Verführung in fünf Zügen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Bisher war ihre Organisation des Schachturniers eine Folge von Pleiten, Pech und Pannen. Jetzt hat man Laura auch noch ein "intimes" Abendessen aufgezwungen. Ausgerechnet mit dem arroganten Jasper Hoffmann: das Schachgenie mit der Figur eines Athleten. Bahnt sich hier die nächste Katastrophe an – oder etwas ganz anderes?


  • Erscheinungstag 30.11.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783745753844
  • Seitenanzahl 121
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ein Schachturnier?“ Katrin starrte ihre jüngere Schwester entgeistert an.

Laura nahm einen stärkenden Schluck aus ihrem Glas, bevor sie nachdrücklich nickte. „Eigentlich ist es doch toll, dass ich im neuen Job sofort ein eigenes Projekt bekomme.“ Sie konnte selber hören, dass sie nicht sonderlich überzeugt klang.

„Das haben sie dir wahrscheinlich aufs Auge gedrückt, weil keiner von deinen Kollegen das machen wollte“, vermutete Katrin finster. „Ich bitte dich, Schach! Langweiliger geht es doch überhaupt nicht. Und das soll eine Werbeaktion sein? Wen will man denn damit hinter dem Ofen hervorlocken!“

„Noch ein kleines Bier bitte“, rief Laura dem Mann hinter dem Tresen zu. Ein weiterer Drink würde ihr vielleicht helfen, nicht nur Katrin, sondern auch sich selbst von den Möglichkeiten, Chancen und Freuden ihrer Aufgabe zu überzeugen.

„Hast du schon mal was von Vergissnix gehört?“ Laura sah ihre Schwester hoffnungsvoll an.

„Was soll das denn sein? Ein Memoryspiel? Ein in Schweinsleder gebundenes Notizbuch? Eine rachsüchtige Hexe?“

Vergissnix ist ein rein pflanzliches Konzentrationsmittel“, referierte Laura mit wichtiger Miene. „Deshalb ist es eigentlich auch logisch, als PR-Maßnahme ein Schachturnier zu organisieren.

„Klar, weil Schach so spannend ist, dass sich alle rasend für das tolle Turnier interessieren werden. Die Massen werden herbeiströmen, um die Spiele zu verfolgen und sich auch gleich ein paar von diesen Vergissnix- Dingern einzuwerfen“, lästerte Katrin und bestellte sich ebenfalls noch ein Bier.

„Na ja“, sagte Laura und betrachtete ratlos den Schaum in ihrem Glas.

Es war der Abend nach ihrem allerersten Arbeitstag bei Liebermann & Partner, einer angesehenen PR-Agentur. Laura war immer noch sehr stolz, dass sie diesen Job bekommen hatte. Nach ihrem Studium hatte sie zwei Jahre bei einer kleinen Zeitung in ihrer noch kleineren Heimatstadt gearbeitet und nun den Sprung in die große Stadt geschafft. Katrin hatte ihrer jüngeren Schwester beim Umzug geholfen und war geblieben, um mit ihr den Beginn ihrer kometenhaften Karriere zu feiern. Dass diese Karriere nun aber ausgerechnet mit einem Schachturnier beginnen sollte, war nicht nur für Laura ein Schock.

„Erinnerst du dich noch an die endlosen Sonntagnachmittage?“ Katrin starrte trübe das Flaschenregal hinter der Theke an.

„Alle anderen waren auf dem Tennisplatz oder im Freibad“, stimmte Laura ein.

„… aber wir mussten unsere Bildung verfeinern und mit unserem Stiefvater Schach spielen“, vollendete ihre Schwester den Satz.

„Und dann die komischen Typen aus seinem Schachverein, die abends immer kamen! Auf Zehenspitzen mussten wir durchs Haus schleichen, um ja die großen Geister nicht beim Nachdenken über den nächsten lebenswichtigen Zug zu stören.“ Laura verdrehte die Augen.

„Alle hatten einen dicken Bauch, eine dicke Brille und nicht das geringste bisschen Humor. Aber sie hielten sich für die Größten, weil sie irgendwann mal irgendeine popelige Schachmeisterschaft in Hintertupfingen gewonnen hatten oder sie zumindest demnächst gewinnen würden.“

Mit einem unterdrückten Aufschrei setzte sich Laura kerzengerade auf ihrem Hocker auf. „Und genau solche Gestalten werden zu dem Turnier kommen, das ich organisieren soll! Was aber noch schlimmer ist: Die Besitzerin der Firma, die Vergissnix herstellt und das Turnier bezahlt, besteht darauf, dass der amtierende deutsche Schachmeister teilnimmt. Kannst du dir vorstellen, was das erst für ein Typ sein muss?“

Katrin legte die Stirn in Falten. „Wahrscheinlich ist er wie ein Superkonzentrat eines normalen Schachspielers und doppelt so dick, doppelt so kurzsichtig und gesegnet mit dem Humor einer Stubenfliege.“

„Und er hat einen Schnauzbart“, fügte Laura eilig hinzu, weil ein Schnauzbart so ziemlich das Schlimmste war, was sie sich an einem Mann vorstellen konnte.

„Und eine spiegelnden Glatze“, versuchte Katrin sie zu übertrumpfen.

Die Schwestern kicherten, wie sie schon als Kinder gemeinsam gekichert hatten, und plötzlich fühlte sich Laura sehr viel besser. Sie war Profi, und wenn es darum ging, ein Schachturnier zu organisieren, würde sie eben ein Schachturnier organisieren! Ihr nächstes Projekt würde dafür sicher umso aufregender sein.

„Wir sind ausgegangen, um zu feiern und nicht um Trübsal zu blasen.“ Sie hob ihr Glas und prostete Katrin zu. „Auf meinen Umzug, meinen neuen Job, meinen ersten Arbeitstag und mein erstes eigenes Projekt, das Vergissnix- Turnier .“

„Auf dich. Du machst das schon!“ Katrin stieß herzhaft mit ihrer Schwester an.

„Mach ich auch. Das wäre doch gelacht!“ Mit einem tiefen Zug trank Laura ihr Bier aus, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und schob das leere Glas zur Seite.

„Ist der Platz noch frei?“

Laura war so mit sich und ihren Zukunftsplänen beschäftigt, dass sie nickte, ohne den Mann anzusehen, der gleich darauf neben ihr auf den hohen Hocker stieg.

Die kleine Kneipe war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Lebhaftes Stimmengewirr lag in der Luft, es wurde laut gelacht und über die Köpfe der anderen Gäste nach einem Bier oder einem Glas Wein gerufen, während aus den Lautsprechern über der Theke Roger Cicero gegen den Lärm ansang.

„Hach, ich freue mich auf das Großstadtleben!“ Laura wippte im Takt der Musik mit dem Fuß.

„Und ich muss wieder zurück in die Pampa“, jammerte Katrin, die ihre Klage aber nicht ernst meinte. Sie hatte sich vor Kurzem in ihrer kleinen Heimatstadt ein Häuschen gekauft, in dem sie auch ihre Praxis als Physiotherapeutin unterbringen wollte, und fühlte sich pudelwohl dort.

„Ich werde dich schrecklich vermissen, Schwesterherz! Du musst mich ganz oft besuchen.“ Als wollte sie ihren Abschiedsschmerz ertränken, nahm Laura einen großen Schluck aus ihrem Glas.

„Ich lade Sie zu dem Bier ein.“

Als der Mann zu ihrer Linken sie unvermittelt ansprach, unterdrückte Laura einen ungeduldigen Seufzer. Dies war ihr letzter Abend mit Katrin, und sie hatte nicht das geringste Interesse daran, von wildfremden Männern angebaggert zu werden. Vielleicht ein bisschen später, wenn sie sich in der neuen Stadt und im neuen Job eingelebt hatte, aber momentan hatte sie einfach keine Nerven für so etwas. Obwohl der Typ auf dem Nachbarhocker ausgesprochen gut aussah, soweit sie das bei der schwachen Kneipenbeleuchtung erkennen konnte …

„Ich möchte kein Bier, danke“, sagte sie höflich, aber bestimmt. „Ich bin versorgt!“ Sie hob ihr Glas, um ihm zu beweisen, dass sie keinesfalls bedürftig war.

Er grinste und murmelte etwas vor sich hin, das sie bei dem Lärm ringsumher nicht verstand. Wenigstens war er nicht penetrant, denn er wandte sich ab, um für sich selber ein Bier zu bestellen.

Katrin stieß sie in die Seite. „Ich glaube, du hast da was missverstanden“, raunte sie ihrer Schwester zu.

„Ich habe sehr gut verstanden, und ich habe die Einladung abgelehnt.“ Dass Katrin ihre Verkupplungsversuche aber auch nicht lassen konnte! Immer meinte sie, besser als Laura selbst zu wissen, wer zu ihr passen könnte. Dabei fiel sie selber dauernd auf irgendwelche Loser herein.

„Du hast aus seinem Glas getrunken. Deins ist leer“, teilte Katrin ihr grinsend mit.

Verwirrt starrte Laura das bis auf den letzten Tropfen geleerte Glas auf den Tresen an, welches wohl tatsächlich ihres war, während sie das Bier in ihrer Hand offensichtlich ihrem Nachbarn entwendet hatte.

Zögernd wandte sich Laura wieder dem Mann zu ihrer Linken zu. „Es ist mir schrecklich peinlich“, entschuldigte sie sich. „Ich war völlig in Gedanken und habe gar nicht bemerkt, dass ich aus Ihrem Glas getrunken habe.“

Er lächelte, und im Dämmerlicht blitzten seine Zähne weiß auf. „Kein Problem. Ich sagte schon, dass ich Sie einlade.“

„Das möchte ich aber nicht“, protestierte Laura. „Ich habe mich ja sozusagen Ihres Glases bemächtigt. Als wollte ich Sie zu einer Einladung nötigen.“

„Ich fühle mich aber nicht genötigt. Würde ich mich genötigt fühlen, hätte ich Sie nicht eingeladen.“ Er griff nach dem frisch gezapften Bier, welches der Wirt mittlerweile vor ihn hingestellt hatte, und prostete ihr zu.

Wenn er hartnäckig sein konnte, konnte sie das auch! Laura deutete auf das Getränk in seiner Hand und sagte: „Dazu lade ich Sie ein! Und mein Bier bezahle ich selbst!“

Er stellte sein Glas wieder ab, ohne daraus getrunken zu haben. „Soll das ein emanzipatorischer Akt sein?“, erkundigte er sich amüsiert.

„Nein, ein Akt der Höflichkeit“, erwiderte sie gelassen. „Dass ich emanzipiert bin, muss ich niemandem beweisen.“

„Ich bin beeindruckt!“

„Das sollten Sie auch!“

„Genau deshalb wollte ich Sie ja zu einem Bier einladen!“

„Wenn ich mich so einfach einladen ließe, wären Sie aber nicht mehr beeindruckt.“

„Oh doch! Sie müssen mir nichts beweisen.“

Sie grinsten sich an, und Laura fragte sich, ob seine Augen bei Tageslicht auch so dunkel waren, wie sie bei der schwachen Kneipenbeleuchtung wirkten.

„Sieht so aus, als würde sich unsere Diskussion im Kreise bewegen“, sagte er schließlich.

„Das befürchte ich auch. Es ist spät. Ich gehe lieber, bevor unsere Kreisdiskussion in eine neue Runde geht.“ Laura nestelte einen Geldschein aus ihrer Börse, während sie im Kopf den Betrag für die Biere, die Katrin und sie getrunken hatten, das Bier, das sie ihm gestohlen und das, das er sich daraufhin nachbestellt hatte, überschlug. Sie schob dem Wirt das Geld hin, zeigte der Reihe nach auf ihre Schwester, ihren Tresennachbarn und sich und rutschte dann von ihrem Hocker.

„Einen schönen Abend noch!“, wünschte sie dem Fremden, um zu zeigen, dass sie weder zickig noch nachtragend war.

„Das wünsche ich Ihnen auch. Und vielen Dank für die Einladung.“ Er war ein guter Verlierer, das musste man ihm lassen.

Katrin war ihrer Schwester verdutzt ins Freie gefolgt. „Hast du eigentlich nicht gemerkt, dass das ein klasse Typ war? Der sah gut aus, hatte Humor und war intelligent. So was findest du nicht an jeder Ecke.“

Laura zuckte mit den Schultern. „Vielleicht doch. Wir sind hier in der Großstadt, schon vergessen?“

„Geh sofort wieder rein und gib ihm deine Telefonnummer! Oder verabrede dich am besten gleich mit ihm“, befahl Katrin mit der Autorität der großen Schwester.

„Das ist nicht dein Ernst!“, entschied Laura und marschierte entschlossen in Richtung ihrer Wohnung. „Ich habe momentan wirklich anderes im Kopf, als mich mit irgendeinem Mann einzulassen, der mich in der Kneipe zu einem Bier einlädt. Wahrscheinlich dachte er ohnehin, ich hätte das mit dem Bier absichtlich gemacht, um ihn anzubaggern.“

„Falls er das dachte, hat es ihm gefallen. Hast du nicht bemerkt, wie er dich angeguckt hat?“

„Nein“, behauptete Laura und suchte in ihrer Tasche nach dem Wohnungsschlüssel. „Außerdem sagt man doch, dass man sich im Leben immer zwei Mal begegnet. Vielleicht sehe ich ihn irgendwann mal wieder, wenn ich nicht so viel um die Ohren habe. Nach dem Schachturnier zum Beispiel. Dann überlege ich mir das mit der Telefonnummer vielleicht.“

Am Morgen ihres zweiten Arbeitstages sah Laura zu, wie Katrin mit gutem Appetit zwei Brötchen und ein Joghurt aß, sie selber brachte nur einen halben Toast und eine Tasse Kaffee hinunter. Dann verabschiedeten sich die Schwestern und stiegen in ihre Autos. Katrin fuhr in Richtung Heimat, Laura steuerte die aufwendig restaurierte Villa an, in der Liebermann & Partner residierten.

Als Laura die Empfangshalle betrat, nickte ihr die hochnäsige, rothaarige Empfangssekretärin immerhin schon erkennend zu. Laura hob lässig grüßend die Hand, während sie auf klappernden Absätzen den großen Raum durchquerte, um mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock hinaufzufahren, und fühlte sich dabei schon fast heimisch. Immerhin wusste sie inzwischen, wo ihr Büro lag.

Mitten auf ihrem Schreibtisch fand Laura eine kleine Tafel Schokolade. Noch während sie erstaunt die Süßigkeit musterte, polterte es im Flur vor der Tür, und eine ihrer neuen Kolleginnen trat nach kurzem Anklopfen ins Zimmer. Es war Hannah, die Laura am Vortag dadurch aufgefallen war, dass sie ständig Gefahr lief, über ihre eigenen Füße zu stolpern. Alles an Hannah schien ein wenig groß oder zu lang geraten zu sein. Nicht nur ihre Füße, sondern auch die Arme, die Hände, die Nase und der Mund, der sich zu einem unglaublich breiten Lächeln verziehen konnte. Wenn Hannah lächelte, vergaß man augenblicklich ihre ungelenke Art.

„Guten Morgen, Laura.“ Auf dem kurzen Weg durch das winzige Büro kam Hannah ins Straucheln, und es gelang ihr erst in letzter Minute, sich an der Schreibtischkante festzuhalten, um einen Sturz zu verhindern.

„Ist die von dir?“ Laura hielt die Schokoladentafel hoch.

Hannah nickte und wurde ein wenig rot. „Als ich vor einem Jahr hier angefangen habe, bin ich meinen neuen Kollegen vorgestellt worden, man hat mir erklärt, dass sich alle hier duzen, mir eine Arbeit für die nächsten ein oder zwei Wochen zugewiesen, und von da an hat sich niemand mehr um mich gekümmert. Das war kein böser Wille. Alle haben ja immer so schrecklich viel zu tun. Aber die ersten Wochen waren trotzdem schwierig. Deshalb dachte ich …“ Sie verschränkte ihre großen Hände vor der Brust, dem einzigen an ihr, das eher bescheidene Ausmaße hatte.

„Das ist furchtbar nett von dir. Marzipan ist meine Lieblingssorte.“ Laura war so gerührt, dass sie ihre neue Kollegin am liebsten in den Arm genommen hätte. Aber Überschwänglichkeiten waren nicht ihre Art. Sie traute sich einfach nicht, so spontan zu sein.

Hannah grinste. „Ich esse auch am liebsten Marzipan. Deshalb hatte ich gar keine andere Sorte da.“

Sie lachten gemeinsam und wussten von diesem Moment an, dass sie Freundinnen werden würden, nicht nur, weil sie die gleiche Schokoladensorte mochten.

„Vorhin hat Frau Wells für dich angerufen“, sagte Hannah, nachdem sie sich wieder beruhigt hatten. „Du weißt schon, die Eigentümerin der Firma, die Vergissnix herstellt.“

„So früh hat sie sich schon gemeldet?“ Laura verzog das Gesicht. Ihre Kundin versprach anstrengend zu werden.

„Um kurz vor acht. Ich bin meistens die Erste im Büro, weil ich mit dem Bus komme. Kaum war ich zur Tür herein, klingelte das Telefon. Frau Wells wollte wissen, ob der deutsche Schachmeister, dieser Jens Hoffmann oder wie der heißt, schon zugesagt hat.“

„Jasper Hoffmann“, verbesserte Laura sie zerstreut, riss mit einer energischen Bewegung die Verpackung der kleinen Schokoladentafel auf, brach ein Stück ab und schob es sich in den Mund. Dann hielt sie Hannah den Rest hin. Die schüttelte den Kopf. „Ich habe gerade erst zwei Brötchen gegessen.“

„Ich brauche jetzt einfach ein bisschen zusätzliche Energie“, gestand Laura und nahm sich noch mehr von der Schokolade. „Ausgerechnet ein Schachturnier! Ich hasse Schach, ich stehe nicht gerade auf Schachspieler, und irgendwie macht es mir auch Angst, dass ich noch allein verantwortlich für die ganze Sache bin. Schließlich habe ich überhaupt keine Erfahrung mit solchen Veranstaltungen.“

Vielleicht war es ein Fehler, ihrer neuen Kollegin gegenüber so offen zu sein, aber Laura konnte einfach nicht anders. Sie brauchte Hilfe und ein wenig Verständnis, und irgendwie hatte sie das Gefühl, Hannah vertrauen zu können.

Die beugte sich denn auch vor und tätschelte mit ihrer großen Hand tröstend Lauras Schulter. „Wenn du mit irgendetwas nicht weiterkommst, kannst du mich jederzeit fragen.“

„Danke!“ Laura fühlte sich gleich ein bisschen besser.

„Wenigstens musst du nicht selber Schach spielen“, stellte Hannah aufmunternd fest, bevor sie Lauras kleines Büro verließ, um sich um ihre eigene Arbeit zu kümmern.

Nachdem sie den Rest der Schokolade verschlungen hatte, wühlte Laura den Stapel Unterlagen durch, der sich bereits nach einem einzigen Arbeitstag auf ihrem Schreibtisch angesammelt hatte. Schließlich zog sie mit einem erleichterten Seufzer den Zettel hervor, auf dem sie die Telefonnummer von Jasper Hoffmann notiert hatte. Susanne Wells selbst hatte ihr bei der Besprechung des Projekts die Nummer des Schachmeisters gegeben. Offenbar kannte sie ihn, wenn auch wohl nicht näher, denn sonst hätte sie ihn persönlich fragen können, ob er ihr zuliebe bereit war, an einem eher unwichtigen Werbeturnier teilzunehmen.

Bevor sie nach dem Telefon griff, überlegte Laura kurz, ob es um halb zehn Uhr morgens noch zu früh für einen Anruf war. Dann erinnerte sie sich daran, dass sämtliche Schachspieler, die sie durch ihren Stiefvater kennengelernt hatte, grundsolide Menschen waren, die mit den Hühnern ins Bett gingen und morgens spätestens um sieben aufstanden.

Aber entweder schlief Jasper Hoffmann entgegen ihrer Theorie noch tief und fest, oder er hatte bereits das Haus verlassen. Jedenfalls meldete sich nur sein Anrufbeantworter. Die Stimme, die kurz und knapp bat, eine Nachricht zu hinterlassen, klang erstaunlich tief und männlich und nicht nach einem Mann, der sein Leben über ein schwarz-weiß kariertes Brett gebeugt verbrachte. Vielleicht hörte er sich aber auch in Wirklichkeit völlig anders an als am Telefon.

Laura sprach kurz auf den Anrufbeantworter, dass sie Jasper Hoffmann zu einem Turnier einladen wollte und sich im Laufe des Tages noch einmal melden würde. Für den Fall, dass er sie zurückrufen wollte, hinterließ sie ihre Nummer. Wahrscheinlich würde er sich nicht melden. Warum sollte er auf den Anruf einer wildfremden Frau reagieren, die ihn telefonisch zu Hause belästigte? Womöglich hielt er sie für eine Art Groupie. Obwohl ihr nie in den Sinn gekommen wäre, einen erfolgreichen Schachspieler anzuschmachten, wusste sie, dass es Frauen gab, die sich für dieses öde Spiel und seine langweiligen Spieler begeistern konnten. Nun ja, jedem das Seine!

Sie würde dann eben später noch einmal versuchen, Jasper Hoffmann zu erreichen. In der Zwischenzeit hatte sie jede Menge zu tun.

Bereits am Vortag hatten mehrere ihrer neuen Kollegen auf ihre Frage hin Laura ein zentral gelegenes Hotel empfohlen, in dem die Agentur schon oft ähnliche Events organisiert hatte. Es gab dort geeignete Räumlichkeiten, eine ausgezeichnete Küche und guten Service. Nach Feierabend war sie dort vorbeigefahren, hatte sich das Haus angesehen und eine erste Besprechung mit der Bankettmanagerin gehabt, die sich als Lilly Sommer vorstellte. Das hörte sich für Laura fatal nach Zirkusartistin an, auch wenn der strenge Kurzhaarschnitt in grau und die noch strengere Brille der Managerin nicht recht dazu passen wollten. Lilly Sommer hatte stolz erklärt, sie könne auf gut 30 Jahre Berufserfahrung zurückblicken, was Laura angesichts ihrer eigenen eher bescheidenen Praxis einigermaßen beruhigend fand.

„Mit unserem Küchenchef sprechen Sie am besten morgen am Telefon. Momentan herrscht in der Küche Stress“, hatte Frau Sommer in strengem Ton erklärt, als sei sie nebenbei dafür zuständig, den Kochkünstler vor Überfällen übereifriger PR-Beraterinnen zu schützen.

Als Laura an diesem Morgen die Nummer wählte, die man ihr als Durchwahl gegeben hatte, teilte ihr ein leicht stotternder Jungkoch mit, der Küchenchef sei niemals vor zehn Uhr, meistens erst ab elf im Haus, würde Laura aber zurückrufen, sobald er käme.

Sie bedankte sich höflich und hoffte das Beste, während sie sich in die bereits mehrere Seiten umfassende Aufgabenliste vertiefte, die sie während der kommenden drei Wochen abzuarbeiten hatte. Das war nämlich die Zeit, die ihr blieb, um das Schachturnier zu organisieren: drei Wochen. Susanne Wells war nicht nur eine anstrengende, sondern auch eine ungeduldige Kundin.

Da Jasper Hoffmann, falls er denn tatsächlich bereit war mitzumachen, schlecht gegen sich selbst spielen konnte, suchte Laura als erstes im Internet nach einer Organisation von Schachspielern. Hoffentlich konnte sie mit deren Hilfe genügend Teilnehmer zur Teilnahme am Vergissnix-Turnier bewegen. Gerade verfasste sie ein Schreiben an den Deutschen Schachbund, in dem sie die angeblich überregionale Bedeutung des Turniers in blumigen Worten beschrieb, als die Tür zu ihrem kleinen Büro mit einem Ruck aufgerissen wurde. Ohne anzuklopfen, stürmte Susanne Wells herein.

„Haben Sie seine Zusage?“

Obwohl Laura sofort wusste, wovon die Rede war, starrte sie ihre Besucherin einige Sekunden lang sprachlos an, bevor sie sich von ihrem Schock erholt hatte. Als Laura am Vortag Susanne Wells zum ersten Mal gesehen hatte, war sie im strengen Businesslook aufgetreten; an diesem Morgen trug sie ein blütenweißes Tennisdress inklusive kurzem Faltenröckchen, tänzelte ungeduldig in ihren weißen Schuhen über den Teppichboden und fuchtelte mit einem Tennisschläger vor Lauras Nase herum, als wollte sie damit ihrer Frage besonderen Nachdruck verleihen.

„Ich warte noch auf seinen Rückruf“, brachte Laura schließlich hervor und sehnte sich für eine Sekunde zurück in ihren langweiligen Job beim Tagesanzeiger ihrer Heimatstadt. Dort war sie wenigstens nicht mit Tennisschlägern bedroht worden.

„Rufen Sie ihn so lange an, bis Sie ihn erreichen. Dieser Mann ruft so gut wie nie zurück.“ Susanne Wells ließ den Schläger sinken und schlenkerte stattdessen beunruhigend heftig mit der schneeweißen Sporttasche, die sie in der anderen Hand hielt.

Obwohl sie sich große Mühe gab, gelassen zu wirken, blinzelte Laura nervös und zog den Brieföffner unter einem Stapel Papiere hervor. Gleichzeitig biss sie sich auf die Zunge, um die neugierige Frage zu unterdrücken, weshalb Frau Wells den Schachmeister einerseits so gut kannte, dass sie sogar um seine Telefongewohnheiten wusste, ihn andererseits aber nicht selbst zu ihrem Werbeturnier einlud.

„Sie wirken ziemlich angespannt“, stellte Susanne Wells fest und hockte sich auf die Ecke des Schreibtisches, woraufhin Laura hektisch den Brieföffner weglegte, da die nackten Schenkel ihrer unerschrockenen Auftraggeberin fast die Spitze des schmalen Messers berührten. „Ausgleichssport wirkt in so einem Fall Wunder. Am besten melden Sie sich im Tennisclub an. Das Clubgelände des TC Rot-Weiß ist nur drei Straßen von hier entfernt. Sie könnten regelmäßig nach Feierabend ein Stündchen spielen, vielleicht sogar mal gegen mich.“

„Das ist eine gute Idee“, hörte sich Laura zu ihrer eigenen Überraschung sagen. „Ich habe zwar lange nicht gespielt, aber regelmäßige Bewegung würde mir sicher guttun.“ Und wenn Susanne Wells unbedingt gegen sie spielen wollte, würde sie schon sehen, was sie davon hatte! Plötzlich sehnte sich Laura unbändig danach, endlich einmal wieder hinter dem gelben Ball her über den Ascheplatz zu laufen. Sie hatte während ihrer Kindheit und Jugend viele Stunden auf dem Tennisplatz verbracht. Erst während ihres Studiums und den Jahren danach war sie immer seltener dazu gekommen, ihren Lieblingssport auszuüben.

„Ich werde ein gutes Wort für Sie einlegen.“ Mit einer großmütigen Geste strich sich Susanne Wells das blondierte Haar aus der Stirn. „Der Club ist ziemlich exklusiv.“

Laura hatte bereits den Mund geöffnet, um zu verkünden, dass sie nicht in einen Verein eintreten wollte, der sie nicht aus freien Stücken aufnahm, doch ihr fiel noch rechtzeitig ein, dass Susanne Wells eine wichtige Kundin der Agentur war. Also nickte sie stumm und versuchte, ein neutrales Gesicht zu machen.

Mit einem neckischen kleinen Hüpfer, der bei einer Siebzehnjährigen vielleicht ganz niedlich gewirkt hätte, bei einer Frau von Mitte dreißig aber einfach nur albern aussah, sprang Susanne Wells von der Schreibtischkante. „Dann gehe ich jetzt mal meine Gegnerin vom Platz fegen. Und Sie kümmern sich bitte um Jasper Hoffmanns Teilnahme. Wenn ich vom Tenniscourt zurück bin, rufe ich Sie an. Oder ich komme nachmittags noch mal vorbei.“ Mit einer angedeuteten Rückhand direkt vor Lauras Nase verabschiedete sich ihre Kundin, zupfte ihr kurzes weißes Röckchen zurecht und verließ das kleine Büro.

Aufatmend ließ sich Laura auf ihrem Stuhl zurücksinken. Ihre Entspannung hielt allerdings nur wenige Sekunden an, dann zuckte sie zusammen, weil ihr Telefon klingelte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass inzwischen wahrscheinlich der Chefkoch des „Sophienhotels“ seinen Dienst angetreten hatte. Also würde sie zunächst einmal die Verpflegungsfrage klären. Anschließend musste sie sich dann aber dringend Gedanken über Jasper Hoffmann machen, bevor Susanne Wells sie ein weiteres Mal heimsuchte.

2. KAPITEL

Jasper Hoffmann drückte auf die Returntaste und hörte sich die Nachricht auf seinem Anrufbeantworter ein zweites Mal an. Die Stimme auf dem Band klang freundlich, ein winziges bisschen unsicher und unglaublich sexy. Ein wenig erinnerte ihn ihr Tonfall an den der Frau, die ihm seit dem Vorabend nicht aus dem Kopf gehen wollte.

Die Anruferin deutete vage an, dass es um ein Schachturnier hier in der Stadt ging. Für solche Dinge war seine Agentur zuständig. Wie war diese Laura Bristow überhaupt an seine private Telefonnummer gekommen? Sie musste sehr zielstrebig sein. Und über gute Kontakte verfügen.

Mit zusammengekniffenen Lidern starrte er den Zettel an, auf dem er die Telefonnummer notiert hatte, unter der sie zurückgerufen werden wollte. Seine Hand schwebte bereits über dem Telefon, um Clara, seine Agentin, anzurufen. Wenn er ihr die Nummer gab, musste er sich um nichts mehr kümmern. Er konnte sogar ziemlich sicher sein, dass ihn Laura Bristow niemals mehr belästigen würde. Clara hatte ihre ganz eigene Art, mit aufdringlichen Leuten umzugehen. Sie pflegte ihm immer wieder zu sagen, dass er sich um nichts als um sein Schachspiel kümmern sollte. Alles andere sei ihre Aufgabe. Die Frage war nur, ob er eine Frau mit einem so kehligen Gurren in der Stimme, das zudem so klang, als hätte sie keine Ahnung, wie sexy sie sich anhörte, tatsächlich an seine Agentin weiterleiten wollte, ohne ein einziges Mal persönlich mit ihr gesprochen zu haben.

„Ich könnte sie selbst anrufen. Soll ich, Kasparow?“ Fragend sah er auf seinen Hund hinab, der neben seinen Füßen hockte und seine Frage mit einem unverbindlichen Wippen der weißen Schwanzspitze beantwortete.

„Du bist mir auch nicht gerade eine große Hilfe!“ Liebevoll strich Jasper dem Mischling, dessen abwechslungsreiches Äußeres mindestens auf einen Schäferhund, einen Dalmatiner, eine Dogge und einen Bobtail als Vorfahren hindeutete, über den schwarz-weiß-braunen Kopf.

Autor

Elaine Winter
Elaine Winter wurde in Hannover geboren und studierte Anglistik und Germanistik, nachdem sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert hatte. Von frühster Kindheit an hätte sie, vor die Wahl gestellt, eine Geschichte jeder Süßigkeit vorgezogen. Bevor sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben und Übersetzen zum Beruf machte, war sie im Kunsthandel, im...
Mehr erfahren