Sturm über der Wüste

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Keegan McKettrick hat es bei seiner Scheidung auf die harte Tour lernen müssen: Frauen kann man nicht trauen. Und Liebe? Nichts als eine Illusion. Bis die Literaturagentin Molly Shields nach Indian Rock kommt. Ohne Zweifel ist sie die schönste Frau, die er jemals gesehen hat, aber zugleich auch die geheimnisvollste. Was will die City-Lady inmitten der unendlichen Weite Arizonas? Keegan beschließt, Molly nicht aus den Augen zu lassen. Ein riskanter Vorsatz! Denn in einer einzigen Nacht, so stürmisch wie ein Gewitter in der Wüste, vergisst Keegan alles, was er über Frauen und Liebe zu wissen glaubte: In Mollys zärtlicher Umarmung gerät sein stolzes Herz in Gefahr.


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783862787654
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

DIE McKETTRICKS

Sturm über der Wüste

 

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

McKettricks Heart

Copyright © 2007 by Linda Lael Miller

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Übersetzt von Katja Henkel

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Getty Images, München; pecher und soiron, Köln

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-86278-765-4

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Molly Shields zwang sich, vor dem riesigen Backsteinhaus stehen zu bleiben. Sie holte tief Luft und atmete sehr langsam wieder aus. Sonst wäre sie wahrscheinlich über das Tor geklettert und so schnell wie nur irgend möglich über den Weg gehetzt.

Lucas.

Lucas lebte in diesem gewaltigen Gebäude.

Aber Psyche auch. Und zumindest nach Ansicht des Rests der Welt war Psyche Ryan Lucas’ Mutter.

Alles in Molly sträubte sich gegen diese Tatsache.

Sie riss sich zusammen, Lucas war nicht ihr Kind, sondern das von Psyche. Die Träger des Rucksacks, den sie durch ganz Indian Rock geschleppt hatte, schnitten ihr in die Schultern.

Der kleine Junge war jetzt achtzehn Monate alt – achtzehn Monate, zwei Wochen und fünf Tage. Kurz nach seiner Geburt hatte sie ihn zum letzten Mal gesehen. Rosa und brüllend hielt sie ihn damals in den Armen, viel zu kurz, um ihn wegzugeben. Seitdem hatte Psyche ihr ab und zu ein paar Schnappschüsse geschickt. Aus Lucas war ein kräftiger, hübscher blonder Junge geworden, mit strahlend grünen Augen. Er sah seinem Vater ähnlicher als ihr.

In wenigen Minuten, vielleicht Sekunden, würde sie endlich das Kind sehen, das sie trotz allem als ihr eigenes betrachtete, zumindest in schwachen Momenten.

Vielleicht erlaubte Psyche ihr, Lucas auf den Arm zu nehmen. Nichts wünschte Molly sich mehr, als den Duft seiner Haut und Haare einzuatmen …

Vorsicht, warnte sie eine innere Stimme.

Es grenzte sowieso an ein Wunder, dass Psyche – eine völlig Fremde und, nicht zu vergessen, betrogene Ehefrau – Molly in diese kleine Stadt gebeten hatte. Sie durfte es nicht zu weit treiben. Wunder waren selten und zerbrechlich, sie mussten mit höchster Sorgfalt behandelt werden.

Molly hantierte an dem Riegel des glänzend schwarzen Eisentors. Ein dezentes kleines Schild am Zaun wies darauf hin, dass es sich bei dem Gebäude um eine historische Sehenswürdigkeit handelte.

Aus Psyches E-Mails wusste Molly, dass ihr Elternhaus an der Ecke Maple Street und Red River Drive beinahe zehn Jahre lang leer gestanden hatte. Doch jetzt war die ausgedehnte Rasenfläche davor perfekt gepflegt. Flieder und Rosen blühten, und die zahlreichen Fenster glänzten. Molly drosselte ihr Tempo und ging langsam auf die Veranda mit dem kleinen Tisch, zwei Stühlen und einer kleinen Schaukel zu. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie sie auf dieser Schaukel saß und Lucas an einem warmen Sommerabend in den Schlaf wiegte. Ihr Herz schlug schneller.

Psyches Kind, wiederholte sie stumm. Psyches Kind.

Sie hatte keine Ahnung, warum Psyche sie hergebeten hatte oder wie lange sie bleiben sollte. Die Frau hatte ihr ein Erste-Klasse-Ticket von Los Angeles nach Phoenix angeboten, wo ein Fahrer sie abholen sollte. Doch Molly hatte beschlossen, stattdessen den Bus zu nehmen. Vielleicht war das ihre Art von Buße.

Natürlich wäre es klüger gewesen, überhaupt nicht zu kommen. Aber sie konnte der Versuchung, Lucas wiederzusehen, einfach nicht widerstehen.

Die schwere Eingangstür schwang auf, als sie gerade die Treppe erreichte. Eine schwarze Frau mittleren Alters trat vor die Tür. Sie war dünn und groß und trug eine frisch gebügelte, weiße Uniform und Schuhe mit Kreppsohlen.

„Sind Sie’s?“, fragte sie rundheraus.

Molly war also „Sie“ – in Ordnung. Lucas’ biologische Mutter, die Frau, die mit Psyches Ehemann geschlafen hatte. Es spielte keine Rolle, dass Molly erst zu spät erfahren hatte, dass er verheiratet war. Das behaupteten schließlich alle, oder nicht? Sie war intelligent und besaß einen Studienabschluss und ein eigenes Unternehmen. Mochte Thayer ein noch so geschickter Lügner gewesen sein, sie hätte die Zeichen richtig deuten müssen.

Es gab immer Zeichen.

Molly schluckte und nickte verdrossen.

„Nun, dann kommen Sie mal rein“, sagte die Frau, wobei sie sich mit einer Hand Luft zufächelte. „Ich kann nicht den ganzen Tag bei offener Tür hier auf der Veranda herumstehen, wissen Sie. So ’ne Klimaanlage laufen zu lassen, kostet Geld.“

Molly unterdrückte ein Lächeln. In den letzten Wochen hatte Psyche ihre Haushälterin ab und zu erwähnt und geschrieben, dass es sich bei ihr um eine kratzbürstige, aber gutmütige Frau handele.

„Sie müssen Florence sein“, bemerkte Molly.

Florence nickte mit gerunzelter Stirn. „Ist dieser Rucksack Ihr ganzes Gepäck?“

„Nein, das war zu schwer zum Tragen.“ Wie einige andere, ganz persönliche Probleme auch, aber sie marschierte trotzdem immer weiter. Überwiegend deshalb, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte.

Mit einem leisen Schnauben schob Florence ihre Brille auf die Nase. Kein Wunder, dass sie Molly nicht mit einem Willkommensplakat empfing, nach allem, was Psyche ihr vermutlich erzählt hatte. Wovon fast alles unglücklicherweise der Wahrheit entsprach.

Nach einem kurzen Räuspern trat die Haushälterin zur Seite, um Molly Platz zu machen. „Wir fahren später mit meinem Auto zur Busstation, um den Rest zu holen. Im Moment ruht sich Miss Psyche zwar gerade oben aus, ich möchte aber trotzdem ein Auge auf sie haben.“ Hinter der dicken Brille wurden ihre schokoladenbraunen Augen glasig, und sie seufzte. „Mein armes Baby“, fügte sie hinzu, eher an die Sträucher als an Molly gewandt. „Sie ist völlig erschöpft von dem Umzug hierher. Wenn ich etwas zu sagen hätte, wären wir in Flagstaff geblieben, wo wir hingehören. Aber wenn dieses Mädchen sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, ist nichts zu machen.“

Am liebsten hätte Molly nach Lucas gefragt. Doch sie musste sich vorsichtig verhalten, vor allem gegenüber dieser langjährigen Angestellten der Familie. Florence Washington war schon Psyches Kindermädchen gewesen. Als Psyche Thayer Ryan heiratete, blieb sie, um für das Ehepaar den Haushalt zu führen.

Molly spürte, wie ihr Magen sich verkrampfte.

Vor einem Jahr war Thayer mit siebenunddreißig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Zwar hatte sie ihm nicht den Tod gewünscht, doch betrauern konnte sie ihn genauso wenig. Weder war sie zu seiner Beerdigung gegangen noch hatte sie Blumen oder eine Beileidskarte geschickt.

Was hätte sie auch schreiben sollen? Herzliches Beileid von der Geliebten Ihres verstorbenen Mannes?

Florence trottete durch die Eingangshalle an einer gewundenen Treppe vorbei, dann durch einen langen Korridor, den zu beiden Seiten große, abgedunkelte Räume säumten. Molly folgte ihr langsam in eine sonnendurchflutete Küche mit deckenhohen Fenstern. Hinter ihnen erstreckte sich eine weitere Veranda. Und dahinter lag ein großer Garten.

Stumm stellte Molly ihren Rucksack auf einen der Stühle.

„Sie können sich ebenso gut setzen“, sagte Florence.

Sie können sich ebenso gut setzen, wiederholte Molly im Stillen. Sie war müde. Zwei Tage hatte sie mit dem Bus von Los Angeles nach Indian Rock gebraucht. Trotzdem wäre sie am liebsten in jedes einzelne Zimmer gestürmt, um Lucas endlich zu finden.

Ohne etwas zu sagen, zog sie einen der schweren Eichenstühle zurück und ließ sich darauf sinken.

„Kaffee?“, fragte Florence. „Tee?“

„Wasser wäre gut“, entgegnete Molly.

„Mit Kohlensäure oder still?“

„Still, bitte.“

Florence stellte ein mit Eis gefülltes Glas und eine Flasche vor sie und lehnte sich mit verschränkten Armen an das Spülbecken.

„Was haben Sie hier zu suchen?“, stieß sie hervor. Offenbar hatte sie die Frage so lange wie möglich zurückgehalten.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Molly wahrheitsgemäß. Vor einer Woche hatte Psyche angerufen und sie ohne weitere Erklärung gebeten zu kommen. „Wir müssen uns persönlich sprechen“, hatte sie nur gesagt.

„Mir scheint, Sie haben schon genug angerichtet“, fuhr Florence fort. „Auch ohne hier aufzutauchen. Ausgerechnet jetzt.“

Molly schluckte. Mit ihren dreißig Jahren leitete sie eine der größten Literaturagenturen in Los Angeles. Sie verhandelte praktisch jeden Tag mit egomanischen, höchst erfolgreichen Autoren, mit Lektoren und Filmschaffenden. Und nun saß sie in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen, die sie bereits seit achtundvierzig Stunden trug, in Psyche Ryans Küche und hatte das Gefühl, immer mehr zu schrumpfen.

„Mach ihr nicht das Leben schwer, Florence“, erklang eine freundliche Stimme hinter ihr. „Ich habe sie gebeten zu kommen, und Molly war nett genug, ja zu sagen.“

Sowohl Molly als auch Florence drehten sich um, wobei Molly so hastig aufstand, dass sie beinahe ihren Stuhl umstieß.

In der Küchentür stand eine erschreckend dünne Frau in einem Seidenmorgenmantel und dazu passenden Slippers. Zwei Dinge fielen Molly sofort auf: Erstens, wie schön Psyche war, und zweitens, dass sie offenbar unter der kleinen Häkelmütze eine Glatze verbarg.

„Würdest du bitte nach Lucas sehen? Vor ein paar Minuten hat er noch geschlafen. Aber noch hat er sich nicht an dieses Haus gewöhnt. Ich möchte nicht, dass er allein aufwacht.“

Einen Moment zögerte Florence, dann nickte sie steif, warf Molly einen letzten bösen Blick zu und ging aus der Küche.

„Setzen Sie sich“, sagte Psyche.

Molly, die sonst Befehle erteilte, gehorchte umgehend.

Auch Psyche sank mit einem kleinen Seufzen auf einen Stuhl.

„Danke, dass Sie gekommen sind.“ Sie reichte Molly die Hand. „Ich bin Psyche Ryan.“

Molly schüttelte die Hand, die so leicht war wie ein Blatt Pergamentpapier. „Molly Shields“, entgegnete sie. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Psyches Mütze und dann wieder zurück zu den riesigen lilafarbenen Augen.

Psyche lächelte. „Ja“, nickte sie. „Ich habe Krebs.“

„Tut mir leid“, erwiderte Molly bestürzt. Nicht nur das mit dem Krebs. „Ist er …?“

„Unheilbar“, bestätigte Psyche.

Tränen des Mitgefühls brannten in Mollys Augen. Doch sie schluckte sie entschlossen hinunter, und auf einmal dachte sie an Lucas.

Guter Gott, wenn Psyche starb, was würde dann aus ihm werden? Sie selbst hatte ihre Mutter mit fünfzehn verloren. Sie kannte die Leere und das ständige Gefühl des Verlusts.

Anscheinend konnte Psyche ihre Gedanken lesen, zumindest einige davon. Denn sie lächelte wieder, langte über den Tisch und drückte Mollys Hand. „Wie Sie wissen, lebt mein Mann nicht mehr. Keiner von uns hat Verwandte. Und da Sie Lucas’ biologische Mutter sind, hoffe ich …“

Vor Aufregung machte Mollys Herz einen kleinen Satz, doch sie zügelte sich aus Furcht vor einer möglichen Enttäuschung.

„Ich hoffe, Sie kümmern sich um Lucas, wenn ich nicht mehr da bin“, sagte Psyche. „Seien Sie ihm eine Mutter, nicht nur auf dem Papier – sondern wirklich.“

Molly öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder, zu erschüttert, um ihrer eigenen Stimme zu trauen.

Besorgt lehnte Psyche sich zurück, schmiegte sich in ihren pfirsichfarbenen Morgenmantel und studierte Mollys Gesichtsausdruck. „Vielleicht war es anmaßend, Sie einfach so herzubestellen“, bemerkte sie leise. „Wenn Sie Lucas hätten aufziehen wollen, hätten Sie ihn nicht weggegeben.“

Bei diesem Satz überfielen Molly Verzweiflung, Trauer und Hoffnung. Vermutlich würde sie diese Mischung von Gefühlen niemals voneinander trennen können. „Aber natürlich möchte ich ihm eine Mutter sein“, stieß sie hervor.

Nach dieser Antwort wirkte Psyche erleichtert – und erschöpft. „Allerdings gibt es da ein paar Bedingungen“, warnte sie.

Molly wartete stumm.

„Lucas muss in oder in der Nähe von Indian Rock aufwachsen“, erklärte Psyche. „Am besten in diesem Haus. Ich bin hier aufgewachsen, und ich möchte, dass mein Sohn es auch tut.“

Eine florierende Literaturagentur in Los Angeles, ein Haus in Pacific Palisades, Freunde, einen alternden Vater, ein Leben. Konnte sie das alles aufgeben, um in einer kleinen, entlegenen Stadt in Arizona zu leben?

„Lucas wird ein beachtliches Vermögen erben“, fuhr Psyche fort. Sie musterte Mollys Kleidung und den abgenutzten Rucksack. „Ich weiß nicht, wie Ihre finanzielle Situation aussieht. Aber ich bin bereit, Sie großzügig zu unterstützen, bis Lucas volljährig ist. Wenn Sie wollen, können Sie aus diesem Haus auch eine Frühstückspension machen.“

„Das wird nicht nötig sein“, entgegnete Molly. „Dass Sie mich unterstützen, meine ich.“ Erstaunlich, wie schnell lebensverändernde Entscheidungen getroffen werden konnten, wenn der Einsatz hoch genug war. Die meisten ihrer Klienten würden ungehalten auf die Tatsache reagieren, dass sie künftig von Indian Rock aus ihren Geschäften nachging. Manche würden ihren Vertrag kündigen. Aber das spielte keine Rolle. Molly besaß – trotz ihres Lebensstils – ein pralles Bankkonto. Außerdem konnte sie mit fortdauernden Einnahmen von den Büchern rechnen, die sie bereits verkauft hatte.

„Gut“, sagte Psyche, zog ein Taschentuch aus dem Morgenmantel und wischte sich über die Augen.

Einen Moment saßen die beiden Frauen schweigend da.

„Warum haben Sie Lucas weggegeben?“, fragte Psyche schließlich. „Warum wollten Sie ihn nicht?“

Warum wollten Sie ihn nicht? Molly zuckte zusammen. Nichts hatte sie sich sehnlicher gewünscht, als Lucas zu behalten. Ihn aufzugeben war wohl ihre Art von Selbstbestrafung gewesen – genau wie statt des Flugzeugs den Bus zu nehmen. „Ich dachte, es wäre besser für ihn, mit Vater und Mutter aufzuwachsen“, antwortete sie. Das war nicht die ganze Wahrheit, doch im Moment hatte sie nicht mehr zu bieten.

„Ich hätte mich von Thayer scheiden lassen“, murmelte Psyche, „wenn es Lucas nicht gegeben hätte.“

„Ich wusste nicht …“, begann Molly, doch ihre Stimme brach ab.

„Dass Thayer verheiratet war?“, beendete Psyche ihren Satz.

Molly nickte.

„Das glaube ich Ihnen. Haben Sie meinen Mann geliebt, Molly?“

„Das dachte ich zumindest.“ Sie hatte Thayer auf einer Party in Los Angeles kennengelernt. Sein gutes Aussehen, sein Charme und sein scharfer Verstand hatten sie einfach umgehauen. Die Schwangerschaft war ein Unfall gewesen. Doch einer, der sie überglücklich gemacht hatte – bis sie Thayer davon erzählte.

Nach all dieser Zeit schmerzte die Erinnerung an diesen Tag noch immer.

„Mein Anwalt hat bereits die Papiere vorbereitet“, meinte Psyche. Sie versuchte aufzustehen, war aber zu schwach dazu. „Bestimmt wollen Sie sie von Ihrem eigenen prüfen lassen.“

Molly nickte, erhob sich und half Psyche beim Aufstehen.

Als ob sie einen Radar besäße, erschien Florence in der Küche, schob Molly zur Seite und schlang einen starken Arm um Psyches Taille. „Ich bringe Sie hinauf“, erklärte sie.

„Molly“, bat Psyche ein wenig atemlos, „kommen Sie mit. Es ist an der Zeit, dass Sie Lucas kennenlernen. Florence, zeigen Sie Molly bitte ihr Zimmer und helfen Sie ihr beim Auspacken.“

Florence warf Molly einen harten Blick zu. „Wie Sie wollen, Miss Psyche“, erwiderte sie.

In einem Fahrstuhl mit einer altmodischen Gittertür zuckelten sie nach oben in den zweiten Stock. Psyches Schlafzimmer, ein großer Raum mit einem gemauerten Kamin, war mit antiken Möbeln und eleganten, alten Teppichen eingerichtet. Bücher stapelten sich in jeder Ecke. Molly entdeckte die Namen einiger ihrer Autoren.

„Durch diese Tür“, sagte Psyche.

Erneut musste Molly an sich halten, um nicht loszurennen. Zu Lucas, ihrem Sohn, ihrem Baby.

Im Kinderzimmer stand ein Schaukelstuhl vor einem großen Fenster. Die Regale waren vollgestopft mit Bilderbüchern und Spielzeug. Molly starrte auf das Kinderbett und den kleinen Jungen, der aufrecht stand und sich an den Gitterstäben festhielt. Er beäugte sie neugierig. Am liebsten hätte sie ihn an sich gerissen. Doch sie stand still vor ihm und wartete, bis er sie mit ernstem Blick gemustert hatte.

„Hi“, begrüße sie ihn dann lächelnd. „Ich bin Molly.“

Deine Mutter.

Keegan McKettrick stand ungeduldig neben seinem schwarzen Jaguar und wartete darauf, dass der Tank voll war. Dabei betrachtete er die Designerkoffer, die zwischen dem Zeitungsstand und den Propankanistern standen. Selbst aus dieser Entfernung erkannte er, dass es sich um keine billigen Imitate handelte. Wem immer sie gehörten, er war vermutlich mit dem Vier-Uhr-Bus aus Phoenix gekommen. Während er darüber nachdachte, bog ein Wagen vom Highway ab und fuhr auf die Tankstelle. Am Steuer saß Florence Washington.

Am liebsten hätte er sich in seinen Wagen gesetzt und wäre davongefahren. Doch das ging gegen seinen persönlichen Ehrenkodex. Er wusste, dass Psyche Ryan, geborene Lindsay, wieder in der Stadt war. Wusste, dass sie nach Haus gekommen war, um zu sterben. Ein paarmal hatte er überlegt, sie zu besuchen, wagte es jedoch nicht, weil er sie nicht stören wollte. Wenn sie so krank war, wie man erzählte, musste sie praktisch das Bett hüten.

Der Wagen hielt neben den Propankanistern und den Louis-Vuitton-Koffern. Keegan straffte die Schultern, als Florence unheilvoll in seine Richtung starrte. Energisch rief er sich in Erinnerung, dass er ein McKettrick und Angriff die beste Verteidigung war. Und mit einem Lächeln steuerte er auf sie zu.

Im nächsten Moment ging die Beifahrertür auf und eine schlanke Frau mit schulterlangem honigfarbenem Haar stieg aus. Keegan sah sie an, sah weg, begriff, wer sie war und sah wieder zu ihr. Er spürte, wie das Lächeln auf seinen Lippen erstarb und er vergaß, Florence zu fragen, ob Psyche Besuch empfangen könne.

Mit zusammengebissenen Zähnen umrundete er den Wagen und stellte sich vor Thayer Ryans Geliebte.

„Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?“, knurrte er. An ihren Namen erinnerte er sich nicht. Sehr wohl jedoch daran, dass er ihr vor einiger Zeit in einem eleganten Restaurant in Flagstaff über den Weg gelaufen war. Sie hatte mit Ryan, diesem Mistkerl, an einem Tisch gesessen und ein enges, schwarzes Cocktailkleid und Diamanten getragen. Letztere waren zweifellos ein Geschenk ihres verheirateten Geliebten und sicherlich mit Psyches Geld bezahlt, da Ryan selbst keinen roten Heller besessen hatte.

Erschrocken wich die Frau zurück. Röte überzog ihre Wangen, und die grünen Augen flackerten schuldbewusst. Doch dann wurde ihr Blick ruhig und ein wenig trotzig.

„Keegan McKettrick“, sagte sie und versuchte, an ihm vorbeizugehen.

Aber er versperrte ihr den Weg. „Sie haben ein gutes Namensgedächtnis“, knurrte er. „Ihren habe ich hingegen vergessen.“

Inzwischen hatte Florence den Kofferraum geöffnet, vermutlich, um das Gepäck einzuladen. „Muss ich das vielleicht allein tun?“, fragte sie ihn spitz.

Endlich erinnerte er sich wieder an seine guten Manieren – zumindest teilweise. „Heute Abend geht noch ein Bus“, sagte er zu der Frau, an deren Gesicht und Körper er sich verteufelt gut erinnerte.

„Molly Shields“, erklärte sie mit erhobenem Kinn. „Und ich fahre nirgendwo hin. Wären Sie so nett, mir aus dem Weg zu gehen, Mr. McKettrick?“

Keegan neigte sich ein wenig vor. Molly Shields war einen Kopf kleiner als er. Außerdem brachte er mindestens fünfzig Pfund mehr auf die Wage. Doch sie rührte sich nicht von der Stelle, was ihm einen gewissen Respekt abnötigte.

„Psyche ist krank“, sagte er scharf. „Das Letzte, was sie jetzt braucht, ist ein Besuch von der Geliebten ihres verstorbenen Mannes.“

Obwohl das Rot auf ihren Wangen sich noch vertiefte, musterten die grünen Augen ihn herablassend. „Treten Sie zur Seite.“

Im nächsten Moment stieß Florence ihm einen Finger in die Brust.

„Keegan McKettrick! Entweder machen Sie sich nützlich und laden die Koffer ein, oder Sie verschwinden. Und falls Ihr voller Terminkalender es erlaubt, sollten Sie bald einmal vorbeikommen und Psyche Hallo sagen. Sie würde sich freuen.“

Augenblicklich wurde Keegans Gesichtsausdruck weicher. „Wie geht es ihr?“

Molly nutzte die Gelegenheit, um sich an ihm vorbeizudrücken und einen ihrer Koffer zu schnappen.

„Sie ist sehr krank“, antwortete Florence mit Tränen in den Augen. „Sie hat Molly eingeladen. Darüber bin ich genauso wenig glücklich wie Sie, aber ich schätze, sie hat einen guten Grund. Und ich wüsste ein wenig Entgegenkommen von Ihrer Seite durchaus zu schätzen.“

Das irritierte und ärgerte Keegan zugleich. Er nickte Florence zu, nahm zwei der fünf Koffer an ihren schicken Griffen und warf sie ohne viel Federlesens in den Kofferraum. Bei alldem ignorierte er Molly Shields geflissentlich.

„Richten Sie Psyche bitte aus, dass ich vorbeikomme, sobald sie sich gut genug fühlt, um Besuch zu empfangen.“

„Meistens hält sie sich bis gegen zwei Uhr nachmittags ganz gut. Sie könnten morgen um die Mittagszeit vorbeikommen. Ich werde für Sie beide ein kleines Mittagessen auf der Sonnenveranda anrichten.“

Die Formulierung „für Sie beide“ registrierte Keegan durchaus und – wie er aus den Augenwinkeln bemerkte – Molly ebenfalls, die gerade mit dem größten ihrer Koffer kämpfte.

„Das klingt wunderbar.“ Damit riss er Molly den Koffer aus der Hand, um ihn zu den anderen zu werfen.

Wütend starrte sie ihn an.

Er ignorierte sie weiter.

„Wenn wir schon mal hier sind, nehme ich gleich etwas Brot und Milch mit“, erklärte Florence, diesmal in Mollys Richtung. Sie verschwand in der Tankstelle.

„Weiß Psyche, dass Sie mit ihrem Ehemann gevögelt haben?“, legte Keegan wütend los, sobald sie allein waren.

Molly schnappte nach Luft.

Weiß sie es?“, wiederholte Keegan zornig.

Statt zu antworten, biss sie sich auf die Unterlippe. „Ja“, entgegnete sie dann sehr leise, als er schon fast keine Antwort mehr erwartete.

„Wenn Sie hier irgendein übles Ding drehen wollen …“

Bei diesem Satz richtete Molly sich kerzengerade auf und sah ihn an, als würde sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpassen. „Sie haben doch gehört, was Mrs. Washington gesagt hat. Psyche hat mich gebeten zu kommen.“

„Vermutlich haben Sie sie auf irgendeine Art und Weise manipuliert“, schnappte Keegan. „Was zum Teufel haben Sie vor?“

„Ich habe überhaupt nichts vor. Ich bin hier, weil Psyche … meine Hilfe braucht.“

„Psyche“, begann Keegan und beugte sich so weit nach vorn, dass seine Nase fast die von Molly berührte, „braucht ihre Freunde. Sie braucht es, zu Hause zu sein, in dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist. Was sie ganz und gar nicht braucht, sind Sie, Ms. Shields. Was immer Sie vorhaben, am besten überlegen Sie es sich noch einmal. Wegen ihrer Krankheit ist Psyche zu schwach, um es mit Ihnen aufzunehmen, aber ich nicht, das kann ich Ihnen versichern.“

„Wollen Sie mir drohen?“ Molly kniff ihre wunderschönen Augen zusammen.

„Ja“, erwiderte er scharf. „Und wie.“

Florence kam zurück und verstaute ihre Einkäufe auf der Rückbank. „Wenn Sie beide genug gestritten haben, würde ich gern zu Psyche zurückfahren.“

Keegan seufzte.

Nach einem letzten giftigen Blick in seine Richtung stieg Molly ein.

„Ich bin morgen um zwölf Uhr da. Soll ich etwas mitbringen?“, wandte Keegan sich an Florence. Genug Fragen an Psyche hatte er in jedem Fall im Gepäck.

Zum ersten Mal lächelte Florence. „Nein, kommen Sie einfach nur. Mein Mädchen wird mächtig froh sein, diesen attraktiven Kerl mal wiederzusehen.“

Wenn er nicht so sauer gewesen wäre, hätte Keegan gegrinst. „Bis morgen dann.“

Er sah zu, wie Florence den Wagen startete, den Gang einlegte und auf die Straße schoss.

„Ich will verflucht sein“, murrte er.

Fünf Minuten später, auf dem Weg zur Triple-M-Ranch, auf der die Mitglieder des McKettrick-Clans schon seit eineinhalb Jahrhunderten lebten, zog er sein Handy aus der Tasche und rief seinen Cousin Rance an. Fluchend lauschte er der Ansage auf der Mailbox. Seit er mit Emma Wells, der Inhaberin der örtlichen Buchhandlung, zusammen war, hatte Rance sich sehr verändert. Er hatte seinen hochdotierten Job bei McKettrickCo aufgegeben und angefangen, seine eigene Farm aufzubauen.

Es piepte.

„Diese Schlampe, mit der Thayer Ryan rumgemacht hat, ist in der Stadt“, legte Keegan ohne Einleitung los. „Und rate mal, wo sie wohnt. Bei Psyche.“

Damit legte er auf und wählte die Nummer von Jesse, seinem anderen Cousin. Der war aber in der Regel noch schwerer zu erreichen als Rance, weil er sich standhaft weigerte, ein Handy anzuschaffen. Jesse besaß nicht einmal einen Anrufbeantworter.

Gerade als Keegan beschloss, zurück in die Stadt fahren, weil er Jesse im Pokerzimmer in Lucky’s Bar and Grill vermutete, fiel ihm ein, dass Jesse und seine frisch angetraute Ehefrau Cheyenne noch immer in den Flitterwochen waren.

Ein jähes Gefühl der Einsamkeit ergriff ihn. Jesse liebte Cheyenne, Rance liebte Emma.

Und er war allein.

Geschieden von einer Frau, mit der die Ehe nicht funktioniert hatte. Seine Tochter Devon lebte mit ihrer Mutter in Flagstaff und besuchte ihn nur ab und zu. Keegan hatte keine Lust, in sein leeres großes Haus auf der Farm zu fahren. Er hätte es aber auch nicht ertragen, zurück ins Büro zu gehen.

Einige Familienmitglieder wollten mit McKettrickCo an die Börse gehen, ganz im Gegensatz zu ihm. Leider stand er mit seiner Meinung ziemlich allein da. Innerlich spürte er geradezu, wie ihm das Unternehmen – das Einzige, das ihn davon abhielt, verrückt zu werden – aus den Fingern glitt.

Was sollte er anfangen, wenn es die Firma irgendwann nicht mehr gab?

Jesse, der sich von Anfang an nur für die Dividendenschecks interessiert hatte, war es egal. Rance, der früher bereitwillig achtzehn Stunden am Tag mit Keegan zusammengearbeitet hatte, zog es inzwischen vor, seine Zeit mit seinen Kindern, Emma oder seinen zweihundert Rindern zu verbringen. Seine Cousine Meg, die die Filiale in San Antonio leitete, hätte sich womöglich auf seine Seite geschlagen. Doch selbst sie war momentan keine große Hilfe. Immer, wenn sie nach Indian Rock kam, verkroch sie sich in dem alten Haus, das im 19. Jahrhundert einmal Holt und Lorelei McKettrick gehört hatte, und brütete über irgendetwas.

Er hätte mit Travis Reid sprechen können, seinem engsten Freund neben Jesse und Rance. Oder mit Sierra, noch einer Cousine und Travis’ Frau. Allerdings waren Sierra und Travis momentan damit beschäftigt, ihr neues Haus in der Stadt zu beziehen. Da hätte er nur gestört. Zumal auch sie frisch verheiratet waren und natürlich etwas Zeit zu zweit brauchten.

Was bedeutete, dass er in Bezug auf Freundschaften im Moment nicht gerade als Glückspilz durchging.

2. KAPITEL

Mollys Zimmer mit dem angeschlossenen Bad lag auf der anderen Seite von Lucas’ Kinderzimmer. Mit Florence zusammen wuchtete sie ihr Gepäck aus dem Aufzug.

„Der Junge sieht Ihnen ganz schön ähnlich.“ Florence deutete mit dem Kinn auf die Tür des Kinderzimmers. „Hab zwar eine Weile gebraucht, aber am Ende musste ich nur zwei und zwei zusammenzählen. Sie sind seine Mama, nicht wahr?“

Molly antwortete nicht. Es war Psyches Sache, was sie ihrer Haushälterin erzählte und was nicht.

„Thayer und Miss Psyche haben jahrelang versucht, ein Kind zu adoptieren“, fuhr Florence fort. „Ein paarmal war es fast schon so weit, aber immer wieder ist irgendetwas schiefgelaufen. Entweder die biologische Mutter überlegte es sich noch anders oder ein Verwandter des Kindes tauchte plötzlich auf. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schwer es für mich war, Miss Psyche in dieser Zeit zu sehen. Sie setzte immer ein tapferes Lächeln auf und versuchte, nicht die Hoffnung zu verlieren. Und dann war auf einmal Lucas da. Ein perfektes, blauäugiges, blondes Baby. Ich hätte gleich wissen müssen, dass er das Produkt Ihrer Affäre mit Thayer ist.“

Molly, die gerade anfing, ihre Koffer auszupacken, versteifte sich. Draußen knatterte ein Rasensprenger, der Duft nach frisch gemähtem Gras wehte durch das offene Fenster. „Lucas kann für all das nichts“, erklärte sie.

Darauf lächelte Florence trocken. „Also haben Sie doch so etwas wie Gefühl“, bemerkte sie. „Das werden Sie auch brauchen, wenn Sie länger bleiben. Ich gehe gleich nach unten, um mich um das Abendessen zu kümmern. Vorher möchte ich aber noch etwas loswerden. Ich weiß nicht, warum Sie hier sind, aber ich werde Sie im Auge behalten. Wenn Sie irgendetwas tun, was meinem kleinen Mädchen schadet, wird der Teufel höchstpersönlich wie ein Engel im Vergleich zu mir aussehen. Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Miss Shields?“

Wie ein geprügelter Hund war Molly nach Indian Rock gekommen. Jetzt aber musste sie an Lucas denken. Es war Zeit, wie eine erwachsene Frau Verantwortung zu übernehmen. „Ich würde Sie lieber als Freundin betrachten“, erwiderte sie. „Aber wenn Sie sich mit mir anlegen wollen, bitte schön.“

Ein Hauch von Respekt blitzte in den Augen von Florence auf, verlosch aber schnell wieder. „Abendessen ist um sechs“, verkündete sie und schloss die Tür hinter sich – und zwar leise. Obwohl Molly wusste, dass sie das nur aus Rücksicht auf Psyche tat, war sie ihr trotzdem dankbar dafür.

Sie sah sich in dem Zimmer um, das für unbestimmte Zeit ihr Zuhause sein würde – ein Kamin, ein schimmerndes Eisenbett, ein antiker Schreibtisch und eine Kommode, eine Chaiselongue und jede Menge Bücherregale. Alles wirkte ein wenig heruntergekommen.

Bei dem Gedanken an ihre ultramoderne Wohnung in Los Angeles lächelte sie kläglich. Dort standen neue Möbel, ohne Geschichte, ohne Erinnerungen, ohne Bedeutung. Welch ein Kontrast.

Ihr Lächeln erstarb, als sie an das Zusammentreffen mit Keegan McKettrick an der Tankstelle dachte. In seinem Blick hatte so viel Verachtung gelegen. Dabei hatte das Wiedersehen allein schon gereicht, um sie zu schockieren. Damals in dem Restaurant in Flagstaff hatte Thayer Molly als seine Geschäftspartnerin vorgestellt. Und schon damals hatte Keegan kein Wort geglaubt.

Im Nachhinein wusste sie, dass sie an diesem Abend Verdacht hätte schöpfen müssen. Wie klassisch: Der schuldbewusste Ehemann trifft zufällig einen Freund der Familie und versucht mit großem Getue, seine Geliebte als etwas anderes darzustellen. Warum war ihr das damals nur nicht aufgefallen?

Weil du blöd warst, dachte sie.

Aus dem zweiten Koffer zog Molly ein Sommerkleid und frische Unterwäsche. Nach einer kalten Dusche würde sie sich bestimmt besser fühlen. Wieder ein wenig wie sie selbst.

Was Mr. McKettrick von ihr hielt, spielte überhaupt keine Rolle. Nur Lucas zählte. Und Psyche.

Keegan McKettrick war nicht mehr als eine Fußnote.

Ein Stich fuhr durch ihre Brust, ihr Hals wurde eng.

Warum tat es so weh, an den Ausdruck in seinen Augen zu denken?

Rance ritt auf einem gescheckten Pferd, das Keegan noch nie gesehen hatte, durch den Bach. Er hätte direkt aus dem 19. Jahrhundert kommen können – Stiefel, Jeans, Baumwollhemd und ein zerbeulter alter Hut aus seinen Tagen als Rodeoreiter.

„Hab deine Nachricht bekommen“, sagte Rance, während er sich aus dem Sattel schwang.

Über den Bach hinweg sah Keegan auf das rustikale große Farmhaus, das seinem gegenüberlag und ihm sehr ähnelte. Die beiden Gebäude stammten aus der Zeit, als der alte Angus McKettrick und seine vier Söhne noch über das weite Land von Triple M geritten waren. „Sind die Mädchen allein zu Hause?“

„Emma ist bei ihnen.“ Rance lächelte ein wenig albern. „Sie kocht gerade Abendessen. Du bist herzlich eingeladen, wenn du magst.“

Keegan schwieg. Auf der einen Seite hätte er die Einladung gern angenommen und sich als Teil einer Familie gefühlt, wenn auch nur für ein oder zwei Stunden. Gleichzeitig wusste er, dass er den Kontrast zwischen seinem eigenem Leben und dem seines Cousins heute nicht ertragen könnte.

„Vielleicht“, antwortete er, um höflich zu sein. Dabei wusste er, dass er nicht kommen würde, und Rance wusste es vermutlich auch.

Damit sein Pferd auf Keegans Rasen grasen konnte, der dringend gemäht werden musste, stieg Rance aus dem Sattel. „Was war das von wegen Thayers Freundin wäre bei Psyche zu Besuch?“, fragte er. „Im Übrigen wusste ich nicht einmal, dass Thayer überhaupt eine Freundin hatte.“

Schon wieder wütend fuhr Keegan sich mit einer Hand durchs Haar. „Er hat Psyche vom ersten Tag an betrogen.“ Als Kinder hatten er und Psyche sich auf dem Spielplatz geschworen, eines Tages zu heiraten und eine große Familie zu gründen. Wenn sie nicht im Sterben läge, hätte er bei der Erinnerung daran gelächelt.

„Das wusste ich nicht“, entgegnete Rance leise. Dafür kannte er den Schwur. Er und Jesse hatten Keegan deswegen damals gnadenlos aufgezogen. In Wahrheit aber waren sie genauso verliebt in Psyche gewesen wie er. „Sonst hätte ich dem Mistkerl ein blaues Auge verpasst.“

Als Keegan an den Abend dachte, an dem Thayer und Molly sich hinter Psyches Rücken miteinander vergnügt hatten, krampfte sich sein Magen zusammen. Natürlich aus Wut, aber darunter lag noch etwas anderes. Etwas, das er gar nicht genau ergründen wollte.

„Sie hat etwas vor“, erklärte er tonlos.

„Wie zum Beispiel?“

„Ich weiß es nicht“, gestand Keegan mit einem frustrierten Seufzen. „Laut Florence hat Psyche diese kleine Schlange sogar gebeten zu kommen. Aber ich denke, Molly muss sie auf irgendeine Art und Weise dazu gebracht haben.“

Rance hob eine Augenbraue. „Kommt mir sehr merkwürdig vor. Ehefrauen und Geliebte verstehen sich normalerweise nicht besonders gut, noch weniger, wenn sie unter einem Dach leben.“ Er hielt einen Moment inne. „Molly?“

„Molly Shields“, nickte Keegan.

Da hob sich Rances rechter Mundwinkel ein wenig, und ein nachdenkliches Lächeln blitzte in seinen Augen auf, doch er sagte nichts.

„Psyche ist eine reiche Frau. Also geht es bestimmt um Betrug.“

„Könnte sein. Aber vielleicht versucht diese, wie heißt sie? Molly Shields? Vielleicht versucht sie nur, ihren Fehler wiedergutzumachen. Psyche liegt im Sterben. Ms. Shields hat ein schlechtes Gewissen. Meinst du nicht, dass sie sich einfach nur mit ihr versöhnen will, bevor sie stirbt?“

Ein höhnisches Schnauben war die Antwort. „Die Liebe hat dir wohl das Hirn aufgeweicht.“

Rance lachte. „Das ist dann aber auch alles, was weich ist.“

„Du hast vielleicht ein Glück, du Mistkerl. Genau wie Jesse.“

„Du kommst auch noch dran“, antwortete Rance todernst.

„Ich hab das mit der Ehe hinter mir.“ Seine Ex-Frau Shelley hatte ihn von allen romantischen Anwandlungen kuriert, die er vielleicht einmal gehegt hatte. Jetzt suchte er nur noch nach regelmäßigem Sex ohne Verpflichtung.

„Das dachte ich auch.“

„Reiner Glücksfall“, behauptete Keegan.

„Iss mit uns zu Abend.“

Doch Keegan schüttelte den Kopf. „Nicht heute Abend.“

Auf einmal packte Rance ihn an der Schulter. „Ich weiß, wie schwer es für dich ist. Dass Psyche wieder da ist und im Sterben liegt und alles. Aber sie ist nicht dumm, Keeg. Wenn sie diese Frau gebeten hat zu kommen, wird sie einen Grund dafür haben. Hast du sie schon besucht? Psyche, meine ich?“

Wieder schüttelte Keegan den Kopf, schluckte schwer und wich Rances Blick aus. „Ich treffe sie morgen zum Mittagessen.“

„Richte ihr aus, dass ich später in der Woche auch vorbeikomme, wenn sie genug Zeit hatte, sich einzurichten.“

„Mach ich.“

Rance pfiff nach dem Pferd, ergriff die Zügel und setzte einen Fuß in den Steigbügel. Doch bevor er aufstieg, drehte er sich noch einmal um. „Keeg?“

Keegan wartete.

„Wenn es Probleme gibt und Psyche unsere Hilfe braucht, sind wir für sie da. Du und ich und Jesse. Aber in der Zwischenzeit solltest du dir darüber keine grauen Haare wachsen lassen.“

Bis er Emma kennengelernt hatte, war Rance der Firma McKettrickCo mindestens genauso ergeben gewesen wie Keegan. Er hatte dreiteilige Anzüge getragen und war um die ganze Welt gereist, um harte Geschäftsverhandlungen zu führen, für die er berühmt und berüchtigt war.

Doch dann verliebte er sich, schnell und heftig – so wie Jesse vor ihm –, und seitdem war nichts mehr so wie früher. An diese Veränderung musste Keegan sich erst gewöhnen, und manchmal glaubte er, es würde ihm niemals gelingen.

Mit Mühe rang er sich ein Grinsen ab und nickte. „Mach’s gut, Rance.“

„Du auch.“

Während Rance davonritt und Keegan ihm nachblickte, fühlte er sich einsamer denn je.

Durch das Schlafzimmerfenster sah Psyche, wie Keegan aus dem Auto stieg und sich wappnete, fast unmerklich und doch auf eine ihr leider inzwischen so vertraute Art und Weise.

Ich hätte ihn heiraten sollen, dachte sie mit einem wehmütigen Lächeln.

„Keegan ist da“, erklärte sie Florence, die ihr in einen royalblauen Kaftan geholfen hatte. Sie überlegte kurz, ob sie eine Perücke aufsetzen sollte. Doch dann entschied sie sich für ein Tuch, weil es ihr irgendwie weniger mitleiderregend erschien.

„Ich gehe runter und mache ihm auf“, sagte Florence. „Soll ich Sie anschließend holen?“

Mit gestrafften Schultern sah Psyche ihre alte Freundin an. „Nein.“ Sie legte ein Lächeln auf, mit dem sie Florence allerdings nicht eine Sekunde lang täuschen konnte. „Ich möchte meinen großen Auftritt haben.“

Tapfer lächelte Florence zurück, aber auch in ihren Augen schimmerten Tränen. Sie nickte kurz und ging.

Aus dem Kinderzimmer erklang Mollys Stimme, die Lucas gerade eine Geschichte vorlas. Psyches Herz zog sich zusammen. Es fiel ihr unendlich schwer, sich von ihrem Sohn zurückzuziehen, damit er eine Bindung zu Molly aufbauen konnte. Aber es musste sein. Lange hatte sie mit aller Kraft gekämpft, alles getan, um am Leben zu bleiben. Doch es war ein verlorener Kampf, das wusste sie nun. Mit jedem Tag wurde sie schwächer. Mit jedem Tag erschien ihr die Welt etwas weniger wirklich, weniger solide. Als ob sie schon dabei wäre, sich langsam zu entfernen, sich aufzulösen wie Rauch.

Obwohl sie noch nicht tot war, wusste sie schon, wie es sich anfühlte, ein Geist zu sein.

Unten klingelte es.

Langsam und gegen die Wand des Flurs gestützt, bewegte Psyche sich auf den Aufzug zu. Als sich die Gittertür im Erdgeschoss öffnete, stand Keegan davor, bot ihr den Arm an und schenkte ihr ein warmes Lächeln. So sehr er seine Gefühle auch zu verstecken versuchte, seine blauen McKettrick-Augen verdunkelten sich vor Bedauern.

Psyches Mund wurde trocken, sie war nicht in der Lage, etwas zu sagen.

Eine Weile betrachtete Keegan den Kaftan und das Kopftuch. „Du bist so schön wie immer“, sagte er.

Für diese Lüge und die Gelegenheit, ihre Fassung zurückzugewinnen, war Psyche ihm sehr dankbar. „Hör auf, du alter Schmeichler.“ Dann blinzelte sie ihm zu. „Aber nicht sofort.“

Mit einem heiseren Lachen beugte Keegan sich vor, um sie auf die Stirn zu küssen. Er hielt noch immer ihren Arm, fest und sanft zugleich. Als sie ein wenig schwankte, hob er sie auf seine Arme und trug sie auf die Veranda, wo Florence den Tisch für sie gedeckt hatte.

In Psyches Augen brannten Tränen. Sie hatte beinahe vergessen, dass es so ritterliche Männer noch gab.

Florence arrangierte schneeweiße Pfingstrosen mit tellergroßen Blütenblättern in einer Vase. Als sie ihre Lieblingsblumen erblickte, rang Psyche nach Atem. Es war bereits der dritte Juli, und ihre Pfingstrosen waren schon vor Wochen verblüht. „Woher in aller Welt hast du die?“, fragte sie Florence und presste eine Hand auf ihr Herz.

„Keegan hat sie mitgebracht.“

Vorsichtig setzte Keegan Psyche in einen Stuhl. Sie reckte sich, um ihn auf die Wange zu küssen. „Ich hätte dich heiraten sollen, Keegan McKettrick.“

Er lächelte. „Das habe ich damals versucht, dir klarzumachen.“

„Setzen Sie sich, dann kann ich endlich das Essen bringen“, schimpfte Florence, die sich ihre Rührung nicht anmerken lassen wollte. „Ich habe schließlich den ganzen Morgen in der Küche geschuftet.“

Da lachte Keegan zum ersten Mal seit seiner Ankunft befreit, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Psyche an den Tisch. Florence servierte gekühlte Avocadosuppe mit Brot und einen köstlichen Salat. Keegan öffnete die Champagnerflasche, die in der Mitte des Tisches in einem Eiskübel stand.

Autor

Linda Lael Miller
<p>Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten „Wilden Westen“, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.</p>
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