Neun Monate nach jener einen Nacht ...

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„Jack, kannst du ins Krankenhaus kommen?“ Die schwache Stimme am Ende der Leitung alarmiert Jack Livingstone. Nach einer heißen Liebesnacht vor neun Monaten verschwand die atemberaubend schöne Harper Swan spurlos aus seinem Leben. Bis jetzt! Dabei hat der attraktive Milliardär und Hotelier nie vergessen, wie fantastisch es war, sie in seinen Armen zu halten. Warum ist seine Ex-Affäre im Krankenhaus? Hatte sie etwa einen Unfall? Er rast zu ihr. Doch nichts hat ihn darauf vorbereitet, was ihn erwartet: Harper liegt in den Wehen – er wird Vater!


  • Erscheinungstag 18.04.2023
  • Bandnummer 2592
  • ISBN / Artikelnummer 0800232592
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Harper lag schweißgebadet auf der Liege der Notaufnahme. Musste sie sterben? Der quälende Schmerz in ihrem Rücken, der vor drei Tagen begonnen hatte, wurde immer schlimmer. Er breitete sich bis in ihren Unterleib aus – sie konnte kaum atmen.

War es Endometriose? Oder … oder Krebs? Sie war erst siebenundzwanzig – wie konnte sie an Krebs sterben? Es gab noch so viel zu tun. Ihre Karriere nahm gerade Fahrt auf. Sie hatte einen Vertrag für einen Bildband mit ihren Fotos abgeschlossen – Fotos, die sie erst in sechs Wochen in Paris machen musste. Jetzt war ganz eindeutig der falsche Zeitpunkt für eine unheilbare Krankheit.

Ganz allmählich ließ der Schmerz nach wie eine sich zurückziehende Flut. Harper fiel zurück auf das Kissen und atmete zitternd aus. Aber sie wusste, dass der Schmerz zurückkommen würde. Die Zeitspanne zwischen den Krämpfen wurde immer kürzer.

Bis jetzt hatte sie nur ein Assistenzarzt untersucht, und Harpers Symptome schienen ihn irgendwie zu überraschen. Er hatte eine Blutprobe entnommen und Harper mitgeteilt, dass ein Arzt zu ihr kommen würde, sobald die Testergebnisse vorlagen.

Während Harper auf den Arzt wartete, schloss sie die Augen und versuchte zu meditieren. Nicht dass Meditieren jemals ihre Stärke gewesen wäre. Ihr einziger Besuch in einem Wellness-Tempel hatte sie nur nervös und unruhig gemacht, während alle anderen ihre Chakren besangen, reinigten und wieder ins Gleichgewicht brachten.

Ihre Chakren waren offensichtlich nicht mehr zu reparieren. Und was ihren Verstand betraf? Er stand fast nie still, aber das führte sie auf ihre unbeständige Kindheit zurück. Ihre Zeit in ständig wechselnden Pflegefamilien hatte sie überaus wachsam gemacht. Ein fremdes Geräusch, ein Schritt, und sie war sofort hellwach und aufmerksam.

Die Notaufnahme war mit den üblichen Dramen einer Samstagnacht beschäftigt. Einige Kabinen weiter hörte sie ein Husten. Kein einfaches Erkältungshusten, sondern eins, das auf eine schlimme Lungenerkrankung wie zum Beispiel Krebs hindeutete.

Krebs.

Warum konnte sie nicht aufhören, an das K-Wort zu denken?

In einer anderen Kabine schrie ein Mann nach mehr Morphium. Harper fragte sich, ob er an derselben Krankheit litt wie sie. Vielleicht waren die Frauen der Swan-Familie nicht dazu bestimmt, älter als dreißig zu werden. Ihre Mutter war jung gestorben, ihre Großmutter auch.

Wieder zog sich der Schmerz wie ein eisernes Band um ihren Unterleib. Schweiß strömte über ihr Gesicht. Sie biss die Zähne so fest zusammen, dass sie glaubte, ihre Backenzähne knirschen zu hören. Aber hey, wenn sie sowieso bald sterben würde, was machte es schon, wenn ihr alle Zähne ausfielen?

Ich will nicht sterben!

Wie ein Schrei schossen ihr die Worte durch den Kopf, als wäre ein Panikknopf in ihrem Inneren gedrückt worden, eine durchdringende Sirene der Verzweiflung, die nur sie selbst hören konnte.

Jetzt wurde der Vorhang beiseitegeschoben, und eine ältere Ärztin trat an ihre Liege. Sie legte eine Hand auf Harpers Handgelenk, ihr Gesichtsausdruck wirkte ernst.

„Wartet Ihr Partner draußen?“

„Ich habe keinen Partner.“

„Aha. Und Ihre nächsten Angehörigen? Ihre Mutter?“

„Meine Mutter ist gestorben, als ich acht war.“ Inzwischen konnte Harper die Worte gelassen aussprechen, aber das hatte sie auch jahrelange Übung gekostet.

Jahrelang hatte sie ihre wahren Gefühle hinter einer Maske der Gleichgültigkeit versteckt. Jahre, in denen sie versuchte, das Bild ihrer Mutter zu verdrängen, wie sie leblos auf dem Boden ihres kleinen Schlafzimmers gelegen hatte, als Harper an jenem schicksalhaften Tag von der Schule nach Hause gekommen war. Später als sie hätte nach Hause kommen sollen. Wenn sie auf dem Heimweg nicht angehalten hätte, um mit einem streunenden Kätzchen zu spielen …

„Und Geschwister?“

„Ich bin Einzelkind.“ Was genau genommen nicht ganz stimmte.

Harper hatte mehrere Halbgeschwister. Aber sie hatte sie nie kennengelernt, weil ihr Vater nicht wollte, dass sein schmutziges kleines Geheimnis aufgedeckt wurde und seine Frau und die Kinder von seinem heimlichen Kind mit der Geliebten erfuhren.

,Geliebte‘ war ein bisschen übertrieben. Ihr Vater hatte Harpers Mutter nicht geliebt. Er hatte sie benutzt, hatte sich mit ihr die Langeweile seiner Ehe vertrieben und sie verlassen, als sie schwanger war.

„Harper …“ Die Stimme der Ärztin klang sanft, als würde sie sich darauf vorbereiten, eine schockierende Nachricht zu überbringen.

„Schon gut, Dr. Praneesh“, sagte Harper und lächelte bitter. „Sie können ehrlich zu mir sein. Es ist Krebs, nicht wahr?“

Dr. Praneesh runzelte die Stirn. „Nein, Sie haben keinen Krebs.“ Sie befeuchtete ihre Lippen und fuhr fort: „Sie sind schwanger.“

Harper blinzelte. Ihr Herz hämmerte gegen den Brustkorb. „Ich … ich kann unmöglich schwanger sein.“

War das eine Art Halluzination? Ein schlechter Traum? Wie könnte sie schwanger sein, ohne es zu wissen? Und noch wichtiger – ohne dass man es sehen konnte? Sicher, sie war nicht gerade die schlankste Frau der Welt, aber sie war ganz bestimmt in der Lage, einen Babybauch zu erkennen.

„Wann hatten Sie das letzte Mal Geschlechtsverkehr?“

„Äh … vor Monaten.“

„Neun Monaten?“

Im Kopf rechnete Harper nach, während sie versuchte, ihre wachsende Besorgnis zu unterdrücken. Ihr One-Night-Stand mit Jack Livingstone.

Aber wie konnte sie von diesem Playboy schwanger sein? Sie befand sich in ihrem schlimmsten Albtraum. Wie sollte sie es ihm sagen? Wie könnte sie mit einem Baby in den Armen bei ihm auftauchen?

Wie könnte sie Jacks Baby bekommen? Ein Baby von irgendjemandem?

Sie hatte nie vorgehabt, Kinder zu bekommen. Sie war nicht der mütterliche Typ. Sie war eine Karrierefrau. In ihrem Leben war kein Platz für ein Baby. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, wann sie je ein Baby auf dem Arm gehalten hatte.

„Ja, aber das ist lächerlich. Ich … ich habe danach jeden Monat pünktlich meine Periode bekommen.“ Sie sah auf ihren leicht gerundeten Bauch hinunter, als die Schmerzen wieder einsetzten. „Oh Gott, da fängt es schon wieder an.“ Sie ergriff die Hand der Ärztin so fest, dass Dr. Praneesh zusammenzuckte.

„Sie haben Wehen, Harper. Anscheinend hatten Sie eine versteckte Schwangerschaft. Das kommt nicht so selten vor, wie man vielleicht denkt – eine von zweitausendfünfhundert Schwangerschaften in Großbritannien, das sind etwa dreihundert pro Jahr.

Sie können immer noch jeden Monat eine leichte Periode haben und keine anderen Schwangerschaftssymptome oder jedenfalls keine, die Sie unbedingt bemerken. Ich muss Sie untersuchen, um zu sehen, wie weit die Geburt fortgeschritten ist.“

„Geburt …“ Harper schluckte panisch. „Wollen Sie sagen, ich bekomme ein Baby? Jetzt?“ Ihr panischer Schrei konkurrierte mit der Lautstärke des Morphium-Mannes in Kabine sechs.

„Ihre Wehen liegen zehn Minuten auseinander, also dauert es jetzt nicht mehr lange. Was Sie der Schwester bei der Aufnahme gesagt haben, lässt darauf schließen, dass Sie schon seit einigen Tagen nicht aktive Wehen haben. Ich mache jetzt einen Ultraschall, um die Entwicklung des Babys zu überprüfen – und das Geschlecht, falls Sie es wissen möchten. Möchten Sie eine Freundin oder den Vater des Babys anrufen?“

Harper schluckte. Ihre beiden besten Freundinnen und Geschäftspartnerinnen waren verreist – Ruby hatte sich erst vor wenigen Tagen mit Lucas Rothwell verlobt und verbrachte das Wochenende mit ihm im Lake District. Aerin besuchte ihre Eltern in Buckinghamshire zum sechsunddreißigsten Hochzeitstag.

Und nur Gott wusste, wo Jack Livingstone sich gerade aufhalten mochte – bestimmt im Bett mit seinem neuesten Date in einem seiner schicken Luxushotels. Aber sie musste es ihm sagen, oder nicht?

Er war der Vater, und sie musste ihm die Möglichkeit geben, bei der Geburt dabei zu sein. Das war seine Entscheidung, ganz zu schweigen von der Entscheidung, ob er Teil des Lebens seines Kindes sein wollte.

Wie ihr eigener Vater konnte er jederzeit Nein sagen.

Jack brütete über einigen Papieren im Penthouse seines Londoner Boutiquehotels, als das Telefon auf seinem Schreibtisch summte. Als er sah, wer ihn an einem Samstagabend zu dieser späten Stunde anrief, erhellte ein Lächeln sein Gesicht.

Hatte die unerreichbare Harper Swan ihre Meinung geändert und beschlossen, ihn wiederzusehen? Wollte sie den Ohrring abholen, den sie bei ihm vergessen hatte? „Hallo.“

Er hörte ihre schweren Atemzüge. „Jack, es ist nicht einfach, dir das zu sagen … aber ich bin im Krankenhaus und …“

Kerzengerade richtete Jack sich auf seinem Stuhl auf. In seiner Brust flatterte etwas auf wie ein windgepeitschtes Segel. „Geht es dir gut? Was ist los? Hattest du einen Unfall?“

„Irgendwie …“ Harper schluckte hörbar. „Ich würde es dir gerne persönlich erklären … wenn das in Ordnung ist? Bist du gerade in London?“

„Bin ich.“ Er schob seinen Stuhl zurück und griff nach Jacke und Autoschlüssel. „In welchem Krankenhaus bist du?“

„St. Agnes. Ich liege immer noch in der Notaufnahme, aber …“

„Ich bin in ein paar Minuten da.“ Jack beendete das Gespräch und öffnete eine Schreibtischschublade. Er nahm den Ohrring heraus, den Harper nach ihrem One-Night-Stand zurückgelassen hatte, und steckte ihn in die Jackentasche. Wenigstens konnte er ihn ihr jetzt persönlich überreichen.

Jack war kein Fan von Krankenhäusern, aber irgendetwas an Harpers Anruf hatte ihn nachhaltig beunruhigt. Sie hatte die Notaufnahme erwähnt. Ein kleiner Unfall? Eine Beule am Kopf?

Wenn sie sich nach all der Zeit plötzlich entschieden hatte, ihn zu sehen, musste sie eine Gehirnerschütterung haben. Monatelang hatte sie seine Anrufe ignoriert. Obwohl er sehr enttäuscht gewesen war, hatte er das Gefühl nicht an sich herangelassen.

Er war nicht der Typ Mann, der einer Frau hinterhertrauerte. Er hatte ihre gemeinsame Nacht genossen und auf eine Affäre mit ihr gehofft, aber sie schien nicht an einer Fortsetzung interessiert zu sein.

Im Gegenteil, Harper war so darauf bedacht gewesen, ihn nicht wiederzusehen, dass sie sich sogar geweigert hatte, ihren Ohrring bei ihm abzuholen. Natürlich hätte er ihn mit der Post schicken oder in ihrem Büro abgeben können, aber er hatte ihn behalten.

Er konnte nicht erklären, warum, außer dass er ihn jedes Mal, wenn er ihn ansah, an ihre unglaubliche Nacht erinnerte.

Genauso wenig konnte Jack sich erklären, warum er seitdem mit keiner anderen Frau geschlafen hatte. Das war ganz untypisch für ihn, aber wahrscheinlich war er einfach nur zu sehr mit dem Kauf einer weiteren Immobilie in Yorkshire beschäftigt gewesen.

Während er den Rothwell-Park-Deal abschloss, hatte er keine Ablenkung gewollt. Seit Monaten wünschte er sich, das alte Herrenhaus in eins seiner Boutique-Hotels umzuwandeln, und jetzt wurde der Traum endlich Wirklichkeit.

Nicht, dass allein die Erinnerung an jede Sekunde der sinnlichen Nacht mit Harper nicht schon genug Ablenkung gewesen wäre. Er hatte es einfach nicht geschafft, sie aus seinem Kopf zu bekommen.

Lag es daran, dass sie gegangen war, ohne um ein weiteres Date zu betteln, anders als jede andere Frau bisher? Er spürte die Herausforderung, Harper für sich zu gewinnen, in seinem Blut, auch wenn er versuchte, sie zu ignorieren. Das Gefühl nagte an ihm, dass er ein Ziel nicht erreichen konnte, gescheitert war.

Ein Kästchen, das er nicht zu seiner Zufriedenheit abhaken konnte. Nicht, weil er Frauen als Trophäen ansah, sondern weil ihn Harper aus irgendeinem Grund so berührte, wie es noch keine andere Frau getan hatte.

Im Krankenhaus wurde Jack sofort von einer Krankenschwester zu Harpers Kabine in der Notaufnahme geführt.

„Hier ist sie.“ Die Krankenschwester lächelte ermutigend. „Wir warten auf den Krankenpfleger, der sie abholt. Es sollte jetzt nicht mehr lange dauern.“

Harper lag auf der Seite. Ihr Gesicht war sehr blass und schmerzverzerrt. Schweiß lief über ihr Gesicht, und in einer Hand hielt sie einen blauen Stressball, den sie so fest zusammendrückte, dass er sich zwischen ihren Fingern wie eine zerquetschte Pflaume wölbte.

Bei seinem Anblick färbten sich ihre Wangen rosig. „Jack …“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein ersticktes Flüstern, der Blick ihrer graugrünen Augen schien nicht ganz bereit zu sein, seinem zu begegnen. „Es tut mir leid …“

Jack nahm ihre freie Hand und drückte sie sanft. „Hallo du. Was ist passiert?“

„Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll …“ Sie biss sich so fest auf die Lippe, dass er Angst hatte, sie würde anfangen zu bluten. „Ich dachte, es wären Rückenschmerzen. Ich hatte keine Ahnung. Wirklich nicht. Ich wusste nicht einmal, dass es möglich ist, so etwas nicht mitzubekommen – die Zeichen nicht zu erkennen. Ich kann mich nicht an ein einziges Anzeichen erinnern.“

„Anzeichen? Wovon redest du?“

„Ich dachte, es wäre Krebs. Kannst du dir das vorstellen?“ Sie lachte selbstironisch, zog ihre Hand aus seiner und strich sich das schweißnasse Haar aus dem Gesicht. „Ich dachte, der Arzt würde mir sagen, ich hätte einen inoperablen Krebs. Dass ich im stolzen Alter von siebenundzwanzig sterben würde.“

Angst umklammerte Jacks Eingeweide wie eine Faust. „Du hast keinen Krebs … oder?“

„Nein …“ Sie biss sich wieder auf die Lippe und drückte fest auf den Stressball. Ihre Züge verzerrten sich vor Schmerz. „Ich komme mir so dumm vor. Wie soll ich das allen erklären? Aerin und Ruby? Wir haben für die nächsten zwei Monate fest gebuchte Hochzeiten, einschließlich der von Ruby und Lucas. Der Sommer ist unsere arbeitsreichste Zeit des ganzen Jahres. Ich meine, es ist wie ein böser Traum oder so. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet mir das passiert ist.“

Der Kabinenvorhang wurde beiseitegezogen, und die Krankenschwester erschien wieder. „Der Pfleger ist unterwegs, um Sie zur Entbindungsstation zu bringen.“

Entbindungsstation? Die Worte explodierten wie eine Bombe in Jacks Kopf. Bumm. Jack wirbelte so schnell zu der Schwester herum, dass er um ein Haar das Blutdruckmessgerät umgeworfen hätte.

Er streckte die Hand aus und sah, dass seine Finger zitterten. „Entbindungsstation?“ Seine Stimme klang heiser. Sein Herz hämmerte, als müsste er selbst aufgenommen werden. Auf der Herzstation.

„Ich wollte dir sagen …“ Harper verdrehte frustriert die Augen.

„Mir was sagen?“

„Ich bekomme ein Baby.“

Harper war schwanger?

Jack ließ die Worte einsinken. Sie bekam ein Baby. Ein scharfer Stich der Enttäuschung durchfuhr ihn. Harper bekam das Baby eines anderen Mannes. Nicht, dass er selbst scharf darauf gewesen wäre, eine Familie zu haben, aber trotzdem.

Harper war weitergezogen, hatte jemand anderen gefunden und war schwanger geworden. Aber was hatte das mit ihm zu tun?

Sie sah nicht aus, als wäre die Schwangerschaft schon sehr weit fortgeschritten. War sie noch in der Anfangsphase? Er wusste, dass eine Schwangerschaft bei manchen Frauen so fürchterliche Übelkeit auslösen konnte, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.

Aber warum hatte sie ihn angerufen? Er war nicht ihr nächster Verwandter, er war nicht ihr Partner – streng genommen war er nicht einmal ein Freund. Das ergab keinen Sinn.

Bestimmt hatte sie Freunde und Familie? Und was war mit ihrem Partner, dem Vater ihres Babys? Er sollte jetzt an ihrer Seite sein. Nicht Jack. Ein Gelegenheitsliebhaber, den sie ohne einen einzigen Blick zurück verlassen hatte.

„Sind Sie der stolze Vater?“, fragte die Krankenschwester Jack und lächelte ihn strahlend an.

„Nein, ich …“

„Ja“, sagte Harper. „Er ist der Vater.“

Jack starrte Harper in verblüfftem Schweigen an. Wie konnte er der Vater sein? Er hatte Harper seit Monaten nicht gesehen. Seit neun Monaten. Er hatte jeden einzelnen Monat gezählt. Er schüttelte den Kopf und fragte sich, ob er in einer seltsamen Zeitschleife gefangen war. Nichts ergab irgendeinen Sinn.

„Ich bin der Vater? Wie?“

Aber es blieb keine Zeit für eine Erklärung. Der Pfleger kam energisch herein und löste die Bremsen an der Liege.

„Erstes Baby?“, fragte die Pflegerin mit fröhlicher Stimme.

„Ja … oh …“ Harper brach ab, ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.

Jack warf der Krankenschwester einen Blick zu, die gerade Harpers Handtasche und ihr Handy vom Tisch neben der Trage einsammelte. „Können Sie ihr nichts gegen die Schmerzen geben?“

„Ich will nichts“, erklärte Harper, bevor die Krankenschwester antworten konnte. „Ich will eine natürliche Geburt.“

Jack war nicht ganz auf dem Laufenden, was Schwangerschaft und Mutterschaft betraf, aber er hatte schon von einer „natürlichen Geburt“ gehört, und es klang, als ob es extrem schmerzhaft sein könnte.

„Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, Harper“, sagte Jack und folgte ihr, als der Pfleger die Liege zum Aufzug rollte. „Niemand muss mehr unnötig leiden.“

„Ich weiß, aber ich will alles fühlen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, wirklich zu begreifen, was hier gerade passiert.“

„Das verstehe ich nicht. Du hattest neun Monate Zeit, dich darauf vorzubereiten.“

Im Gegensatz zu ihm. Jack hatte nur Minuten Zeit gehabt. Das reichte nicht aus. In seinem Kopf drehte sich alles, er war benommen, sein Puls raste, sein Herz hämmerte, während die unterschiedlichsten Emotionen ihn überraschten – vor allem aber Panik, Angst.

Er stand kurz davor, Vater zu werden. Es kam ihm wie eine Halluzination vor. Das konnte nicht möglich sein. Sie hatten Kondome benutzt. Er hatte nie einen Kinderwunsch verspürt. Dazu genoss er seine Freiheit viel zu sehr.

Warum hatte Harper ihm nicht längst vorher etwas gesagt? Warum hatte sie ihn nicht schon vor Monaten informiert? Hatte sie Angst gehabt, er würde sie zu einer Abtreibung drängen? So etwas hätte er nicht getan, aber er hätte gerne lange vor dem Tag dieser verdammten Geburt gewusst, dass er Vater wurde.

Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt.

Und so überrumpelt.

Ihm war, als würde er plötzlich zu einem Club gehören, dem er nie hatte beitreten wollen – dem Vaterschaftsclub. Einmal drin, konnte man nie wieder gehen.

„Ich hatte keine neun Monate Zeit, mich vorzubereiten“, gab Harper aufgebracht zurück. „Ich habe es selbst erst vor einer halben Stunde erfahren.“

„Versteckte Schwangerschaft“, erklärte die Krankenschwester hilfreich. „So etwas kommt vor. Ich habe das schon einmal gesehen. Ein junges Mädchen hatte keine Ahnung, dass sie schwanger war, bis sie mit starken Bauchschmerzen zu uns in die Notaufnahme kam. Sie dachte, es wäre eine Blinddarmentzündung. Sie hätten das Gesicht ihrer Mutter sehen sollen, als sie hörte, dass sie Großmutter wird.“

Eine versteckte Schwangerschaft. Harper hatte es also nicht gewusst? Wie konnte sie es nicht wissen? Es musste doch Anzeichen gegeben haben. Oder war sie so entschlossen gewesen, alles, was mit ihm zu tun hatte, aus ihren Gedanken zu verbannen, dass sie die kleinen Veränderungen an ihrem Körper nicht bemerkt hatte?

Verleugnung war ein mächtiges Werkzeug. Sie konnte selbst die vernünftigsten Menschen dazu bringen, Dinge zu ignorieren, denen sie sich nicht stellen wollten. Probleme, mit denen sie sich nicht auseinandersetzen wollten, Wahrheiten, mit denen sie nicht konfrontiert werden wollten.

Es gab ein Problem, dem sich Jack stellen musste, und zwar schnell. Er wollte Vater werden und wollte, dass sein Kind seinen Namen trug. Heiraten war nie Teil seines Lebensplans gewesen, aber offensichtlich musste er umdenken, sonst würde sein Kind ohne die Sicherheit aufwachsen … ein Livingstone zu sein.

Eine Heirat war für jedes Paar ein riesiger Schritt, aber für ihn und Harper, die sich vorher nur einmal getroffen hatten – in der Nacht, in der sie ihr Baby gezeugt hatten – war es der pure Wahnsinn, auch nur darüber nachzudenken, den Bund fürs Leben zu schließen.

Aber Harper zu heiraten und ihr Kind gemeinsam großzuziehen, war die einzige Möglichkeit. Er konnte keinen anderen Weg sehen. Er selbst hatte wegen der langen und quälenden Krankheit seines Vaters nicht die glücklichste Kindheit gehabt, aber das bedeutete nicht, dass Jack seinem Kind keine wundervolle Kindheit bieten konnte. Doch das konnte er nicht aus der Ferne tun.

Er wollte ein echter Vater sein, von Anfang an, und Harper heiraten und ihrem gemeinsamen Baby ein sicheres Zuhause bieten. Das war das Einzige, was er in dieser außer Kontrolle geratenen Situation kontrollieren konnte.

Die Fahrstuhltüren flogen auf. Sie drängten sich alle in die Kabine, und die Türen schlossen sich wieder hinter ihnen. Jack warf Harper einen Blick zu, aber sie war mitten in einer weiteren Wehe. Ihr Gesicht war verzerrt, ihre keuchenden Atemzüge klangen so ursprünglich wie die einer Höhlenfrau.

Er nahm ihre Hand, und sie umklammerte seine Finger, bis er dachte, seine Knochen würden brechen. Wahrscheinlich war jetzt nicht der beste Zeitpunkt für einen Heiratsantrag.

Besorgt runzelte er die Stirn. „Bist du sicher, dass du kein Schmerzmittel willst?“

„Wenn du es nicht ertragen kannst, mich mit Schmerzen zu sehen, komm nicht zur Geburt“, stieß Harper durch zusammengebissene Zähne aus. „Keiner zwingt dich.“

„Du willst, dass ich dabei bin?“

„Nur, wenn du dabei sein willst.“

Jack fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar. „Darüber habe ich noch nie nachgedacht.“ Genauso wenig wie über eine Ehe, darüber, sich für den Rest seines Lebens an eine Person zu binden.

Aber er musste an das Kind denken, an das Baby, das in den nächsten Minuten geboren werden sollte. Ein Baby, auf das er in keiner Weise vorbereitet war. Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und sein Herz machte einen weiteren Satz.

„Dann beeil dich besser mit deiner Entscheidung“, keuchte Harper. „Ich habe das Gefühl, dieses Baby wird nicht darauf warten.“

2. KAPITEL

Harper wurde in den Kreißsaal gefahren, und sie bereitete sich mental darauf vor, dass Jack an der Tür zurückbleiben würde. Aber zu ihrer Überraschung tat er das nicht.

Es war offensichtlich, dass er vollkommen damit überfordert war, sich plötzlich mitten auf einer Entbindungsstation wiederzufinden, aber genauso ging es ihr auch. Sein Gesicht war durch den Schock aschfahl geworden, seine Haltung steif und zurückhaltend, als würde er sich auf ein Ereignis vorbereiten, das er nie erwartet hätte.

Die Geburt eines Kindes.

Sein Kind.

Ihr Kind.

Ihr gemeinsames Kind.

Harper konnte immer noch nicht wirklich begreifen, dass sie kurz vor der Geburt eines Babys stand. Eines Babys, das ihr Körper fast neun Monate lang heimlich beherbergt hatte. Eines Babys, für das sie nichts vorbereitet hatte – keine Kleidung, kein Spielzeug, kein pastellfarbenes Kinderzimmer, keine Wickelkommode, keinen Kinderwagen oder Babysitz.

Auch emotional war sie nicht vorbereitet. Sie empfand nicht die geringste Aufregung oder Vorfreude. Sie spürte überhaupt keine Verbindung zu dem Baby. Das musste doch bestimmt schlecht für ihr Baby sein? Würde es ihre mangelnde Vorbereitung spüren? Ihren Mangel an Vorfreude und Glück? Ihren Mangel an Gefühlen?

Harpers Entscheidung, ein Schmerzmittel abzulehnen, war ihre Art, sich mit der Realität abzufinden und hoffentlich eine Verbindung mit dem Baby aufzubauen. Sie wusste vielleicht nicht viel über Säuglinge, aber sie wusste, dass Bindung alles war.

Einige der Kinder, mit denen sie in Pflegefamilien aufgewachsen war, hatten nie eine Bindung zu ihren Eltern erlebt. Vom Kopf her wusste Harper, dass ihre Mutter sie geliebt hatte, aber sie schien immer ein wenig überfordert damit zu sein, ihre Tochter alleine großzuziehen – es war nicht das gewesen, was sie erwartet hatte. Sie hatte davon geträumt, bis ans Ende ihrer Tage glücklich mit Harpers Vater zusammenzuleben.

Harper hatte die distanzierte Art ihrer Mutter immer darauf zurückgeführt, dass ihr Vater ihre Mutter quasi mit dem Baby im Arm sitzengelassen und sie weder finanziell noch emotional unterstützt hatte.

Dieser Mangel an Unterstützung war es wohl gewesen, der schließlich zu dem Selbstmord ihrer Mutter geführt hatte. Die Last, ein Kind allein großzuziehen, war zu viel für sie gewesen.

Aber Harper würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine Bindung zu ihrem Baby aufzubauen. Sie würde es lieben und unterstützen, egal, was passierte.

Ihr Baby.

Die Worte waren ihr so fremd wie eine andere Sprache. Die Sprache der Mutterschaft. Sie hatte nie vorgehabt, sie zu lernen. Hatte nicht vorgehabt, mit Freundinnen über Schlafzeiten und Essenspläne ihrer Babys zu reden, über das erste Wort, den ersten Schritt.

Sie war nicht vorbereitet auf die endlosen Stunden der Selbstaufopferung und die schlaflosen Nächte, von denen ihre Mutter in einer ihrer vielen schlechten Zeiten erzählt hatte. Nicht auf die Unterbrechung ihrer geliebten Karriere.

Aber genau diese Dinge würde Harper jetzt erleben. Ihr blieb keine Wahl. Würde sie eine gute Mutter sein? Wie sollte sie ihre Karriere und ein Kind unter einen Hut bringen?

Es gab so viel zu bedenken und zu organisieren, und doch war sie nur wenige Minuten davon entfernt, ihr Kind zum ersten Mal im Arm zu halten. Aber wie sollte sie sich mit einem Baby anfreunden, von dem sie nicht gewusst hatte, dass es zur Welt kommen würde?

In den letzten neun Monaten hatte sie nicht ihren Bauch gestreichelt, nicht mit ihrem Babybauch gesprochen, wie es werdenden Müttern geraten wurde. Hatte ihr Mangel an Engagement für das Baby schon Schäden verursacht, die nie wiedergutzumachen waren?

Panik überkam sie, als ihr plötzlich klar wurde, dass sie keinen Namen ausgesucht hatte. Daran hatte sie nie gedacht – einem Kind einen Namen zu geben. Sie hatte noch nicht einmal einem Haustier einen Namen gegeben, geschweige denn einem Kind.

Die Verantwortung machte ihr Angst. Was, wenn ihr Baby den Namen hasste, den sie aussuchen würde? Was, wenn er nicht zur Persönlichkeit des Babys passte? Sie versuchte, sich ein paar Namen einfallen zu lassen, aber ihre Gedanken wirbelten durcheinander wie Kleidung in einem Trockner.

Autor

Melanie Milburne
<p>Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der Romances....
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