin...

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